Archiv der Kategorie: OLG

Bewährung II: Widerruf wegen Weisungsverstoßes, oder: Wenn die Weisung unmissverständlich ist

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Im zweiten Posting dann den OLG Hamm, Beschl. v. 12.06.2025 – 1 Ws 160/25 – zum Widerruf wegen eines Weisungsverstoßes. Es geht noch einmal um eine zu unbestimmte Weisung:

„a) Zwar ist die Weisung während der gesamten Bewährungszeit „engen Kontakt“ zu seinem Bewährungshelfer zu halten, als eigenständige Weisung im Sinne des § 56c StGB zu unbestimmt, denn nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. die Nachweise bei TK StGB/Kinzig, 31. Aufl. 2025, StGB § 56c Rn. 11, beck-online), der auch die ständige Rechtsprechung des Senats entspricht (vgl. z.B. Senat, Beschluss vom 07.05.2019 zu III-1 Ws 152+153/19 zu einer entsprechenden Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht und Beschluss vom 18.02.2020 zu III-1 Ws 49/20), muss das Gericht unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebots grundsätzlich den Inhalt und Umfang der auferlegten Melde- bzw. Kontakthaltungspflicht beim bzw. zum Bewährungshelfer selbst konkret, d.h. insbesondere bezüglich des Meldeintervalls und der Art der Kontakthaltung, bestimmen und darf lediglich die Bestimmung der konkreten Termine dem Bewährungshelfer überlassen, was weder im Aussetzungsbeschluss vom 25.06.2020 noch im Bestellungsbeschluss vom 23.07.2020 geschehen ist. Gleichwohl war der Bewährungswiderruf gemäß §§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1, 56c Abs. 2 Nr. 2 StGB (ausnahmsweise) zulässig (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18.02.2020 zu III-1 Ws 49/20 und vom 18.11.2020, III-1 Ws 439-442/20). Denn nach der Weisung war hier im Sinne des Bestimmtheitsgebots unmissverständlich klar, dass der Verurteilte – ungeachtet der Art des Kontaktes und eines konkreten Meldeintervalls – überhaupt Kontakt zu seiner Bewährungshelferin (aufnehmen und) beibehalten musste. Dies war auch dem Verurteilten klar, da die Strafvollstreckungskammer ihn – nach ersten Unregelmäßigkeiten in der Kontakthaltung – mit ihm zugestelltem Schreiben vom 23.05.2022 aufforderte, den Kontakt zur Bewährungshelferin unverzüglich wiederherzustellen und anderenfalls prüfen werde, ob Maßnahmen ergriffen werden müssten und er – der Verurteilte – nach erneuten Terminversäumnissen versuchte, sein Fernbleiben per E-Mail zu entschuldigen.

b) Der Verurteilte hat sich auch – wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend begründet hat – dieser Weisung gröblich und beharrlich entzogen und dadurch Anlass zu der Besorgnis gegeben, dass er erneut Straftaten begehen wird. Ein gröblicher Verstoß ist eine nach objektivem Gewicht und Vorwerfbarkeit schwerwiegende Zuwiderhandlung gegen eine Weisung; er ist beharrlich, wenn der Verurteilte durch wiederholtes oder andauerndes Verhalten (z.B. Flucht, Verbergen), seine endgültige Weigerung, die Weisung zu befolgen zum Ausdruck bringt oder trotz einer Mahnung der Weisung nicht nachkommt (TK StGB/Kinzig, 31. Aufl. 2025, StGB § 56f Rn. 13/14 m.w.N., beck-online).

Nach der Mahnung der Strafvollstreckungskammer mit Schreiben vom 23.05.2022 hat der Verurteilte zunächst die Termine mit der Bewährungshelferin ab dem 29.09.2022 nicht mehr wahrgenommen, bevor er sich der Bewährungshelferin dauerhaft durch Verbergen entzogen hat.“

Bewährung I: Ankündigung der Wiederaufnahme, oder: Widerruf der Strafaussetzung dennoch möglich?

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Und dann geht es heute hier nach Urlaubsrückkehr „normal“ weiter, und zwar mit Entscheidungen zu Bewährungsfragen.

Den Opener mache ich mit dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 08.05.2025 – 1 Ws 77/25 – zum Zusammenspiel von Wiederaufnahmeverfahren und Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung. Dazu das OLG:

„Entgegen dem Beschwerdevorbringen hindert auch die Absicht des Verurteilten, eine Wiederaufnahme des dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. Oktober 2023 zugrundeliegenden Verfahrens zu betreiben, den Widerruf der Strafaussetzung nicht. Zwar kommt nach rechtskräftiger Anordnung der Wiederaufnahme des Anlassverfahrens nach § 370 Abs. 2 StPO, durch die die Urteilsrechtskraft beseitigt wird (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14. August 1979 – 5 Ss OWi 782/79 – juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 67. Aufl., § 370 Rn. 10), ein Widerruf nicht mehr in Betracht (vgl. KG, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 2 Ws 477 – 478/13 –, juris Rn. 12; Krumm NJW 2005, 1832, 1835). Liegt eine solche – wie hier – hingegen nicht vor, ist das Widerrufsgericht nur dann verpflichtet, eigene Beweise zu erheben, wenn aufgrund nachträglich hervorgetretener Umstände, insbesondere etwaiger Wiederaufnahmegründe, begründete Zweifel an der Tatbegehung bestehen. Ist dies nach Ansicht des Widerrufsgerichts nicht der Fall, so zwingt der bloße Antrag auf Wiederaufnahme des neuen Verfahrens nicht zur Zurückstellung der Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung (KG, Beschluss vom 13. April 2018 – 5 Ws 37/18 –; Hubrach in: LK-StGB, 13. Aufl., § 56f Rn. 12). Nichts anderes kann für die bloße Absichtsbekundung gelten, ein Wiederaufnahmeverfahren anzustreben.

Vorliegend sind nachträglich hervorgetretene Umstände, die Zweifel an der Täterschaft des Verurteilten begründen könnten, nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Soweit die Staatsanwaltschaft dort vorgetragenes Vorbringen des Verurteilten zum Anlass genommen hat, eingestellte Ermittlungen gegen einen weiteren möglichen Tatbeteiligten (D. S.) der im Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 23. Oktober 2023 festgestellten Taten wiederaufzunehmen, war das Vorbringen des Verurteilten ausweislich eines Vermerks der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vom 20. Juni 2024 (Bl. 129 d. BewH) nicht geeignet, die Tatbeteiligung des Verurteilten in Zweifel zu ziehen, sondern gab der Staatsanwaltschaft lediglich Anlass, eine ggf. gemeinschaftliche Tatbeteiligung des D. S. erneut zu prüfen. Konkrete Einwände gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. Oktober 2023 oder Umstände und Tatsachen, die seine Täterschaft in Zweifel ziehen oder eine Wiederaufnahme des Anlassverfahrens rechtfertigen könnten, hat der Verurteilte im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen. Gründe, die dem entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum es dem Verurteilten ohne Einsicht in die Akten des Anlassverfahrens nicht möglich sein sollte, vorzutragen, welche von ihm der Staatsanwaltschaft mitgeteilten und dort zum Anlass der Wiederaufnahme zu Ermittlungen gegen D. S. genommenen oder sonstigen Umstände und Tatsachen entgegen der bisherigen Einschätzung der Staatsanwaltschaft geeignet sein sollen, nicht nur den Verdacht der Tatbeteiligung des D. S. zu begründen, sondern auch die Täterschaft des Verurteilten in Zweifel zu ziehen. Der pauschale Hinweis, dass der Verurteilte die Tatbegehung weiterhin in Abrede stelle und deshalb eine Wiederaufnahme des Anlassverfahrens anstrebe, ist nicht geeignet, durchgreifende Zweifel daran zu begründen, dass der Verurteilte die durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. Oktober 2023 in der Bewährungszeit festgestellten Taten begangen hat. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass sich die Überzeugung des Tatgerichts von der Täterschaft des Verurteilten ausweislich der Gründe des Urteils vom 25. Oktober 2023 – entgegen dem Vorbringen des Verteidigers im Beschwerdeverfahren – weder allein noch maßgeblich auf die zeugenschaftlichen Angaben des vom Verurteilten als Täter benannten D. S. stützt, sondern auf eine Vielzahl objektiver Beweise, insbesondere die Inhaberschaft und alleinige Verfügungsberechtigung des Verurteilten hinsichtlich der bei den Tatbegehungen verwendeten Mobilfunknummern und Konten, die derzeit nicht in Frage gestellt sind. Zudem stützt sich die Überzeugung des Tatgerichts insbesondere darauf, dass sämtliche vernommenen Tatgeschädigten, die im Zuge der betrügerischen Verkaufsgeschäfte mit dem Täter fernmündlich in Kontakt standen, bekundeten, dass ihre Kontaktperson akzentfrei deutsch gesprochen habe und über präsentes Fachwissen zu den angebotenen Spielautomaten verfügt habe, was eine Identifizierung der Kontaktperson als den vom Verurteilten beschuldigten D. S., der – anders als der Verurteilte – der deutschen Sprache nicht akzentfrei mächtig sei und aufgrund seines sozialen und beruflichen Hintergrundes nicht über besagtes Fachwissen verfüge, ausschließe (UA S. 20 f.). Hinzu tritt, dass sämtliche bei den betrügerischen Geschäften als Empfangskonten angegebenen Konten ausschließlich der Verfügungsberechtigung des Verurteilten unterlagen und dessen Einlassung, er habe diese Konten erst im Zuge einer durch D. S. vermittelten Darlehensgewährung und auf Geheiß der Darlehensvermittlerin eingerichtet, durch die vom Tatgericht festgestellten Daten der Konteneröffnung widerlegt wurde (UA S. 24 f.).

Steht damit zur Überzeugung des Senats fest, dass der Verurteilte in der Bewährungszeit neue Straftaten begangen hat, war weder die Beiziehung der Akten des Anlassverfahrens veranlasst, noch war es geboten, mit der Entscheidung über den Widerruf der durch Beschluss vom 10. Januar 2023 gewährten Strafaussetzung bis zur tatsächlichen Anstrengung eines Wiederaufnahmeverfahrens durch den Verurteilten und den Ausgang dieses Verfahrens zuzuwarten, weil die Entscheidung über den Widerruf zu treffen ist, sobald Widerrufsgründe nach § 56f Abs. 1 StGB feststehen; ein Zuwarten ist unzulässig (vgl. OLG Hamburg NStZ-RR 2005, 221, 222; OLG Oldenburg StV 2010, 312; Beschluss des 4. Strafsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 6. Oktober 2022 – 4 Ws 247/22 – m.w.N.).“

Vergütung des anthropologischen Sachverständigen, oder: Einordnung in die richtige Honorargruppe

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Und dann im zweiten Posting der schon etwas ältere OLG Celle, Beschl. v. 11.11.2024 – 2 Ws 302/24 – zur Vergütungshöhe beim anthropologischer Sachverständigen.

Folgender Sachverhalt: Das AG hat die frühere Angeklagte in einem gegen sie geführten Strafverfahren vom Tatvorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis freigesprochen. In dem Verfahren hatte das AG zwecks Feststellung, ob es sich bei der Fahrzeugführerin, die auf dem aktenkundigen Foto einer Geschwindigkeitsmessung abgebildet war, um die frühere Angeklagte handelte, einen anthropologischen Sachverständigen mit einem Vergleichsgutachten beauftragt. Nach Abschluss des Verfahrens reichte der Sachverständige eine Kostenrechnung hinsichtlich der von ihm erbrachten Leistungen ein. Das AG setzte die Vergütung des Sachverständigen gemäß § 4 Abs. 1 JVEG auf den geltend gemachten Gesamtbetrag i.H. von 1.653,94 EUR fest und legte hierbei einen Stundensatz i.H. von 120 EUR zugrunde. Die Höhe der Sachverständigenvergütung hat das AG gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG nach billigem Ermessen bestimmt und hat einen Stundensatz von 120 EUR als angemessen angesehen.

Dagegen hat die Bezirksrevisorin Beschwerde eingelegt. Sie hat einen Stundensatz von (nur) 90 EUR als angemessen angesehen. Das LG hat die Beschwerde der Bezirksrevisorin als unbegründet verworfen. Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde des Bezirksrevisorin. Diese hatte – vorläufig – Erfolg:

„…..

Unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs kann die Entscheidung des Landgerichts keinen Bestand haben.

a) Das Landgericht ist im Ausgangspunkt in Übereinstimmung mit der einhelligen Rechtsprechung (vgl. OLG Braunschweig, aaO; OLG Frankfurt, Beschl. v. 09.02.2024 – 2 Ws 40/23 –, juris; OLG Hamm, Beschl. v. 24.07.2023 – III 1 Ws 41/23 –, juris; KG, Beschl. v. 30.09.2016 – 1 Ws 37/16 –, juris; OLG Köln, Beschl. v. 04.08.2014 – 2 Ws 419/14 –, juris; jeweils mwN) zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Leistung eines Sachverständigen auf dem Gebiet der Anthropologie keiner der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG genannten Sachgebiete und auch keiner der in Teil 2 der Anlage 1 aufgeführten Honorargruppen entspricht, so dass eine unmittelbare Anwendung der vom Gesetzgeber für diese Sachgebiete und Honorargruppen vorgesehenen Stundensätze nicht in Betracht kommt. Folgerichtig hat das Landgericht angenommen, dass die Vergütung der Leistungen eines anthropologischen Sachverständigen gemäß § 9 Abs. 2 JVEG nach billigem Ermessen zu bestimmen ist.

b) Das Landgericht ist indes im Rahmen der vorgenommenen Ermessensabwägung bzgl. der Höhe der Vergütung des im Ausgangsverfahren vom Amtsgericht Verden hinzugezogenen anthropologischen Sachverständigen rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass sich der zugrunde zu legende Stundensatz an dem vom Gesetzgeber für das Sachgebiet „grafische Leistungen“ in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG festgelegten Stundensatz zu orientieren hat.

Die Frage, wie der Stundensatz für die Vergütung eines anthropologischen Sachverständigen zu bestimmen ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet.

Teile der Rechtsprechung nehmen einen qualitativen Vergleich der Tätigkeit des anthropologischen Sachverständigen mit den Tätigkeiten in den in Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebieten vor. Sie gehen dabei – wie auch das Landgericht im vorliegenden Fall – davon aus, dass die größten Überschneidungen mit dem Sachgebiet des „grafischen Gewerbes“ bestünden. Daher sei der für dieses Sachgebiet gesetzlich geregelte Stundensatz – aktuell 115 € – entsprechend anzuwenden (vgl. OLG Hamm, aaO; KG, aaO, unter Verweis auf die Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes). Auf die Stundensätze der in Anlage 1 ebenfalls aufgeführten Honorargruppen M1 bis M3 könne nicht abgestellt werden. Denn anthropologische Vergleichsuntersuchungen würden weder medizinische Fachkenntnisse voraussetzen noch medizinische Fragestellungen zum Gegenstand haben. Die Honorargruppen M1 bis M3 seien jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich medizinischen und psychologischen Sachverständigen vorbehalten (vgl. KG, aaO).

Das Oberlandesgericht Braunschweig hält eine einheitliche Vergütung für anthropologische Sachverständige hingegen für nicht möglich, da den von ihnen vorgenommenen Begutachtungen keine standardisierten Untersuchungsmethoden zugrunde liegen würden. Die zu erbringenden Leistungen würden von der jeweiligen Begutachtungsmaterie abhängen und ihr Umfang sowie ihr Schwierigkeitsgrad je nach den Umständen des Einzelfalls wesentlich voneinander abweichen. Es seien Fälle denkbar, in denen eine Zuordnung zu einem der in der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebiete sachgerecht erscheine; ebenso aber auch Fälle, in denen eine Zuordnung zu einer der in der Anlage 1 genannten Honorargruppen M1 bis M3 gerechtfertigt sein könne (vgl. OLG Braunschweig, aaO).

Das Oberlandesgericht Köln knüpft hingegen an die Regelung in § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG an, wonach Sachverständigentätigkeiten, die in keinem der in der Anlage 1 zu

§ 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebieten aufgeführt sind, nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung der außergerichtlich und außerbehördlich allgemein vereinbarten Stundensätze zu vergüten seien. Zwar gebe es für die Tätigkeiten von anthropologischen Sachverständigen keinen freien Markt. Es könne jedoch auf den von der Justiz herausgebildeten „internen Marktwert“ abgestellt werden. Für hauptberuflich tätige anthropologische Sachverständige sei der gesetzlich festgelegte Stundensatz für das in der genannten Anlage 1 aufgeführte Sachgebiet „grafisches Gewerbe“ zugrunde zu legen. Bei einer nur nebenberuflich ausgeübten Sachverständigentätigkeit sei hingegen auf die in Anlage 1 festgelegten Stundensätze für die Honorargruppen M1 bis M3 für medizinische und psychologische Sachverständige abzustellen (vgl. OLG Köln, aaO).

Der Senat schließt sich der vom OLG Frankfurt vertretenen Ansicht an, wonach sich die Höhe des Stundensatzes für einen gerichtlich hinzugezogenen anthropologischen Sachverständigen an den für die in der Anlage 1 aufgeführten Honorargruppen M1 bis M3 gesetzlich geregelten Stundensätzen für medizinische und psychologische Sachverständige zu orientieren hat. Das OLG Frankfurt stützt sich insoweit zutreffend auf den in den Gesetzesmaterialien zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers. Er habe ausdrücklich empfohlen, den Stundensatz für einen Anthropologen aus den Honorargruppen M1 bis M3 zu entnehmen, wobei im Hinblick auf die von den Umständen des Einzelfalls abhängigen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade anthropologischer Vergleichsgutachten für die Auswahl der konkreten Honorargruppe ein Spielraum verbleibe (vgl. OLG Frankfurt, aaO, unter Hinweis auf BT-Drs. 17/11472, S. 355). Dieser Erwägung tritt der Senat bei. Der Ansicht des OLG Frankfurt ist auch deshalb der Vorzug zu geben, weil es für die gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG nach billigem Ermessen zu bestimmende Vergütung von Sachverständigentätigkeiten, die von keinem der in der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebiete erfasst werden, nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht primär auf die Qualifikation oder auf die Vergleichbarkeit der konkreten Tätigkeit mit den Tätigkeiten anderer Sachverständiger ankommt, sondern auf die marktübliche Vergütung der Tätigkeit. Denn der Gesetzgeber hat die Stundensätze für die Sachverständigen aus den in der genannten Anlage 1 aufgeführten Sachgebieten auf der Basis einer umfangreichen Marktanalyse und in dem Bestreben neu bestimmt, ihre Stundensätze an die marktüblichen Vergütungen anzupassen (vgl. LG Hannover, Beschl. v. 25.06.2015 – 46 Qs 43/14 –, juris, unter Hinweis auf BT-Drs 17/11472, S. 145). Da es für die Tätigkeiten medizinischer oder psychologischer Sachverständiger jedoch keinen freien Markt gibt, hat der Gesetzgeber eigens für sie die Honorargruppen M1 bis M3 gebildet. Es erscheint daher folgerichtig, sich bei der Bestimmung der angemessenen Vergütung eines anthropologischen Sachverständigen, für dessen Tätigkeit es ebenfalls keinen freien Markt gibt, an den Honorargruppen M1 bis M3 zu orientieren und die konkrete Höhe im Einzelfall anhand von Art, Umfang und Schwierigkeitsgrad der jeweils erbrachten Leistung zu bestimmen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Empfehlung des Gesetzgebers, bei der Vergütung anthropologischer Sachverständiger auf die Stundensätze der Honorargruppen M1 bis M3 zurückzugreifen, sachgerecht (vgl. LG Hannover, aaO).

c) Im Ergebnis der vorstehenden Ausführungen erweist sich die vom Landgericht für die Vergütung von anthropologischen Sachverständigen generell befürwortete und auch im vorliegenden Streitfall vorgenommene schematische Zugrundelegung des in der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG für das Sachgebiet „grafisches Gewerbe“ vorgesehenen Stundensatzes als rechtsfehlerhaft. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Die Sache war zu neuer Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Denn zu der gemäß

§ 9 Abs. 2 S. 1 JVEG zu treffenden Ermessensentscheidung über die Festsetzung der Vergütung von Sachverständigentätigkeiten, die von keinem der in der Anlage 1 aufgeführten Sachgebiete erfasst werden, ist das Landgericht berufen.“

Solche Entscheidungen tangieren den Angeklagten/Betroffenen einmal im Hinblick auf die Frage, in welcher Höhe ggf. eine Sachverständigenvergütung für ein eingeholtes Privatgutachten erstattet wird (dazu u.a. LG Chemnitz, Beschl. v. 3.7.2018 – 2 Qs 241/18; LG Wuppertal Beschl. v. 8.2.2018 – 26 Qs 214/17 ; AG Konstanz, Beschl. v. 22.05.2024 – OWi 52 Js 22028/22). Ist der Angeklagte/Betroffene hingegen verurteilt und sind ihm gem. § 465 StPO die Kosten des Verfahrens auferlegt worden, ist die Höhe von Sachverständigenvergütung für den Angeklagten/Betroffenen von Bedeutung, wenn er von der Staatskasse auf „Erstattung“ von dieser gezahlter Sachverständigenhonorare in Anspruch genommen wird. Daher sollte man als Rechtsanwalt/Verteidiger immer auch solche Entscheidungen wie die des OLG Celle und die dort erwähnte Rechtsprechung anderer OLG im Auge haben, um ggf. damit argumentieren zu können.

Revision III: Rügen in Zusammenhang mit Sky-ECC-Chat, oder: Verspätete Absetzung des Urteils

Und dann habe ich in diesem Posting noch einmal etwas zur Begründung der Revision, und zwar ausreichende Begründung von Verfahrensrügen (des Verteidigers.

Dazu weise ich zunächst hin auf den BGH, Beschl. v. 09.10.2024 – 2 StR 182/24 – , in dem es u.a. auch um die ausreichende Begründung von Verfahrensrügen in Zusammenhang mit Sky-ECC-Chats geht. Dazu der BGH:

„Mit ihren Verfahrensbeanstandungen kann die Revision nicht durchdringen.

1. Die Rüge, die frühzeitige Vernehmung des Ermittlungsführers der Polizei verstoße „gegen §§ 250, 261 StPO sowie den Grundsatz Fair Trial“, ist unbegründet. Die Reihenfolge der Vernehmung von Zeugen steht im pflichtgemäßen richterlichen Ermessen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 58 Rn. 4; KK-StPO/Bader, 9. Aufl., § 58 Rn. 3, jeweils mwN). Dieses ist hier offensichtlich nicht verletzt.

2. Soweit die Revision eine „Aufklärungsrüge hinsichtlich Verwertbarkeit der Chat[s] aus SKY ECC“ erhebt, kann dahinstehen, ob die nur auszugsweise Wiedergabe eines Ablehnungsbeschlusses oder das Fehlen eines in diesem Ablehnungsbeschluss in Bezug genommenen Anwaltsschriftsatzes zur Unzulässigkeit der Rüge führt. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Aus den Gründen des Beschlusses der Strafkammer vom 5. Juni 2023, mit dem sie den Antrag auf „Vervollständigung der Chats“ und auf Beiziehung der „originalen“ Rohdaten zur Akte abgelehnt hat, musste sich die Strafkammer nicht zu weiteren Ermittlungen dazu gedrängt sehen, ob die französischen Behörden verfahrensrelevante Daten zurückhalten und diese auf erneute Aufforderung zu erlangen gewesen wären. Anhaltspunkte dafür, dass einzelne für das Verfahren relevante Chats aus den „Originaldaten“ zurückgehalten oder inhaltlich verändert worden waren, sind auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht ersichtlich. Eine sachgerechte Verteidigung war dem Angeklagten möglich.

3. Zu der „Aufklärungsrüge hinsichtlich Übersetzungen der verschiedenen Chats“ und der „Rüge der fehlerhaften Bescheidung des Beweisantrags hinsichtlich Eurojust und Kenntnis der deutschen Vertreter bzgl. franz. Verfahren SKYECC“, befindet sich zwar eine ausreichend lesbare Revisionsbegründung in der Hauptakte, so dass § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt ist.

Ohne Rechtsfehler hat die Strafkammer aber den Antrag auf Neuübersetzung der SkyECC-Chats zurückgewiesen. Wie das Landgericht die Überzeugung vom Übereinstimmen der Übersetzung mit den fremdsprachigen Chatnachrichten gewann, blieb ihm nach Maßgabe der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) überlassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. November 2018 – 3 StR 339/18; vom 13. Februar 2019 – 2 StR 485/18, Rn. 10). Die von der Revision angeführten „exemplarischen Übersetzungsfehler“ boten keinen Anlass für die Beiziehung weiterer Übersetzer, zumal die Strafkammer den Einwänden der Verteidigung auch durch Einvernahme der beteiligten Dolmetscher nachgegangen war.

Die Bewertung des Antrags auf Einvernahme deutscher Vertreter bei Europol und Eurojust als Beweisermittlungsantrag ist ebenso rechtsfehlerfrei wie die Annahme des Landgerichts, dass auch die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) vor dem Hintergrund der bereits erhobenen Beweise deren Einvernahme nicht gebiete.

4. Auch soweit die Revision eine fehlerhafte Bescheidung eines Beweisantrags „hinsichtlich der Kenntnis des deutschen Vertreters“ bei Eurojust rügt, befindet sich eine ausreichend lesbare Revisionsbegründung in der Hauptakte. Die Rüge ist gleichwohl unzulässig, weil die Revision versäumt, mit der Rüge den vom beanstandeten Ablehnungsbeschluss in Bezug genommenen weiteren Beschluss der Strafkammer vorzulegen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Rüge wäre auch unbegründet, da die Strafkammer zu Recht von einem Beweisermittlungsantrag ausgegangen ist, dem nachzugehen die Aufklärungspflicht nicht drängte.

5. Die Rüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO wegen der Verwertung von SkyECC-Chats ist unzulässig. Die Revision versäumt es, die zur Begründung des – in einem Verwertungswiderspruch geltend gemachten – Verwertungsverbots in Bezug genommenen Dokumente (ein Haftbefehl, der aufgehoben worden sein soll, die Europäischen Ermittlungsanordnungen, ein französischer Beschluss „vom 16.12.2020″) vorzulegen. Damit sind die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen nicht so vollständig und so genau dargelegt, dass dem Senat allein auf Grund dieser Darlegung die Prüfung möglich wäre, ob der Verfahrensmangel festzustellen ist, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden.“

Und als zweite Entscheidung dann noch der auch nicht mehr ganz „taufrische“ OLG Celle, Beschl. v. 25.11.2024 – 2 ORs 127/24 – zur ausreichenden Begründung der Revision, mit der eine Verletzung des § 338 Nr. 7 geltend gemacht wird, also verspätete Absetzung des Urteils. Dazu das OLG:

1. Die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 7 i.V.m. § 275 Abs. 1 S. 2 StPO ist in der Regel zulässig erhoben, wenn der Beschwerdeführer das Datum der Urteilsverkündung, die Zahl der Haupt-verhandlungstage, den Fristablauf und den Eingang der schriftlichen Urteilsurkunde bei der Geschäftsstelle mitteilt.

2. Solange die Akten noch in Papierform geführt werden, geschieht die von § 275 Abs. 1 S. 5 StPO verlangte Dokumentation des Eingangs der vollständigen Urteilsgründe üblicherweise durch den Vermerk der Geschäftsstelle auf der Urteilsurschrift; angesichts dessen bedarf es für eine den Anforderungen gem. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügende Verfahrensrüge der Verlet-zung der Urteilsabsetzungsfrist über die Benennung des Eingangsvermerks der Geschäftsstelle hinaus nur dann der Mitteilung eines aktenkundigen richterlichen Vermerks, wenn dieser sich zu dem Umstand verhält, dass das unterschriebene Urteil „auf den Weg zur Geschäftsstelle“ verbracht wurde und insoweit einen vom Eingangsvermerk abweichenden, früheren Zeitpunkt benennt.

Strafe III: Vollzug zur Verteidigung der Rechtsordnung?, oder: Meistens Zwei-Drittel-Entlassung beim Ersttäter

© rcx – Fotolia.comUnd dann noch zwei Entscheidungen, die sich mit Bewährungsfragen befassen.

Zunächst das BayObLG, Urt. v. 17.03.2025 – 203 StRR 613/24, das ich bereits einmal vorgestellt habe (vgl. hier: TOA III: Wiedergutmachungserfolg als Voraussetzung?, oder: Schweigen des Opfers). Zur Bewährung dann folgender Leitsatz:

Strafaussetzung zur Bewährung kann nach § 56 Abs. 3 StGB nur versagt werden, wenn sie für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert und von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen werden könnte.

Und als zweite Entscheidung dann noch der OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.05.2025 – 1 Ws 58/25 – mit folgendem Leitsatz:

1.Bei einem Verurteilten, der erstmalig eine Freiheitsstrafe verbüßt, ist nach obergerichtlicher Rechtsprechung im Allgemeinen davon auszugehen, dass er nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe durch die Strafvollstreckung so nachhaltig beeinflusst sein wird, dass er sich zukünftig straffrei verhält.

2. Strafaussetzung zur Bewährung kann nach § 56 Abs. 3 StGB nur versagt werden, wenn sie für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert und von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen werden könnte.