Und heute dann noch verkehrsrechtliche StGB-Entscheidungen. Zwei kommen vom BGH, eine von einem LG.
Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 28.01.2025 – 4 StR 397/24 – der noch einmal/mal wieder zu en erforderlichen Feststellungen bei §§ 315b, 315c StGB anlässlich einer Fluchtfahrt Stellung nimmt/nehmen muss.
Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen verbotenem Kraftfahrzeugrennen und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubter Einreise sowie wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zur Verdeckung einer Straftat verurteilt. Der Angeklagte leistete elf türkischen Staatsangehörigen Hilfe bei deren unerlaubter Einreise, indem er sie im Laderaum eines Kleintransporters über Österreich nach Deutschland verbrachte. Unmittelbar nach Grenzübertritt wurde er zur Durchführung einer Kontrolle von einem Zivilfahrzeug der Grenzpolizei überholt, die ihn durch das Anhaltesignal „Polizei, Bitte Folgen“ und zusätzliches Winken mit einer Anhaltekelle dazu bewegen wollte, in einer Einbuchtung zu halten. Stattdessen zog der Angeklagte sein Fahrzeug nach links und beschleunigte stark, um sich der Kontrolle zu entziehen. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 160 km/h fuhr er über Land-straßen bis zum Ortsgebiet, wo er mit mindestens 100 km/h weiterfuhr. In einer Linkskurve geriet sein Fahrzeug in eine instabile Lage, schaukelte stark und „drohte“ aus Sicht der nachfolgenden Polizeibeamten „zu kippen“. Nur mit Mühe gelang es dem Angeklagten, das Fahrzeug wieder zu stabilisieren. Kurz darauf überholte er in einer Rechtskurve einen Pkw, obwohl sich erkennbar Gegenverkehr näherte. Das entgegenkommende Fahrzeug musste deshalb stark abbremsen und wich in seiner Fahrtrichtung nach rechts in die Einfahrt ei-nes Parkplatzes aus, um nach Einschätzung der nachfolgenden Polizeibeamten einen Zusammenstoß „gerade noch in letzter Sekunde“ zu vermeiden. Der An-geklagte nahm hierbei zumindest billigend in Kauf, sowohl die ungesichert im Laderaum sitzenden Geschleusten als auch den entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer bei einem Unfall zu gefährden oder gar zu verletzen. Kurz danach bog er in eine Straße ein, bremste stark ab und kam zum Stillstand. Kurz darauf wurde er von dem Dienstfahrzeug überholt, das schräg mit einem Abstand von ca. 1,5 m vom Bordstein und ca. 5 m vor dem Kleintransporter anhielt. Der Angeklagte fasste nun den Entschluss, sich zur Verdeckung seines bisherigen Tuns erneut der Festnahme zu entziehen, und fuhr mit einer Ge-schwindigkeit zwischen 5 und 25 km/h über den Randstein des Gehwegs. Bei seinem Anfahren rechnete er zumindest damit, dass sich aufgrund der drohen-den Festnahme die Beifahrertür des Dienstfahrzeugs öffnen würde. Hierzu kam es auch, jedoch konnte der Angeklagte auf das Aussteigen des Polizeibeamten, das er zum Zeitpunkt des Losfahrens nicht widerleglich noch nicht erkennen konnte, nicht mehr reagieren. Während er an dem Dienstfahrzeug mit einem Abstand von ca. 20 cm vorbeifuhr, erfasste er deshalb frontal dessen Beifahrertür, die hierdurch umgeklappt und bis zum Kotflügel des Dienstfahrzeugs gedrückt wurde. Nur durch einen schnellen Sprung zurück in das Dienstfahrzeug konnte sich der aussteigende Polizeibeamte vor einem Zusammenstoß retten. Der Zusammenstoß zwischen beiden Fahrzeugen war so stark, dass alle Geschleusten im Laderaum nach vorne geschleudert wurden; an dem Dienstfahrzeug entstand ein Sachschaden von etwa 14.000 €.
Der BGH führt insoweit aus:
„c) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich der neue Tatrichter intensiver als bislang geschehen damit zu befassen haben wird, ob sich der Angeklagte wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) StGB strafbar gemacht hat.
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer in allen Tatvarianten des § 315c Abs. 1 StGB vorausgesetzten konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert zwar die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“ erforderlich, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen“. Eine solche wertende Einschätzung muss aber von Feststellungen getragen werden, nach denen die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2024 – 4 StR 73/24 Rn. 6 mwN).
bb) Insoweit fehlt es für die Annahme, dass das in die Einfahrt eines Parkplatzes ausgewichene Fahrzeug konkret gefährdet war, an einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Denn die Urteilsgründe verhalten sich weder zu den in diesem Moment gefahrenen Geschwindigkeiten noch zu der Intensität der zur Vermeidung einer Kollision vorgenommenen Bremsungen. Auch bleibt offen, in welchem Abstand zu dem Fahrzeug des Angeklagten das entgegenkommende Fahrzeug auswich und zum Stehen gebracht wurde.
cc) Entsprechendes gilt für die Annahme, dass die Personen im Fahrzeug des Angeklagten konkret gefährdet waren, als das Fahrzeug zuvor in einer Linkskurve in eine instabile Lage geriet und es dem Angeklagten nur „mit Mühe“ gelang, das Fahrzeug wieder zu stabilisieren. Denn auf der Grundlage welcher Tatsachen – insbesondere des Kurvenradius und der konkreten Neigung des Fahrzeugs – die Befürchtung der nachfolgenden Polizeibeamten, es drohe umzukippen, trotz erfolgreicher stabilisierender Fahrmanöver des Angeklagten objektiv gerechtfertigt war, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Auch insoweit gilt, dass das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht ergänzende Feststellungen treffen kann, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.
2. Die nicht näher ausgeführte Sachrüge des Angeklagten hat teilweise ebenfalls Erfolg. Seine Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach §§ 315b Abs. 1 Nr. 3 , Abs. 3 , 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b) StGB unter Ziffer B. II. 3. der Urteilsgründe (Tatkomplex 2) ist nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats wird ein vorschriftswidriges Verhalten im fließenden Verkehr von § 315b StGB nur erfasst, wenn ein Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“, und es ihm darauf ankommt, hierdurch in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen. Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert zudem, dass durch den tatbestandsmäßigen Eingriff Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden. Bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht ferner hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wurde (st Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2024 – 4 StR 503/23 Rn. 9 mwN).
b) Dass der Angeklagte im vorgenannten Sinne in der Absicht handelte, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu pervertieren, lässt sich den Urteilsgründen auch unter Berücksichtigung ihres Gesamtzusammenhangs nicht entnehmen. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte in einem Abstand von ca. 20 cm an dem Dienstfahrzeug vorbei, mit dem er ausschließlich deshalb kollidierte, weil sich – womit er freilich rechnete – die Beifahrertür öffnete. Damit belegen die Urteilsgründe zwar bedingten Schädigungsvorsatz des Angeklagten, schließen aber nicht aus, dass er bis zuletzt ein kollisionsfreies Passieren des Dienstfahrzeugs für möglich hielt und anstrebte, den Verkehrsvorgang also nicht für sein Fortkommen pervertierte (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2023 – 4 StR 70/23 Rn. 12 mwN).“