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OWi I: Zwei zeitlich nahe beieinander liegende Taten, oder: Wenn ein „Raser“ (?) Glück hat

Und heute dann OWi, und zwar zweimal OLG und einmal AG.

Ich beginne mit dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.01.2024 – 2 ORbs 23 Ss 769/23. Das OLG hat sich mit der Frage des Strafklageverbrauchs (Art. 103 Abs. 3 GG) auseinandersetzt in einem Fall, in dem dem Betroffenen zwei zeitlich nahe beieinander liegende Geschwindigkeitsüberschreitungen zur Last gelegt worden sind.

Das AG hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften, begangen am 27.10.2022 um 21.34 Uhr auf der B 27 zwischen Ludwigsburg und Kornwestheim verurteilt. Dort war die Geschwindigkeit auf 80 km/h beschränkt, der Betroffene hatte die Kontrollstelle mit einer Geschwindigkeit von 151 km/h passiert. Das AG hat zudem festgestellt, dass gegen den Betroffenen bereits am 9.12.2022 – rechtskräftig seit 29.12.2022 – eine Geldbuße von 180 € festgesetzt worden, weil er ebenfalls am 27.10.2022 um 21:34 Uhr innerhalb Ludwigsburgs auf der Stuttgarter Straße in Fahrtrichtung Stuttgart auf Höhe des Ortsschilds die dort zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h um 30 km/h überschritten hat.

Die gegen die Verurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte Erfolg:

„Das vorliegende Verfahren ist – unter klarstellender Aufhebung des angefochtenen Urteils – durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. §§ 354 Abs. 1, 206 a StPO einzustellen, weil die auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergeben hat, dass der Verfolgung der dem Betroffenen, in diesprrj.V9rfghrqn zur, Last gelegten Tat ein Verfahrenshindernis entgegensteht.

1. Der aus dem Fahreignungsregister ersichtliche – rechtskräftige Bußgeldbescheid der Stadt Ludwigsburg vom 9. Dezember 2022 entfaltet nach dem Grundsatz aus Art. 103 Abs. 3 GG eine Sperrwirkung, welche die Verfolgung des dem Betroffenen in diesem Verfahren zur Last gelegten Tatvorwurfes ausschließt. Die den Gegenstand des vorliegenden Bußgeldverfahrens bildende Tat ist im verfahrensrechtlichen Sinn identisch mit der Tat, die mit Bußgeldbescheid des Stadt Ludwigsburg vom 9. Dezember 2022 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zur Last gelegt worden ist und wegen der gegen den Betroffenen – rechtskräftig – eine Geldbuße von 180 € festgesetzt worden ist. Die – unzulässigerweise – in zwei gesonderten Bußgeldverfahren verfolgten Verkehrsverstöße stellen sich verfahrensrechtlich als eine Tat L S. des § 264 StPO dar.

Der Begriff der Tat im gerichtlichen Verfahren in Bußgeldsachen deckt sich mit dem für das Strafverfahren maßgeblichen Tatbegriff des Art. 103 Abs. 3 GG (vgl. BayObLGSt 1974, 58 f.; 2001, 134 f.). Er bezeichnet ein konkretes Geschehen, das einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang bildet und Merkmale enthält, die es von denkbaren anderen ähnlichen oder gleichartigen Vorkommnissen unterscheidet und umfasst das gesamte Verhalten des Täters, soweit dieses nach der natürlichen Auffassung des Lebens eine Einheit bildet (vgl. BayObLGSt 2001, 134 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 09.06.2009 – 5 Ss OWI 297/09 -; Meyer-Goßner, StPO, 66. Aufl., § 264 Rdnr. 2 f.). Dabei können auch mehrere, materiell-rechtlich tatmehrheitlich begangene Handlungen als eine Tat i. S. des § 264 StPO anzusehen sein, wenn die einzelnen Handlungen nach dem Ereignisablauf zeitlich, räumlich und innerlich so miteinander verknüpft sind, dass sich ihre getrennte Würdigung und Ahndung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges darstellen würde (vgl. OLG Hamm a. a. 0.; BayObLGSt 2001, 134 f.; BVerfGE 45, 434 f.; BGHSt 23, 141 f.; Meyer-Goßner a. a. O.).

Allerdings stellen sich nicht alle Vorgänge, die sich auf einer Fahrt ereignen, als einheitlicher Lebenssachverhalt dar. In der Rechtsprechung der Obergerichte ist anerkannt – von Ausnahmen abgesehen -, dass verschiedene auf einer Fahrt begangene Ordnungswidrigkeiten nicht schon dadurch zu einer prozessualen Tat zusammengefasst werden, dass sie auf derselben Fahrt begangen worden sind. Vielmehr ist mit dem Ende eines bestimmten Verkehrsvorganges, der durch einen anderen abgelöst wird, in der Regel das die Tat bildende geschichtliche Ereignis abgeschlossen (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 67, 129, VRS 71, 375, VRS 75, 360; BayObLG NZV 1994, 448; OLG Köln, NZV 1994, 292; OLG Hamm, DAR 1974, 22).

Die maßgebliche Beurteilung, ob ein bestimmter Verkehrsvorgang abgeschlossen ist, ist Tatfrage. Entscheidend für die Beurteilung sind jeweils die Umstände des Einzelfalles. Erst unter Bewertung dieser Umstände ist im Einzelfall einzuschätzen, ob nach der „natürlichen Auffassung des Lebens“ mehrere Verstößen demselben Verkehrsvorgang zuzuordnen sind und damit eine einheitliche Tat im verfahrens-rechtlichen Sinne vorliegt.

Maßgeblich sind für die Beurteilung insbesondere der zeitliche und räumliche Zusammenhang zwischen den Verkehrsverstößen und die zugrunde liegende Pflichtenlage in Bezug auf den konkreten Verkehrsverstoß. Wichtiges Kriterium für die Verneinung oder Bejahung eines einheitlichen Tatgeschehens ist auch die Frage, ob beide Verkehrsverstöße in subjektiver Hinsicht auf der gleichen Willensrichtung des Betroffenen beruhen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 25.10.2011, NZV 2012. 196 f. m.w.N.).

Legt man diese Maßstäbe bei der Beurteilung des vorliegenden Falles zugrunde, ergibt sich Folgendes:

Beide Vorgänge sind zeitlich aufs Engste verknüpft. Den Feststellungen ist zu entnehmen, dass der Betroffene am 27. Oktober 2022 um 21:34 Uhr das Ortsschild am Ausgang der Stadt Ludwigsburg in Fahrtrichtung Kornwestheim passierte und in der selben Minute, also – da die Tatzeiten nur nach Minuten und nicht auch nach Sekunden festgestellt worden sind – maximal 59 Sekunden später, in gleicher Fahrtrichtung die Messstelle nach der Abfahrt Autokino.

Beide Vorgänge sind demselben Verkehrsvorgang zuzuordnen, nämlich dem (pflichtwidrig stark beschleunigten) Geradeausfahren zwischen den Messstellen. Eine Änderung dieses beschleunigten Geradeausfahrens ist nicht ersichtlich. Lediglich die äußere Situation, nämlich die geltende Geschwindigkeitsregelung, änderte sich. Die beiden Verkehrsverstöße sind auch in subjektiver Hinsicht eng miteinander verbunden, denn beide Geschwindigkeitsverstöße beruhen bei Betrachtung der gemessenen Geschwindigkeiten und der zurückgelegten Wegstrecke ersichtlich auf dem Willen des Betroffenen, den Verkehrsvorgang des Geradeausfahrens möglichst schnell abzuschließen. Dass der Betroffene in Umsetzung dieses Willens ohne weitere Fahrmanöver ab dem ersten Geschwindigkeitsverstoß weiter beschleunigt hat, drängt sich auf.

Der von der Generalstaatsanwaltschaft dargelegten zwischenzeitlichen (rechtlichen) Veränderung der Verkehrssituation kommt in diesem Fall angesichts des äußerst engen zeitlichen und auch räumlich relativ engen Zusammenhangs und des verbindenden subjektiven Elementes keine durchgreifende Bedeutung zu.“

Geht man davon aus, dass dem Betroffenen auch bei der ersten Geschwindigkeitsüberschreitung um „nur“ 30 km/h ebenfalls Vorsatz vorzuwerfen ist, wovon beim Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung auszugehen ist, dann dürfte die Entscheidung zutreffend sein. Der Betroffene, offenbar ein „Raser“, kommt dann mit einem blauen Auge davon, das das AG wegen der zweiten Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße von 1.500 EUR festgesetzt und eine Fahrverbot von drei Monaten verhängt hat. Schwieriger könnte es werden, und das hätte ich als OLG vom AG aufklären lassen, wenn man dem Betroffenen beim ersten Vorwurf nur Fahrlässigkeit zur Last gelegt hat. Denn dann stellt sich die Frage, ob in dem weiteren „(pflichtwidrig stark beschleunigten) Geradeausfahren zwischen den Messstellen“ zwischen den Messtellen wegen der nun vorsätzlichen Begehungsweise nicht eine neue Tat liegt, die gesondert geahndet werden kan.

Erneut Pauschgebühr in Staatsschutzverfahren, oder: Jetzt packt es aber an, 5. Strafsenat des OLG Stuttgart

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Heute dann am Gebührenfreitag zunächst mal wieder etwas zur Pauschgebühr nach § 51 RVG, und zwar den OLG Stuttgart, Beschl. v. 01.02.2024 – 5-2 StE 7/20. Dem ein oder anderen wird das Aktenzeichen vielleicht bekannt vorkommen. Ja, das ist richtig. Aus dem Verfahren habe ich schon einige Gebührenbeschlüsse zu § 51 RVG vorgestellt. Zuletzt war es der OLG Stuttgart, Beschl. v. 09.08.2022 – 5 StE 7/20 (vgl. dazu hier: (Hohe [?]) Pauschgebühr im Staatsschutzverfahren, oder: Alles ist relativ, vor allem in Corona-Zeiten).

Jetzt hat es in dem Verfahren den nächsten Beschluss gegeben, ich gehe davon aus, dass es weitere noch nicht gegeben hat. Dazu gleich mehr.

Zunächst noch einmal kurz ein paar Eckdaten zum Sachverhalt: Der Pflichtverteidiger kommt von auswärts.  Er hatte sich mit Schreiben vom 16.04.2020 als Verteidiger des Angeklagten gemeldet und ist mit Verfügung des Vorsitzenden vom 04.01.2021 zum Pflichtverteidiger bestellt worden.

In dem Verfahren liegen 253 Band Stehordner Ermittlungsakten und sieben Nachlieferungen mit 27 Band Akten, 38 Band Gerichtsakten sowie Beiakten vor. Seit dem 13.04.2021 bis zum Erlass des Urteils durch das OLG am 30.11.2023 hat man insgesamt an 173 Tagen (haupt)verhandelt. An gesetzlichen Gebühren sind bis zum 30.11.2023 122.911 EUR entstanden. Der Pflichtverteidiger hat mit Antrag vom 14.09. 2022 die Bewilligung eines Vorschusses auf die Pauschgebühr gemäß § 51 Abs. 1 S. 5 RVG beantragt. Die Bezirksrevisorin beim OLG Stuttgart hat am 30.3.2023 dazu Stellung genommen. Sie hat auf der Grundlage des Beschlusses des OLG Stuttgart vom 9.8.2022 (5-2 StR 7/20) die Gewährung eines Vorschusses befürwortet. Das OLG hat – durch den Einzelrichter – einen Vorschuss in Höhe von 226.703 EUR gewährt.

Ich zitiere jetzt nicht aus dem Beschluss vom 01.02.2024, denn der enthält nichts Neues, so dass ich auf den verlinkten Volltext verweisen kann.. Das OLG wendet vieleehr die Grundsätze und Vorgaben an, die es sich selbst mit dem Beschluss vom 09.08.2022 gegeben hat. Das ist ja auch richtig, denn die Pflichtverteidiger müssen ja wissen, womit sie rechnen können. Im Übrigen gilt. Gleiches Recht für alle – wenn die Voraussetzungen gleich sind.

Also:

  • Es handelt sich um ein besonders umfangreiches (Staatsschutz)Verfahren.
  • Das OLG stellt bei der Berechnung vornehmlich auf den Aktenumfang ab und erhöht Grund- und Verfahrensgebühr, wie das OLG – stolz – anmerkt, auch über die „Schwelle des § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG“ hinaus. Erhöht wird die Grundgebühr pauschal um das 30-fache, die Vorverfahrensgebühr pauschal um das 30-fache und die Verfahrensgebühr (quantifizierbar) jeweils pro drei Band Akten, damit derzeit um das 106-fache.
  • Die Terminsgebühren werden entsprechend den Vorgaben des RVG berechnet. Allerdings gebieten nach Ansicht des OLG auch insoweit Umfang, Dauer und durchaus auch Schwierigkeit – bezogen auf das durchschnittliche Verfahren im ersten Rechtszug vor dem OLG – eine Erhöhung pro Woche, in der Hauptverhandlungen stattgefunden haben. Unbeschadet der Anzahl der in der Woche stattgefundenen Hauptverhandlungstage wird damit daher eine weitere Verfahrensgebühr immer dann fällig, wenn und soweit die/der Antragsteller in der in Frage stehenden Woche an sämtlichen Hauptverhandlungstagen anwesend war, um so einen Ausgleich für die Mühewaltung zu schaffen.
  • Schließlich hat das OLG aich wieder einen Ausgleich für die Risiken der COVID-19 Infektion wie folgt vorgenommen: Es wurden abermals grds. pro infolge COVID-19 ausgefallenem Sitzungstag zwei Verfahrensgebühren fällig.

Das alles mündet dann in eine ganz einfach kombinierte Mal-/Plusaufgabe, an deren Ende dann der als Vorschuss gewährte Betrag steht.

Also insoweit nichts Neues aus Stuttgart, so dass ich mich wegen der Einschätzung ebenfalls auf das beziehen kann, was ich bereits zu dem Beschluss vom 09.8.2022 geschrieben habe. Das gilt auch für die Höhe der bewilligten Pauschgebühr.

Besonders anzumerken ist aber noch einmal, dass § 51 RVG für die Gewährung einer Pauschgebühr nicht, wovon aber das OLG erneut ausgehet, kein „exorbitantes Verfahren“ voraussetzt. Dieser falsche – aus der Rechtsprechung des BGH – stammende Ansatz wird leider immer wiederholt, was ihn aber nicht richtig(er) macht. Dasselbe gilt für die vom OLG erneut erwähnte „Schwelle des § 42 Abs. 1 S. 4 RVG„. Gemeint ist damit das „Doppelte der Wahlanwaltshöchstgebühr“ auf die die Pauschgebühr für den Wahlanwalt nach § 42 RVG beschränkt ist. Diese gilt aber nicht für den Pflichtverteidiger.

Und darüberhinaus ist anzumerken:

  • Auch dieser Beschluss hebt sich wohltuend ab von anderen Beschlüssen, die zu Pauschgebühren in Umfangsverfahren in der letzten Zeit erlassen worden sind (vgl. z.B. nur OLG Dresden, Beschl. v. 15.12.2023 – 1 (S) AR 53/22,  und dazu: Was interessieren uns unsere eigenen Grundsätze?, oder: Pauschgebühren).
  • Im Beschluss vom 9.8.2022 hatte das OLG im Übrigen noch ausdrücklich ausgeführt, dass es nicht auszuschließen sei, dass der Senat bei der endgültigen Festsetzung einer Pauschgebühr weitere, vom Antragsteller dann vorgetragene individuelle Gesichtspunkte, aber auch neu zutage getretene generell-abstrakte Erwägungen werde miteinfließen lassen müssen. Dieser Änderungs-/Reduzierungsvorbehalt ist im vorliegenden Beschluss nicht mehr enthalten. Man wird also davon ausgehen können, dass das OLG nun doch wohl nicht nachtäglich Reduzierungen bei seiner Berechnungsweise vornehmen wird.
  • Zu beanstanden – und für mich unverständlich – ist m.E. aber die lange Dauer des Vorschussverfahrens. Der Antrag des Pflichtverteidigers datiert vom 14.09.2022, also zeitnah nach der Entscheidung vom 09.08.2022. Entschieden hat das OLG dann (endlich) am 01.02.2024, also mehr als 15 Monate nach Antragstellung. Bei allem Respekt und Verständnis vor der Arbeitsbelastung des Senats/eines OLG-Senats fragt man sich dann aber doch, warum die Entscheidung so lange gebraucht hat. Die Berechnungskriterien waren durch den Beschluss vom 09.8.02022 vorgegeben und mussten nur auf den vorliegenden Fall angewendet werden (s. oben einfache Mal-/Plusaufgabe). Das ist/war weder rechtlich noch tatsächlich schwierig. Die lange Dauer der Bearbeitung mindert den Wert des gewährten Vorschusses erheblich und widerspricht seinem Sinn und Zweck. Man kann Verteidigern bei zu langer/so langer Dauer des Verfahrens beim OLG im Hinblick auf die Verzinsung und/oder Schadensersatzansprüche nur raten, vorsorglich (rechtzeitig) die Verzögerungsrüge nach den §§ 198, 199 GVG zu erheben (zum Entschädigungsanspruch wegen verzögerter Bearbeitung eines Antrags auf Pflichtverteidigervergütung OLG Hamm AGS 2021, 570; OLG Karlsruhe AGS 2019, 556 = RVGreport 2019, 279 = StRR 4/2019, 24).
  • Und: Wenn man die Verfahrensdauer mal herunterbricht auf die im Verfahren tätigen 24 Verteidiger und davon ausgeht, dass jeder einen Pauschgebührenantrag stellen wird, dann kann man bei einer Bearbeitungsdauer von 15 Monaten/Antrag bei verbleibenden 22 Verteidigern davon ausgehen, dass die gebührenrechtliche Abarbeitung des Verfahrens noch Jahre dauert. Denn. Pro Antrag 15 Monate macht in der Spitze mehr als 27 Jahre. Das heißt, der (letzte) Richter am OLG, der über den entscheidet, hat wahrscheinlich noch gar nicht mir dem Studium begonnen. Also 5. Strafsenat des OLG Stuttgart. Auf geht es. Packen wir es an.

Corona I: Bestimmung des Erlangten für Arrest, oder: Arrestanordnung gegen Michael Ballweg?

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Und dann geht es in die 6. KW/2024 mit zwei Entscheidungen zu den Nachwirkungen von Corona. Nicht gesundheitlich, sondern rechtlich.

Zunächst stelle ich den OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.01.2024 – 1 Ws 181/23 – vor. Er dürfte den „Querdenker-Chef“ Michael Ballweg betreffen. Nein, es ist nicht die Entscheidung betreffend die Eröffnung des Hauptverfahrens/Zulassung der Anklage, der OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.01.2023 – 1 Ws 177/23 – über den ja nach seinem Erlass an mehreren Stellen berichtet worden ist. Ich hatte dazu beim OLG wegen einer möglichen Veröffentlichung angefragt. Aber man gibt unter Hinweis auf § 353d StGB die Entscheidung nicht frei, was ich nachvollziehen kann, bin ja schließlich „gebranntes Kind“.

Aber: Man hat den am selben Tag erlassenen Beschlss in 1 Ws 181/23 veröffentlicht (was ich dann nicht so ganz nachvollziehen kann). Der betrifft die Frage einer Arrestes in der Sache. Den hat das OLG angeordnet, was m.E. auf der Grundlage der Eröffnung des Hauptverfahrens nur konsequent ist.

Das OLG führt insofern aus:

„Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen besteht (weiter) Tatverdacht u.a. dahingehend, dass sich der Angeklagte als „Kopf“ der von ihm im Zuge der Proteste gegen Beschränkungen im Rahmen der Bekämpfung der Corona-Pandemie ins Leben gerufenen Querdenken 711-Kampagne spätestens im Mai 2020 dazu entschloss, seine durch vorgängige Protestmaßnahmen gewonnene Popularität auch für private Zwecke zu nutzen und sich insbesondere zu seinen Gunsten durch die Spendenbereitschaft seiner Anhänger Einnahmen von einiger Dauer und einigem Umfang zur Bestreitung seines Lebensunterhalts und zur Mehrung seines Vermögens zu verschaffen. Durch Umsetzung dieses Plans hat er von hiernach vereinnahmten Geldern lediglich eine Teilsumme für Querdenken 711 verwendet und sich dadurch u.a. wegen versuchten Betruges in einem besonders schweren Fall in 9.450 tateinheitlichen Fällen strafbar gemacht1.

II.

Bei diesen (Tat-)Verdachtsmomenten besteht Grund zu der Annahme, dass die Voraussetzungen für die Einziehung gemäß §§ 73 ff. StGB im Hinblick auf den Schuldner vorliegen (§ 111e Abs. 1 StPO). Der Senat hat die mit Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 6. Oktober 2023 abgelehnte Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich des in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 20. März 2023 erhobenen Tatvorwurfs des versuchten Betruges aufgehoben, die bezeichnete Anklage auch insoweit zugelassen und das Hauptverfahren vor der 10. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart eröffnet.

 

Vor diesem Hintergrund ist bei Inblicknahme der gegebenen Sachlage erwartbar, dass gegen den Angeklagten die gerichtliche Anordnung einer Einziehung nach §§ 73 ff. StGB ergehen wird. Der Angeklagte hat naheliegend annehmbar durch eine rechtswidrige Tat i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB etwas, nämlich Gelder, erlangt. Die Einziehung dieses Tatertrags ist nicht möglich (§ 73c Satz 1 StGB), nachdem die vereinnahmten Gelder mit sonstigen „Guthaben“ des Angeklagten vermischt bzw. von ihm weiterverfügt wurden. Klarstellend ist weiter Folgendes zu bemerken:

Maßgebende Regel für die Bestimmung des Erlangten i.S.v. § 73 StGB ist das sogenannte Bruttoprinzip. Erlangt ist hiernach jede Bereicherung, die aufgrund der jeweils in Rede Straftat eingetreten ist, namentlich die Tatbeute. Der konkrete Umfang und Wert des Erlangten einschließlich abzuziehender Aufwendungen können geschätzt werden (§ 73d Abs. 2 StGB).

1. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind bei der aktuell gegebenen Aktenlage unter Berücksichtigung der Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift und den von der Verteidigung zuletzt mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2023 angebrachten Erwägungen belastbar tatbedingte Vereinnahmungen des Angeklagten in Höhe von € 1.269.902,58 gegeben2 . Geht man zu dessen Gunsten weiter davon aus, dass sich die Annahme der Staatsanwaltschaft, wonach der Angeklagte einen Betrag von € 843.111,68 für Querdenken 711 „getätigt“ hat, bestätigen lässt, bleibt dieser Betrag entsprechend der in § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB getroffenen Regelung bei der zu einem späteren Zeitpunkt anstehenden Entscheidung über die Einziehung von Taterträgen außer Betracht. Vor diesem Hintergrund bringt der Senat eine entsprechende Summe bereits jetzt im Hinblick auf die gebotene Sicherungsanordnung in Abzug.

2. Überdies ist die gegen die pp. GmbH ergangene Arrestanordnung zu beachten. Um eine Doppel-Inanspruchnahme des Angeklagten zu vermeiden, sind daher von dem Betrag, der sich nach Vornahme des unter II. Ziff. 1 beschriebenen Subtraktionsverfahrens errechnet, weitere € 131.000 abzuziehen.

3. Der hiernach verbleibende Geldbetrag ist sodann unter Berücksichtigung des – ursprünglich in der Härteklausel des § 73c StGB a.F. kodifizierten und als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips weiterhin gültigen – Übermaßverbots sowie jedenfalls bis zum Abschluss der anstehenden Hauptverhandlung und dem Ergebnis der im Zuge dessen durchgeführten Beweiserhebungen einzukalkulierenden Unwägbarkeiten und nicht fernliegend erwartbaren gerichtlichen Einstellungsentscheidungen im Hinblick auf weniger strafwürdig erscheinende Fälle mit kleineren Geldbeträgen um einen angemessenen Sicherheitsabschlag, den der Senat auf etwa 30% bemisst, noch weiter auf € 200.000 zu verringern.

Die Anordnung eines entsprechenden Vermögensarrestes ist vor dem Hintergrund des bezeichneten Vorgehens und finanziellen Gebarens des Angeklagten geboten, da sonst zu befürchten ist, dass eine spätere Vollstreckung des staatlichen Anspruchs auf Einziehung des Wertes des Tatertrages wesentlich erschwert wenn nicht vereitelt würde. Auch bei Vornahme der erforderlichen Gesamtschau ist die Anordnung in der nunmehr fixierten Größenordnung nicht unverhältnismäßig.

Fußnoten
1)Wegen Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Anklageschrift vom 20.03.2023 Bezug genommen.
2) Soweit in der Anklageschrift anknüpfend hieran Bareinzahlungen „weiterer (…) Beträge“ auf das „Querdenken-Konto“ in Höhe von € 204.815,95 thematisiert werden, ist ein kausaler Zusammenhang mit den in Rede stehenden Betrugstaten derzeit nicht ersichtlich.“

Vollstreckung II: Auswirkungen einer Pfändung, oder: Taschengeld in der Sicherungsverwahrung

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Das zweite Posting des Tages hat den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.10.2023 – 2 Ws 282/23 – zum Gegenstand. Er befasst sich mit den Voraussetzungen des Taschengeldanspruchs in der Sicherungsverwahrung.

Der Antragsteller ist im Vollzug der Maßregel der Sicherungsverwahrung untergebracht. Im Mai 2023 konnte er krankheitsbedingt keiner Beschäftigung nachgehen. Von der am 04.05.2023 erhaltenen Vergütung für vorher geleistete Arbeit in Höhe von 211,19 EUR buchte die Antragsgegnerin, da das Überbrückungsgeld schon vollständig angespart war, 90,51 EUR auf das Hausgeld und 120,68 EUR auf das Eigengeld. Der letztgenannte Betrag wurde umgehend aufgrund einer bestehenden Pfändung zugunsten eines Gläubigers umgebucht.

Den Antrag des Antragstellers, ihm für den Monat Mai 2023 Taschengeld zu gewähren, lehnte die JVA ab. Nach ihrer Auffassung fehlte es an der erforderlichen Bedürftigkeit des Antragstellers, da ihm auch der dem Eigengeld zugeschriebene Anteil der im Mai zugeflossenen Arbeitsvergütung zur Verfügung gestanden habe. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrte der Antragsteller die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Taschengeldberechnung für Mai 2023, die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm unter Neuberechnung für Mai 2023 40,90 EUR Taschengeld gutzuschreiben sowie die Berechnung für die Folgemonate anzupassen und ihn insoweit neu zu bescheiden.

Das LG hat diese Anträge zurückgewiesen. Dagegen die Rechtsbeschwerdedes Antragstellers, die das OLG als begründet angesehen hat:

“ ….. Voraussetzung für den Taschengeldanspruch Untergebrachter, die krankheitsbedingt keiner Beschäftigung nachgehen können (§ 49 Abs. 1 Satz 1 und 2 JVollzGB BW III), ist deren Bedürftigkeit. In Fortführung der zur Regelung in § 46 StVollzG ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung (Übersicht bei Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 46 StVollzG Rn. 4) regelt § 49 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB BW V, dass Untergebrachte bedürftig sind, soweit ihnen im laufenden Monat aus sonstigen Einkünften nicht ein Betrag bis zur Höhe des Taschengeldes zur Verfügung steht.

Danach gilt das Zuflussprinzip, d.h. bei der Bestimmung der Bedürftigkeit sind nur solche Mittel zu berücksichtigen, die dem Untergebrachten in dem Kalendermonat, für den Taschengeld beansprucht wird, bereits zugeflossen sind, nicht aber solche, die zwar in diesem Zeitraum entstehen, aber erst später ausgekehrt werden (OLG Dresden NStZ 1998, 399 [bei Matzke]; OLG Hamburg NStZ 2000, 672; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 62). Die Entscheidung über den Anspruch kann danach in der Regel erst nach dem Ende des Monats ergehen, für den Taschengeld beantragt wird, da erst dann eine vollständige Beurteilung der Bedürftigkeit möglich ist (Nr. 3.1 VV zu § 53 JVollzGB BW III i.V.m. Nr. 2 VV zu § 49 JVollzGB BW V; OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Celle NStZ-RR 2014, 339).

Noch nicht ausdrücklich entschieden ist dagegen bisher die Frage, welche Auswirkungen die Pfändung von Einkünften des Antragstellers auf die Feststellung der Bedürftigkeit hat, auch wenn zu den für die Beurteilung maßgeblichen Grundsätzen bereits Entscheidungen ergangen sind. Dazu ist zunächst darauf abzustellen, dass der Zweck des Taschengelds dem des Hausgelds (§ 49 Abs. 2 JVollzGB BW V) entspricht. Es dient damit der Befriedigung von persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens, die über die auf Existenzsicherung ausgerichtete Versorgung durch die Anstalt hinausgehen (BVerfG NJW 1996, 3146; StV 1995, 651); zugleich soll damit der besonderen Anfälligkeit von Mittellosen für behandlungsfeindliche subkulturelle Aktivitäten entgegengewirkt werden (Arloth/Krä a.a.O., § 46 StVollzG Rn. 1 m.w.N.). Von dieser Zweckbestimmung ausgehend ist die nach § 49 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB BW V maßgebliche Frage, ob dem Untergebrachten im Anspruchsmonat andere Mittel zur Verfügung stehen, danach zu beantworten, ob ihm die erforderlichen Geldmittel rein tatsächlich zu Gebote stehen (OLG Dresden a.a.O.). Das ist bei einem Zufluss von Mitteln, die – wie bei einer Pfändung – sofort für eine vom Willen des Untergebrachten unabhängigen Zweck eingesetzt werden, jedoch nicht der Fall. Erst recht gilt dies, wenn – wie dies bei Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen üblicherweise der Fall ist – bereits der Anspruch auf Lohnzahlung gepfändet ist und deshalb der von der Pfändung betroffene Lohn dem Untergebrachten von vornherein nicht zur Verfügung steht.

Bei der Bestimmung der dem Antragsteller im Mai 2023 zur Verfügung stehenden Mittel hat danach das gepfändete Eigengeld ebenso wie das zweckgebundene Überbrückungsgeld außer Betracht zu bleiben. Da ihm danach in diesem Zeitraum nur das Hausgeld in Höhe von 90,51 € im Sinn des § 49 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB BW V zur Verfügung stand, erweist sich die Rechtsbeschwerde in Höhe des geltend gemachten Taschengeldanspruchs für Mai 2023 auch als begründet. Soweit die Differenz zwischen den dem Untergebrachten zur Verfügung stehenden Mitteln und dem Taschengeldanspruch in Höhe von 131,46 € rechnerisch geringfügig höher als der vom Senat zuerkannte Betrag ist, konnte der Senat über den in erster Instanz ausdrücklich gestellten Antrag auf Gewährung von 40,90 € Taschengeld wegen des in Strafvollzugssachen geltenden Verfügungsgrundsatzes (Arloth/Krä a.a.O., § 115 StVollzG Rn. 1 m.w.N.) nicht hinausgehen.“

StPO I: Verbreitung pornographischer Schriften, oder: Beweisantrag auf Anhörung eines Sachverständigen

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Heute stelle ich dann nochmals StPO-Entscheidungen vor, und zwar 3 x OLG.

Hier kommt zunächst der OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.01.2023 – 1 Rv 24 Ss 991/22 – mit folgendem Sachverhalt:

Der Angeklagte ist vom LG im Berufungsverfahren u.a. wegen Verbreitung pornographischer Schriften verurteilt worden. Der Verteidiger hatte in der Hauptverhandlung in Bezug auf die Abbildungen, die Gegenstand des Verfahrens waren, beantragt, „zum Beweis der Tatsache, dass bei durchschnittlichen Betrachtern (…) andere als sexuelle Empfindungen entstehen“ sowie „zu der Tatsache, dass der durchschnittliche Betrachter bei den Bildern (…) den weiblichen Anus erst auf den zweiten Blick wahrnimmt“ ein Sachverständigengutachten einzuholen. In der Begründung des Antrags wurde ausgeführt, dass die Bilder „unsittlich, anstößig oder ekelerregend für die einen, lustig für die anderen sein mögen“ und dass in erster Linie zunächst das in der Abbildung zu sehende Wort bzw. Emoji wahrgenommen werde, die jeweils in die Abbildung hineinmontiert seien, sodass der Anus als Teil des Wortes oder des Emojis erscheine. Das LG hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass mit dem Beweisantrag Rechtsanwendung begehrt werde. Der Begriff der Pornographie sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Klassifizierung dem Tatrichter überlassen bleibe. Das angebotene Beweismittel sei daher ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4 StPO.

Das OLG hat die Revision des Angeklagten verworfen:

„b.) Das Landgericht hat hierdurch nicht gegen § 244 Abs. 3 Satz 3 StPO verstoßen. Denn es liegt bereits kein Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO vor. Danach hat der Antragsteller eine bestimmte Tatsache konkret zu behaupten und ein bestimmtes Beweismittel zu bezeichnen, wobei dem Antrag zu entnehmen sein muss, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Beweistatsache belegen können soll. Hier fehlt es teilweise schon an der konkreten Bezeichnung eines bestimmten Beweismittels (aa.). Im Übrigen ist die Konnexität zwischen der behaupteten Tatsache und dem Beweismittel nicht dargetan (bb.).

aa.) Der Wortlaut des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO, wonach ein Beweisantrag voraussetzt, dass der Antragsteller eine bestimmte Tatsache konkret behaupten muss, belegt, dass der Gesetzgeber der präzisen Formulierung der Beweistatsache besonders hohes Gewicht beimisst. Die Tatsache muss generell geeignet sein, in ihrem im Beweisantrag enthaltenen Wortlaut zur Urteilsgrundlage zu werden, also als Teil der Feststellungen in den Urteilssachverhalt einzugehen oder zumindest als Indiztatsache Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung zu werden (Hamm/Pauly, Beweisantragsrecht, 3. Aufl. (2019), Rn. 167).

Der Gesetzgeber normiert damit hinsichtlich der Konkretisierung der Beweisbehauptung ein Optimierungsgebot. Es hält im Fall des Sachverständigenbeweises den um den Nachweis wissenschaftlicher Erfahrungssätze bemühten Antragsteller dazu an, möglichst genau zu beschreiben, welche Umstände in Kombination mit bestimmten Erfahrungssätzen darauf fußende Schlussfolgerungen nahelegen oder ausschließen. Die Mahnung, dass gerade bei Anträgen auf Anhörung eines Sachverständigen keine überspannten Anforderungen an die Formulierung einer Beweisbehauptung gestellt dürfen, da der Antragsteller vielfach nicht in der Lage sei, die seinem Beweisziel zugrundeliegenden Vorgänge und Zustände exakt zu bezeichnen (BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 516/14 –, NStZ 2016, 116 sowie Beschluss vom 10. April 2019 – 4 StR 25/19 –, NStZ 2019, 628), befreit den Antragsteller nicht davon, Aufwand für Recherche und Überlegung zu betreiben. Sie ist kein „Freibrief für liederliche Antragsabfassung“ (Ventzke in NStZ 2019, 629 (630)).

Danach gilt vorliegend Folgendes: In der Antragsbegründung wird präzisiert, welche Wahrnehmung ein durchschnittlicher Betrachter dieser Bilder auf den ersten Blick machen soll. Damit kann dem Antrag im Wege der Auslegung die Behauptung einer konkreten Tatsache, in diesem Fall innerpsychische Vorgänge oder Gegebenheiten (vgl. Krehl in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. (2023), § 244 Rn. 69) mit potentieller Bedeutung für die Schuldfrage, entnommen werden. Denn ein pornographischer Inhalt zeichnet sich wesentlich dadurch aus, in seiner Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf sexuelle Stimulation angelegt zu sein (Eisele in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 184 Rn. 8 m. w. N.).

Hingegen fehlt es dem Antrag, soweit er auf den Nachweis „anderer als sexueller Empfindungen“ gerichtet ist, an der bestimmten Behauptung einer konkreten Tatsache. Denn diese Wendung umschreibt – auch unter Berücksichtigung der Antragsbegründung – nur das mit der Beweiserhebung verfolgte Ziel. Welche Empfindungen hier genau entstehen, ist nicht bestimmt mitgeteilt. Stattdessen werden nur Mutmaßungen in verschiedenste Richtungen („unsittlich, anstößig, Ekel erregend, lustig“) angestellt, die ihrerseits zumindest in Teilen Wertungscharakter tragen.

bb.) Die Angabe eines bestimmten Beweismittels verlangt beim Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen schon mit Blick auf die Auswahlbefugnis des Gerichts gemäß § 73 Abs. 1 StPO nicht die Angabe eines ganz bestimmten Sachverständigen (allgemeine Ansicht, vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. (2022), § 244 Rn. 21). Grundsätzlich ist auch die ausdrückliche Angabe des Fachgebietes nicht erforderlich, da sich dieses ohne weiteres aus der Angabe der Beweistatsache oder des Beweisziels ergibt (KK/Krehl, a.a.O, Rn. 80; abweichend Hamm/Pauly, Rn. 153). Hieran schließt das Konnexitätserfordernis in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO an. Dieses verlangt, dass dem Antrag nachvollziehbar zu entnehmen sein muss, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Einer ausdrücklichen Darlegung hierzu bedarf es indes nicht, wenn sich – wie dies bei Anträgen auf Anhörung eines Sachverständigen häufig der Fall ist – der erforderliche Zusammenhang von selbst versteht (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2014 – 1 StR 379/13 –, NStZ 2014, 282 (283); KK/Krehl, a.a.O., Rn. 83; Schmitt, a.a.O., Rn. 21b).

Die hier zu entscheidende Konstellation liegt jedoch anders. Denn die vom Antragsteller behaupteten Empfindungen und Wahrnehmungen können die Expertise ganz unterschiedlicher Fachgebiete betreffen. Dies zeigt schon der Stand von Rechtsprechung und Literatur zur Auslegung des Pornographiebegriffs. So wurden in dem dem „Opus Pistorum“-Urteil des BGH vom 21. Juni 1990 (1 StR 477/89BGHSt 37, 55) zugrundeliegenden Fall gleich mehrere Literatursachverständige angehört. Frommel bezieht sich auf die Erkenntnisse von Lernforschern sowie Medien- und Kommunikationswissenschaftlern (NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 184e Rn. 8). Laue (in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. (2022), § 184 StGB Rn. 5) sieht ein Erfordernis, den schädigenden Einfluss auf Kinder und Jugendliche zu klären, was einer gutachtlichen Prüfung bedürfe. Unschwer ist somit denkbar, dass hier fachspezifische Kenntnisse aus dem Bereich der Psychologie, anderer Kulturwissenschaften (vgl. etwa LK/Laufhütte/Roggenbuck, 12. Aufl. (2009), § 184 Rn. 11: „Künstlerisch vorgebildete Menschen“; ebenso Hörnle in: Münchner Kommentar zum StGB, 4. Aufl. (2021), § 184 Rn. 26) oder medizinischer Disziplinen (Sexualmedizin, Neurologie, Psychiatrie) von Belang sein können.

Spricht also die dem Beweisantrag zugrundeliegende Thematik somit eine Fülle unterschiedlicher Fachgebiete an, von denen nicht eines von vorne herein klar im Vordergrund steht, so gebietet es das Konnexitätserfordernis, im Beweisantrag Darlegungen zum Fachgebiet des Sachverständigen anzubringen, dessen Anhörung der Antragsteller wünscht. Denn anderenfalls ist dem Gericht die sinnvolle Prüfung des Ablehnungsgrundes der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels nicht möglich (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 – 5 StR 38/08BGHSt 52, 284 (288); Schmitt, a.a.O., Rn. 21; Bachler in: BeckOK-StPO, 46. Edition (Stand 1. Januar 2023), § 244 Rn. 25). An solchen Ausführungen fehlt es in dem Antrag.

c.) Daher war das Begehren als Beweisermittlungsantrag zu behandeln. Dessen Ablehnung ist vom Revisionsgericht unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu prüfen. Hiernach erweist sich die Rüge als unzulässig, da die Revisionsbegründung weder vorträgt, welche konkreten Ergebnisse das Gutachten des Sachverständigen erbracht hätte, noch, aufgrund welcher Umstände und Vorgänge sich die Strafkammer zu dieser Beweiserhebung gedrängt sehen musste (BGH, Urteil vom 15. September 1998 – 5 StR 145/98 –, NStZ 1999, 45 (46); vgl. KK/Krehl, a.a.O., Rn. 216 m. w. N.). Dies gilt umso mehr, als die in der Revisionsbegründung angeführte Kommentierung (Hörnle, a.a.O.) zur Anhörung eines Sachverständigen in derartigen Fällen ausdrücklich hervorhebt: „Notwendig ist dies jedoch regelmäßig nicht.“