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Vorbeifahren an stehendem Kfz mit geöffneter Tür, oder: Ausreichender Sicherheitsabstand

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Als zweite Entscheidung habe ich dann hier noch ein landgerichtliches Urteil, und zwar das LG Saarbrücken, Urt. v. 15.02.2024 – 13 S 28/23.

Es geht um die Schadensabwägung nach einem Verkehrsunfall. Die Zeugin pp. hielt mit dem Fahrzeug des Klägers auf einer Straße  am Straßenrand vor einer Sparkassenfiliale an. Die Beklagte zu 2) befuhr mit dem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Fahrzeug Straße  in gleicher Richtung. Während die Zeugin  auf der Fahrerseite aus dem Fahrzeug ausstieg, kam es zu einer Kollision.

Der Kläger hat behauptet, die Zeugin  habe sich zunächst nach Rückschau in den linken Außenspiegel versichert, dass sich von hinten kein Fahrzeug nähere. Da die Straße frei gewesen sei, sei sie aus dem Fahrzeug ausgestiegen. Sie habe sich zum Zeitpunkt der Kollision bereits außerhalb des Fahrzeugs befunden, habe in der halb geöffneten Tür gestanden und sei dabei gewesen, ihre Handtasche aus dem Fahrzeug zu nehmen. Die Beklagte zu 2) sei zu dicht vorbeigefahren und habe dabei die Fahrertür des klägerischen Fahrzeugs beschädigt.

Das AG Saarbrücken hat die Klage abgewiesen. Die Zeugin  habe gegen die sie treffenden Sorgfaltsanforderungen gemäß § 14 StVO verstoßen. Wenn diese gerade im Moment der Vorbeifahrt der Beklagten zu 2) ihre Fahrzeugtür geöffnet habe, liege ein Verstoß gegen § 14 StVO darin, dass sie den rückwärtigen Verkehr nicht beachtet habe. Auch unter der Annahme der eigenen Angaben der Zeugin, nach denen sie das Fahrzeug verlassen habe und noch in der geöffneten Fahrzeugtür gestanden habe, um etwas aus dem Auto zu nehmen, sei ein Verstoß gegen § 14 StVO zu bejahen. Der Unfall sei dann in dem Zeitrahmen, in dem die Zeugin noch die besonderen Pflichten nach § 14 StVO getroffen haben, erfolgt. Ein Pflichtverstoß der Beklagten zu 2) nach §§ 1, 3, 4 StVO sei dagegen nicht bewiesen. Es sei insbesondere nicht bewiesen, dass die Beklagte zu 2) das Fahrzeug des Klägers passiert habe, als die Tür bereits geöffnet und sie deshalb zu besonderer Sorgfalt nach § 1 StVO aufgefordert gewesen sei. Die Beklagte zu 2) habe bestätigt, dass sie das Fahrzeug nicht wahrgenommen habe, und der Sachverständige habe aus technischer Sicht nicht rekonstruieren können, ob die Tür bei der Kollision bereits geöffnet gewesen sei oder deren Öffnung erst währenddessen erfolgt sei. Aufgrund der festgestellten Geschwindigkeit von 40 km/h stehe auch keine Geschwindigkeitsüberschreitung fest. Ebenso sei ein zu geringer Seitenabstand nicht bewiesen. Zwar sei die Beklagte zu 2) nur mit einem Abstand von 69 cm an dem parkenden Fahrzeug vorbeigefahren. Dies genüge jedoch in der vorliegenden Situation. Im Rahmen der Abwägung trete sodann die Betriebsgefahr auf Beklagtenseite zurück.

Dagegen die Berufung des Klägers. Die hatte teilweise Erfolg.

Das LG kommt zu folgenden Leitsätzen:

1. Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung aus § 1 Abs. 2 StVO einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Grundsätzlich reicht zwar ein Seitenabstand von ca. 50 cm eines vorbeifahrenden Pkw zu einem geparkten Pkw aus. Ein Seitenabstand von unter 1 m genügt jedoch dann nicht, wenn auf dem Seitenstreifen neben der Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter Fahrzeugtür steht und jederzeit mit einem weiteren Öffnen der Tür gerechnet werden muss oder in der geöffneten Fahrzeugtür eine Person steht.

2. Im Rahmen der Abwägung zwischen einem Verstoß gegen § 14 StVO und einem Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO ist die Haftung des Aussteigenden auf die Betriebsgefahr beschränkt, wenn die Fahrerin des parkenden Fahrzeugs auf einer gut einsehbaren Straße schon mindestens 10 Sekunden in der geöffneten Tür zu sehen ist, ohne dass sich die Unfallgegnerin besonders rücksichtslos verhalten hat (siehe zur dieser Abgrenzung das LG Saarbrücken, Urt. v. 10.11.2023 – 13 S 8/23).

Und dann wird wie folgt verteilt:

„5. Mithin ist beiden Seiten ein Verkehrsverstoß vorzuwerfen. Der der Beklagtenseite anzulastende Verkehrsverstoß überwiegt jedoch bei Abwägung der beiden Ursachenbeiträge, sodass eine Quote von 80% zu deren Lasten angemessen erscheint. Die Zeugin — war aufgrund der gut einsehbaren Straße ohne Weiteres zu erkennen. Die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs hätte sich auch unproblematisch auf die Situation einstellen können, da der gesamte Aussteigevorgang schon mindestens 10 Sekunden andauerte, wenn sie aufmerksam gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund ist die Haftung der Klägerseite auf die Betriebsgefahr beschränkt (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 29. Mai 2008 – 2 U 19/08 –, juris, Rn. 14).

Unfallschadenregulierung beim E-Auto-Unfall, oder: Merkantiler Minderwert

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Es ist Samstag und damit „Kessel-Buntes-Tag“. Und an dem stelle ich heute zwei zivilrechtliche Entscheidungen vor.

Ich beginne mit dem LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 18.09.2024 – 8 O 4990/23 – zur Bemessung des merkantilen Minderwerts bei E-Autos. Das LG nimmt zu Bemessung wie folgt Stellung:

„b) Ferner hat der Kläger Anspruch auf Ersatz eines merkantilen Minderwerts des Fahrzeuges in Höhe von 3.750,00 €.

Das Gericht folgt bei der Bezifferung des merkantilen Minderwerts nicht der Auffassung des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Dieser nahm eine Berechnung des Minderwerts auf Grundlage der gängigen Modelle BVSK, MFM (“Marktrelevanz- und Faktorenmethode“) und Halbgewachs vor und kam so zu einem Betrag von lediglich 2.500,00 € (für November 2023). Die vom Sachverständigen hinzugezogenen Modelle wurden für konventionelle Verbrenner-Fahrzeugen entwickelt. Bei dem klägerischen Fahrzeug handelt es sich jedoch um einen VW ID 4, also ein Fahrzeug mit ausschließlich batterieelektrischem Antrieb. Die Brutto-Reparaturkosten dieses sog. Elektroautos (“E-Auto“), welchen der Sachverständige mit einem Händlerverkaufswert von 42.125,00 € bezifferte, lagen bei über 19.000,00 €. Auch wenn „nur“ der Heckbereich des Fahrzeugs in Mitleidenschaft gezogen wurde, führt ein solch hoher Schaden nach Einschätzung des Gerichts zu einer überdurchschnittlichen Reduzierung potentieller Kaufinteressenten auf dem allgemeinen Automarkt. Zu sehen ist, dass das Vertrauen in die Reparaturmöglichkeit von Fahrzeugen mit elektronischen Antriebs- und Steuerungssystemen, die erst seit wenigen Jahren markttauglich sind, geringer ausgeprägt ist, als ein solches in die Reparaturmöglichkeit von konventionellen Verbrenner-Fahrzeugen. Mit anderen Worten: Die Skepsis eines potentiellen Käufers eines E-Autos, dass ein großer Unfallschaden „nicht richtig“ behoben werde kann bzw. konnte, ist (zumindest heute) größer, als diejenige eines potentiellen Käufers eines Verbrenner-Fahrzeuges. Der E-Fahrzeug-Käufer wird sich daher tendenziell eher einem unfallfreien Fahrzeug zuwenden als derjenige eines Verbrenner-Fahrzeuges. Die Wertminderung muss daher höher ausfallen, um den Mangel an Attraktivität auszugleichen.

Das Gericht schätzt mithin gem. § 287 ZPO, dass die Wertminderung eines Elektroautos um etwa 50% höher ist als die vergleichbare Wertminderung eines Verbrenner-Fahrzeuges.

Im vorliegenden Fall geht das Gericht daher von einem merkantilen Minderwert von 3.750,00 € aus. Unterstrichen wird dies durch den Umstand, dass der Halter des Fahrzeuges wenige Monate nach dem Unfall gegenüber der V. AG einen deutlich niedrigeren Kaufpreis durchsetzen konnte, obwohl das Fahrzeug zwischenzeitlich in einer Fachwerkstatt repariert worden war.

Entgegen der klägerischen Auffassung kommt es hingegen auf den realisierten Wertverlust nicht an. Dieser hängt unter anderem vom Verhandlungsgeschick des Verkäufers ab. Auch die allgemeine Markt- und Wirtschaftslage und sogar die Jahreszeit können sich auf den Verkaufspreis auswirken.“

Rücknahme oder Widerruf einer Fahrlehrerlaubnis, oder: Wie berechnet sich der Gegenstandswert?

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Und im zweiten Posting dann der VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.09.2024 – 9 S 960/24. Es geht um den Gegenstandswert in einem Hauptsacheverfahren, in dem um die Erteilung, die Rücknahme oder den Widerruf einer Fahrlehrerlaubnis gestritten worden ist. Der VGH sagt: Das geht nach dem (Netto-)Gewinn und der Gegenstandswert beträgt mindestens 15.000,– EUR:

„Gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Maßgebend ist dabei der Wert, den die Sache bei objektiver Beurteilung für den Antragsteller hat, nicht die Bedeutung, die er ihr subjektiv beimisst. Wertbestimmend ist demnach das wirtschaftliche „Angreiferinteresse“, das sich unmittelbar dem Antrag oder dem antragsbegründenden Vorbringen entnehmen lassen muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.09.2016 – 5 KSt 6.16 u.a. -, juris Rn. 2). Mit § 52 Abs. 1 GKG ist dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt, den Wert des Streitgegenstands zu schätzen und sich dabei einer Schematisierung und Typisierung zu bedienen. Dementsprechend orientiert sich der Senat grundsätzlich an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der zuletzt am 18.07.2013 beschlossenen Änderung (im Folgenden: Streitwertkatalog), der die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und die Streitwertpraxis der Verwaltungsgerichtshöfe und Oberverwaltungsgerichte zusammenfasst (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.05.2024 – 6 S 1860/23 -, juris Rn. 7). Als Handreichung für eine möglichst einheitliche Wertfestsetzung in der gerichtlichen Praxis enthält der Streitwertkatalog zwar lediglich Empfehlungen. Angesichts der Tatsache, dass den Empfehlungen des Streitwertkatalogs eine Gesamtschau der bundesweiten Verwaltungsrechtsprechung zugrunde liegt, kommt ihnen jedoch zur Gewährleistung einer weitestmöglichen Gleichbehandlung besonderes Gewicht zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.09.2015 – 9 KSt 2.15 -, juris Rn. 4; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.04.2021 – 2 S 379/21 -, juris Rn. 8). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000,- EUR anzunehmen (sog. Auffangstreitwert).

Ausgehend davon bietet der Sach- und Streitstand ausreichende Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts, so dass ein Rückgriff auf den Auffangstreitwert nicht erforderlich ist. Der Streitwert in einem Hauptsacheverfahren, in dem um die Erteilung, die Rücknahme oder den Widerruf einer Fahrlehrerlaubnis gestritten wird, richtet sich grundsätzlich nach dem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten (Netto-)Gewinns. Mindestens beträgt er aber 15.000,- EUR (aus der Vielzahl nicht veröffentlichter Entscheidungen des Senats: Senatsbeschluss vom 15.02.2021 – 9 S 78/21 – n.v.; ebenso Nds. OVG, Beschlüsse vom 12.03.2020 – 12 OA 31/20 -, juris Rn. 3, und vom 14.10.2016 – 7 ME 99/16 -, juris, Tenor und Rn. 11; nach Auffassung des OVG NRW bemisst sich das wirtschaftliche Interesse an Verfahren, in denen um eine Fahrlehrerlaubnis gestritten wird, stets nur nach dem aus der Fahrlehrertätigkeit zu erzielenden jährlichen Mindestnettogewinn in Höhe von 15.000,- EUR, vgl. Beschlüsse vom 17.11.2020 – 16 E 766/20 -, juris Rn. 5, vom 23.10.2014 – 16 E 1052/14 -, juris Rn. 5, und vom 26.06.2003 – 8 A 713/02 -, juris Rn. 17, vgl. auch OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 09.01.2012 – 6 B 11340/11 -, juris, Tenor und Rn. 20 <7.500,- EUR im Eilverfahren>). Dabei orientiert sich der Senat daran, dass der Streitwertkatalog, wenn es – wie beim Streit um eine Fahrlehrerlaubnis – um den Zugang zu einem Beruf geht (vgl. § 1 Satz 1 FahrlG; hierauf hinweisend Nds. OVG, Beschluss vom 12.03.2020 – 12 OA 31/20 -, juris Rn. 4), überwiegend eine Streitwertbemessung nach dem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns, mindestens 15.000,- EUR, vorschlägt (vgl. Nrn. 14.1 „Berufsberechtigung, Eintragung, Löschung“, 36.2 „den Berufszugang eröffnende abschließende [Staats-] Prüfung, abschließende ärztliche oder pharmazeutische Prüfung“, 36.3 „sonstige berufseröffnende Prüfungen“, 54.1 „Gewerbeerlaubnis, Gaststättenkonzession“, 54.2.1 „Gewerbeuntersagung“ „ausgeübtes Gewerbe“ [zur Vergleichbarkeit des Widerrufs der Fahrlehrerlaubnis mit der Untersagung eines ausgeübten Gewerbes: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.10.2003 – 9 S 2037/03 -, juris Rn. 21] und 54.3.1 „Eintragung/Löschung in der Handwerksrolle“). Etwas anderes gilt, wenn lediglich der Umfang einer Fahrlehrerlaubnis (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 FahrlG) streitgegenständlich ist, es mithin nicht um den Zugang zum Beruf des Fahrlehrers geht.

Der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach für den Widerruf der Fahrlehrerlaubnis analog Nr. 54.3.3 des Streitwertkatalogs betreffend die Gesellenprüfung 7.500,- EUR (und erst für den Widerruf der Fahrschulerlaubnis analog Nr. 54.2.1 des Streitwertkatalogs betreffend die Gewerbeuntersagung 15.000,- EUR) anzusetzen seien (vgl. Beschlüsse vom 14.02.2022 – 11 CS 21.2961 -, juris Rn. 18, vom 19.10.2021 – 11 CS 21.1967 -, juris Rn. 27, und vom 16.03.2012 – 11 C 12.360 -, juris Rn. 9 f.), wird nicht gefolgt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof begründet seine Auffassung damit, dass die Fahrlehrerlaubnis nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 FahrlG unter anderem dann erteilt werde, wenn der Bewerber mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf oder eine gleichwertige Vorbildung besitze. Da ein Fahrlehrer nach dem Widerruf seiner Fahrlehrerlaubnis wegen seiner bereits abgeschlossenen Berufsausbildung seinem anerkannten Lehrberuf nachgehen könne, sei er insoweit mit einem unselbständigen Handwerker vergleichbar, der trotz des Nichtbestehens der Gesellenprüfung weiter seine Handwerkstätigkeit unselbständig ausüben dürfe (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16.03.2012 – 11 C 12.360 -, juris Rn. 10). Diese Argumentation verfängt schon deshalb nicht, weil die Tätigkeit, der ein Fahrlehrer nach dem Widerruf seiner Fahrlehrerlaubnis aufgrund seiner Vorbildung nachgehen kann, – anders als beim unselbständigen Handwerker, der die Gesellenprüfung nicht bestanden hat – kein wesensähnliches Weniger im Verhältnis zum Beruf des Fahrlehrers ist, sondern einem anderen Beruf zugeordnet werden muss (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 12.03.2020 – 12 OA 31/20 -, juris Rn. 5). Außerdem ist kein überzeugender Grund ersichtlich, in Abweichung der dargestellten regelmäßigen Streitwertbemessung das wirtschaftliche Interesse an Verfahren, in denen um eine Fahrlehrerlaubnis gestritten wird, dem wirtschaftlichen Interesse an Verfahren, in denen um eine Gesellenprüfung gestritten wird, gleichzusetzen. Soweit der Senat hinsichtlich der Streitwertbemessung im Fall des Widerrufs der Fahrlehrerlaubnis vereinzelt dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gefolgt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22.08.2023 – 9 S 936/23 – n.v.), hält er daran nicht fest.

Vor dem Hintergrund des Ausgeführten war vorliegend hinsichtlich des Widerrufs der Fahrlehrerlaubnis von einem Streitwert von 15.000,- EUR auszugehen. Dieser sich für das Hauptsacheverfahren ergebende Betrag war wegen der Vorläufigkeit der im Eilverfahren ergehenden Entscheidungen nach Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs zu halbieren (15.000,- EUR/2 = 7.500,- EUR).

Die Verpflichtung zur Rückgabe des Fahrlehrerscheins nach § 14 Abs. 4 FahrlG in Ziffer 3 der Entscheidung der Antragsgegnerin vom 05.02.2024 wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus (hinsichtlich § 47 Abs. 1 FeV etwa VG Braunschweig, Beschluss vom 16.06.2022 – 6 B 164/22 -, juris Rn. 51; VG Aachen, Beschlüsse vom 05.04.2018 – 3 L 392/18 -, juris Rn. 55 und vom 26.02.2018 – 3 L 1545/17 -, juris Rn. 68). Auch die Androhung unmittelbaren Zwanges in Ziffer 5 der Entscheidung vom 05.02.2024 bleibt bei der Streitwertbemessung analog Nr. 1.7.2 des Streitwertkatalogs außer Betracht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.08.2022 – 1 S 3575/21 -, juris Rn. 70, Beschluss vom 12.01.2005 – 6 S 1287/04 -, juris Rn. 27).

Streitwerterhöhend wirkt sich nach § 39 Abs. 1 GKG, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs hingegen aus, dass der Antragsteller ebenfalls beantragt hat, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Kostenfestsetzung in Ziffer 6 der Entscheidung vom 05.02.2024 anzuordnen. Die Antragsgegnerin hat dort Verwaltungsgebühren in Höhe von 200,- EUR und Auslagen für die Zustellung der Entscheidung in Höhe von 3,45 EUR als Kosten festgesetzt. Hiervon ist nach Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs ein Viertel zum Streitwert hinzuzuaddieren (203,45 EUR/4 = 50,86 EUR). Die Kostenfestsetzung bleibt nicht nach § 43 Abs. 1 GKG bei der Streitwertbemessung unberücksichtigt (entgegen Nds. OVG, Beschluss vom 12.03.2020 – 12 OA 31/20 -, juris Rn. 6). Kosten im Sinne des § 43 Abs. 1 GKG sind einerseits Aufwendungen, die zur Feststellung, Sicherung, Durchsetzung oder Abwehr des Anspruchs erbracht werden (wie etwa Reisekosten, Verdienstausfall, Gutachterkosten, Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens, Mahnkosten, Inkassogebühren), andererseits Aufwendungen im Zusammenhang mit dem dem Anspruch zugrundeliegenden Rechtsverhältnis (wie etwa Aufwendungen für eine Hinterlegung, eine Versteigerung, die Versendung der verkauften Ware, die Beurkundung des Kaufvertrags über ein Grundstück und dessen Auflassung sowie für die erfolglose Inanspruchnahme des Hauptschuldners bei nachfolgender Klage gegen den Bürgen). Verwaltungsgebühren, die dazu dienen, den Gebührenschuldner mit dem durch das Verwaltungsverfahren ausgelösten Verwaltungsaufwand kostenmäßig zu belasten, sind keine solche Kosten (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.11.2011 – 8 C 18.10 -, juris Rn. 1 hinter Rn. 27; Hess. VGH, Urteil vom 20.01.2021 – 6 A 2755/16 -, juris Rn. 35; Elzer in: Toussaint/ders., 54. Aufl. 2024, GKG § 43 Rn. 10). Das gilt auch für Verwaltungsauslagen (ebenso VG Würzburg, Urteil vom 03.07.2023 – W 8 K 22.1366 -, juris Rn. 45).

Entsprechend dem Ausgeführten ergibt sich ein Streitwert in Höhe von insgesamt 7.550,86 EUR.“

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Fahrtenbuchauflage, oder: Wie berechnet sich der Gegenstandswert?

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Und dann am Gebührentag heute zwei Entscheidungen zu Gegenstandswerten, und zwar beide aus dem Verwaltungsrecht.

Da kommt hier zunächst der HessVGH, Beschl. v. 19.12.2024 – 10 B 1560/24. Es geht um die Streitwertfestsetzung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen eine Fahrtenbuchauflage. Gestritten worden ist um die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage mit einer Dauer von über einem Jahr. Der HessVGH hat je Monat 400,00 Euro festgesetzt, ohne zu reduzieren:

„3. Die Streitwertfestsetzung und die Änderung des Streitwertes für das erstinstanzliche Verfahren beruhen auf §§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 63 Abs. 3 Satz 1, 52 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).

Sie folgt den Nrn. 46.11 und 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013. Nach Nr. 46.11 sind in einem Hauptsacheverfahren pro Monat der Dauer der Fahrtenbuchauflage je Fahrzeug 400,00 Euro anzusetzen. Der Senat folgt dabei – wie bereits das Verwaltungsgericht – nicht der Rechtsprechungspraxis des 2. Senats (Hess. VGH, Beschluss vom 20. Januar 2012 – 2 E 1890/11 -, juris), wonach bei einer Fahrtenbuchauflage von über einem Jahr für jedes über das erste Jahr hinausgehende Jahr jeweils nur noch 1.000 Euro streitwerterhöhend berücksichtigt werden (so auch OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2023 – 8 B 960/23 -, juris Rn. 24; Bay. VGH, Beschluss vom 11. Juni 2024 – 11 CS 24.628 -, juris Rn. 24; VGH BW, Beschluss vom 10. Mai 2023 – 13 S 404/23 -, juris Rn. 19; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 31a StVZO Rn. 84 f.; Knop, in: Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2016, § 31a StVZO Rn. 46). Gegen eine streitwertreduzierende Berücksichtigung der zeitlichen Komponente – wie sie bisher vom 2. Senat praktiziert wurde – spricht, dass das Gerichtskostengesetz selbst eine Kostendegression vorsieht (Anlage 2 zu § 34 Abs. 1 Satz 3 GKG) und eine solche daher nicht bereits bei der Festsetzung des Streitwerts im Hinblick auf eine längere Dauer eines Verwaltungsaktes Berücksichtigung finden muss. Zudem ist eine Ermäßigung bei längeren Zeiträumen auch nicht sachgerecht, da sich keine geringere Beeinträchtigung ergibt, wenn die Fahrtenbuchanordnung über ein Jahr hinausgeht (so auch: Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 31a StVZO Rn. 84). Der nach dieser Maßgabe errechnete Gesamtbetrag von 7.200 Euro ist indes im Hinblick auf die faktische Vorwegnahme der Hauptsache nicht nach Nr. 1.5 des Streitwertkataloges zu halbieren, weil die Fahrtenbuchauflage ab dem Datum der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheides angeordnet wurde und daher im Falle einer Stattgabe im Eilverfahren die Fahrtenbuchauflage im Hinblick auf deren angeordnete Dauer sowie die Verfahrenslaufzeiten eines Hauptsacheverfahrens faktisch leerlaufen würde (so im Ergebnis auch: VGH BW, Beschluss vom 15. April 2009 – 10 S 584/09 -, juris Rn. 9; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 31a StVZO Rn. 85; Knop, in: Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2016, § 31a StVZO Rn. 46).

Streitwerterhöhend wirkt sich nach § 39 Abs. 1 GKG, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG i. V. m. Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs schließlich aus, dass sich die Antragstellerin auch gegen die Kostenfestsetzung im angegriffenen Bescheid in Höhe von 73,45 Euro wendet. Hiervon ist nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs ein Viertel zum Streitwert hinzuzuaddieren (18,36 Euro). Die Kostenfestsetzung bleibt nicht nach § 43 Abs. 1 GKG bei der Streitwertbemessung unberücksichtigt. Kosten im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG sind zum einen Vermögensopfer, die der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen (beispielsweise Aufwendungen, die zur Feststellung, Sicherung, Durchsetzung oder Abwehr des Anspruchs erbracht werden, wie etwa Reisekosten, Verdienstausfall oder ähnliches) und Aufwendungen im Zusammenhang mit dem dem Anspruch zugrundeliegenden Rechtsverhältnis (Elzer, in: Toussaint, Kostenrecht, 54. Aufl. 2024, § 43 GKG Rn. 10). Verwaltungsgebühren und -auslagen, die dazu dienen, den Gebührenschuldner mit dem durch das Verwaltungsverfahren ausgelösten Verwaltungsaufwand kostenmäßig zu belasten, sind demnach keine Kosten im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG (so auch BVerwG, Urteil vom 23. November 2011 – 8 C 18.10 -, juris Rn. 1 hinter Rn. 27; Hess. VGH, Urteil vom 20. Januar 2021 – 6 A 2755/16 -, juris nach Rn. 35; a. A. Nds. OVG, Beschluss vom 12. März 2020 – 12 OA 31/20 -, juris Rn. 6 unter Hinweis auf BFH, Beschluss vom 17. August 2012 – VIII S 15/12 -, juris Rn. 8 f., der jedoch explizit angegriffene Zinsen als Nebenforderung betrifft und gerade keine Festsetzung von Verwaltungskosten).“

OWi III: Zweifel an einer genügenden Entschuldigung, oder: Zweifel rechtfertigen kein Verwerfungsurteil

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Und dann noch am OWi-Tag den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.01.2025 – 1 ORbs 210 SsBs 740/24. Der äußert sich – auch schon wieder Abwesenheit – zur Zulässigkeit eines Verwerfungsurteils.

Das AG hatte den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Das Urteil wurde damit begründet, dass der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei und auch nicht durch einen mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden sei. In einem von dem Betroffenen vorgelegten Attest von Dr. pp. vom 04.09.2024 sei lediglich festgehalten, dass der Betroffene aufgrund einer akuten Infektionserkrankung bis einschließlich 10.09.2024 nicht transport- und verhandlungsfähig sei. Es sei weder aufgeführt, um welche Erkrankung es sich handle, noch welche Symptomatik sich aktuell zeige und welche daraus resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen bestünden, die eine Teilnahme an der Hauptverhandlung unmöglich machen oder unzumutbar erscheinen ließen, Eine fernmündliche Rücksprache des Gerichts mit dem ausstellenden Arzt Dr. pp. habe zu keiner Konkretisierung geführt Der Arzt habe lediglich ausgeführt, es handle sich um eine akute Infektionskrankheit mit der man nicht arbeiten gehen könne. Vor diesem Hintergrund sei das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass der Betroffene nicht ausreichend entschuldigt sei. Eine Infektionskrankheit – auch wenn sie möglicherweise zu einer Arbeitsunfähigkeit führe – führe perse nicht zu einer Verhandlungsunfähigkeit. Dass es sich um eine schwerwiegende oder gar lebensbedrohliche Erkrankung handle, halte das Gericht bereits vor dem Hintergrund, dass das Attest eine Verhandlungsunfähig-kelt von weniger als einer Woche konstatiere, für nicht wahrscheinlich.

Dagegen die erfolgreiche Rechtsbeschwerde des Betroffenen:

„Die Verfahrensrüge greift auch durch. Für die Frage, ob der Betroffene für sein Ausbleiben genügend entschuldigt ist, kommen die zu § 74 Abs. 2 OWiG entwickelten Grundsätze zur Anwendung. Danach ist der Betroffene nicht erst dann entschuldigt, wenn er verhandlungsunfähig ist, sondern schon, wenn ihm wegen einer Erkrankung die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht zugemutet werden kann. In aller Regel wird dabei die Vorlage eines zeitnahen ärztlichen Attestes ausreichen. Erscheint dem Gericht das Attest nicht aussagekräftig genug oder hat es Zweifel an der Richtigkeit der bescheinigten Erkrankung, so hat es sich im Freibeweisverfahren, gegebenenfalls durch telefonische Nachfrage beim behandelnden Arzt, die erforderliche Aufklärung zu verschaffen. Denn es kommt im Ergebnis darauf an, ob der Betroffene genügend entschuldigt ist, nicht, ob er sich In ausreichendem Maße entschuldigt hat (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.09.1994 – 3 Ss 44/94, NJW 1995, 2571). Bestehen Zweifel, ob der Betroffene genügend entschuldigt ist und können diese auch im Freibeweisverfahren nicht geklärt werden, darf ein Verwerfungsurteil nicht ergehen (KG Beschluss vom 12.10.2017 – 3 Ws (B) 257/17, BeckRS 2017, 140690).

Diese Grundsätze hat das Amtsgericht nicht hinreichend beachtet Aus dem Urteil ergibt sich, dass sich das Attest auf die Diagnose einer ‚Akuten Infektionserkrankung‘, aufgrund welcher der Betroffene nicht transport – und verhandlungsfähig sei, beschränkte. Zu Recht führten diese unpräzisen Angaben dazu, dass bei dem zuständigen Richter Zweifel an einer genügenden Entschuldigung des Betroffenen aufkamen und er daher fernmündlich mit dem ausstellenden Arzt Rücksprache hielt Den Urteilsgründen ist jedoch auch zu entnehmen, dass diese Rücksprache zu keiner weiteren Konkretisierung führte. Bei dieser Sachlage, bei der die bestehenden Zweifel durch die Rücksprache mit dem Arzt offensichtlich nicht ausgeräumt werden konnten, sondern nach der Rücksprache derselbe Kenntnisstand wie zuvor, der eine weitere Aufklärung erforderlich machte,-bestand, durfte ein Verwerfungsurteil nach den oben ausgeführten Maßstäben nicht ergehen. Nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen verbleibende Zweifel dürfen nicht zu Lasten des Betroffenen gehen (vgl. BeckOK OWiG/Hettenbach, 44. Ed. 01.10.2024, OWiG § 74 Rn. 33 m.w.N.).“