Im zweiten Posting kommt dann etwas aus dem Strafvollstreckungsverfahren, und zwar der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.03.2025 – 3 Ws 46/25.
Das LG – Strafvollstreckungskammer – hat die Vollstreckung einer Restfreiheitsstrafe aus einem Urteil vom 15.01.2020, rechtskräftig seit dem 18.06.2020, ohne vorherige Einholung eines Prognosegutachtens zur Bewährung ausgesetzt. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde.
Gegen den Verurteilten wird eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten. Im Urteil wurde eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten für unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Marihuana) in nicht geringer Menge gem. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG festgesetzt. Einbezogen wurde außerdem in die Gesamtstrafenbildung eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen.
Die sofortige Beschwerde der StA hatte Erfolg. Das OLG führt u.a. aus:
„Ein Verfahrensfehler liegt nicht vor. Die Strafvollstreckungskammer musste vor ihrer Entscheidung kein Prognosegutachten gem. § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO einholen. Der Verurteilte wurde zwar zu einer (Einzel-)Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren Dauer verurteilt (3 Jahre und 9 Monate). Die Straftat fiel, fällt aber nach – weitgehend zum 01.04.2024 erfolgten – Inkrafttreten des KCanG nunmehr nicht unter die in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB genannten. Nach jener Norm sind Verbrechen nach § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a) oder b) StGB vom Anwendungsbereich erfasst. Gem. § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) StGB sind bei vorsätzlichen Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht sind, folglich vom Weiterverweis erfasst. Die Verurteilung des Landgerichts Darmstadt wegen eines vorsätzlichen Verbrechens nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, wobei die Strafdrohung von einem bis 15 Jahren reichte, erfüllte damit bis Inkrafttreten des KCanG die genannten Voraussetzungen. Nunmehr unterfällt unerlaubtes Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nicht mehr dem BtMG, sondern § 34 KCanG, vorliegend gem. § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 4 KCanG. Maßgeblich ist die nunmehrige Einordnung. Denn § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO verweist auf die jeweils geltende Regelung in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB und von ebenda wird (dynamisch) weiterverwiesen. Der Gesetzgeber hat die Folgen der Herausnahme von Cannabis aus dem Anwendungsbereich des BtMG bedacht und etwa für die Führungsaufsicht (§ 38 KCanG) oder für die Fortgeltung der Anwendung der §§ 35-38 BtMG bei cannabisbezogener Abhängigkeitserkrankung reglementiert. Hinsichtlich der Strafvollstreckung hat er einen etwaigen Straferlass in Art. 316p EGStGB geregelt. Raum für eine Auslegung dergestalt, dass eine vormalige Verurteilung nach dem BtMG, die nunmehr nach dem KCanG erfolgen würde, oder auch nach Inkrafttretens des KCanG erfolgte Verurteilungen, in den Anwendungsbereich von § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO fallen, besteht nicht. Anderenfalls würde nicht dem Willen des Gesetzgebers Rechnung getragen. Dessen neue Gefahrenbeurteilung (siehe Begründung BReg zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 20/8704, S. 68), die sich eben auch in der Entscheidung zur Nichtaufnahme des KCanG in § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) StGB niederschlägt, würde ansonsten unterminiert. Für hiesiges Gesetzesverständnis spricht schließlich: Das Prognosegutachten nach § 454 Abs. 2 StPO soll die Entscheidung, ob die weitere Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 454 Abs. 1 StPO), vorbereiten, vgl. BGH NJW 2000, 1663. Folgend der gesetzgeberischen Konzeption ist es seit dem 31.01.1998 bei bestimmten, nach gesetzgeberischer Würdigung eher schwerwiegenden, Straftaten regelmäßig geboten – außer es ist auszuschließen, dass die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht respektive die Strafkammer keine Entlassung „erwägt“ – ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zuvor war ein Gutachten gem. § 454 Abs. 1 S. 5 StPO a.F. nur bei vollstreckter lebenslanger Freiheitsstrafe einzuholen. Mit der Neuregelung sollte nach den Gesetzesmaterialien nunmehr auch bei sonstigen „gefährlichen Verurteilten“ (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/9062, S. 14: „Denn dem erhöhten Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit sollte bei all jenen gefährlichen Verurteilten Rechnung getragen werden, die wegen schwerwiegender Delikte mit Freiheitsstrafen belegt wurden.“) ein Prognosegutachten zum „wirksamen Schutzes der Bevölkerung vor Rückfalltaten“ obligatorisch werden, siehe Begründung BReg zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 13/8586, S. 1, 10; Beschlussempfehlung Rechtsausschuss, BT-Drs. 13/8989, S. 2, 8. § 454 Abs. 2 S. 1 StPO gilt in unveränderter Fassung seit dem 31.01.1998. Anders als die Verfahrensnorm, erfuhr § 66 Abs. 3 S. 1 StGB mannigfache Änderungen, ohne dass der Gesetzgeber einen Novellierungsbedarf für die Verfahrensnorm bejahte. Insofern bestehen auch keine Gründe für die Annahme einer unbewussten Nichtregelung. Denn schließlich hat der Gesetzgeber durch die Änderungen im materiellen Recht (zu § 66 Abs. 3 S. 1 StGB) seine jeweils changierenden Bewertungen von besonders „gefährlichen Verurteilten“ angepasst.
Folglich ist die veränderte Gefahrenbewertung des Gesetzgebers in Bezug auf Cannabis bei der in die Zukunft gerichteten Entscheidung des § 454 Abs. 1 StPO zu berücksichtigen.
Entgegen der Strafvollstreckungskammer kann der Senat folgend den zutreffenden Erwägungen in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 27.01.2025 keine günstige Legalprognose gem. § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 StGB stellen. ….“