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Urkunde I: Übermalen des Fotos im Personalausweis, oder: Täuschungsabsicht?

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Heute stelle ich drei StGB-Entscheidungen vor. In allen dreien spielen Fragen in Zusammenhang mit Urkunden eine Rolle.

Den Opener mache ich mit dem KG, Beschl. v. 11.07.2023 – 2 ORs 23/23 – zur Strafbarkeit des Übermalens des Fotos eines Personalausweises.

Das KG ist auf der Grundlage des landgerichtlichen Berufungsurteils von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„In der Nacht vom 22. zum 23.3.2021 hielten sich der Angeklagte, der Zeuge N und andere Freunde des Angeklagten in wechselnder Besetzung lange in einer der Wohnungen der Teilnehmer (nicht des Angeklagten) auf und tranken erhebliche, nicht näher zu ermittelnde Mengen Alkohol. Der Angeklagte betrachtet Ausweisdokumente als Bestandteil eines Systems, das täglich Menschen kontrolliert, diskriminiert und tötet. Er ließ es als Teil des gemeinsamen Herumalberns in der Gruppe zu, dass er oder einer der anderen Anwesenden auf seinem Personalausweis mit der unter I. angegebenen Nummer mit einem schwarzen alkohollöslichen Stift das Lichtbild bis auf die Augenpartie unkenntlich machte; sofern dies durch eine andere Person geschah, billigte er dies. Er wusste, dass der Ausweis in diesem Zustand seine Funktion, seine optische Identifizierung zu ermöglichen, verloren hatte. Er steckte den Ausweis in seinem betrunkenen Zustand lediglich wieder in seine Hosentasche. Zu diesem Zeitpunkt war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht ausschließbar erheblich vermindert, aber nicht aufgehoben. Als der Angeklagte am nächsten Tag an einer Demonstration teilnahm und die Polizei die vom Angeklagten mündlich angegebenen Personalien überprüfen wollte, fand der Zeuge PM O bei einer Durchsuchung den unverändert beschmierten Personalausweis in der Hosentasche des Angeklagten.“

AG und LG haben den Angeklagten deswegen wegen Veränderns von amtlichen Ausweisen (§ 273 StGB) verurteilt. Dagegen die Revision, die Erfolg hatte. Das KG hat den Angeklagten frei gesprochen:

„2. Die auf diese Feststellungen gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen Veränderns von amtlichen Ausweisen gemäß § 273 Abs. 1 Nr. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Stellungnahme vom 23. Juni 2023 dazu folgendes ausgeführt:

„1. Die Feststellungen tragen entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht die Annahme, dass der Angeklagte zur Täuschung im Rechtsverkehr im Sinne von § 273 Abs. 1 StGB handelte.

a) Neben dem Vorsatz im Hinblick auf die objektiven Tatbestandsmerkmale verlangt § 273 Abs. 1 StGB das besondere subjektive Merkmal der Täuschungsabsicht. Täuschung im Rechtsverkehr ist dabei im Ausgangspunkt zu verstehen wie bei § 267 StGB. Vor dem Hintergrund der Rechtsgutskonzeption ist aber zu verlangen, dass durch den Gebrauch des Ausweises bei einem Amtsträger ein Irrtum herbeigeführt und dieser dadurch zu einem rechtserheblichen Verhalten veranlasst werden soll (vgl. Zieschang in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage 2023, § 273 Rn. 26). Es ist erforderlich, dass der Adressat einer unmittelbaren Vorlage des Ausweises über den Umstand getäuscht werden soll, dass sich im Ausweis die nunmehr unterdrückte Eintragung befunden hatte, um ihn hierdurch zu einer rechtlich erheblichen Disposition zu veranlassen (vgl. MüKoStGB/Erb, 4. Aufl. 2022, StGB § 273 Rn. 6).

b) So liegt der Fall hier gerade nicht. Das Landgericht erblickt in der Beeinträchtigung oder Aufhebung der ‚Identifizierungsfunktion als Beweiszweck‘ durch die festgestellte Übermalung des Ausweisfotos eine Eignung zur Täuschung, ohne jedoch darlegen zu können, worüber hierdurch konkret getäuscht werden sollte. Das ist auch nicht möglich, denn die Veränderung am Ausweis ist derart offensichtlich, dass angesichts dieser niemand eine entsprechende Fehlvorstellung hätte entwickeln können. Dass – worauf das Landgericht abstellt – eine Täuschung im Rechtsverkehr (in der zitierten Kommentierung heißt es: ‚Täuschungsabsicht‘) stets gegeben ist, wenn der Täter sich der Beweiswirkung der Urkunde auf seine Person entziehen will (vgl. UA, S. 4), steht dem nicht entgegen, denn gleichwohl ist immer erforderlich, dass der Täter eine andere Person zu einem irrtumsbedingten rechtserheblichen Verhalten veranlassen will (vgl. Fischer, StGB, 70. Auflage, § 267 Rn. 42 m. w. N.). Bei der Übermalung des Ausweisfotos ist es indes schlicht unmöglich, einen Irrtum in diesem Sinne zu erzeugen.

2. Die Feststellungen tragen vorliegend auch keine Verurteilung wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 2 StGB.

a) Zwar handelt es sich bei dem Personalausweis um eine fremde Sache (§ 4 Abs. 2 PAuswG).

b) Auch handelt es sich bei der festgestellten teilweisen Übermalung des Ausweisfotos ‚mit einem schwarzen alkohollöslichen Stift‘ (UA, S. 2) um eine unbefugte, nicht unerhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Ausweises.

c) Das Landgericht musste jedoch offenlassen, ob der Angeklagte selbst oder eine dritte Person die Veränderungen an dem Ausweis vorgenommen haben, wobei der Angeklagte im letzteren Fall die [Veränderungen] ‚gebilligt‘ habe. Eine mittäterschaftliche Begehungsweise ist damit indes nicht festgestellt, zumal das Gericht in seiner Beweiswürdigung darauf abstellt, der Angeklagte habe die Veränderung an dem Ausweis ‚zugelassen‘ (UA, S. 3). Auch eine Sachbeschädigung durch Unterlassen kommt nicht in Betracht, weil es insoweit an einer Rechtspflicht des Angeklagten zur Tatbestandsverhinderung fehlt. Insbesondere folgt diese nicht aus dem Gesetz. § 27 PAuswG regelt die Pflichten des Ausweisinhabers. Gegen keine der dort bezeichneten Pflichten hat der Angeklagte im Zuge des verfahrensgegenständlichen Tatgeschehens verstoßen. Auch andere gesetzliche oder sonstige Garantenpflichten sind vorliegend nicht gegeben.“

Diese Ausführungen treffen zu, weshalb sie sich der Senat zu eigen macht.

Klima II: Straßenblockade durch Klimaktivisten II, oder: Für die Verwerflichkeit Abwägung im Einzelfall

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Und die zweite Entscheidung, der KG, Beschl. v. 31.01.2024 – 3 ORs 69/23 – 161 Ss 157/23, befasst sich ebenfalls mit der Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StPO bei sog. „Klima-Blockadeaktionen“.

Das AG hat den Angeklagten Nötigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 EUR verurteilt. Dagegen die Berufung des Angeklagaten, die nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg hatte. Das LG hat den dahingehend abgeändert, dass es die Anzahl der Tagessätze auf 20 reduziert hat.

Zur Sache hat das LG folgende Feststellungen getroffen:

„Am Freitag, den 11. Februar 2022, gegen 7.00 Uhr beteiligte sich der Angeklagte auf der Kreuzung Y-damm/Z-weg in 13627 Berlin an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“, bei der er und weitere Personen sich aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans auf die Fahrbahn setzten. Einzelne Aktivisten klebten sich auf die Fahrbahn des Y-damms, einer stark befahrenen Hauptverkehrsachse, während der Angeklagte selbst nicht angeklebt war. Die Täter handelten, um mindestens die auf dem Y-damm in Richtung Spandau vor ihnen befindlichen Fahrzeuge, die keine Ausweichmöglichkeit mehr hatten, bis zur Beendigung der Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern und dadurch erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für die aus ihrer Sicht unzureichenden politischen Maßnahmen gegen ein Fortschreiten des Klimawandels zu erzielen. Wie von ihm und seinen Mittätern beabsichtigt, kam es aufgrund der Blockade, welche die gesamte Breite der stadtauswärts führenden Fahrbahnen des Y-damms einnahm und dazu führte, dass zwischen 7.00 Uhr und 7.20 Uhr kein Fahrzeug die Kreuzung Y-damm/Z-weg passieren konnte, bis zur Räumung zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen in Form eines Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge. Insbesondere war es sämtlichen Fahrzeugen, die auf dem Y-damm vor der blockierten Kreuzung standen und keine Möglichkeit mehr zum Abbiegen hatten, nicht möglich, die Blockade zu umfahren. Dabei handelte es sich um mindestens 50 Fahrzeuge. Die Blockade war von den Tätern nicht konkret angekündigt worden. Lediglich allgemein waren in Berlin Blockadeaktionen angedroht worden. Die Fahrbahn konnte von der Polizei gegen 7.20 Uhr nach Entfernung sämtlicher Aktivisten von der Fahrbahn durch die Polizei wieder freigegeben werden.“

Der Angeklagte hat noch Revision eingelegt. Mit der beanstandet er im Rahmen der Sachrüge, die tatsächlichen Feststellungen seien mit Blick auf die obergerichtliche Rechtsprechung lückenhaft und trügen den erfolgten Schuldspruch nicht. Ferner habe das LG seine Pflicht zur Amtsaufklärung nach § 244 Abs. 2 StPO verletzt, indem es einer dahingehenden Anregung seines Verteidigers, weitere Polizeizeugen zu vernehmen, nicht gefolgt sei.

Das KG hat die Revision insgesamt verworfen. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze des KG zu dem umfangreich begründeten Beschluss des KG ein. Den Rest dann bitte ggf. im verlinkten Volltext selbst nachlesen:

    1. Bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter hat die Abwägung im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB im Einzelfall zu erfolgen, so dass die in der Vergangenheit durch die Rechtsprechung verschiedentlich erfolgte Zusammenstellung einzelner Abwägungskriterien (BVerfG: „wichtige Abwägungselemente“; Senat: „erörterungsbedürftige Aspekte“ und „zu beachtende Gesichtspunkte“) als Orientierung und Leitlinie zu verstehen ist und keine in jeder Konstellation zwingende oder abschließende Aufzählung darstellen kann.
    2. Die Tatgerichte sind im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht gehalten, die zur Durchführung der Abwägung in dem konkreten Einzelfall wesentlichen Umstände und Beziehungen zu erfassen und festzustellen, wobei hinsichtlich des Umfangs dieser Amtsaufklärungspflicht die allgemeinen Grundsätze gelten.
    3. Wird ein Aufklärungsmangel aus dem Inhalt einer in der Akte befindlichen Strafanzeige, einer zeugenschaftlichen Äußerung oder einem erstinstanzlichen Hauptverhandlungsprotokoll über die Vernehmung eines Zeugen hergeleitet, bedarf es regelmäßig deren bzw. dessen (vollständiger) inhaltlicher Wiedergabe.

OWi I: Bescheidung des Beweisantrages erst im Urteil, oder: Auf jeden Fall fehlerhaft….

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Die Überschrift zeigt es an: Heute gibt es hier OWi-Entscheidungen. Alle drei kommen aus dem verkehrsrechtlichen Bereich.

Zum „Warm-Werden“ hier zunächst der KG, Beschl. v. 29.01.2024 – 3 ORbs 14/24- 122 Ss 5/24, der gerade gestern frisch rein gekommen ist. Es geht um eine verfahrensrechtliche Problematik, nämlich um einen in der Hauptverhandlung nicht beschiedenen Beweisantrag des Betroffenen. Der Verteidiger des Betroffenen hatte in der Hauptverhandlung einen unbedingten Beweisantrag auf Vernehmung eines Messbeamten zum Beweis der Tatsache gestellt hat, dass die Messung – dem Betroffenen wurde eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen – nicht entsprechend den Vorgaben des Herstellers und des Zulassungsgebers durchgeführt wurde. Das Gericht hat den Beweisantrag nicht in der Hauptverhandlung, sondern erst in den Urteilsgründen beschieden. Warum teilt der KG-Beschluss allerdings nicht mit.

Der „Mangel“ wird mit der Verfahrensrüge geltend gemacht. Und die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg:

„Ausweislich des Protokolls hat der Verteidiger einen unbedingten Beweisantrag auf Vernehmung des Messbeamten zum Beweis der o.g. Tatsache In der Hauptverhandlung gestellt, den das Gericht nicht in der Hauptverhandlung beschieden hat. Dass das Gericht diesen Antrag in den Urteilsgründen (UA. S. 4) bescheidet, ändert an dem Verfahrensfehler, auf dem das Urteil beruht, nichts. Denn ein Urteil beruht schon dann auf einem Rechtsfehler, wenn es als möglich erscheint oder wenn nicht auszuschließen ist, dass es ohne den Rechtsfehler anders ausgefallen wäre (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 211). Ist ein Beweisantrag nicht beschieden oder rechtsfehlerhaft abgelehnt worden, können in der Regel weder das Tatgericht in den Urteilsgründen noch das Revisionsgericht die rechtsfehlerfreie Begründung nachliefern (vgl. Krehl in Karlsruher Kommentar StPO 9. Aufl.; § 244 Rn. 233).  Das Revisionsgericht kann das Beruhen in einem solchen Fall daher regelmäßig nicht schon mit der Erwägung verneinen, der Antrag hätte mit rechtsfehlerfreier Begründung abgelehnt werden dürfen (vgl. BGH NStZ 1997, 286; Krehl a.a.O.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn ausnahmsweise ausgeschlossen ist, dass die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten hierdurch berührt worden sind (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 211). Insoweit ist zu beachten, dass die Bescheidung eines Beweisantrags den Antragsteller vom Standpunkt des Gerichts zu der Beweisbehauptung unterrichten und ihm Gelegenheit geben soll, sich auf die dadurch entstandene Prozesslage einzustellen (vgl. BGH NStZ 1997, 286). Nur wenn die erforderliche Bewertung aller im Einzelfall in Betracht kommenden Umstände (dazu vgl. BGH StV 1997, 170), wie sie sich in Urteil und Revisionsvorbringen darstellen, zu dem Ergebnis führt, dass der Angeklagte in Auseinandersetzung mit der rechtsfehlerfreien Begründung keine für die Beweiserhebung erheblichen Argumente hätte vortragen und keine. anderen sachdienlichen Anträge mehr hätten stellen können, ist ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler ausgeschlossen (vgl. BGH NStZ 1997, 286; NStZ-RR 2010, 211; KG, Urteil vom 1. Februar 2018 – (5) 121 71/17 (49/17) -; HansOLG Hamburg StV 2016, 4303; Krehl a.a.O., Rn. 234).

Für eine solche Verfahrenssituation fehlt jeglicher Anhaltspunkt.“

Pauschgebühr, hier für den Nebenklägerbeistand, oder: Falscher Maßstab und unzulässige Kompensation

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Heute dann Gebührentag. Und an dem stelle ich mal wieder drei Entscheidungen zur Pauschgebühr (§ 51 RVG) vor. Ja, die gibt es noch. Obwohl: Das, was als Pauschgebühr von den OLG „gewährt“ wird, sind meist lächerliche Beträge.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 28.11.2023 – 1 AR 17/22 – zur Pauschgebühr für den Nebenklägerbeistand. Ergangen ist der Beschluss nach einem Schwurgerichtsverfahren. Das war vor einer Schwurgerichtskammer des LG Berlin  mit dem Vorwurf des Mordes ursprünglich gegen elf Angeklagte, nach einer Verfahrensabtrennung am 6. Juli 2017 gegen zehn Angeklagte und in einem Trennverfahren gegen den elften Angeklagten., anhängig. Die erstinstanzlichen Verfahren wurden durch die Urteile vom 01.10.2019 (Ursprungsverfahren) und vom 18.12.2019 (Trennverfahren) beendet. Der Antragsteller meldete sich am 27.10.2014 für die Schwester des Tatopfers, die als Nebenklägerin zugelassen und der der Antragsteller am 27. 10.2014 als Vertreter bestellt wurde. In dieser Funktion war er sowohl im Ursprungs- als auch im Trennverfahren tätig.

An gesetzlichen Gebühren hatte der Beistand bisher insgesamt 197.424 EUR für die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr (erster Rechtszug) und die Terminsgebühren (erster Rechtszug) erhalten. Er hat dann einen auf § 51 RVG gestützten Antrag auf Festsetzung einer Pauschvergütung von jeweils 20.000 EUR anstelle der gesetzlichen Grund- und Verfahrensgebühren (erster Rechtszug) und von 304.152 EUR anstelle der Terminsgebühren (erster Rechtszug), insgesamt auf 344.152 EUR gestellt. Das KG hat unter Zurückweisung des Antrags im Übrigen anstelle der Verfahrensgebühr nach Nr. 4118 VV RVG und der Terminsgebühren nach Nr. 4120 und 4122 VV RVG eine Pauschgebühr in Höhe von 211.056 EUR bewilligt.

Das KG referiert zunächst die Voraussetzungen des § 51 RVG. Da werden dann die Begriffe: „Ausnahmecharakter“ und vor allem auch wieder „exorbitant“ wiederholt. Die Passage kann man sich sparen. Das kennen wird.

Zur konkreten Sache heißt es dann:

„2. Die Inanspruchnahme des im gerichtlichen Hauptverfahren erstmals mit der Sache befassten Antragstellers ist mit den für das Verfahren des ersten Rechtszuges und die für die Wahrnehmung der Hauptverhandlungstermine in dem Zeitraum vom 8. November 2017 (dem Beginn der Hauptverhandlung in dem Trennverfahren) bis zum 1. Oktober 2019 (der Urteilsverkündung im Ursprungsverfahren) gesetzlich vorgesehenen Gebühren, nicht hingegen mit der für die erstmalige Einarbeitung in die Sache gesetzlich vorgesehenen Gebühren, unzumutbar im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 68, 237) vergütet.

a) Einen hervorgehobenen Umfang oder besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art hat die Sache bei der erstmaligen Einarbeitung nicht aufgeworfen. Diese – bei der Übernahme des Mandates. Ende Oktober 2014 erfolgte – erstmalige Einarbeitung ist mit der Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) abgegolten.

Die Antragsbegründung und der Akteninhalt rechtfertigen eine abweichende Auffassung nicht Bei der erstmaligen Einarbeitung in die Sache, dem Erstgespräch mit der Mandantin und der damit einhergehenden Sachverhaltsermittlung wurde der Antrag-steller, was sowohl er als auch der Bezirksrevisor in ihren Ausführungen vernachlässigen, mit einem tatsächlich und rechtlich einfach gelagerten Sachverhalt konfrontiert Mehrere Täter – so der Tatvorwurf – töteten den Bruder der späteren Nebenklägerin. Darüber hinausgehende konkrete Umstände (jenseits der in der Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 9. August 2023 abstrakt dargelegten denkbaren anwaltlichen Tätigkeiten) geben für dieses Verfahrensstadium weder die Antragsschrift noch deren ergänzende Begründungen wieder. Mit ihnen sind keine Tatsachen dargelegt worden, die eine außergewöhnliche anwaltliche Mühewaltung offenbaren. Stattdessen hat der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 8. November 2023 vorgetragen, sich vor seiner Bestellung zum Nebenklägervertreter erstmals in die Strafsache eingearbeitet zu haben; konkrete anwaltliche Tätigkeiten, die in den Bereich der erstmaligen Einarbeitung in eire Sache und damit der Grundgebühr fallen, hat er nicht benannt, sondern sich trotz der ihm mit Schreiben vom 7. November 2023 eröffneten Gelegenheit zur Konkretisierung auch weiterhin auf Bewertungen der eigenen Tätigkeit als außergewöhnlich schwierig und umfangreich beschränkt. In den Akten findet sich lediglich der Meldeschriftsatz und ein einseitiger Antrag auf Schwärzung der Wohnanschrift der an diesem Tag als Nebenklägerin zugelassenen Schwester des Tatopfers. Die danach, erstmals mit der Ladungsverfügung vom 27. Oktober 2014 eröffnete und dem Antragsteller nach seinen Angaben erst „knapp vor dem Beginn der Hauptverhandlung gewährte „Akteneinsicht fällt in das gerichtliche Hauptverfahren und ist dort – wegen des Umfanges der Akten und der Erschließung ihres Inhalts parallel zu der bereits begonnenen Hauptverhandlung – mit der 12fachen Erhöhung der gesetzlich vorgesehenen Gebühr berücksichtigt worden. Eine doppelte Berücksichtigung, wie sie offenbar der Bezirksrevisor vornehmen will, spiegelt die konkrete anwaltliche Mühewaltung nicht wider. Es kommt- auch wegen der Berücksichtigung der Sichtung des Aktenbestandes im Hauptverfahren – dabei nicht darauf an, ob der Antragsteller bereits zuvor (erfolglos) um Akteneinsicht ersucht hatte und wegen eines durch die Kammer angenommenen „Vorrang(es)“ der Verteidiger auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet worden war.

b) Die anwaltliche Mühewaltung im gerichtlichen Verfahren (erster Rechtszug) rechtfertigt die Erhöhung der gesetzlichen Gebühr nach Nr. 4118 VV RVG um das Zwölffache, auf einen – die gesetzliche Gebühr ersetzenden – Betrag von 3.792 Euro.

Die im Einklang mit den Ausführungen des Bezirksrevisors angenommene Erhöhung beruht auf der Dauer des gerichtlichen Verfahrens im ersten Rechtszug und dem Aktenumfang, der vor allem zum Ende der Hauptverhandlungen in beiden Verfahren – vornehmlich bedingt durch die den Interessen der Nebenklägerin widerstreitenden Anträge der Verteidiger – angewachsen ist, wie der Antragsteller und der Bezirksrevisor zutreffend herausgearbeitet haben. Beide übersehen zu Gunsten des Antragstellers zwar, dass sich die erste Akteneinsicht auf Hauptakten beschränkte, die z.B. in den Bänden 3 bis 7 und 13 fast ausschließlich oder zu einem überwiegenden Teil Unterlagen enthalten, die die Vertretungs- und Haftverhältnisse der Angeklagten betreffen oder Doppel von Vernehmungsniederschriften sind, daher der intensiven Befassung durch den Antragsteller nicht bedurften. Bezüglich des in der Folge gesichteten Aktenbestandes ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass er wegen der Vielzahl von anwaltlichen Verfahrensbeteiligten in weiten Teilen aus Akteneinsichtsschriftsäten sowie Anträgen, Beschlüssen und Mitteilungen betreffend die Haftverhältnisse der Angeklagten bestand, die doppelt und dreifach eingereicht bzw. ausgedruckt oder als Faxabschriften zu den Akten gelangt sind. Diese betrafen die Vertretung durch den Antragsteller nicht direkt, erforderten, jedenfalls keinen erheblichen Arbeitsaufwand. Dies gilt auch für die Beiakten, die ohnehin weit überwiegend Vorstrafen der Angeklagten betreffen, oder bei denen es sich um Gefangenenpersonalakten (pp. u.a.) handelte. Auch die zuletzt in der Regel per E-Mail des Kammervorsitzenden übermittelten Nachlieferungen bestehen zu einem erheblichen Teil um schnell zu erfassende (Ergänzungen von) Aussagegenehmigungen, Verhinderungsanzeigen von Zeugen und Lichtbildkonvolute. Diesem, den Umfang des Arbeitsanfalls deutlich relativierenden Umstand, steht allerdings die reine Menge des durch den Nebenklägervertreter – im Gegensatz zu den Verteidigern ohne die Möglichkeit zur Arbeitsteilung – vor allem zu Beginn der Hauptverhandlung im Ursprungsverfahren zudem in kurzer Zeit zu bewältigenden Materials gegenüber, wenngleich die Übersendung von dem Antragsteller aus dem Trennverfahren bekannten Unterlagen (vgl. z.B. Bd. 48 BI. 143) nicht doppelt berücksichtigt werden dürfen.

Umfang und Schwierigkeit der Strafsache werden zudem durch einen Blick auf den Tatvorwurf deutlich relativiert. Verglichen mit den in der Regel komplexen und wegen des vom Gesetzgeber unterstellten erhöhten Arbeitsanfalls ohnehin höher vergüteten erstinstanzlichen Staatsschutzsachen mit OLG-Zuständigkeit sowie Strafsachen, die vor den Schwurgerichts- oder Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts gewöhnlich verhandelt werden, warf die Strafsache keinen hervorgehobenen Umfang oder besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art auf.. Im Gegenteil: Es handelte sich (auch weiterhin) um einen mehr als überschaubaren und einfach gelagerten Tatvorwurf, der sich im Verlaufe des Verfahrens nicht änderte und lediglich das Problem der Identifizierung der vielen Täter aufwarf. Verfahrensgegenstand war durchweg der folgende Vorgang: 12 Täter, darunter zehn Angeklagte, begaben sich auf die Weisung eines Mitangeklagten in ein Lokal; einer von ihnen erschoss entsprechend dem vorab gefassten Tatplan das Opfer. Der auf einem Video festgehaltene Tathergang dauerte lediglich 25 Sekunden.

Diesen konkreten, die anwaltliche Beanspruchung mindernden Umstände steht die anwaltliche Betätigung des Nebenklägervertreters gegenüber. Den Akten ist insoweit zu entnehmen, dass sich. der Antragsteller mehrfach in das Hauptverfahren eingebracht hat; beispielhaft sind insoweit Anträge auf Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten pp. (Bd. 23 Bl. 59), Stellungnahmen zu dem Akteneinsichtsantrag eines Zeugenbeistands (Bd. 24 BI. 53) und dem Haftantrag eines Verteidigers (Bd. 30 BI. 125) sowie die Weiterleitung ihm von einem anderen Nebenklägervertreter zugesandter Bilddateien an die Kammer (Bd. 35 Bl. 108) zu nennen. Dies, die Verfahrensdauer und der – mit den oben genannten Einschränkungen zu betrachtende – Aktenumfang, haben zur Folge, dass auch der Senat die zwölffache Erhöhung der Verfahrensgebühr für angemessen erachtet.

Eine weitergehende Erhöhung tragen weder die Antragsbegründung noch der Akteninhalt Die vom Antragsteller bemühten wirtschaftlichen Erwägungen vermögen aus den vom Bezirksrevisor zutreffend genannten Gründen – unabhängig von der Frage des kausalen Zusammenhanges zwischen Gewinnrückgängen und der Vertretung in einer Strafsache — die Gewährung einer Pauschvergütung, die ausschließlich von der konkreten und außergewöhnlich großen Mühewaltung getragen werden kann, nicht zu begründen. Soweit der Antragsteller vorgetragen hat, er habe die Nebenklägerin mindestens einmal im Monat aufgesucht und „jeweils nach dem Termin oder auch nur 2 x die Woche ausführliche Telefonate (…) zur Unterrichtung über den Sachstand“ geführt, auch um „strafprozessuale Fragen für einen juristischen Laien in einfache Sprache umzusetzen und zu erläutern“, umschreibt dies keine den gewöhnlichen Arbeitsaufwand erheblich übersteigende Beanspruchung, sondern die gewöhnlichen Pflichten eines Rechtsanwaltes, dessen Bestellung gerade dazu dient, einer Nichtjuristin wie der Nebenklägerin juristische Vorgänge zu verdeutlichen. Die vermeintlichen außergewöhnlichen Erschwernisse durch das „mediale Interesse“ hat der Antragsteller trotz des entsprechenden Hinweises des Bezirksrevisors (auch weiterhin) nicht konkret dargelegt Eine in seinem Schriftsatz vom 28. August 2023 beispielhaft erwähnte Veröffentlichung fällt nicht in die Zeit des gerichtlichen Verfahrens erster Instanz („während des Revisionsverfahrens“); im Übrigen bleiben die Angaben vage, denn aus der Erwähnung „mehrerer Reportagen“ oder „zahlreicher Anfragen“ gehen weder deren Anzahl, Dauer oder Zeitpunkt hervor noch erschließt sich die konkrete Beanspruchung des Antragstellers.

c) Eine besondere Bindung der Arbeitskraft des Antragstellers nimmt der Senat – aus den in der Stellungnahme des Bezirksrevisors auch insoweit zutreffend aufgeführten Erwägungen – für den Zeitraum der parallel im Ursprungs- und im Trennverfahren geführten Hauptverhandlungen, an denen der Antragsteller an knapp drei Verhandlungstagen je Woche teilnahm, mit einer Pauschale für die letzten beiden Jahre vor der Urteilsverkündung am 1. Oktober 2019.. in Höhe von jeweils 5.000 Euro an.

Eine höhere Pauschvergütung ist nicht gerechtfertigt. Zum einen ist der Antragsteller durch die große Anzahl der jeweils einzeln vergüteten 400 Verhandlungstage besser gestellt worden als in einem durchschnittlichen Verfahren (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. statt vieler Beschlüsse vom 4. November 2021- 1 ARs 35720 – und vom 23. Juli 2019 – 1 ARs 12/17 -). Zum anderen ist auch die Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen, die – ohne die 19.504 Euro, die die Terminsvertreter an den Antragsteller abgetreten haben – mit 196.948 Euro vergütet worden sind, durch den einfach gelagerten Tatvorwurf und den Umstand geprägt gewesen, dass allein die Vielzahl an anwaltlichen Verfahrensbeteiligten, die Feststellung deren An- und Abwesenheiten und (bloße) Anschlusserklärungen einen weiten Raum in den Terminen einnahmen, was das Sitzungsprotokoll des Ursprungsverfahrens eindrucksvoll belegt. Es ist daher hier nicht sonderlich maßgebend, dass die Anzahl der vom Antragsteller hervorgehobenen Beweiserhebungen ohnehin kein Bemessungskriterium i:S.d. § 51 RVG ist. Soweit eine Vielzahl von Beweiserhebungen lange Sitzungstage nach sich zieht, wird dies mit Längenzuschlägen honoriert, hier mit gewichtigen 129 Zuschlägen nach Nr. 4122 VV RVG in Höhe von insgesamt 27.348 Euro. Im Einklang mit den Ausführungen des Bezirksrevisors war überdies zu berücksichtigten, dass der vom Gesetzgeber angenommenen überdurchschnittlichen Schwierigkeit und Arbeitsbelastung in Schwurgerichtssachen gegenüber erstinstanzlichen Strafsachen vor dem Amtsgericht oder einer anderen Großen Strafkammer nicht nur durch höhere Verfahrensgebühren, sondern auch durch erhöhte Terminsgebühren Rechnung getragen wird. Diese gelten auch die für diese Verfahren antizipierten besonders intensiven und wegen der Verfahrensdauer gewöhnlich auch deutlich aufwändigeren Vor- und Nachbereitungen der Hauptverhandlungstermine ab, die abgesehen hiervon.- ebenso wie die Fertigung von Mitschriften während der Hauptverhandlung – ohnehin zu den selbstverständlichen und daher nicht besonders zu vergütenden anwaltlichen Pflichten gehören. Es kommt hinzu, dass die Wahrnehmung der Hauptverhandlungstermine bis zur beginnenden Verhandlung im Trennverfahren den Antragsteller an lediglich 1,2 Verhandlungstagen pro Woche [außerhalb der Feiertage und der Urlaubszeiten] mit einer durchschnittlichen und damit für Schwurgerichtssachen (sechs Stunden, vgl. Senat, Beschluss vom 4. November 2021 – 1 ARs 35/20 -) unterdurchschnittlichen Länge von viereinhalb Stunden in Anspruch nahmen.“

Nun? Ja, richtig. Viel Lärm um nichts ode rum „nicht viel“. Und: Es spricht, sehr viel dafür, auch wenn man die genauen Einzelumstände des Verfahrens nicht kennt,  dass das KG nicht richtig liegt, und zwar:

1. Das KG geht schon vom falschen Vergleichsmaßstab aus, wenn es u.a. darauf abstellt, dass sich für die Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG die anwaltliche Mühewaltung „von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben“ müsse. Durch das Abstellen auf ein „exorbitantes Abweichen“ wird nämlich der Vergleichsmaßstab so verschoben, dass die Gewährung von Pauschgebühren praktisch ausgeschlossen ist. Das war aber nicht das Anliegen des Gesetzgebers bei Schaffung des § 51 RVG. Denn auch, wenn die (neue) Anspruchsvoraussetzung „Unzumutbarkeit“ eingeführt worden ist, sollte es noch Pauschgebühren geben. Der BGH und die OLG scheinen es aber besser zu wissen.

2. Falsch sind auch die Ausführungen des KG zur Zulässigkeit der Kompensation. Diese ist – entgegen der Auffassung des KG, die allerdings zum Teil auch von anderen OLG vertreten wird – unzulässig. Das gilt vor allem, wenn – wie hier – eine auf Verfahrensabschnitte beschränkte Pauschgebühr geltend gemacht wird. Denn durch einen solchen „beschränkten“ Antrag macht der bestellte/beigeordnete Rechtsanwalt gerade deutlich, dass er mit den gesetzlichen Gebühren für die die Verfahrensabschnitte, für die eine Pauschgebühr nicht geltend gemacht wird, angemessen honoriert ist. Dann kann man aber nicht diese Gebühren heranziehen, um ggf. eine Pauschgebühr für einen anderen Verfahrensabschnitt abzulehnen. Denn diese Gebühren stehen gar nicht zur Überprüfung an.

Mit diesem Einwand korrespondieren meine Bedenken gegen die Überlegung des KG, dass „der Antragsteller durch die große Anzahl der jeweils einzeln vergüteten 400 Verhandlungstage besser gestellt worden [ist] als in einem durchschnittlichen Verfahren“. Ja, aber es darf doch nicht übersehen werden, dass er für die dafür gewährten gesetzlichen Gebühren an 400 Hauptverhandlungstermine teilgenommen hat. Man kann dann doch diese für erbrachten Zeitaufwand erzielte „Einnahme“ nicht heranziehen, um eine höhere Pauschgebühr abzulehnen. Das ist m.E. widersprüchlich und entwertet die Entlohnung für die Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen.

StPO II: Besetzungseinwand prozessual überholt, oder: Es bleibt dann das Revisionsverfahren

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Und im zweiten Beitrag stelle ich dann den KG, Beschl. v. 20.10.2023 – 3 Ws 50/23 – 161 AR 180/23 – vor. Es geht noch einmal um den Besetzungseinwand nach § 222b StPO.

Nach dem Sachverhalt hatte eine Strafkammer LG Berlin mit Beschluss vom 11.09.2023 unter Eröffnung des Hauptverfahrens die Anklage der StA vom 09.08.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen. Gleichzeitig hat sie hinsichtlich ihrer Besetzung in der Hauptverhandlung entschieden, dass diese gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 und Satz 4 GVG mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt sein wird. Mit Verfügung vom gleichen Tag hat der Vorsitzende die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses veranlasst, Termin zur Hauptverhandlung auf den 27.09.2023 anberaumt und die Ladung der Beteiligten sowie die Übersendung der Besetzungsmitteilung angeordnet. Mit Schriftsatz vom 14.09.2023 hat Rechtsanwalt A für den Nebenkläger B die Besetzung des Gerichts nach § 222b Abs. 1 StPO gerügt und bemängelt, dass die Kammer nach § 76 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 GVG keine Dreierbesetzung beschlossen hat. Im Rahmen der Begründung hat er ausgeführt, weshalb die Anberaumung der Verhandlung als Tagessache aufgrund des aus seiner Sicht erforderlichen Hauptverhandlungs­programms, das neben der Inaugen­scheinnahme eines einstündigen Tatvideos, der Hinzuziehung eines waffenkundigen Sachverständigen und weiterer Zeugen bestehen sollte, unzureichend sei. Ferner hat der Nebenkläger auf die in dem vor einer anderen großen Strafkammer geführten Parallelverfahren bereits durchgeführten über 20 Hauptverhandlungstage hin­gewiesen, in dem u.a. gegen fünf vermeintliche Mit­beteiligte an der vorliegend angeklagten Tat mit umfangreichem Prozessstoff und einem Aktenbestand von aktuell 21 Verfahrensbänden, 24 Sonderbänden und einer Beiakte verhandelt werde. Der Umfang der Akten, in die aufgrund der bislang lediglich gewährten Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle bis dato keine Einsicht genommen worden sei, sowie die erforderliche Hinzuziehung eines Dolmetschers und das aufgrund des (bislang) schweigenden Angeklagten gebotene Beweisprogramm gebiete die Besetzung der Kammer mit drei – statt nur zwei – Berufsrichtern.

In seiner Verfügung vom 18.09.2023 hat der Kammervorsitzende zunächst vermerkt, dass die Kammer nach Beratung den Besetzungseinwand für unbegründet halte. Eine Zweierbesetzung sei ausreichend, da die Hauptakten aus zwei Bänden bestünden und der Tatvorwurf gegen den einen Angeklagten überschaubar sei. Die Sache sei als Tagessache für den 27.09.2023 terminiert. Ferner sei nach dortiger Rechtsansicht im neuen Vorlageverfahren gemäß § 222b Abs. 3 StPO ein förmlicher Beschluss nicht erforderlich. Sodann hat der Kammervorsitzende die Vorlage des Besetzungseinwands – über die Staats­anwaltschaft Berlin – an das KG verfügt.

Der Beschwerdeband ging nebst Stellungnahme der GStA vom gleichen Tag am 26.09.2023 beim KG/Senat ein. Von dort aus wurde dem Verteidiger und Rechtsanwalt A Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Vermerk des Vorsitzenden und der Stellungnahme der GStA Berlin bis zum 28.09.2023, 12 Uhr gewährt.

In der Hauptverhandlung am 27.09.2023 hat die verurteilt. Das KG hat in dem Beschluss den Besetzungseinwand des Nebenklägers als durch das ergangene Urteil vom 27.09.2023 prozessual überholt angesehen.

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

    1. Verkündet das Tatgericht vor der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nach § 222b Abs. 3 StPO über die vorschriftsmäßige Besetzung ein Urteil, so ist das Vorab­entscheidungs­verfahren erledigt. Der Einwand vorschriftswidriger Besetzung kann sodann im Rahmen der Revision geltend gemacht werden.
    2. Die zulässige Begründung der Besetzungsrüge erfordert gemäß § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrens­tatsachen, die den behaupteten Besetzungsfehler begründen. Wird der Besetzungseinwand auf den Umfang der Akten gestützt wird, dürften konkrete Angaben zu dem tatsächlich zu bewältigenden Aktenbestand erforderlich sein.
    3. Die in § 222b Abs. 2 Satz 1 StPO vorgesehene Entscheidung des Tatgerichts über seine ordnungsgemäße Besetzung ist durch mit Gründen versehenen Beschluss zu treffen. Sie dient insbesondere im Falle der Zurückweisung des Besetzungseinwands der Selbst­überprüfung und soll die ihr zugrundeliegenden Erwägungen für die Verfahrens­beteiligten sowie das Rechtsmittelgericht nach­vollziehbar und überprüfbar machen.

Die Leitsätze zu 2. und 3. sind „nicht tragend“.