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Frist/beA I: Beweiswirkung eines elektronischen EB, oder: Entkräftung der Beweiswirkung

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Und dann zum Abschluss der 11 KW/2025 zwei Entscheidungen zum beA bzw. zu Fristen und zur Fristwahrung.

Den Reigen eröffne ich mit dem OLG Celle, Beschl. v. 31.01.2025 – 20 U 8/24 – zur Entkräftung der Beweiswirkung eines elektronischen Empfangsbekenntnisses. Es handelt sich um die Zurückweisung einer Berufung, zu der das OLG schon vorab in einem Hinweisbeschluss Stellung genommen hatte. Zu dem Hinweisbeschluss war eine Stellungnahme des Klägers eingegangen, zu deren fristegmäßen Eingang das OLG sich dann auch geäußert hat. Das ganze – inklusive der Ausführungen des OLG zum Klagegegenstand – auf rund 26 Seiten. Daher gibt es es hier zur die Leitsätze des OLG zum elektronischen Empfangsbekenntnis und der Entkräftung der Beweiswirkung:

1. Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung (Anschluss an: BGH, Beschl. v. 17.01.2024 – VII ZB 22/23, NJW 2024, 1120 Rn. 10; v. 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 10 und v. 18.04,2023 – VI ZB 36/22, NJW 2023, 2433 Rn. 11).

2. Für den Gegenbeweis, dass das zuzustellende Schriftstück den Adressaten tatsächlich zu einem anderen Zeitpunkt erreicht hat, muss die Beweiswirkung vollständig entkräftet sein, also jede Möglichkeit der Richtigkeit der Empfangsbestätigung ausgeschlossen werden (Anschluss an: BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – VI ZB 36/22, NJW 2023, 2433 Rn. 11 und v. 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 10; Urt. v. 07.06.1990 – III ZR 216/89, NJW 1990, 1026).

3. Ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen dem dokumentierten Zeitpunkt der elektronischen Übersendung des Dokuments und dem im Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatum (hier: sechs Wochen) erbringt den Beweis der Unrichtigkeit der Datumsangabe für sich genommen noch nicht (Anschluss an: BGH, Beschlüsse vom 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 11 und vom 19.04,2012 – IX ZB 303/11, NJW 2012, 2117 Rn. 8). Es dürfen jedoch auch keine überspannten Anforderungen gestellt werden (Anschluss an: BGH, Beschlüsse vom 14.10.2008 – VI ZB 23/08, NJW 2009, 855, 856 und vom 08.05.2007 – VI ZB 80/06, NJW 2007, 3069).

4. In einem solchen Fall kann die Partei deshalb nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast verpflichtet sein, sich substantiiert zu den Umständen zu erklären, die die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen, und zu dem tatsächlichen Zeitpunkt der subjektiv empfangsbereiten Kenntnisnahme vorzutragen. Außerdem kann das Gericht nach §§ 142, 144 ZPO die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals des Rechtsanwalts der Partei anordnen.

5. Hieraus und aus den Erklärungen der Partei können sich jedenfalls Anhaltspunkte für den Zeitpunkt der empfangsbereiten Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks durch den Rechtsanwalt und damit ein von dem Empfangsbekenntnis abweichendes Zustelldatum ergeben. Erklärt sich die Partei nicht und legt auch das beA-Nachrichtenjournal ihres Rechtsanwalts nicht vor, kann – in entsprechender Anwendung von § 427 ZPO – der Beweis der Unrichtigkeit des in dem Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatums geführt sein.

Nachträgliche Vereinbarung einer Bonuszahlung, oder: Formvorschriften beachten!!!

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Am Gebührenfreitag stelle ich heute zunächst das LG Koblenz, Urt. v. 27.11.2024 – 15 O 97/24, das nicht nur für Straf- und Bußgeldverfahren Bedeutung hat, sondern in allen Verfahren. Denn es geht um die Frage der „richtigen“ Form für eine Bonusvereinbarung, also eine Problematik aus § 3a RVG.

Die Klägerin, eine ehemalige Mandantin, verlangt von der beklagten Rechtsanwaltsgemein-schaft die (Rück)Zahlung von 23.800 EUR zuzüglich Zinsen. Die Beklagte hatte aufgrund eines Anwaltsvertrages für die Klägerin außergerichtlich Schadensersatz- und Schmerzensgeldan-sprüche aus einem Unfallereignis zum Nachteil der Klägerin geltend gemacht. Bei Mandatsertei-lung im Februar 2022 hatten die Parteien eine weitere schriftliche Vereinbarung geschlossen, die mit „Zusatzvereinbarung zur anwaltlichen Vergütung“ überschrieben war. Darin hieß es u.a.: „Die Parteien sind sich einig, dass im Falle des Erfolgs, die Frage einer zusätzlichen, über die gesetzliche Regelung hinausgehenden Vergütung noch einmal besprochen wird.“ Über diese Vorgehensweise, insbesondere die Freiwilligkeit einer solchen Zahlung und auch deren übliche Höhe, war die Klägerin bereits mit E-Mail der Beklagten vom 12.01.2022 informiert.
In der Folge setzten die Beklagte zugunsten der Klägerin im Zuge außergerichtlich geführter Verhandlungen, die im Frühjahr 2023 zu einem erfolgreichen Abschluss kamen, einen Ver-gleichsbetrag in Höhe von 150.000 EUR durch. Nach Abschluss der Tätigkeit kam es zu einem vorher vereinbarten Telefonat zwischen den Parteien, in dem ausschließlich über die Zahlung einer freiwilligen zusätzlichen Vergütung gesprochen wurde. Der genaue Inhalt des Gesprächs war zwischen den Parteien streitig.

Mit Kostenrechnung vom 31.03.2023 stellte die Beklagte der Klägerin sodann eine „Erfolgsunab-hängige Vergütung, Vergütungsvereinbarung § 3a RVG, §§ 4, 3a RVG“ über einen Betrag in Höhe von 20.000 € zuzüglich 19% Mehrwertsteuer, insgesamt somit 23.800 EUR in Rechnung. In einer Textnachricht an die Klägerin vom gleichen Tag bedankte sich die Beklagte für die „entgegenkommende und anerkennende Zahlung der zwischen uns besprochenen Zusatzver-gütung von 20.000 EUR netto“ und erteilte Abrechnung. Dabei zog sie von einem „geleisteten Abfindungsbetrag HUK Haftpflicht“ in Höhe von 150.000 EUR Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 23.800 EUR „gemäß anliegender Kostenrechnung“ ab. Den danach verbleibenden Zahlbe-trag in Höhe von 126.200 EUR kehrte die Beklagte sodann an die Klägerin aus.

Im April 2023 haben die Klägerin und im April 2024 der Klägervertreter mit Schreiben die 23.800 EUR zurückgefordert. Eine Zahlung durch die Beklagte erfolgte nicht. Die Klägerin hat dann Klage erhoben und hatte damit beim LG Erfolg:

„Die Beklagte ist gem. §§ 675, 667 BGB zur Herausgabe des einbehaltenen Fremdgeldes in Höhe von 23.800 € verpflichtet. Die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung mit dem behaupteten Honoraranspruch hat nicht zum Erlöschen des Anspruchs der Klägerin geführt.

1. Zwischen den Parteien bestand ein Mandatsverhältnis. Auf den Anwaltsdienstvertrag finden nach § 675 BGB auch die Vorschriften der §§ 666, 667 BGB Anwendung. Der Anspruch der Klägerin auf Herausgabe des Geldes, das die Beklagte in Ausführung ihrer anwaltlichen Tätigkeit für die Klägerin erlangt hat, folgt aus § 667 BGB.

Unstreitig hat die Beklagte für die Klägerin Geld in Höhe von 150.000 € in Empfang genommen, von denen sie lediglich 126.200 € an die Klägerin weitergeleitet hat.

2. Der weitergehende Auszahlungsanspruch der Klägerin in Höhe von 23.800 € ist nicht erloschen. Der von Beklagtenseite geltend gemachte – und mit dem Auszahlungsanspruch der Klägerin verrechnete – Honoraranspruch in Höhe von 23.800 € ist nicht wirksam entstanden.
Denn die Vereinbarung ist aufgrund Verstoßes gegen die Formvorschrift des § 3a RVG nicht formwirksam zustande gekommen.

a) Der geltend gemachte Zahlungsanspruch beruht nicht auf einer Schenkung. ….

b) Entgegen der Ansicht der Klägerin handelt es sich bei dem geltend gemachten Vergütungs-anspruch auch nicht um ein Erfolgshonorar.

Gemäß der Legaldefinition des § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO ist ein Erfolgshonorar gegeben, wenn der Vergütungsanspruch eines Rechtsanwalts oder zumindest die Anspruchshöhe vom Ausgang der Sache oder vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird. Vor-liegend ist keine Vergütung vereinbart worden, deren Entstehen von einer aufschiebenden Bedingung (§ 158 BGB) eines – je nach Einzelfall näher definierten – Erfolges der anwaltlichen Tätigkeit abhängt.

Mit der Vereinbarung zu Beginn des Mandatsverhältnisses, über eine weitere Vergütung zu sprechen, ist noch keine Vergütungsvereinbarung getroffen worden. Die nach Erfolg der Tätigkeit von der Beklagten behauptete Vergütungsvereinbarung steht nicht mehr unter der auf-schiebenden Bedingung des Erfolgseintritts.

c) Bei dem von Beklagtenseite zur Aufrechnung gestellten Anspruch handelt es sich um eine dem § 3a RVG unterfallende Vergütung. Die fernmündliche Absprache der Parteien über diese Vergütung war jedoch formunwirksam.

aa) Die Parteien haben telefonisch eine zusätzliche Vergütung zugunsten der Beklagten vereinbart. Nach der Anhörung der Parteien ist das Gericht aufgrund der insoweit übereinstimmenden Angaben davon überzeugt, dass eine fernmündliche Absprache über die Gewährung einer zusätzlichen Vergütung in Höhe von 23.800 € zugunsten der Beklagten zwischen der Klägerin und dem Partner G. der Beklagten getroffen worden ist.

Während die Klägerin schriftsätzlich den Abschluss einer Vereinbarung noch bestritten hatte, hat sie bei der Anhörung erklärt:

„In dem Telefonat selbst habe ich mich dann hinsichtlich der Zusatzvergütung unter Druck gesetzt gefühlt. Die Beklagtenseite sprach von einer Größenordnung von 10 oder 15 %. Dies erschien mir sehr viel, dennoch war ich durchaus bereit, der Beklagtenseite entgegenzukommen.
[…]
Noch am selben Abend habe ich dann meine in dem Gespräch abgegebene Erklärung widerrufen.“

Diese Aussage der Klägerin, ihre im Gespräch abgegebene Erklärung später widerrufen zu haben, bezog sich nach Auffassung der Kammer eindeutig auf die Vereinbarung der Zusatzvergütung, die auch nach Schilderung der Klägerin Gesprächsinhalt war.

Dies wird durch die sachliche, in sich stimmige und glaubhafte Aussage des Partners G. der Beklagten bestätigt:

„In dem Telefonat habe ich dann letztlich eine Zahlung von 20.000,00 € zuzüglich Mehrwert-steuer vorgeschlagen. Die Klägerin sagte hierzu dann: „Ja“.
Auf meine weitergehende Frage, ob man so verfahren könne, dass dieser Betrag von dem an sie auszukehrenden Fremdgeld abgezogen und insoweit verrechnet werden könne, sagte die Klägerin ebenfalls „Ja“.“

bb) Diese telefonische Vereinbarung war formunwirksam, da das Erfordernis des § 3a RVG – die Textform – mit dieser nicht erfüllt ist.

Bereits dem Wortlaut und Wortsinn nach liegt eine Vergütungsvereinbarung vor, da mit dieser Vereinbarung die Beklagte für ihre erbrachte anwaltliche Tätigkeit (wenn auch zusätzlich) entlohnt, mithin vergütet werden sollte. Die Beklagte spricht selbst in der von ihr vorformulierten „Zusatzvereinbarung zur anwaltlichen Vergütung“ vom 23.02.2022 (Anlage K2), in der Textnachricht vom 31.03.2023 (Anlage K 3), der Textnachricht vom 04.04.2023 (Anlage zur Klageerwiderung Bl. zu 16 GA) und der Kostenrechnung vom 31.03.2023 (Anlage K 4) stets von einer „Vergütung“.

Die getroffene Vereinbarung stellt eine Vergütungsvereinbarung i.S.d. § 3a RVG und insbesondere keine Gebührenvereinbarung gem. § 34 RVG, für die § 3a RVG nicht gilt, dar.
Beide Begriffe lassen sich systematisch klar voneinander unterscheiden: Danach verwendet das Gesetz den Begriff „Vergütungsvereinbarung“ dann, wenn eine höhere oder eine niedrigere als die gesetzlich festgelegte Vergütung zwischen Anwalt und Mandant vereinbart werden soll. Im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG fehlt es jedoch an gesetzlich festgelegten Gebühren, so dass die von § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG geforderte primäre Vereinbarung des Honorars zwischen Anwalt und Mandant folgerichtig als „Gebührenvereinbarung“ vom Gesetzgeber bezeichnet wird (Mayer in Gerold/Schmidt/Mayer, 26. Aufl. 2023, RVG § 34 Rn. 4, v. Seltmann in BeckOK RVG § 3a, Rn. 14, 65. Edition, Stand: 01.12.2021).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe – die im Übrigen auch die Beklagte ausweislich ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 06.12.2024 unter Rz. 25 – 27 zugrundelegt – ist hier eindeutig eine Vergütungsvereinbarung gegeben, da bereits eine gesetzlich festgelegte Vergütung – nämlich die Geschäftsgebühr – entstanden ist, die die Beklagte auch erhalten hat. Die Beklagte spricht zudem selbst in ihrer Zusatzvereinbarung vom 23.02.2022 (Anlage K 2) von einer „über die gesetzliche Regelung hinausgehenden Vergütung“ und hat in ihrer Nachricht vom 04.04.2023 an die Klägerin ausdrücklich dargelegt, dass die gesetzlichen Gebühren nicht aus-reichend seien. Für eine „Gebührenvereinbarung“ iSd § 34 RVG ist somit kein Raum. Es geht allein um eine Erhöhung der gesetzlichen (Geschäfts-)Gebühr mittels Vergütungsvereinbarung.
Von der Einschlägigkeit des § 3a RVG ist die Beklagte im Übrigen wohl selbst ausgegangen, denn mit Kostenrechnung vom 31.03.2023 (Anlage K 4) hat die Beklagte eine „Erfolgsunabhängige Vergütung, Vergütungsvereinbarung § 3a RVG, §§ 4, 3a RVG“ in Rechnung gestellt.

Der Einwand der Beklagten, dass die Textform weder vertraglich noch gesetzlich vorgesehen ist, geht daher fehl.

Die Möglichkeit einer formfreien Vereinbarung ergibt sich auch nicht aus der von Beklagten-seite zitierten Rechtsprechung. Das Oberlandesgericht Düsseldorf stellt in der zitierten Entscheidung (AGS 2006, 480) in diesem Zusammenhang lediglich fest: „Kein unzulässiges Erfolgshonorar liegt hingegen vor, wenn Rechtsanwalt und Mandant nach Erledigung des Mandats vereinbaren, dass das ursprünglich vereinbarte Honorar erhöht wird (honorarium; vgl. nur Hartung/Holl, a.a.O., § 49 b Rn. 34 m.w.N.).“ Nähere Ausführungen hierzu, insbesondere zur Frage der Formbedürftigkeit einer solchen Vereinbarung, hat das Oberlandesgericht nicht ge-macht, da dort die Vereinbarung über das Honorar vor Erledigung des Mandats erfolgte und so weitere Ausführungen hierzu nicht erforderlich waren.

Auch dem in Bezug genommenen Aufsatz von Rechtsanwältin Dr. Jessica Blattner (AnwBl. 2012, 562- 571) lässt sich eine Aussage dahingehend, dass die Vereinbarung einer zusätzlichen Vergütung nach Erledigung des Mandats ohne Einhaltung einer Form möglich wäre, nicht entnehmen.

Allein die Kommentierung des § 3a RVG in dem RVG-Kommentar Hartung/Schons/Enders durch den Beklagtenvertreter Sch. (dort § 3a Rn. 32, 3. Aufl. 2017) stellt die Behauptung auf, dass es erst recht ohne Einhaltung von irgendwelchen Formalien möglich sein müsse, mit dem Mandanten nach Abschluss des Mandats einen wie auch immer gestalteten Zuschlag oder Bonus zu vereinbaren.

Dieser Auffassung vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Die Vereinbarung unterfällt, wie dargelegt, § 3a RVG. Überzeugende Gründe, die es rechtfertigen würden, von der gesetz-lichen Vorgabe der Textform abzuweichen, sind nicht dargetan oder ersichtlich.

Die unterschiedliche Situation zu Beginn und nach Abschluss des Mandats vermag entgegen der Auffassung der Beklagten ein Abweichen von der Formvorschrift nicht zu begründen. Zwar ist die Situation zu Beginn eines Mandatsverhältnisses, wenn der Mandant dem Rechtsanwalt hilfesuchend, gegebenenfalls auch in Not gegenübersteht und von diesem abhängig ist, eine andere als nach Abschluss des Mandats, wenn seine Angelegenheit geregelt ist, er das Ergebnis und auch die Leistung des Rechtsanwalts kennt und von diesem nicht mehr abhängig ist. Dies macht jedoch nach Überzeugung der Kammer ein Abweichen von der gesetzlichen Regelung, die hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit keinerlei Einschränkung in Bezug auf den Zeitpunkt der Vereinbarung enthält, jedoch nicht erforderlich oder gar zulässig. Die Schutzbedürftigkeit des Mandanten mag nach Abschluss des Mandats geringer sein, sie entfällt jedoch nicht vollständig. Dabei ist zu berücksichtigten, dass nach wie vor eine Überlegenheit des Rechts-anwalts besteht. Dieser führt solche Verhandlungen über zusätzliche Vergütungen im Zweifel nicht nur in dem einen Fall, sondern häufiger, ggf. auch regelmäßig. So hat auch der Beklagtenvertreter bei der Anhörung erklärt, dass er solche Gespräche seit über 40 Jahren erfolgreich führe. Dieser vermittelte zudem den Eindruck, auch in dieser Hinsicht äußerst versiert zu sein. Zudem kann bei einer solchen Verhandlung auch ein gewisser Zwang entstehen, wenn – wie auch vorliegend – neben der Betonung der Freiwilligkeit einer solchen zusätzlichen Vergütung, zugleich auch darauf abgestellt wird, dass man sich darauf verlasse, dass der Mandant zu seinem Wort (der Bereitschaft nach erfolgreichem Abschluss über eine Zusatzvergütung zu sprechen) stehe (so in der Textnachricht vom 12.01.2022, vgl. Textnachricht vom 04.04.2023 (Anlage zur Klageerwiderung Bl. zu 16 GA)). So hat die Klägerin, die bei ihrer Arbeit mit Juristen zusammenarbeitet, sich bei diesen informiert hatte und sich selbst als nicht ganz unbedarft bezeichnete, erklärt, dass sie sich – trotz einer gewissen Bereitschaft, die gute Arbeit zusätzlich zu vergüten – gedrängt gefühlt habe.

Vor diesem Hintergrund erscheint dem Gericht der mit der Textform einhergehende Schutz-zweck, nämlich die Warnung durch (zusätzliche) textliche Abfassung, die i.R.d. ein Innehalten und zusätzliches Überdenken mit sich bringen dürfte, auch in dieser Situation durchaus angebracht. Gleiches gilt für die mit der textlichen Abfassung einhergehende Beweisfunktion.

Schließlich beinhaltet die Textform keine erheblichen Hürden, so dass diese von den Parteien einfach und schnell eingehalten werden kann. Auch aus diesem Grund sieht das Gericht ein (praktisches) Bedürfnis für ein Abweichen von dieser nicht.

Das von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument, dass Mandaten aus Verärgerung, dass die Beklagte nicht auf ihr Wort vertraue, sondern eine Vereinbarung in Textform fordere, sodann zur Leistung einer zusätzlichen Vergütung nicht mehr bereit wären, überzeugt das Gericht nicht. Hier dürfte im Übrigen ein Hinweis auf die gesetzliche Lage geeignet sein, Ärger zu vermeiden.

cc) Die Klägerin verstößt dadurch, dass sie sich auf die Formunwirksamkeit beruft, nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB)…..“

M.E. hat das LG umfassend und zutreffend begründet, warum der Beklagten der geltend ge-machte Bonusanspruch, mit dem aufgerechnet worden war, nicht zustand. Man mag das Ver-halten der Klägerin, die sich ja mündlich mit der Bonuszahlung einverstanden erklärt hat, auch wenn sie sich vielleicht wegen des Erfolges gedrängt gefühlt hat, als unschön/unfair empfinden, andererseits hatte es aber die Beklagte in der Hand, für eine formwirksame Vereinbarung zu sorgen. Das Einhalten der Textform (§ 126b BGB) ist nun wahrlich keine Kunst. Ich kann daher nur dringend raten, darauf eben nicht nur zu achten, wenn man dem Tätigwerden mit dem Mandanten eine Vergütungsvereinbarung schließt, sondern auch, wenn nachträglich Bonuszahlungen vereinbart werden.

Wiedereinsetzung II: Angestellte „verbaselt“ Fristen, oder: RA muss Fristvermerke in der Handakte prüfen

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 19.12.2024 – III ZB 16/24.

Gestritten wird um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und die Verwerfung des Rechtsmittels gegen ein Urteil des Landgerichts, durch das eine auf Zahlung von 397.318 EUR abgewiesen und der Kläger auf die Widerklage der Beklagten zur Zahlung von 49.446,05 EUR nebst Zinsen verurteilt worden ist.

Gegen das am 06.11.2023 zugestellte LG-Urteil hat der Kläger am 06.12.2023 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 08.01.2024 – eingegangen am 09.01.2024 – hat der Kläger beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern. Auf den Hinweis des Gerichts, die Berufung könnte unzulässig sein, da die Frist zur Berufungsbegründung am Montag, 08.01.2024, abgelaufen sei, hat der Kläger mit am selben Tag eingegangenem Schriftsatz vom 19.01.2024 wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Zur Begründung seines Antrags hat der Kläger ausgeführt, der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist sei von einer ansonsten zuverlässigen Angestellten fälschlicherweise für den 09.10.2024 sowohl in den elektronischen wie auch in den händischen Fristenkalender sowie in die Handakte eingetragen worden. Bei der Vorlage der auf den 02.01.2024 notierten Vorfrist sei der Fehler dem Vertreter des erkrankten Sachbearbeiters aufgefallen, und dieser habe die Angestellte angewiesen, die Fristen in sämtlichen Kalendern mit absoluter Priorität auf den 08.01.2024 zu korrigieren, die Akte zur weiteren Bearbeitung an den zu diesem Zeitpunkt abwesenden Rechtsanwalt S. zu übertragen und für diesen einen Fristverlängerungsantrag vorzubereiten. Der Vertreter habe die Angestellte etwa eine halbe Stunde später gefragt, ob sie die Frist weisungsgemäß abgeändert habe, was diese bejaht habe, und die Korrektur des Handkalenders überprüft. Jedoch habe die Angestellte die Einträge im elektronischen Kalender sowie in der Handakte nicht korrigiert.

Am 08.01. sei die Akte auf Rechtsanwalt S. übertragen worden und die Angestellte habe den Fristverlängerungsantrag vorbereitet. Dabei seien ihr die unterschiedlichen eingetragenen Fristen aufgefallen, und sie habe in der Annahme, die auf den 08.01.2024 korrigierte Frist sei falsch, diese wiederum auf den 09.01.20.24 abgeändert. Die für einen solchen Fall bestehende Weisung, einen Rechtsanwalt zu konsultieren, habe sie wegen einer Vielzahl an zu bearbeitenden Angelegenheiten missachtet. Die Akte habe die Angestellte dem Rechtsanwalt S.  am 08.01.2024 mit dem auf den Folgetag lautenden Fristablaufvermerk vorgelegt und einen vorbereiteten „Verlegungsantrag“ am 09.01.2024 zur Signatur in das elektronische Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingesetzt.

Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung des Klägers verworfen. Hiergegen wendet sich seine Rechtsbeschwerde, die keinen Erfolg hatte:

„2.  Diese Ausführungen lassen einen Zulassungsgrund (§ 574 Abs. 2 ZPO) nicht erkennen. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht. Dabei kann dahinstehen, ob der Vertreter des Sachbearbeiters angesichts der besonderen Umstände bereits am 2. Januar 2024 gehalten gewesen wäre, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen. Jedenfalls hat es der sachbearbeitende Rechtsanwalt am 8. Januar 2024 pflichtwidrig versäumt, bei Vorlage der Handakte die falsch notierte Frist zu überprüfen.

Die sorgfältige Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung schließt stets auch die selbständige Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit mit ein. Der Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung mit einer Sache befasst wird, hat dies deshalb zum Anlass zu nehmen, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen. Nur hinsichtlich der Fristenberechnung und Fristenkontrolle, die lediglich der rechtzeitigen Vorlage der Akten zum Zweck ihrer Bearbeitung durch den Rechtsanwalt dienen, kann sich der Rechtsanwalt von der routinemäßigen Fristenüberwachung entlasten. Dagegen ist er im Rahmen seiner Vorbereitung einer Prozesshandlung nicht davon befreit, die Einhaltung der maßgeblichen Fristen nochmals zu überprüfen (vgl. Senat, Urteil vom 25. September 2014 – III ZR 47/14, NJW 2014, 3452 Rn. 11 mwN).

Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass sein Prozessbevollmächtigter am 8. Januar 2024 eine solche Überprüfung vorgenommen hat. Soweit er sich darauf beruft, ein Rechtsanwalt dürfe darauf vertrauen, dass eine Kanzleiangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete Einzelanweisung – hier die Korrektur des Fristeintrags – befolge (Rechtsbeschwerdebegründung S. 9), verkennt er, dass die von ihm angeführte Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 8. März 2022 – VI ZB 78/21, NJW 2022, 1964 Rn. 13 mwN) solche Fälle betrifft, in denen ein vom Rechtsanwalt bereits unterzeichneter und mit einer Korrekturanweisung dem Büropersonal übergebener Schriftsatz nicht mehr in seinen Einflussbereich gelangt (BGH aaO Rn. 14). Dagegen wird der Rechtsanwalt – selbst dann, wenn er sich unmittelbar nach Erteilung einer Weisung überobligationsmäßig über die Befolgung seiner Anordnung vergewissert hat – nicht der Pflicht enthoben, nochmals die richtige Notierung der Frist zu überprüfen, wenn ihm die Akte zur Vorbereitung der fristwahrenden Handlung vorgelegt wird (vgl. Senat aaO Rn. 12).“

Die Haftpflichtversicherung wird sich freuen 🙂 .

Wiedereinsetzung I: Prüfpflicht des Versenders, oder: Wenn der Berufungsbegründungs-Schriftsatz „leer“ ist

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Und dann der Kessel Buntes, heute mit zwei BGH-Entscheidungen zur Wiedereinsetzung. Sie stammen beide aus Zivilverfahren, die Aussagen des BGH haben aber m.E. darüber hinaus Bedeutung.

Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 17.12.2024 – II ZB 5/24. Ergangen ist der in einem Verfahren, in dem sich zwei ehemalige Kanzleikollegen nach ihrer Trennung um Erstattungsansprüche streiten. Das AG hat die Klage abgewiesen.

Am letzten Tag der Berufungsfrist geht dann beim LG über das beA des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Nachricht mit zwei pdf-Anhängen ein. Der eine Anhang enthielt das Urteil des AG: Der der andere – mit Namen „Schriftsatz.pdf“ bezeichnet enthielt ein leeres Blatt.

Es wird dann Wiedereinsetzung beantragt, die der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wie folt begründet: Er habe den Schriftsatz entsprechend der Bedienungsanleitung von Word an „RA-Micro“ und dann ans beA übertragen, wovon er sich überzeugt habe. Es sei aber wohl so gewesen, dass bei der Umwandlung der Word- in eine pdf-Datei infolge einer technischen Fehlfunktion eine leere Seite entstanden sei. Dieses technische Problem sei ihm nicht anzulasten.

Das hat das LG anders gesehen und es wird vom BGH in der Rechtsbeschwerde bestätigt:

„…..

Das Berufungsgericht hat zu Recht die Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Beklagten wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen.

b) Die Klägerin hat nicht gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht, ohne ein – ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares – Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gemäß § 233 Satz 1 ZPO an der Einhaltung der Berufungsfrist verhindert gewesen zu sein. Sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter vor der elektronischen Signatur der PDF-Datei und der Übersendung an das Gericht diese Datei hinreichend überprüft und kontrolliert hat.

aa) Eine aus einem anderen Dateiformat in eine PDF-Datei umgewandelte Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift ist durch den signierenden Rechtsanwalt vor der Übermittlung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an das Gericht per besonderem elektronischen Anwaltspostfach darauf zu überprüfen, ob ihr Inhalt dem Inhalt der Ausgangsdatei entspricht. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das besondere elektronische Anwaltspostfach entsprechen grundsätzlich denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokuments (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO) gehört es daher zu den Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen (BGH, Beschluss vom 8. März 2022­ VI ZB 78/21, NJW 2022, 1964 Rn. 11 mwN). Entscheidend ist, dass das tatsächlich signierte Dokument überprüft wird, was insbesondere auch in den Fällen gilt, in denen eine Datei durch Scan-, Kopier- und Speichervorgänge erneut erstellt wird. Durch diese Vorgänge wird im elektronischen Bereich eine besondere Gefahrenquelle geschaffen, so dass es erforderlich ist, das letztlich zu signierende Dokument zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2022­ VI ZB 78/21, NJW 2022, 1964 Rn. 14).

bb) Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ihr Prozessbevollmächtigter eine entsprechende Überprüfung vorgenommen hat. Dieser hat die Berufungsschrift im Word-Programm erstellt. Diese ist als PDF-Dokument abgespeichert und übersendet worden. Dass vor der Signatur das PDF-Dokument von ihrem Prozessbevollmächtigten auf inhaltliche Richtigkeit überprüft worden ist, legt die Klägerin nicht dar. Sie beruft sich vielmehr darauf, dass durch die Umwandlung der DOC-Datei des Programms „MS-Word“ in ein PDF-Format technisch leere Seiten erzeugt werden könnten aufgrund eines technischen Versagens, das ihrem Prozessbevollmächtigten nicht zuzurechnen sei. Hätte dieser jedoch die PDF-Datei nochmals geöffnet, hätte er sehen müssen, dass diese nur eine leere Seite enthielt. Die mangelnde Überprüfung hat dazu geführt, dass die Berufungsfrist wegen der Übersendung der Datei mit der leeren Seite versäumt wurde.“

„Diese Kanzlei kann ich „NICHT“ weiterempfehlen, oder: Vermengung von Tatsachen und Meinungen

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei „zivilrechtliche“ Entscheidungen, aber: Beide haben nichts mit Verkehrsrecht zu tun, sondern behandeln andere Fragen.

Als erste Entscheidung stelle ich den OLG Bamberg, Beschl. v. 14.06.2024 – 6 U 17/24 e – vor. Es geht um die negative Bewertung im Internet. Der Kläger, Inhaber einer Rechtsanwaltskanzlei, macht gegen den Beklagten einen Unterlassungs-, Widerrufs-, Löschungs- und Schadensersatzanspruch wegen der negativen Bewertung (s)einer Rechtsanwaltskanzlei im Internet geltend. Der Beklagte war im Jahr 2022 Mandant der Rechtsanwaltskanzlei und wurde vom Klägervertreter in einer Verkehrsunfallsache beraten und außergerichtlich vertreten. Ein weitergehendes Mandat kam nicht zustande, weil der Beklagte den vom Klägervertreter für ein gerichtliches Vorgehen geforderten Vorschuss nicht zahlte. Im November 2022 veröffentlichte der Beklagte „bei Google“ eine Bewertung, mit der er die Kanzlei des Klägers mit einem von fünf möglichen Sternen bewertete und die den folgenden Text enthielt:

Diese Rechtsanwaltskanzlei kann ich ‚NICHT‘ weiterempfehlen. Dies liegt allein an dem meiner Meinung nach nicht besonders fähigen RA X.“

Der Kläger hat den Beklagten erfolglos aufgefordert, die Bewertung zu unterlassen, zu widerrufen und zu löschen. Er hat dann Klage erhoben und vorgetragen, die Bewertung des Beklagten sei „ein nicht durch die Meinungsfreiheit abgedecktes Werturteil“, das „den Tatbestand der Beleidigung/üble Nachrede“ erfülle. Die Bewertung des Beklagten enthalte eine Erklärung, warum er die Kanzlei des Klägers nicht empfehlen könne, „die letztlich ein subjektives Werturteil des Beklagten“ enthalte und „keine Tatsachenbehauptung“. Es handele sich um herabwürdigende, beleidigende Äußerungen, die so nicht stehen bleiben dürften.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Es hat die Bewertung als Meinungsäußerung eingeordnet. Zwar beinhalte die Bewertung auch einen Tatsachenkern, schwerpunktmäßig liege jedoch eine Meinungsäußerung vor, da sie von wertenden Bestandteilen geprägt sei. Im Ergebnis überwiege, da keine Schmähkritik vorliege, die Meinungsfreiheit des Beklagten die Interessen des Klägers.

Dagegen die Berufung der Beklagten, zu deren Aussichten das OLG im Beschluss Stellung genommen hat. Es sieht die Berufung als offensichtlich unbegründet an:

„Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung des Klägers offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Das Urteil des Landgerichts entspricht der Sach- und Rechtslage. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann daher zunächst auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen werden. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich die nachfolgenden ergänzenden Anmerkungen:

1. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, die vom Beklagten veröffentlichte Bewertung der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers sei eine Meinungsäußerung. Auch nach Ansicht des Senats stellt die vom Beklagten verfasste Bewertung beginnend mit der symbolischen Sternebewertung bis zum Anschluss des Textteils eine einheitliche, grundsätzlich nicht in Einzelteile aufspaltbare Meinungsäußerung dar (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2016 – VI ZR 34/15, NJW 2016, 2106 Rn. 34; OLG Saarbrücken, Urteil vom 9. September 2022 – 5 U 117/21, GRUR 2023, 91 Rn. 47; OLG Stuttgart, Urteil vom 31. August 2022 – 4 U 17/22, MDR 2022, 1546 Rn. 37; Wagner, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2024, § 823 Rn. 991).

2. Richtigerweise hat das Landgericht seiner Entscheidung auch zugrunde gelegt, dass Äußerungen, in denen Tatsachen und Meinungen sich vermengen und die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, insgesamt als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte (BGH, Urteil vom 1. März 2016 – VI ZR 34/15, NJW 2016, 2106 Rn. 33). Kern der vom Beklagten verfassten Bewertung ist die Ein-Stern-Bewertung, die mit eindeutig subjektiven Eindrücken unterlegt wird. Die Bewertung ist somit geprägt von Elementen der Stellungnahme, des Dafürhaltens und Meinens.

Erweisen sich die in der angegriffenen Bewertung aufgestellten Tatsachenbehauptungen als unwahr, überwiegt das von Art. 2 Abs. 1 GG (auch in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG) und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Klägers die von Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK geschützten Interessen des Bewertenden an der Äußerung und die Meinungsäußerung ist insgesamt zu unterlassen. Denn bei Äußerungen, in denen sich – wie im vorliegenden Fall – wertende und tatsächliche Elemente in der Weise vermengen, dass die Äußerung insgesamt als Werturteil anzusehen ist, fällt bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Wahrheitsgehalt der tatsächlichen Bestandteile besonders ins Gewicht (BGH, Urteil vom 1. März 2016 – VI ZR 34/15, NJW 2016, 2106 Rn. 36). Der Bewertung des Beklagten lässt sich jedenfalls konkludent die Tatsachenbehauptung entnehmen, er habe die Kanzlei des Klägers mandatiert. Dass ein Mandatsverhältnis zwischen der vom Kläger betriebenen „Scheinsozietät“ und dem Beklagten bestanden hat, ist jedoch zwischen den Parteien unstreitig. Die entsprechende Tatsachenbehauptung ist folglich wahr. Weitere Tatsachenbehauptungen enthält die Bewertung nicht. Im Übrigen handelt es sich eindeutig um wertende Äußerungen, etwa die einer „Empfehlung“ oder einer subjektiven Einschätzung („meiner Meinung nach“) der Kompetenz des Klägervertreters. Dies alles hat das Landgericht richtig erkannt, sodass die vom Kläger behaupteten Abwägungsfehler ersichtlich nicht vorliegen.

3. Frei von Rechtsfehlern ist schließlich die Auffassung des Landgerichts, die Bewertung sei keine „Schmähkritik“. Die Grenze zur unzulässigen Schmähkritik ist erst überschritten, wenn das abwertende Urteil zur bloßen Verächtlichmachung des Gegners herabsinkt, die jeden sachlichen Bezug zu dem Standpunkt vermissen lässt, den der Kritiker vertritt, und damit kein adäquates Mittel des Meinungskampfes mehr ist (Steffen/Lauber-Rönsberg, in: Löffler, Presserecht, 7. Aufl. 2023, § 6 LPG Rn. 439; Weberling, in: Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 7. Aufl. 2021, 42. Kap. Rn. 32; Burkhardt/Peifer, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, 5. Kap. Rn. 98, jeweils m.w.N.). Der Kläger hat selbst zunächst die Ansicht vertreten, es handele „sich gewiss nicht um eine Schmähkritik“, „keineswegs“ falle „die Äußerung in die Kategorie“ (Seite 4 des Schriftsatzes vom 14.08.2023). Zwischenzeitlich vertritt der Kläger die gegenteilige Auffassung. Das ist allerdings unzutreffend, denn dass die Bewertung des Beklagten den Kläger oder den Klägervertreter verächtlich mache oder grundlos herabwürdige, ist bei der gebotenen objektiven Betrachtung der Äußerung fernliegend. Aus dem gleichen Grund sieht der Senat davon ab, die Frage zu erörtern, ob in der Bewertung des Klägers eine „Formalbeleidigung“ oder ein „Angriff auf die Menschenwürde“ zu sehen ist.

4. Nach alledem hat das Landgericht den Unterlassungsanspruch (Klageantrag zu 1) zu Recht und mit in jeder Hinsicht zutreffender Begründung zurückgewiesen. Aus dem Gesagten folgt zugleich, dass der Widerrufs- und der Löschungsanspruch (Klageantrag zu 2) ebenfalls erfolglos bleiben müssen.

a) Ein Widerrufsanspruch – als Unterfall des Berichtigungsanspruchs – kann von vornherein nur auf den Widerruf unwahrer Tatsachen, nicht jedoch auf den Widerruf von Meinungsäußerungen gerichtet sein (BGH, Urteil vom 22. April 2008 – VI ZR 83/07, NJW 2008, 2262 Rn. 11; Weberling, a.a.O., Kap. 44 Rn. 17 f.; Gamer/Peifer, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 13 Rn. 98). Die Bewertung des Beklagten als Meinungsäußerung kann daher nicht Gegenstand eines Widerrufs sein.

b) Entsprechendes gilt für den vom Kläger geltend gemachten Löschungsanspruch (Söder, in: BeckOK Informations- und Medienrecht, 43. Ed. Stand: 01.02.2024, § 823 BGB Rn. 295; Kamps, in: Götting/Schertz/Seitz, Handbuch Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl. 2019, § 44 Rn. 6; Dörre, GRUR-Prax 2015, 437; Fricke, AfP 2015, 518, 519; Haug/Virreira Winter, K& R 2017, 310, 315). Keiner Entscheidung bedarf in diesem Zusammenhang, ob ausnahmsweise die Löschung von Schmähkritik verlangt werden kann, denn eine solche liegt – wie dargelegt – offensichtlich nicht vor.“