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Rückwirkende Aufhebung der “Pflichtibestellung”, oder: OLG Nürnberg sagt dem LG Amberg, wie es geht

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Und dann noch RVG-Entscheidungen. Heute stelle ich dann mal – auch das gibt es – positive Entscheidungen vor. Beide Entscheidungen sind Rechtsmittelentscheidungen zu Beschlüssen, die hier auch Gegenstand der Berichterstattung gewesen sind. Einmal hat das Rechtsmittelgericht eine falsche Entscheidung eines LG repariert, in der anderen Entscheidung, die heute Mittag kommt, hat das LG eine richtige Entscheidung eines AG bestätigt.

Ich beginne mit dem „Reparaturbeschluss“. Das ist der OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.07.2023 – Ws 133/23 . Der „repariert“ den falschen LG Amberg, Beschl. v. 05.12.2022 – 11 Qs 79/22 (dazu Rückwirkende Aufhebung der “Pflichtibestellung”, oder: Das LG Amberg kann es auch nicht und den falschen AG Amberg, Beschl. v. 12.10.2022 – 6 Gs 398/21).

Ich erinnere an den Sachverhalt: Der Kollege Jendricke, der „Betroffener“ war, war Verteidiger des Beschuldigten in einem Verfahren mit dem Vorwurf des Verbreitens jugendpornographischer Schriften. Er erhielt Akteneinsicht und wurde danach als Pflichtverteidiger beigeordnet. Die StA hat das Verfahren dann eingestellt. Der Kollege hat die Festsetzung seiner Vergütung beantragt. AG und LG haben die nicht gewährt. Der Kollege hat gegen den LG-Beschluss dann weitere Beschwerde eingelegt und hatte damit jetzt beim OLG Nürnberg Erfolg:

„1. Der Beschwerdeführer wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 08.03.2021 wirksam als Pflichtverteidiger gemäß § 142 Abs. 2 StPO bestellt.

a) Für die Wirksamkeit der Bestellung kommt es nicht darauf an, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestellung vorliegen. Wird die Bestellung angeordnet, ist diese, jedenfalls zunächst, wirksam.

b) Mit der Bestellung wird eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Verteidigers zur sachgerechten Mitwirkung am Strafverfahren begründet (KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 142 Rn. 18), und zwar unabhängig davon, ob die Bestellungsentscheidung rechtskräftig wird. § 307 Abs. 1 StPO ordnet an, dass durch Einlegung der Beschwerde der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht gehemmt wird. Es liegt auch kein Fall vor, in dem gesetzlich ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung angeordnet wird.

Dies entspricht im Übrigen auch den Praxisanforderungen bei der Pflichtverteidigerbestellung: Nach §§ 141, 141a StPO ist in den Fällen der notwendigen Verteidigung bei verschiedenen Maßnahmen die oftmals kurzfristige Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich, deren Rechtskraft nicht abgewartet werden kann. Entsprechend darf der Pflichtverteidiger darauf vertrauen, für solche Tätigkeiten auch vergütet zu werden.

2. Die spätere Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft führt nicht dazu, dass die Bestellung von Anfang an entfällt. Vielmehr tritt diese Wirkung erst zu dem Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung ein.

Grundsätzlich hat die Aufhebung einer angefochtenen Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht zur Folge, dass diese seit dem Zeitpunkt ihres Erlasses, also rückwirkend, keine Wirkung entfaltet. Zwar hat der Gesetzgeber in § 142 Abs. 7 StPO keine davon abweichende Regelung für den Fall getroffen, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auf ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft aufgehoben wird. Nach dem Sinn und Zweck der in § 141 Abs. 1 und 2 StPO angeordneten unverzüglichen oder kurzfristigen Verpflichtung zur Bestellung eines Pflichtverteidigers und der Regelung in § 307 Abs. 1 StPO, dass durch Einlegung der Beschwerde der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht gehemmt wird, ist § 142 Abs. 7 StPO aber ergänzend dahingehend auszulegen, dass der wirksam, aber nicht rechtskräftig bestellte Pflichtverteidiger erst zu dem Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung durch das Beschwerdegericht entpflichtet wird. So besteht zum einen kein Zweifel an der Wirksamkeit der bis dahin vorgenommenen Handlungen des Pflichtverteidigers und zum anderen wird so das Vertrauen des Pflichtverteidigers in seine Bestellung und damit die Begründung eines Vergütungsanspruchs gegen die Staatskasse geschützt (vgl. Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Teil A Vergütungs-ABC Rn 2400).

b) Diese Auslegung ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen der Pflichtverteidiger im Vertrauen auf die Bestellung tatsächlich tätig wird. Auch wenn der Pflichtverteidiger zwischen Bestellung und Entpflichtung durch das Beschwerdegericht nicht tätig wird, liegt für diesen Zeitraum eine wirksame Bestellung vor.

3. Damit hat der Beschwerdeführer gemäß § 45 Abs. 3 S. 1 RVG Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit aus der Landeskasse mit der Konsequenz, dass gemäß § 48 Abs. 6 S. 1 RVG auch die Tätigkeiten vor seiner Bestellung zu vergüten sind. Dies ist Folge der wirksamen Pflichtverteidigerbestellung durch das Amtsgericht, ohne dass es darauf ankommt, ob diese geboten war.

4. Zur Höhe der festzusetzenden Gebühren….“

Dazu muss man m.E. nicht viel sagen, außer: Die Entscheidung ist richtig. Die richtige Lösung der Frage lag auf der Hand. Man fragt sich allerdings, warum man für das Problem – das keins ist/war – bis zum OLG muss und warum AG/LG das nicht gleich richtig machen konnten. Ein Gutes hat der Marathon aber: Jetzt gibt es zumindest mal eine OLG-Entscheidung zu der „Problematik“. Das erleichtert den Bezirksrevisoren die Arbeit 🙂 .

 

 

Unzulässige Mehrfachverteidigung, oder: Was ist mit dem Gebührenanspruch?

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Heute am Gebührenfreitag weise ich zunächst hin auf den OLG Stuttgart, Beschl. v. 07.08.2018 – 4 Ws 175/18. In ihm geht es um die Frage der Mehrfachverteidigung und deren Auswirkungen auf den Gebührenanspruch des Verteidigers/Rechtsanwalts. Grundlage der Entscheidung ist etwa folgender Sachverhalt:

Der beim OLG beschwerdeführende Rechtsanwalt wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss, mit welchem auf seinen Antrag hin die den Angeklagten E. und V. von Seiten der Staatskasse für das selbständige Einziehungsverfahren als notwendige Auslagen zu erstattenden Wahlverteidigergebühren festgesetzt wurden, wobei er die Festsetzung eines höheren Erstattungsbetrages begehrt. Gegen die beiden Angeklagten sowie vier weitere Angeklagte wurde vor dem LG in den Jahren 2012 und 2013 ein Strafverfahren wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge geführt. Dabei war der Rechtsanwalt als Wahlverteidiger des Angeklagten E. und Rechtsanwältin pp. als zunächst Wahl- und sodann Pflichtverteidigerin des Angeklagten V. tätig. Die Hauptverhandlung konnte wegen einer längerfristigen Erkrankung eines Richters nicht abgeschlossen werden. Inzwischen ist das Verfahren, nachdem die Angeklagten das Land verlassen haben und unbekannten Aufenthaltes sind, gemäß § 205 StPO vorläufig eingestellt worden.

Im Laufe des Ermittlungsverfahrens wurden im Auftrag des Angeklagten E. an einen Verdeckten Ermittler des Landeskriminalamts Baden-Württemberg insgesamt 245.000 EUR in bar übergeben, davon 60.000 Euro durch den Angeklagten V.; das Geld wurde sichergestellt. Mit Schreiben vom 14.3..2016 hat der Rechtsanwalt die Freigabe dieser sichergestellten 245.000 Euro im Auftrag des Angeklagten E. sowie vorsorglich – falls die Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Herausgabe auf den letzten Gewahrsamsinhaber abstellen sollte – auch im Auftrag und unter Vorlage einer Vollmacht des Angeklagten V. vom 14.3.2016 beantragt. Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin am 1.4.2016 den Erlass einer selbständigen Verfallsanordnung gemäß § 76a StGB a.F. hinsichtlich der sichergestellten 245.000 EUR beantragt. Nach der Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung zum 1.7.2017 hat die Staatsanwaltschaft diesen Antrag auf die Anordnung einer selbständigen Einziehung gemäß § 76a Abs. 4 StGB n.F. abgeändert. Das LG Tübingen hat mit Beschluss vom 29.3.2018 sowohl die Eröffnung des selbständigen Einziehungsverfahrens als auch die Herausgabe der 245.000 EUR an die Angeklagten E. und V. abgelehnt, da der Staat bereits Eigentümer der 245.000 EUR sei. Zugleich hat es beschlossen, dass die Staatskasse die Kosten dieses Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt.

Im Laufe dieses Einziehungsverfahrens hat Rechtsanwältin pp. mit Schreiben vom 4.8.2016 die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts durch den Angeklagten V. im Hinblick auf § 146 StPO gerügt und eine vom Angeklagten V. auf sie lautende Strafprozessvollmacht vom 20.7.2012 vorgelegt, welche auch die Abtretung sämtlicher Kostenersatzforderungen beinhaltete. Zugleich hat sie die Herausgabe der bei V. sichergestellten Summe von „65.000 Euro“ an sie beantragt.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Rechtsanwalt aufgrund der Kostengrundentscheidung des Beschlusses vom 29.3.2018 beantragt, die dem Angeklagten E. entstandenen notwendigen Auslagen samt Zinsen wie folgt zu erstatten: neben einer Auslagenpauschale eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV RVG sowie eine Erhöhung dieser Gebühr um den Faktor 0,3 nach Nr. 1008 VV RVG, da er  sowohl den Angeklagten E. als auch den Angeklagten V. vertreten habe. Die Festsetzung u.a. der Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG für die Vertretung des Angeklagten V. ist abgelehnt worden.

Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Rechtsanwalts hatte beim OLG keinen Erfolg.

Das OLG nimmt einen Verstoß gegen § 146 StPO an. Der führe zur Unwirksamkeit des Mandatsvertrages und damit dazu, dass dem Rechtsanwalt die Erhöhungsgebühr Nr. 1008 VV RVG, um die es hier ging, nicht zustand. Dazu die Leitsätze aus dem Recht umfangreichen OLG-Beschluss:

  1. Das Verbot der Mehrfachverteidigung gemäß § 146 StPO gilt auch im Einziehungsverfahren.
  2. Der Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung gemäß § 146 StPO führt dazu, dass der zugrunde liegende Mandatsvertrag und die Vollmacht unwirksam sind.
  3. Auch wenn der Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung im Verfahren unbemerkt geblieben ist, kann die Kostenerstattung im Kostenfestsetzungsverfahren versagt werden.
  4. Bei einem Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung findet eine Gebührenerhöhung gemäß Nr. 1008 VV RVG keine Anwendung.

Die Entscheidung setzt die wohl. h.M. zu den Folgen einer unzulässigen Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO konsequent um. Diese geht davon aus, dass zwar gemäß § 146a Abs. 2 StPO mögliche Prozesserklärungen des Verteidigers bis zur Zurückweisung durch das Gericht wirksam, aber der Mandatsvertrag und die Verteidigervollmacht unwirksam sind (ausführlich zu allem GenStA Zweibrücken NStZ-RR 2004, 191; Wasmuth NStZ 1989, 348). Folge davon ist nach h.M., dass dem zurückgewiesenen Verteidiger/Rechtsanwalt Gebührenansprüche nicht zustehen. Ob es allerdings zutrifft, diese insgesamt zu verneinen, oder ob dem Rechtsanwalt im Hinblick auf § 146a Abs. 2 StPO nicht zumindest ein teilweiser Vergütungsanspruch für die Tätigkeiten zuzubilligen ist, die er vor Beginn der Mehrfachverteidigung erbracht hat, hat das OLG hier nicht geprüft. Darauf kam es aber auch, da im selbständigen Einziehungsverfahren von Anfang an eine unzulässige Mehrfachverteidigung vorgelegt hat und nur um die Erhöhungsgebühr bei der Nr. 4142 VV RVG gestritten worden ist, nicht an.

Terminsvertreter: Gebührenanspruch – mal so, mal so

Im Gebührenrecht des Teil 4 VV RVG ist die Frage der Honorierung des sog. Terminsvertreters in der Rspr. heftig umstritten. Dabei war es bisher weitgehend unbestritten, dass er nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abrechnet. Nur die Frage, ob er nur die Terminsgebühr oder ggf. auch die Grundgebühr und möglicherweise sogar die Verfahrensgebühr verdient, war umstritten. Ein neues Faß macht jetzt der OLG Rostock, Beschl. v.  15.09.2011 – I Ws 201/11 auf. Er geht ggf. über Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG und führt dazu aus:

„Beschränkt sich die Beiordnung allein auf die Beistandsleistung in einem Hauptverhandlungstermin, ist nach Auffassung des Senats auch eine Vergütung als Einzeltätigkeit nach VV RVG Nr. 4301 Ziff. 4 denkbar. Die ganz herrschende Meinung lehnt die Vergütung des nur für einen Terminstag beigeordneten Verteidigers als Einzeltätigkeit mit der Begründung ab, dass dem für den Termin beigeordnete Rechtsanwalt sachlich unbeschränkt die Verteidigung übertragen werde, er also nicht aus dem Aufgabenbereich des Verteidigers einzelne Tätigkeiten übernehme, so dass er trotz der zeitlichen Beschränkung seiner Tätigkeit als Verteidiger im Sinne des Abschnitts 1 VV RVG Teil 4 anzusehen sei (vgl. Gerold/Schmidt-Burhoff 19. Aufl. VV Vorb. 4.3 Rn. 4, VV Einl. Vorb. Teil 4.1 Rn. 9). Diese Auffassung lässt sich jedoch mit dem Gesetz nicht in Einklang bringen. In VV RVG Nr. 4301 Ziff. 4 wird die Beistandsleistung für den Angeklagten in einer Hauptverhandlung als mögliche Einzeltätigkeit angesehen, soweit dem Rechtsanwalt nicht im Sinne der Vorbemerkung VV RVG Nr. 4.3 sonst die Verteidigung übertragen wurde. Dass die Verteidigung im Termin sachlich uneingeschränkt erfolgt, versteht sich von selbst. Der Rechtsanwalt, welchem allein die Verteidigung in einem Hauptverhandlungstermin im Wege der Beiordnung übertragen wird, nicht aber die Verteidigung im Übrigen, übt daher eine Einzeltätigkeit aus und ist nach VV RVG Nr. 4301 Nr. 4 zu vergüten (so auch für die Beiordnung eines Zeugenbeistands allein für die Vernehmung in einen Hauptverhandlungstermin: Beschl. des Senats v. 12.10.2010 – I Ws 270/10).“

Formulierungen wie: „lässt sich jedoch mit dem Gesetz nicht in Einklang bringen“. Die ganz h.M. entscheidet also contra legem? Nur man selbst hat den Stein des Weisen gefunden. Klingt immer – jedenfalls für mich – leicht arrogant. Nun ja. Und übrigens: M.E. ist die Auffassung auch falsch. Aber dazu ist genug geschrieben.