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StGB II: Strafantragsfrist bei Internetbeleidigung, oder: „„kinderspritzarzt Nummer 1, der keine Skrupel kennt“

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Im zweiten Posting dann etwas aus dem Bereich der Beleidigungsdelikte, und zwar den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.03.2025 – 3 ORs 310 SRs 59/25.

Der der Angeklagten zur Last gelegte Vorwurf stammt noch aus der Corona-Zeit. Das AG hatte wegen Beleidigung eines Arztes verurteilt. Nach den Feststellungen des AG hat die Angeklagte am 20.10.2022 gegen 10:57 Uhr als Nutzerin des Twitter-Accounts „pp.“ den Kinderarzt pp. mit den Worten „kinderspritzarzt Nummer 1, der keine Skrupel kennt“ beleidigt und den Hashtag „#Genozid“ angehängt, um ihre Missachtung auszudrücken. Dem Tweet habe sie einen auf BR24 veröffentlichten Beitrag über den Geschädigten mit dessen Bild beigefügt. Die Sprungrevision hatte beim OLG Erfolg.

„1. Ein Verfahrenshindernis liegt entgegen der Auffassung des Verteidigers allerdings nicht vor. Insbesondere fehlt es nicht an einem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen innerhalb der Frist des § 77b StGB eingegangenen und gemäß § 158 Abs. 2 StPO formgerecht gestellten Strafantrag.

Zwar wurde der in der Hauptverhandlung verlesene Strafantrag erst am 09.01.2023 gestellt, wäh-rend die per E-Mail durch den Geschädigten gestellte Strafanzeige bereits am 07.08.2022 einge-gangen war. Wäre für den Fristbeginn der dreimonatigen Strafantragsfrist nach § 77b Äbs. 1 StGB diese Strafanzeige entscheidend, so wäre die Frist am 09.01.2023 bereits abgelaufen gewesen. Allerdings beginnt der Lauf der Frist erst mit Kenntnis des Antragsberechtigten von der Tat und von der Person des Täters, § 77b Abs. 2 Satz 1 StGB. Hierzu müssen Tat und Tatbeteiligter so weitgehend konkretisiert sein, dass ein besonnener Mensch in der Lage ist zu beurteilen, ob er Strafantrag stellen soll (BGH, Beschluss vom 29.10.1998 – 5 StR 288-98 – , NJW 1999, 508, 509). Zwar muss dem Antragsteller nicht zwingend der vollständige Name des Täters bekannt sein. Allerdings muss jedenfalls eine hinreichende Individualisierbarkeit gegeben sein (BeckOK-Dallmeyer, StGB, 64. Edition, Stand: 01.02.2025, § 77b Rn. 4). Diese Voraussetzungen lagen vor dem 09.01.2023 nicht vor,

Anders als vom Verteidiger vorgetragen, sind die hierzu ergangenen Entscheidungen über die hinreichende Erkennbarkeit des Täters bei Verkehrsstraftaten (BayObLG, Beschluss vom 21.07.1993 – 2 StR RR 91/93 -, NStZ 1994, 86; OLG Stuttgart, Beschluss vom 16.03.1954 – Ws 392/53 -, NJW 1955, 73) nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. So ist in diesen Fällen eine gute Individualisierbarkeit bereits durch die Wahrnehmbarkeit eines einzigartigen Kfz-Kennzeichens gegeben. Eine solche Möglichkeit besteht bei einer Kommentierung von Beiträgen in sozialen Netzwerken im Internet gerade nicht. Diese ist gekennzeichnet durch die Nutzung von – nicht zwingend mit dem Klarnamen übereinstimmenden – Profilnamen. Häufig werden Abkürzungen, Verfremdungen des Namens oder gänzliche Fantasienamen kreiert. In vielen Fällen wird auch ge-zielt ein fremder Name benutzt. Allein durch die Kenntnis eines Profilnamens gelingt dem Anzei-geerstatter daher noch keine Individualisierung. Diese kann lediglich durch – den Ermittlungsbe-hörden vorbehaltene – Auskünfte des jeweiligen Plattformbetreibers und anschließende Provider-anfragen erfolgen. Selbst diese führen aufgrund falscher E-Mail-Adressen oder fehlender Zuor-denbarkeit einer Mobiltelefonnummer zu einer bestimmten Person häufig nicht zu der Ermittlung eines Tatverdächtigen. Der Anzeigeerstatter hatte daher bei Kenntnis des Kommentars am 07.08.2022 noch keinerlei Kenntnis über die hinter dem Kommentar stehende Person und auch keine Möglichkeit, diese näher zu identifizieren.

Hinzu kommt, dass der Grund für die geringen Anforderungen an die Kenntnis des Täters in den beiden zitierten Entscheidungen auch darin liegt, dass bei Straßenverkehrsstraftaten die Kenntnis von Namen und Lebensumständen des dem Geschädigten meist unbekannten Täters für die Frage der Antragstellung ohne Bedeutung ist (so ausdrücklich OLG Stuttgart, a. a. 0.). Anders gelagert sind dagegen die Fälle im Internet eingestellter Kommentare. Hier wird für den Anzeigeerstat-ter häufig die Kenntnis des Namens des Täters relevant sein, da entsprechende Kommentare oft durch dem Geschädigten bekannte Personen eingestellt werden, die der Geschädigte möglicherweise nicht anzeigen will. Die Kenntnis des Namens wird für den Anzeigeerstatter daher in der Regel wichtig sein, um herausfinden zu können, ob es sich um eine ihm bekannte oder eine ihm fremde Person handelt. Bei Äußerungen, die wie hier das berufliche Umfeld des Geschädigten betreffen, wird dieses Interesse an der Identität des Täters häufig noch stärker sein. So kann allein bei Kenntnis des Namens herausgefunden werden, ob es sich bei dem Täter um eine dem Anzeigeerstatter eventuell aus dem beruflichen Umfeld bekannte Person handelt. Des Weiteren bleibt es bei Internet-Beiträgen oft nicht bei der einmaligen Einstellung eines Betrages, sondern es kommt zu wiederkehrenden Auseinandersetzungen einer Person mit einem bestimmten Thema. Auch insoweit kann der Anzeigeerstatter nur dann herausfinden, ob es sich bei dem Verfasser um eine Person handelt, die bereits einmal einen Text über ihn verfasst hat, oder eine Person, die er – auch aus diesem Zusammenhang – noch nicht kennt.

Die für Verkehrsstraftaten in der Rechtsprechung teilweise entwickelten Grundsätze sind damit auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Besonderheiten der Tatbegehung durch Kommentierungen im Internet berücksichtigend war dem Geschädigten erst zuzumuten, Strafantrag zu stellen, nachdem er von der Polizei nach Abschluss der hierzu getätigten Ermittlungen am 09.01.2023 über den ermittelten Klarnamen der Angeklagten informiert worden war. Der an diesem Tag vom Geschädigten unterzeichnete Strafantrag wurde somit form- und fristgerecht gestellt.

2. Die Revision führt jedoch auf die allgemeine Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache, da die Urteilsgründe lückenhaft sind und daher nicht auszuschließen ist, dass das Amtsgericht zu Unrecht von einer Erfüllung des Tatbestands der Beleidigung ausgegangen ist. Die getroffenen Tatsachenfeststellungen tragen den Schuldspruch nicht…..“

Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf den Volltext. Hier dazu nur der Leitsatz:

Eine Äußerung nimmt den Charakter als Schmähung erst dann an, wenn sie keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen.

Klageerzwingung I: Voraussetzung für die Zulässigkeit, oder: Die Hürden sind und bleiben hoch

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Und dann starte ich in die vorösterliche (Kar)Woche mit zwei Entscheidungen des BVerfG zum Klageerzwingungsverfahren und einer weiteren des OLG Schleswig..

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 20.02.2025 – 2 BvR 1569/23 – einem – was sonst? – Nichtannahmebeschluss. Das BVerfG hat mal wieder unzureichende Substantiierung der Verfassungsbeschwerde gerügt.

Ausgangspunkt des Verfahrens ist ein Verfahren gegen den Beschwerdeführer im Anschluss an einen Einsazu von Einsatzkräften im Rettungsdienst, das für den Beschwerdeführer mit einem Strafverfahren wegen Beleidigung, Bedrohung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte endete, das schließlich nach § 153a Abs. 2 StPO gegen eine Geldauflage eingestellt wurde.

Der Beschwerdeführer selbst hatte erstattete Strafanzeige gegen die beteiligten Polizeibeamten wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt erstattet. Insoweit wurde ihm von der Staatsanwaltschaft mitgetielt, sie werde kein Ermittlungsverfahren einleiten, weil kein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten der Polizeibeamten bestehe. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde zur Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, die diese als unbegründet zurückwies. Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer beim OLG Koblenz eine gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO. Mit Beschluss vom 05.09.2023 verwarf das OLG den Antrag des Beschwerdeführers als unzulässig, weil nicht ausreichend begründet.

Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, die keinen Erfolg hatte. Das BVerfG referiert zunächst die allgemeinen Anforderungen an Verfassungsbeschwerden und führt dann zur Sache aus. Da die Entscheidung nur die vorliegende Rechtsprechung fortschreibt, beschränke mich hier auf den Leitsatz, der lautet:

Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG bestehen keine Bedenken, § 172 Abs. 3 S. 1 StPO so auszulegen, dass der Klageerzwingungsantrag den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit in groben Zügen wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt.

Und als zweite Entscheidung in diesem Posting der OLG Schleswig, Beschl. v. 21.02.2025 – 1 Ws 3/25 -, der auch noch einmal zu den Voraussetzungen eines (zulässigen) Klageerzwingungsantrags Stellung nimmt:

1. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt und muss auch in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens und den Inhalt der angegriffenen Bescheide wiedergeben.

2. Genügt ein Klageerzwingungsantrag diesen strengen Anforderungen nicht, so ist das Oberlandesgericht grundsätzlich nicht gehalten, die angefochtene Einstellungsentscheidung durch einen Rückgriff auf die Akten oder sonstige Anlagen zu prüfen.

3. Eine Prüfung ist aber zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes im Rahmen der verfassungsrechtlich verankerten Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG dann geboten, wenn ein Antragsteller aufgrund seines Alters, einer spezifischen Täter-Opfer-Konstellation oder sonstiger Umstände seine Rechte ersichtlich nicht wahrnehmen kann, die Tat im Einzelfall schwer wiegt und es der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsentscheidung an Begründungstiefe fehlt. Liegt es so, ist jedenfalls eine summarische Prüfung des Akteninhaltes und eine darauf beruhende Bewertung des hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 1 StPO durch das Oberlandesgericht veranlasst.

4. Gleiches gilt, wenn von der umfassenden und rechtswirksamen Aufarbeitung des Sachverhalts in Zukunft weitere für den Verletzten bedeutende Entscheidungen abhängen wie z. B. in einem Fall von Kindesmisshandlung tragfähige familiengerichtliche Entscheidungen und ein effektives und rechtzeitiges Handeln durch Jugendamt und Familiengericht.

Fazit: Die Hürden sind und bleiben hoch.

Und dann machen wir mal ein wenig Werbung, also <<Werbemodus an>>, nämlich für das Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025, bzw. für das Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 3. Aufl. 2024, die man beide bier bestellen kann. Beide enthalten recht umfangreiche Ausführungen zum Klageerzwingungsverfahren mit Checkliste, was man alles vortrag muss/sollte. <<Werbemodus aus>>-

StGB II: Wenn der Vermieter heimlich Videos macht, oder: Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs?

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Als zweite Entscheidung habe ich dann den OLG Hamm, Beschl. v. 18.03.2025 – 4 ORs 24/25 – zur Frage der Strafbarkeit heimlicher Bildaufnahmen.

Das AG hat den Angeklagten wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen verurteilt. Zur Sache hat das AGfolgende Feststellungen getroffen:

„Der Zeuge J. bewohnte bei dem Angeklagten ein Zimmer. Der Angeklagte stellte am 09.07.2023 heimlich eine Videokamera mit Bewegungsauslöser versteckt hinter einem Rollcontainer in dem Zimmer des Zeugen J. auf. Bei Bewegungen des Zeugen J. zeichnete die Kamera Videosequenzen auf. Der Zeuge J. entdeckte die Kamera zufällig am 10.07.2023 gegen 17.04 Uhr bei der Reinigung seines Zimmers.“

Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das AG ferner auszugsweise Folgendes festgehalten:

„In der Hauptverhandlung wurden dann die Bilder Blatt 14 und Blatt 25 – 28 in Augenschein genommen. Auf Blatt 14 finden sich Abbildungen der Kamera. Auf Blatt 25 – 28 finden sich Aufnahmen, die von der Polizei nach Auswertung der SD Karte ausgedruckt wurden. Die Qualität dieser Bilder ist eher schlecht. Auf Blatt 28 unten kann man einen Arm erkennen, der offensichtlich beim Aufstellen der Digitalkamera aufgenommen wurde. Ferner findet sich auf Blatt 25 oben eine Aufnahme, auf der man sehen kann, wie jemand den Boden wischt. Weiter gibt es auf Blatt 26 oben auch eine Aufnahme des Fußbodens und von Schuhen. Blatt 27 oben zeigt eine Aufnahme einer Person. Man sieht lediglich die Oberschenkel, den unteren Bereich des Oberkörpers, eine Hand und ein Buch oder Heft das von dieser Hand gehalten wird. Die Person selbst ist bekleidet und nicht zu erkennen.

Im Auswertebericht der Polizei Blatt 16 – 17 ist zu entnehmen, dass sich auf der Kamera insgesamt 13 Videodateien befanden. Die ersten 4 Videos hätten gezeigt, wie die Kamera vorbereitet, geprüft und platziert worden sei. Sodann sei die Rückkehr des Zeugen am 10.07.2023 um 01.17 Uhr aufgenommen worden. Die Aufnahmen hätten jedoch kaum etwas erkennen lassen, da im Wesentlichen die Laufrolle eines Rollcontainers aufgenommen worden sei. Im Laufe des 10.07.2023 seien noch weitere Videos entstanden. Der Zeuge sei dabei jedoch jeweils beiläufig und bekleidet zu erkennen. Sodann sei schließlich zu sehen, wie der Zeuge mit einem Wischmob sein Zimmer reinige und den Container zur Seite schiebe. Hierbei habe er dann die Kamera entdeckt. Laut Zeitstempel sei die Kamera am 09.07.2023 um 23.18 Uhr in dem Zimmer des Zeugen platziert worden.“

Auf der Grundlage hat das AG eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB) angenommen. Dem OLG reichen die Feststellungen nicht.

Auch hier beschränke ich mich auf die Leitsätze zu der Entscheidung, den Rest bitte selbst lesen:

1. Nicht jede heimliche Aufnahme einer Person in ihrer Wohnung (bzw. in dem im Übrigen von § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfassten räumlichen Schutzbereich) führt per se zu einer Strafbarkeit wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen. Vielmehr bedarf es zusätzlich zu der Herstellung der Bildaufnahmen eines (Verletzungs-) Erfolges in Form einer „dadurch“ bewirkten „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der abgebildeten Person“. Insofern handelt es sich bei § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB um ein Erfolgsdelikt.

2. Zu orientieren ist der Begriff des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ an dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Begriff der „Intimsphäre“, der vor allem, aber nicht nur die Bereiche Krankheit, Tod und Sexualität zuzuordnen sind und die grundsätzlich die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen wie vertraulichen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen sowie die Angelegenheiten umfasst, für die ihrer Natur nach Anspruch auf Geheimhaltung besteht, wie bspw. Gesundheitszustand, Einzelheiten über das Sexualleben sowie Nacktaufnahmen. Auf den Bereich der Sexualität und Nacktheit ist der Anwendungsbereich wiederum nicht zu beschränken. Auch bestimmte Tatsachen aus dem Familienleben sind dem höchstpersönlichen Lebensbereich zuzurechnen, bspw. solche, die die wechselseitigen persönlichen Bindungen, Beziehungen und Verhältnisse innerhalb der Familie betreffen, darum unbeteiligten Dritten nicht ohne Weiteres zugänglich sind und Schutz vor dem Einblick Außenstehender verdienen.

3. Situationen, die zwar der Privatsphäre zuzuordnen sind, aber ein „neutrales Verhalten“ zeigen, bedürfen hingegen des strafrechtlichen Schutzes typischerweise noch nicht. Die Herstellung einer Bildaufnahme von „neutralen“ Handlungen, wie dem Arbeiten, Kochen, Lesen, Fernsehen, Essen oder Schlafen in der Wohnung bewirkt demnach – wenn nicht im Einzelfall besondere Umstände vorliegen – für sich genommen noch keine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs des Opfers (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 01.10.2024 – 1 StR 299/24).

StPO I: Aus dem Richter-Laptop ertönten bild.de-Töne, oder: Besorgnis der Befangenheit

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Und heute dann StPO-Entscheidungen, und zwar zweimal etwas zur Ablehnung und ein Posting zu EncroChat usw.

Ich beginne mit der Ablehnung und dann gleich mit einem „Schmankerl“, das ja auch bereits die Tagespresse beschäftigt hat (vgl. hier).

Hintergrund des OLG München, Beschl. v. 18.03.2025 – 9 St 7/23 – ist folgender Vorfall in einem sog. „Reichsbürgerprozess“: Während der Stellungname einer Staatsanwältin ertönten aus dem Laptop eines Ergänzungsrichters des Verfahrens „eine Tonfolge sowie daran anschließend wenige von einer männlichen Stimme gesprochene Worte, darunter das Wort „Tagesschausprecher“. Das ist von Verteidigern des Verfahrens zum Anlass genommen worden, den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Man ging, was offensichtlich richtig war, davon aus, dass die gehörten Töne von „bild.de“ stammten und sich mit der Verletzung des Tagesschausprechers Torsten Schröder befassten.

Der Ergänzungsrichter hat dann zwar versucht, in zwei dienstlichen Stellungnahmen das „Gehörte“ zu erklären. Das hat den Senat aber nicht überzeugt. Auch eine Entschuldigung hat ihn nicht gerettet. Das Ablehungsgesuch hatte vielmehr beim OLG Erfolg:

„2. Die Ablehnungsanträge sind begründet.

a) …..

b) Im vorliegenden Fail ertönten während der laufenden Hauptverhandlung aus dem Dienstlaptop des Ergänzungsrichters RiOLG Pp. eine Tonfolge sowie daran anschließend wenige von einer männlichen Stimme gesprochene Worte, darunter das Wort „Tagesschausprecher“

Dieser Sachverhalt konnte von allen Verfahrensbeteiligten wahrgenommen werden und bedarf daher keiner gesonderten Glaubhaftmachung.

Mit den Ablehnungsanträgen glaubhaft gemacht wurde, dass es sich bei der wahrnehmbaren Sequenz um den Beginn eines am 11.03.2025 veröffentlichten Videos auf „bild,de“ handelte, das sich mit einer Verletzung des Tagesschaumoderators Thorsten Schröder befasste. Hiervon konnte sich der Senat auch durch eigene Wahrnehmung nach Aufruf des Videos überzeugen.

c) Dieser Vorfall ist jedenfalls geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn RiOLG Pp. sich während der Hauptverhandlung willentlich mit verfahrensfremden Inhalten beschäftigt hat und infolgedessen uneingeschränktes Interesse nicht der dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit unterfallenden Beweisaufnahme bzw. der Kenntnisnahme von damit im Zusammenhang stehenden Erklärungen der Prozessbeteiligten galt. Denn ein derartiges Verhalten kann im Sinne der oben genannten Rechtsprechung die Befürchtung der Angeklagten nähren, der Richter habe sich bereits auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt, und ist daher geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.

d) Die angebrachten Ablehnungsgesuche machen den vorgenannten Ablehnungsgrund im Sinne des § 26 Abs. 2 S. 1 StPO hinreichend glaubhaft.

(1) Für die Glaubhaftmachung bedarf es nicht der vollen Uber-zeugung des Gerichts von der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen; es reicht vielmehr aus, dass durch die beigebrachten Beweismittel in einem hinreichenden Maße die Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit dargetan wird (BGH, Urteil vom 30.10.1990 – 5 StR 447/90, NStZ 1991, 144).

(2) Zwar hält der Senat ein unabsichtliches Anlaufen des Videos nicht für ausgeschlossen. Dies ist jedoch nach den dienstlichen Stellungnahmen, die hierfür keine plausible Erklärung liefern und an entscheidenden Stellen vage bleiben, unwahrscheinlich. Hinweise auf eine technische Fehlfunktion des Laptops liegen nicht vor.

RiOLG Pp. führte in seinen Stellungnahmen vom 1 1.03,2025 und 13.03.2025 aus, dass er „selbst völlig überrascht“ vom Anlaufen des Nachrichtenbeitrags gewesen sei und er nicht wisse, „welche konkrete Fehlbedienung meinerseits dies auslöste“. Sein sodann geschildertes Vorgehen bzw. seine Vermutung, wie es versehentlich zum Starten des Beitrags gekommen sein könnte, sind nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Zwar können Browser so eingestellt werden, dass bei deren öffnen eine zuvor durch Schließen beendete Sitzung wiederhergestellt und damit durch einen (Fehl-)Klick auf das Browsersymbol in der Taskleiste ein angesehenes Video erneut abgespielt wird. Weder ergibt sich aber aus der dienstlichen Stellungnahme, dass RiOLG Pp. das angespielte Video in der Pause angeschaut hat, noch dass sein Browser entsprechend eingestellt ist. Auch ist unklar und wurde von diesem trotz Ausführungen von Rechtsanwältin Pp. hierzu in der dienstlichen Stellungnahme zu den Ablehnungsgesuchen nicht ausgeführt. Über welche konkreten Bedienschritte RiOLG Pp. das Word-Dokument speichern und minimieren wollte, wobei es zu einem Bedienfehler gekommen sein soll.

(3) Die Ablehnungsgesuche nennen auch darüber hinaus Umstände, warum durch die von RiOLG Pp. geschilderten bzw. vermuteten Bedienschritte ein Anlaufen des Nachrichtenbeitrags mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausgelöst werden konnte. Auch wenn in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen ist, dass die in den Ablehnungsanträgen genannte Zeit der angeblich erstmaligen Veröffentlichung des Videos auf „bild.de“ um 17.05 Uhr nicht zutreffend sein kann, da der Vorfall bereits gegen 16.50 Uhr, jedenfalls deutlich vor 17.05 Uhr, passierte, tragen die Gesuche Umstände vor, die geeignet sind. die Richtigkeit des Vorbringens in den dienstlichen Stellungnahmen nachhaltig zu erschüttern (BGH, Beschluss vom 08.06.2016 – 5 StR 48/16, BeckRS 2016, 12690).

(4) Die dienstlichen Stellungnahmen des abgelehnten Richters vermochten das aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage berechtigt erscheinende Misstrauen gegen ihn letztlich nicht auszuräumen. In diesen geht er auf viele der in den Ablehnungsgesuchen angesprochenen Vorwürfe und Themen nicht ein. Ob auf ihren Inhalt allein oder in der Gesamtschau eine Ablehnung gestützt werden könnte, kann dahinstehen.

(5) Auch die von RiOLG Pp. in seiner Stellungnahme vom 13.03.2025 vorgebrachte Entschuldigung ist vorliegend nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit auszuräumen, denn sie bezieht sich nicht auf ein im Sinne des erweckten Anscheins unbedachtes Fehlverhalten (vgl. BGH, Urteil v. 17.06.2015, a.a.O.), sondern auf die durch den Vorfall verursachten Irritationen und Umstände. Den Ablehnungsgesuchen vom 12.03.2025 war damit stattzugeben.“

OWi II: 3 x etwas zur Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Nachfahren, Provida, Toleranzwert, Vorsatz

Und dann hier ein paar Entscheidungen aus OWi-Verfahren, die Geschwindigkeitsüberschreitungen zum Gegenstand hatten, und zwar:

1. Bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren bei anschließendem Anhalten be-stimmt sich die prozessuale Tat nach § 264 StPO in erster Linie nach dem einem Betroffenen vorgeworfenen Fahrverhalten vor seiner Anhaltung. Exakte Tatzeit und exakter Tatort spielen eine untergeordnete Rolle.

2. Bei einer im standardisierten Messverfahren durchgeführten Geschwindigkeitsmessung ist der die technischen Unsicherheitsfaktoren abbildende Toleranzwert im Falle eines rechnerisch ermittelten Zwischenwerts immer auf den nächsthöheren ganzzahligen Wert aufzurunden.

1. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf einer BAB um mindestens 45 km/h ist als zumindest „bedingt“ vorsätzlich zu qualifizieren.

2. Dass dem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 45 km/h ggf. nicht exakt bekannt war, steht der Annahme von (bedingtem) Vorsatz nicht entgegen. Denn die Differenz zwischen erlaubter und tatsächlich gefahrener Geschwindigkeit ist in diesem Fall so erheblich, dass jeder Kraftfahrer merken musste, dass er nicht nur zu schnell, sondern erheblich zu schnell fuhr.

Erfolgt die Geschwindigkeitsbestimmung mittels des Messgerätes ProVida 2000 modular durch eine Zeit-/Wegstreckenmessung und eine manuelle Berechnung der Geschwindigkeit durch nachträgliche Auswertung des Videomaterials, sind die spezifischen Toleranzwerte für Zeit- (plus 0,1 % der gemessenen Zeit vermehrt um 0,02 s) und Wegstreckenmessungen (abzüglich 4 % des gemessenen Wegs, mindestens aber 4 m) anzuwenden.