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KCanG II: Prognosegutachten einholen ja oder nein?, oder: Maßgeblich Einordnung der Tat nach dem KCanG

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Im zweiten Posting kommt dann etwas aus dem Strafvollstreckungsverfahren, und zwar der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.03.2025 – 3 Ws 46/25.

Das LG – Strafvollstreckungskammer – hat die Vollstreckung einer Restfreiheitsstrafe aus einem Urteil  vom 15.01.2020, rechtskräftig seit dem 18.06.2020, ohne vorherige Einholung eines Prognosegutachtens zur Bewährung ausgesetzt. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde.

Gegen den Verurteilten wird eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten. Im Urteil wurde eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten für unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Marihuana) in nicht geringer Menge gem. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG festgesetzt. Einbezogen wurde außerdem in die Gesamtstrafenbildung eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen.

Die sofortige Beschwerde der StA hatte Erfolg. Das OLG führt u.a. aus:

„Ein Verfahrensfehler liegt nicht vor. Die Strafvollstreckungskammer musste vor ihrer Entscheidung kein Prognosegutachten gem. § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO einholen. Der Verurteilte wurde zwar zu einer (Einzel-)Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren Dauer verurteilt (3 Jahre und 9 Monate). Die Straftat fiel, fällt aber nach – weitgehend zum 01.04.2024 erfolgten – Inkrafttreten des KCanG nunmehr nicht unter die in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB genannten. Nach jener Norm sind Verbrechen nach § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a) oder b) StGB vom Anwendungsbereich erfasst. Gem. § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) StGB sind bei vorsätzlichen Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht sind, folglich vom Weiterverweis erfasst. Die Verurteilung des Landgerichts Darmstadt wegen eines vorsätzlichen Verbrechens nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, wobei die Strafdrohung von einem bis 15 Jahren reichte, erfüllte damit bis Inkrafttreten des KCanG die genannten Voraussetzungen. Nunmehr unterfällt unerlaubtes Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nicht mehr dem BtMG, sondern § 34 KCanG, vorliegend gem. § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 4 KCanG. Maßgeblich ist die nunmehrige Einordnung. Denn § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO verweist auf die jeweils geltende Regelung in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB und von ebenda wird (dynamisch) weiterverwiesen. Der Gesetzgeber hat die Folgen der Herausnahme von Cannabis aus dem Anwendungsbereich des BtMG bedacht und etwa für die Führungsaufsicht (§ 38 KCanG) oder für die Fortgeltung der Anwendung der §§ 35-38 BtMG bei cannabisbezogener Abhängigkeitserkrankung reglementiert. Hinsichtlich der Strafvollstreckung hat er einen etwaigen Straferlass in Art. 316p EGStGB geregelt. Raum für eine Auslegung dergestalt, dass eine vormalige Verurteilung nach dem BtMG, die nunmehr nach dem KCanG erfolgen würde, oder auch nach Inkrafttretens des KCanG erfolgte Verurteilungen, in den Anwendungsbereich von § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO fallen, besteht nicht. Anderenfalls würde nicht dem Willen des Gesetzgebers Rechnung getragen. Dessen neue Gefahrenbeurteilung (siehe Begründung BReg zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 20/8704, S. 68), die sich eben auch in der Entscheidung zur Nichtaufnahme des KCanG in § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) StGB niederschlägt, würde ansonsten unterminiert. Für hiesiges Gesetzesverständnis spricht schließlich: Das Prognosegutachten nach § 454 Abs. 2 StPO soll die Entscheidung, ob die weitere Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 454 Abs. 1 StPO), vorbereiten, vgl. BGH NJW 2000, 1663. Folgend der gesetzgeberischen Konzeption ist es seit dem 31.01.1998 bei bestimmten, nach gesetzgeberischer Würdigung eher schwerwiegenden, Straftaten regelmäßig geboten – außer es ist auszuschließen, dass die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht respektive die Strafkammer keine Entlassung „erwägt“ – ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zuvor war ein Gutachten gem. § 454 Abs. 1 S. 5 StPO a.F. nur bei vollstreckter lebenslanger Freiheitsstrafe einzuholen. Mit der Neuregelung sollte nach den Gesetzesmaterialien nunmehr auch bei sonstigen „gefährlichen Verurteilten“ (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/9062, S. 14: „Denn dem erhöhten Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit sollte bei all jenen gefährlichen Verurteilten Rechnung getragen werden, die wegen schwerwiegender Delikte mit Freiheitsstrafen belegt wurden.“) ein Prognosegutachten zum „wirksamen Schutzes der Bevölkerung vor Rückfalltaten“ obligatorisch werden, siehe Begründung BReg zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 13/8586, S. 1, 10; Beschlussempfehlung Rechtsausschuss, BT-Drs. 13/8989, S. 2, 8. § 454 Abs. 2 S. 1 StPO gilt in unveränderter Fassung seit dem 31.01.1998. Anders als die Verfahrensnorm, erfuhr § 66 Abs. 3 S. 1 StGB mannigfache Änderungen, ohne dass der Gesetzgeber einen Novellierungsbedarf für die Verfahrensnorm bejahte. Insofern bestehen auch keine Gründe für die Annahme einer unbewussten Nichtregelung. Denn schließlich hat der Gesetzgeber durch die Änderungen im materiellen Recht (zu § 66 Abs. 3 S. 1 StGB) seine jeweils changierenden Bewertungen von besonders „gefährlichen Verurteilten“ angepasst.

Folglich ist die veränderte Gefahrenbewertung des Gesetzgebers in Bezug auf Cannabis bei der in die Zukunft gerichteten Entscheidung des § 454 Abs. 1 StPO zu berücksichtigen.

Entgegen der Strafvollstreckungskammer kann der Senat folgend den zutreffenden Erwägungen in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 27.01.2025 keine günstige Legalprognose gem. § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 StGB stellen. ….“

StGB III: Weisungen im Bewährungsbeschluss, oder: „Meldeauflage“ ist eine zulässige Bewährungsweisung

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Und im dritten Beitrag dann etwas zur Bewährung (§§ 56 ff. StGB), und zwar zur Frage, ob die Weisung „Wohnsitzwechsel“ eine zulässige Bewährungsweisung ist.

Der Angeklagte ist wegen gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von 6 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Mit zugleich verkündetem Bewährungsbeschluss wurden ihm mehrere Auflagen und Weisungen erteilt. U.a. wurde er angewiesen, dem bewährungsaufsichtsführenden Gericht jeden Wechsel des Wohnsitzes bzw. ständigen Aufenthaltsortes mitzuteilen. Dagegen die Beschwerde des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte.

Das OLG Frankfurt am Main führt dazu im OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 25.02.2025 – 3 Ws 44/25 – aus:

„Gemäß §§ 305 Abs.1 S.2, 453 Abs.2 S.2 StPO ist die Überprüfungskompetenz des Senats als zuständiges Beschwerdegericht eingeschränkt. Der Senat kann die Anordnungen nur auf ihre Gesetzeswidrigkeit hin überprüfen, wozu auch eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmissbrauch gehört, etwa wenn die Anordnung einen einschneidenden unzumutbaren Eingriff in die Lebensführung des Verurteilten enthält (§ 305 a Abs.1 S.2, § 453 Abs.2 StPO, § 56 b Abs.1 S.2 StGB). Eine eigene Ermessensausübung ist dem Beschwerdegericht verwehrt.

Insoweit sind die von der Berufungskammer getroffenen Anordnungen nicht zu beanstanden; das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Die Festsetzung der Bewährungszeit auf 3 Jahre beruht auf § 56 a Abs.1 StGB und hält sich in Rahmen der zeitlichen Höchst- und Mindestgrenzen. Angesichts der Schwere des Vorwurfs einer gefährlichen Körperverletzung ist die Festsetzung auf 3 Jahre nicht ermessensfehlerhaft, zumal sich dies in einem angemessenen Verhältnis zur Strafhöhe von sechs Monaten Freiheitsstrafe hält.

Die gemeinhin als „Meldeauflage“ bezeichnete und üblicherweise in Bewährungsbeschlüssen enthaltene Anordnung an einen Verurteilten, dem bewährungsaufsichtsführenden Gericht jeden Wechsel des Wohnsitzes bzw. ständigen Aufenthaltsortes mitzuteilen, stellt nach neuerer Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs regelmäßig eine zulässige Weisung i.S.d. § 56 c StGB dar (vgl. hierzu BGH Beschluss vom 7. September 2022 – 3 StR 261/22 Rdnr. 13 zitiert über Juris, NStZ 2023, 32-33), da damit die Voraussetzung geschaffen werden soll, spezialpräventiv auf den Verurteilten – ggfls. durch neue Auflagen oder Weisungen -einzuwirken. Dieser Meinungsstreitigkeiten in der obergerichtlichen Rechtsprechung ausräumenden, überzeugendem Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs schließt sich der Senat unter Aufgabe seiner älteren Rechtsprechung, wonach eine solche Meldeauflage zumeist nur der behördlichen Aufgabenerfüllung und nicht der von § 56 c StGB intendierten Einflussnahme auf die künftige Lebensführung des Probanden dient (vgl. hierzu Beschluss Senat vom 29. Juni 2007 – 3 Ws 624/07, NStZ 2009, 39 zitiert über juris), nun an.

Soweit sich der Verurteilte mit der Beschwerde insbesondere gegen die von der Kammer angeordnete Geldauflage zur Zahlung von insgesamt 1.500,00 € an die Opfer- und Zeugenhilfe Fulda e.V. in sechs monatlichen Raten a 250,00 € (§ 56b Abs. 2 Nr. 4 StGB i.V.m. § 268 a Abs. 1 StPO) wendet, hat die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg……“

Zahlung der Geldauflage nach § 153a StPO-Einstellung, oder: Insolvenzrechtliche Anfechtung zulässig?

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Und als zweite Entscheidung dann OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 15.01.2025 – 4 U 137/23 – eine insolvenzrechtliche Entscheidung mit strafverfahrensrechtlichem Einschlag.

Die Entscheidung hat folgenden Sachverhalt: Der Kläger nimmt den Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr von Zahlungen in Anspruch. Der Kläger ist Insolvenzverwalter in einem am 12.05.2021 vom Schuldner beantragten und am 17.05.2021 vom Insolvenzgericht eröffneten Insolvenzverfahren.

Im März 2014 ordnete das AG München im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen vorsätzlicher Marktmanipulation den dinglichen Arrest in das Vermögen des Schuldners an. In diesem Zuge erklärte der Schuldner mit anwaltlichem Schreiben vom 18.08.2014, dass er kein Vermögen habe. Am 28.12.2017 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Anklage gegen den Schuldner. Der Arrest wurde am 12.03.2019 aufgehoben. Am 23.03.2019 erklärte der Schuldner in einem anwaltlichen Schreiben an die 26. Strafkammer des LG Frankfurt am Main, dass er aus seiner Tätigkeit im Bereich der Systemgastronomie keine Entnahmen tätigen könne, über keine weitere Einnahmequelle verfüge, erhebliche Schulden habe und finanzielle Unterstützung von pp.  erhalte. Die 26. Strafkammer verurteilte den Schuldner am 27.05.2019 wegen vorsätzlicher Marktmanipulation in zahlreichen Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 60 EUR. In dem Urteil führte die 26. Strafkammer aus, dass der Angeklagte monatlich 270 EUR ausbezahlt bekomme und durch eine Nebentätigkeit weitere 500 € verdiene. Über nennenswertes sonstiges Vermögen verfüge der Schuldner nicht, ausgenommen einiger Gegenstände wie ein Pkw und Uhren, die allerdings arrestiert seien. Der BGH hob diese Entscheidung später auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurück. Die sodann mit der Sache befasste 29. Strafkammer stellte das Strafverfahren mit Beschluss vom 04.03.2021 nach § 153a Abs. 2 StPO vorläufig gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 100.000 € ein. 40.000 EUR sollten an die hessische Landeskasse und je 20.000 EUR an drei gemeinnützige Einrichtungen geleistet werden.

Um die Geldauflage zu erfüllen, schloss der Schuldner mehrere Darlehensverträge über insgesamt 100.000 EUR ab. Vertragspartner waren vier verschiedene Gesellschaften, deren Anteile von pp.  gehalten wurden. Die Darlehensvaluten wurden am 11.03.2021 auf das in den Darlehensverträgen angegebene Konto des Bruders des Schuldners überwiesen. Auf dieses Konto hatte der Schuldner Zugriff und war verfügungsbefugt. Noch am 11.03.2021 zahlte der Schuldner von diesem Konto jeweils 20.000 EUR an die im Einstellungsbeschluss genannten drei gemeinnützigen Einrichtungen und ferner am 15.03.2021 40.000 EUR an die hessische Landeskasse. Bei allen Überweisungen an die gemeinnützigen Einrichtungen nannte der Schuldner im Verwendungszweck neben dem Aktenzeichen des Strafverfahrens und seinem Namen „gemäß Beschluss LG FFM v. 04.03.2021“ (Anlage K19). Der Kläger focht die Zahlungen zunächst außergerichtlich an, woraufhin eine der drei gemeinnützigen Einrichtungen die erhaltenen 20.000 EUR an die Insolvenzmasse zurückgewährte.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Es ist davon ausgeganagen, dass weder die Voraussetzungen des Insolvenzanfechtungstatbestands des § 131 InsO noch die des § 133 InsO erfüllt seien. Bei der Anfechtung nach § 131 InsO fehle es an der Stellung des Beklagten als Insolvenzgläubiger, da durch die Anordnung der Geldauflage keine Verbindlichkeit zu Lasten der späteren Insolvenzmasse begründet worden sei. Eine Anfechtung nach § 133 InsO scheitere jedenfalls daran, dass eine Kenntnis des Beklagten von einem etwaigen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht feststellbar sei. Die Nebenintervention sei zulässig, da der Nebenintervenient als Empfänger eines Teils der angefochtenen Leistungen ein rechtliches Interesse nach § 66 Abs. 1 ZPO habe.

Dagegen die Berufung. Das OLG hat sie als zulässig und begründet angesehen. Die vom Schuldner an den Beklagten gezahlten Geldauflagen seien nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar, weshalb der Kläger vom Beklagten nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO die Rückgewähr der Zahlungen verlangen könne.

Ich stelle hier nur die Leitsätze der Entscheidung ein, die vollständigen Begründung dann bitte ggf. selbst im verlinkten Volltext lesen:

1. Erfüllt ein Schuldner im Rahmen seines Strafverfahrens eine von der Strafjustiz beschlossene Geldauflage im Sinne von § 153a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Abs. 2 StPO, kann der Insolvenzverwalter diese unter den Voraussetzungen des § 131 InsO gegenüber dem Land auch dann anfechten, wenn nicht die Landeskasse, sondern eine gemeinnützige Einrichtung die Empfängerin der Zahlung war.

2. Den in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO genannten Geldzahlungsverpflichtungen sind im Rahmen des § 131 InsO die von der Strafjustiz beschlossenen Geldauflagen gleichgestellt. Solche Geldauflagen sind als unvollkommene Verbindlichkeiten zu qualifizieren, welche ein Land als Insolvenzgläubiger nicht zu beanspruchen hat (§ 131 Abs. 1 Alt. 1 InsO).

beA: Fristwahrung bei technischer Störung des beA, oder: Ersatzeinreichung per Fax statt Wiedereinsetzung

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Und dann im Mittagsposting das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 03.01.2025 – 9 U 75/24 – zur Ersatzeinreichung per Fax bei technischer Störung des beA statt Wiedereinsetzung. Die Entscheidung stammt zwar aus einem Zivilverfahren, kann aber auchin anderen Verfahrensarten Bedeutung erlangen.

Gestritten wird über verschiedene Forderungen. Das LG hat die Klage mit Urteil vom 15.08.2020 – dem Klägervertreter zugestellt am 20.08.2024 – abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 20.09.2024 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 15.10.2024 hat der Klägervertreter die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.11.2024 beantragt was ihm mit Verfügung vom 16.11.2024 gewährt worden ist.

Die per beA übermittelte Berufungsbegründung ist sodann am 21.11.2024 um 00:00:09 Uhr auf dem Server des OLG Frankfurt am Main eingegangen. Mit Verfügung vom 21.11.2024 ist die Klägerin auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen worden. Mit Schriftsatz vom 05.12.2024 hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Sie behauptet unter Vorlage einer diesbezüglichen anwaltlichen Versicherung, ihr Prozessbevollmächtigter habe am 20.11.2024 um ca. 23:15 Uhr versucht, die Berufungsbegründung über das beA-Portal zu versenden. Obwohl das Portal ordnungsgemäß eingerichtet gewesen sei, die Client Security in der aktuellen Version vorgelegen habe und das Kartenlesegerät ordnungsgemäß angeschlossen gewesen sei, sei beim Versuch, sich am beA-Portal anzumelden, eine Fehlermeldung angezeigt worden. Verschiedene Maßnahmen, u.a. ein mehrfacher Neustart des Rechners, seien ohne Erfolg geblieben. Schließlich sei der beA-Client auf einem alternativen Notebook eingerichtet worden, worüber der Schriftsatz habe versandt werden können. Dies sei aber erst am 21.11.2024 um 00:00:02 Uhr – Eingang bei Gericht um 00:00:09 Uhr – erfolgt, was der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durch das Schreiben des Gerichts vom 21.11.2024 erfahren habe.

Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen und Wiedereinsetzung nicht gewährt:

„Die Berufung der Klägerin war wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig zu verwerfen. Die gemäß § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO verlängerte Frist lief am 20.11.2024 ab, die Berufungsbegründung ist indes erst am 21.11.2024 auf dem Server des Oberlandesgerichts eingegangen.

Der Klägerin war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Zwar ist Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO gewahrt, auch ist die Berufungsbegründung innerhalb dieser eingegangen. Ein Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 233 ZPO liegt aber nicht vor. Das Fristversäumnis beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das sich die Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Zwar kann eine Funktionsstörung des zur Übermittlung benutzten Computers eine technische Störung im Sinne von § 130d S. 2 ZPO darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 1.3.2023 – XII ZB 228/22, juris Rn. 13). Im Streitfall kann aber dahinstehen, ob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in seinen Schriftsätzen vom 5.12.2024 und 18.12.2024 hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass der Computerdefekt auf einem unvorhersehbaren und nicht vermeidbaren Fehler der verwendeten Hard- oder Software beruhte und somit nach den glaubhaft gemachten Tatsachen nicht die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von der Partei bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten – beispielsweise durch einen Bedienfehler – verschuldet war (vgl. BGH, Beschluss vom 1.3.2023 – XII ZB 228/22, juris Rn. 13, 17 m.w.N.).

Denn die Klägerin hat trotz des ausdrücklichen Hinweises des Senats nicht dazu vorgetragen, dass auch eine fristgerechte Ersatzeinreichung der Berufungsbegründung gemäß § 130d S. 2 ZPO nicht möglich war. Zwar ergibt sich aus § 130d S. 2 ZPO keine unmittelbare Verpflichtung zur Ersatzeinreichung. Kann eine Frist im Wege der Ersatzeinreichung aber noch gewahrt werden, scheidet eine Wiedereinsetzung aus (Zöller/Greger ZPO, 35. Aufl. 2024, § 130d Rn. 4). Ob eine Ersatzeinreichung möglich, zumutbar und deshalb geboten war, ist nach dem Verschuldensmaßstab des § 233 S. 2 ZPO und den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 5.10.2023 – 12 U 47/23, juris Rn. 47).

Im Grundsatz darf ein Rechtsanwalt sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf einrichten, einen Schriftsatz auf einem bestimmten Weg – hier per beA – zu übermitteln. Scheitert die Übermittlung an einem unerwarteten Defekt, kann vom Rechtsanwalt grundsätzlich nicht verlangt werden, innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.2020 – III ZB 31/20, juris Rn. 18). Im Einzelfall kann das Ausweichen auf eine andere als die gewählte Übermittlungsart aber geboten sein, insbesondere dann, wenn der Zusatzaufwand geringfügig und zumutbar ist. Hierzu wurde in der Zeit vor Inkrafttreten der aktiven Nutzungspflicht nach § 130d ZPO höchstrichterlich entschieden, dass die Benutzung des beA nach gescheiterter Übermittlung per Telefax jedenfalls dann in Betracht kommt, wenn dieses von dem Prozessbevollmächtigten in der Vergangenheit bereits aktiv zum Versand von Schriftsätzen genutzt wurde, er also mit seiner Nutzung vertraut ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.2020 – III ZB 31/20, juris Rn. 26).

Im Streitfall wäre eine Übermittlung der vierseitigen Berufungsbegründung noch am 20.11.2024 per Telefax oder Computerfax zeitlich unproblematisch möglich gewesen, nachdem der Klägervertreter spätestens um kurz nach 23:15 Uhr die anhaltenden Probleme bei der Übermittlung per beA bemerkt hatte. Der Klägervertreter hat trotz des ausdrücklichen Hinweises des Senats auf § 130d S. 2 ZPO nicht behauptet, dass ihm die Ersatzeinreichung unzumutbar war, etwa weil ihm weder Fax noch Computerfax zur Verfügung standen oder er diese Übermittlungswege zuvor nicht aktiv genutzt hat.

Einer Ersatzeinreichung stand auch nicht entgegen, dass dem Klägervertreter die gemäß § 130d S. 3 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit nicht möglich gewesen wäre. Diese erfordert nicht eine „geschlossene Darstellung“ im Sinne einer bereits abgeschlossenen technischen Analyse des Fehlers, sondern lediglich die Glaubhaftmachung der konkreten Umstände, weshalb die rechtzeitige Übermittlung nicht möglich war. Ein solcher Tatsachenvortrag wäre dem Klägervertreter auch bereits im Laufe des 21.11.2024 (vgl. zur Rechtzeitigkeit der nach § 130d S. 3 ZPO erforderlichen Darlegung und Glaubhaftmachung BGH, Zwischenurteil vom 25. Juli 2023 – X ZR 51/23, juris Rn. 12) möglich gewesen.“

KCanG II: Beschränkte Berufung in der Revision, oder: Zuständigkeit für Neufestsetzung der Strafe

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Im zweiten Posting dann zwei verfahrensrechtliche Entscheidungen zum KCanG, und zwar:

Das OLG Frankfurt am Main hat im OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.11.2024 – 1 ORs 38/24 – Stellung genommen zum Prüfungsmaßstab des Revisionsgerichts bei einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das BtMG wegen Taten, die nunmehr dem KCanG unterfallen und Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung:

„Der revisionsrechtlichen Prüfung unterliegt allein die Frage der Strafaussetzung.

Aufgrund der wirksamen Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft und der Zurücknahme seiner Berufung durch den Angeklagten sind Schuld- und Strafausspruch rechtskräftig geworden. Daran ändert es entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft nichts, dass am 1. April 2024 das Konsumcannabisgesetz in Kraft getreten ist und der Angeklagte auch wegen Taten verurteilt worden ist, deren Strafbarkeit sich nun nicht mehr nur nach dem Betäubungsmittelgesetz, sondern auch nach dem (milderen) Konsumcannabisgesetz richten würde.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei einem auf den Strafausspruch beschränkten Rechtsmittel im Falle einer Gesetzesänderung das mildere Recht (§ 2 Abs. 3 StGB) durch das Revisionsgericht nur dann zu berücksichtigen, wenn die Einzelstrafen angegriffen sind. Rechtskräftige Einzelstrafen behalten demgegenüber ihre eigenständige Bedeutung, wenn nur der Gesamtstrafenausspruch angefochten ist (BGH, Urteil vom 23. Mai 2024 – 5 StR 68/24 m.w.N.). Der Bundesgerichtshof hat zwar die Aufhebung einer rechtskräftig verhängten Strafe unter Neufassung des Schuldspruchs gemäß § 354a StPO auch dann für geboten erachtet, wenn – wie hier – Schuld- und Strafausspruch rechtskräftig waren und der Rechtsmittelangriff lediglich die Frage der Strafaussetzung betraf (BGHSt 26, 1). Dem lag aber die Anwendung der Ausnahmevorschrift des Art. 313 Abs. 1 und 3 EGStGB zugrunde. Anders verhält es sich hier. Das abgeurteilte Verhalten des Angeklagten ist, soweit es den Umgang mit Cannabis betrifft, weiterhin strafbar (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG). Die Übergangsvorschrift im Zusammenhang mit dem Konsumcannabisgesetz (Art. 316p EGStGB) verweist aber nur für solche Fälle auf Art. 313 EGStGB, die nach neuem Recht weder strafbar, noch bußgeldbewehrt sind (BGH, Urteil vom 23. Mai 2024 – 5 StR 68/24; vgl. auch BGH, Urteil vom 16. August 1977 – 1 StR 390/77).

Die in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Mai 2024 aufgestellten Grundsätze gelten nach Auffassung des Senats erst Recht, wenn – wie hier – nicht einmal der Gesamtstrafenausspruch, sondern nur die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung angegriffen ist.

Angesichts dieser Rechtslage ist auch eine Änderung oder Klarstellung des Schuldspruchs nicht veranlasst (siehe BGH, Urteil vom 23. Mai 2024 – 5 StR 68/24).“

Und dann noch der OLG Koblenz, Beschl. v. 20.11.2024 – 6 Ws 547/24. Danach ist für Entscheidungen nach Art. 316p iVm. Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB stets das Gericht des ersten Rechtszugs zuständig.