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Drei Entscheidungen zum elektronischen Dokument, oder: Signatur, Störung bei Gericht, StA-Berufung

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Und dann habe ich hier drei Entscheidungen zum beA und/oder dem elektronischen Dokument. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze vor, und zwar:

Bei einfacher Signatur gem. § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO muss die Namenswiedergabe so entzifferbar sein, dass sie von den Empfängern des Dokuments ohne Sonderwissen oder Beweisaufnahme einer bestimmten Person als Verantwortlicher zugeordnet werden kann.

1. Die Störung des Intermediärs der Justiz stellt eine dem Verantwortungsbereich des Gerichts zuzuordnende Verhinderung des fristgerechten Zugangs von Schriftsätzen, die über das beA eingereicht werden müssen, dar.

2. Ist wegen einer technischen Störung auf Seiten der Justiz keine Kommunikation mit dem Gericht möglich, besteht wegen einer darauf beruhenden Fristversäumnis ein Wiedereinsetzungsgrund. Der Absender muss dann auch keine andere Art der Einreichung wählen.

3. Eine gesetzliche Pflicht zur fristgemäßen Ersatzeinreichung bei Vorliegen einer vorübergehenden technischen Störung lässt sich aus § 130 d S. 2 ZPO jedenfalls dann nicht ableiten, wenn die Störung – wie hier – nicht der Partei des Rechtsstreits, sondern dem Gericht zuzurechnen ist.

Werden die Akten – jedenfalls erstinstanzlich – elektronisch geführt werden, ist die Berufungseinlegungsschrift der Staatsanwaltschaft gemäß § 32b Abs. 3 Satz 2 StPO grundsätzlich als elektronisches Dokument zu übermitteln.

Übermittlung eines elektronischen Dokuments, oder: Nicht nur mit „Rechtsanwalt“ ohne Namenszusatz

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Im „Kessel-Buntes“ gibt es heute zunächst etwas zum BeA, und zwar den BGH, Beschl. v. 11.03.2025 – VI ZB 5/24 – zu den den Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO an die Übermittlung eines elektronischen Dokuments.

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch. Das LG hat die Klage mit Urteil vom 17.08.2023 abgewiesen. Dieses Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 22.08.2023 zugestellt worden. Die Berufungsschrift und ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sind form- und fristgemäß beim OLG eingegangen. Das OLG hat die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 22.11.2023 verlängert. Am 27.10.2023 ist beim OLG eine von Rechtsanwalt Dr. I. qualifiziert elektronisch signierte Berufungsbegründung eingegangen. Im zugehörigen Prüfvermerk vom 27.10.2023 ist als Absender der Nachricht Rechtsanwalt Dr. E. genannt mit dem Hinweis: „Diese Nachricht wurde per EGVP versandt“. Im Briefkopf der Berufungsbegründung sind mehrere Berufsträger angegeben, unter anderem Rechtsanwalt Dr. E. und Rechtsanwalt Dr. I. In der Berufungsbegründung wird einleitend Rechtsanwalt Dr. E. als „Ansprechpartner“ genannt. Am Ende des Schriftsatzes findet sich nur die Angabe „Rechtsanwalt“, ein Name ist dort nicht angegeben. Das OLG hat die Berufung nach einem Hinweis durch Beschluss als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde. Die hatte Erfolg:

„…. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Berufung der Klägerin sei nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet worden, da der am 27. Oktober 2023 beim Berufungsgericht eingegangene Schriftsatz den Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht genüge, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die Bestimmung stellt damit zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten zur Verfügung. Zum einen kann der Rechtsanwalt den Schriftsatz mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Zum anderen kann er auch nur einfach signieren, muss den Schriftsatz aber sodann selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, etwa über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) nach den §§ 31a und 31b BRAO (§ 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO), einreichen. Die einfache Signatur hat in dem zuletzt genannten Fall die Funktion zu dokumentieren, dass die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der die Verantwortung für das elektronische Dokument übernehmenden Person identisch ist; ist diese Identität nicht feststellbar, ist das Dokument nicht wirksam eingereicht (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Mai 2024 – VI ZB 22/23, NJW-RR 2024, 1058 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 – IX ZB 30/23, NJW 2024, 1660 Rn. 9 f.). Nach einhelliger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein elektronisches Dokument, das aus einem persönlich zugeordneten beA (vgl. § 31a BRAO) versandt wird und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, nur dann wirksam eingereicht, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Mai 2024 – VI ZB 22/23, NJW-RR 2024, 1058 Rn. 5 mwN).

b) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zu Recht angenommen, dass die Berufungsbegründung, die mit dem Wort „Rechtsanwalt“ ohne Namenszusatz endet, nicht unter den Voraussetzungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 2. Alt. ZPO beim Berufungsgericht eingereicht worden ist. Denn die Berufungsbegründung ist weder mit einer einfachen Signatur eines Rechtsanwalts versehen, wofür die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes ausreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512 Rn. 10; BT-Drucks. 17/12634 S. 25; Bacher, MDR 2022, 1441 Rn. 22), noch auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 130a Abs. 4 Satz 1 ZPO eingereicht worden. Aus den Angaben im Prüfvermerk vom 27. Oktober 2023 ergibt sich, dass die Berufungsbegründung zwar aus dem beA des Rechtsanwalts Dr. E. versandt worden ist, aber nicht von ihm persönlich. Hätte Rechtsanwalt Dr. E. die Nachricht persönlich versandt, lautete die Angabe im Prüfvermerk: „Sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach“. Bei Nachrichten, die nicht vom Inhaber des beA selbst versandt worden sind, lautet die Angabe im Prüfvermerk hingegen wie im Streitfall, nämlich „Diese Nachricht wurde per EGVP versandt“ (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2022 – IX ZR 118/22, juris Rn. 10; Bacher, MDR 2022, 1441 Rn. 29, 32).

c) Rechtsfehlerhaft ist aber die Ansicht des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung sei auch nicht nach § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO wirksam beim Berufungsgericht eingereicht worden, da nicht feststehe, welcher der beiden Anwälte, Rechtsanwalt Dr. E. oder Rechtsanwalt Dr. I., die Berufungsbegründung verantworte. Rechtsanwalt Dr. I. hat die Berufungsbegründung qualifiziert elektronisch signiert. Mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur ist die Vermutung verbunden, dass er die Verantwortung für die Berufungsbegründung übernehmen wollte; diese Vermutung ist im Streitfall nicht erschüttert.

aa) Die qualifizierte elektronische Signatur entspricht im elektronischen Rechtsverkehr der handschriftlichen Unterschrift (Senatsbeschluss vom 18. April 2023 – VI ZB 36/22, NJW 2023, 2433 Rn. 16; BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 – IX ZB 30/23, NJW 2024, 1660 Rn. 10; jeweils mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht der Sinn der Unterschrift darin, die Identifizierung des Urhebers der Prozesshandlung zu ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck zu bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2019 – VI ZB 22/19 und VI ZB 23/19, NJW-RR 2020, 309 Rn. 11; für die qualifizierte elektronische Signatur BGH, Beschluss vom 19. Januar 2023 – V ZB 28/22, NJW 2023, 1587 Rn. 10; jeweils mwN). Es spricht grundsätzlich eine Vermutung dafür, dass der Unterzeichner sich den Inhalt eines Schreibens zu eigen gemacht hat und dafür aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernimmt (BVerfG, NJW 2016, 1570 Rn. 24; Senatsurteil vom 20. Dezember 2022 – VI ZR 279/21, NJW-RR 2023, 495 Rn. 7 mwN). Entsprechend bringt der Rechtsanwalt, der ein elektronisches Dokument qualifiziert elektronisch signiert, selbst wenn es von einem anderen verfasst wurde, wie mit seiner eigenhändigen Unterschrift ohne weitere Voraussetzungen im Zweifel seinen unbedingten Willen zum Ausdruck, Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 – IX ZB 30/23, NJW 2024, 1660 Rn. 13 mwN).

bb) Diese mit der qualifizierten elektronischen Signatur von Rechtsanwalt Dr. I. verbundene Vermutung ist im Streitfall nicht erschüttert. Entgegenstehende Anhaltspunkte ergeben sich nach den oben angeführten Grundsätzen weder daraus, dass Rechtsanwalt Dr. E. nach den Feststellungen des Berufungsgerichts das Verfahren in erster Instanz allein verantwortet und die Berufung eingelegt hat, noch daraus, dass er als „Ansprechpartner“ in der Berufungsbegründung angegeben ist. Anders als das Berufungsgericht meint, ist auch unschädlich, dass der Name von Rechtsanwalt Dr. I. am Ende des Schriftsatzes nicht genannt ist und der Schriftsatz nicht aus dessen beA versandt worden ist. Das Berufungsgericht verkennt die Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO. Die einfache Signatur eines Schriftsatzes ist neben der qualifizierten elektronischen Signatur nach § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO nicht erforderlich (vgl. Bacher, MDR 2022, 1441 Rn. 17; nach BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 – IX ZB 30/23, NJW 2024, 1660 Rn. 13 und BAG, NJW 2020, 258 Rn. 9 f. ist sogar unschädlich, wenn am Ende des qualifiziert elektronisch signierten Schriftsatzes ein anderer Name steht). § 130a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. ZPO verlangt auch nicht, dass der Schriftsatz aus dem beA desjenigen Rechtsanwalts, der den Schriftsatz qualifiziert elektronisch signiert hat, dem Gericht übermittelt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2024 – 6 StR 93/24, NStZ-RR 2024, 316 f., juris Rn. 5 f. mwN [zu § 32a Abs. 3 Satz 1 1. Alt. StPO]).“

2. Eine Berufungsbegründung, die mit dem Wort „Rechtsanwalt“ ohne Namenszusatz endet, ist weder mit einer einfachen Signatur eines Rechtsanwalts versehen, wofür die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes ausreicht, noch auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden.

3. Mit der qualifizierten elektronischen Signatur ist die Vermutung verbunden, dass der Unterzeichner sich den Inhalt eines Schreibens zu eigen gemacht hat und dafür aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernimmt.

4. Die einfache Signatur eines Schriftsatzes ist neben der qualifizierten elektronischen Signatur nicht erforderlich. Weiter ist es nicht erforderlich, dass der Schriftsatz aus dem beA desjenigen Rechtsanwalts, der den Schriftsatz qualifiziert elektronisch signiert hat, dem Gericht übermittelt wird.

Elektronisches Dokument: Zugang des Dokuments, oder: Nachweis der Zustellung

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In die 6. KW starte ich dann mit Entscheidungen zum elektronischen Dokument, und zwar zweimal BGH, einmal OLG Frankfurt am Main.

Ich starte mit den beiden BGH-Entscheidungen, und zwar:

1.    Bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist es auch für die elektronische Form zur Wahrung der Form nicht ausreichend, dass die Willenserklärung formgerecht abgegeben wurde; diese muss dem Erklärungsgegner vielmehr auch in der entsprechenden Form zugehen. Für den Zugang einer in einem qualifiziert elektronisch signierten elektronischen Dokument enthaltenen Willenserklärung ist es daher erforderlich, dass dieses Dokument so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser die qualifizierte elektronische Signatur des Erklärenden und damit die Echtheit des Dokuments prüfen kann.

2.    Diese Voraussetzungen sind in dem Zeitraum vor dem Inkrafttreten der Vorschrift des § 130e ZPO am 17. Juli 2024 erfüllt, wenn in einem Zivilprozess ein elektronischer Schriftsatz mit einer gültigen qualifizierten elektronischen Signatur, der eine empfangsbedürftige Willenserklärung enthält, vom Gericht unter Aufrechterhaltung der elektronischen Signatur elektronisch an den Empfänger der Willenserklärung weitergeleitet wird.

3.    In dem Zeitraum vor dem Inkrafttreten des § 130e ZPO bewirkt die Übermittlung eines Ausdrucks eines mit einer gültigen qualifizierten elektronischen Signatur versehenen, bei Gericht im Rahmen eines Zivilprozesses eingegangenen elektronischen Dokuments unter Beifügung eines Transfervermerks im Sinne des § 298 Abs. 3 ZPO keinen wirksamen Zugang der in dem Dokument enthaltenen empfangsbedürftigen Willenserklärung beim Erklärungsgegner.

1. Den Nachweis über den Zeitpunkt der Zustellung der angefochtenen Entscheidung
erbringt der Rechtsmittelführer durch die Übermittlung des vom Ausgangsgericht
mit der Zustellung als strukturierter Datensatz zur Verfügung gestellten bzw. ange-
forderten elektronischen Empfangsbekenntnisses.

2. Ist die Gerichtsakte bei Eingang des Empfangsbekenntnisses bereits für die Durch-
führung eines Rechtsmittelverfahrens an das Gericht des höheren Rechtszuges ab-
gegeben, liegt es in der Organisationsverantwortung der Gerichte, für eine Zuord-
nung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zu dem zugestellten Dokument
zu sorgen.

beA I: Beschwerde geht als Irrläufer beim AG ein, oder: AG leitet per Post und nicht per beA weiter

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Heute dann zum Wochenstart zwei Entscheidungen zum beA/elektronischen Dokument.

Die erste kommt vom BGH. Sie hat folgenden Sachverhalt: In einem (familienrechtlichen) Verfahren beantragte eine Rechtsanwälting für ihre Mandantin sechs Tage vor Fristablauf per beA, die Frist zur Beschwerdebegründung erstmals um einen Monat zu verlängern. Diesen Schriftsatz sandte sie nicht an das zuständige Beschwerdegericht, sondern an die erste Instanz, das AG. Die Geschäftsstelle druckte den Antrag aus und leitete ihn per Post an das OLG weiter. Dort kam er neun Tage später an, drei Tage nach Ablauf der Begründungsfrist, an.

Das OLG hat die Beschwerde wegen Verfristung als unzulässig verworfen. Der Wiedereinsetzungsantrag der Rechtsanwältin wurde wegen Anwaltsverschulden zurück gewiesen. Begründung: Selbst, wenn der Verlängerungsantrag noch rechtzeitig beim OLG eingegangen wäre, wäre er in jedem Fall nicht formgerecht – per beA – eingereicht worden, da er – unstreitig – in Papierform beim OLG eingegangen war. Die Rechtsanwältin habe auch nicht darauf vertrauen dürfen, dass das AG ihn elektronisch weiterleiten würde.

Der BGH hat im Rechtsbeschwerdeverfahren mit dem BGH, Beschl. v. 24.10.2024 – XII ZB 411/23 – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt:

„Ausgehend hiervon hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei ein der Antragstellerin zurechenbares Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten darin gesehen, dass diese den von ihrer Mitarbeiterin gefertigten Fristverlängerungsantrag vor Versendung nicht darauf überprüft hat, ob er an das zuständige Rechtsmittelgericht adressiert war. Dass die Verfahrensbevollmächtigte diesen anwaltlichen Sorgfaltspflichten nicht genügt hat (vgl. zu den Sorgfaltsanforderungen nur BGH Beschluss vom 20. April 2023 – I ZB 83/22 – MDR 2023, 932 Rn. 11 mwN), wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt.

bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts wird die Kausalität des Anwaltsverschuldens für die Fristversäumung jedoch dadurch ausgeschlossen, dass bei im ordentlichen Geschäftsgang erfolgender postalischer Weiterleitung des am 13. Juni 2023 beim Amtsgericht als elektronisches Dokument iSd § 113 Abs. 1 FamFG iVm §§ 130 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, 130 d Satz 1 ZPO per beA eingegangenen Fristverlängerungsantrags dieser am 19. Juni 2023 und damit noch vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingehen hätte müssen.

(1) Geht ein fristgebundener Schriftsatz statt beim Rechtsmittelgericht bei dem erstinstanzlichen Gericht ein, ist dieses nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf der Beteiligte darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden des Beteiligten oder seines Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2016 – XII ZB 203/15 – FamRZ 2016, 1762 Rn. 12 mwN; BGH Beschluss vom 20. April 2023 – I ZB 83/22 – MDR 2023, 932 Rn. 14 mwN).

(2) Gemessen daran durfte die Antragstellerin darauf vertrauen, dass ihr Fristverlängerungsantrag bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingeht. Dahinstehen kann dabei, ob die Annahme des Beschwerdegerichts zutrifft, dass die Antragstellerin eine elektronische Weiterleitung ihres Fristverlängerungsantrags nicht erwarten durfte. Denn nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts wäre im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsgangs zu erwarten gewesen, dass bei postalischer Weiterleitung des am 13. Juni 2023 beim Amtsgericht als elektronisches Dokument iSd § 113 Abs. 1 FamFG iVm §§ 130 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, 130 d Satz 1 ZPO per beA eingegangenen Fristverlängerungsantrags dieser am 19. Juni 2023 und damit noch vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingegangen wäre. Damit entfällt die Kausalität des anwaltlichen Verschuldens für die Fristversäumnis.

(a) Ob die postalische Weiterleitung eines als elektronisches Dokument eingegangenen Schriftsatzes zu einem fristwahrenden Eingang des Fristverlängerungsantrags beim Beschwerdegericht führen kann, ist allerdings umstritten.

Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass es – bezogen auf den maßgeblichen Zugang beim zuständigen Beschwerdegericht – im Falle einer postalischen Weiterleitung eines per beA beim unzuständigen Gericht eingegangenen Schriftsatzes an der Wahrung der elektronischen Form iSd §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO fehle (vgl. OLG Bamberg FamRZ 2022, 1382, 1384; VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 6. September 2022 – 12 S 1365/22 – juris Rn. 24 zu § 55 d VwGO; so wohl auch jurisPK-ERV/Jansen 2. Aufl. § 233 ZPO Rn. 87; Anders/Gehle/Göertz ZPO 82. Aufl. § 519 Rn. 5; Musielak/Borth/Frank/Borth FamFG 7. Aufl. § 14 Rn. 2). Nach anderer Ansicht wird das Formerfordernis aus §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO auch durch die Einreichung eines mit einer einfachen Signatur versehenen Schriftsatzes per beA bei einem nicht zuständigen Gericht erfüllt (vgl. Bacher MDR 2022, 1441, 1443; so wohl auch Müller NVwZ 2022, 1150 f. bei elektronischer Weiterleitung).

(b) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend…….“

Wegen der weiteren Begründung des BGH für seine Auffassung verweise ich auf den verlinkten Volltext.

VerfG I: BVerfG ist ab heute – 01.08.2024 – digital, oder: beA/elektronisches Dokument jetzt auch beim BVerfG

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In den neuen Monat – 01.08.2024 – starte ich mit Entscheidungen/Mitteilungen zu verfassungsgerichtlichen Entscheidungen und was damit zu tun hat.

Hier dann zunächst etwas, „was damit zu tun hat“. Denn heute ist eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, die man im Verfassungsbeschwerdeverfahren beachten muss. Denn das BVerfG ist digital geworden.

Ab heute, dem 01.08.2024, haben Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts nämlich nicht mehr die Möglichkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beim BVerfG verfahrensbezogene Dokumente per Post oder Telefax in analoger Form einzureichen. Die §§ 23a ff. BVerfGG sehen vielmehr jetzt für den Kreis der „Nutzer“ die „digitalen Verfassungsbeschwerde“ vor, und zwar in § 23c BVerfGG. Das elektronische Dokument muss – wie auch sonst – mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von ihr signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Sichere Übermittlungswege sind beispielsweise das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), das elektronische Bürger- und Organisationspostfach (eBo), der Dienst „Mein Justizpostfach“ oder der Postfach- und Versanddienst eines absenderbestätigten De-Mail-Kontos. Per E-Mail können verfahrensbezogenen Dokumente nicht rechtswirksam eingereicht werden.

Informationen rund um die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs hat das BVerfG in einem Frage-Antwort-Katalog (FAQ) auf seiner Homepage bereit gestellt.

Also: Augen auf, sonst kann es Probleme bei der Verfassungsbeschwerde geben.