Archiv der Kategorie: Rechtsmittelverfahren

StPO II: Rechtsmittelbeschränkung in der Berufung, oder: Reicht(e) die Vollmacht?

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In der zweiten Entscheidung, dem 12 – geht es um die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung in der Berufung im Strafbefehlsverfahren, und zwar um die Frage, ob die der Verteidigerin erteilte Vollmacht dafür ausreichte. Dazu führt das KG aus:

„a) Dem Rechtsmittel wäre gleichwohl der Erfolg versagt geblieben, weil die frühere Verteidigerin auf Grundlage der Vollmacht vom 26. März 2019 die Rechtsmittelbeschränkung wirksam erklären konnte. Im Hinblick auf die erhobene Sachrüge hatte der Senat die Wirksamkeit der Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch von Amts wegen und ohne Bindung an die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zu überprüfen (vgl. BGHSt 27, 70, 72; Senat RuP 2020, 238, 240 und Beschluss vom 8. März 2013 — (4) 161 Ss 21/13 (28/13) — [juris-Rdn. 5]; OLG Braunschweig NStZ 2016,563; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 318 Rdn. 33, § 352 Rdn. 4).

Die in der Hauptverhandlung über den Einspruch gegen den Strafbefehl vor dem Amtsgericht am 21. Februar 2020 für den abwesenden Angeklagten als Vertreterin aufgetretene vormalige Verteidigerin war aufgrund der Vollmacht vom 26. März 2019 (BI. 31 d.A.) nach § 411 Abs. 2 StPO zur Erklärung der Beschränkung des Einspruchs auf das Strafmaß ermächtigt. § 411 Abs. 2 StPO verlangt im Interesse des Angeklagten eine über die Bevollmächtigung als Beistand gemäß § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO hinausgehende nachgewiesene Vollmacht zur Vertretung im Prozess (vgl. BGHSt 9, 356, 357; KG StraFo 2019, 470, 471 und NStZ 20.16, 234 mit Anm. Mosbacher; OLG Karlsruhe NStZ 1983, 43; OLG Saarbrücken NStZ 1999, 265, 266; Maur in KK-StPO 8. Auflage, § 411 Rdn. 12; Eckstein in MüKo-StPO, § 411 Rdn. 29, 30; Gaede in LR-StPO 27. Aufl., § 411 Rdn. 31, 32; Metzger in KMR-StPO, § 411 Rdn. 13; Degener in SK-StPO 5. Aufl., § 411 Rdn. 12; Momsen in SSW-StPO 4. Aufl., § 411 Rdn. 8; Brauer in HK-StPO 6. Aufl., § 411 Rdn. 11; Andrejtschitsch in HK-GS 5. Aufl., § 411 Rdn. 7; Alexander in Radtke/Hohmann, StPO, § 411 Rdn. 17). Dem genügt die schriftliche Vollmacht vom 26. März 2019, die in der Sache, wegen Beleidigung“ zur „Verteidigung und Vertretung. insbesondere auch in meiner Abwesenheit“, in allen Instanzen ermächtigte und in der Hauptverhandlung über den Einspruch gegen den Strafbefehl vorlag. Nicht erforderlich ist, dass die Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO in der Vollmacht besonders erwähnt wird (vgl. BGHSt 9, 356, 357 und OLG Düsseldorf VRS 81, 292 [es muss nicht einmal die „Vertretung in Abwesenheit“ genannt sein]; Metzger a.a.O.; Degener a.a.O.). Der Umstand, dass die Vollmacht bereits im Ermittlungsverfahren vor Erlass des Strafbefehls unterzeichnet wurde, steht einer wirksamen Ermächtigung nach § 411 Abs. 2 StPO nicht entgegen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).

b) Der Senat hat bereits entschieden, dass ein mit solcher ausdrücklicher Vollmacht ausgestatteter Verteidiger als Vertreter des Angeklagten im Sinne des § 411 Abs. 2 StPO befugt ist, sämtliche zum Verfahren gehörenden Erklärungen abzugeben, zu denen Rechtsmittelrücknahmen und somit auch Rechtsmittelbeschränkungen, die Teilrücknahmen darstellen, gehören (vgl. Senat, Beschlüsse vorn 1. Juli 2020 — (4) 121 Ss 71/20 (74/20) — [juris-Rdn. 4] und vom 13. Mai 2009 — (4) 1 Ss 155/09 (94/09) —, jeweils mwN).

c) Entgegen der Annahme des Verteidigers lag den von ihm herangezogenen Entscheidungen des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 25. Februar 2013 — 111-3 RVs 24/13 — [juris]) und des Kammergerichts (NJW 2009, 1686) jeweils ein anderer Sachverhalt zugrunde, weshalb sich die Entscheidungen nicht mit einer Beschränkungserklärung eines nach § 411 Abs. 2 StPO zur Vertretung befugten und hierzu bereiten Verteidigers in der Hauptverhandlung befassen (vgl. dazu jeweils im Einzelnen Senatsbeschluss vom 1. Juli 2020 — (4) 121 Ss 71/20 (74/20) — [juris-Rdn. 7 ff.]).

Das gilt auch für die vom Verteidiger zitierte Entscheidung des OLG Frankfurt (Beschluss vom 22. August 2016 — 2 Ss 233/16 [juris]), in der der zunächst unbeschränkte Einspruch schriftlich — und nicht gemäß § 411 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung — beschränkt wurde, so dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze hinsichtlich des Erfordernisses einer ausdrücklichen Ermächtigung des Verteidigers zur Rechtsmittelrücknahme nach § 302 Abs. 2 StPO angewendet wurden.

Da sich die Entscheidungen des OLG. Frankfurt und des OLG Düsseldorf hiernach nicht mit einer Beschränkungserklärung eines nach § 411 Abs. 2 StPO zur Vertretung befugten und hierzu bereiten Verteidigers in der Hauptverhandlung befassen, war die Sache entgegen der Auffassung des Verteidigers nicht gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof vorzulegen (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juli 2020 — (4) 121 Ss 71/20 (74/20) — [juris-Rdn. 8]).

Der vom Verteidiger erwähnten Senatsentscheidung StV 2016, 152 (Ls) lag die schriftliche Rücknahme einer Berufung zugrunde, für welche der Verteidigerin die ausdrückliche Ermächtigung nach § 302 Abs. 2 StPO fehlte (vgl. zu den Gründen Beschluss vom 8. Januar 2015 — 4 Ws . 128/14 — [juris-Rdn. 1]). Zur Berufungshauptverhandlung war weder der Angeklagte, der sich in Untersuchungshaft befand, noch seine Verteidigerin erschienen. In einem Telefonat der Vorsitzenden mit der Verteidigerin hatte letztere erklärt, sie nehme die Berufung als bevollmächtigte Wahlverteidigerin zurück und werde ein gleichlautendes Fax übersenden. Mit Schriftsatz vom selben Tage erklärte die Verteidigerin die Berufungsrücknahme.

Auch diese Entscheidung setzt sich folgerichtig nicht mit den Befugnissen der Verteidigerin im Falle der Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO auseinander.

Ähnlich lag es schließlich bei der: vom Verteidiger zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 2. August 2000 — 3 StR 284/20 — [juris]). Dort hatte der Verteidiger mittels eines Schriftsatzes die Rücknahme der Revision erklärt; als Vertreter des Angeklagten nach § 411 Abs. 2 StPO war er nicht aufgetreten. Für die Rücknahme hätte • es — wie in den zuvor erwähnten Entscheidungen — einer ausdrücklichen Ermächtigung nach § 302 Abs. 2 StPO bedurft, die nicht in der bei Übernahme des Mandats erteilten allgemeinen Ermächtigung zur Rücknahme von Rechtsmitteln lag.“

StPO I: Vorlage zum BGH wegen Vertretungsvollmacht, oder: Der BGH antwortet dem OLG Düsseldorf

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Heute stelle ich dann drei StPO-Entscheidungen vor, die alle etwas mit Vollmacht und/oder Vertretung zu tun habe.

Zunächst: Ich erinnere an den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.09.2021 ? 2 RVs 60/21.

Ja, das war die Divergenzvorlage an den BGH zu den Anforderungen an die Vertretungsvollmacht in der Berufungshauptverhandlung (s. hier: StPO I: Vorlage zum BGH wegen Vertretungsvollmacht, oder: Das OLG Düsseldorf „traut“ sich).

Das OLG wollte vom BGG wissen:

„Genügt eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Falle der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – erteilt worden ist, den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht?“

Nun hat es der BGH geschafft. Er hat mit dem BGH, Beschl. v. 24.01.2023 – 3 StR 386/21 – geantwortet:

Eine Erklärung, mit welcher der Angeklagte dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Fall der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – erteilt hat, genügt den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht.

Ok, nun wissen wir es . Ich frage mich bei solchen Geschichten immer, warum man dafür den BGH braucht. Nun klar, das OLG kann nicht anders, das muss fragen. Aber: Es ist doch bzw. sollte doch für einen Verteidiger kein Problem sein, seine Vollmacht an unterschiedliche Rechtsprechung anzupassen. Das mache ich. Und gut ist es. Schon ggf. im Interesse des Mandanten.

 

StPO II: Berufungs-HV im Strafbefehlsverfahren, oder: Vertretung des nicht erschienenen Angeklagten?

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Als zweite OLG-Entscheidung zur StPO dann hier einen Beschluss zur Berufung im Strafbefehlsverfahren, und zwar zur Anwendung des § 411 StPO in der Berufungshauptverhandlung. Dazu führt der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.02.2023 – 1 ORs 2 Ss 45/22 – aus:

„Die zulässig erhobene Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte geltend macht, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Abwesenheitsurteils gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht vorgelegen hätten, ist begründet. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten zu Unrecht verworfen. Die Hauptverhandlung hätte gemäß § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO ohne den Angeklagten durchgeführt werden können. Der – zur Vertretung des Angeklagten gewillte und in der Hauptverhandlung anwesende – Verteidiger verfügte über die nachgewiesene Vertretungsvollmacht.

1. Gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ist die Berufung zu verwerfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Die allgemeine Verteidigervollmacht reicht insoweit nicht aus. Erforderlich ist eine besondere Vertretungsvollmacht im Sinne einer spezifischen Ermächtigung des Verteidigers, für den Angeklagten Erklärungen verbindlich abgeben und wirksam entgegen nehmen zu können, also die Rechtsmacht, den Angeklagten im Prozess in Erklärung und Willen zu vertreten (s. BT-Drucks. 18/3562 S. 67 f.; BGH, Beschluss vom 20.09.1956 – 4 StR 287/56, BGHSt 9, 356, 357 f.; KG, Beschluss vom 01.03.2018 – [5] 121 Ss 15/18 [11/18], juris Rn. 3 mwN).

Welche Anforderungen grundsätzlich an die Formulierung einer Vollmacht zu stellen sind, um den Anforderungen des § 329 Abs. 1 StPO zu genügen, kann vorliegend dahinstehen (s. zum Streitstand z.B. OLG Celle, Beschluss vom 18.01.2021 – 2 Ss 119/20, juris Rn. 22 ff.; Thüringer OLG, Beschluss vom 02.02.2021 – 1 OLG 331 Ss 83/20, juris Rn. 11 ff.; KG, Beschluss vom 01.03.2018 – [5] 121 Ss 15/18 [11/18], juris Rn. 4). Denn im Verfahren nach Erlass eines Strafbefehls genügt der Verweis auf § 411 Abs. 2 StPO. Insoweit gilt:

§ 411 Abs. 2 StPO, wonach ein entsprechend bevollmächtigter Verteidiger den Angeklagten in der Hauptverhandlung vertreten kann, findet nach Erlass eines Strafbefehls im gesamten folgenden Verfahren und damit auch in der Berufungshauptverhandlung Anwendung. Diese Regelung lässt die Vertretung eines nicht erschienen Angeklagten ohne Einschränkung zu. Dies gilt selbst dann, wenn sein persönliches Erscheinen angeordnet worden wäre (s. OLG Dresden, Beschluss vom 24.02.2005 – 2 Ss 113/05, juris Rn. 2; KG, Beschluss vom 30.08.1999 – [3] 1 Ss 176/99 [78/99], juris Rn. 3; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.12.1983 – 2 Ws 678/83, StV 1985, 52; vgl. auch BT-Drucks. 18/3562 S. 52).

Hieran hat sich auch durch die Neufassung des § 329 StPO durch das Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe vom 17.07.2015 (BGBl. I S. 1332) nichts geändert (so auch Thüringer OLG, Beschluss vom 01.10.2019 – 1 OLG 161 Ss 83/19, juris Rn. 12; s. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 329 Rn. 14; Maur in KK-StPO, 9. Aufl., § 411 Rn. 18; Metzger in KMR, 89. Lfg., § 411 Rn. 17; vgl. auch Gaede in LR-StPO, 27. Aufl., § 411 Rn. 35; Paul in KK-StPO, 9. Aufl., § 329 Rn. 6; Wolter in SK-StPO, 5. Aufl., § 411 Rn. 10). Durch die Neufassung des § 329 StPO sollte die Rechtsprechung des EGMR (s. Urteil vom 08.11.2012 – Az. 30804/07, Neziraj./.Bundesrepublik Deutschland) umgesetzt werden, wonach das in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK garantierte Recht des Angeklagten, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen, und der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) verletzt seien, wenn die Berufung eines abwesenden Angeklagten trotz Erscheinens eines von ihm bevollmächtigten Vertreters gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen werde (s. BT-Drucks. 18/3562 S. 53). Der Gesetzgeber wollte daher die bereits damals gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, in der Berufungsinstanz in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln, erweitern und nicht dadurch einschränken, dass eine Vertretungsvollmacht im Sinne des § 411 Abs. 2 StPO in Abkehr zur damals geltenden Rechtslage nicht mehr den Anforderungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO n.F. genügen sollte (vgl. BT-Drucks. 18/3562 S. 51 f.).

2. Da sich die vorliegend dem Verteidiger ausgestellte Vollmacht unter anderem auf die „Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen (§§ 302, 274 StPO) einschließlich der Vorverfahren sowie (für den Fall der Abwesenheit) Vertretung nach § 411 II StPO […]“ erstreckte, lag mithin kein Fall des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vor. Das angefochtene Verwerfungsurteil war daher aufzuheben.“

Absprache II: Lag ein Verständigungsgespräch vor?, oder: Nochmals Anforderungen an die Mitteilung

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Auch in der zweiten Entscheidung zum Komplex „Verständigung“ geht es um die Verständigungsmitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO. Dazu hat der OLG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2022 – 2 Rev 28/22 – Stellung genommen.

Der in dem Verfahren erhobenen Verfahrensrüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

„a) Der Rüge liegt ? soweit für die Entscheidung von Bedeutung ? folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Zu Beginn der Hauptverhandlung vom 23. Februar 2021 bat der Verteidiger um ein Rechtsgespräch. Dieses fand sodann unter Ausschluss des Angeklagten und der Öffentlichkeit im Beisein des Vorsitzenden, der Schöffen und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft statt. Der Vorsitzende teilte mit, dass er – entgegen seiner damaligen Einschätzung – angesichts der positiven Entwicklung die Verhängung einer unbedingten Jugendstrafe nicht mehr für erforderlich halte. Ob dies ein Schuldspruch, eine Vorbewährung oder etwas anderes sei, könne er noch nicht sagen. Der Verteidiger schlug eine geständige Einlassung mehrerer Taten vor, welche etwas mehr als zwei Drittel des Gesamtschadens abdeckten; die übrigen Taten sollten dann eingestellt werden. Für diese Einlassung sollte als Rechtsfolge neben der Wiedergutmachung des Schadens Erziehungsmaßregeln ausgeurteilt werden. Weder der Vorsitzende noch der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmten dem zu. Der Vorsitzende erklärte, dass er insbesondere etwas zur Motivation des Angeklagten, wie insbesondere im Jugendstrafrecht üblich, erfahren wolle, um eine geeignete Rechtsfolge zu bestimmen. Eine Verständigung wollte der Vorsitzende – ausweislich seiner vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahme – nicht treffen und habe dies auch geäußert.

In der am 16. März 2021 durchgeführten Sitzung regte der Verteidiger erneut ein Rechtsgespräch unter Ausschluss des Angeklagten an. Dieses wurde nach Unterbrechung der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Vorsitzenden, des Vertreters der Staatsanwaltschaft sowie der Schöffen geführt. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft regte aufgrund der nach seiner Auffassung erdrückenden Beweislast eine geständige Einlassung des Angeklagten an, da dies auf seine Beurteilung über das Vorhandensein von schädlichen Neigungen Einfluss haben könnte. Der Vorsitzende gab dazu keine Erklärung ab. Der Verteidiger erklärte, dass er dies mit dem Angeklagten besprechen werde, was er – wie zuvor auch – tat.

Über keines der außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche wurde in der Hauptverhandlung berichtet. Vielmehr stellte der Vorsitzende nach Verlesung der Anklageschrift und vor Schluss der Beweisaufnahme fest, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden haben.“

Dem OLG reicht das nicht:

„c) Hiernach erfüllte der Vorsitzende seine verständigungsspezifischen Mitteilungs- und Dokumentationspflichten nicht.

Ein Verständigungsgespräch liegt dann vor, wenn nach seinem Inhalt ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verfahrensabsprache im Raum steht. Ob dies der Fall ist, ist maßgeblich danach zu beurteilen, ob in dem Gespräch Verfahrensfragen erörtert und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahe liegt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10; BVerfG NJW 2020, 2461; BGH NStZ-RR 2022, 355; BGH wistra 2022, 384; BGH NStZ 2022, 55). Abzugrenzen sind solche Erörterungen, bei denen ein Verfahrensergebnis einerseits und ein prozessuales Verhalten des Angeklagten andererseits in ein Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne von Leistung und Gegenleistung gesetzt werden, von sonstigen verfahrensfördernden Gesprächen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen (vgl. BGH NStZ 2020, 237; BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15). Auch kann die Abgrenzung zwischen einem reinen Aufzeigen der jeweils eigenen Standpunkte und dem Einstieg, wie diese möglicherweise in Einklang gebracht werden können fließend sein. Im Zweifel ist ein solches Gespräch mitzuteilen (vgl. LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 57).

Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gehört dabei zu den vom Gesetzgeber zur Absicherung des Verständigungsverfahrens normierten Transparenz- und Dokumentationsregeln, durch die gewährleistet werden soll, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung der strafprozessualen Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BGH StraFo 2022, 436; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 StR 209/21; BGH StV 2018, 6; BGHSt 60, 150; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 55).

Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat der Vorsitzende daher nach Verlesung des Anklagesatzes über Erörterungen gemäß §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die vor der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Kommt es zu solchen Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung, so hat der Vorsitzende nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch dies bekanntzugeben (vgl. BGH NStZ-RR 2020, 87; BGH StV 2021, 3). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen daher nicht nur darüber informiert werden, dass Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, wer an den Gesprächen teilgenommen hat, welche Standpunkte von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfGE 133, 168; BVerfG NJW 2020, 2461; BGHSt 59, 252; BGH NStZ-RR 2022, 80; BGH NStZ 2021, 506; BGH NStZ-RR 2021, 180; BGH StV 2021, 3). Diese Umstände sind auch im Fall erfolgloser Verständigungsbemühungen mitzuteilen (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461; BGHR StPO § 257c Abs. 1 Erörterungen 1; BGH StraFo 2022, 436; BGH NStZ 2020, 751; BGH NStZ 2014, 416; BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 – 4 StR 64/22), und zwar regelmäßig alsbald nach der Fortsetzung der Hauptverhandlung (vgl. BGH NStZ 2022, 761; BGH NStZ 2018, 419; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 56).

An diesen Grundsätzen gemessen traf den Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StPO. Jedenfalls bei der Unterredung am 23. Februar 2021 wurde durch den Verteidiger eine Verknüpfung zwischen einem möglichen Geständnis, also dem prozessualem Verhalten des Angeklagten, und dem Verfahrensergebnis hergestellt. Die Erörterung ging damit über die bloße Darstellung der eigenen Meinung hinaus und es handelte sich nicht lediglich um „Sondierungsgespräche“ ohne Bezug zu einer einverständlichen Verfahrenserledigung. Dass der Vorsitzende, wie dieser in seiner dienstlichen Stellungnahme dargelegt hat, an keiner Verständigung interessiert war, nimmt dem Begehren des Verteidigers nicht den auf eine Verständigung und damit mitteilungspflichtigen gerichteten Inhalt. Dies gilt auch für den Umstand, dass der Vorsitzende das Gespräch selbst nicht als mitteilungspflichtig eigeschätzt hat.

Auch das Gespräch vom 16. März 2021 war konkludent auf eine Verständigung gerichtet. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verband ein Geständnis mit der Prüfung, ob schädliche Neigungen beim Angeklagten vorgelegen haben und damit mit der zu verhängenden Rechtsfolge. Insbesondere auch im Licht des vorherigen Rechtsgesprächs handelte es sich um eine mitteilungspflichtige Erörterung, auch wenn sich der Vorsitzende zu dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft nicht geäußert hat.

d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf der unzulänglichen Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO beruht…..“

Es erscheint möglich, dass der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht das Einlassungsverhalten des Angeklagten beeinflusst hat. Darauf, dass dieser von seinem Verteidiger über Äußerungen unterrichtet wurde, kommt es nicht an, weil eine von Verständnis und Wahrnehmung des Verteidigers beeinflusste Information die gesetzlich vorgeschriebene Unterrichtung durch das Gericht nicht ersetzen kann (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461; BGHSt 58, 310; BGHSt 59, 252; BGH NStZ 2017, 244).

Zudem darf die Frage des Beruhens des Urteils auf dem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten beurteilt werden. Hierdurch wird die Bedeutung der Transparenzvorschriften für die Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die auch dem Schutz des Angeklagten vor sachfremder Beeinflussung durch das Gericht und damit der Verfahrensfairness dient, ausgeblendet. Der auf die Kontrolle durch die Öffentlichkeit abzielende Schutzgehalt des § 243 Abs. 4 StPO beansprucht unabhängig vom Aussageverhalten des Angeklagten Geltung und muss bei der Beruhensprüfung stets Berücksichtigung finden (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461). Auch insoweit liegt hier kein Ausnahmefall vor, bei dem zweifelsfrei ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil ausgeschlossen werden könnte.

Hiernach konnte dahinstehen, ob auch die verständigungsbezogenen Erörterungen, die am 27. Oktober 2021 ohne den Angeklagten vor der Aussetzung der ursprünglich angesetzten Hauptverhandlung stattgefunden haben, in der neuen Hauptverhandlung mitzuteilen waren (so aber BGH NStZ 2022, 371).

III.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

1.Im Jugendstrafverfahren sind Verständigungen nur in besonderen Ausnahmenfällen angezeigt, da ihnen die besonderen jugendstrafrechtlichen Strafzumessungsregeln und Aspekte des Erziehungsgedankens in der Regel entgegenstehen werden (vgl. BT-Drs. 16/12310 S. 10; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rdn. 12). Für sie war hier angesichts der vorliegenden Beweislage ohnehin kein Raum.

2.Darüber hinaus sollte der Vollstreckungsstand der durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 30. Juli 2019 verhängten Sanktion eindeutig wiedergegeben werden. Zudem sollte unzweifelhaft zu erkennen sein, ob eine – nachträgliche – Einheitsjugendstrafe gebildet wurde.

3. Schließlich wird die Staatsanwaltschaft zu prüfen haben, ob die vorläufig eingestellten Taten wieder aufgenommen werden sollten, um so – im Falle ihrer Erweislichkeit – dem Tatrichter eine insgesamt schuldangemessene Bestrafung zu ermöglichen.

4. Für den Fall, dass sich der neue Tatrichter die Überzeugung von einem strafbaren Verhalten des Angeklagten verschafft, wird er auch die Kompensation etwaiger rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.

Absprache I: Inhalt der Verständigungsmitteilung, oder: Wer hat mit wem über was gesprochen?

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Heute dann drei StPO-Entscheidungen, die in Zusammenhang mit der Absprache/Verständigung (§ 257c StPO) stehen.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 08.02.2023 – 6 StR 284/22 – zur sog. Verständigungsmitteilung (§ 243 Abs. 4 StPO). Es geht mal wieder um den Inhalt der Mitteilung. Der Angeklagte hatte mit seiner Revision eine Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO gerügt. Und er hatte Erfolg:

„Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am 13. Juni 2019 fand auf Initiative des früheren Vorsitzenden der Strafkammer eine mündliche Besprechung statt, in der der äußere Ablauf der Hauptverhandlung im Sinne des § 213 Abs. 2 StPO abgestimmt werden sollte. An dem etwa einstündigen Termin nahmen die damaligen Berufsrichter der Strafkammer, der Verteidiger und ein Oberstaatsanwalt teil. Letzterer wies in dem Gespräch unter anderem darauf hin, der Angeklagte habe seine Vertrauensstellung als Pastor missbraucht; dies könne strafschärfend gewertet werden. Der Vorsitzende gab an, die Strafkammer habe das in anderen Fällen auch so entschieden. Der Oberstaatsanwalt hob weiter hervor, er strebe eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung an, wenn sich der Angeklagte nicht reumütig und einsichtig zeige. Dazu erklärte der damalige Vorsitzende, man könne durchaus „goldene Brücken“ bauen, sofern sich der Angeklagte entsprechend verhalte. Der Verteidiger wies auf den Gesundheitszustand des Angeklagten hin und erklärte, dass dieser nur sehr eingeschränkt belastbar sei. In der am 20. Januar 2021 begonnenen Hauptverhandlung stellte die (nunmehrige) Vorsitzende der Strafkammer gemäß § 243 Abs. 4 StPO fest, dass „Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, nicht stattgefunden haben.“ Am 22. Februar 2021 erklärte sie in laufender Hauptverhandlung, sie halte die Sache für eine Verständigung geeignet. Bei einem Geständnis komme die Verhängung einer Strafe in Betracht, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werde und die nicht unter einem Jahr betrage. Der Angeklagte möge sich dies überlegen. Der Verteidiger entgegnete in der Hauptverhandlung vom 9. März 2021, er verstehe die Mitteilung als Anregung für Verständigungsgespräche, diese sei aber noch nicht vollständig, da die Kammer bloß eine Strafuntergrenze benannt habe.

In der Zeit vom 12. Juli bis 4. Oktober 2021 kam es zwischen der Vorsitzenden und dem Verteidiger zu insgesamt vier Telefonaten, in denen sie sich über ein etwaiges Ergebnis der Hauptverhandlung austauschten. So fragte die Vorsitzende den Verteidiger am 12. Juli 2021, welche Möglichkeiten einer Verständigung er sich denn vorstellen könne. Er erwiderte unter anderem, nach seiner Auffassung könne eine Lösung mit dem von ihr in Aussicht gestellten Strafmaß auch bei den 19 vollständig eingestandenen Taten sowie weiteren Urkundenfälschungen sachgerecht sein; ein schlichtes Geständnis weiterer Fälle stünde aber im Widerspruch zum bisherigen Vorbringen des Angeklagten. Die Vorsitzende erklärte, sie könne sich eine solche Lösung nicht vorstellen, und deutete an, dass jedenfalls zehn weitere Fälle eingestanden werden sollten wie auch der Umstand, dass die Unterschriften auf den Quittungen falsch seien. In den nachfolgenden Telefonaten vom 15. und 16. Juli sowie vom 4. Oktober 2021 sprachen beide zudem über ein etwaiges Schuldanerkenntnis des Angeklagten gegenüber dem Kirchengemeindeverband.

Im Anschluss an die Hauptverhandlung vom 5. Oktober 2021 fand eine weitere Besprechung der Verfahrensbeteiligten (ohne den Angeklagten) statt. Dabei wurde über den Stand der Beweisaufnahme, insbesondere über die Beweisbedeutung gefälschter Quittungen gesprochen. Der Verteidiger wiederholte seinen Vorschlag aus dem Telefonat vom 12. Juli 2021, das Verfahren auf die vom Angeklagten eingeräumten Taten zu beschränken. Dem stimmte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nicht zu. Daraufhin erzielten die Beteiligten Einigkeit darüber, dass die Strafkammer einen Vorschlag für eine Verständigung konkretisieren solle.

In der Hauptverhandlung vom 13. Oktober 2021 verlas die Vorsitzende dann eine Erklärung zu „Erörterungen des Verfahrenstands und Verständigungsgespräch zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten“. Darin heißt es: „Neben der Hauptverhandlung wurden (auch) zur Vorbereitung einer Verständigung der Verfahrensstand sowie die Möglichkeit einer einverständlichen Erledigung erörtert. Die Frage der Verständigung wurde am 5. Oktober 2021 unter Beteiligung der Kammer, einschließlich der Schöffen, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger erörtert. Es wurde Einigkeit erzielt, dass die Kammer auf der Grundlage ihrer vorläufigen Bewertung des Verfahrensstandes einen Verständigungsvorschlag unterbreitet. Dazu gibt die Kammer die folgende Einschätzung bekannt: (…)“.

II.

Die Mitteilungen der Vorsitzenden genügen nicht den rechtlichen Anforderungen des § 243 Abs. 4 StPO.

1. Nach dieser Vorschrift ist über Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb einer Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Die Mitteilungspflicht ist Teil der im Verständigungsverfahren geltenden Transparenz- und Dokumentationsregeln, die gewährleisten sollen, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung strafprozessualer Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 80 ff.; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22 mwN). Die Mitteilungspflicht verfolgt zum einen den Zweck, den Angeklagten, der an Verständigungsgesprächen nicht teilgenommen hat, durch eine umfassende Unterrichtung über die wesentlichen Gesprächsinhalte seitens des Gerichts in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen (vgl. BVerfG und BGH aaO). Zum anderen soll insbesondere § 243 Abs. 4 StPO eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit gewährleisten (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 65, 81, 87 ff.; Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19, NJW 2020, 2461 Rn. 22 f., 26, 32, 35; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 37 mwN). Hiernach ist nicht nur der Umstand mitzuteilen, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Dabei ist regelmäßig anzugeben, wer an dem Gespräch teilgenommen hat, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden ist, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben und ob diese bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 85; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22; Beschluss vom 31. August 2021 – 2 StR 339/20, NStZ 2022, 245 Rn. 8).

2. Diesen Anforderungen entsprach die Mitteilung der Vorsitzenden vom 13. Oktober 2021 nicht. Sie beschränkte sich im Wesentlichen auf den Umstand, dass die Frage der Verständigung am 5. Oktober 2021 unter Beteiligung der Strafkammer, einschließlich der Schöffen, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger erörtert worden sei und im Ergebnis dessen die Strafkammer einen Verständigungsvorschlag vorlegen solle. Die Vorsitzende informierte hingegen nicht darüber, dass solche Gespräche zunächst allein zwischen ihr und dem Verteidiger geführt worden waren, bereits drei Monate zuvor, nämlich im Juli 2021 begonnen und sich über mehrere Tage hingezogen hatten. Ferner teilte sie nicht mit, dass sie sich mit dem Verteidiger bereits zum Umfang des Geständnisses, insbesondere zur konkreten Anzahl der vom Angeklagten begangenen Taten sowie über eine Schadenswiedergutmachung ausgetauscht hatte. Ebenso wenig lässt sich der Mitteilung entnehmen, wer bei den Erörterungen welche Positionen vertreten hatte.

Angesichts der inhaltlichen Defizite kann offenbleiben, ob die Mitteilung auch deshalb nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach, weil sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erfolgte. Zwar bestimmt § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO keinen Zeitpunkt, zu der die erforderlichen Angaben in der Hauptverhandlung mitzuteilen sind. Gleichwohl gebieten Sinn und Zweck der Regelung eine möglichst umgehende Mitteilung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. August 2022 ? 5 StR 62/22, NStZ 2022, 761; vom 25. Juni 2020 – 3 StR 102/20, NStZ 2021, 310; vom 6. Februar 2018 – 1 StR 606/17, NStZ 2018, 419, 420).

3. Auch die Mitteilung vom 20. Januar 2021 gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, dass bis dahin keine Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen seien, stattgefunden hätten, war unzutreffend. Zwar weist der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht darauf hin, dass die Besprechung vom 13. Juni 2019 in erster Linie der Abstimmung des äußeren Ablaufs der Hauptverhandlung diente. Ebenso wenig stellte die Erklärung des Oberstaatsanwalts, der Missbrauch der Vertrauensstellung als Pastor könne strafschärfend gewertet werden und er strebe eine unbedingte Freiheitsstrafe an, falls sich der Angeklagte nicht reumütig und einsichtig zeige, schon eine „Erörterung“ im Sinne des § 243 Abs. 4 StPO dar. Denn niemand kann und darf dem Gericht mitteilungsbedürftige Verständigungsgespräche aufzwingen (so zutreffend KK-StPO/Schneider, aaO, Rn. 43). Zu einer mitteilungspflichtigen Erörterung erwuchs diese zunächst einseitige Aussage jedoch durch die daran anknüpfende Äußerung des Vorsitzenden, man könne durchaus „goldene Brücken bauen“, sofern sich der Angeklagte entsprechend verhalte. Damit wollte der Vorsitzende offenkundig nicht nur allgemein auf die strafmildernde Wirkung von geständigen Einlassungen hinweisen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2021 – 1 StR 92/21, NStZ-RR 2021, 317; vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, NStZ 2015, 535). Vielmehr gab er insbesondere dem Verteidiger unmissverständlich zu erkennen, dass er – ebenso wie der Vertreter der Staatsanwaltschaft – bei einer geständigen Einlassung eine Strafobergrenze von zwei Jahren und auch eine Strafaussetzung zur Bewährung als angemessen erachte.

Die Pflicht, den Inhalt dieses Gesprächs mitzuteilen, entfiel schließlich nicht dadurch, dass es nachfolgend zu einer Änderung der Besetzung der Strafkammer gekommen ist und insbesondere die spätere Vorsitzende nicht an der Erörterung teilgenommen hatte. Denn mit der Zielsetzung des § 243 Abs. 4 StPO, den Angeklagten und die Öffentlichkeit über verständnisbezogene Erörterungen umfassend zu informieren, wäre es unvereinbar, die spruchkörperbezogene Mitteilungspflicht davon abhängig zu machen, dass sich die Besetzung des Gerichts im Nachhinein noch ändert (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 ? 3 StR 470/14, NStZ 2016, 221; KK-StPO/Schneider, aaO, Rn. 47). Eine zutreffende Mitteilung war zu Beginn der Hauptverhandlung auch noch möglich. Zwar hatte der frühere Vorsitzende die verständigungsbezogenen Inhalte der Unterredung vom 13. Juni 2019 entgegen §§ 202a, 212 StPO nicht aktenkundig gemacht. Doch hatte einer der beiden Berufsrichter der Strafkammer sowohl an der Erörterung als auch an der Hauptverhandlung teilgenommen.

4. Jedenfalls die defizitäre Mitteilung vom 13. Oktober 2021 zwingt zur Aufhebung des materiell-rechtlich fehlerfreien Urteils. Unter Berücksichtigung der – strafprozessual freilich nicht bedenkenfreien – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 97 f.; Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 2055/14, NStZ 2015, 172, 173 f.; kritisch dazu Niemöller NStZ 2015, 489) kann der Senat nicht ausschließen, dass der Schuldspruch auf dieser Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2021 – 6 StR 558/21, NStZ 2022, 246; vom 5. Juli 2018 – 5 StR 180/18, NStZ-RR 2018, 355).“