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Anwaltsverschulden bei der Postausgangskontrolle?, oder: Spätere (Grippe)Erkrankung des Rechtsanwalts

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Im zweiten Posting habe ich dann mal wieder einen BGH-Beschluss zum Anwaltsversschulden, und zwar den BGH, Beschl. v. 24.09.2025 – VIII ZB 34/24. Der hat folgenden Sachverhalt

Der Kläger nimmt die Beklagte nach Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs auf Räumung und Herausgabe in Anspruch. Das AG hat der Klage stattgegeben. Gegen dieses, ihr am 27.02.2024 zugestellte Urteil hat die Beklagte fristgerecht Berufung beim zuständigen LG Lüneburg eingelegt. Nachdem das LG mit Verfügung vom 30.04.2024 darauf hingewiesen hatte, dass eine Berufungsbegründung nicht fristgerecht eingereicht worden sei, hat die Beklagte mit einem am 04.05.2024 beim LG eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich die Berufung begründet.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat sie vorgetragen, ihre Prozessbevollmächtigte habe die Berufungsbegründung am 25.04.2024 fertiggestellt und um 20.10 Uhr mittels des beA an das AG übermittelt. Vor der Übermittlung habe sie den Schriftsatz und dessen Anlage geöffnet und überprüft, ob die richtigen Dateien hochgeladen worden seien. Nach der Übermittlung habe sie den Übermittlungsstatus im Sendebericht geprüft, welcher ihr den Eingang der Nachricht bei dem AG angezeigt habe. Tags darauf habe sie das beA nicht genutzt und am Samstag, dem 27.04.2024, sei sie an einem grippalen Infekt erkrankt, aufgrund dessen sie bis zum 30.04.2024 arbeitsunfähig gewesen sei. Ohne ihre Erkrankung hätte sie das beA am letzten Tag der Frist, am Montag, dem 29.04.2024, dazu genutzt, um in einer Strafsache einen Schriftsatz an ein anders AG zu versenden. Dabei wäre ihr die fehlerhafte Versendung der Berufungsbegründung an das zuständige AG mit Sicherheit aufgefallen. Ohne ihre Erkrankung wäre es daher noch zu einer fristgerechten Einreichung der Berufungsbegründung beim zuständigen LG gekommen.

Das LG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Die hatte beim BGH keinen Erfolg. Ich stelle mal den größten Teil der recht umfangreichen Begründung des BGH ein, denn die BGH-Leitsätze sind als sog. „Zu-Leitsätze“ nicht so doll 🙂 . Der BGH hat ausgeführt:

„b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zu Recht und ohne Verletzung der vorgenannten Verfahrensgrundrechte sowie im Einklang mit den Maßgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung zurückgewiesen, da die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten bei der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze beruht (§ 233 Satz 1 ZPO).

aa) Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 30. Januar 2024 – VIII ZB 85/22, NJW-RR 2024, 792 Rn. 13; vom 11. Februar 2025 – VIII ZB 65/23, NJW 2025, 1508 Rn. 17; jeweils mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Prozessbevollmächtigte in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 30. Januar 2024 – VIII ZB 85/22, aaO Rn. 14; vom 11. Februar 2025 – VIII ZB 65/23, aaO Rn. 18; jeweils mwN). Dabei entsprechen die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen mittels beA nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs denjenigen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Nutzung des beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 30. Januar 2024 – VIII ZB 85/22, aaO Rn. 15; vom 11. Februar 2025 – VIII ZB 65/23, aaO; jeweils mwN).

Dies erfordert zunächst die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist. Es fällt in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das in seiner Kanzlei für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal dahingehend anzuweisen, Erhalt und Inhalt der automatisierten Eingangsbestätigung des Gerichts gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Januar 2023 – VI ZB 23/21, NJW-RR 2023, 425 Rn. 14; vom 6. September 2023 – IV ZB 4/23, NJW 2023, 3432 Rn. 14; vom 11. Februar 2025 – VIII ZB 65/23, aaO Rn. 19; vom 11. März 2025 – XI ZB 17/24, NJW­RR 2025, 701 Rn. 8; jeweils mwN). Diese Kontrollpflichten erstrecken sich unter anderem darauf, ob die Übermittlung vollständig und an das richtige Gericht erfolgte sowie – anhand des zuvor vergebenen Dateinamens – ob die richtige Datei übermittelt wurde (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2021 – VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 46; vom 21. März 2023 – VIII ZB 80/22, NJW 2023, 1668 Rn. 20; vom 30. Januar 2024 – VIII ZB 85/22, aaO; vom 11. Februar 2025 – VIII ZB 65/23, aaO; jeweils mwN).

Der Rechtsanwalt kann diese Ausgangskontrolle zwar auf zuverlässiges Büropersonal übertragen und braucht sie nicht selbst vorzunehmen. Übernimmt er sie aber im Einzelfall selbst, muss er auch selbst für eine wirksame Ausgangskontrolle Sorge tragen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 11. Februar 2025 – VIII ZB 65/23, aaO Rn. 20 mwN).

bb) Diesen Sorgfaltsanforderungen hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten schon deshalb nicht genügt, weil sich ihrem Vortrag nicht entnehmen lässt, dass sie überprüft hat, ob vom Amtsgericht Lüneburg eine Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt wurde. Die Bezugnahme auf den – offenbar von ihrer Büroverwaltungssoftware angezeigten – Sendebericht reicht dafür grundsätzlich nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2025 – XI ZB 17/24, NJW-RR 2025, 701 Rn. 9 mwN; BSG, Beschluss vom 27. September 2023 – B 2 U 1/23 R, juris Rn. 10; BeckOK IT-Recht/Loos, Stand: 1. Juli 2025, § 130a ZPO Rn. 33c.1). Da die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle stellt, einem Rechtsanwalt bekannt sein müssen, erlaubt der Umstand, dass sich der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zur Frage der Prüfung der Eingangsbestätigung nicht verhält, ohne weiteres den Schluss darauf, dass eine solche Prüfung nicht erfolgt ist und entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2015 – V ZB 72/15, NJW 2016, 874 Rn. 16; vom 15. Dezember 2015 – VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 13; vom 25. Februar 2016 – III ZB 42/15, NJW 2016, 1742 Rn. 11; vom 26. Mai 2021 – VIII ZB 55/19, juris Rn. 15; jeweils mwN).

Ungeachtet dessen ergibt sich aber auch aus der eigenen Darstellung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten und wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht in Abrede gestellt, dass im Streitfall eine ausreichende, den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprechende Ausgangskontrolle nicht stattgefunden hat. Diese beschränkte sich vielmehr auf die Prüfung, ob die richtigen Dateien hochgeladen worden sind, und bezog sich nicht auch darauf, ob es sich bei dem als Empfänger angegebenen Gericht um das zuständige Gericht handelte. Spätestens bei einem gewissenhaften Blick auf den im Sendebericht angegebenen Adressaten, das Amtsgericht Lüneburg, hätte der Prozessbevollmächtigten der Beklagten auffallen müssen, dass der Schriftsatz an das falsche Gericht übersandt worden ist; dann wäre noch genug Zeit gewesen, um die Berufungsbegründung erneut fristwahrend an das zuständige Landgericht Lüneburg zu versenden.

c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war der der Beklagten demnach gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Fehler bei der Kontrolle der Übermittlung der Berufungsbegründung auch ursächlich für die Fristversäumung.

aa) Diese Ursächlichkeit entfällt – wie das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat – auch nicht etwa dadurch, dass die Beklagte mit einer Weiterleitung ihres beim Amtsgericht Lüneburg eingegangenen Schriftsatzes bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist an das Berufungsgericht hätte rechnen können.

(1) Ein Gericht ist nur unter besonderen Umständen gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. Denn einer gerichtlichen Fürsorgepflicht sind im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz Grenzen gesetzt (vgl. BVerfG, NJW 1995, 3173, 3175; Senatsbeschlüsse vom 11. Januar 2022 – VIII ZB 37/21, NJW-RR 2022, 346 Rn. 14; vom 21. März 2023 – VIII ZB 80/22, NJW 2023, 1668 Rn. 37; vom 11. Februar 2025 – VIII ZB 65/23, NJW 2025, 1508 Rn. 24; jeweils mwN).

Das Gericht ist einerseits aufgrund des verfassungsrechtlichen Anspruchs der Parteien auf ein faires und wirkungsvolles Verfahren zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Parteien verpflichtet. Andererseits muss die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlichen Belastungen geschützt werden. Es besteht deshalb keine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Gerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern und auf diese Weise der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die zutreffende Adressierung eines Schriftsatzes allgemein abzunehmen (BVerfG, NJW 2006, 1579 Rn. 8; BGH, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 – VIII ZB 20/09, NJW 2011, 683 Rn. 18; vom 15. Juni 2011 – XII ZB 468/10, NJW 2011, 2887 Rn. 12; vom 13. September 2012 – IX ZB 251/11, NJW 2013, 236 Rn. 10; vom 12. Mai 2016 – IX ZB 75/15, juris Rn. 16; vom 19. September 2017 – VI ZB 37/16, NJW-RR 2018, 314 Rn. 6; vom 20. April 2023 – I ZB 83/22, ZIP 2023, 1614 Rn. 16).

Geht ein fristgebundener Schriftsatz für das Rechtsmittelverfahren beim unzuständigen Ausgangsgericht ein oder ist die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts „ohne weiteres“ beziehungsweise „leicht und einwandfrei“ zu erkennen, ist dieses deshalb grundsätzlich (lediglich) verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten (vgl. BVerfG, NJW 2006, 1579 Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2005 – VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776 unter III 1 b aa; vom 20. April 2011 – VII ZB 78/09, NJW 2011, 2053 Rn. 12 f.; vom 15. Juni 2011 – XII ZB 468/10, aaO; vom 12. Oktober 2011 – IV ZB 17/10, NJW 2012, 78 Rn. 14; vom 27. Juli 2016 – XII ZB 203/15, NJW-RR 2016, 1340 Rn. 12; vom 19. September 2017 – VI ZB 37/16, aaO Rn. 5; vom 8. Mai 2020 – LwZB 1/19, juris Rn. 7; vom 27. August 2019 – VI ZB 32/18, NJW 2019, 3727 Rn. 14; vom 9. Dezember 2021 – V ZB 12/21, NJW-RR 2022, 567 Rn. 6 f.; vom 26. Januar 2023 – I ZB 42/22, NJW 2023, 1969 Rn. 21; vom 20. April 2023 – I ZB 83/22, aaO; vom 9. April 2025 – XII ZB 163/24, NJW-RR 2025, 884 Rn. 17). Die eine Wiedereinsetzung begehrende Partei hat darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ihr Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgerecht an das zuständige Rechtsmittelgericht hätte weitergeleitet werden können (BGH, Beschlüsse vom 6. November 2008 – IX ZB 208/06, NJW-RR 2009, 408 Rn. 7; vom 15. Juni 2011- XII ZB 468/10, aaO; vom 12. Juni 2013 – XII ZB 394/12, NJW-RR 2014, 2 Rn. 21; vom 19. September 2017 – VI ZB 37/16, aaO Rn. 5; vom 26. Januar 2023 – I ZB 42/22, aaO; vom 20. April 2023 – I ZB 83/22, aaO).

(2) Selbst wenn man nach den vorgenannten Grundsätzen das unzuständige, mit der Sache zuvor nicht befasste Amtsgericht Lüneburg als zur Weiterleitung des hier in Rede stehenden Schriftsatzes als verpflichtet ansähe, wäre mit einer fristwahrenden Übermittlung an das als Berufungsgericht zuständige Landgericht Lüneburg bis zum 29. April 2024 nicht zu rechnen gewesen.

(a) Auch im Falle einer Weiterleitungspflicht ist das (unzuständige) Gericht, bei dem der fristgebundene Schriftsatz eingereicht wurde, grundsätzlich nicht verpflichtet, diesen dem zuständigen Gericht unter höchster Beschleunigung zukommen zu lassen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Oktober 1986 – VIII ZB 40/86, NJW 1987, 440 unter II 3 d; vom 21. Februar 2018 – IV ZB 18/17, juris Rn. 13; vom 19. Juli 2023 – AnwZ (Brfg) 31/22, juris Rn. 26; vom 23. Oktober 2024 – XII ZB 576/23, NJW-RR 2025, 119 Rn. 16). Im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs ist üblicherweise damit zu rechnen, dass ein an eine zentrale gerichtliche Annahmestelle gesandter Schriftsatz am nächsten Werktag, hier also am Freitag, dem 26. April 2024, auf der zuständigen Geschäftsstelle eingeht und dem zuständigen Richter an dem darauffolgenden Werktag, also am Montag, dem 29. April 2024, und nicht schon – wie das Berufungsgericht gemeint hat – am Freitag, dem 26. April 2024, vorgelegt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. April 2023 – I ZB 83/22ZIP 2023, 1614 Rn. 18; vom 9. April 2025 – XII ZB 163/24, NJW-RR 2025, 884 Rn. 19; jeweils mwN).

Zudem kann nicht erwartet werden, dass die richterliche Verfügung der Weiterleitung der Rechtsmittelschrift noch am selben Tag zur Geschäftsstelle gelangt und dort ausgeführt wird. Vielmehr entspricht es dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterlich verfügte Weiterleitung am darauffolgenden Werktag, hier also am Dienstag, dem 30. April 2024, umsetzt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. April 2023 – I ZB 83/22, aaO Rn. 22; vom 23. Oktober 2024 – XII ZB 576/23, aaO; vom 9. April 2025 – XII ZB 163/24, aaO). Demnach kann dahinstehen, ob das Amtsgericht Lüneburg den Schriftsatz – wie die Rechtsbeschwerde meint – elektronisch an das Landgericht hätte weiterleiten müssen, weil auch in diesem Fall mit einem Eingang bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr zu rechnen war.

(b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht damit die Annahme des Berufungsgerichts, mit einem Eingang der Berufungsbegründung bei ihm sei frühestens am 30. April 2024 zu rechnen gewesen, im Einklang mit höchstrichterlicher Rechtsprechung. Aus der von der Rechtsbeschwerde zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. August 2017 (VI ZB 49/16, NJW-RR 2018, 56 Rn. 15) ergibt sich nichts anderes. Dort war der Schriftsatz zwar erst am Freitagvormittag in der allgemeinen Posteingangsstelle der Justizbehörden eingegangen. Der Bundesgerichtshof ist in dieser Entscheidung jedoch ebenfalls davon ausgegangen, dass selbst dann, wenn mit einem Eingang auf der Geschäftsstelle bereits am Freitagnachmittag gerechnet werden könne, die Akten dem zuständigen Richter frühestens an dem auf die Verfügung der Geschäftsstelle folgenden Werktag, also am Montag, vorgelegt worden wären und mit einer Bearbeitung von dessen (Weiterleitungs-)Verfügung erst am Dienstag zu rechnen gewesen wäre. Diese zeitliche Berechnung deckt sich mit derjenigen des Berufungsgerichts im Streitfall, die – wie aufgezeigt – rechtlich nicht zu beanstanden ist.

(c) Auch die insoweit von der Rechtsbeschwerde erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Der Senat hat diese Rüge geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer näheren Begründung wird nach der im Rechtsbeschwerdeverfahren gemäß § 577 Abs. 6 Satz 2 ZPO entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

bb) Wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, ist die rechtliche Erheblichkeit der – wie oben ausgeführt – unzureichenden Postausgangskontrolle auch nicht deshalb entfallen, weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch auf den zeitlich nachfolgenden Umstand zurückzuführen ist, dass die Prozessbevollmächtigte der Beklagten nach ihrer anwaltlichen Versicherung vom 27. bis zum 30. April 2024 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und infolgedessen – wie sie geltend macht – die fehlerhafte Adressierung der Berufungsbegründung vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht hätte bemerken können.

(1) Die Rechtsbeschwerde weist zwar im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass nach den Grundsätzen der sogenannten „überholenden Kausalität“ ein früheres Verschulden einer Partei oder eines Prozessbevollmächtigten die Wiedereinsetzung ausnahmsweise dann nicht ausschließt, wenn dessen rechtliche Erheblichkeit durch ein späteres, der Partei oder ihrem Bevollmächtigten nicht zuzurechnendes Ereignis entfällt (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 22. November 2022 – XI ZB 13/22, NJW 2023, 1224 Rn. 14 f.; vom 21. November 2024 – I ZB 34/24, NJW-RR 2025, 188 Rn. 17; vom 17. Juni 2025 – VIII ZB 54/24, WRP 2025, 1201 Rn. 43 mwN). In einem solchen Fall tritt das mitursächliche Verschulden des Prozessbevollmächtigten einer Partei hinter eine wesentliche andere Ursache zurück und ist damit bei wertender Würdigung des Ursachenverlaufs die rechtliche Erheblichkeit des Anwaltsverschuldens zu verneinen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2019 – IX ZB 6/18, NJW 2019, 2028 Rn. 19; vom 17. Juni 2025 – VIII ZB 54/24, aaO).

Die Wertung, dass die rechtliche Erheblichkeit eines Verschuldens des Prozessbevollmächtigten infolge einer späteren Ursache entfällt, erscheint jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn der Prozessbevollmächtigte durch eine allgemeine Arbeitsanweisung Vorsorge dafür getroffen hatte, dass bei normalem Verlauf der Dinge die Frist trotz seines Verschuldens gewahrt worden wäre. Es muss sich demnach um eine Anweisung handeln, die bestimmt und geeignet ist, gerade die Folgen des Anwaltsfehlers zu verhindern (Senatsbeschluss vom 17. Juni 2025 – VIII ZB 54/24, aaO Rn. 44 mwN).

(2) Nach dieser Maßgabe genügt es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht, dass die Frist durch „irgendeinen“ hypothetischen Verlauf gewahrt worden wäre. Vielmehr hätte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Vorfeld Vorkehrungen in Gestalt organisatorischer Maßnahmen treffen müssen, um Fehlern wie dem hier vorliegenden zu begegnen. Davon kann nach ihren eigenen Angaben im Streitfall nicht ausgegangen werden, da sie lediglich behauptet hat, ihr wäre die fehlerhafte Übermittlung der Berufungsbegründung aus Anlass einer von ihr beabsichtigten Versendung eines Schriftsatzes in einem anderen (Straf-)Verfahren aufgefallen. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, rechtfertigt es ein solchermaßen zufälliges Zusammentreffen von Ereignissen bei der gebotenen wertenden Betrachtung nicht, die rechtliche Erheblichkeit des Anwaltsverschuldens zu verneinen.

Gültige Haftungsvergleiche im VW-Dieselskandal?, oder: Nein, beim BGH gekippt

entnommen wikimedia.org
Urheber User: High Contrast

In der „Anfangszeit“ des VW-Dieselskandals habe ich darüber und über Gerichtsentscheidungen zu der Problematik berichtet. Irgendwann habe ich die Berichterstattung aber aufgegeben, da ich – ich räume es ein – den Überblick über die vielen Entscheidungen und Verästelungen verloren habe. Und ich wollte die Thematik wegen ihrer Vielschichtigkeit neben den anderen Bereichen, über die ich berichte, nicht auch noch weiter verfolgen (müssen).

Jetzt habe ich aber mal wieder eine Entscheidung zum Dieselskandal, über die ich hier berichten will. Es handelt sich um das BGH, Urt. v. 30.09.2025 – II ZR 154/23). Hintergrund dieser Entscheidung sind im Jahr 2021 geschlossene Vergleiche zwischen der VW-AG, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn, dem ehemaligen Vorstandsmitglied Rupert Stadler und den D&O-Versicherern. Damit sollten mögliche Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Dieselskandal beigelegt werden. Neben Zahlungen der Versicherer in Höhe von rund 270 Millionen Euro und Eigenbeiträgen der Ex-Vorstände in Höhe von 11,2 Mio EUR bzw. 4,1 Mio EUR sah der Deckungsvergleich vor, dass VW Winterkorn und Stadler auch von bestimmten Ansprüchen Dritter freistellt und auf weitere Ansprüche gegen aktuelle und ehemalige Organmitglieder verzichtet. Die Hauptversammlung der Volkswagen AG stimmte den Vergleichsvereinbarungen mit einer Mehrheit von über 99% zu. Auch die frü­he­ren Vor­stän­de Win­ter­korn und Stad­ler, die D&O-Ver­si­che­rer haben zugestimmt.

Gegen die Zustimmungsbeschlüsse haben dann allerdings Aktionäre geklagt. Und sie hatten dann beim BGH Erfolg. Der sieht die Zustimmung zu den Deckungsvergleichen mit den Versicherern durch die Hauptversammlung als nichtig an.

Hier gibt es nur die Leitsätze zu der Entscheidung 🙂 , den Rest ggf. bitte im verlinkten Volltext selbst lesen:

1a) Die Abgrenzung eines normalen Austauschgeschäfts von einer verdeckten Ausschüttung von Gesellschaftsvermögen wird auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2026) danach vorgenommen, ob ein gewissenhaft nach kaufmännischen Grundsätzen handelnder Geschäftsleiter das Geschäft unter sonst gleichen Umständen zu gleichen Bedingungen auch mit einem Nichtgesellschafter abgeschlossen hätte, ob die Leistung also durch betriebliche Gründe gerechtfertigt war.

1b) Nach welchen Maßstäben der danach gebotene Drittvergleich vorzunehmen und inwieweit dabei ein Beurteilungsspielraum anzuerkennen ist, muss nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der Eigenart der Leistungsbeziehung zwischen Aktiengesellschaft und Aktionär ermittelt werden.

1c) Die Entscheidung der Hauptversammlung über die Zustimmung zu einem Vergleich mit Organmitgliedern, die zugleich Aktionäre der Aktiengesellschaft sind, unterliegt regelmäßig keiner umfänglichen Inhaltskontrolle hinsichtlich der Angemessenheit des Vergleichsinhalts, sondern lediglich einer gerichtlichen Missbrauchskontrolle.

2. Entstanden im Sinn des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ist der Anspruch bei reinen Vermögensschäden mit der Pflichtverletzung und dem Eintritt der ersten Schadensposition, und zwar hinsichtlich sämtlicher sich daraus entwickelnder Schäden sowie für sich aus dem Primärschaden entwickelnde Folgeschäden.

3. Die Angabe der wesentlichen Vertragsinhalte nach § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG oder weitergehende freiwillige Angaben in der Bekanntmachung können das Erfordernis, den Gegenstand der Beschlussfassung in der Einberufung anzugeben, nicht ersetzen. Dies setzt zugleich einer pauschalen Bezugnahme in der Einberufung auf den weiteren Inhalt der Bekanntmachung Grenzen. Eine pauschale Bezugnahme kann insbesondere nicht die Angabe des Gegenstands einer zustimmungsbedürftigen Beschlussfassung ersetzen.

Rechtsanwaltsvertrag als Fernabsatzgeschäft, oder: Welche Vergütung gibt es nach einem Widerruf?

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Immer mehr Mandatsverträge werden als Fernabsatzgeschäft abgeschlossen. Das ist ggf., wenn der Mandant nicht über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, im Fall eines Widerrufs für den Rechtsanwalt im Hinblick auf seine Vergütung nicht ungefährlich. Dazu gibt es jetzt eine Entscheidung, und zwar das LG Flensburg, Urt. v. 09.10.2025 – 4 O 80/25.

In dem Verfahren hat die Klägerin von der beklagten Mandantin Rechtsanwaltsvergütung aus einer Vergütungsvereinbarung verlangt. Die Beklagte hatte die Klägerin in einem finanzgerichtlichen Verfahren beauftragt, in dem es um die Mithaftung der Beklagten für Säumniszuschläge, die die Finanzverwaltung geltend machte, ging. De Kommunikation zwischen den Parteien erfolgte ausschließlich auf elektronischem Wege. Für die erkrankte Beklagte handelte dabei ihr damaliger Ehemann, für die Klägerin einer ihrer Partner. Die Parteien schlossen am 24.10.2024 eine Mandats- und Vergütungsvereinbarung.

Die Klägerin gab für die Beklagte gegenüber dem Finanzamt eine schriftliche Stellungnahme ab und erteilte ihr am gleichen Tage eine Honorarrechnung in Höhe der Klageforderung. Als der Prozessbevollmächtigte der Beklagten für diese die Abrechnung telefonisch gegenüber der Klägerin als überhöht beanstandete, erklärte die Klägerin mit Email vom 09.12.2024 zunächst dem Finanzamt und danach auch der Beklagten gegenüber, dass sie das Mandat niederlege. Die Beklagte beauftragte anschließend ihren Prozessbevollmächtigten mit der weiteren Vertretung gegenüber dem Finanzamt und zahlte dafür an den die gesetzlichen Gebühren in Höhe von 1.501,19 EUR. Die Beklagte erklärte mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 11.12.2024 und erneut mit der Klageerwiderung die Anfechtung, die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund und den Widerruf der Mandats- und Vergütungsvereinbarung.

Die Klägerin hält die Mandats- und Vergütungsvereinbarung für wirksam und meint, die Beklagte habe sie als Unternehmerin beauftragt. Sie hat Zahlung von 21.140,87 EUR  verlangt. Hilfsweise hat sie für den Fall der Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie die Gebühren für die Beauftragung und Vertretung gegenüber dem Finanzamt nach dem RVG in der zum Zeitpunkt der Beauftragung gültigen Fassung zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und widerklagend festzustellen, dass die Klägerin aus der von vorgelegten Vergütungsvereinbarung keine höhere als die gesetzliche Vergütung fordern kann

Die Klage hatte keinen Erfolg:

„II.

Die Hauptanträge der Klägerin sind unbegründet.

Die Klägerin kann keine Stundenvergütung gemäß der Mandats- und Vergütungsvereinbarung vom 24.10.2024 (Anlage K 1) verlangen, weil die Beklagte diese Vergütungsvereinbarung jedenfalls wirksam widerrufen hat. Auf die Anfechtung der Beklagten und die weiteren von ihr geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe kommt es deshalb nicht mehr an.

1. Die Beklagte hat mit dem Schreiben vom 11.12.2024 (Anlage K 4) und in der Klageerwiderung wirksam den Widerruf der Vergütungsvereinbarung erklärt.

a) Ihr Widerrufsrecht ergibt sich aus §§ 312g Abs. 1, 355 Abs. 1 S. 1 BGB. Bei der Vereinbarung handelt es sich um ein Fernabsatzgeschäft gemäß § 312c BGB, da die Kommunikation zwischen den Parteien ausschließlich auf elektronischem Wege erfolgte, nicht im Rahmen eines persönlichen Zusammentreffens.

b) Es handelt sich auch um ein Geschäft zwischen der Klägerin als Unternehmerin und der Beklagten als Verbraucherin. Zwar erfolgte die Mandatierung der Klägerin im Zusammenhang mit der früheren Tätigkeit der Beklagten als Geschäftsführerin zweier GmbHs, gerade in dieser Eigenschaft wurde sie ja von der Finanzverwaltung auf Mithaftung für Säumniszuschläge, die gegenüber den GmbHs festgesetzt worden waren, in Anspruch genommen. Entgegen der Auffassung der Klägerin begründet die Tätigkeit als Geschäftsführer einer GmbH aber generell keine Unternehmereigenschaft i. S. d. § 14 BGB.

Vielmehr ist ein GmbH-Geschäftsführer als solcher Verbraucher, auch wenn er eine Schuld seiner GmbH mitübernimmt oder sich dafür verbürgt (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 84. Aufl., § 13 Rn 3). Die Beklagte hat die einschlägige BGH-Rechtsprechung zutreffend im Schriftsatz vom 25.08.2025 zitiert, das Gericht nimmt darauf Bezug.

c) Der Widerruf ist fristgerecht erfolgt, weil die Widerrufsfrist von 14 Tagen ab Vertragsabschluss nach § 355 Abs. 2 BGB nicht in Gang gesetzt worden ist. Dazu hätte es gemäß § 356 Abs. 3 S. 1 BGB einer Belehrung der Beklagten über ihr Widerrufsrecht durch die Klägerin bedurft, die nicht erfolgt ist. Die davon unabhängige Frist von 12 Monaten und 14 Tagen nach § 356 Abs. 3 S. 2 BGB ist selbst jetzt noch nicht abgelaufen.

2. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, ob die abgerechneten Stunden tatsächlich angefallen sind, und ob die der Rechnung (Anlage K 3) beigefügte Leistungsübersicht ausreicht, um die Anforderungen nach § 10 RVG zu erfüllen.

Ebenso wenig kommt es auf die hilfsweise geltend gemachte Aufrechnung der Beklagten gegen den vertraglichen Vergütungsanspruch mit einem Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung vorvertraglicher Hinweis- und Beratungspflichten (Seite 11 der Klageerwiderung vom 03.06.2025 unter V. 2.) an.

3. Da der Klägerin schon keine Hauptforderung gemäß dem Klageantrag zu 1. zusteht, kann sie auch keine Zinsen darauf und keinen Ersatz der für die vorgerichtliche Geltendmachung dieser Forderung angefallenen Rechtsanwaltskosten gemäß dem Klageantrag zu 2. verlangen.

III.

Auch der Hilfsantrag der Klägerin, über den wegen der Abweisung der Hauptanträge nunmehr zu entscheiden ist, hat keinen Erfolg.

1. Er ist allerdings als Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Die Klägerin kann wegen eines Anspruchs auf gesetzliche Vergütung noch keinen Leistungsantrag erheben, weil sie der Beklagten darüber noch keine Rechnung nach § 10 RVG erteilt hat und ein solcher Vergütungsanspruch daher noch nicht fällig ist.

2. Ebenso wenig wie ein Vergütungsanspruch nach Stundensätzen kann sich ein Vergütungsanspruch in Höhe der gesetzlichen Gebühren aus der Vereinbarung vom 24.10.2024 (Anlage K 1) ergeben, weil die Beklagte ihren Widerruf vom 11.12.2024 (Anlage K 4) und in der Klageerwiderung nicht nur auf die darin enthaltene Vergütungsvereinbarung gerichtet hat, sondern auch auf die Mandatsvereinbarung. Das ergibt sich eindeutig daraus, dass sie in dem Schreiben nicht nur Einwendungen gegen die Höhe der Vergütung angeführt, sondern auch auf die Mandatsniederlegung durch die Klägerin und die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses abgestellt und die außerordentliche Kündigung erklärt hat. Sie hat damit zum Ausdruck gebracht, sich mit allen verfügbaren rechtlichen Mitteln, also auch mit dem Widerruf, insgesamt von dem Mandatsverhältnis mit der Klägerin lösen zu wollen.

3. Die Klägerin kann die gesetzlichen Gebühren auch nicht nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB aus dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten Bereicherung verlangen.

a) Zum einen fehlt es bereits an einer Bereicherung der Beklagten. Zwar hat die Klägerin für sie die Stellungnahme gegenüber dem Finanzamt I… vom 04.12.2024 erstellt und abgegeben, dadurch allein hat die Klägerin aber noch keinen Vermögensvorteil erlangt. Sie musste das Verfahren gegenüber dem Finanzamt ja in der Folgezeit durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten fortsetzen, nachdem die Klägerin das Mandat niedergelegt hatte, und an diesen dafür die gesetzlichen Gebühren zahlen. Hätte die Klägerin nicht schon für sie die Stellungnahme abgegeben, hätte das ihr Prozessbevollmächtigter tun müssen, und zwar im Rahmen der ohnehin von der Klägerin zu zahlenden gesetzlichen Gebühren. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die Beklagte durch die Vorarbeit der Klägerin im Ergebnis Kosten erspart hätte.

b) Im Übrigen ist ein Bereicherungsanspruch auch deswegen ausgeschlossen, weil § 357a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB eine Verpflichtung des Verbrauchers zum Wertersatz für vor dem Widerruf eines Fernabsatzvertrages erbrachte Dienstleistungen davon abhängig macht, dass der Verbraucher vorher über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist und gleichwohl verlangt hat, dass mit der Ausführung der Leistung schon vor Ablauf der Widerrufsfrist begonnen werden soll. Die Beklagte ist im vorliegenden Fall hingegen nicht über ihr Widerrufsrecht belehrt worden.

Die Regelung des § 357a Abs. 2 ZPO ist abschließend (Grüneberg/Grüneberg, a.a.O., § 357a Rn 7). Liegen ihre Voraussetzungen nicht vor, kann ein Wertersatz auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten Bereicherung verlangt werden. Das folgt aus dem Zweck der Richtlinie 2011/83 EU, insbesondere von deren Art. 14 Abs. 4, dessen Umsetzung § 357a Abs. 2 BGB dient. Danach soll ein Verbraucher, der nicht über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, im Falle der Ausübung seines Widerrufsrechts vor allen Kosten geschützt sein, die nicht ausdrücklich in der Richtlinie vorgesehen sind. Es soll ein hohes Verbraucherschutzniveau sichergestellt werden, der Ausschluss des Wertersatzanspruchs bei unterlassener Belehrung hat durchaus auch einen Sanktionscharakter gegenüber den Unternehmern (EuGH, Urteil vom 17.05.2023, Az. C-97/22, bei juris Rn 29 ff.).

Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des BGH vom 12.09.2024 (Az. IX ZR 65/23) steht dem nicht entgegen. Sie befasst sich schon im Ausgangspunkt nicht mit der hier vorliegenden Konstellation, sondern mit dem Fall einer unwirksamen Vergütungsvereinbarung bei wirksamem Mandatsvertrag und mit der Frage, ob dann gemäß § 306 Abs. 2 BGB das gesetzliche RVG-Preisrecht an die Stelle der unwirksamen Zeithonorarvereinbarung tritt. Der BGH setzt sich dem gemäß auch nicht mit dem vorstehend angeführten EuGH-Urteil vom 17.05.2023 (Az. C-97/22) auseinander, sondern mit einem EuGH-Urteil vom 12.01.2023 (Az. C-395/21).

Allerdings verweist der BGH darauf, dass dem RVG-Preisrecht eine Ordnungsfunktion zukommt (bei juris Rn 60), dass es nicht disponibel ist, und dass es auch dann gilt, wenn gar kein Vertrag vorliegt, z. B. bei Geschäftsführung ohne Auftrag oder Bereicherung (bei juris Rn 62). Auch daraus folgt aber nicht, dass jede Anwaltstätigkeit nach RVG vergütet werden muss. So ist ein Vergütungsanspruch bei Unwirksamkeit des Mandatsvertrages wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 817 BGB ausgeschlossen (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG-Kommentar, 27. Aufl., § 1 Rn 90). Dem gemäß kann er auch ausgeschlossen sein, wenn das Gesetz sonst einen Bereicherungsanspruch nicht zulässt, wie das – wie oben ausgeführt – § 357a Abs. 2 BGB bei fehlender Belehrung bestimmt.

4. Auf die Hilfsaufrechnung der Beklagten mit einem Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Mandatsniederlegung durch die Klägerin (Seite 11 der Klageerwiderung vom 03.06.2025 unter V. 1.) kommt es nicht mehr an.“

Die Entscheidung setzt die EU-Verbraucher-Richtlinie 2011/83 konsequent um. Die danach nach einem Widerruf ohne vorherige Widerrufsbelehrung für den Unternehmer normierten Ansprüche sind – siehe § 357a BGB – mager und im Wesentlichen auf Wertersatz beschränkt. Das war es dann. Also Vorsicht!

Verkehrsunfall bei „Touristenfahrt“ auf Nürburgring, oder: Erhöhte Betriebsgefahr

Bild von Toby Parsons auf Pixabay

Im zweiten Posting dann etwas zur Betriebsgefahr bei/nach einem Unfall bei einer sog. „Touristenfahrt“ auf dem Nürburgring.

Dort war ein Motorradfahrer bei einer Fahrt gestürzt. Das Motorrad blieb auf der Strecke liegen. Ein anderer Fahrer stellte daraufhin seinen Pkw ab und kam dem verunglückten Motorradfahrer zur Hilfe. Während dieses Geschehens kam ein Pkw um die Kurve und fuhr einem weiteren, vorausfahrenden BMW auf, der wegen des Motorrads voll abbremste. Der Fahrer, der auf den BMW auffuhr, behauptet, dass sowohl der Grünstreifen rechts von der Fahrbahn als auch die Fahrbahn durch zwei Kfz und das Motorrad blockiert gewesen seien, sodass er binnen Sekundenbruchteilen, um Personenschäden zu vermeiden, eine Notbremsung eingeleitet habe. Dabei sei er auf das Heck des BMW aufgefahren. Der Auffahrende will nun Schadensersatz von dem gestürzten Motorradfahrer. Der Motorradfahrer wiederum meint, dass der vor dem klägerischen Pkw fahrende BMW kontrolliert zum Stehen gekommen sei und der Kläger zu spät auf das Bremsmanöver des vor ihm fahrenden Fahrzeuges reagiert habe. Bei ausreichendem Abstand, angepasster Geschwindigkeit und angemessener Reaktion hätte jener sein Fahrzeug ohne weiteres unbeschadet hinter dem vorausfahrenden BMW zum Stillstand bringen können.

Das hat das LG Koblenz im LG Koblenz, Urt. v. 16.09.2025 – 5 O 123/20 ebenso gesehen. Es führt allerdings zur Betriebsgefahr beim Beklagten aus:

„Auf Seiten der Beklagten verbleibt es allerdings bei der einzustellenden Betriebsgefahr, welche die Kammer vorliegend mit 20 % in Ansatz bringt.

Nach der Rechtsprechung des OLG Koblenz ist bei so genannten Touristenfahrten, wie vorliegend, beim denen zu zügigen (sportlichen) Fahren ein Kontrollverlust über das Fahrzeug droht, hingegen beim langsamen (vorsichtigen) Fahren die Gefahr besteht, dass es zu Auffahrunfällen mit sich von hinten „im Rennmodus“ nähernden Fahrzeugen kommt, die Betriebsgefahr eines die Nordschleife des N. befahrenden Fahrzeugs aufgrund der gefahrenträchtigen Örtlichkeit sowie der gefahrträchtigen Verkehrssituation als generell erhöht anzusehen (vgl. OLG Koblenz NZV 2023, 371, beck-online).

Die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Krad hat sich vorliegend zur Überzeugung der Kammer auch kausal auf das Unfallereignis ausgewirkt.

Die Kammer folgt insoweit den glaubhaften Angaben des Geschäftsführers der Klägerin im Rahmen seiner persönlichen informatorischen Anhörung, dass dieser eine Ausweichbewegung nach links vornehmen wollte, dies allerdings im Hinblick auf den sich auf der Strecke befindlichen Fahrer des Krads zur Vermeidung von Personen-schäden unterlassen hat. Die Angaben des Geschäftsführers der Klägerin waren in-soweit in sich stimmig und nachvollziehbar. Diese werden zudem auch durch die Angaben des Sachverständigen Dipl.-Ing. C. im Rahmen seines schriftlichen Sachverständigengutachtens vom 26.01.2022 gestützt. Denn auch der Sachverständige führt aus, dass zum Kollisionszeitpunkt für den Fahrer des Klägerfahrzeuges kein sicherer Raum gewesen sei, um das Unfallgeschehen durch ein Ausweichen vermeiden zu können (vgl. Gutachten a.a.O. dort S. 15, Bl. 110 d.A.).

Demnach hat sich vorliegend die Betriebsgefahr des bei der Beklagten versicherten Krad kausal auf das vorliegende Verkehrsunfallereignis ausgewirkt, gleichwohl es keine direkte Berührung zwischen dem klägerischen PKW und dem bei der Beklagten versicherten Krad gegeben hat.

Ausreichend ist nämlich, dass der Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (vgl. BGH r+s 2017, 95, beck-online).

Dies ist vorliegend der Fall und führt zu einer Haftung der Beklagten in Höhe von 20 %.

 

Nutzungsausfallentschädigung nach Verkehrsunfall?, oder: Kein Anspruch bei zumutbarer Ersatznutzung

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Und dann im „Kessel Buntes“ heute zivilrechtliche Entscheidung.

Zunächst kommt hier der Hinweis auf das BGH, Urt. v. 07.10.2025 – VI ZR 246/24. In dem hat sich der BGH mit der Frage nach einer Nutzungsausfallentschädigung bei Beschädigung eines Pkws befasst.  Entschieden worden ist über eine Klage einer Leasingnehmerin, die einen Porsche 911 geleast hatte und ihrem Geschäftsführer zur Nutzung überlassen hatte. Die verlangte nach einem Unfall Nutzungsausfallentschädigung, obwohl der Geschäftsführer während des Ausfalls einen angemieteten Citroen DS3 CROSS nutzen konnte.

Der BGh hat entschieden, dass die Nutzung des Ersatzfahrzeugs zumutbar war und die Anmietung des Ersatzfahrzeugs einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte ausgelöst hat. Daher bestehe kein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung.

Hier die Leitsätze des BGH zu der Entscheidung:

1. Bei der Beschädigung eines Kraftfahrzeugs ist ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung ausgeschlossen, wenn der Geschädigte (selbst) über ein zweites Fahrzeug (Zweitwagen) verfügt, dessen ersatzweiser Einsatz ihm zumutbar ist.

2. Stellt ein durch den Unfall rechtlich nicht betroffener Dritter dem Geschädigten ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung, schließt dies den Anspruch des Geschädigten auf Nutzungsausfallentschädigung grundsätzlich nicht aus.

3. Ist der Dritte seinerseits durch den Unfall rechtlich betroffen, etwa weil das beschädigte Fahrzeug ihm gehört, und mietet er infolge des Unfalls ein Ersatzfahrzeug an, das er dem nutzungsberechtigten Geschädigten zur Verfügung stellt und dessen Nutzung diesem zumutbar ist, so schließt dies im Hinblick auf den dadurch ausgelösten Anspruch des Dritten gegen den Schädiger auf Ersatz der Mietwagenkosten den Anspruch des Geschädigten auf Nutzungsausfallentschädigung aus.