Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

Strafantrag II: Beleidigungen an mehreren Tagen, oder: Strafantrag muss sich auf bestimmte Tat beziehen

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Und als zweite Entscheidung hier der BayObLG, Beschl. v. 10.09.2024 – 203 StRR 326/24.

Die Angeklagte ist von AG und LG wegen Beleidigung in vier tatmehrheitlichen Fällen, in einem Fall rechtlich zusammentreffend mit tätlicher Beleidigung und mit Körperverletzung verurteilt worden. Dagegen wendet sich die Angeklagte mit der allgemeinen Sachrüge. Die hat Erfolg. Dazu führt das BayObLG u.a. aus:

„a) Soweit die Angeklagte wegen einer am 3. Juni 2022 zum Nachteil des Zeugen W. begangenen Beleidigung verurteilt worden ist, wird das Verfahren nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt. Es fehlt an dem nach § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen schriftlichen Strafantrag des Verletzten. Das Revisionsgericht prüft das Vorhandensein der Verfahrensvoraussetzungen von Amts wegen im Freibeweisverfahren. Diese Prüfung ergibt, dass der Zeuge W. bezüglich der Tat vom 3. Juni 2022 keinen wirksamen Strafantrag gestellt hat. Der Geschädigte hat bei seiner Aussage am „14“. Juni 2022 bei der Polizei, auf die seine beiden Strafanträge vom „13“. und vom „14“. Juni 2022 (Bl. 16 und Bl. 31 der Akte 1111 Js 8078/22) verwiesen, neben der Tat vom 11. Juni 2022 keine weitere beleidigende Äußerung hinreichend nach Wortlaut und Tatumständen konkretisiert zur Anzeige gebracht, sondern allgemein von Beschimpfungen „in jüngster Vergangenheit vermehrt“ gesprochen. Ein Strafantrag muss sich jedoch auf eine bestimmte Tat beziehen (vgl. Dallmeyer in BeckOK-StGB, 61. Ed., § 77 StGB Rn. 11; BGH, Beschluss vom 20. April 2017 – 2 StR 79/17 –, juris Rn. 23). Da innerhalb der Antragsfrist kein wirksamer Strafantrag gestellt wurde und dieser nach Fristablauf nicht mehr nachgeholt werden kann, darf die Angeklagte nicht mehr wegen dieser Beleidigung bestraft werden.“

Im Übrigen hat das BayObLG die Schuldfähigkeitsprüfung des LG beanstandet. Dazu folgende Leitsätze:

1. Wahnhafte Störungen können sich bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf das Einsichtsvermögen auswirken. Aber auch die Steuerungsfähigkeit kann tangiert oder aufgehoben sein. Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 20 StGB bedeutet die Fähigkeit, entsprechend der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln. Die Steuerungsfähigkeit ist betroffen, wenn einem Wahnkranken in Situationen, die durch den Wahn bestimmt sind, Handlungsalternativen praktisch nicht zur Verfügung stehen.

2. Um die revisionsgerichtliche Nachprüfung der Voraussetzungen von §§ 20, 21 StGB zu ermöglichen, hat das Tatgericht die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des psychiatrischen Sachverständigen mitzuteilen und sich erkennbar selbst mit ihnen auseinanderzusetzen. Unerlässlich ist eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage und das Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können. Folgt das Tatgericht einem Sachverständigen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Darlegungen in den schriftlichen Urteilsgründen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist. Generalisierende Ausführungen zum Störungsbild, die nicht auf den konkreten Zustand des Angeklagten zum Tatzeitpunkt und eine mögliche direkte Beziehung von Tathandlung zum Wahnthema eingehen, genügen diesen Anforderungen nicht.

Strafantrag I: Strafantrag mittels einfacher Email, oder: Keine Rückwirkung des neuen Rechts

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In die 3. KW/2025 starte ich dann mit zwei Beschlüssen zum Strafantrag.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 21.08.2024 – 3 StR 97/24 – zur Frage der Anwendung der Neuregelungen in § 158 Abs. 2 StPO durch das Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz vom 12.7.2024 auf nach altem Recht gestellte Strafanträge (zu diesem Gesetz mein Beitrag Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz“ – Die wichtigsten Änderungen in StPO, OWiG und RVG, u.a. aus StRR 8/2024, 11).

Das LG hatte den Angeklagten u.a. in mehreren Fällen wegen Beleidigung  verurteilt. In einem der Fälle hat der BGH, das Verfahren nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, weil es insoweit an dem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen wirksamen Strafantrag des vom Angeklagten Beleidigten gefehlt hat:

„a) Nach § 158 Abs. 2 StPO in der Fassung vom 21. Dezember 2015 wäre ein solches Ersuchen um Strafverfolgung binnen der Frist des § 77b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StGB schriftlich (oder zu Protokoll eines Gerichts oder der Staatsanwaltschaft) anzubringen gewesen. Im vorliegenden Fall übersandte der Antragsteller seinen Strafantrag hingegen an die Kriminalpolizei in O. mittels einer Textdatei, die einer „einfachen“ E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur beigefügt war. Beide Dokumente gelangten ausgedruckt zur Verfahrensakte, ohne dass sie zur Wahrung der Schriftform mit einer Unterschrift des Antragstellers versehen waren. Ein Strafantrag mittels einfacher E-Mail genügt den Anforderungen von § 158 Abs. 2 StPO aF nicht (s. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2022 – 5 StR 398/21, BGHSt 67, 69). Im Übrigen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Einreichung elektronischer Dokumente gemäß § 32a StPO gewahrt wurden.

b) Für die Nachprüfung war das zum Zeitpunkt des Verfahrensgeschehens geltende Recht zugrunde zu legen. Es ist rechtlich daher ohne Belang, dass mit dem Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz vom 12. Juli 2024, in Kraft getreten am 17. Juli 2024 (BGBl. I Nr. 234), das in § 158 Abs. 2 StPO aF geregelte Schriftformerfordernis ersetzt wurde und der Antragsteller nunmehr zur Wahrung der Form nur noch die Identität und seinen Verfolgungswillen sicherstellen muss.

aa) Nach der Neufassung soll die Möglichkeit der elektronischen Antragstellung abseits der Schriftform und den strengen Voraussetzungen des § 32a StPO ausgeweitet werden, sofern sich aus der Antragstellung Identität und Verfolgungswille – gegebenenfalls im Wege der Auslegung – eindeutig entnehmen lassen. Für einen formgerechten Antrag ist deshalb nunmehr ausreichend, dass aus der Erklärung des Antragstellers und den Umständen ihrer Abgabe unzweifelhaft hervorgeht, von wem sie herrührt und dass sie mit Wissen und Wollen des Berechtigten der zuständigen Stelle zugeleitet worden ist. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich hierzu, dass die Ermittlungsbehörden die Identität und den Verfolgungswillen dabei auch auf andere Weise oder sogar erst im Nachgang zu einer Erklärung feststellen können. Dies soll insbesondere dann der Fall sein, wenn eine Antragstellung über eine bereits dienstlich bekanntgewordene E-Mail-Adresse oder im Rahmen eines bestehenden Austauschs zwischen der Polizei und dem Antragsteller eine Feststellung der Identität hinreichend ermöglicht. Ein Anbringen des Antrags per einfacher E-Mail soll deshalb nunmehr zur Wahrung des Formerfordernisses ebenfalls möglich sein (s. BT-Drucks. 20/10943 S. 49 f.).

Die aufgrund der geänderten Gesetzeslage geringeren Voraussetzungen hätte der Geschädigte erfüllt. Denn er übersandte nach Aufforderung der Polizei infolge eines vorangegangenen Austauschs fristgerecht per einfacher E-Mail seinen Strafantrag, so dass seine Identität und sein Verfolgungswille eindeutig festzustellen waren.

bb) Die Gesetzesänderung findet allerdings keine rückwirkende Anwendung. Eine entsprechende Regelung enthält das Gesetz nicht. Die Neufassung der Vorschrift führt nicht dazu, dass der ursprünglich formwidrige Strafantrag nunmehr als wirksam eingelegt gilt. Denn das Verfahrensgeschehen war zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der dreimonatigen Antragsfrist bereits abgeschlossen, weil ein den Voraussetzungen des § 158 Abs. 2 StPO aF entsprechender Strafantrag zuvor nicht gestellt worden war. Im Einzelnen:

(1) Neues Verfahrensrecht gilt, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, auch für bereits anhängige Verfahren. Es erfasst sie in der Lage, in der sie sich beim Inkrafttreten der neuen Rechtsvorschriften befinden; laufende Verfahren sind nach diesen weiterzuführen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. September 1951 – 1 BvR 61/51, BVerfGE 1, 4, 6; vom 31. Mai 1960 – 2 BvL 4/59, BVerfGE 11, 139, 146; vom 7. Juli 1992 – 2 BvR 1631/90 u.a., BVerfGE 87, 48, 64). Der Grundsatz findet Anwendung auf Vorschriften, die das Verfahren des Gerichts regeln, auf Bestimmungen, welche die Stellung von Verfahrensbeteiligten im Prozess, ihre Befugnisse und Pflichten betreffen, sowie auf Normen über die Vornahme und Wirkungen von Prozesshandlungen Beteiligter (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 1969 – 4 StR 357/68, BGHSt 22, 321, 325; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 354a Rn. 4; ferner MüKoStPO/Kudlich, 2. Aufl., Einl. Rn. 608 f.). Er erfasst Fälle, in denen die Strafverfolgung von einem wirksamen Strafantrag abhängig ist (s. LR/Kühne, StPO, 27. Aufl., Einl. Abschn. E Rn. 20; LR/Stuckenberg aaO, § 206a Rn. 36, 60 mwN). Hieraus folgt zudem, dass eine fehlende Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Prozesshandlung grundsätzlich noch in jeder Lage des Verfahrens nachgeholt werden kann. Darunter fällt auch das Revisionsverfahren (vgl. etwa für den – noch fristgerechten – Strafantrag oder die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung BGH, Urteile vom 26. Ju­ni 1952 – 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; vom 1. Juli 1954 – 3 StR 869/53, BGHSt 6, 282, 285).

(2) Der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts findet jedoch dort seine Grenze, wo es sich – wie hier – um ein bereits beendetes prozessuales Geschehen handelt. Denn neu geschaffenes formelles Recht kann ohne ausdrückliche anderweitige Regelung keine rückwirkende Kraft entfalten (vgl. LR/Kühne, StPO, 27. Aufl., Einl. Abschn. E Rn. 16 f. mwN). Der Geschädigte hatte nach Kenntniserlangung von der Tat und der Person des Täters keinen formgerechten Strafantrag binnen der dreimonatigen Ausschlussfrist gestellt, so dass das Beleidigungsdelikt zu seinem Nachteil mit deren Ablauf vor der Gesetzesänderung nicht mehr verfolgt werden konnte. Das Fristversäumnis begründet mithin eine insoweit abgeschlossene Prozesslage. Das Verfahren wegen der in Rede stehenden Beleidigung wäre schon damals einzustellen gewesen.

(3) Daraus, dass eine Strafverfolgung wieder zulässig wird, wenn der Gesetzgeber nach fruchtlosem Ablauf der Strafantragsfrist nachträglich ein absolutes in ein relatives Antragsdelikt umwandelt und die Staatsanwaltschaft noch während des laufenden Verfahrens das besondere Interesse an der Strafverfolgung bejaht (hierzu BGH, Urteil vom 15. März 2001 – 5 StR 454/00, BGHSt 46, 310, 317 ff.), folgt kein Wertungswiderspruch. Insoweit besteht zwischen dieser und der hier zu beurteilenden Konstellation ein grundlegender struktureller Unterschied, der eine abweichende rechtliche Beurteilung rechtfertigt. Denn die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses ist gerade nicht fristgebunden und führt unabhängig von dem fehlenden Strafantrag zur Verfolgbarkeit der Tat. Nach einer solchen Gesetzesänderung kann somit die Staatsanwaltschaft dieses Interesse bekunden, nachdem die Strafantragsfrist verstrichen ist.

News: BGH klärt verfahrensrechtliche Streitfrage, oder: AnomChat-Daten bei schweren Straftaten verwertbar

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Mein Coautor RiOLG T. Hillenbrand weist mich gerade auf die PM 2/2025 des BGH hin, die über das BGH, Urt. v. 09.01.2025 – 1 StR 54/24 – berichtet. Das verhält sich zur Verwertbarkeit von Anom-Chat-Daten. Der BGH sieht sie als zur Aufklärung schwerer Straftaten verwertbar an.

Damit ist auch die Streitfrage, wenn es denn noch ernsthaften Streit dazu gegeben hat, erledigt. Mich überrascht die Entscheidung nicht.

Hier die PM:

„Urteil vom 9. Januar 2025 – 1 StR 54/24

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 20. Oktober 2023 in weiten Teilen verworfen; allein wegen des Inkrafttretens des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 ist zum Strafmaß, im Übrigen wegen insoweit lückenhafter Feststellungen zur Vermögensabschöpfung neu zu verhandeln.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 35 Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie die Einziehung von Taterlösen über mehr als 500.000 Euro angeordnet. In neun Fällen waren zentrale Beweismittel Nachrichten des Angeklagten, die dieser zur Organisation des Drogenhandels über eine in der Taschenrechnerfunktion seines Mobiltelefons versteckten App „Anom“ versandt hatte. Der Angeklagte hat mit seiner Revision gerügt, dass diese über das Justizministerium der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) erlangten Daten nicht als Beweismittel in seinem Strafverfahren hätten verwertet werden dürfen.

Der Bundesgerichtshof hat diese Beanstandung als nicht durchgreifend angesehen. Er hat entschieden, dass die von den USA übermittelten Daten als Beweismittel verwertbar sind, wenn sie wie hier der Aufklärung schwerer Straftaten dienen.

1. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag folgender Sachverhalt

zugrunde:

a) Nach den vom Angeklagten mit seiner Revision vorgelegten umfangreichen Unterlagen ermittelten US-Behörden gegen ein Unternehmen, das Kryptomobiltelefone ausschließlich an Mitglieder krimineller Vereinigungen zur verschlüsselten Kommunikation veräußerte. Nach Einleitung von Strafverfahren gegen Verantwortliche dieses Unternehmens ließ das Federal Bureau of Investigation (FBI) eigens entwickelte Kryptomobiltelefone mit dem Namen „Anom“ an kriminelle Organisationen veräußern. Obwohl jedes Anom-Gerät Ende-zu-Ende verschlüsselt war, verfügte das FBI ohne Wissen der Nutzer über die Codes, um jede Nachricht zu entschlüsseln. Der Server, an den bei Versand einer Nachricht eine Kopie gesendet wurde, stand nach Auskunft des US-Justizministeriums seit Sommer 2019 in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, dessen Identität das FBI auf dessen Bitte nicht preisgab; auch warum der Drittstaat um Geheimhaltung bat, ist unbekannt. Jedenfalls sei dort im Oktober 2019 ein Gerichtsbeschluss ergangen, der ein Kopieren des Servers und den Empfang seiner Inhalte ermöglichte.

b) Im Rechtshilfeverkehr leitete der EU-Staat die Anom-Server-Daten an das FBI weiter. Das Aus- und Weiterleiten der Daten war nach dem Gerichtsbeschluss zeitlich bis zum 7. Juni 2021 begrenzt. Das Bundeskriminalamt erhielt über eine internetbasierte Auswerteplattform informatorisch Zugang zu den dekryptierten Inhaltsdaten mit Deutschlandbezug. Am 31. März 2021 leitete die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main Verfahren gegen die Nutzer der Anomkryptohandys ein und stellte am 21. April 2021 ein Rechtshilfeersuchen an das US-Justizministerium, das mit Schreiben vom 3. Juni 2021 der Verwertung der übersandten Daten zustimmte.

2. Folgende rechtliche Erwägungen waren für den Bundesgerichtshof

maßgeblich:

a) Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung von Beweisen im Strafprozess ist § 261 StPO. Dies gilt auch für im Wege der Rechtshilfe erlangte Daten. Eine ausdrückliche Regelung, dass solche Beweise nur eingeschränkt verwendet werden dürfen, enthält das deutsche Recht nicht.

b) Das von der Revision geltend gemachte Beweisverwertungsverbot besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

aa) Die Frage, ob ein solches Verbot besteht, ist ausschließlich nach deutschem Recht zu beantworten. Die ausländischen Ermittlungsmaßnahmen waren nicht am Maßstab des ausländischen Rechts zu überprüfen. Es ist auch nicht entscheidend, ob die deutschen Ermittlungsbehörden in gleicher Weise hätten vorgehen dürfen.

bb) Gegen menschenrechtliche Grundwerte oder gegen grundlegende Rechtsstaatsanforderungen im Sinne eines im Rechtshilfeverkehr zu prüfenden „ordre public“ wurde nicht verstoßen. Denn die Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis waren begrenzt. Die Maßnahmen richteten sich ausschließlich gegen Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für die Beteiligung an Straftaten der organisierten Kriminalität, insbesondere im Bereich des Betäubungsmittel- und Waffenhandels, bestanden. Schon angesichts der hohen Kosten und des auf kriminelle Kreise beschränkten Vertriebswegs (‚designed by criminals for criminals“) begründete bereits der Erwerb eines Anom-Handys den Verdacht, dass der Nutzer das Gerät zur Planung und Begehung schwerer Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität einsetzte. Auch der Umstand, dass der Angeklagte nicht unmittelbar die im Drittland ergangenen Beschlüsse angreifen konnte sowie die Existenz und der Inhalt derselben der deutschen Strafjustiz nur vom Hörensagen bekannt sind, führt in der Gesamtabwägung nicht zur Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens.“

StPO II: Wenn der Eröffnungsbeschluss fehlt, oder: Reichen „Ersatzentscheidungen“?

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Im zweiten Posting dann zwei BGH-Entscheidungen zum fehlenden Eröffnungsbeschluss.

Im BGH Beschl. v. – 4 StR 167/24 – geht es um die Frage, ob ggf. u.a. ein Verbindungsbeschluss ggf. den fehlenden – ausdrücklichen – Eröffnungbeschluss ersetzt hat. Dazu der BGH:

„…..Zwar enthält die Strafprozessordnung keine spezielle Formvorschrift für den Eröffnungsbeschluss; dennoch bedarf es im Hinblick auf seine Bedeutung als Grundlage des Hauptverfahrens und mit Rücksicht auf die Erweislichkeit der Beschlussfassung in weiteren Verfahrensstadien regelmäßig einer schriftlichen Niederlegung der Entscheidung (vgl. 2 StR 199/17; Beschluss vom 3 StR 484/10, BGHR StPO § 207 Beschluss 1). Eine dahingehende Entscheidung ist weder ausdrücklich ergangen noch kann dem Verfahrensgang mit der erforderlichen Sicherheit konkludent eine von Seiten des Gerichts schlüssige und eindeutige Willenserklärung dieses Inhalts entnommen werden (vgl. , NStZ 2016, 747 mwN; Beschluss vom – 3 StR 493/87 Rn. 8).

aa) Insbesondere kommt dem Verbindungsbeschluss des Schöffengerichts vom kein entsprechender Erklärungsgehalt zu. Dies kann zwar ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn das verbindende Gericht die Eröffnungsvoraussetzungen erkennbar selbst geprüft hat und sich seiner eigenen Eröffnungsentscheidung bewusst war (vgl. Rn. 4; Beschluss vom – 3 StR 194/20; MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 207 Rn. 30 mwN). Hierfür gibt es vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte; namentlich ergibt sich dies nicht aus dem Beschlusswortlaut, der sich im Wesentlichen auf die Auflistung der zu verbindenden Verfahren beschränkt. Dass das Schöffengericht seinem Verbindungsbeschluss vom einen solchen Erklärungswert nicht beilegen wollte, lässt sich zudem aus einem Vergleich mit dem gerichtlichen Vorgehen in Zusammenhang mit dem weiteren Verbindungsbeschluss vom ableiten. Hier hat das Schöffengericht am Tag der Verbindung hinsichtlich der den weiter hinzuverbundenen Verfahren zu Grunde liegenden Anklagen gesonderte Eröffnungsbeschlüsse erlassen.

bb) Der Eröffnungsbeschluss ist auch nicht im weiteren Verfahren wirksam nachgeholt worden. Der im führenden Verfahren erlassene Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO, welchem ein solcher Bedeutungsgehalt grundsätzlich beigemessen werden kann (vgl. ; Beschluss vom – 4 StR 606/97 Rn. 8), datiert bereits vom ; er verhält sich nicht zu den Taten aus der Anklage vom .

Ebensowenig ist die zunächst unterbliebene Eröffnung des Hauptverfahrens noch während laufender Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht nachgeholt worden (vgl. hierzu 2 StR 45/14 Rn. 8; Beschluss vom 1 StR 213/79, BGHSt 29, 224, 228). Eine mündliche Verkündung und Protokollierung in der Sitzungsniederschrift genügt zwar grundsätzlich dem Schriftformerfordernis (4 StR 59/01 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 207 Rn. 8). Der vorliegend protokollierten Anordnung der Verlesung der Anklage vom im Hauptverhandlungstermin am kann ein eindeutiger Erklärungsinhalt im Sinne einer diesbezüglichen Eröffnung des Hauptverfahrens jedoch schon deshalb nicht entnommen werden, weil zugleich (irrtümlich) auf einen vorliegenden Eröffnungsbeschluss vom Bezug genommen worden ist, der die zeitlich nachfolgende Anklage vom nicht erfasst. Vor diesem Hintergrund bedarf die Frage, ob eine derartige Maßnahme der Verhandlungsleitung überhaupt geeignet sein kann, um mit hinreichender Sicherheit erkennen zu lassen, dass der gem. § 30 Abs. 2 GVG für die Nachholung des Eröffnungsbeschlusses zuständige Amtsrichter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen hat, hier keiner Entscheidung (zur erforderlichen Besetzung vgl. 2 StR 199/17 Rn. 9; 2 Rev 9/21 ? jew. mwN).

Auch die Verweisung durch das Schöffengericht an die große Strafkammer nach § 270 Abs. 1 StPO kann vorliegend den fehlenden Eröffnungsbeschluss nicht nach § 270 Abs. 3 StPO ersetzen. Dafür wäre erforderlich gewesen, dass das verweisende Gericht – anders als hier – die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft hat. Denn der Verweisungsbeschluss kann nur an die Stelle eines früheren Eröffnungsbeschlusses treten, einen solchen aber nicht ersetzen (vgl. Rn. 6 mwN). Schließlich hat auch im Verfahren vor der Strafkammer in Bezug auf die Anklage vom keine Nachholung der Eröffnungsentscheidung stattgefunden. Für eine entsprechende Auslegung der Übernahmeerklärung vom besteht schon deshalb kein Raum, weil die Strafkammer im selben Beschluss explizit eine Eröffnungsentscheidung hinsichtlich der Anklage vom nachgeholt hat. Die Dokumentation einer Nachholung des Eröffnungsbeschlusses in der anschließenden Hauptverhandlung vor der Strafkammer scheitert bereits daran, dass die Strafkammer lediglich mit zwei Berufsrichtern verhandelt hat.

c) Das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilaufhebung und Einstellung des gerichtlichen Verfahrens nach § 206a StPO mit der Kostenfolge gem. § 467 Abs. 1 StPO (vgl. Rn. 10 mwN).“

Und dann – anders – der BGH, Beschl. v. 06.11.2024 – 4 StR 383/24:

„Ein Verfahrenshindernis wegen des Fehlens eines Eröffnungsbeschlusses der Strafkammer liegt nicht vor. Zwar ist ein schriftlicher Beschluss nach § 203 StPO nicht zu den Akten gelangt. Zur Eröffnung des Hauptverfahrens genügt jedoch die schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2020 – 3 StR 194/20 mwN; zum Erfordernis der schriftlichen Niederlegung BGH, Beschluss vom 16. August 2017 – 2 StR 199/17 Rn. 6). Ob diese Wirkung bereits dem auf die angeklagten, insbesondere auf sämtliche letztlich verurteilungsgegenständlichen Taten bezogenen Haftbefehl der Strafkammer vom 17. Oktober 2023 zukam, erscheint zweifelhaft, weil dieser zwar auch auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt und somit der Sicherung des Strafverfahrens insgesamt zu dienen bestimmt war, einen eindeutigen Bezug auf das vor der Strafkammer durchzuführende Hauptverfahren aber nicht erkennen ließ (vgl. demgegenüber BGH, Beschluss vom 5. August 2020 – 3 StR 194/20 [Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO]; Beschluss vom 5. Februar 1998 – 4 StR 606/97, juris Rn. 8 [Haftbefehl nach § 114 StPO und Besetzungsbeschluss nach § 76 Abs. 2 GVG]). Auch aus der protokollierten Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung vermag der Senat – entgegen der Rechtsauffassung des Generalbundesanwalts – keine sicheren Schlüsse auf den Eröffnungswillen der Kammer zu ziehen, weil diese in der Hauptverhandlung anders als nach § 203 StPO erforderlich nicht mit drei Berufsrichtern besetzt war.

Die Frage kann indes offenbleiben, denn der Senat entnimmt den eindeutigen Ausdruck des Eröffnungswillens der Strafkammer jedenfalls dem Zusammenhang des Haftbefehls und der weiteren getroffenen Haftentscheidung der Strafkammer vom 29. November 2023. Mit diesem – durch drei Berufsrichter gefassten – Beschluss hat das Landgericht den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Dies geschah auf einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft, der mit der vorausgegangenen Mitteilung der Strafkammer begründet worden war, dass wegen der „begrenzten zeitlichen Kapazitäten der Verteidigung“ die Hauptverhandlung vor der Kammer erst im Januar 2024 beginnen könne. Angesichts dessen war der Wille der Kammer, das Hauptverfahren hinsichtlich der urteilsgegenständlichen Taten vor ihr zu führen, für alle Beteiligten zweifelsfrei ersichtlich.“

 

StPO II: Wenn die Beschuldigtenvernehmung „platzt“, oder: Endgerätedurchsicht vor Ort vor Beschlagnahme

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Und dann als zweite Entscheidung – ebenfalls aus Bayern – der LG München I, Beschl. v. 18.1.2024 – 19 Qs 24/24.

Ergangen ist der Beschluss in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Erpressung. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, bezugnehmend auf ein Schreiben in einer Zwangsvollstreckungssache, mit welchem er wegen eines nicht beglichenen Rundfunkbeitrags in Höhe von 376,06 EUR zur Abgabe einer Vermögensauskunft geladen wurde, in einem Schreiben vom 17.04.2023 gegenüber pp. ARD ZDF Deutschlandradio, erklärt zu haben, dass er die Ladung als Angebot sehe, welche er u.a. unter die Bedingung stelle, dass sie ihm binnen einer Frist von 21 Tagen „eine amtliche Legitimation“ in notarieller Form und die „Gründungsurkunde des Staates“ vorlegen. Sofern dies nicht geschehe, habe dies die „unwiderrufliche“ und „absolute Zustimmung“ zu einem „privaten kommerziellen Pfandrecht in Höhe von 700.000 EUR“ zu seinen Gunsten zur Folge. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 17.04.2023.

Die Staatsanwaltschaft hat auf der Grundlage dieses Schreibens die Polizei beauftragt, den Beschuldigten im Strafverfahren zu vernehmen. Die Polizei teilt dann mit, dass der Beschuldigte bereits am 01.07.2023 von seiner ursprünglichen Wohnadresse in Unterhaching nach 04519 Rackwitz verzogen sei, wo er auch einwohnermelderechtlich gemeldet sei. Daraufhin teilte die Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei mit, dass unter diesen Umständen keine weiteren Maßnahmen – wie beispielsweise die Einvernahme im Rahmen eines Ermittlungsersuchens an die für seinen Wohnsitz zuständige Kriminalpolizei – veranlasst seien.

Stattdessen beantragte die Staatsanwaltschaft München I einen Durchsuchungsbeschluss gegen den Beschwerdeführer an dessen Wohnsitz in Rackwitz. Der wird erlassen und vollzogen. Beschlagnahmt werden1 Dell PC Tower mit Kabel, 1 USB-Stick EMTEC, 1 Mobiltelefon Microsoft, 1 Mobiltelefon Nokia und 1 Klapp-Handy Nokia. Dagegen die Beschwerde des Beschuldigten,die Erfolg hatte:

„Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung und die Beschwerde gegen die Beschlagnahmebestätigung der konkret beschlagnahmten Gegenstände erweisen sich in der Sache als erfolgreich, da zwar ein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer bestand, jedoch aufgrund des Zeitablaufs von mehreren Monaten nur noch eine geringe Auffindevermutung bestand und sowohl die Durchsuchung als auch die Beschlagnahme mangels Verhältnismäßigkeit rechtswidrig waren.

a) Bei jeder Anordnung einer Durchsuchung gem. §§ 102, 105 Abs. 1 S. 1 StPO ist aufgrund der Erheblichkeit des Eingriffs der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Teilurteil vom 5. August 1966 – 1 BvR 586/62, 610/63, 512/64). Die Durchsuchung muss den Erfolg versprechen, geeignete Beweismittel zu erbringen. Auch muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen.

Ferner muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und
der Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02).

Mit diesen Voraussetzungen setzt sich der amtsgerichtliche Beschluss nicht weiter auseinander. Er enthält neben der Vermutung, die Durchsuchung werde zum Auffinden von Beweismitteln, insbesondere Speichermedien und EDV führen, keine weiteren Ausführungen. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe hätte sich dem Amtsgericht bei seiner Entscheidung jedoch aufdrängen müssen, dass bereits Zweifel an der Auffindevermutung und Erforderlichkeit der Maßnahme bestehen – welchen durch Aufnehmen einer Abwendungsbefugnis hätte begegnet werden können – sie aber jedenfalls unangemessen ist und somit im vorliegenden Fall das Schutzinteresse aus Art. 13 GG gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates überwiegt (vgl. LG Hamburg Beschl. v. 26.7.2022 – 631 Qs 17/22, BeckRS 2022, 35057).

Denn dafür, dass der Beschuldigte tatsächlich noch im Besitz einer digitalen Form des Schreibens vom 17.04.2023 stehen könnte, bestanden bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses am 07.02.2024 angesichts des Zeitablaufs von 10 Monaten zumindest Zweifel. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Durchsuchung tatsächlich erst am 29.05.2024 – mithin erst über ein Jahr nach der Verfassung des gegenständlichen Schreibens vollzogen wurde – erachtet die Kammer die Durchführung der Durchsuchung zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht mehr als erfolgsversprechend.

Zudem bestehen Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme. Denn auch die Staatsanwaltschaft München I hielt ursprünglich keine weiteren Ermittlungsmaßnahmen für erforderlich, um den Tatnachweis zu führen. Ausweislich des Akteninhalts sollte vor Abschluss des Verfahrens ursprünglich lediglich eine Beschuldigtenvernehmung durchgeführt werden, sodass die Akte zu diesem Zweck der Polizei zugeleitet wurde.

Erst als die Polizei nach weiteren 5 Monaten mitteilte, dass der Beschwerdeführer nicht mehr im Zuständigkeitsbereich wohnhaft sei und bislang nicht vernommen worden sei, beantragte die Staatsanwaltschaft München I einen Durchsuchungsbeschluss, obwohl seither keine weiteren Ermittlungsergebnisse dazugekommen waren, welche nunmehr weitere Maßnahmen zur Verfolgung der im Raum stehenden Straftat nachvollziehbar erscheinen lassen. Dass ein Termin zur Beschuldigtenvernehmung nicht zustande kam, für den der Beschwerdeführer offiziell auch nicht geladen wurde, kann jedenfalls nicht zulasten des Beschwerdeführers gehen und nicht den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses begründen.

b) Hinsichtlich der Beschlagnahmebestätigung ist anzuführen, dass die Beschlagnahme sämtlicher beim Beschwerdeführer vorgefundener EDV in Form von einem Dell PC Tower mit Kabel, einem USB-Stick EMTEC, seinem Mobiltelefon Microsoft, einem Mobiltelefon Nokia und einem Klapp-Handy Nokia (Bl. 86) außer Verhältnis zu dem Eingriff auf das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung steht.

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist von dem Grundrecht aus Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG verbürgt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 [43] = NJW 1984, 419). Das Grundrecht dient dabei auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Aus-übung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Die Freiheit des Einzelnen, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden, kann dadurch wesentlich gehemmt werden. Auch das Gemeinwohl wird hierdurch beeinträchtigt, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist (vgl. BVerfGE 65, 1 [43] = NJW 1984, 419).

Demnach sind bei dem Vollzug der Beschlagnahme – insbesondere beim Zugriff auf umfangreiche elektronisch gespeicherte Datenbestände – die verfassungsrechtlichen Grundsätze zu gewährleisten, die der Senat in seinem Beschluss vom 12.4.2005 (NJW 2005, 1917 [1921f.]) entwickelt hat. Hierbei ist vor allem darauf zu achten, dass die Gewinnung überschießender, für das Verfahren bedeutungsloser Daten nach Möglichkeit vermieden wird.

Die Beschlagnahme sämtlicher gespeicherter Daten zum Zweck der Erfassung von Kommunikationsdaten, etwa des E-Mail-Verkehrs, ist dabei regelmäßig nicht erforderlich. Vielmehr muss im Regelfall wegen des von vornherein beschränkten Durchsuchungsziels die Durchsicht der Endgeräte vor Ort genügen.

Das Amtsgericht München hat in dem angegriffenen Bestätigungsbeschluss nicht berücksichtigt, dass insoweit erhöhte Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu stellen waren und hat hierzu keine Ausführungen gemacht.

Auch ist vorliegend nicht ersichtlich, warum die Beschlagnahme eines nicht internetfähigen Klapp-Handys ohne Datei-Verarbeitungsprogramm bestätigt wurde, welches offensichtlich gera-de nicht zum Verfassen, Verarbeiten oder Speichern des Schreibens genutzt werden konnte.

Auch lagen aus Sicht der Beschwerdekammer die Voraussetzungen der Einziehung nicht vor, sodass die Gegenstände nicht zur Sicherung der Vollstreckung beschlagnahmt werden konnten, § 111b Abs. 1 S. 1 StPO. Denn vorliegend sind weder der Computer des Beschwerdeführers noch sonstige Speichermedien als eigentliches Mittel der im Raum stehenden Straftat eingesetzt worden. Die dem Beschwerdeführer angelastete versuchte Erpressung war insbesondere nicht von der Verwendung der zur Einziehung angeordneten EDV und Speichermedien abhängig. Ent-sprechend unterliegt ein Computer, den der Täter zum Schreiben eines – später abgesandten – Briefes mit strafrechtlich relevanten Inhalt benutzt hat, nicht der Einziehung nach § 74 StGB (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23-12-1992 – 5 Ss 378/92, 5 Ss 120/92 I).

c) Wegen des hohen Eingriffs in das Rechtsgut der Unverletzlichkeit der Wohnung erachtet
die Kammer angesichts des im Raum stehenden Delikts des Versuchs einer Erpressung, der Tatsache, dass der Beschwerdeführer strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist und des dargestellten Zeitablaufs die Anordnung der Durchsuchung und die Bestätigung der Beschlagnahme als nicht mehr angemessen und insgesamt unverhältnismäßig.“