Archiv der Kategorie: Rechtsmittelverfahren

StPO I: Beweisantrag nur mit konkreter Tatsache, oder: Aufklärungsrüge – reichen die erhobenen Beweise aus?

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Und weiter geht es dann heute mit StPO-Entscheidungen.

Zunächst kommen hier zwei Entscheidungen des BGH, in denen Beweis(antrags)fragen eine Rolle gespielt haben, und zwar:

„Die Verfahrensrüge der fehlerhaften Zurückweisung des auf die Vernehmung des Zeugen G.  gerichteten Beweisantrags vom 11. Juli 2023 ist jedenfalls unbegründet. Bei dem Antrag handelt es sich bereits nicht um einen ordnungsgemäßen Beweisantrag (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO), da der Angeklagte keine hinreichend konkrete Tatsache benannt hat. Mit der Behauptung, den Angeklagten und die Zeugin A. habe „ein rein freundschaftliches Verhältnis [verbunden], das von Vertrauen geprägt war und vollständig ohne sexuellen Kontakt auskam“, nennt der Angeklagte nur ein Beweisziel, welches als Bewertung zur Nachvollziehbarkeit durch das Gericht und Beweiserheblichkeit mit konkreten, auch in zeitlicher Hinsicht und den Umständen nach zumindest umrissenen, hinreichend feststellbaren und überprüfbaren Tatsachenbehauptungen hätte belegt werden müssen (vgl. BGH, Urteile vom 28. Januar 2003 – 5 StR 378/02 Rn. 5; vom 9. Oktober 1996 – 3 StR 352/96 Rn. 7 und vom 29. August 1990 – 3 StR 184/90 Rn. 6); solche sind auch der Begründung des Antrags nicht zu entnehmen.“

Die auf die unterbliebene Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten zu dessen Betäubungsmittel- und Medikamentenkonsum gestützte Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil sich dem Revisionsvorbringen nicht entnehmen lässt, dass sich das Landgericht zu der begehrten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen.
§ 244 Abs. 2 StPO gebietet es, von Amts wegen Beweis zu erheben, wenn aus den Akten oder dem Stoff der Verhandlung Umstände und Möglichkeiten bekannt oder erkennbar sind, die bei verständiger Würdigung der Sachlage begründete Zweifel an der Richtigkeit der aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme erlangten Überzeugung wecken müssen. Ob die vom Gericht aufgrund der verwendeten Beweismittel gewonnene Überzeugung ausreicht oder zu ihrer Absicherung oder Überprüfung weitere Beweismittel heranzuziehen sind, ist auf der Grundlage von Verfahrensablauf und Beweislage des Einzelfalls zu beurteilen. Je weniger gesichert ein Beweisergebnis erscheint, desto eher besteht Anlass für das Gericht, trotz der erlangten Überzeugung weitere erkennbare Beweismöglichkeiten zu nutzen. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Zeuge Vorgänge bekunden soll, die für die Entscheidung von zentraler Bedeutung sind (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2016 – 2 StR 383/15, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Zeugenvernehmung 19 mwN).
Hier erschien dem sachverständig beratenen Landgericht das zu der Frage eines Hanges des Angeklagten im Sinne des § 64 StGB in der bis zum 30. September 2023 geltenden Fassung aufgrund der erhobenen Beweise, insbesondere der Untersuchung der dem Angeklagten abgenommenen Haar- und Blutproben, gewonnene Ergebnis zu Recht derart gesichert, dass es die Vernehmung von dessen Ehefrau zum Betäubungsmittel- bzw. Medikamentenkonsum des Angeklagten für entbehrlich halten durfte. Dies gilt erst recht im Hinblick auf die nach der Neufassung des § 64 StGB (BGBl. 2023 I, Nr. 203) geltenden erhöhten Anforderungen an die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten.“

 

OWi III: Die Rechtspflegerin will nicht protokollieren, oder: Wiedereinsetzung wegen Fehler der Justiz

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Köln, Beschl. v. 22.02.2024 – III 1 ORbs 38/24 – auch eine etwas kuriose Sache.

Das AG hat mit Urteil vom 20.10.2023 den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betroffene zum Hauptverhandlungstermin unentschuldigt nicht erschienen sei. Das Urteil ist dem Betroffenen am 27.10.2023 zugestellt worden.

Mit persönlich verfasstem Schreiben vom 29.10.2023, eingegangen beim AG am selben Tag, hat der anwaltlich nicht vertretene Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt.

Am 24.11.2023 hat der Betroffene den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle beim AG begründet. Er hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und zur Begründung ausgeführt, das Urteil verletze ihn in mehrfacher Hinsicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. Unter anderem sei sein Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen rechtsfehlerhaft vom AG abgelehnt worden.

Mit Schreiben vom 04.12.2023, eingegangen beim AG am selben Tag, hat der Betroffene die protokollierende Rechtspflegerin dann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Diese habe ihn gehindert, lückenlos zum Verfahrensgang vorgetragen und erklärt, dies sei gar nicht notwendig. Den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat der Betroffene sodann noch im selben Schreiben ergänzend begründet und in diesem Rahmen nähere Ausführungen zum Verfahrensgang getätigt.

Das OLG hat den Zulassungsantrag des Betroffenen als derzeit unzulässig angesehen und den betroffefen darauf hingewiesen, dass ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des AG gewährt werden kann, wenn er innerhalb einer Frist von einem Monat, die mit der Zustellung des OLG-Beschlusses beginnt den Zulassungsantrag (noch einmal) formgerecht begründet. Dazu hat es die Akten an das AG zurückgegeben. Begründung:

„Der Zulassungsantrag des Betroffenen ist (derzeit) unzulässig.

Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ist die vom Betroffenen erhobene Verfahrensrüge (bisher) nicht in zulässiger Weise erhoben.

Der Betroffene wird jedoch darauf hingewiesen, dass er Gelegenheit hat, binnen einer Frist von einem Monat, die mit Zustellung dieses Beschlusses zu laufen beginnt, einen formgerechten Zulassungsantrag zur Akte zu reichen.

Im Einzelnen:

1. Der Betroffene hatte bei der Begründung seines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde die Vorgaben der §§ 344, 345 StPO, 80 Abs. 3 S. 3 OWiG zu beachten.

Danach bedurfte es der Einreichung einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder einer Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 345 Abs. 2 StPO).

Der Betroffene hat den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zwar fristgerecht – am 24. November 2023 – zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet.

Dem protokollierten Vorbringen ist auch zu entnehmen, dass der Betroffene die Verletzung seines rechtlichen Gehörs rügt, das er in mehrfacher Hinsicht verletzt sieht, unter anderem weil seinem Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu Unrecht nicht stattgegeben worden sei.

Ebenso geht der Betroffene in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon aus, dass der Anspruch auf Gewährung von rechtlichem Gehör verletzt ist, wenn über einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen überhaupt nicht oder ohne eine auf § 73 Abs. 2 OWiG zurückführbare Begründung entschieden wird. Dies entspricht ständiger Senatsrechtsprechung.

Gleichwohl ist eine Versagung des rechtlichen Gehörs vorliegend nicht hinreichend dargetan.

Die Versagung des rechtlichen Gehörs ist mit einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend zu machen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. SenE v. 04.02.1999, NZV 1999, 264; SenE v. 15.04.1999, NZV 1999, 436; SenE v. 08.01.2001, DAR 2001, 179; SenE v. 11.01.2001, VRS 100, 204). Das Rügevorbringen muss so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob die Voraussetzungen für eine Entbindung von der Anwesenheitspflicht nach § 73 Abs. 2 OWiG vorlagen (SenE v. 21.12.2001, NStZ 2002, 268 [269]; SenE v. 11.01.2002, NStZ-RR 2002, 114 [116]; OLG Hamm, VRS 107, 120 [122]; OLG Koblenz, zfs 2005, 311; OLG Saarbrücken, VRS 114, 50 [51]). Zur gesetzmäßigen Ausführung der Rüge bedarf es neben der Mitteilung des Entbindungsantrags und der ablehnenden Gerichtsentscheidung der genauen Darlegung der Einzelumstände, aus welchen Gründen ein Anspruch auf Entbindung bestand.

Eine Verfahrensrüge betreffend die Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen ist nach diesen Maßgaben (bisher) nicht in zulässiger Weise erhoben worden.

Die Überprüfung der Verfahrenstatsachen auf der Grundlage des zu Protokoll der Geschäftsstelle gegebenen Beschwerdevorbringens des Betroffenen ergibt zwar, dass der Betroffene einen Antrag auf Entbindung von der Teilnahme an der Hauptverhandlung vom 20. Oktober 2023 gestellt hat. Der Antrag soll am 13. Oktober 2023 beim Amtsgericht Geilenkirchen eingegangen sein.

Das Rügevorbringen ist indes schon deshalb unvollständig, weil die Erklärungen zur Niederschrift im Protokoll der Geschäftsstelle den Inhalt des Entbindungsantrages und den Inhalt des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses nicht ausreichend vollständig wiedergeben. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich nur entnehmen, der Betroffene habe erklärt, er wolle sich in der Hauptverhandlung ,,zur Sache“ nicht einlassen. Im weiteren Verlauf der Beschwerdebegründung heißt es, der Betroffene habe bekundet, „sich in tatsächlicher Hinsicht“ nicht zu erklären. Auch soll die Formulierung ,.zum jetzigen Zeitpunkt“ verwendet worden sein. Der genaue Wortlaut erschließt sich indes nicht. Auch fehlt es an einer hinreichenden Wiedergabe der vom Betroffenen angegebenen Gründe, mit welchem er seinen Entpflichtungsantrag begründet hat. Eine hinreichende Darstellung des Inhalts des Ablehnungsbeschlusses des Amtsgerichts fehlt ebenfalls.

Ein Rückgriff auf die Ausführungen in dem vom Betroffenen persönlich gefertigten Schreiben vom 4. Dezember 2023 ist dem Senat verwehrt, da das Schreiben nicht den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO entspricht.

2. Eine Verwerfung des Rechtsmittels des Betroffenen als unzulässig (§§ 349 Abs. 1 StPO, 80 Abs. 4 OWiG) kommt derzeit gleichwohl nicht in Betracht. Eine Entscheidung über den Zulassungsantrag kann derzeit noch nicht ergehen.

Denn schon nach Aktenlage erscheint es hinreichend glaubhaft im Sinne von §§ 44 Abs. 1 S. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG, dass der Betroffene ohne eigenes Verschulden an der Einreichung einer formgerechten Antragsbegründungsschrift gehindert gewesen ist, weil die zuständige Rechtspflegerin davon abgesehen hat, eine vom Betroffenen gewünschte Darstellung des Verfahrensverlaufs zu protokollieren. Hierfür spricht die Aktenlage und insbesondere der Inhalt des Schreibens des Betroffenen vom 4. Dezember 2023. Der Senat geht deshalb davon aus, dass eine Protokollierung des genaueren Verfahrensgangs aus Gründen, die maßgeblich im Verantwortungsbereich der Justiz liegen, unterblieben ist.

Sind aber – wie hier – die Gründe für die (derzeitige) Unzulässigkeit eines Rechtsmittels in der Sphäre der Justiz entstanden, kann dem mit der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen gegen die Versäumung der Frist zur An-bringung einer (formgerechten) Rechtsmittelbegründung begegnet werden (BVerfG, NJW 2013, 446; BVerfG BeckRS 2006, 28183; Gericke in Karlsruher Kommentar, StPO, 9. Aufl. 2023, § 345 Rdn. 26).

Die mithin grundsätzlich mögliche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann allerdings – selbst wenn der Wiedereinsetzungsgrund in einer fehlerhaften Sachbehandlung durch die Justiz liegt – erst gewährt werden, wenn die versäumte Handlung (hier die formgerechte Rechtsmittelbegründung) nachgeholt worden ist (§ 45 Abs. 2 S. 2 u. S. 3 StPO, 46 Abs. 1 OWiG).

Hierauf ist der Betroffene hinzuweisen.

Ihm ist Gelegenheit zur formgerechten Begründung seines Rechtsmittels zu geben, wobei ihn die in § 45 StPO vorgesehene Wochenfrist mit Blick auf die Kenntniserlangung während des laufenden Rechtsmittelverfahrens, dass seine Rechtsmittelbegrün-dung aufgrund eines Verschuldens der Justiz in nicht zulässiger Weise erfolgt ist und was er nun zu unternehmen hat, unangemessen benachteiligen würde. Zu gewähren ist ihm daher – in Anlehnung an die Fristbestimmung in §§ 345 StPO, 80 Abs. 3 OWiG – eine Frist von einem Monat (vgl. SenE v. 07.12.2023 – 111-1 ORbs 359/23; SenE v. 19.09.2023 – 111-1 ORs 109/23; OLG Bamberg, Beschluss v. 25.10.2017 – 2 Ss OWi 1399/17 — juris).

Die hiernach für die Nachholung der Rechtsmittelbegründung maßgebliche Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat beginnt mit der Zustellung des Beschlusses, mit dem der Betroffene über die Wiedereinsetzungsmöglichkeit belehrt wird (vgl. BVerfG NJW 2013, 446; BVerfG NStZ-RR 2005, 238; BVerfG, Beschluss v. 27.06.2006 – 2 BvR 1147/05, juris).

3. Der Betroffene erhält nach alledem Gelegenheit, binnen eines Monats nach Zustellung dieser Senatsentscheidung sein Rechtsmittel (erneut) zu begründen.

Er wird darauf hingewiesen, dass die Begründung nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen kann (§ 345 Abs. 2 StPO).

Zum Zweck der Entgegennahme einer evtl. weiteren Rechtsmittelbegründung sind die Akten an das Amtsgericht Geilenkirchen zurückzuleiten.

Vorsorglich wird auch darauf hingewiesen, dass eine von dem Betroffenen persönlich gefertigte Revisionsbegründungsschrift und von dem Rechtspfleger lediglich am Schluss des Protokolls mitunterzeichnete Rechtsbeschwerdebegründung nicht den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Protokollierung im Sinne von § 345 Abs. 2 StPO entspricht. Die wirksame Erklärung der Rechtsmittelbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle setzt voraus, dass der – hierfür zuständige – Rechtspfleger, der eine Prüfungs- und Belehrungspflicht innehat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 345 Rdn. 21), an der Erklärung inhaltlich mitwirkt.“

Jetzt geht dann hoffentlich nichts mehr daneben 🙂 .

Zustellung I: Hauptverhandlungsprotokoll fertig?, oder: Zustellung vor Fertigstellung?

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eute am Donnerstag gibt es dann drei Entscheidungen zu Zustellungsfragen, also StPO. Die Entscheidungen stammen aus dem Straf- und dem Bußgeldverfahren.

Den Opener macht der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.10.2023 – 7 ORs 37/23. Es geht um die Auslegung eines Rechtsmittels und eben um die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung.

Das AG hat einen Strafbefehl gegen den Angeklagten erlassen. Zu der auf Einspruch des Angeklagten anberaumten Hauptverhandlung erschien der Angeklagte nicht. Das AG hat den Einspruch gegen den Strafbefehl verworfen. Das Verwerfungsurteil vom 24.04.2023 wurde dem Angeklagten am 17.062023 zugestellt.

Hiergegen legte der Angeklagte mit am 22.06.2023 eingegangenen Schreiben „der Ordnung halber, um Ihre rechtlichen Voraussetzungen zu erfüllen und gleichsam keine Fristen zu versäumen […] Revision“ ein. Das AG hat das Rechtsmittel als Sprungrevision gemäß § 335 Abs. 1 StPO gewertet und nach Anhörung des Angeklagten die Revision nach Ablauf der in § 345 Abs. 1 StPO vorgesehenen Revisionsbegründungsfrist mit Beschluss vom 09.082023 als unzulässig verworfen. Gegen den Beschluss legte der Angeklagte nach Zustellung „Widerspruch/Einspruch oder dergleichen“ ein. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Das OLG sieht den vom Angeklagten eingelegten „Widerspruch/Einspruch oder dergleichen“ gemäß § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO an. Der sei zulässig und auch begründet.

Zu dem Rechtsmittel des Angeklagten führt das OLG aus, dass es nicht als Revision, sondern als Berufung anzusehen sei. Insoweit bitte im Volltext lesen. Dazu hier nur der Leitsatz:

Der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 S. 1 StPO ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Das gemäß § 346 Abs. 2 S. 1 StPO angerufene Revisionsgericht hat auch zu prüfen, ob das Rechtsmittel überhaupt als Revision anzusehen ist. Eine Auslegung der Rechtsmittelerklärung ist veranlasst, wenn mehrere Rechtsmittel zulässig sind und unklar bleibt, welches eingelegt werden soll. Das Rechtsmittel ist so zu deuten, dass der erstrebte Erfolg möglichst erreichbar ist; im Zweifel gilt das Rechtsmittel als eingelegt, das die umfassendere Nachprüfung erlaubt.

Und zur Wirksamkeit der Zustellung heißt es:

„2. Das als Berufung zu qualifizierende Rechtsmittel gegen das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts Hanau vom 24. April 2023 ist auch bereits wirksam eingelegt, obschon dieses Urteil bislang nicht wirksam zugestellt und damit die Rechtsmittelfrist noch nicht in Gang gesetzt wurde.

Eine wirksame Zustellung eines Urteils setzt gemäß der zwingenden Verfahrensvorschrift des § 273 Abs. 4 StPO die vorherige Fertigstellung des Protokolls voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013 – 4 StR 246/12 = NStZ 2014, 420, 41; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 273 Rn 34). Die Fertigstellung des Protokolls erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Zeitpunkt, zu dem die letzte der für die Beurkundung des gesamten Protokollinhalts erforderlichen Unterschriften geleistet wurde (BGH Beschluss vom 13. Februar 2013 – 4 StR 246/12, a.a.O., m.w.N.). Der Tag der Fertigstellung muss nach § 271 Abs. 1 S. 2 StPO im Protokoll vermerkt oder auf sonstige Weise aktenkundig gemacht werden. Das in der Praxis übliche Vorgehen, den Fertigstellungstag unter dem Protokoll anzubringen, war ausweislich des in dem Protokoll enthaltenen Passus „Das Protokoll wurde fertiggestellt am:“, auch im vorliegenden Fall angelegt. Allerdings fehlt es an dieser Stelle an einer Eintragung des maßgeblichen Datums, das sich auch nicht aus anderen Umständen ergibt, wie etwa dem ausdrücklich in § 271 Abs. 1 S. 2 StPO vorgesehenen Vermerk oder auch der Übersendung des Protokolls an den Angeklagten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 15. September 1969 – AnwSt (B) 2/69 = NJW 1970, 105 f.). Eine Anfertigung eines Vermerks betreffend den Zeitpunkt der Fertigstellung im Wege einer dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden und der Protokollführerin ist aus Gründen der Rechtssicherheit nach der bereits tatsächlich erfolgten Zustellung nicht mehr möglich, um Unsicherheiten über die Wirksamkeit der Zustellung des Urteils und den hiervon abhängigen Fristenlauf zu verhindern; in diesem Fall muss die Zustellung – nachdem die Fertigstellung aktenkundig gemacht wurde – erneut veranlasst werden.

Die bislang fehlende Zustellung des Urteils steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels indes nicht entgegen. Ein Rechtsmittel kann eingelegt werden, wenn und sobald die angefochtene Entscheidung ergangen ist; nicht erforderlich ist, dass der Rechtsmittelführer Kenntnis von dem Erlass der Entscheidung hatte (vgl. BeckOK-Cirener StPO, 49. Edition, Stand: 1. Oktober 2023, § 296 Rn 5). Allerdings steht es dem Angeklagten frei, nach der wirksamen Zustellung des Verwerfungsurteils vom 24. April 2023 und der damit (erstmals) in Gang gesetzten Rechtsmittelfrist, einen Wechsel von dem Rechtsmittel der Berufung hin zu dem Rechtsmittel der Revision zu erklären (vgl. LG Freiburg, Beschluss vom 3. März 2021 – 2/20 7 Ns 680 Js 39626/15). Hiervon wäre – aus den oben dargelegten Gründen – indes nur im Falle einer zweifelsfreien Erklärung auszugehen, wobei dem Angeklagten bewusst sein muss, dass – anders als im Falle der Berufung – eine Revision binnen Monatsfrist nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels zu begründen ist und dies nur durch eigene Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle bzw. einen von einem Rechtsanwalt einzureichenden Schriftsatz geschehen kann (vgl. § 345 Abs. 1 StPO).“

OWi III: „Richtige“ Begründung des Zulassungsantrags, oder: Verweigerte Akteneinsicht und Befundprüfung

Und dann zum Tagesschluss noch etwas aus dem Rechtsbeschwerdeverfahren. Das OLG Köln nimmt nämlich Stellung – oder auch nicht – zu den Anforderungen an eine Rüge, mit der eine unterbliebene Befundprüfung geltend gemacht werden soll.

Gegen den Betroffenen ist durch das AG wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 150,00 EUR verhängt worden. Dagegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit welchem der Betroffene eine Versagung des rechtlichen Gehörs rügt.

Das OLG Köln hat im OLG Köln, Beschl. v. 06.02.2024 – 1 ORBs 399/23 – den Zulassungsantrag  als unzulässig zu verworfen, weil er insgesamt den Anforderungen an seine Begründung nicht genügt hat:

1. Eine Rüge der Verletzung des materiellen Rechts (Sachrüge) ist nicht erhoben worden.

Diese setzt voraus, dass die Rechtsbeschwerde zweifelsfrei erkennbar auf die Verletzung sachlichen Rechts bei der Anwendung auf den festgestellten Sachverhalt gestützt wird (BGH NStZ 1991, 597; OLG Hamm DAR 2000, 83 = VRS 98, 146 [147]; OLG Hamm DAR 1999, 276 = VRS 97, 49; SenE v. 27.09.2000 – Ss 403/00 Z -; SenE v. 10.07.2001 – Ss 276/01 Z – m. w. Nachw; SenE v. 14.01.2013 – III-1 RBs 26/13.). Das ist vorliegend nicht geschehen. Die Ausführungen in der Begründungsschrift befassen sich vielmehr allein mit verfahrensrechtlichen Vorgängen.

2. Soweit mit der Rechtsbeschwerde moniert wird, dem Betroffenen sei „die Einsicht in die Rohmessdaten“ verweigert worden, ist – wie sich insbesondere aus der auch von dem Betroffenen angezogenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (jüngst BVerfG NJW 2023, 2932) ergibt – nicht das Verfassungsgebot aus Art. 103 Abs. 1 GG, sondern vielmehr der aus Artt. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG abgeleitete Grundsatz des fairen Verfahrens inmitten. § 80 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG ist aber einer Erweiterung auf andere Verfassungsverstöße (namentlich den Grundsatz des fairen Verfahrens) nicht zugänglich (SenE v. 09.11.2021 – III-1 RBs 297/21; SenE v. 26.11.2021 – III-1 RBs 313/21; SenE v. 16.02.2022 – III-1 RBs 48/22; SenE v. 27.12.2022 – III-1 RBs 409/22; SenE v. 27.07.2023 – III-1 ORbs 249/23; KK-OWiG-Hadamitzky, 5. Auflage 2018, § 80 Rz. 40; Sandherr NZV 2023, 433). Diese Rüge ist im Zulassungsverfahren unstatthaft.

3. Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinaus rügt, der Antrag des Betroffenen auf Durchführung einer Befundprüfung sei durch das Gericht übergangen worden und auch im Urteil finde sich keine Begründung, warum ihm auch dieser Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Messergebnisses verweigert worden sei, ist hiermit eine Gehörsverletzung jedenfalls nicht schlüssig dargetan:

Gemäß § 39 Abs. 1 MessEG kann derjenige, der ein berechtigtes Interesse an der Messrichtigkeit hat, bei der Behörde nach § 40 Abs. 1 MessEG beantragen festzustellen, ob ein Messgerät die wesentlichen Anforderungen der Messrichtigkeit und Messbeständigkeit nach § 6 Abs. 2 MessEG erfüllt (vgl. hierzu Märtens/Wynands NZV 2019, 338 [340]). Ein berechtigtes Interesse an der Messrichtigkeit in diesem Sinne hat regelmäßig derjenige, den die Messung betrifft, hier also der Betroffene des behördlichen und gerichtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahrens. (vgl. Hollinger/Schade-Schade, MessEG/MessEV, § 39 Rz. 2). Der Antrag ist an die Behörde zu richten, die nach § 40 MessEG für die Eichung selbst zuständig wäre.

Die Befundprüfung, bei der gem. § 39 Abs. 2 MessEV die Verwendungssituation des Messgeräts zu berücksichtigen ist, vermag Klarheit darüber zu verschaffen, ob das jeweilige Messgerät den Anforderungen der Eichung und der Konformitätsprüfung genügt. Wenngleich der konkrete in Rede stehende Messvorgang damit nicht nachvollzogen werden kann, rechtfertigt ein Ergebnis, welches – ausgehend von der erfolgten Eichung und ggf. unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher in einer sog. „Lebensakte“ dokumentierter Eingriffe – keine Beanstandungen zu Tage fördert, den Schluss, dass bei dem Messgerät auch in der Vergangenheit keine Unregelmäßigkeiten aufgetreten sind (vgl. SenE v. 27.09.2019 – III-1 RBs 339/19 = DAR 2019, 695 = BeckRS 2019, 23786; a. A. aber VerfGH Saarland NJW 2019, 2456 [2459 Tz. 63]). Bei Zweifeln an der Messrichtigkeit ist die Befundprüfung daher der Weg der Wahl.

Welche Anforderungen an eine Rüge zu stellen sind, mit der eine unterbliebene Befundprüfung geltend gemacht werden soll, ist – soweit ersichtlich – bislang in Rechtsprechung und Literatur nicht thematisiert worden. Ohne dies für den Streitfall entscheiden zu müssen neigt der Senat der Auffassung zu, dass insoweit (unter Berücksichtigung des Umstands, dass Beteiligte der Befundprüfung Betroffener und Eichbehörde sind) ähnliche Voraussetzungen Geltung beanspruchen, wie sie für die Beiziehung nicht bei der Akte befindlicher, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandener Unterlagen entwickelt worden sind: Danach dürfte der Betroffene gehalten sein, die Befundprüfung bereits in einem Stadium anzustoßen, in dem das Verfahren noch bei der Verwaltungsbehörde geführt wird (s. – allerdings im Kontext mit der Verfahrensfairness – zu den nicht bei der Akte befindlichen Unterlagen BVerfG NJW 2021, 455 Tz. 60 aE; BGH NStZ 2023, 619). Darüber hinaus dürfte es aber jedenfalls geboten sein, dass der Betroffene sein Begehren in der Hauptverhandlung weiterverfolgt und ggf. deren Aussetzung zur Durchführung der Befundprüfung durch ihn beantragt (BGH a.a.O., allgemein LR-StPO-Becker, 27. Auflage 2019, § 288 Rz. 11).

Diese Fragen bedürfen hier aber deswegen keiner Vertiefung, weil – wie dargelegt – das Gericht weder Antragsteller der Befundprüfung, noch (tauglicher) Adressat eines solchen Antrags ist und der Betroffene zur Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen einer Befundprüfung nichts vorträgt.

Da sonach weder eine Sachrüge noch eine statthafte bzw. zulässige Verfahrensrüge erhoben worden sind, war der Zulassungsantrag als unzulässig zu verwerfen.“

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StPO II: War (Revisionssenats)Vorsitzende befangen?, oder: Abgelehnte Verlängerung der Begründungfrist

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In dem zweiten Beschluss, den ich heute vorstelle, dem BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 4 StR 239/23, geht es um die Frage der Befangenheit im Revisionsverfahren.

Der Angeklagte ist om LG u.a. wegen Betruges in 64 Fällen zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt worden. Im Revisionsverfahren hat der GBA beantragt, das Rechtsmittel nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Der Antrag wurde einem der beiden Pflichtverteidiger ordnungsgemäß zugestellt; die so in Lauf gesetzte Frist zur Stellungnahme endete am 15.08.2023.

Nach der Zustellung des Antrags beantragte der Angeklagte, die Frist zur Abgabe der Gegenerklärung zu verlängern, woraufhin ihm der Vorsitzende mitteilte, dass der Senat nicht vor dem 02.09.2023 entscheiden werde. Mit Schriftsatz vom 23.08.2023 legitimierte sich ein weiterer Rechtsanwalt für den Angeklagten, ersuchte um Akteneinsicht und beantragte „zur Begründung der Revision“ eine Fristverlängerung bis mindestens zum 26.09.2023. Der Vorsitzende veranlasste daraufhin die Übersendung der Akten und teilte dem neu eingetretenen Verteidiger zugleich mit, dass die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO nicht verlängerbar sei.

Kurz darauf wandte sich der Angeklagte nochmals selbst an den BGH und beantragte erneut Fristverlängerung, nunmehr bis zum 28.09.2023 und „zur Stellungnahme auf den Antrag des Generalbundesanwalts“, woraufhin der Vorsitzende ihm mitteilte, dass eine Fristverlängerung nicht möglich sei.

Hierauf reagierte der Angeklagte mit insgesamt fünf jeweils gleichlautend begründeten Befangenheitsanträgen gegen den Senatsvorsitzenden, in denen er jeweils ausführte, dass durch die Vorgehensweise des Vorsitzenden sowohl seinem neuen Verteidiger als auch ihm selbst verwehrt werde, zum Verwerfungsantrag des GBA Stellung zu nehmen. Außerdem hätten seine „Pflichtanwälte“ keine umfassende Stellungnahme abgegeben. Hieraus resultiere ein „Rechtsanspruch auf neue Verteidiger“, von dem der Vorsitzende „keinen Gebrauch gemacht“ habe.

Der BGH hat den ersten Befangenheitsantrag als unbegründet und die weiteren Ablehnungsgesuche jeweils als unzulässig verworfen. Tags darauf verwarf der Senat die Revision größtenteils nach § 349 Abs. 2 StPO (vgl. hier: BGH, Beschl. v. 15.11.2023 – 4 StR 239/23).

Der BGH hat die Ablehnungsanträge zurückgewiesen:

„1. Sämtliche Ablehnungsgesuche des Angeklagten richten sich ausschließlich gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin. Soweit der Befangenheitsantrag vom 8. Oktober 2023 mit „Befangenheitsantrag gegen erkennende Richter des 4. Strafsenats des BGH“ überschrieben ist, ergibt sich aufgrund seines ausschließlich auf prozessleitende Anordnungen des Vorsitzenden rekurrierenden Inhalts und der in der Begründung des Gesuchs mehrfach gebrauchten Singularform („des Richters“) eindeutig, dass auch dieser Ablehnungsantrag ausschließlich gegen den Vorsitzenden gerichtet ist. Weitere Mitglieder des Senats werden hingegen weder namentlich noch in sonst eindeutig bestimmbarer Weise bezeichnet.

2. Die Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin vom 11. September, 18. September, 8. Oktober und 21. Oktober 2023 sind bereits unzulässig.

Denn diesen Ablehnungsgesuchen ist – auch eingedenk der gebotenen engen Auslegung des § 26a StPO (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 16; Beschluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, juris Rn. 9) – kein tauglicher Grund zur Ablehnung im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu entnehmen. Bei dem Vorbringen handelt es sich ausschließlich um Wiederholungen der bereits im Gesuch vom 5. September 2023 ausgeführten eigenen Bewertung der Verfahrenslage durch den Angeklagten. Dies steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung dieser Ablehnungsgesuche gleich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2020 – 4 StR 654/19, juris Rn. 1; Beschluss vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 12).

3. Der Senat kann offenlassen, ob das Ablehnungsgesuch vom 5. September 2023 zulässig ist und ihm die Behauptung eines konkreten Verhaltens des Vorsitzenden als Anknüpfungspunkt der Ablehnung sowie die Voraussetzungen der Rechtzeitigkeit des Vorbringens und deren Glaubhaftmachung (§§ 26 Abs. 2 Satz 1, 25 Abs. 2 StPO) noch hinreichend zu entnehmen sind. Der Ablehnungsantrag ist jedenfalls unbegründet.

a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist nur gegeben, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. September 2020 – 5 StR 630/19, juris Rn. 18; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 21; Urteil vom 10. November 1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 341). Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen sind dabei der Standpunkt eines besonnenen Angeklagten und die Vorstellungen, die er sich bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 24; Urteil vom 2. März 2004 – 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209; Beschluss vom 8. März 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 69, 71). Knüpft die Richterablehnung an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung des abgelehnten Richters mit der Sache an, ist dieser Umstand regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2023 – 4 StR 67/22, juris Rn. 10; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 22 mwN). Auch Rechtsfehler in Entscheidungen bei einer Vorbefassung mit dem Sachverhalt oder im zu Grunde liegenden Verfahren können eine Ablehnung im Allgemeinen nicht begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 22 mwN). Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und der damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerung hinausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 348 f. mwN).

b) Ausgehend von diesen Maßstäben begründet weder die Ablehnung einer Fristverlängerung durch den Vorsitzenden noch die unterlassene Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers die Besorgnis der Befangenheit.

Die in den Ablehnungsgesuchen thematisierten Mitteilungen des Vorsitzenden an den Angeklagten und an seinen Verteidiger Rechtsanwalt S., wonach eine Fristverlängerung nicht in Betracht komme, entsprechen – sowohl im Hinblick auf die Frist des § 345 Abs. 1 StPO als auch des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO – der Gesetzeslage (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 4; Beschluss vom 24. Januar 2017 – 3 StR 447/16, NStZ-RR 2017, 148; Beschluss vom 13. Dezember 2007 – 1 StR 497/07, juris Rn. 4). Zudem entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass Stellungnahmen zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO selbst dann nicht abgewartet zu werden brauchen, wenn sie ausdrücklich in Aussicht gestellt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 3; Beschluss vom 30. Juli 2008 – 2 StR 234/08, NStZ-RR 2008, 352). Dies gilt selbst dann, wenn der Beschwerdeführer gleichzeitig um Überlassung der Akten bittet (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1990 – 4 StR 263/90, juris Rn. 4; Löwe-Rosenberg/Franke, 26. Aufl., § 349 Rn. 20). Die Ablehnung eines weiteren Entscheidungsaufschubs durch den Vorsitzenden war – zumal nach anfänglichem Zuwarten mit einer Entscheidung auf eine entsprechende Eingabe des Angeklagten hin – in Ermangelung eines sachlichen Grundes hierfür unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes sachgerecht.

Gleiches gilt für die von dem Angeklagten angeführten Erwägungen, der Vorsitzende habe ihm einen oder mehrere weitere Pflichtverteidiger beiordnen und für die Übermittlung des Antrags des Generalbundesanwalts an ihn persönlich Sorge tragen müssen. Der Angeklagte ist durch zwei Pflichtverteidiger vertreten. Anhaltspunkte dafür, dass durch diese eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht gewährleistet ist, ergeben sich weder aus dem Vortrag des Angeklagten noch sind solche Umstände sonst ersichtlich. Ob ein Verteidiger von der Möglichkeit zur Stellungnahme zum Antrag des Generalbundesanwalts Gebrauch macht, obliegt allein seiner Verantwortung (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 349 Rn. 20 mwN). Eine Pflicht des Revisionsgerichts oder des Vorsitzenden, auf die Abgabe einer Stellungnahme nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO hinzuwirken, existiert ebenso wenig wie eine solche zur zusätzlichen Übermittlung der Antragsschrift nach § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO an den verteidigten Beschwerdeführer persönlich (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2001 – 5 StR 278/01, juris Rn. 1 mwN).

Angesichts dieser Sachlage besteht für den Angeklagten bei vernünftiger Würdigung kein Grund zu der Annahme, der Senatsvorsitzende habe ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.“

Und wer gedacht hat, dass die Sache damit ihr Ende gefunden hat. Nein, es gibt noch Anhörungsrügen. Auf die komme ich noch zurück.