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Wiedereinsetzungsantrag der störrischen Partei fehlt, oder: Keine Wiedereinsetzung von Amts wegen

Und im zweiten Posting dann noch einmal etwas vom BGH zur Wiedereinsetzung, und zwar den BGH, Beschl. v. 08.05.2025 – V ZB 44/24 – zur „ungewünschten“ Wiedereinsetzung.

Folgender Verfahrensablauf: Die Klägerin hat gegen das ihr am 12.10.2023 zugestellte Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 12.01.2024 verlängert worden. Mit Schriftsatz vom 11.01.2024 hat der Vertreter des Prozessbevollmächtigten der Klägerin den Antrag übermittelt, die Berufungsbegründungsfrist erneut bis zum 26.01.2024 zu verlängern, weil der Prozessbevollmächtigte als alleiniger Sachbearbeiter erkrankt sei. Die Beklagte hat am selben Tag kurz zuvor einer weiteren Fristverlängerung nicht zugestimmt.

Die Berufungsbegründungsschrift ist am 25.01.2024 bei dem Berufungsgericht eingegangen. Nach dem Hinweis des Vorsitzenden vom 12.02.2024, dass eine weitere Verlängerung der Begründungsfrist nicht gewährt worden sei und die Berufung als unzulässig verworfen werden müsse, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.03.2024 geltend gemacht, über den Verlängerungsantrag sei noch nicht entschieden worden, weshalb eine Verwerfung der Berufung nicht in Betracht komme. Dem nach Ablehnung der Fristverlängerung zu stellenden Antrag auf Wiedereinsetzung werde stattzugeben sein, da der erkrankungsbedingte Ausfall ihres Prozessbevollmächtigten unvorhersehbar gewesen sei und dieser als Einzelanwalt den grundsätzlich vertretungsbereiten Kollegen nicht in zumutbarer Weise mit der Fertigung der Berufungsbegründung habe beauftragen können. Mit Verfügung vom 15.04.2024 hat der Vorsitzende des Berufungssenats mitgeteilt, es sei bereits deutlich zum Ausdruck gebracht worden, dass eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden könne. Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13.05.i 2024 wiederholt, dass über den Antrag auf Fristverlängerung durch mit Gründen versehenen Beschluss entschieden werden müsse. Demzufolge sei ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand noch nicht angebracht. Für den Fall der Ablehnung der Fristverlängerung hat sie angekündigt darzulegen, dass ihr Prozessbevollmächtigter mit einem grippalen Infekt bis zum 22. Januar 2024 ans Bett gefesselt gewesen sei.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin. Der BGh hat die Rechtsbeschwerde der Klägerin als unzulässig zuückgewesien, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehle:

„…..

2. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt (§ 233 Satz 1 ZPO).

a) Einen Wiedereinsetzungsantrag hat die Klägerin nicht gestellt. Die Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) wurde mit dem Wegfall der eine Erstellung der Berufungsbegründung hindernden Erkrankung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, also mit Ablauf des 22. Januar 2024 in Gang gesetzt (§ 234 Abs. 2 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2011 – VIII ZB 81/10, NJW 2011, 1601 Rn. 9, 11), und endete mit Ablauf des 22. Februar 2024 (§ 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB). Innerhalb dieser Frist hat die Klägerin Wiedereinsetzung nicht beantragt. Das sieht die Rechtsbeschwerde nicht anders.

b) Das Berufungsgericht war entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht gehalten, der Klägerin von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

aa) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO von Amts wegen gewährt werden, wenn die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt wird. Weitere Voraussetzung ist, dass die Gründe für die unverschuldete Fristversäumnis innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO offenkundig sind oder nach einem erforderlichen gerichtlichen Hinweis offenkundig geworden wären (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Juni 2014 – V ZB 187/13, NJW-RR 2015, 628 Rn. 12; BGH Beschluss vom 21. Februar 2023 – VIII ZB 17/22, MDR 2023, 861 Rn. 29, jeweils mwN).

bb) Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kommt aber nicht in Betracht, wenn die Partei ausdrücklich und unmissverständlich erklärt, die Wiedereinsetzung werde nicht beantragt, und daran nach einem Hinweis des Gerichts festhält. Die Vorschrift des § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO soll lediglich verhindern, dass die Partei einen unverschuldeten Rechtsverlust allein deshalb erleidet, weil sie keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17. Januar 2013 – III ZR 168/12, NJW-RR 2013, 692 Rn. 19). Erklärt die Partei, nachdem sie von dem Gericht auf die Fristversäumung hingewiesen worden ist, sie stelle keinen Wiedereinsetzungsantrag, darf ihr über § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Wiedereinsetzung nicht gegen ihren Willen aufgedrängt werden (vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 2013 – III ZR 168/12, aaO; MüKoZPO/Stackmann, 7. Aufl., § 236 Rn. 22 mwN). So wäre es hier. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat, auch nach mehreren Hinweisen des Berufungsgerichts auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, erklärt, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (noch) nicht zu stellen. Er hat die Wiedereinsetzung auch nicht vorsorglich oder hilfsweise beantragt. Im Gegenteil hat er auf seiner mit den prozessualen Vorgaben offenkundig unvereinbaren Rechtsauffassung beharrt, das Gericht müsse die Fristverlängerung durch begründeten Beschluss ablehnen und er sei erst im Anschluss daran gehalten, Wiedereinsetzung zu beantragen. Daran muss er sich festhalten lassen und kann nicht mit der Rechtsbeschwerde geltend machen, das Berufungsgericht hätte von Amts wegen Wiedereinsetzung gewähren müssen.“

Abriss des Tankdeckels in der Waschstraße ab, oder: Keine Haftung des Waschstraßenbetreibers

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zweimal etwas vom BGH.

Zunächst kommt hier das BGH, Urt. v. 22.05.2025 – VII ZR 157/24, in dem sich der BGH noch einmal zur Haftung des Betreibers einer Waschstraße für die Beschädigung eines Fahr­zeugs geäußert hat.

Gestritten wird um Schadensersatz für Schäden an seinem Pkw des Klägers nach Nutzung einer von der Beklagten betriebenen Autowaschan­lage. Das AG hatte zugesprochen, das LG in der Berufung dann Schadensersatz verweigert. Nach dem Sachverhalt befand sich vor der Einfahrt in die Waschstraße ein Hinweisschild „Einfahrbedingungen & Hausrecht“, das auszugsweise wie folgt lautete:“ Es gelten die folgenden Benutzungshinweise: Bedienungshinweise des Fahrzeugherstellers zur Wasch­straßenbenutzung unbedingt beachten. Tank- und Wartungsklappen müssen sicher verriegelt sein, Nummernschilder müssen vorschriftsmäßig und sicher befestigt sein.“

Der Kläger benutzte die Waschstraße mit seinem Fahrzeug der Marke BMW, Modell X 3. Das Fahrzeug ist – wie alle Fahrzeuge aus derselben Baureihe – mit einem Tankdeckel ohne Verriegelungsmöglichkeit bei der Nutzung einer üblichen vollautomatisierten Waschstraße ausgestattet. Nach dem Waschvorgang zeigte der Kläger gegenüber der Beklagten an, dass der Tankdeckel des Fahrzeugs abgerissen und das Fahrzeug am Kotflügel be­schädigt war.

Die vom LG zugelassene Revision der Klägers ist erfolglos geblieben:

Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

„1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass es sich bei dem Vertrag über die Reinigung eines Fahrzeugs um einen Werkvertrag handelt und sich aus einem solchen Vertrag als Nebenpflicht die Schutzpflicht des Anlagenbetreibers ergibt, das Fahrzeug des Kunden vor Beschädigungen beim Waschvorgang zu bewahren (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 18, NJW 2025, 435; Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17 Rn. 12 m.w.N., NJW 2018, 2956). Die Verkehrssicherungspflichten innerhalb eines Vertragsverhältnisses sind zugleich Vertragspflichten; die auf den Werkvertrag bezogene Verkehrssicherungspflicht des Unternehmers geht nicht weiter als die werkvertragliche Schutzpflicht des Unternehmers (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 18, NJW 2025, 435; Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17 Rn. 12 m.w.N., NJW 2018, 2956).

2. Für Fahrzeugschäden während des Waschvorgangs haftet der Betreiber einer Waschanlage im Grundsatz nur bei Vorliegen einer von ihm zu vertretenden Pflichtverletzung (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 22 m.w.N., NJW 2025, 435). Ohne ausdrückliche Verein-barung der Parteien – für die hier keine Anhaltspunkte bestehen – kann nicht davon ausgegangen werden, dass er dem Kunden verschuldensunabhängig garantieren will, dass sein Fahrzeug nicht beschädigt wird (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 22 m.w.N., NJW 2025, 435).

3. Derjenige, der eine Gefahrenlage – wie durch den Betrieb einer Waschanlage – schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Der Betreiber einer Waschanlage hat dafür Sorge zu tragen, dass die Fahrzeuge seiner Kunden nicht beschädigt werden. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Anlagenbetreiber für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 20, NJW 2025, 435).

Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher genügt es, diejenigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise – hier der Betreiber von Waschanlagen – für ausreichend halten darf, um andere Personen – hier die Kunden – vor Schäden zu bewahren, und die dem Verkehrssicherungspflichtigen den Umständen nach zuzumuten sind. Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen bestimmt sich dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen und der Höhe des Kostenaufwands, der mit etwaigen Sicherungsvorkehrungen einhergeht (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 21, NJW 2025, 435; Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17 Rn. 17 f. m.w.N., NJW 2018, 2956).

Im Rahmen dieser Sorgfaltspflichten hat der Anlagenbetreiber über die mit der Nutzung der Anlage einhergehenden Gefahren in geeigneter, ihm zumut-barer, ausreichend deutlicher und verständlicher Weise zu informieren (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17, Rn. 25, NJW 2018, 2956; Urteil vom 5. Oktober 2004 – VI ZR 294/03, MDR 2005, 335, juris Rn. 24).

4. Dafür, dass der Schuldner eine ihm obliegende Pflicht verletzt und diese Pflichtverletzung einen Schaden verursacht hat, trägt grundsätzlich der Gläubiger, hier der Kläger beziehungsweise der Kunde der Waschanlage, die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 24, NJW 2025, 435; Urteil vom 22. Oktober 2008 – XII ZR 148/06 Rn. 15, NJW 2009, 142). Dies gilt auch bei der Verletzung einer Schutzpflicht, so dass es – ohne Vorliegen besonderer Umstände – nicht genügt, wenn der Gläubiger lediglich nachweist, dass ihm im Zusammenhang mit der Durchführung eines Vertrags ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 24, NJW 2025, 435; Urteil vom 28. April 2005 – III ZR 399/04, BGHZ 163, 53, juris Rn. 8).

Nur wenn die für den Schaden in Betracht kommenden Ursachen allein im Obhuts- und Gefahrenbereich des Schuldners, hier des Anlagenbetreibers, liegen, muss abweichend von den vorstehenden Grundsätzen der Schuldner darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ihn keine Pflichtverletzung trifft (BGH, Urteil vom 21. November 2024 – VII ZR 39/24 Rn. 25, NJW 2025, 435; Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17 Rn. 14 m.w.N., NJW 2018, 2956).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Vorinstanzen sind übereinstimmend und von der Revision unangegriffen davon ausgegangen, dass der mit der Klage geltend gemachte Schaden auf einem selbsttätigen Öffnen des Tankdeckels durch Druck auf den Deckel während des Waschvorgangs beruht und diese Öffnung des Tankdeckels ihre Ursache darin hat, dass das Fahrzeug des Klägers aufgrund seiner baureihenspezifischen technischen Ausstattung über keine Verriegelungsmöglichkeit bei der Nutzung einer vollautomatisierten Waschstraße verfügt. Dieses spezifische technische Ausstattungsmerkmal fällt nicht in den Obhuts- und Gefahrenbereich des Anlagenbetreibers.

5. Der hiernach ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast für eine Pflichtverletzung der Beklagten ist der Kläger, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, nicht hinreichend nachgekommen.

a) Auszuschließen ist eine Pflichtverletzung wegen einer Fehlfunktion der Anlage. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts funktionierte die Anlage „regelkonform“.

b) Auch die Verletzung einer Hinweispflicht scheidet aus, weil die Beklagte mit dem Hinweis „Tank- und Wartungsklappen müssen sicher verriegelt sein“ über die mit der Nutzung der Anlage einhergehende Gefahr der Öffnung des Tankdeckels in der Anlage in geeigneter, zumutbarer sowie ausreichend deutlicher und verständlicher Weise informiert hat. Sowohl nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als auch nach dem Verständnis des durchschnittlichen Waschstraßenkunden in der Situation vor der Einfahrt in die Waschstraße bedeutet „sicher verriegelt“ jedenfalls mehr als lediglich „geschlossen“. Ein zusätzlicher Hinweis darauf, dass das Fahrzeug andernfalls beschädigt werden kann, ist nicht erforderlich, weil dies im gegebenen Zusammenhang selbstverständlich ist.

Für den Umstand, dass das Fahrzeug des Klägers – wie nach den außer Streit stehenden Feststellungen des Berufungsgerichts alle Fahrzeuge aus dieser Baureihe – über keine Verriegelungsmöglichkeit des Tankdeckels bei der Nutzung einer vollautomatisierten Waschstraße verfügt, trifft den Anlagenbetreiber grundsätzlich keine Hinweispflicht. Es ist vielmehr Sache des Kunden, entweder den Hinweis vor Einfahrt in die Waschstraße umzusetzen und sicherzustellen, dass dies bei seinem Fahrzeug möglich ist, oder andernfalls von der Nutzung der Anlage Abstand zu nehmen.

Ob Abweichendes dann gilt, wenn der Anlagenbetreiber – zum Zeitpunkt der Waschstraßennutzung durch den Kunden – die fehlende Verriegelungsmöglichkeit des Tankdeckels an Fahrzeugen wie demjenigen des Klägers positiv kennt, kann dahinstehen, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Kläger eine positive Kenntnis der Beklagten zum maßgeblichen Schadenszeitpunkt nicht nachgewiesen hat. Die hiergegen erhobene Verfahrensrüge hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet, § 564 Satz 1 ZPO.

c) Sonstige Umstände, die eine Pflichtverletzung begründen könnten, hat der Kläger nicht dargelegt.“

 

Anwendbares Recht II: BtM-Ankauf in Holland, oder: Trotz KCanG ist Kauf von Cannabis im Ausland strafbar

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In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 05.03.2025 – 3 StR 399/24 – geht es auch um die Frage des anwendbaren Rechts, und zwar darum, ob der Begriff der Betäubungsmittel in § 6 Nr. 5 StGB auch nach Inkrafttreten des KCanG die Rauschmittel Cannabis und Marihuana umfasst.

Das LG hat die Angeklagten wegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bzw. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Nach Feststellungen des LG ging es um Kaufgeschäfte in den Niederlanden, wo 2020 zwei Mal mehrere Kilogramm Marihuana für den Verkauf in Deutschland gekauft worden waren. Das Urteil des LG datiert vom 09.02.2024 – also von vor nach Inkrafttreten des CanG und des KCanG.

Der BGH sagt: Deutsches Strafrecht ist nach wie vor anwendbar. Das begründet es sehr umfassend. Ich beschränke mich hier auf den BGH-Leitsatz und übergebe den Rest dem Selbstleseverfahren:

Der Begriff der Betäubungsmittel in § 6 Nr. 5 StGB umfasst auch nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes die Rauschmittel Cannabis und Marihuana.

Anwendbares Recht I: Vergewaltigung in der Türkei, oder: Deutsches Recht anwendbar, ja oder nein?

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Heute gibt es dann – ich glaube zum ersten Mal – drei Entscheidungen zum anwendbaren Recht, also der Frage: Deutsches Recht ja oder nein.

Ich starte mit dem BGH Beschl. v. 1 StR 113/25Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen verurteilt. Seine Revision hatte mit der Sachrüge teilweise Erfolg:

1. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall C. II. 1. der Urteilsgründe wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Missbrauch von Schutzbefohlenen hat keinen Bestand, weil die Feststellungen des Landgerichts zum Strafanwendungsrecht insoweit lückenhaft sind.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der Angeklagte die vorgenannte verfahrensgegenständliche Tat während des gemeinsamen Urlaubs der Familie in der Türkei im August 2021 zum Nachteil der Nebenklägerin, seiner leiblichen Tochter. Dem Rubrum des Urteils ist zu entnehmen, dass der Angeklagte türkischer Staatsangehöriger ist; Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Nebenklägerin zur Tatzeit sind aber vom Landgericht nicht getroffen worden.

b) Damit lässt sich aus den bisherigen Feststellungen eine Anwendung deutschen Strafrechts für die in der Türkei begangene Tat nicht entnehmen.

aa) Eine Anwendung deutschen Strafrechts nach § 5 Nr. 8 StGB ist ausgeschlossen, auch wenn der Angeklagte zur Tatzeit seinen Lebensmittelpunkt im Inland hatte. Diese Regelung ist erst durch Gesetz vom (BGBl. I Nr. 203 vom ) mit Wirkung vom eingefügt worden und damit nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat. Einer Rückwirkung der Änderung steht § 2 Abs. 1, Abs. 3 StGB entgegen.

Die Rechtsanwendungsregeln der §§ 3 ff. StGB sind zugleich Geltungsvoraussetzung und Bestandteil des materiellen deutschen Strafrechts und bestimmen damit im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG die Strafbarkeit der darin genannten Taten (vgl. Rn. 23 ff., 28, 10 zu § 370 Abs. 7 AO aF mwN).

bb) Eine Anwendung deutschen Strafrechts kommt aber nach § 7 Abs. 1 StGB in Betracht. Danach gilt das deutsche Strafrecht für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist. Eine Prüfung dieser Voraussetzungen ist dem Senat nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht möglich, da das Urteil sich nicht dazu verhält, ob die Nebenklägerin bei Begehung der Tat deutsche Staatsangehörige war.

c) Die Feststellungen des Landgerichts können bestehen bleiben, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen; zu den tatsächlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StGB wird es weitergehende Feststellungen zu treffen haben.

…“

Verwertbarkeit einer Beschuldigtenvernehmung, oder: Keine audiovisuelle Aufzeichnung der Vernehmung

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 12.03.2025 – 4 StR 329/24.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Mordes verurteilt. Dagegen hatte sich der Angeklagte u.a. mit Verfahrensrügen gewendet, die jedoch keinen Erfolg hatten.Der BGH führt u.a. aus:

„2. Ebenso wenig dringt die Rüge durch, die Angaben des Angeklagten in seiner Beschuldigtenvernehmung seien mangels audiovisueller Aufzeichnung gemäß § 136 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO unverwertbar. Der Senat kann offenlassen, ob dies bereits deshalb von vornherein ausscheidet, weil es sich bei der Norm um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt (vgl. BT-Drucks. 18/11277 S. 27; Diemer in KK-StPO, 9. Aufl., § 136 Rn. 25d). Ein Beweisverwertungsverbot könnte im Ergebnis allenfalls bei einem bewussten Verstoß oder einem objektiv willkürlichen Vorgehen durch die Strafverfolgungsbehörden in Betracht kommen (vgl. Gless in Löwe-Rosenberg, StPO, 28. Aufl., § 136 Rn. 75p; Weigend, StV 2019, 852, 857; Singelnstein/Derin, NJW 2017, 2646, 2649). Einen bewussten Rechtsverstoß behauptet auch die Revision nicht; darüber hinaus bestehen für ein objektiv willkürliches Verhalten der Vernehmungsbeamten keine durchgreifenden Anhaltspunkte. Der ordnungsgemäß belehrte Angeklagte befand sich aufgrund seiner unbelegten Behauptung, Übelkeit und Bauchschmerzen zu verspüren sowie Tabletten und Kokain zu sich genommen zu haben, in einem Krankenhaus. Dort knüpfte er seine Aussagebereitschaft zunächst an die Bedingung, zum Festnahmeort – einem Imbiss – gefahren zu werden, und reagierte aufbrausend auf deren Versagung. Dass er schließlich während des Zuwartens auf Laborergebnisse von polizeilichen Unterstützungskräften im Krankenhaus vernommen wurde, nachdem die Ermittler der Mordkommission es bereits wieder verlassen hatten und wegen Zweifeln an einem ernsthaften Sinneswandel des Angeklagten nicht eigens zurückkehren wollten, lässt das Unterbleiben einer Videoaufzeichnung in der Gesamtschau zumindest nicht objektiv willkürlich erscheinen. Denn auch in der Person des Beschuldigten liegende Umstände – wie sie hier in seiner wechselnden Aussagebereitschaft und Stimmung (bei zugleich fehlender Aufzeichnungsmöglichkeit vor Ort) zu sehen sind – können nach § 136 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO der audiovisuellen Dokumentation entgegenstehen (vgl. hierzu auch BT-Drucks. 18/12785 S. 59).“