Archiv der Kategorie: Nebengebiete

Strafe II: Zwei Entscheidungen aus dem Jugendrecht, oder: Schwere der Schuld und Einheitsjugendstrafe

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Und dann im zweiten Postingzwei Entscheidungen aus dem Jugendstrafrecht.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 13.09.2023 – 5 StR 205/23. Er betrifft die Jugendstrafe. Es handelt sich bei der Entscheidung um einen sog. Anfragebeschluss. Der BGH möchte also die Rechtsprechnung ändern und fragt daher bei den anderen Senat wie sie es mit ggf. entgegenstehender Rechtsprechung halten, und zwar wie folgt:

2. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Die Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG, bei der wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist, setzt nicht voraus, dass bei dem Angeklagten eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit festgestellt werden kann.

Das hat der BGH umfassend begründet, und zwar so umfassend, dass ich auf das Selbstleseverfahren verweise.

Und als zweite Entscheidung noch etwas vom KG, und zwar der KG, Beschl. v. 27.12.2023 – 4 ORs 72/23. Er befasst sich mit der der sog. Einheitsjugendstrafe, und zwar:

§ 31 Abs. 2 JGG sieht grundsätzlich eine Einbeziehung bereits rechtskräftiger Entscheidungen, solange sie noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt sind, in ein neues Urteil und die Verhängung einer einheitlichen Maßnahme für alle Taten vor. Von der Einbeziehung einer früheren Verurteilung kann zwar aus erzieherischen Zweckmäßigkeitserwägungen (§ 31 Abs. 3 S. 1 JGG) abgesehen werden, hierfür müssen aber Gründe vorliegen, die unter dem Gesichtspunkt der Erziehung von ganz besonderem Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen. Erst wenn solche Gründe festgestellt sind, ist der tatrichterliche Ermessensspielraum eröffnet. Das Abstellen allein auf den Ablauf der Bewährungszeit genügt diesen Anforderungen nicht.

 

StGB AT III: Neueres zur (Wertersatz)Einziehung, oder: Erweiterte Einziehung, Gesamtstrafe, Aufwendungen

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Und dann habe ich hier noch einiges zur Einziehung (§§ 73 ff. StGB). Auch hier stelle ich nur die Leitsätze zu den Entscheidungen vor. Ich mache keinen „Einziehungstag“, dann werden die Entscheidungen zu alt.

Hier sind dann also:

Die Vorschrift des § 73a StGB ist wie seine Vorgängervorschrift § 73d StGB a.F. gegenüber § 73 StGB subsidiär und kann erst dann zur Anwendung gelangen, wenn nach Ausschöpfung aller zulässigen Beweismittel ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen des § 73 StGB erfüllt sind. Dies schließt es aus, Gegenstände der erweiterten Einziehung zu unterwerfen, die der Angeklagte aus anderen, von der Anklageschrift nicht erfassten, aber konkretisierbaren Straftaten erlangt hat; denn diese Taten können und müssen zum Gegenstand eines gesonderten Strafverfahrens gemacht werden, in dem die Voraussetzungen des vorrangig anwendbaren § 73 StGB zu prüfen sind.

Die versehentliche Nichtaufrechterhaltung einer Einziehung in einem Gesamtstrafenbeschluss ist der versehentlichen Nichtanordnung der Einziehung nicht gleichzusetzen.

1. Die Verschiebung bzw. Weiterreichung eines Wertersatzes unterliegt § 73b Abs. 2 StGB.

2. Weil ersparte Aufwendungen dort allerdings nicht erfasst werden, könnten sie auch nicht nach § 73b Abs. 1 StGB bei anderen, die nicht Täter oder Teilnehmer sind, eingezogen werden.

StGB AT I: Etwas aus der BGH-Rechtsprechung zum AT, oder: Notwehr, Täterschaft bei BtM, Rücktritt

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Heute stelle ich dann Entscheidungen zum StGB vor, und zwar nur Entscheidungen, die aus dem sog. „Allgemeinen Teil“ des StGB stammen. Auch da hat sich in der letzten Zeit einiges angesammelt, so dass ich teilweise nur die Leitsätze der Entscheidungen vorstelle.

Ich beginne hier mit drei BGH-Entscheidungen, und zwar:

1. Der Angriffene ist grundsätzlich berechtigt, das Abwehrmittel zu wählen, das eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet.

2. Unter mehreren Verteidigungsmöglichkeiten muss der Angegriffene nur dann auf ein für den Angreifer weniger gefährliches Abwehrmittel wählen, wenn ihm genügend Zeit zur Wahl des Mittels sowie zur Abschätzung der Lage zur Verfügung bleibt.

Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelstrafrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Beschränkt sich die Beteiligung am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, so kommt es nach der neueren Rechtsprechung darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt.

Ein „freiwilliger Rücktritt“ i.S. des § 24 StGB liegt vor, wenn der Täter noch „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Plans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert, noch durch einen seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Hiernach kommt neben – vom Täter wahrgenommenen – äußeren, physischen Hemmnissen auch ein nur durch innere Vorgänge bewirktes, mithin psychisches Unvermögen als der Freiwilligkeit des Rücktritts entgegenstehender Umstand in Betracht.

StGB II: Kein bewaffnetes Handeltreiben mit BtM, oder: War das Messer „bereit gelegt“?

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Und dann als zweite Entscheidung der BGH, Beschl. v. 06.12.2022 – 4 StR 284/22 – also schon ein wenig älter. Der Beschluss war leider bislang „untergegangen“.

Der BGH hat in der Entscheidung zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Stellung genommen, und zwar wie folgt:

„1. Nach den Feststellungen fuhren die Angeklagten in einem Pkw zu einem am Vortag mit dem Zeugen A.   abgestimmten Treffpunkt, um ihm dort 100 Gramm Marihuana gegen Zahlung des zuvor vereinbarten Kaufpreises von 700 Euro zu übergeben. In der Mittelkonsole des Fahrzeugs befand sich – von den Angeklagten wahrgenommen – zugriffsbereit ein Messer mit einer Klingenlänge von etwas mehr als neun Zentimetern, das die Angeklagten einige Tage zuvor bei einem Angelausflug mitgeführt hatten. Der Zeuge A. setzte sich auf die Rückbank des Fahrzeugs, nahm das Rauschgift in einem verschlossenen Gefrierbeutel entgegen und warf diesen aus dem Auto einer draußen stehenden Person zu, die damit flüchtete. Die Identität dieser Person konnte das Landgericht nicht feststellen. Der Zeuge A. und die Angeklagten verließen das Fahrzeug, unter anderem um die mit dem Marihuana flüchtende Person aufzuhalten. Dabei führte der Angeklagte D. K. das Messer bei sich. Außerhalb des Fahrzeugs kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, an der außer den Angeklagten und dem Zeugen A. der Zeuge G. beteiligt war. Den genauen Verlauf der Auseinandersetzung konnte das Landgericht nicht aufklären, insbesondere nicht, von wem jeweils der erste körperliche Übergriff ausging. Der Angeklagte R. K. schlug den Zeugen A.  mit einer Gehhilfe, mit der dieser zum Tatort gekommen war. Der Angeklagte D. K. stach mehrere Male mit dem Messer auf den Zeugen G. ein, der hierdurch erheblich verletzt wurde. Zu Gunsten beider Angeklagten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sie sich jeweils im Zeitpunkt ihrer Körperverletzungshandlung einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des Zeugen A. bzw. des Zeugen G. ausgesetzt sahen. Nach dem Ende der Auseinandersetzung sammelten die Angeklagten Teile des am Boden liegenden Marihuanas ein, das bei dem Versuch, der flüchtenden Person den Beutel zu entreißen, auf den Boden gefallen war.

2. Die Feststellungen tragen die Verurteilung der Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nicht, da sich aus ihnen nicht ergibt, dass die Angeklagten bei der Tat einen Gegenstand mit sich geführt haben, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt war.

a) Bei Waffen im technischen Sinn und den in § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b) WaffG normierten, sog. gekorenen Waffen liegt die Bestimmung durch den Täter zur Verletzung von Menschen auf der Hand, so dass es einer ausdrücklichen Erörterung in den Urteilsgründen nicht bedarf (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 1997 – 3 StR 465/97, BGHSt 43, 266, 269; Beschluss vom 8. Januar 2014 – 5 StR 542/13, NStZ 2014, 466; Beschluss vom 28. März 2019 – 4 StR 463/18, NStZ 2019, 419 Rn. 7; Maier in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 30a Rn. 122 mwN). Bei sonstigen Gegenständen, die nicht typischerweise dazu eingesetzt werden, jemanden zu verletzen, sind tatrichterliche Feststellungen zur Zweckbestimmung durch den Täter unerlässlich; dies gilt insbesondere bei Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens (BGH, Urteil vom 6. September 2017 ‒ 2 StR 280/17 Rn. 14; Beschluss vom 6. November 2012 – 2 StR 394/12, StV 2013, 704; Beschluss vom 25. Mai 2010 – 1 StR 59/10 Rn. 13; Oğlakcıoğlu in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 30a BtMG Rn. 154, jew. mwN). Allerdings kann die Annahme einer Zweckbestimmung im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nahe liegen, wenn nach den Umständen des Falles ein nachvollziehbarer Grund dafür fehlt, dass der Täter einen objektiv gefährlichen Gegenstand griffbereit mit sich führt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 – 5 StR 547/17 Rn. 30; Maier, aaO, Rn. 129).

b) Daran gemessen lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, dass das tatgegenständliche Messer bereits im Zeitpunkt der Abwicklung des Betäubungsmittelgeschäfts im Fahrzeug zur Verletzung von Menschen bestimmt war. Das Landgericht hat es lediglich als aufklappbar beschrieben und die Klingenlänge angegeben; weitergehende Beschaffenheitsangaben fehlen. Daher ist nicht zu erkennen, ob es sich um ein Messer im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 2 b) WaffG i.V.m. Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 2.1 zu § 1 Abs. 4 WaffG und damit um eine gekorene Waffe handelt (vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2017 – 2 StR 280/17 Rn. 15; Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 1 StR 78/14 Rn. 21; Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 30a Rn. 74a zur Bezeichnung als „Einhandmesser“). Die Annahme, dass die Angeklagten das Messer zu ihrer Bewaffnung in dem zur Durchführung von Betäubungsmittelgeschäften eingesetzten Kraftfahrzeug bereitgelegt hatten und sich dessen bei der Tatausführung bewusst waren (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 9. Oktober 1997 – 3 StR 465/97, BGHSt 43, 266, 270; Oğlakcıoğlu, aaO, Rn. 155 mwN), liegt nach den Umständen des Falles auch nicht auf der Hand, denn nach den Feststellungen kommt auch in Betracht, dass sie es aus Anlass des Angelausflugs einige Tage zuvor im Auto aufbewahrten.

c) Auch eine nach der Übergabe der Betäubungsmittel spontan gefasste Zweckbestimmung im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG durch den Angeklagten D.K. lässt sich den Feststellungen nicht eindeutig entnehmen. Zwar kann der Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens auch dann noch erfüllt sein, wenn der Täter den Gegenstand erst in der Schlussphase des Betäubungsmittelgeschäfts vor dessen Beendigung mit einer entsprechenden Zweckbestimmung bei sich führt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2019 – 4 StR 461/18 Rn. 9; Beschluss vom 21. Mai 1999 – 2 StR 154/99, NStZ 1999, 467; Beschluss vom 14. November 1996 – 1 StR 609/96, NStZ 1997, 137; Maier, aaO, Rn. 170; Oğlakcıoğlu, aaO, Rn. 175, jew. mwN). Danach kann ein Waffeneinsatz im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auch dann noch in Betracht kommen, wenn der Erwerber noch keine sichere Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel erlangt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2019 – 4 StR 461/18 Rn. 9; Beschluss vom 15. November 2016 – 3 StR 344/16 Rn. 5). Den Feststellungen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass der nach § 32 Abs. 1 StGB gerechtfertigte Messer-einsatz gegen den Zeugen G.     in einem Zusammenhang mit der beabsichtigten Wiedererlangung des Rauschgifts stand. Denn die Strafkammer vermochte nicht festzustellen, dass es sich bei dem Zeugen G.     um diejenige Person handelte, die zuvor mit dem Marihuana geflüchtet war. Auch dazu, wer den Versuch unternommen hat, der flüchtenden Person das Marihuana zu entreißen, verhalten sich die Urteilsgründe nicht.

Hinzu kommt, dass der Messereinsatz dem Angeklagten R.    K.    nicht nach den allgemeinen Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen wäre. Denn es ist nicht festgestellt, dass eine spontane Bewaffnung mit dem Ziel der Wiedererlangung des Rauschgifts vom gemeinsamen Tatplan umfasst war (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2003 – GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 192 ff.; Maier, aaO, Rn. 146, 153 mwN). Auf den von dem Angeklagten R.    K.     geführten Schlag mit der Gehhilfe kann aus den vorgenannten Gründen nicht abgestellt werden, weil sich auch bezogen auf diesen ein Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelgeschäft nicht herstellen lässt.“

StPO I: Anordnung der DNA-Identitätsfeststellung, oder: Jugendtümliche Tat eines Jugendlichen

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Und dann Start in die 4. KW, und zwar mit zwei Entscheidungen zu Ermittlungsmaßnahmen, also mal wieder StPO.

Ich beginne mit dem LG Essen, Beschl. v. 08.01.2024 – 64 Qs 26/23, der sich zur Anordnung einer Maßnahme nach § 81g StPO äußert. Dem Beschuldigten, einem Jugendlichen, wird vorgworfen, zusammen mit vier Mittätern, bei einem „Drogenankauf“ den Verkäufer überfallen une beraubt zu haben. Deswegen ist ein Verfahren wegen schweren Raubes gegen den Beschuldigten anhängig. In dem Verfahren ist vom AG auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Entnahme von Körperzellen bei dem Beschuldigten gemäß § 81g StPO sowie die Untersuchung molekulargenetischen Materials bei dem Beschuldigten gemäß § 81g StPO für zukünftige Identitätsfeststellungen angeordnet worden. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten, die Erfolg hatte.

Das LG stellt zunächst fest, dass der Beschuldigte vor der Anordnung nicht ausreichend angehört worden ist. Das hat das LG aber im Beschwerdeverfahren nachgeholt und es entscheidet dann in der Sache:

„3. Die Voraussetzungen für die Anordnung der beantragten Maßnahmen liegen jedoch nicht vor.

Die Entnahme und die Untersuchung der Körperzellen sind grundsätzlich auch im anhängigen Strafverfahren zulässig. Zum Schutz des Betroffenen stellt § 81 g StPO strengere Voraussetzungen auf, die unterlaufen würden, ließe man die Einbindung in eine auf der Grundlage des § 81b Alt. 2 StPO angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung zu. Auf den Verdachtsgrad kommt es nicht an, so dass ein Anfangsverdacht ausreicht. Die Anordnung einer DNA-Identitätsfeststellung setzt damit lediglich einen einfachen Tatverdacht (Anfangsverdacht) zum Zeitpunkt der Anordnung der Entnahme und der Untersuchungsanordnung nach § 81 f StPO voraus (vgl. BeckOK StPO/Goers, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 81g Rn. 1 m. w. N.). Weil der Gesetzeswortlaut von künftigen Strafverfahren und nicht von künftigen Straftaten spricht, sind die Maßnahmen auch dann zulässig, wenn es um den Nachweis einer bereits begangenen, noch nicht aufgeklärten Straftat geht (vgl. BeckOK StPO/Goers, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 81g Rn. 6).

Der Beschuldigte ist zwar wegen einer Straftat von grundsätzlich erheblicher Bedeutung, vorliegend wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes nach §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB, angeklagt, denn dabei handelt es sich um eine Straftat, welche mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stören kann und welche geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Sollte der Beschuldigte eine ähnliche Tat – erneut – verüben, so könnten dabei grundsätzlich auch Körperzellen abgesondert werden (vgl. (BeckOK StPO/Goers, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 81g Rn. 3).

Jedoch besteht entgegen der weiteren Voraussetzung des § 81g Abs. 1 S. 1 StPO derzeit aufgrund der Ausführung der Tat und der Persönlichkeit des Beschuldigten kein Grund zur Annahme, dass gegen ihn künftig Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. Denn die bisherige strafrechtliche Entwicklung des Beschuldigten spricht nicht dafür, dass er auch zukünftig gleich gelagerte Taten begehen wird.

Die Prognose künftiger Strafverfahren muss nach den Erkenntnissen bei der vorliegenden Straftat beurteilt werden. Insoweit sind konkretisierbare Anhaltspunkte für künftige gleichgelagerte Fälle erforderlich. Die künftigen Straftaten müssen Straftaten von erheblicher Bedeutung zum Gegenstand haben. Bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden kann der Umstand, dass es sich um eine jugendtypische Verfehlung handelt, die Prognoseentscheidung maßgeblich beeinflussen. Auch wenn anzunehmen ist, dass sich der Angeklagte vom Drogenmilieu gelöst hat, kann dieser Umstand einer Anordnung entgegenstehen. Bei der Art oder Ausführung der Tat spielen die Tatschwere, die kriminelle Energie und das Nachtatverhalten eine Rolle.

Bei der Persönlichkeit des Beschuldigten sind seine kriminelle Karriere, seine Vorstrafen, sein soziales Umfeld, seine psychiatrischen Erkrankungen zu berücksichtigen. Bei den sonstigen Erkenntnissen sind kriminalistische oder kriminologisch anerkannte Erfahrungsgrundsätze heranzuziehen (vgl. BeckOK StPO/Goers, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 81g Rn. 6ff. m. w. N.)

Der Beschuldigte ist nicht vorbestraft. Darüber hinaus ist zu berücksichtigten, dass die ihm vorgeworfene Tat bereits länger als dreieinhalb Jahre zurückliegt und der Beschuldigte seitdem nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.

Darüber hinaus handelt es sich bei der Tat um eine jugendtypische Verfehlung im Rahmen eines gruppendynamischen Prozesses, auch wenn die Kammer nicht verkennt, dass es sich um eine Straftat von jedenfalls mittlerer Kriminalität handelt.

Die Anordnung wäre vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen sowie unter Berücksichtigung dessen, dass der Beschuldigte bei der ihm vorgeworfenen Tat erst 19 Jahre alt war, auch unverhältnismäßig. Denn bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden ist zu berücksichtigen, dass der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts auf eine möglichst weitgehende soziale Integration abzielt. Deshalb ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit abzuwägen, ob durch die Speicherung des Identifizierungsmusters dem Jugendlichen eine Brandmarkung droht, die seiner sozialen Integration entgegenstehen kann (BeckOK StPO/Goers, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 81g Rn. 3). Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden besonders restriktiv zu handhaben. So unterliegen jugendliche Straftäter im pubertären Alter – wie hier der zur Tatzeit 19-jährige Beschuldigte – anlässlich des natürlichen Selbstfindungsprozesses erheblichen Integrations- und Anpassungskonflikten, die sich vielfach in Verhaltensunsicherheit und gesteigertem Abweichungspotenzial ausdrücken. Die Verhaltensunsicherheit des Jugendlichen bzw. des Heranwachsenden kann dazu führen, dass er unfähig ist, Aggressionen und Bedürfnissen sozialadäquat Ausdruck zu verleihen, so dass die Ausübung körperlicher Gewalt oft zur einzigen Möglichkeit wird, diese zu artikulieren. Dies lässt sich dann als Mittel deuten, dem jugendlichen Streben nach Anerkennung und Selbstbehauptung – zumindest physisch – gerecht zu werden. Folglich werden beispielsweise Körperverletzungsdelikte als „jugendtypisch“ beschrieben. Das subjektive Bedürfnis nach Anbindung an eine Gruppe ist – im Vergleich zu Erwachsenen – bei Jugendlichen und Heranwachsenden gesteigert. In der Gruppe verringern sich Hemmungen gegenüber delinquentem Verhalten und Verantwortungsgefühl gegenüber Dritten, und die Begehung einer Straftat unterliegt vermehrt dem Einfluss gruppendynamischer Prozesse. Dies führt dazu, dass jugendliche Delinquenz typischerweise vorübergehend ist, die Mehrzahl jugendlicher Täter mithin lediglich einmal bzw. innerhalb einer bestimmten Lebensphase mehrfach bis zum effektiven Eingreifen der staatlichen Sanktionen strafrechtlich in Erscheinung tritt (vgl. LG Hannover, Beschluss vom 3. Juli 2014 – 31 Qs 3/14 –, Rn. 19, juris). Von einem solchen lediglich vorübergehend auftretenden delinquenten Verhalten ist nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall des bisher noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getretenen Beschuldigten aus den oben bereits genannten Gründen auszugehen.“