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beA II: Owi-Antrag auf gerichtliche Entscheidung, oder: Richtige Rechtsmittelbelehrung?

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Und als zweite Entscheidung dann ein Beschluss des AG Aschersleben, und zwar der AG Aschersleben, Beschl. v. 18.07.2023 – 6 OWi 139/23, noch einmal zur richtigen Rechtsmittelbelehrung.

Es geht um einen Wiedereinsetzungsantrag. Der Betroffene hatte gegen einen Bußgeldbescheid per E-Mail Einspruch eingelegt, der von der Behörde als formwidrig verworfen worden ist. Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das AG zurückgewiesen:

„1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, denn er ist nicht fristgerecht eingegangen. Nach Zustellung des Verwerfungsbescheides am 06.05.2023 lief die zweiwöchige Frist des § 69 Abs. 1 S. 2 OWiG am 22.05.2023 ab, weil der 20.05.2022 ein Sonnabend war. Der Betroffene stellte erst am 23.05.2023 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung, da es auf den Zeitpunkt des Ausdrucks der E-Mail ankommt (BGH NJW 2019, 2096 (2097); OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 10324; Thüringer Oberlandesgericht Beschluss vom 10. November 2017 – 1 OLG 145 SsBs 49/16). Anders als für den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eröffnete die Behörde hier keinen zusätzlichen Übertragungsweg.

2. Dem Betroffenen war für diese Fristversäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die Rechtsmittelbelehrung unter dem Verwerfungsbescheid vom 03.05.2023 – anders als die Rechtsmittelbelehrung unter dem Bußgeldbescheid vom 21.03.2023 (AG Aschersleben Beschl. v. 2.1.2023 – 6 OWi 301/22, BeckRS 2023, 1, beck-online) – richtig ist und der Betroffene keine Gründe für eine unverschuldete Versäumung der Frist geltend gemacht hat.

Die Verwaltungsbehörde war nicht gehalten, in die Rechtsbehelfsbelehrung zusätzlich aufzunehmen, dass auch die elektronische Übersendung nach § 32a Abs. 2, Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG möglich ist. Die Belehrung muss nur enthalten, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde oder schriftlich eingelegt werden muss, §§ 69 Abs. 1 S. 2, 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 306 Abs. 1 StPO. Die Behörde muss nicht darüber belehren, wie diese Schriftform einzuhalten ist. Seit dem 01.01.2022 muss die Verwaltungsbehörde zwar auch den Zugang nach § 32a Abs. 2, Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG eröffnen. Darüberhinausgehende Zugangsmöglichkeiten stehen in ihrem Belieben (BeckOK OWiG/Gertler, 31. Ed. 1.7.2021, OWiG § 67 Rn. 69). Der Wortlaut von § 32a Abs. 3 StPO gestaltet jedoch keine neue Formvorschrift, sondern definiert die Umstände, unter denen ein elektronisches Dokument schriftlich abgefasst ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, erfüllt das Dokument die Schriftform. Es wird gerade keine neue Form geschaffen (was im Einklang mit BGH NJW 2019, 2096 (2097) steht), über die dann zu belehren wäre.

Auch wenn die Arten, Dokumente „schriftlich“ bei den Gerichten und Behörden einzureichen, damit noch unübersichtlicher werden und die „Schriftlichkeit“ kaum noch etwas mit dem gemeinen Wortsinn zu tun hat, ist es Aufgabe des Rechtsbehelfsführers, sich über die konkrete Art der Schriftform selbst zu informieren (BeckOK OWiG/A. Bücherl, 38. Ed. 1.4.2023, OWiG § 50 Rn. 16.1).

Gemessen daran erfüllt die oben dargestellte Rechtsbehelfsbelehrung unter dem Verwerfungsbescheid die Anforderungen der §§ 69 Abs. 1 S. 2, 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 306 Abs. 1 StPO.

Darüberhinausgehende Gründe, die für eine unverschuldete Fristversäumung sprächen, hat der Betroffene nicht dargetan. In seinem Schreiben vom 26.06.2023 wendet er sich inhaltlich im Wesentlichen gegen den Bußgeldbescheid, wenn er ausführt, dass die Geschwindigkeitstafeln keine Geschwindigkeitsbegrenzung angezeigt hätten. Das wäre erst nach zulässigem Einspruch zu prüfen gewesen. Dem Betroffenen ist zwar zuzustimmen, dass wir im Digitalzeitalter leben. Die Grenzen der Digitalisierung werden jedoch durch die Gesetze gezogen. Bei rechtzeitigem und formwirksamen Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre seinem konkludenten Antrag auf Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist auch entsprochen worden, weil die Rechtsbehelfsbelehrung unter dem Bußgeldbescheid wie in AG Aschersleben Beschl. v. 2.1.2023 – 6 OWi 301/22, BeckRS 2023, 1, beck-online dargestellt irreführend ist. Da er jedoch auch gegen den Verwerfungsbescheid nicht formgerecht Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellte und die Rechtsbehelfsbelehrung hier richtig ist, musste ihm der Erfolg versagt werden.

§ 110c OWiG i.V.m. § 32a Abs. 6 StPO ist nicht anzuwenden, weil sich dieser nur auf die Möglichkeit der Bearbeitung des eingereichten Dokuments, nicht jedoch auf die Einreichungsmodalitäten bezieht.“

 

beA II: Der als Berufsbetreuer tätige Rechtsanwalt, oder: Vergütungsantrag elektronisch, ja oder nein?

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Und als zweite „beA-Entscheidung“ dann hier noch der BGH, Beschl. v. 31.05.2023 – XII ZB 428/22. Der kommt aus dem Betreuungsrecht, und zwar mit folgendem Sachverhalt:

Für die 1960 geborene Betroffene ist eine Betreuung eingerichtet und der als Rechtsanwalt zugelassene Beteiligte zum Berufsbetreuer bestellt worden. Mit Schriftsatz vom 04.052022 hat der Betreuer beantragt, für seine Tätigkeit im Zeitraum vom 28.012022 bis zum 27.04.2022 eine Vergütung in Höhe von 513 EUR gegen die Staatskasse festzusetzen. Das AG hat den Vergütungsantrag nach vorangegangenem Hinweis als unzulässig zurückgewiesen, weil er nicht als elektronisches Dokument eingereicht worden sei. Dagegen hat sich der Betreuer mit seiner vom AG zugelassenen und in schriftlicher Form eingelegten Beschwerde gewendet, die das LG verworfen hat. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Betreuers, die keinen Erfolg hatte:

„Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht ist von der Unzulässigkeit der Erstbeschwerde ausgegangen, weil die Beschwerdeschrift von einem Rechtsanwalt eingelegt, aber entgegen § 14 b Abs. 1 FamFG nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden sei.

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.

Gemäß § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG sind durch einen Rechtsanwalt, durch einen Notar, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts bei Gericht schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln. Wird diese Form nicht eingehalten, ist die Erklärung unwirksam und wahrt die Rechtsmittelfrist nicht.

a) § 14 b FamFG wurde ursprünglich durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 ( I S. 3786) in das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingefügt. Die Vorschrift orientierte sich in ihrer damaligen Fassung inhaltlich an dem gleichzeitig eingeführten und weitgehend wortgleichen § 130 d ZPO. Noch vor dem Inkrafttreten von § 14 b FamFG zum 1. Januar 2022 erfolgte durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5. Oktober 2021 (BGBl. I S. 4607) zur Klarstellung eine inhaltliche Änderung der Vorschrift, wonach die Pflicht zur elektronischen Übermittlung ausdrücklich auf schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen beschränkt (§ 14 b Abs. 1 FamFG) wurde. Für sämtliche anderen Anträge und Erklärungen, die keinem Schriftformerfordernis unterliegen, ist die elektronische Einreichung nach § 14 b Abs. 2 FamFG nur eine Sollvorschrift. Damit sollte den Besonderheiten des Familienverfahrensrechts Rechnung getragen werden, in dem der Schriftformzwang die Ausnahme bildet (vgl. BT-Drucks. 19/28399 S. 39 f.).

b) Der sachliche Anwendungsbereich des § 14 b 1 Satz 1 FamFG ist bei der Einlegung einer Beschwerdeschrift durch einen Rechtsanwalt eröffnet.

Zwar sieht § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG vor, dass die Beschwerde – außer in Ehe- und Familienstreitsachen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 FamFG) sowie in Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 215, 1 = FamRZ 2017, 1151 Rn. 19) – nicht nur durch Einreichung einer Beschwerdeschrift, sondern auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt werden kann. Diese Möglichkeit soll einen erleichterten Zugang zu den Rechtsmittelgerichten gewähren, um damit insbesondere den Rechtsschutz für rechtsunkundige oder schreibungewandte Beteiligte zu wahren. § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG räumt daher dem Verfahrensbeteiligten ein Wahlrecht ein. Entscheidet er sich aber dafür, die Beschwerde schriftlich einzureichen, muss seine Beschwerdeschrift als bestimmender Schriftsatz besonderen gesetzlich vorgesehenen Formerfordernissen (§ 64 Abs. 2 Satz 3 und 4 FamFG) entsprechen. Zu diesen Formerfordernissen gehört für Rechtsanwälte seit dem 1. Januar 2022 auch § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG. Daher ist ein Rechtsanwalt seit diesem Zeitpunkt zur Übermittlung der Beschwerdeschrift als elektronisches Dokument verpflichtet, wenn er die Beschwerde – wie hier – schriftlich und nicht zur Niederschrift der Geschäftsstelle einlegt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Dezember 2022 – XII ZB 200/22FamRZ 2023, 461 Rn. 7 f. und vom 21. September 2022 – XII ZB 264/22FamRZ 2022, 1957 Rn. 7; BGH Beschluss vom 31. Januar 2023 – XIII ZB 90/22FamRZ 2023, 719 Rn. 14). Hiervon ist ersichtlich auch der Gesetzgeber ausgegangen, denn in der Entwurfsbegründung des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften wird § 64 Abs. 2 FamFG ausdrücklich als Beispiel für eine Vorschrift genannt, die dem Anwendungsbereich des § 14 b Abs. 1 FamFG unterfallen soll (vgl. BT-Drucks. 19/28399 S. 39).

c) Auch der persönliche Anwendungsbereich des § 14 b 1 FamFG ist eröffnet. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist mittlerweile geklärt, dass für Rechtsanwälte die Pflicht zur elektronischen Übermittlung gemäß § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG auch dann besteht, wenn sie – wie hier als anwaltlicher Berufsbetreuer – berufsmäßig im eigenen Namen auftreten (vgl. BGH Beschluss vom 31. Januar 2023 – XIII ZB 90/22FamRZ 2023, 719 Rn. 16 ff. [Verfahrenspfleger]; vgl. zu § 130 d ZPO: BGH Beschluss vom 24. November 2022 – IX ZB 11/22WM 2023, 89 Rn. 13 ff. [Insolvenzverwalter]).

aa) Dem Wortlaut des § 14 b 1 FamFG lässt sich für eine Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs auf den Fall der Vertretung eines Beteiligten durch einen Rechtsanwalt nichts entnehmen.

Vielmehr deuten sowohl die auf eine „Nutzungspflicht für Rechtsanwälte“ abstellende amtliche Überschrift der Vorschrift als auch der Wortlaut von § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG, wonach „durch einen Rechtsanwalt“ bei Gericht einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln sind, auf eine generelle Nutzungspflicht für Rechtsanwälte unabhängig von ihrer Rolle im Verfahren hin (vgl. BGH Beschluss vom 31. Januar 2023 – XIII ZB 90/22FamRZ 2023, 719 Rn. 17). Dies verdeutlicht auch ein Vergleich des Wortlauts der Parallelvorschrift des § 130 d Satz 1 ZPO mit dem Wortlaut des ebenfalls durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 geschaffenen § 130 a Abs. 1 ZPO: Während nämlich in § 130 a Abs. 1 ZPO von Schriftsätzen der Parteien die Rede ist und damit womöglich ein Vertretungsverhältnis beim Handeln eines Rechtsanwalts gegenüber dem Gericht vorausgesetzt wird, wird in § 130 d Satz 1 ZPO – wie auch in § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG – statusbezogen allein darauf abgestellt, dass Schriftsätze, Anträge und Erklärungen „durch einen Rechtsanwalt“ bei Gericht eingereicht werden (vgl. BGH Beschluss vom 24. November 2022 – IX ZB 11/22WM 2023, 89 Rn. 14).

bb) Der Gesetzesbegründung zu § 130 d ZPO, auf die hinsichtlich der Nutzungspflicht in den Materialien zu § 14 b FamFG inhaltlich verwiesen wird (BT-Drucks. 17/12634 S. 36), lässt sich für die Beurteilung der Frage nach einer rollen- oder statusbezogenen Nutzungspflicht des Rechtsanwalts nichts entnehmen. Einerseits spricht die Begründung zu § 130 d ZPO zwar davon, dass die Bestimmung „für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO“ gelte, andererseits in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Vorschrift aber auch davon, dass für alle Rechtsanwälte eine Pflicht zur Nutzung des elektronischen Übermittlungswegs bestehe (BT-Drucks. 17/12634 S. 27). Es ist nicht auszuschließen, dass die Ausführungen an dieser Stelle im Regierungsentwurf von sprachlichen Ungenauigkeiten beeinflusst sind, denen eine besondere Bedeutung nicht beigemessen werden kann (vgl. BGH Beschlüsse vom 31. Januar 2023 – XIII ZB 90/22FamRZ 2023, 719 Rn. 19 und vom 24. November 2022 – IX ZB 11/22WM 2023, 89 Rn. 16).

cc) Entscheidend für ein weites und damit statusbezogenes Verständnis der Nutzungspflicht nach § 14 b 1 FamFG ist der Zweck der Norm, der ausweislich der Begründung (vgl. BT-Drucks. 17/12634 S. 27) darin besteht, durch eine Verpflichtung für alle Rechtsanwälte und Behörden zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten den elektronischen Rechtsverkehr einzuführen. Die Rechtfertigung eines Nutzungszwangs ergibt sich für den Gesetzgeber daraus, dass selbst bei freiwilliger Mitwirkung einer Mehrheit von Rechtsanwälten an diesem Ziel die Nichtnutzung durch eine Minderheit immer noch zu erheblichem Aufwand insbesondere bei den Gerichten führen würde. Es sei nicht hinzunehmen, erhebliche Investitionen der Justiz auszulösen, wenn die für einen wirtschaftlichen Betrieb erforderliche Nutzung nicht sichergestellt sei. Dieser Gesetzeszweck lässt es nur konsequent erscheinen, anwaltliche Verfahrensbeteiligte, die ohnehin ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach für die elektronische Kommunikation vorzuhalten haben (§ 31 a BRAO), in die Nutzungspflicht einzubeziehen, auch wenn sie in dem Verfahren nicht im anwaltlichen Erstberuf tätig sind (vgl. BGH Beschlüsse vom 31. Januar 2023 – XIII ZB 90/22FamRZ 2023, 719 Rn. 20 und vom 24. November 2022 – IX ZB 11/22WM 2023, 89 Rn. 19).

dd) Der Anwendbarkeit von § 14 b FamFG auf den anwaltlichen Berufsbetreuer steht auch nicht entgegen, dass dieser dadurch anders als der nichtanwaltliche Berufsbetreuer behandelt wird, der weiterhin alle Anträge und Erklärungen gegenüber dem Gericht schriftlich vornehmen kann, solange er nicht seinerseits einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung betraut. Die sachliche Rechtfertigung für diese unterschiedliche Behandlung liegt darin, dass der anwaltliche Betreuer ohnehin über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach verfügen muss und auch jenseits des Betreuungsverfahrens einem Zwang zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten unterliegt (vgl. BGH Beschlüsse vom 31. Januar 2023 – XIII ZB 90/22FamRZ 2023, 719 Rn. 20 und vom 24. November 2022 – IX ZB 11/22WM 2023, 89 19). Im Übrigen lässt die jüngere Gesetzgebung deutlich das Bestreben des Gesetzgebers erkennen, den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz auch auf nichtanwaltliche Berufsbetreuer und Betreuungsvereine auszuweiten. Mit der Einführung des besonderen elektronischen Bürger- und Organisationenpostfachs (§ 10 ERVV) durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5. Oktober 2021 sollen auch sonstige Beteiligte an Gerichtsverfahren künftig die Möglichkeit erhalten, mit dem Gericht elektronisch zu kommunizieren; beispielhaft werden in der Gesetzesbegründung Betreuerinnen und Betreuer genannt (vgl. BT-Drucks. 19/28399 S. 23).

ee) Vor diesem Hintergrund spricht es ebenfalls nicht gegen eine Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs durch einen anwaltlichen Betreuer, dass er diese Tätigkeit als Zweitberuf ausübt und seine Tätigkeit – abgesehen von anwaltsspezifischen Diensten für den Betreuten – nicht nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vergütet wird. Ebenso wenig kann es darauf ankommen, dass die Höhe der nach Fallpauschalen bestimmten Betreuervergütung (§§ 7 VBVG) nicht an die Zulassung als Rechtsanwalt, sondern an die abgeschlossene juristische Hochschulausbildung des Anwaltsbetreuers anknüpft.

Im Hinblick auf die für Rechtsanwälte ohnehin bestehende Vorhaltungs- und Nutzungspflicht der elektronischen Kommunikationsmittel spricht auch nichts für die Annahme, dass der Justizgewährungsanspruch verletzt werden könnte, wenn der Rechtsanwalt diese Kommunikationsmittel bei seiner beruflichen Tätigkeit als Betreuer zu nutzen hat. Ob im Einzelfall anders zu entscheiden wäre, wenn der als Rechtsanwalt zugelassene Betreuer seine Tätigkeit bewusst als Privatperson in eigener Sache entfaltet oder sein (ehrenamtliches) Betreueramt – nach außen erkennbar – von seiner Stellung als Rechtsanwalt trennt (vgl. Prütting/Helms/Ahn-Roth FamFG 6. Aufl. § 14 b Rn. 5; Sternal/Sternal FamFG 21. Aufl. § 14 b Rn. 8; Fritzsche NZFam 2022, 1, 3), bedarf unter den hier obwaltenden Umständen keiner Entscheidung, weil der Betreuer bei der Führung des Amtes als Berufsbetreuer auftritt.

III.

Die Entscheidung des Beschwerdegerichts, die schriftlich eingelegte Beschwerde des Betreuers zu verwerfen, hat daher Bestand.

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Vergütungsantrag des anwaltlichen Betreuers nicht als elektronisches Dokument eingereicht werden muss (insoweit zutreffend LG Hildesheim NJW-RR 2022, 1518, 1519). Der Vergütungsantrag des Betreuers nach § 292 Abs. 1 FamFG unterliegt, auch wenn mit ihm das Vergütungsfestsetzungsverfahren eingeleitet wird, vorbehaltlich (bislang nicht bestehender) abweichender landesrechtlichen Bestimmungen über die Verpflichtung zur Benutzung von Vordrucken (§ 292 Abs. 6 FamFG) keinem zwingenden Schriftformerfordernis. Nach § 25 Abs. 1 FamFG können Anträge und Erklärungen gegenüber dem zuständigen Gericht schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle abgegeben werden, soweit eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht notwendig ist. Werden verfahrenseinleitende Anträge nicht zur Niederschrift der Geschäftsstelle, sondern schriftlich abgegeben, hängt deren Wirksamkeit – anders als nach § 64 Abs. 2 Satz 3 und 4 FamFG bei bestimmenden Schriftsätzen im Beschwerdeverfahren – nicht von der Beachtung zwingender Formvorschriften ab (vgl. § 23 FamFG), zu denen § 14 b Abs. 1 FamFG für Rechtsanwälte hinzutreten könnte. Auch die Gesetzesmaterialien gehen davon aus, dass für den Großteil von Anträgen und Erklärungen in Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit kein Schriftformerfordernis besteht und diese deshalb dem § 14 b Abs. 2 FamFG unterfallen (BT-Drucks. 19/28399 S. 40). Der Betreuer darf seinen Vergütungsantrag deshalb auch dann in gewöhnlicher Schriftform stellen, wenn er als Rechtsanwalt zugelassen ist. Er ist in diesem Fall allerdings verpflichtet, auf Anforderung des Gerichts ein elektronisches Dokument nachzureichen (§ 14 b Abs. 2 Satz 2 FamFG).

beA I: Sich selbst verteidigender Rechtsanwalt, oder: Revision usw. bitte per beA

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Nach längerer Zeit heute dann im „Kessel Buntes“ mal wieder zwei Entscheidungen zum beA.

Ich beginne mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 20.07.2023 – 4 ORs 62/23 – zur Frage der Anwendung des § 32d Satz 2 StPO gilt auch in dem Fall, in dem der übermittelnde Rechtsanwalt selbst Angeklagter des Strafverfahrens ist.

Hier hatte das AG den Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteitl. Dagegen die Revision des Angeklagten, die er nicht per beA übermittelt, sondern nur per Fax. Das OLG hat die Revision auf Antrag der StA als unzulässig verworfen:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 05. Juni 2023, die dem Angeklagten zur Stellungnahme übersandt worden ist, zu dem Rechtsmittel des Angeklagten Folgendes ausgeführt:

„I.

Das Amtsgericht Münster hat den Angeklagten durch Urteil vom 09.03.2023 (37 Ds 214/22) wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt (Bl. 39 ff. d. A.). Gegen dieses in Anwesenheit des Angeklagten verkündete (Bl. 33 ff. d. A.) und auf Anordnung des Vorsitzenden vom 17.03.2023 (Bl. 41 d. A.) dem Angeklagten am 25.03.2023 zugestellte (Bl. 41, 41R d. A.) Urteil hat der Angeklagte mit am 15.03.2023 bei dem Amtsgericht Münster eingegangenem Schreiben vom 15.03.2023 (Bl. 38 d. A.) Rechtsmittel eingelegt und dieses mit weiteren, am 25.04.2023 eingegangenem Schreiben vom selben Tag (Bl. 46 d. A.) als Revision bezeichnet und mit der Verletzung materiellen Rechts begründet.

II.

Die Revision ist bereits nicht wirksam eingelegt (zu vgl. BGH, Beschl. v. 08.09.2022 – 3 StR 251/22 – (LG Kleve)).

Nach den seit dem 01. Januar 2022 geltenden § 32d S. 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte unter anderem die Revision und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt sich ein Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung. Ihre Nichteinhaltung bewirkt die Unwirksamkeit der Erklärung (vgl. BGH, Beschluss vom 24.05.2022 – 2 StR 110/22 -, Rdnr. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 32d Rdnr. 2 m. w. N.).

Diesen Anforderungen genügen die Revisionseinlegung und die Revisions-begründung nicht. Denn der Angeklagte hat seine Revision lediglich mit einem per Fax übermitteltetn bzw. im Briefkasten des Amtsgerichts hinterlegt.

Anhaltspunkte dafür, dass eine elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war (§ 32d, S. 3 StPO) sind nicht dargetan.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt der Senat sich nach eigener Sachprüfung an. Ergänzend führt der Senat Folgendes aus: Die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der Revisionsschrift und Revisionsbegründungsschrift gilt auch in dem – hier vorliegenden – Fall, in dem der übermittelnde Rechtsanwalt selbst Angeklagter des Strafverfahrens ist. Der Begriff „Rechtsanwälte“ in § 32d StPO ist insoweit statusrechtlich zu verstehen und erfasst Personen, die als Rechtsanwalt zugelassen sind und für die als solche durch die Bundesrechtsanwaltskammer ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach eingerichtet worden ist, § 31a Abs. 1 BRAO. Die Verpflichtung zur elektronischen Einreichung schließt nicht die Möglichkeit des Rechtsanwalts aus, die in Rede stehenden Erklärungen mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugeben (vgl. Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 66. Auflage 2023, § 32d StPO Rn. 1 m.w.N.). Von dieser Möglichkeit hat der Angeklagte keinen Gebrauch gemacht.“

Ebenso bzw. ähnlich hat bereits das OLG Brandenburg im OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.06.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 149/22 – entschieden.

beA II: Einspruch im OWi-Verfahren nur elektronisch?, oder: Ebenfalls „Nein“, sagt das OLG Karslruhe

folgenden Text dazu nutzen:
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Ich hatte vor einigen Tagen über den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.02.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22 – berichtet. Das ist/war die Entscheidung, in der das OLG klar gestellt hat, dass die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid auch nach der Einführung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten nicht der Formvorschrift gemäß § 110c OWiG, § 32d Satz 2 StPO unterliegt. Die Frage war bis dahin ja obergerichtlich noch nicht entschieden.

Nun gibt es eine zweite OLG-Entscheidung zu der Frage, nämlich den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.03.2023 – 2 ORbs 35 Ss 125/23. Das OLG Karlsruhe nimmt im Rahmen einer Rechtsbeschwerde – Stichwort: Wirksamkeit des Einspruchs – ebenfalls zu der Frage Stellung. Es löst sie wie das OLG Frankfurt am Main:

„1. Der Bußgeldbescheid des Landratsamts des X-Kreises vom 3.6.2022 ist nicht bestandskräftig geworden, weshalb das Amtsgericht nicht am Erlass des angefochtenen Urteils gehindert war.

a) Aus den Akten, die dem Senat bei der Prüfung von Verfahrenshindernissen uneingeschränkt zugänglich sind, ergibt sich dazu folgender Verfahrensablauf: Einen ersten am 19.4.2022 erlassenen und dem Betroffenen am 22.4.2022 zugestellten Bußgeldbescheid nahm die Bußgeldbehörde mit dem Erlass des Bußgeldbescheids vom 3.6.2022, der dem Betroffenen am 9.6.2022 zugestellt wurde, zurück. Der Betroffene legte gegen den Bescheid vom 3.6.2022 am 17.6.2022 Einspruch mittels Schriftsatz seines Verteidigers ein, der als Telefax eingereicht wurde.

b) In der Instanzrechtsprechung ist bisher unterschiedlich beurteilt worden, ob die Formvorschriften der §§ 110c Satz 1 OWiG, 32d Satz 2 StPO auch für die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid gelten, bei der Einlegung durch Rechtsanwälte also nur die Einreichung als elektronisches Dokument zugelassen ist und ansonsten die Erklärung unwirksam ist. Dies ist vom Amtsgericht Hameln (Beschluss vom 14.2.2022 – 49 OWi 23/22 = NZV 2022, 333, ebenso Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 67 Rn. 21a; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl./32. Lfg., § 110c Rn. 24; wohl auch KK-Graf, OWiG, 5. Aufl., § 110c Rn. 49, 53) verneint, vom Amtsgericht Tiergarten (Beschluss vom 5.4.2022 – 310 OWi 161/22 = StraFo 2022, 318; ebenso Stahnke in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., § 110c Rn. 25 unter Bezugnahme auf die in der 5. Aufl. von Krenberger/Krumm, OWiG, § 110c Rn. 13 vertretene Auffassung, wohingegen dort die Frage in der aktuellen 7. Aufl. offen gelassen wird; ebenso offenlassend BeckOK-OWiG/Valerius, 37. Ed., § 110c Rn. 1.1) hingegen unter Hinweis auf die Regelung in § 335 Abs. 2a HGB und die Entstehungsgeschichte bejaht worden. Obergerichtlich ist die Frage bislang – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden.

c) Der Senat schließt sich der vom Amtsgericht Hameln vertretenen Auffassung an; die hiergegen in der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Soweit dabei an Materialien zum Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften (BT-Drs. 29/28399) angeknüpft wird, geht dies schon deshalb fehl, weil die Vorschriften des § 110c OWiG und § 32d StPO gar nicht Gegenstand dieses Gesetzes waren. In der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, mit dem die genannten Vorschriften eingeführt wurden, heißt es hingegen zur maßgeblichen Bestimmung des § 32d StPO unmissverständlich: „Satz 2 sieht demgegenüber eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte Verfahrenserklärungen vor, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die hier abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden soll.“ (BR-Drs. 236/16 S. 49 f.) Mit dieser bewussten Entscheidung des Gesetzgebers für das Enumerationsprinzip ist es unvereinbar, die Rechtspflicht des § 32d Satz 2 StPO auf dort nicht genannte Rechtshandlungen bzw. über § 110c OWiG ihre Entsprechungen im Bußgeldverfahren auszudehnen. Da § 110c OWiG die entsprechende Anwendung von § 32d Satz 2 StPO anordnet, aber § 32d Satz 2 StPO die Rechtspflicht zur Einreichung als elektronisches Dokument nicht für eine dem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid entsprechende Handlung im Strafverfahren vorschreibt, wird danach der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid von diesen Vorschriften nicht erfasst.

d) Infolge der danach wirksamen rechtzeitigen Einlegung des Einspruchs ist der Bußgeldbescheid vom 3.6.2022 nicht in Bestandskraft erwachsen.“

Damit sollte die „Kuh vom Eis“ sein. Aber: Sicher ist sicher – also Einspruch ggf. doch als elektronisches Dokument.

 

OWi I: Einspruch im OWi-Verfahren nur elektronisch?, oder: Nein, sagt das OLG Frankfurt/Main

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Heute dann ein „OWi-Dienstag“, also drei Entscheidungen zum Bußgeldverfahren. alle drei Entscheidungen haben einen verfahrensrechtlichen Bezug.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.02.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22. Das OLG nimmt , m.E. als erstes OLG, zu der Frage Stellung, ob beim Einspruch die Pflicht zur elektronischen Übermittlung besteht. Die Frage ist ja nicht ganz unstrittig (vgl. hier einerseits AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22, andererseits AG Tiergarten, Beschl. v. 05.04.2022 – 310 OWi 161/22).  Auch in der Literatur ist die Frage nicht eindeutig geklärt.

Nun hat sich das OLG Frankfurt am Main zu der Frage geäußert. Danach ist die elektronische Übermittlung nicht erforderlich:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 4 OWiG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist zulässig. Sie hat auch in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg, weil die auf die zulässig erhobene Sachrüge im Freibeweis vorzunehmende Prüfung des Senats ergeben hat, dass das Amtsgericht den Einspruch zu Unrecht wegen Nichteinhaltung der Formvorschrift der § 110c OWiG, § 32d Satz 2 StPO als unzulässig erachtet und daher ohne Sachprüfung verworfen hat. Soweit ersichtlich, ist diese Frage obergerichtlich bislang noch nicht geklärt worden.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts hat die Betroffene mit dem an das Regierungspräsidium K. gerichteten Telefax ihres Verteidigers vom 27. Juni 2022 wirksam Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 22. Juni 2022 eingelegt. Die Vorschrift des § 32d Satz 2 StPO, die im Bußgeldverfahren gemäß § 110c OWiG entsprechend gilt, findet auf die Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid keine Anwendung. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 18/9416, S. 50, 51) sieht § 32d Satz 2 StPO eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte Verfahrenserklärungen vor, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die hier abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden soll. Da in den Gesetzesmaterialien zu § 110c OWiG auf diese Ausführungen verwiesen wird (BT-Drucksache 18/9416, S. 76), sind diese Grundsätze auch für die Anordnung der entsprechenden Anwendung von § 32d StPO im Bußgeldverfahren zugrunde zu legen. Im Hinblick darauf, dass das Bußgeldverfahren Berufung, Privatklage und Nebenklage nicht kennt, können die in § 32d StPO abschließend aufgeführten Verfahrenserklärungen nur für den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, die Einlegung der Rechtsbeschwerde, ihre Begründung und die Gegenerklärung gelten, für die gemäß §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend gelten. Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und die Einspruchsbegründung gehören demgegenüber der Sache nach weder vom Wortlaut noch von der systematischen Einordnung her zu den in § 32d Satz 2 StPO abschließend aufgeführten Verfahrenserklärungen; vielmehr handelt es sich um einen „Rechtsbehelf eigener Art“, der die Sache aus einem Verfahren bei der Verwaltungsbehörde in das gerichtliche Verfahren bringt (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 18. Auflage, Vor § 67 Rn. 1). Zudem ist die Begründung des Einspruchs – anders als bei der Rechtsbeschwerde – zur Vermeidung seiner Verwerfung nicht erforderlich. Vielmehr ist der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid in systematischer Hinsicht eher mit dem Einspruch gegen einen Strafbefehl vergleichbar, der in § 32d Satz 2 StPO gerade keine Erwähnung findet. Dabei ist weiter zu bedenken, dass der Bußgeldbescheid von der Verwaltungsbehörde erlassen wird, den Strafbefehl aber ausschließlich das Gericht erlassen kann. Wenn man vor diesem Hintergrund in den Blick nimmt, dass § 32d Satz 2 StPO ausschließlich wesentliche Verfahrenshandlungen vor Gericht aufzählt und dabei den Einspruch gegen den (gerichtlichen) Strafbefehl auslässt, kann der Einspruch gegen den (verwaltungsbehördlichen) Bußgeldbescheid erst recht nicht unter diese Norm fallen (vgl.: van Endern in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 4, 2. Aufl., § 110c OWiG Rn. 8.3; im Ergebnis zustimmend: BeckOK OWiG/Gertler, 37. Ed. 1.1.2023, OWiG § 67 Rn. 68; offen gelassen bei: Krenberger/Krumm, 7. Aufl. 2022, OWiG § 110c Rn. 13). Der Hinweis des Amtsgerichts auf die Ausnahmeregelung in § 335 Abs. 2a Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 HGB geht in diesem Zusammenhang schon deshalb fehl, weil zunächst – wie vorstehend geschehen – im Wege der Auslegung zu ermitteln ist, in welchem Umfang die Ausnahmeregelung des § 32d Satz 2 StPO einer entsprechenden Anwendung im Bußgeldverfahren zugänglich ist.

Dies zugrunde legend ist die Einspruchseinlegung gegen einen Bußgeldbescheid auch nach der am 01. Januar 2022 erfolgten Einführung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten weiterhin per Telefax von dem Faxgerät des Betroffenen oder eines Rechtsanwalts – wie vorliegend – möglich und wirksam (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, § 67 Rn. 21 mN).

Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig war demnach rechtsfehlerhaft und das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Groß-Gerau zurückzuverweisen. Für die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts besteht kein Anlass.“