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Strafe II: Abgabe von BtM an eine Jugendliche, oder: Entkräftung der Bedeutung eine Regelbeispiel

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Im zweiten Posting habe ich dann etwas vom OLG Hamm. Es geht um eine Verurteilung nach dem KCanG, die Entscheidung hat aber mit den „Neuerungen“ nichts zu tun.

Der Angeklagte war vom AG mit dem AG Schwerte, Urt. v. 23.08.2024 – 5 Ds 200 Js 2341/23 (66/24) – wegen Abgabe von BtM an Minderjährige (§ 34 KCanG) zu eine Geldstrafe von 110 Tagessätzen verurteilt worden. Zur Strafzumessung hatte das AG ausgeführt:

„Der Strafrahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 3 Nr. 3a KCanG sieht Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor.

Im Rahmen der Strafzumessung war zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass dieser sich vollumfänglich geständig eingelassen hat und bislang ausweislich des Bundeszentralregisterauszuges strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten war.

Strafschärfend wirkte sich aus, der Angeklagte die hilflose Lage der Zeugin, die aufgrund des zuvor erlebten Unfalls sehr aufgeregt war, ausgenutzt hat und mit ihr gemeinsam das Cannabis konsumiert hat.

Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hat das Gericht zur Verteidigung der Rechtsordnung und zur Einwirkung auf den Angeklagten tat- und schuldangemessen unter Anwendung des § 47 Abs. 2 StGB auf eine Geldstrafe von 110 Tagessätzen erkannt. Die Tagessatzhöhe von 15,00 Euro entspricht den Einkommensverhältnissen des Angeklagten. Diese Geldstrafe ist ausreichend, aber auch erforderlich, um dem Angeklagten das Unrecht seines Handelns vor Augen zu führen.“

Dagegen dann die Revision. die beim OLG Hamm Erfolg hat. Dazu der OLG Hamm, Beschl. v. 13.02.2025 – III-2 ORs 65/24 :

„2. Das angefochtene Urteil weist jedoch auf die Sachrüge hin durchgreifende Rechtsfehler im Rechtsfolgenausspruch zu Lasten des Angeklagten auf, auf denen es beruht.

Die Strafzumessung unterliegt nur in begrenztem Umfang der revisionsrechtlichen Überprüfung. Es ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von den Taten und der Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen des Tatgerichts in sich fehlerhaft sind, insbesondere gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen, wenn das Tatgericht von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist oder sich die Strafe soweit nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des Spielraums liegt, der dem Tatgericht bei der Strafzumessung eingeräumt ist (zu vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10.02.2015 -111-5 RVs 76/14 – , juris).

Das Amtsgericht hat der Strafzumessung den erhöhten Strafrahmen des besonders schweren Falles § 34 Abs. 3 Nr. 3 a KCanG zugrunde gelegt, dabei jedoch nicht geprüft, ob eine Ausnahme von der Regelwirkung vorliegt, so dass von dem Nornnalstrafrahmen auszugehen gewesen wäre. Die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels wird entkräftet, wenn die Tat in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt derart vom Normalfall des Regelbeispiels abweicht, dass die Bewertung der Tat als besonders schwerer Fall und die Anwendung des modifizierten Strafrahmens als unangemessen erscheint (vgl. Patzak/Fabricius, a.a.O. § 29 BtMG Rz 1536; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 46 Rz 91). Dies ist der Fall, wenn die dem Angeklagten günstigen Strafzumessungsfaktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der gebotenen Gesamtabwägung die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften.

Zu einer derartigen Prüfung bestand vorliegend anhand der überwiegend strafmildernden Faktoren Anlass.

Auch die konkrete Strafzumessung weist Rechtsfehler auf. So hat das Amtsgericht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, er habe die hilflose Lage der Zeugin ausgenutzt, ohne dass dies durch hinreichende Feststellungen belegt ist. Allein eine unfallbedingte Erregung ist keine hilflose Lage; auch bezüglich eines „Ausnutzens“ sind im Urteil keine Umstände dargelegt worden, die dies belegen.“

 

StGB II: Wenn der Vermieter heimlich Videos macht, oder: Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs?

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Als zweite Entscheidung habe ich dann den OLG Hamm, Beschl. v. 18.03.2025 – 4 ORs 24/25 – zur Frage der Strafbarkeit heimlicher Bildaufnahmen.

Das AG hat den Angeklagten wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen verurteilt. Zur Sache hat das AGfolgende Feststellungen getroffen:

„Der Zeuge J. bewohnte bei dem Angeklagten ein Zimmer. Der Angeklagte stellte am 09.07.2023 heimlich eine Videokamera mit Bewegungsauslöser versteckt hinter einem Rollcontainer in dem Zimmer des Zeugen J. auf. Bei Bewegungen des Zeugen J. zeichnete die Kamera Videosequenzen auf. Der Zeuge J. entdeckte die Kamera zufällig am 10.07.2023 gegen 17.04 Uhr bei der Reinigung seines Zimmers.“

Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das AG ferner auszugsweise Folgendes festgehalten:

„In der Hauptverhandlung wurden dann die Bilder Blatt 14 und Blatt 25 – 28 in Augenschein genommen. Auf Blatt 14 finden sich Abbildungen der Kamera. Auf Blatt 25 – 28 finden sich Aufnahmen, die von der Polizei nach Auswertung der SD Karte ausgedruckt wurden. Die Qualität dieser Bilder ist eher schlecht. Auf Blatt 28 unten kann man einen Arm erkennen, der offensichtlich beim Aufstellen der Digitalkamera aufgenommen wurde. Ferner findet sich auf Blatt 25 oben eine Aufnahme, auf der man sehen kann, wie jemand den Boden wischt. Weiter gibt es auf Blatt 26 oben auch eine Aufnahme des Fußbodens und von Schuhen. Blatt 27 oben zeigt eine Aufnahme einer Person. Man sieht lediglich die Oberschenkel, den unteren Bereich des Oberkörpers, eine Hand und ein Buch oder Heft das von dieser Hand gehalten wird. Die Person selbst ist bekleidet und nicht zu erkennen.

Im Auswertebericht der Polizei Blatt 16 – 17 ist zu entnehmen, dass sich auf der Kamera insgesamt 13 Videodateien befanden. Die ersten 4 Videos hätten gezeigt, wie die Kamera vorbereitet, geprüft und platziert worden sei. Sodann sei die Rückkehr des Zeugen am 10.07.2023 um 01.17 Uhr aufgenommen worden. Die Aufnahmen hätten jedoch kaum etwas erkennen lassen, da im Wesentlichen die Laufrolle eines Rollcontainers aufgenommen worden sei. Im Laufe des 10.07.2023 seien noch weitere Videos entstanden. Der Zeuge sei dabei jedoch jeweils beiläufig und bekleidet zu erkennen. Sodann sei schließlich zu sehen, wie der Zeuge mit einem Wischmob sein Zimmer reinige und den Container zur Seite schiebe. Hierbei habe er dann die Kamera entdeckt. Laut Zeitstempel sei die Kamera am 09.07.2023 um 23.18 Uhr in dem Zimmer des Zeugen platziert worden.“

Auf der Grundlage hat das AG eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB) angenommen. Dem OLG reichen die Feststellungen nicht.

Auch hier beschränke ich mich auf die Leitsätze zu der Entscheidung, den Rest bitte selbst lesen:

1. Nicht jede heimliche Aufnahme einer Person in ihrer Wohnung (bzw. in dem im Übrigen von § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfassten räumlichen Schutzbereich) führt per se zu einer Strafbarkeit wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen. Vielmehr bedarf es zusätzlich zu der Herstellung der Bildaufnahmen eines (Verletzungs-) Erfolges in Form einer „dadurch“ bewirkten „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der abgebildeten Person“. Insofern handelt es sich bei § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB um ein Erfolgsdelikt.

2. Zu orientieren ist der Begriff des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ an dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Begriff der „Intimsphäre“, der vor allem, aber nicht nur die Bereiche Krankheit, Tod und Sexualität zuzuordnen sind und die grundsätzlich die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen wie vertraulichen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen sowie die Angelegenheiten umfasst, für die ihrer Natur nach Anspruch auf Geheimhaltung besteht, wie bspw. Gesundheitszustand, Einzelheiten über das Sexualleben sowie Nacktaufnahmen. Auf den Bereich der Sexualität und Nacktheit ist der Anwendungsbereich wiederum nicht zu beschränken. Auch bestimmte Tatsachen aus dem Familienleben sind dem höchstpersönlichen Lebensbereich zuzurechnen, bspw. solche, die die wechselseitigen persönlichen Bindungen, Beziehungen und Verhältnisse innerhalb der Familie betreffen, darum unbeteiligten Dritten nicht ohne Weiteres zugänglich sind und Schutz vor dem Einblick Außenstehender verdienen.

3. Situationen, die zwar der Privatsphäre zuzuordnen sind, aber ein „neutrales Verhalten“ zeigen, bedürfen hingegen des strafrechtlichen Schutzes typischerweise noch nicht. Die Herstellung einer Bildaufnahme von „neutralen“ Handlungen, wie dem Arbeiten, Kochen, Lesen, Fernsehen, Essen oder Schlafen in der Wohnung bewirkt demnach – wenn nicht im Einzelfall besondere Umstände vorliegen – für sich genommen noch keine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs des Opfers (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 01.10.2024 – 1 StR 299/24).

VR III: Trunkenheitsfahrt mit 1,51 ‰ mit dem E-Scooter, oder: Kfz?, fahruntüchtig?, Fahrerlaubnisentziehung?

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Und dann kommt hier als dritte Tagesentscheidung noch das OLG Hamm, Urt. v. 08.01.2025 – III-1 ORs 70/24. Das äußert sich noch einmal zur Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter und den Rechtsfolgen.

Das AG hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt und ihm für die Dauer von vier Monaten untersagt, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Nach den Feststellungen des AG hat der Angeklagte zunächst einen Leih-E-Scooter gemietet und am 00.02.2024 gegen 2:20 Uhr gemeinsam mit seiner Freundin mit diesem Elektrokleinstfahrzeug mit dem Kennzeichen N01 in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand u.a. die D.-straße in I. befahren, um seine Freundin nach Hause zu bringen. Eine um 03:28 Uhr entnommene Blutprobe hat dann eine Blutalkoholkonzentration von 1,51 ‰ ergeben. Diese Blutalkoholkonzentration bewirke in jedem Falle Fahruntüchtigkeit. Die Fahruntüchtigkeit habe der Angeklagte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen.

Gegen das amtsgerichtliche Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Sprungrevision, die sie ausdrücklich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Insoweit führt sie aus, dass das AG rechtsfehlerhaft neben der Geldstrafe „nur“ ein viermonatiges Fahrverbot angeordnet habe. Der Angeklagte habe jedoch eine Katalogtat im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB begangen, so dass die mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen indiziert sei. Von der Entziehung der Fahrerlaubnis dürfe jedoch nur dann abgesehen werden, wenn die Tat Ausnahmecharakter habe. Nach dem objektiven Tatgeschehen handele es sich bei der Tat des Angeklagten um einen Normalfall der Trunkenheit im Verkehr, der nach Art und Begehungsweise nicht aus dem Rahmen der üblichen Trunkenheitsfahrten falle. Ein Ausnahmefall der Regelvermutung könne auch nicht damit begründet werden, dass es sich „nur“ um eine Fahrt mit einem sogenannten „E-Scooter“ anstatt mit einem Auto handele und das Gefährdungspotential dabei geringer sei. Ein erhöhtes Gefährdungspotential habe über die Trunkenheitsfahrt hinaus auch darin gelegen, dass der Angeklagte auf dem E-Scooter verbotswidrig eine weitere Person befördert habe. Außergewöhnliche Gründe in der Persönlichkeit des Angeklagten lägen ebenfalls nicht vor, da die Regelvermutung auch bei Ersttätern greife.

Die Revision hat Erfolg. Ich stelle hier nicht die ganze – umfangreiche – Begründung des OLG ein, sondern beschränke mich auf die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis. Im Übrigen müssen die Leitsätze reichen.

Die lauten:

1. Elektrokleinstfahrzeuge mit elektrischem Antrieb, einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h und bestimmten, in § 1 eKFV genannten zusätzlichen Merkmalen (E-Scooter), sind gemäß der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (eKFV) als Kraftfahrzeuge einzustufen.

2. Der Mindestwert für die unwiderlegliche Annahme von absoluter Fahruntüchtigkeit liegt für Führer von Elektrokleinstfahrzeugen in diesem Sinne bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰.

Und zur Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 60, 69a StGB) führt das OLG dann aus:

„3. Die Begründung, mit der das Amtsgericht trotz Vorliegens eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB und Anordnung einer Sperre gemäß § 69a StGB abgesehen hat, hält dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 61 Nr. 5 StGB), die ihre Rechtfertigung im Sicherungsbedürfnis der Verkehrsgemeinschaft hat. Dieses ist bedingt durch die hohen Risiken, die der Straßenverkehr infolge seiner Dynamik für Leben, Gesundheit und Eigentum der Verkehrsteilnehmer mit sich bringt. Körperlich, geistig, aber auch charakterlich ungeeignete Kraftfahrer verstärken diese Risiken. Dem soll durch den – zumindest zeitigen – Ausschluss des Betreffenden von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr entgegengewirkt werden (BGH Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 27. April 2005, GSSt 2/04, juris, Rn. 19). Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB ist daher einem Täter die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er wegen einer rechtswidrigen Tat verurteilt worden ist, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, und sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.

a) Auch im Rahmen des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB ist für den Begriff „Kraftfahrzeug“ die verkehrsrechtliche Legaldefinition des § 1 Abs. 2 StVG maßgeblich. Demzufolge sind Kraftfahrzeuge im Sinne von § 69 StGB alle mit Maschinenkraft angetriebenen, nicht an Bahngleise gebundenen Landfahrzeuge. Unerheblich ist, ob es für das Führen des Kraftfahrzeuges nach § 4 Abs. 1 FeV einer Fahrerlaubnis bedarf (BayObLG, Beschluss vom 24.07.2020 – 205 StRR 216/20 – juris; Valerius in: Leipziger Kommentar zum StGB 14. Aufl. § 69 Rn. 49 m.w.N.). Eine vom Gesetzgeber bewusst vorgenommene Ausnahmeregelung besteht gemäß des im Rahmen des § 69 StGB ebenfalls zu beachtenden § 1 Abs. 3 Satz 1 StVG (vgl. Valerius a.a.O. § 69 Rn. 47) für sog. Pedelecs, die mit einem elektromotorischen Hilfsantrieb mit einer Nenndauerleistung von höchstens 0,25 kW ausgestattet sind, deren Unterstützung sich mit zunehmender Fahrzeuggeschwindigkeit progressiv verringert und unterbrochen wird, wenn das Fahrzeug eine Geschwindigkeit von 25 km/h erreicht oder wenn der Fahrer nicht mehr tritt. Diese werden gemäß § 1 Abs. 3 StVG als Fahrräder eingestuft und fallen daher auch nicht unter den Anwendungsbereich des § 69 StGB. Eine solche Regelung wurde dagegen für E-Scooter nicht getroffen, so dass diese als Kraftfahrzeuge auch im Sinne der Vorschrift des § 69 StGB gelten (BayObLG, Beschluss vom 24.07.2020 – 205 StRR 216/20 – juris).

b) Ungeeignet ist der Täter nach ständiger Rechtsprechung, wenn eine Würdigung seiner körperlichen, geistigen und charakterlichen Voraussetzungen und der sie wesentlich bestimmenden objektiven und subjektiven Umstände ergibt, dass die Teilnahme des Täters am Kraftfahrzeugverkehr zu einer nicht hinnehmbaren Gefährdung der Verkehrssicherheit führen würde (BGH, Urteil vom 26. September 2003, Az: 2 StR 161/03 – juris). Maßgeblich für die Feststellung der Ungeeignetheit ist der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung. Die Feststellung der Ungeeignetheit schließt zugleich die Prognose fortbestehender Ungeeignetheit und damit zukünftiger Gefährlichkeit des Täters für den Fall ein, dass er ein Kraftfahrzeug führt. Ob ein Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände der konkreten Tat unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Täters, soweit sie in der Tat zum Ausdruck gekommen ist, zu bestimmen, sofern nicht ein Fall des § 69 Abs. 2 StGB vorliegt (BGH Urteil vom 12.03.2020, 4 StR 544/19 = BeckRS 2020, 6550; BayObLG, Beschluss vom 24.07.2020 – 205 StRR 216/20 – juris m.w.N.).

(1) Mit dem Zweiten Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26.11.1964 (BGBl. I 921) wurde in § 42 m Abs. 2 StGB a.F., der inhaltlich § 69 Abs.2 StGB entspricht (vgl. dazu BGH Beschluss vom 16.09.2003, 4 StR 85/03, – juris), ein Katalog rechtswidriger Taten aufgenommen, bei deren Vorliegen das Gesetz in typisierter Weise annimmt, der Täter sei „in der Regel“ als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Nach der amtlichen Begründung des Gesetzesentwurfs geht dieser von der Überlegung aus, dass die aufgeführten Zuwiderhandlungen in der Regel einen solchen Grad des Versagens oder der Verantwortungslosigkeit des Täters offenbarten, dass damit zugleich auch dessen Eignungsmangel feststehe (amtliche Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 27.09.1962 BT.-Drs. IV/651 S. 17). Die Einfügung des Regelkatalogs wurde als „bedeutsame Fortentwicklung des geltenden Rechts“ damit begründet, dass es unbestreitbare Erfahrungstatsachen gebe, „dass bestimmte gefährliche Verhaltensweisen schon für sich allein die Feststellung rechtfertigen, der Täter sei für die Teilnahme am Kraftverkehr ungeeignet“. Die abstrakte Umschreibung solchen Verhaltens gebe dem Richter einen Auslegungshinweis für den Begriff der Eignung und damit zugleich eine feste Führung durch das Gesetz (BT.- Drs. IV/651 S. 17). In den aufgelisteten Fällen hat der Gesetzgeber somit die richterliche Bewertung und Prognose der Frage der Eignung vorweggenommen und dem Richter die Feststellung eines Eignungsmangels erleichtert (Kinzing in: Schönke/Schröder StGB, 30. Aufl., § 69 Rn. 34 m.w.N.). Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist ein Täter dann regelmäßig als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn – wie hier – als rechtswidrige Tat ein Vergehen der Trunkenheit im Verkehr zugrunde liegt (BayObLG, Beschluss vom 24.07.2020 – 205 StRR 216/20 – juris).

(2) Die Wirkung der gesetzlichen Vermutung geht dahin, dass für die Feststellung der Ungeeignetheit eine sie explizit begründende Gesamtwürdigung nur erforderlich ist, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Ausnahmefall vorliegen könnte (Fischer a.a.O. § 69 Rn. 22). In einem solchen Fall muss das Gericht erkennen lassen, dass es ihm bewusst war, bei Ausnahmen vom Regelfall von der Entziehung der Fahrerlaubnis absehen zu können. Solche besonderen Umstände können entweder in der Tat, in der Persönlichkeit des Täters oder dem Nachtatverhalten liegen (Valerius a.a.O. § 69 Rn. 136) und sind insbesondere dann besonders sorgfältig zu prüfen, wenn Anlasstat ein Fall der Trunkenheit im Verkehr ist (BayObLG, Beschluss vom 24.07.2020 – 205 StRR 216/20 – juris ; Valerius a.a.O. § 69 Rn. 194).

(a) Als Fall besonderer Umstände der Tat wird nach der amtlichen Begründung in Betracht gezogen, dass der Täter in einer notstandsähnlichen Lage gehandelt hatte, die sein Verhalten zwar nicht voll entschuldigen, aber immerhin begreiflich erscheinen ließen (BT.-Drs. IV/651 S. 17; Bsp. bei Valerius a.a.O. § 69 Rn. 138). Die Indizwirkung kann der Rechtsprechung nach auch bei sog. Bagatellfahrten entfallen, worunter vor allem folgenlos gebliebene Trunkenheitsfahrten zu verstehen sind, bei denen der alkoholisierte Fahrer das Kraftfahrzeug auf der Straße oder einem öffentlichen Parkplatz lediglich um wenige Meter versetzt, um das Fahrzeug ordnungsgemäß zu parken (vgl. OLG Stuttgart, NJW 1987, 142; OLG Düsseldorf, NZV 1988, 29). Die fahrlässige Begehungsweise der Tat als solches steht der Indizwirkung der Tat, wie aus der unterschiedslosen Aufnahme in die Katalogtaten ersichtlich, dagegen nicht entgegen (insgesamt dazu: BayObLG, Beschluss vom 24.07.2020 – 205 StRR 216/20 – juris Valerius a.a.O., § 69 Rn. 140; Athing/von Heintschel-Heinegg in Münchner Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 69 Rn. 75f).

(b) Besondere Umstände in der Persönlichkeit des Täters sind unter Umständen anzunehmen, wenn die Tat eher persönlichkeitsfremde Züge aufweist, nicht zuletzt situationsbedingt war und demzufolge mit hinreichender Sicherheit erwartet werden darf, dass der Täter gleiche oder ähnliche Taten künftig nicht mehr begehen wird. Dies wäre beispielsweise zu prüfen, wenn der Täter sich bei Tatbegehung in einem emotionalen Ausnahmezustand befunden hätte (BayObLG, Beschluss vom 24.07.2020 – 205 StRR 216/20 – juris; Valerius a.a.O., § 69 Rn. 142, Athing/von Heintschel-Heinegg a.a.O., § 69 Rn. 76).

(c) Im Einzelfall kann die Frage der Eignung des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen auch durch besondere Umstände nach der Tat beeinflusst worden sein. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs ist dabei an den Fall zu denken, dass der Führerschein des Täters vor dem Urteil in Verwahrung genommen worden ist und das Verfahren so lange gedauert hat, dass der Zweck der Maßregel bereits durch die vorläufige Maßnahme erreicht werden konnte (BT.-Drs. IV/651 S. 17; BayObLG, Beschluss vom 24.07.2020 – 205 StRR 216/20 – juris).

d) Danach kommt ein Abweichen von der Regelvermutung nur bei besonderen Umständen des Einzelfalles in Betracht. Die Annahme der Widerlegung der Regelvermutung muss nach dem Willen des Gesetzgebers auf seltene Ausnahmen beschränkt bleiben. Die Ausführungen des Amtsgerichts zum Absehen von der Anordnung der Maßregel nach §§ 69, 69a StGB lassen jedoch besorgen, dass das Amtsgericht Trunkenheitsfahrten mit E-Sootern hinsichtlich der Anwendung der §§ 69, 69a StGB entgegen der Regelvermutung grundsätzlich anders bewerten will als solche mit anderen Kraftfahrzeugen.

aa) Das Amtsgericht hat an tatbezogenen Umständen berücksichtigt, dass die Fahrt mit einem E-Scooter stattfand und damit die Tat bereits positiv vom Durchschnittsfall abweiche, da übliches Tatmittel der PKW sein dürfe. Das Gefährdungspotential für Fahrer und andere Verkehrsteilnehmer sei als geringer einzuschätzen. Dieses sei auch im Hinblick auf die Tatzeit äußerst gering, da nur wenige Verkehrsteilnehmer unterwegs seien.

Die Benutzung eines E-Scooters durch einen betrunkenen Fahrer widerlegt jedoch aus den dargelegten Gründen nicht die Regelvermutung der Ungeeignetheit im Sinne des § 69 StGB. Die Annahme eines fehlenden oder jedenfalls geringeren Gefährdungspotentials bei Nutzung eines E-Scooters berücksichtigt überdies nicht hinreichend, dass durch den Sturz eines Fußgängers oder Radfahrers infolge eines Zusammenstoßes mit dem E-Scooter ganz erhebliche, unter Umständen sogar tödliche Verletzungen verursacht werden können. Auch können andere, ggf. stärker motorisierte Verkehrsteilnehmer durch alkoholbedingte Fahrfehler eines E-Scooterfahrers zu Ausweichmanövern, abruptem Bremsen oder Ähnlichem veranlasst werden, was ebenfalls gravierende Folgen haben kann (so auch OLG Frankfurt, Urteil vom 08.05.2023 – 1 Ss 276/22 – juris). Auch die Tatzeit rechtfertigt nicht das Abweichen von der Regelvermutung. Dies insbesondere auch deshalb, weil das vom Amtsgericht letztlich berücksichtigte geringere Verkehrsaufkommen auf eine fehlende oder jedenfalls geringere konkrete Gefährdung abstellt. Der Umstand, dass Leib oder Leben anderer Menschen oder Sachen von bedeutendem Wert nicht konkret gefährdet wurden, ist jedoch bereits Tatbestandsvoraussetzung des als abstraktem Gefährdungsdelikt ausgestalteten § 316 StGB (vgl. Fischer a.a.O., § 316 Rn. 2,3), im Falle einer konkreten Gefährdung läge die Strafbarkeit im Bereich des § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB, gegebenenfalls i.V.m. § 315c Abs. 3 StGB (BayObLG, Beschluss vom 24.07.2020 – 205 StRR 216/20 – juris). Dafür, dass nach den Tatumständen bereits der Umfang der abstrakten Gefährdung der Verkehrssicherheit in ungewöhnlicher Weise vom Normalfall abgewichen wäre, ergeben sich aus den Urteilsfeststellungen dagegen keine Anhaltspunkte.

bb) Auch besondere Umstände in der Persönlichkeit des Täters sind aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich. Die Tatsache, dass der Angeklagte strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, so dass es sich bei der Anlasstat um einen erstmaligen Verstoß des Täters gegen ein Delikt im Sinne des § 69 Abs. 2 StGB handelt, vermag die nach § 69 Abs. 2 StGB vermutete Ungeeignetheit in aller Regel nicht zu widerlegen, zumal die Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich vom Gesetzgeber nicht auf Wiederholungsfälle beschränkt ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24.07.2020 – 205 StRR 216/20 – juris m.w.N.; Kinzing in Schönke/Schröder a.a.O., § 69 Rn. 46; Valerius a.a.O., § 69 Rn. 143).“

Also im Zweifel (= nach Alkoholkonsum) „Finger von die Dinger“ 🙂 .

StGB II: Drohung mit einem empfindlichen Übel, oder: Scheidung und Rückführung der Ehefrau nach Syrien

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Und als zweite Entscheidung dann der recht „frische“ OLG Hamm, Beschl. v. 28.01.2025 – III-3 Ws 442/24. Es handelt sich um eine „Nichteröffnungsentscheidung“ des OLG. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten Anklage wegen zwei Fällen der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 StGB) sowie wegen zwei Fällen der (vorsätzlichen) Körperverletzung (§ 223 StGB) erhoben und die Eröffnung des Hauptverfahrens vor der großen Strafkammer beantragt.

Das konkrete Tatgeschehen ist in dem veröffentlichten Beschluss im Hinblick auf § 353d Nr. 3 StGB nicht enthalten.

Das LG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Vergewaltigungsvorwürfe „aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen“ abgelehnt und im Übrigen die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht – Schöffengericht – eröffnet. Dagegen die sofortige Beschwerde der StA, die teilweise Erfolg hatte. Das OLG hat die eine Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen verneint, die zweite hingegen bejaht. Ich stelle hier aber nur die Ausführungen des OLG zur rechtlichen Würdigung ein, die tatsächliche Würdigung mag bei Interesse selbst gelesen werden. Das OLG führt in soweit aus:

„aa) Unzutreffend ist zwar die Auffassung der Strafkammer, dass die Inaussichtstellung von Scheidung und Rückführung nach Syrien bei dem gebotenen individuell-objektiven Maßstab, wonach auf den Opferhorizont abzustellen ist und der Individualität des Bedrohten und der Frage, weshalb gerade von ihm in seiner konkreten Situation ein Standhalten gegenüber der Drohung erwartet werden kann, entscheidende Bedeutung zukommt (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.01.2019 – 2 Ws 341/18 – juris – m. Anm. Riedel jurisPR-StrafR 8/2019 Anm. 4; Altvater/Coen in: LK-StGB, 13. Auf., § 240 Rdn. 84, jew. m.w.N.), hier keine Drohung mit einem empfindlichen Übel darstellen könne. Es ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die (damals 24-jährige) Zeugin die Ehe mit dem Angeklagten offenbar nur oder jedenfalls wesentlich auch deswegen eingegangen ist, um im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland kommen zu können. Der Angeklagte befindet sich schon mehrere Jahre in Deutschland. Die Zeugin hat zum Kennenlernen zwischen ihr und dem Angeklagten angegeben, dass zwischen ihren Eltern und dem Angeklagten ein entfernter Verwandtschaftsgrad bestehe und man sich im Februar 2023 über einen Videochat kennen gelernt habe. Sie und der Angeklagte hätten dort alle zwei Tage miteinander gesprochen. Manchmal sei er in den Gesprächen nett gewesen, teilweise aber auch nicht. Er habe ihr versprochen, in Deutschland zur Schule gehen zu können und Deutsch zu lernen. Im Oktober 2023 habe man in Syrien standesamtlich geheiratet, wobei der Angeklagte per Videochat zugeschaltet gewesen sei. Der Umstand, dass die Zeugin, den Angeklagten, den sie nicht persönlich kannte, und der schon beim Kennenlernen im Videochat nur teilweise „nett“ zu ihr war, gleichwohl geheiratet hat, deutet im Zusammenhang mit dem in Aussicht gestellten Schulbesuch darauf hin, dass die Zeugin sich in ihrer Heimat derart unwohl oder diskriminiert fühlte, dass sie eine Ehe mit dem Angeklagten unter diesen Umständen vorzog, um nach Deutschland zu gelangen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die Rückkehr in ihr Heimatland grundsätzlich geeignet sein könnte, ein empfindliches Übel darzustellen. Insoweit wären im weiteren Verfahren freilich noch die konkreten Umstände, die sie bei einer Rückkehr erwarteten (etwa: Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines offenbar erwünschten Schulbesuchs, bzw. Studienwunsches – vgl. Bl. 5. d.A. etc.) zu ermitteln und aufzuklären. Dass der Zeugin bei Rückkehr nach Syrien derartige erhebliche Unzuträglichkeiten durchaus drohen ist aber naheliegend und wahrscheinlich in dem o.g. Sinne, angesichts des Umstands, dass die Zeugin die Umstände, wie Heirat eines nicht persönlich bekannten Mannes, Verlassen des Heimatlandes etc. auf sich nahm. Der Inaussichtstellung solcher diskriminieren Lebensverhältnisse einer jungen Frau, der wesentliche Lebens- und Bildungschancen genommen werden, müsste die Zeugin nach dem Dafürhalten des Senats auch nicht in „besonnener Selbstbehauptung“ (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl. § 240 Rdn. 32a) standhalten. Das Nachgeben des Tatopfers, stellt dann keine „ungewöhnliche (Extrem-)Reaktion von Überängstlichen“ dar, welche bei der gebotenen individuell-objektiven Betrachtungsweise auszuklammern wäre (vgl. Altvater/Coen in: LK-StGB, 13. Aufl., § 240 Rdn. 84).

Ist dem so, so handelt es sich durchaus um ein Übel, auf das der Angeklagte nach dem Vorstellungsbild der Geschädigten Einfluss hat, denn nach ihrer Auffassung hängt ihr Aufenthaltsrecht erkennbar mit dem stattgefundenen Familiennachzug, also der Ehe, zusammen, wie auch ihre mehrfache Frage (s. Eindrucksvermerk, Bl. 17 d.A.), ob sie im Falle der Scheidung wieder in ihre Heimat zurück müsse, zeigt. Unerheblich ist dabei, ob der Angeklagte Däne (so die Personalien in der Anklageschrift) oder Syrer (so die Konkretisierung der Anklageschrift) ist. Insofern käme es auf die Frage, ob der Zeugin im Falle einer Rückkehr nach Syrien Tod oder Diskriminierung gedroht hätten, nicht an.

Nur ergänzend und im Hinblick auf die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft macht der Senat diesbezüglich darauf aufmerksam, dass die bisherigen knappen Ermittlungen nichts dafür ergeben haben, dass der Angeklagte der Zeugin auch in Aussicht gestellt hat, ihre durch ihn angeblich stattgefundene Vergewaltigung in ihrem Umfeld in Syrien publik zu machen. Woher man in Syrien also gewusst haben sollte, dass sie Opfer einer Sexualstraftat gewesen sein soll und nicht lediglich als geschiedene Ehefrau zurückkehrt, erschließt sich nicht aus den Akten. Auch dürfte für die Darlegung einer von der Staatsanwaltschaft angenommenen Verfolgungssituation in Syrien ein Redeausschnitt eines Mitglieds einer syrischen Frauenrechtsorganisation anstelle etwa offizieller Auskünfte des Auswärtigen Amtes o.ä., noch dazu ungeachtet der Betrachtung des konkreten Umfelds, in das die Zeugin, die nach ihren Angaben in Syrien kein Kopftuch trug (was für ein eher gemäßigtes Umfeld sprechen könnte), zurückkehren würde (städtisch/ländlich, islamistisch /liberal etc.), nur wenig aussagekräftig sein. Dies ist bisher völlig unausermittelt.

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Zwang II: Führung eines Anbahnungsgesprächs, oder: Kontaktaufnahme über einen Dritten

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Und als zweite Entscheidung dann auch noch einmal etwas zur U-Haft, nämlich den OLG Hamm, Beschl. v. 19.11.2024 – III 3 Ws 385/24 – zur Erteilung einer Besuchserlaubnis zur Führung eines Anbahnungsgesprächs mit dem potentiellen Mandanten, wenn die Kontaktaufnahme zu dem Rechtsanwalt über einen Dritten auf Veranlassung des Mandanten erfolgt ist. Da war das OLG Hamm ja früher recht restriktiv. Hier ist die Besuchserlaubnis erteilt worden, nachdem das LG abgelehnt hatte:

„Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache zumindest vorläufigen Erfolg. Der angefochtene Beschluss kann keinen Bestand haben.

Beschwerdebefugt ist auch der (angehende) Verteidiger (vgl. Jahn/Klie in LR-StPO, 27. Aufl. § 148 Rn. 57).

1. Gem. § 137 Abs. 1 StPO kann sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens eines oder mehrerer Verteidiger bedienen. Dieser durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleistete Anspruch umfasst das Recht des Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem gewählten Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfG, NJW 1975, 1013, 1014).

a) Dem inhaftierten Beschuldigten muss deshalb zur Anbahnung – neben unüberwachten Gesprächen – die unüberwachte telefonische und schriftliche Kontaktaufnahme zur Antragung eines Verteidigungsverhältnisses ermöglicht werden – ggf. auch zu mehreren potentiellen Verteidigern, da nur so § 137 Abs. 1 S. 2 StPO und dem Wahlrecht aus § 142 Abs. 5 StPO genügt werden kann. Neben der Möglichkeit, potentielle Verteidiger zu kontaktieren, muss deren Besuch ohne Hürden ermöglicht werden (MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl. 2023, StPO § 148 Rn. 8).

b) Eine Konstellation, in der Dritte den Rechtsanwalt beauftragt haben, ohne dass in irgendeiner Form ersichtlich wäre, dass dies auf den Wunsch des Anklagten zurückgeht, sondern sich aus der Begründung für die Besuchserlaubnis schließen lässt, dass der Angeklagte von der Kontaktaufnahme zu dem Rechtsanwalt nichts weiß (vgl. Senat, NStZ 2010, 471), liegt hier nicht vor. Vielmehr ergibt sich aus der vom Angeklagten selbst auf Nachfrage der Kammer abgegebenen Erklärung, dass dieser tatsächlich die Beauftragung eines weiteren Rechtsanwalts beabsichtigt und dass zu diesem Dritte mit seiner Billigung Kontakt aufgenommen haben. Die Bevollmächtigung eines Dritten zur Anbahnung des Mandatsverhältnisses war gem. § 167 Abs. 2 BGB formfrei möglich. Vor diesem Hintergrund ist angesichts der Angaben des Rechtsanwalts ohne weiteres davon auszugehen, dass die Kontaktaufnahme zu ihm auf Wunsch und Veranlassung des Angeklagten erfolgt ist — zumal dem Rechtsanwalt augenscheinlich die vorgesehenen Verhandlungstermine bekannt sind.“