Heute stelle ich einige Entscheidungen zum KCanG vor.
Nach den Feststellungen des LG verwahrten die zunächst gemeinsam Angeklagten B. und S. am 24.05.2021 gegen 20:26 Uhr in der von ihnen zusammen bewohnten Wohnung insgesamt 1.047,13 g netto Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt zwischen 2,52% und 3,0% und damit einer Gesamtwirkstoffmenge von 26,09 g THC. Davon verwahrte der Angeklagte B. in der Küche insgesamt 29,15 g netto Marihuana zum Eigenkonsum. Die übrige Menge Marihuana wurde dem Angeklagten S. zugeordnet. Eine betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis lag nicht vor. Der Angeklagte B. war zum Tatzeitpunkt fünfunddreißig Jahre alt und verwahrte nach den Feststellungen 29,15 g Marihuana zum persönlichen Eigenkonsum an seinem Wohnsitz.
Gegen den Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, der sich die Generalstaatsanwaltschaft angeschlossen hat. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg:
„1. Bezüglich einer etwaigen Strafbarkeit wegen des Besitzes von Cannabis ist der lex-mitior-Grundsatz (§ 2 Abs. 3 StGB) heranzuziehen: Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.
a) Am 1. April 2024 ist das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG) vom 27. März 2024 in Kraft getreten (BGBl. 2024 I Nr. 109). Nach der Neuregelung unterfällt Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sodass sich die Strafbarkeit der hier zu beurteilenden Tat nach dem Konsumcannabisgesetz bestimmt. Dabei ist Marihuana als Bestandteil der Cannabispflanze (§ 1 Nr. 4 KCanG) vom Begriff Cannabis umfasst, § 1 Nr. 8 KCanG. Ob das Tatzeitrecht oder das neue Recht nach dem KCanG für den Angeklagten günstiger und damit gemäß § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung zu bringen ist, richtet sich nach einem konkreten Gesamtvergleich im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 11. September 2024 – 3 StR 261/24, juris Rn. 10; Beschl. v. 7. August 2024 – 3 StR 278/24, juris Rn. 13; Beschl. v. 26. Juni 2024 – 3 StR 201/24, juris Rn. 7; BGHSt 67, 130 Rn. 12 f. m.w.N.; Beschl. v. 14. Oktober 1982 – 3 StR 363/82, NStZ 1983, 80; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 2 Rn. 8 f.). Der Vergleich zwischen § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG und § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG zeigt, dass Letzteres das mildere Gesetz ist. Denn nach diesem beginnt die Strafbarkeit des Besitzes von Cannabis erst ab einer Grenze von mehr als 30 g.
b) Dies steht auch nicht im Widerspruch mit dem Recht der Europäischen Union. Nach Artikel 2 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25.10.2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. L 335 S. 8), der zuletzt durch Artikel 1 Richtlinie (EU) Nr. 2021/802 (ABl. L 178 v. 12. März 2021, S. 1) geändert worden ist („Rahmenbeschluss 2004“) sind das Ein- und Ausführen, Herstellen, Zubereiten, Anbieten, Verkaufen, Liefern von Drogen, zu denen auch Cannabis gehört, durch die Mitgliedstaaten unter Strafe zu stellen. Das Besitzen oder Kaufen von Drogen ist nur dann unter Strafe zu stellen, wenn dies deshalb erfolgt, um eine der im Satz zuvor genannten Handlungen zu begehen (Art. 2 Abs. 1c des Rahmenbeschlusses). Im Übrigen ist der Anwendungsbereich dann nicht nach Art. 2 Abs. 2 dieses Rahmenbeschlusses eröffnet, wenn die Taten durch die Täter „ausschließlich für ihren persönlichen Konsum im Sinne des nationalen Rechts begangen“ wurden.
c) Damit ist das neue Recht für den Angeklagten günstiger als das Tatzeitrecht. Der Angeklagte ist wegen des Besitzes von 29,15 g Marihuana zum Eigenkonsum wegen Unterschreitung des Schwellenwertes nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG nicht nach dieser Vorschrift strafbar.
2. Die Prüfung des Revisionsgerichts umfasst auf die allgemeine Sachrüge hin jedoch auch die Frage, ob das Recht auf den festgestellten Sachverhalt richtig angewendet worden ist und ob die Urteilsfeststellungen hierfür eine tragfähige Grundlage bieten (BGHSt 14, 162 = NJW 1960, 1397; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 337 Rn. 21 m.w.N.).
a) Der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff ist unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten auf seine Strafbarkeit hin zu untersuchen. Der Ausgangspunkt der Prüfung ist dabei die prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO, die damit auch die Grenzen der tatrichterlichen Kognitionspflicht bestimmt (BGH, Urt. v. 14. November 2024 – 3 StR 189/24, juris Rn. 52). Die Kognitionspflicht gebietet es, dass der – durch die zugelassene Anklage abgegrenzte – Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird, wobei das Tatgericht alle in Betracht kommenden Strafvorschriften – ohne Bindung an die in Anklage und Eröffnungsbeschluss aufgeführten Strafnormen – zu prüfen hat (vgl. nur BGH, Urt. v. 5. November 2024 – 5 StR 599/23, juris Rn. 31; BGHSt 22, 105 (106) = NJW 1968, 901 (902); BGHSt 32, 84 (85) = NStZ 1984, 129; BGH, Urt. v. 29. Oktober 2009 – 4 StR 239/09 = NStZ 2010, 222 (223); BGH, Urt. v. 24. Oktober 2013 – 3 StR 258/13 = NStZ-RR 2014, 57; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 264 Rn. 27 m.w.N.).
b) Dies umfasst bei der Dauerstraftat des Besitzes auch die Handlungen zur Begründung der Sachherrschaft über das Cannabis wie den Erwerb oder das Sich-Verschaffen. Denn diese Handlungsformen stellen einen tatbestandserheblichen Tatbeitrag zum Dauerdelikt des Besitzes dar und befinden sich dazu in einer sachlich-rechtlichen Idealkonkurrenz nach § 52 StGB (Fischer, StGB, 72. Aufl., Vorbem. §§ 52 ff. Rn. 60; Weber/Kornprobst/Maier/Weber, BtMG, 6. Aufl., Vorbem. §§ 29 ff. Rn. 577). Damit handelt es sich auch um dieselbe prozessuale Tat nach § 264 StPO (zum Verhältnis zwischen prozessualem und materiell-rechtlichem Tatbegriff BGH, Beschl. v. 24. Mai 2022 – 2 StR 394/21, juris Rn. 11 m.w.N.), sodass sich die tatrichterliche Kognitionspflicht (und die Feststellung einer Verletzung derselben) auch auf solche Tatbeiträge erstreckt (vgl. BGH, Urt. v. 26. September 2024 – 4 StR 115/24, juris Rn. 18).
3. Eine Strafbarkeit wegen des Erwerbs oder der Entgegennahme von Cannabis nach dem zum Tatzeitpunkt geltenden § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG scheidet wegen des lex-mitior-Grundsatzes nach § 2 Abs. 3 StGB aus. Die durch das KCanG geschaffene neue Rechtslage ist wiederum die gegenüber dem Tatzeitrecht für den Angeklagten günstigere Rechtslage.
a) Der Erwerb und die Entgegennahme ist nun in § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG geregelt. Nach dieser Vorschrift können nach Nr. 12a) bis zu 25 g pro Tag und nach Nr. 12b) bis zu 50 g im Monat straffrei erworben beziehungsweise entgegengenommen werden. Zwar liegt die dem Angeklagten zugeordnete Menge von 29,15 g Marihuana über der Grenze der täglich straffrei erwerb- und entgegennehmbaren Menge nach § 34 Abs. 1 Nr. 12a) KCanG, aber unter dem Schwellenwert nach § 34 Abs. 1 Nr. 12b) KCanG.
Es wurden keine Feststellungen dazu getroffen, ob die dem Angeklagten zugeordnete Menge durch diesen an einem Tag erworben oder entgegengenommen wurden oder nicht. Dies kann hier auch dahinstehen, da jedenfalls der Schwellenwert nach § 34 Abs. 1 Nr. 12b) KCanG unterschritten wurde.
b) Einer Anwendung des lex-mitior-Grundsatzes stünde auch nicht die Überlegung entgegen, dass ein Erwerb beziehungsweise die Entgegenahme nur aus einer illegalen Quelle erfolgt sein könne, da zum Tatzeitpunkt keine legalen Erwerbsmöglichkeiten von Cannabis aus Eigenanbau oder Anbauvereinigungen (vgl. § 2 Abs. 3 KCanG) existierten. Eine Auslegung dahingehend, dass nur der Erwerb oder die Entgegennahme aus legalen Quellen straffrei sein soll, ist nicht mit dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG vereinbar. Dieser differenziert nicht danach, ob der Erwerb oder die Entgegennahme aus legalen oder illegalen Quellen erfolgt.
Eine Anwendung dieser Vorschrift nur auf den Erwerb aus legalen Quellen mit der Folge der Strafbarkeit auch bei Unterschreiten der Schwellenwerte des § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 12 KCanG würde dem Grundsatz „nullum crimen sine lege“ (Keine Strafe ohne Gesetz – Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) widersprechen. Denn die Zufügung eines zusätzlichen Tatbestandsmerkmals in eine Strafausschließungsvorschrift hätte eine verfassungswidrige Ausdehnung der Strafbarkeit zur Folge. Unterhalb der Schwellenwerte – wobei es für den hier zu entscheidenden Fall nicht auf die Einordung als strafrechtliche Freigrenze (vgl. BGH, Beschl. v. 12. Juni 2024 – 1 StR 105/24, juris Rn. 22 ff. mit zust. Bespr. Lichtenthäler, FD-StrafR 2024, 817914) oder Freibetrag (BGH, Beschl. v. 24. April 2024 – 4 StR 50/24, juris Rn. 13 ff.) ankommt – liegt eine sog. Bereichsausnahme des Tatbestandes vor (Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., KCanG, § 34 Rn. 170), was dogmatisch einem Strafausschließungsgrund gleichkommt.
4. Ein Verschaffen von Cannabis ist jedoch auch nach der neuen Rechtslage nach § 34 Abs. 1 Nr. 11 KCanG strafbar, ohne dass dort – wie bei § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG – Schwellenwerte enthalten sind.
a) Der Gesetzgeber hat die Tathandlungen des § 34 Abs. 1 KCanG ausdrücklich an die Begrifflichkeiten des Betäubungsmittelgesetzes angelehnt (BT-Drs. 20/8704, S. 94; BGH, Beschl. v. 7. August 2024 – 3 StR 278/24, juris Rn. 7). Damit ist der Ausgangspunkt zur Bestimmung des Bedeutungsgehaltes der Tathandlung des Verschaffens nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG die betäubungsmittelrechtliche Auslegung der Verschaffenshandlung nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG. Ein Sich-Verschaffen liegt im Sinne des BtMG vor, wenn der Täter die tatsächliche Verfügungsgewalt über ein Betäubungsmittel auf andere Weise als beim Erwerb oder dem Entgegennehmen erlangt, also ohne Rechtsgeschäft, insbesondere auf strafbarem Weg durch Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Raub oder (räuberische) Erpressung (Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., KCanG, § 34 Rn. 161; BeckOK-BtMG/Hollering/Köhnlein, Stand: 15. September 2024, KCanG, § 34 Rn. 215.2; MK-StGB/O?lakc?o?lu, BtMG, 4. Aufl., § 29 Rn. 998, 1000; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1258). Deshalb ist bei der Übertragung des Bedeutungsgehalts auf das KCanG davon auszugehen, dass unter dem Sich-Verschaffen im Sinne der § 34 Abs. 1 Nr. 11 KCanG ein den Erwerb und die Entgegennahme ausschließendes sonstiges Sich-Verschaffen wie in § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtmG zu verstehen ist, auch um ein Leerlaufen der Schwellenwerte des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG zu vermeiden (vgl. hierzu Weiß, wistra 2024, 225, 227).
b) Zur Frage, auf welche Art und Weise der Angeklagte in den Besitz des Marihuanas gekommen ist, wurden keine Feststellungen getroffen, sodass insbesondere auch keine Anhaltspunkte für ein etwaiges strafbares Erlangen der Verfügungsgewalt über das Marihuana durch Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Raub oder (räuberische) Erpressung gegeben ist. Nach Überzeugung des Senats ist hierzu auch bei einer weiteren Verhandlung keine weitere Aufklärung mehr zu erwarten, sodass nicht von einem Verschaffen im Sinne von § 34 Abs. 1 Nr. 11 KCanG auszugehen ist.“