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Anwendbares Recht I: Vergewaltigung in der Türkei, oder: Deutsches Recht anwendbar, ja oder nein?

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Heute gibt es dann – ich glaube zum ersten Mal – drei Entscheidungen zum anwendbaren Recht, also der Frage: Deutsches Recht ja oder nein.

Ich starte mit dem BGH Beschl. v. 1 StR 113/25Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen verurteilt. Seine Revision hatte mit der Sachrüge teilweise Erfolg:

1. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall C. II. 1. der Urteilsgründe wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Missbrauch von Schutzbefohlenen hat keinen Bestand, weil die Feststellungen des Landgerichts zum Strafanwendungsrecht insoweit lückenhaft sind.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der Angeklagte die vorgenannte verfahrensgegenständliche Tat während des gemeinsamen Urlaubs der Familie in der Türkei im August 2021 zum Nachteil der Nebenklägerin, seiner leiblichen Tochter. Dem Rubrum des Urteils ist zu entnehmen, dass der Angeklagte türkischer Staatsangehöriger ist; Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Nebenklägerin zur Tatzeit sind aber vom Landgericht nicht getroffen worden.

b) Damit lässt sich aus den bisherigen Feststellungen eine Anwendung deutschen Strafrechts für die in der Türkei begangene Tat nicht entnehmen.

aa) Eine Anwendung deutschen Strafrechts nach § 5 Nr. 8 StGB ist ausgeschlossen, auch wenn der Angeklagte zur Tatzeit seinen Lebensmittelpunkt im Inland hatte. Diese Regelung ist erst durch Gesetz vom (BGBl. I Nr. 203 vom ) mit Wirkung vom eingefügt worden und damit nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat. Einer Rückwirkung der Änderung steht § 2 Abs. 1, Abs. 3 StGB entgegen.

Die Rechtsanwendungsregeln der §§ 3 ff. StGB sind zugleich Geltungsvoraussetzung und Bestandteil des materiellen deutschen Strafrechts und bestimmen damit im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG die Strafbarkeit der darin genannten Taten (vgl. Rn. 23 ff., 28, 10 zu § 370 Abs. 7 AO aF mwN).

bb) Eine Anwendung deutschen Strafrechts kommt aber nach § 7 Abs. 1 StGB in Betracht. Danach gilt das deutsche Strafrecht für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist. Eine Prüfung dieser Voraussetzungen ist dem Senat nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht möglich, da das Urteil sich nicht dazu verhält, ob die Nebenklägerin bei Begehung der Tat deutsche Staatsangehörige war.

c) Die Feststellungen des Landgerichts können bestehen bleiben, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen; zu den tatsächlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StGB wird es weitergehende Feststellungen zu treffen haben.

…“

StPO III: Urteilsgründe des Verwerfungsurteils, oder: Wiedergabe/Würdigung der Entschuldigungsgründe

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Und dann habe ich noch den BayObLG, Beschl. v. 07.04.2025 – 206 StRR 105/25 – zu den Urteilsgründen betreffend die Entschuldigungsgründe in einem Berufungsverwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO.

Das AG hatte den wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte u. a. verurteilt. Das LG hat die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten verworfen. Zur Begründung der Verwerfung hat es ausgeführt, der zum Hauptverhandlungstermin ordnungsgemäß geladene und über die Folgen eines nicht oder nicht genügend entschuldigten Ausbleibens belehrte Angeklagte sei ohne hinreichende Entschuldigung nicht erschienen. Das LG hat zur weiteren Begründung dann noch ausgeführt:

„Eine Nachfrage bei der das Attest über eine angebliche Verhandlungsunfähigkeit ausstellende Ärztin ergab, dass diese den Angeklagten nicht untersucht hat. Folglich stellt dieses keine hinreichende Entschuldigung dar. Der Verteidiger ist nicht im Besitz einer schriftlichen Vertretungsvollmacht.“

Das reicht dem BayObLG nicht, so dass es das Verwerfungsurteil wegen einer Lücke in der Begründung aufgehoben hat:

1. Das zulässige Rechtsmittel hat auch einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.

a) Die Revision ist unter Heranziehung des gebotenen großzügigen Maßstabes noch zulässig (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt im Einzelnen Senat, Beschluss vom 14.11.2024, 206 StRR 388/24, BeckRS 2024, 31758). Eine Verfahrensrüge ist zwar nicht ausdrücklich erhoben. Die Revisionsbegründung ist jedoch auslegungsfähig; es kommt nicht darauf an, wie der Beschwerdeführer die Rüge bezeichnet, entscheidend ist ihre wirkliche rechtliche Bedeutung auf der Grundlage des Revisionsvorbringens (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 344 Rdn. 20a m. w. N.). Hier kann dem Revisionsvortrag (noch) die Zielrichtung entnommen werden, dass das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt habe (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt aaO § 329 Rdn. 48; BeckOK-StPO/Eschelbach, 54. Edition, § 329 Rdn. 67).

b) Die so verstandene Verfahrensrüge, die den formalen Anforderungen an eine solche noch gerecht wird (vgl. insoweit OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.11.2015, 1 Ss 322/15, BeckRS 2016, 2450, dort Rd. 4), greift auch durch (vgl. Senat, Beschluss vom 27.03.2024, 206 StRR 98/24, BeckRS 2024, 5807 zu einem vergleichbaren Sachverhalt).

Das Urteil des Landgerichts genügt nicht den von der Rechtsprechung an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 329 StPO ergangenen Verwerfungsurteils zu stellenden Anforderungen. Nach ständiger Rechtsprechung muss das nach § 329 StPO ergangene Urteil so begründet werden, dass das Revisionsgericht die maßgebenden Erwägungen des Berufungsgerichts nachprüfen kann. So müssen vorgebrachte Entschuldigungsgründe und als Entschuldigung in Betracht kommende Tatsachen wiedergegeben und gewürdigt werden. Dies folgt schon daraus, dass das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gebunden ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 05.04.2023, 203 StRR 95/23, zitiert nach juris, dort Rdn. 4).

Im Urteil des Landgerichts findet sich weder eine in sich geschlossene Darstellung der vom Angeklagten vorgebrachten Entschuldigungsgründe noch ist allein anhand der Entscheidungsgründe nachvollziehbar, warum das Landgericht den Angeklagten nicht als entschuldigt angesehen hat. Aus den dort niedergelegten Erwägungen des Landgerichts lässt sich zwar inzident darauf schließen, dass es zu einer telefonischen Kontaktaufnahme der Vorsitzenden mit der behandelnden Ärztin gekommen sein muss. Welchen näheren Inhalt das Gespräch hatte und mit wem genau es geführt wurde, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Ein Rückgriff auf das Hauptverhandlungsprotokoll oder die Akten ist dem Senat verwehrt. Er kann daher nicht beurteilen, ob die Kammer zurecht angenommen hat, dass der Angeklagte nicht entschuldigt ist, weil ihm ein Erscheinen zur Hauptverhandlung zumutbar war. Allein die Tatsache, dass die Ärztin den Angeklagten am Tag der Hauptverhandlung nicht untersucht hat, führt jedenfalls nicht ohne weiteres dazu, dass eine Verhandlungsunfähigkeit nicht vorgelegen hat; dies hängt u. a. von der Art der Erkrankung und den (Vor-)Kenntnissen der Ärztin von der Krankheit und dem Angeklagten ab.

Zwar rechtfertigt ein Verstoß gegen die Pflicht des Berufungsgerichts, das Entschuldigungsvorbringen lückenlos darzustellen und umfassend zu würdigen, die Aufhebung eines Verwerfungsurteils nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO dann nicht, wenn das angefochtene Urteil nicht auf diesem Fehler beruht, wovon insbesondere dann auszugehen ist, wenn das übergangene Vorbringen des Angeklagten ganz offensichtlich ungeeignet wäre, das Ausbleiben zu entschuldigen (vgl. Senat, Beschluss vom 27.03.2024, 206 StRR 98/24, BeckRS 2024, 5807, Rdn. 11 m w. N.). Im Hinblick auf das Revisionsvorbringen des Angeklagten kann hiervon jedoch vorliegend nicht ausgegangen werden.“

OWi III: Geldbußenbemessung im Bußgeldverfahren, oder: Verwertung von tilgungsreifen Voreintragungen

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Und dann zum Tagesschluss noch etwas zur Geldbußenbemessung, und zwar der OLG Naumburg, Beschl. v. 06.05.2025 – ORbs 104/25. Nichts Dolles, aber ich bin ja froh, wenn ich überhaupt OWi-Entscheidungen habe, über die ich berichten kann.

Das AG hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein Bußgeld von 350,00 EUR€ verhängt. Dieses Urteil ist dem Betroffenen am 22. Januar 2025 zugestellt worden. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg hatte:

„Das angefochtene Urteil weist hinsichtlich der Bemessung der Geldbuße einen durchgreifen-den Rechtsfehler auf. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift an den Senat vom 11. April 2025 das Folgende ausgeführt:

„Das Amtsgericht hat bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße die verkehrsrechtlichen Voreintragungen des Betroffenen berücksichtigt (UA S. 3 f) — unter anderem diejenige gemäß Bußgeldbescheid des Kreises Soest vom 28.04.2022 (rechtskräftig seit 17.05.2022), mit dem gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 200 Euro wegen Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h beim Führen eines PKW festgesetzt wurde.

Im Ergebnis zu Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass die Verwertung dieser verkehrsrechtlichen Vorahndung gegen das absolute Verwertungsverbot gemäß § 29 Abs. 7 S. 1 i V. m. § 28 Abs. 2 Nr. 3 StVG verstößt. Danach darf eine eingetragene Tat und Entscheidung aus dem Verkehrseignungsregister für die Ahndung der Verstöße von Personen, die wiederholt Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begehen, nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung im Fahreignungsregister gelöscht wurde. Dies gilt auch, wenn die Eintragung tilgungsreif ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines Verwertungsverbots ist nicht der Tattag, sondern an dem die letzte tatrichterliche Entscheidung ergeht (Euler, in BeckOK-OWiG, 45. Edition, Stand: 01.01.2025, § 29 StVG Rn. 8 m. weit. Nachw.)

Die vorstehende Eintragung vom 28.04.2022 (rechtskräftig seit 17.05.2022) war zum Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts Weißenfels vom 02.12.2024 tilgungsreif. Nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a StVG beträgt die Tilgungsfrist zwei Jahre und 6 Monate, wenn eine mit einem Punkt bewertete verkehrsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit im Sinne Fahrerlaubnisverordnung (FeV) gegeben ist. Dies ist nach der Nr. 3.2.2 der Anlage 13 zu § 40 FeV (Fassung vom 20.04.2020, gültig vom 28.04.2020 bis 21.08.2024) in Verbindung mit Nr. 11.3.6 des Anhangs zu Nr. 11 (Tabelle 1) der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV hier der Fall (in der aktuellen Fassung vom 13.10.2021, gültig seit dem 09.11.2021).

Die Tilgungsfrist begann gemäß § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG mit Eintritt der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung vom 28.04.2022, mithin am 17.05.2022 zu laufen. Tilgungsreife trat somit am 17.11.2024 ein.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts am 02.12.2024 durfte die besagte Voreintragung somit nicht mehr verwertet werden. Da sie gleichwohl bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt wurde, ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei Beachtung des Verwertungsverbots zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Das angegriffene Urteil ist daher im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.

Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass im Rahmen der neu zu treffenden Sachentscheidung durch den Tatrichter zwischenzeitlich auch hinsichtlich der Voreintragung vom 02.12.2019 (rechtskräftig seit 21.12.2019) Tilgungsreife eingetreten ist. Die Tilgungsfrist betrug vorliegend gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 lit. b StVG 5 Jahre. Es handelt sich hier bei der Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 58 km/h – um eine besonders verkehrsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit, die mit zwei Punkten nach der FeV bewertet ist, Nr. 2.2.3 der Anlage 13 zu § 40 FeV (Fassung vom 06.10.2017, gültig vom 19.10.2017 bis 27.04.2020) in Verbindung mit Nr. 11.3.8 der Tabelle 1 (Anhang zu Nr. 11) zur Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV (Fassung des Bußgeldkatalogs vom 05.11.2013, gültig vom 01.05.2014 bis 27.04.2020).

Auch bezüglich der weiteren Voreintragungen vom 17.03.2023 (rechtskräftig seit 06.04.2023) und vom 17.08.2023 (rechtskräftig seit 06.09.2023) wird der Tatrichter die jeweilige Tilgungsreife bezogen auf den Zeitpunkt seiner neuen Entscheidung zu prüfen haben.“

Dem schließt sich der Senat an. Die Entscheidung über die Zurückverweisung folgt aus § 79 Abs. 6 OWiG.“

TOA III: Wiedergutmachungserfolg als Voraussetzung?, oder: Schweigen des Opfers

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Und dann noch das dritte Posting zum Täter-Opfer-Ausgleich, und zwar mit dem BayObLG, Urt. v. 17.03.20225 – 203 StRR 613/24.

Das AG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Das LG hat die Strafmaßberufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie u.a. die Bejahung eines Täter-Opfer-Ausgleichs angreift. Ohne Erfolg.

Das AG hatte im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte hatte seit dem Jahr 2021 eine sexuelle Beziehung zur Geschädigten unterhalten und hielt sich des öfteren in ihrer Wohnung auf. Am 1. August 2022 legte er sich alkoholbedingt enthemmt zu der bereits neben ihrem 5 jährigen Sohn schlafenden Geschädigten ins Bett, zog ihr Nachthemd hoch, drang mit seinem Penis in die Scheide der Zeugin ein und vollzog mit mehreren Stoßbewegungen den vaginalen Geschlechtsverkehr. Dabei wusste er, dass die Geschädigte fest schlief, nahm billigend in Kauf, dass diese den Geschlechtsverkehr nicht wollte, und nutzte ihren Zustand bewusst für die Ausführung des Aktes. Als die Geschädigte erwachte und ihn von sich wegstieß, ließ der Angeklagte von ihr ab, ohne dass es zu einem Samenerguss gekommen war.“

Das LG hat die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB bejaht. Das BayObLG hat das nicht beanstandet:

„b) Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB und die Ausübung des tatrichterlichen Ermessens werden im Gesamtzusammenhang der Ausführungen noch hinreichend belegt.

aa) Ob das Tatgericht die Voraussetzungen des § 46a StGB annimmt, hat es in wertender Betrachtung zu entscheiden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 StR 403/21 –, juris Rn. 4 m.w.N.). Dazu hat es hinreichende Feststellungen zu treffen, welche Schäden das Opfer durch die Tat erlitten hat und welche Folgen fortbestehen. § 46a Nr. 1 StGB verlangt, dass der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat „ganz oder zum überwiegenden Teil“ wieder gutgemacht hat, wobei es aber auch ausreichend sein kann, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt (BGH, Urteil vom 25. Juli 2024 – 1 StR 471/23 –, juris Rn. 16 m.w.N.). Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss (st. Rspr.; vgl. BGH a.a.O. Rn. 16 m.w.N.). Ein kommunikativer Prozess in diesem Sinne setzt voraus, dass das Verhalten des Täters im Verfahren Ausdruck der Übernahme von Verantwortung” ist, um die friedensstiftende Wirkung der Schadenswiedergutmachung zu entfalten (BGH a.a.O. Rn. 16). Die Bemühungen des Täters müssen zumindest den Versuch der Einbeziehung des Opfers in den kommunikativen Prozess enthalten (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2005 – 1 StR 287/05 –, juris Rn. 9). Bloß einseitige Bemühungen des Täters ohne den Versuch einer Einbindung des Opfers sind nicht ausreichend (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2015 – 3 StR 89/15 –, juris Rn. 11 m.w.N.). Der kommunikative Prozess setzt andererseits keine persönliche Begegnung oder Besprechung des Täters mit seinem Opfer voraus. Eine Verständigung über vermittelnde Dritte, etwa den Verteidiger und einen Bevollmächtigten kann genügen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2023 – 6 StR 275/23 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Bei Sexualdelikten und im Falle von traumatisierten Opfern kann eine Einschaltung von Dritten als opferschonendes Vorgehen ratsam sein (vgl. BGH a.a.O. Rn. 6).

bb) Ein „Wiedergutmachungserfolg“ ist keine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2024 – 1 StR 471/23 –, juris Rn. 19 m.w.N.; ausführlich Kinzig in Schönke/Schröder, 30. Aufl., StGB § 46a Rn. 2). Äußert sich das Opfer nicht zu einem vereinbarten Ausgleich oder Bemühungen des Täters, so kann auch daraus nicht in jedem Fall, insbesondere nicht im Rahmen von persönlichen Beziehungen, auf eine Zurückweisung durch das Opfer mit der Konsequenz eines nicht erfolgreichen Ausgleichs geschlossen werden. Vielmehr kommt es im Einzelfall darauf an, ob das Schweigen des Verletzten als eine solche inhaltliche Ablehnung zu beurteilen ist (detailliert BGH, Urteil vom 24. August 2017 – 3 StR 233/17-, juris Rn. 14 ff.; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02 –, BGHSt 48, 134-147, juris Rn. 22). Die Anwendbarkeit des Strafmilderungsgrundes soll nicht ausschließlich vom Willen des Opfers abhängen; nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte dem Täter in den Fällen, in denen eine vollständige Wiedergutmachung nicht möglich wäre, eine realistische Chance eingeräumt werden, in den Genuss der Strafmilderung zu gelangen, etwa bei Verweigerung der Mitwirkung durch das Opfer. Als einschränkendes Kriterium fordert die Vorschrift aber das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, als Rahmenbedingung (vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 21). Das bedeutet, dass das Bemühen des Täters gerade darauf gerichtet sein muss, zu einem friedensstiftenden Ausgleich mit dem Verletzten zu gelangen; der Täter muss demnach in dem ernsthaften Bestreben handeln, das Opfer „zufriedenzustellen“ (BGH, Urteil vom 15. Januar 2020 – 2 StR 412/19 –, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02-, juris Rn. 24), ohne dass ihn vorrangig eine anderweitige Motivation antreibt.

cc) Gemessen daran durfte das Landgericht die Voraussetzungen von § 46a StGB bejahen. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der von Anfang an geständige Angeklagte bei derGeschädigten in der ersten Instanz entschuldigt (Urteil S. 10, 15) und ihr ungeachtet einer schwierigen Beweislage (Urteil S. 15) von vorne herein eine Aussage erspart. Zudem hat er, obgleich in beschränkten finanziellen Verhältnissen lebend, sich ihr gegenüber „verpflichtet“, an sie eine Zahlung von 3500.- Euro als Entschädigung zu leisten (Urteil S. 17) und bereits einen Betrag von 1000.- Euro bezahlt (Urteil S 17, 18). Die Geschädigte ihrerseits hat bei ihrer gerichtlichen Einvernahme die erstinstanzlich ausgesprochene Freiheitsstrafe von zwei Jahren als gerechten Schuldausgleich beurteilt und ein darüber hinaus gehendes Strafverfolgungsinteresse verneint (Urteil S. 15). Der Senat kann daher den Urteilsgründen noch hinreichend entnehmen, dass das Landgericht die gebotene wertende Entscheidung getroffen hat und dass die Geschädigte die finanzielle Entschädigung angenommen und die Vereinbarung als friedensstiftende Konfliktregelung innerlich akzeptiert hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 24. August 2017 – 3 StR 233/17-, juris; Maier in MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 46a Rn. 29).“

TOA II: Ernsthaftes Bemühen um Wiedergutmachung, oder: Objektiver Beurteilung des gezahlten Betrages

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Und dann habe ich als zweite Entscheidung das BGH, Urt. v. 05.02.2025 – 6 StR 245/24. Es geht um eine Verurteilung wegen besonders schwerer Vergewaltigung.

Das LG hatte aufgrund folgender Feststellungen und Wertungen die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB bejaht:

„a) Der Angeklagte habe die Tat teilweise gestanden und sich bei der Nebenklägerin am zweiten Hauptverhandlungstag persönlich – und im Rahmen des ihm Möglichen – „reuig entschuldigt“. Während einer Verhandlungsunterbrechung habe er der Nebenklägerin ferner 5.000 Euro übergeben, die für beide angesichts ihrer sehr begrenzten Einkommensverhältnisse eine „beträchtliche Summe“ darstelle. Die Nebenklägerin habe sowohl das Schmerzensgeld als auch die Entschuldigung angenommen und dazu erklärt, dass sie die Tat zwar nicht vergessen werde und der Angeklagte diese auch nicht ungeschehen machen könne; aus ihrer Sicht habe er aber „nunmehr alles getan, was ihm möglich sei“. Von besonderer Bedeutung und „immens erleichternd“ sei für sie, dass er den gegen ihren Willen und trotz ihres Weinens bis zum Samenerguss vollzogenen ungeschützten Geschlechtsverkehr eingeräumt habe. Man habe ihr insoweit immer wieder keinen Glauben geschenkt. Hingegen sei für sie nicht von Bedeutung, dass er den Messereinsatz nicht gestanden habe.“

Infolgedessen hat das LG die Strafe dem nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 177 Abs. 8 StGB entnommen. Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg:

„1. Die Urteilsgründe tragen insbesondere noch die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB. Zwar hat das Landgericht versehentlich keine Variante nach § 46a Nr. 1 StGB benannt. Jedoch belegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen jedenfalls die Annahme eines ernsthaften Bemühens des Angeklagten um Schadenswiedergutmachung im Sinne des § 46a Nr. 1, Var. 3 StGB.

a) Der Täter-Opfer-Ausgleich gemäß § 46a Nr. 1, Var. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, jedenfalls ernsthaft erstrebt hat, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutzumachen. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss. Die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 1995 – 1 StR 205/95, BGHR StGB § 46a Wiedergutmachung 1; Urteile vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02, NStZ 2002, 646; vom 27. August 2002 – 1 StR 204/02, NStZ 2003, 29; vom 9. Mai 2017 – 1 StR 576/16, NStZ-RR 2017, 198).

b) Gemessen hieran halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht den Täter-Opfer-Ausgleich angenommen hat, rechtlicher Prüfung stand.

aa) Die Strafkammer hat einen kommunikativen Prozess zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin tragfähig belegt. Der Angeklagte hat die Tat in der Hauptverhandlung teilweise gestanden, sich auch dort bei der Nebenklägerin entschuldigt und ihr 5.000 Euro übergeben. In Kenntnis seiner begrenzten finanziellen Verhältnisse und kognitiven Möglichkeiten hat die Nebenklägerin dieses Verhalten als friedensstiftenden Ausgleich angenommen. Zudem hat sie angegeben, dass der Angeklagte „nunmehr aus ihrer Sicht alles getan habe, was ihm möglich sei“.

bb) Die Bewertung der konkret erbrachten Leistungen als geeignet für einen friedensstiftenden Ausgleich ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Der vom Angeklagten gezahlte Betrag erweist sich bei Anwendung des gebotenen objektiven Maßstabs, aber auch angesichts der festgestellten Verletzungsfolgen sowie der berücksichtigten Einkommensverhältnisse nach den hier gegebenen Umständen als ausreichend, um darin jedenfalls ein ernsthaftes Bemühen um Wiedergutmachung zu erkennen (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 2024 – 4 StR 173/24, Rn. 28; vom 1. August 2024 – 4 StR 409/23, Rn. 16; vom 4. Januar 2024 – 5 StR 540/23, Rn. 13).

cc) Die Strafkammer hat in diesem Prozessverhalten auch rechtsfehlerfrei eine zureichende Verantwortungsübernahme durch den Angeklagten für die Sexualstraftat erblickt.

(1) Für die erforderliche Übernahme von Verantwortung bedarf es zwar nicht stets, aber doch insbesondere bei Gewaltdelikten in aller Regel eines umfassenden Geständnisses (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 141 f.; Beschlüsse vom 12. Januar 2021 – 4 StR 139/20, Rn. 8; vom 20. September 2002 – 2 StR 336/02, NStZ 2003, 199, 200, jeweils mwN). Oftmals wird dem Opfer gerade ein Bekennen des Täters zu seiner Tat auch im Strafverfahren besonders wichtig, eine angestrebte Wiedergutmachung des Täters ohne sein Geständnis deshalb kaum denkbar sein. Sind für das Opfer aber nach gelungenen Ausgleichsbemühungen die strafrechtliche Ahndung und das Verteidigungsverhalten des Täters nicht mehr von besonderem Interesse, so steht ein nur eingeschränktes Geständnis nach dem Sinn und Zweck der Regelung, die gerade dem friedensstiftenden kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer besondere Bedeutung beimisst, der Anwendung des § 46a StGB nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 141 f.; Beschluss vom 20. September 2002 – 2 StR 336/02, NStZ 2003, 199, 200).

(2) Der Umstand, dass der Angeklagte lediglich einzelne Tatmodalitäten in Abrede gestellt hat, steht der angenommenen Verantwortungsübernahme für die Tat unter den hier gegebenen Umständen nicht entgegen. Zwar weist die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hin, dass der Angeklagte ein widerrechtliches Eindringen in die Wohnung und den Einsatz eines Messers bestritten hat. Mit dem von ihm eingeräumten erzwungenen Geschlechtsverkehr hat er seine Verantwortung für die Tat und deren Folgen aber nicht in Abrede gestellt, sondern insbesondere die „Opferrolle“ der Nebenklägerin ausdrücklich anerkannt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – 2 StR 217/08, NStZ-RR 2008, 304; Urteile vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176; vom 23. Mai 2013 – 4 StR 109/13, NStZ-RR 2013, 240; vom 29. Januar 2015 – 4 StR 433/14, Rn. 29). Mit Bedacht auf die festgestellte Akzeptanz durch die Nebenklägerin, die dem unterbliebenen Bekenntnis des Angeklagten insbesondere zum Messereinsatz keine „große Bedeutung“ zugemessen hat, und den tatsächlich erreichten friedensstiftenden Ausgleich hat das Landgericht rechtsfehlerfrei keine strengeren Anforderungen an den Geständnisinhalt gestellt (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 141 f.; Beschluss vom 12. Juli 2023 – 6 StR 275/23, NStZ-RR 2023, 274; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 1035 mwN).

2. Schließlich hält auch die Ermessensentscheidung des Landgerichts, von der Strafmilderungsmöglichkeit nach § 46a i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB Gebrauch zu machen, revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand…..“