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Drei Beschlüsse zur Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: KCanG, Cannabiskonsum, berufliche Gründe, Diabetes

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Heute dann „Kessel-Buntes-Tag“, und zwar mit einigen verwaltungsrechtlichen Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG.

Ich beginne mit drei Entscheidungen aus Bayern, von denen ich aber nur die Leitsätze vorstelle. Das sind:

1. Die regelmäßige Einnahme von Cannabis hat nach der Rechtslage vor dem 01.04.2024 gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 FeV ohne das Hinzutreten weiterer Umstände im Regelfall die Fahreignung ausgeschlossen.

2. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Anfechtung einer Entziehung der Fahrerlaubnis ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich. Eine Rückwirkung der für den Fahrerlaubnisinhaber günstigeren Neuregelung nach der Rechtsänderung am 01.04.2024 hat der Gesetz- und Verordnungsgeber nicht vorgesehen. Sie ist im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der bisherigen Regelung auch nicht verfassungsrechtlich geboten.

  • BayVGH, Beschl. v. 19.12.2024 – 11 CS 24.1933 – Zur Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem und zur – verneinten – Unverhältnismäßigkeit bei beruflicher Angewiesenheit auf die Fahrerlaubnis:

Dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen kommt angesichts der Gefahren durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr besonderes Gewicht gegenüber den Nachteilen zu, die einem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen.

Ergeben sich Zweifel an der Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers aus einer feststehenden insulinbehandelten Diabetes-Erkrankung mit einer reduzierten Hypoglykämiewahrnehmung und überdies aus einer Polyneuropathie mit einer einer leichtgradigen Gangunsicherheit und einer eingeschränkten linken Fußhebung, kann die Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis entziehen.

KCanG III: Regelmäßiger Konsum – altes/neues Recht, oder: Sofortige Vollziehung der Entziehung der FE?

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Im dritten Posting des Tages habe ich dann noch eine Entscheidung aus dem Verkehrsverwaltungsrecht. Normalerweise kommen Entscheidungen aus dem Bereich ja am Samstag, aber der VG Magdeburg, Beschl. v. 21.06.2024 – 1 B 95/24 MD – passt thematisch auch heute.

Es geht um die Auswirkungen der neuen Rechtslage bei Cannabis auf die Fahrerlaubnisentziehung. Dazu hatte ich ja bereits auch den OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.09.2024 – 12 PA 27/24 – vorgestellt, das zu den Auswirkungen ja bereits Stellung genommen hat (vgl. Änderungen der FeVO durch das CanG und KCanG, oder: Auswirkungen auf Entziehungsverfahren?).

Nun also auch das VG Magdeburg. Gestritten wird in dem Verfahren um die Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung. Dem Antragsteller war von der Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis entzogen worden. Er war mit einem Joint und Cannabis in Form einer Blüte angetroffen worden. Gegenüber dem kontrollierenden Beamten hatte er angegeben, dass er regelmäßig Cannabis konsumiere, um seine Psyche zu beruhigen. Er verwende es wie ein Feierabendbier. Deshalb hatte man an seiner Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs gezweifelt und die Fahrerlaubnis entzogen.

Der u.a. dagegen gerichtete Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes gegen den (auch) angeordneten Sofortvollzug hatte beim VG Erfolg:

„…..

c) Die Interessenabwägung fällt jedoch zuungunsten der Antragsgegnerin aus, da das im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO durch das Gericht zu prüfende überwiegende, besondere Vollzugsinteresse der Allgemeinheit an der sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers nicht gegeben ist.

Ein solches, materielles Interesse am Vollzug vor Eintritt der Bestandskraft eines Veraltungsaktes muss stets vorliegen, da eine sofortige Vollziehung auf Basis einer behördlichen Anordnung eine Ausnahme von der gesetzlichen Regel darstellt, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung hat und daher das Aussetzungsinteresse des Betroffenen das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit grundsätzlich überwiegt. Es ist gesondert zu prüfen, ob das vorläufige Vollzugsinteresse der Allgemeinheit die Interessen des Betroffenen überwiegen. Dabei kommt es nicht alleine auf die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens an, sondern diese stellt lediglich einen Gesichtspunkt in der von dem Gericht vorzunehmenden Abwägung dar (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. September 1991 – 4 M 125/91 –, NVwZ 1992, 687; VGH München, Beschluss vom 12. März 1996 – 14 CS 95.3873 –, NVwZ-RR 1997, 445; BVerfG, Beschluss vom 12. September 1995 – 2 BvR 1179/95 –, NVwZ 1996, 58; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 21. März 2014 – 8 ME 24/14 –, BeckRS 2014, 49116; VG München, Beschluss vom 11. Juni 2021 – M 7 S 21.1849, BeckRS 2021, 55414 Rn. 45; vgl. ebenfalls zum Maßstab: Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 156 ff.). Hiernach überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit an der Entziehung der Fahrerlaubnis. Dies ergibt sich maßgeblich aus der gesetzgeberischen Neubewertung und Neugewichtung des Gefährdungspotentials des Cannabiskonsums, nach der der dem Antragsteller zur Last gelegte Sachverhalt keine Eignungszweifel mehr begründen kann.

Mit dem zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) vom 27. März 2024 hat der Gesetzgeber in Artikel 14 dieses Gesetzes in Bezug auf die Beeinträchtigung der Fahreignung durch den Konsum von THC-haltigen Cannabis eine Neubewertung vorgenommen. Nach dieser neuen Bewertung ist eine Fahreignung bei Cannabiskonsum nur noch dann im Regelfall nicht gegeben, wenn Missbrauch (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV) vorliegt, oder eine Abhängigkeit (Nr. 9.2.3 der Anlage 4 zur FeV) festgestellt ist. Ob für die Bestimmung der Abhängigkeit auf die Maßstäbe der ICD-10F 12.2 (Psychische und Verhaltensstörung durch Konsum von Cannabinoiden Abhängigkeitssyndrom) abzustellen ist, oder ob andere Grundsätze gelten, kann dahinstehen. Denn in jedem Fall setzt eine Abhängigkeit auch im Vergleich zum Missbrauch eine quantitative Konsumsteigerung voraus (vgl. zur Alkoholproblematik: Siegmund, in: Freymann/Wellner, juris PK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage, § 13 FeV (Stand: 6. Juni 2024) Rn. 26). Vorliegend sind indes selbst die Voraussetzungen eines Missbrauchs nicht feststellbar. Missbrauch ist nach der in der Nr. 9.2.1 enthaltenen Legaldefinition dann gegeben, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Cannabiskonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Mithin hat der Gesetzgeber auf Grund einer neuerlichen Gefährdungsbeurteilung des Cannabiskonsums diesen den in der Nr. 8 der Anlage 4 FeV enthaltenen Regelungen zur (regelmäßig fehlenden) Fahreignung bei Alkoholkonsum gleichgestellt. Anhaltspunkte für einen Missbrauch durch den Antragsteller sind nicht erkennbar. Es ist nicht durch die Antragsgegnerin ermittelt oder sonst feststellbar, dass der Antragsteller in zeitlicher Hinsicht nicht zwischen seinem Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen trennt. Hierfür bedürfte es Anhaltspunkte für einen fehlenden zeitlichen Abstand zwischen beiden oder für eine zeitliche Überlagerung von beiden Handlungen, wofür vorliegend jedoch nichts spricht. Auch aus der Aussage des Antragstellers, er konsumiere Cannabis wie ein „Feierabendbier“ folgt nicht, dass der Konsum des Antragstellers ein missbräuchlicher ist. Hierfür bedürfte es weiterer Anhaltspunkte, dass der Konsum quantitativ im Übermaß stattfindet oder der Antragsteller keine hinreichende Zeit nach dem Konsumakt verstreichen lässt, um erneut ein Fahrzeug zu führen. Aus dieser Neugewichtung durch den Gesetzgeber folgt, dass, wenn ein Missbrauch oder eine Abhängigkeit von Cannabis nicht feststellbar ist, keine Eignungszweifel bestehen. Mithin überwiegt in einem solchen Fall das Mobilitätsinteresse des Betroffenen die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit. Auf Grund der gesetzgeberischen Neubewertung ist in Fällen, in denen ein Missbrauch oder eine Abhängigkeit nicht gegeben ist, das Gefährdungspotential für die Rechtsgüter Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie das Eigentum (Art. 14 GG) der anderen Verkehrsteilnehmer als nicht hinreichend groß anzusehen, um dem Betroffenen die Teilnahme am Straßenverkehr zu versagen. Dass der Antragsteller im Klageverfahren voraussichtlich unterliegen wird, ändert hieran – wie dargestellt – nichts.“

Im Zweifel wird der Antragsteller im Hauptsachverfahren keinen Erfolg haben. Denn Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung ist, anders als in Bußgeldverfahren, wo nach § 4 Abs. 3 OWiG das mildeste Gesetz Anwendung findet, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist: Das ist der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids (siehe dazu OVG Lüneburg, a.a.O.).

Eine andere Frage ist, ob dem Antragsteller die Fahrerlaubnis auf Antrag nicht sofort wieder erteilt werden muss/müsste, da insoweit die neue Rechtslage Anwendung findet. Es ist also zu überlegen, ob man nicht den Bescheid über die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtskräftig werden lässt und sogleich einen Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis stellt.

KCanG II: Zuständigkeit für Neufestsetzung der Strafe, oder: Noch nicht erledigte Maßregel der Unterbringung

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Im zweiten Posting zum KCanG dann zwei Entscheidungen zur Neufestsetzung der Strafe, und zwar:

Der BGH hat im BGH, Beschl. v. 23.10.2024 – 2 ARs 179/24 – zur Zuständigkeit für die Neufestsetzung der Strafe, zu der sich ja auch schon einige OLG geäußert haben, Stelllung genommen, und zwar wie folgt:

1. Zuständig für die Entscheidungen nach Art. 316p in Verbindung mit Art. 313
EGStGB ist nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern stets das Gericht
des ersten Rechtszugs.

2. Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB ist in den Fällen des Art. 313 Abs. 3 EGStGB
entsprechend anzuwenden.

Damit dürfte das Problem, wenn es denn eins war, erledigt sein. Die Entscheidung ist übrigens zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt.

Und dann habe ich noch den OLG Hamm, Beschl. v. 19.11.2024 – 3 Ws 368/24 – zur Frage, was bei Neufestsetzung einer (Gesamt)Strafe eigentlich aus einer – noch nicht erledigten – Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wird, wenn dazu keine Entscheidung getroffen wird:

1. Trifft ein Gericht bei der Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p i. V. m. Art. 313 Abs. 4 EGStGB keine ausdrückliche Entscheidung zu der mit der Gesamtstrafe angeordneten – noch nicht erledigten – Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, so ist damit die Maßregel nicht zwangsläufig in Wegfall gebracht. Ob sich der (Einzel-)Straferlass unter Neufestsetzung einer Gesamtstrafe auf die Maßregel erstreckt, ist vielmehr durch Auslegung zu ermitteln.

2. Zwar ordnet das Gesetz in Art. 313 Abs. 1 S. 2 EGStGB an, dass sich der Straferlass auch auf Maßregeln erstreckt. Aber erst dann, wenn durch den Straferlass die für die Maßregelanordnung maßgeblichen Anlasstaten betroffen sind, ist überhaupt eine Entscheidung über dieselbe veranlasst gewesen.

KCanG I: Quelle für Erwerb zum Eigenverbrauch, oder: „Geldwäsche“ bei Erwerb unter dem Schwellenwert

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Heute stelle ich einige Entscheidungen zum KCanG vor.

Ich starte mit dem OLG Hamburg, Urt. v. 12.12.2024 – 5 ORs 21/24 -, das sich zum Besitz und/oder Erwerb von Cannabis äußert. Dem Angeklagten und einem bereits rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten ist mit der Anklage das gemeinschaftliche Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegt worden. Das AG hat beide Angeklagte jeweils wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen. Gegen dieses Urteil hat nur der Angeklagte Berufung eingelegt. Das LG hat dann das AG-Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.

Nach den Feststellungen des LG verwahrten die zunächst gemeinsam Angeklagten B. und S. am 24.05.2021 gegen 20:26 Uhr in der von ihnen zusammen bewohnten Wohnung insgesamt 1.047,13 g netto Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt zwischen 2,52% und 3,0% und damit einer Gesamtwirkstoffmenge von 26,09 g THC. Davon verwahrte der Angeklagte B. in der Küche insgesamt 29,15 g netto Marihuana zum Eigenkonsum. Die übrige Menge Marihuana wurde dem Angeklagten S. zugeordnet. Eine betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis lag nicht vor. Der Angeklagte B. war zum Tatzeitpunkt fünfunddreißig Jahre alt und verwahrte nach den Feststellungen 29,15 g Marihuana zum persönlichen Eigenkonsum an seinem Wohnsitz.

Gegen den Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, der sich die Generalstaatsanwaltschaft angeschlossen hat. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg:

„1. Bezüglich einer etwaigen Strafbarkeit wegen des Besitzes von Cannabis ist der lex-mitior-Grundsatz (§ 2 Abs. 3 StGB) heranzuziehen: Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

a) Am 1. April 2024 ist das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG) vom 27. März 2024 in Kraft getreten (BGBl. 2024 I Nr. 109). Nach der Neuregelung unterfällt Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sodass sich die Strafbarkeit der hier zu beurteilenden Tat nach dem Konsumcannabisgesetz bestimmt. Dabei ist Marihuana als Bestandteil der Cannabispflanze (§ 1 Nr. 4 KCanG) vom Begriff Cannabis umfasst, § 1 Nr. 8 KCanG. Ob das Tatzeitrecht oder das neue Recht nach dem KCanG für den Angeklagten günstiger und damit gemäß § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung zu bringen ist, richtet sich nach einem konkreten Gesamtvergleich im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 11. September 2024 – 3 StR 261/24, juris Rn. 10; Beschl. v. 7. August 2024 – 3 StR 278/24, juris Rn. 13; Beschl. v. 26. Juni 2024 – 3 StR 201/24, juris Rn. 7; BGHSt 67, 130 Rn. 12 f. m.w.N.; Beschl. v. 14. Oktober 1982 – 3 StR 363/82, NStZ 1983, 80; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 2 Rn. 8 f.). Der Vergleich zwischen § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG und § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG zeigt, dass Letzteres das mildere Gesetz ist. Denn nach diesem beginnt die Strafbarkeit des Besitzes von Cannabis erst ab einer Grenze von mehr als 30 g.

b) Dies steht auch nicht im Widerspruch mit dem Recht der Europäischen Union. Nach Artikel 2 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25.10.2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. L 335 S. 8), der zuletzt durch Artikel 1 Richtlinie (EU) Nr. 2021/802 (ABl. L 178 v. 12. März 2021, S. 1) geändert worden ist („Rahmenbeschluss 2004“) sind das Ein- und Ausführen, Herstellen, Zubereiten, Anbieten, Verkaufen, Liefern von Drogen, zu denen auch Cannabis gehört, durch die Mitgliedstaaten unter Strafe zu stellen. Das Besitzen oder Kaufen von Drogen ist nur dann unter Strafe zu stellen, wenn dies deshalb erfolgt, um eine der im Satz zuvor genannten Handlungen zu begehen (Art. 2 Abs. 1c des Rahmenbeschlusses). Im Übrigen ist der Anwendungsbereich dann nicht nach Art. 2 Abs. 2 dieses Rahmenbeschlusses eröffnet, wenn die Taten durch die Täter „ausschließlich für ihren persönlichen Konsum im Sinne des nationalen Rechts begangen“ wurden.

c) Damit ist das neue Recht für den Angeklagten günstiger als das Tatzeitrecht. Der Angeklagte ist wegen des Besitzes von 29,15 g Marihuana zum Eigenkonsum wegen Unterschreitung des Schwellenwertes nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG nicht nach dieser Vorschrift strafbar.

2. Die Prüfung des Revisionsgerichts umfasst auf die allgemeine Sachrüge hin jedoch auch die Frage, ob das Recht auf den festgestellten Sachverhalt richtig angewendet worden ist und ob die Urteilsfeststellungen hierfür eine tragfähige Grundlage bieten (BGHSt 14, 162 = NJW 1960, 1397; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 337 Rn. 21 m.w.N.).

a) Der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff ist unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten auf seine Strafbarkeit hin zu untersuchen. Der Ausgangspunkt der Prüfung ist dabei die prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO, die damit auch die Grenzen der tatrichterlichen Kognitionspflicht bestimmt (BGH, Urt. v. 14. November 2024 – 3 StR 189/24, juris Rn. 52). Die Kognitionspflicht gebietet es, dass der – durch die zugelassene Anklage abgegrenzte – Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird, wobei das Tatgericht alle in Betracht kommenden Strafvorschriften – ohne Bindung an die in Anklage und Eröffnungsbeschluss aufgeführten Strafnormen – zu prüfen hat (vgl. nur BGH, Urt. v. 5. November 2024 – 5 StR 599/23, juris Rn. 31; BGHSt 22, 105 (106) = NJW 1968, 901 (902); BGHSt 32, 84 (85) = NStZ 1984, 129; BGH, Urt. v. 29. Oktober 2009 – 4 StR 239/09 = NStZ 2010, 222 (223); BGH, Urt. v. 24. Oktober 2013 – 3 StR 258/13 = NStZ-RR 2014, 57; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 264 Rn. 27 m.w.N.).

b) Dies umfasst bei der Dauerstraftat des Besitzes auch die Handlungen zur Begründung der Sachherrschaft über das Cannabis wie den Erwerb oder das Sich-Verschaffen. Denn diese Handlungsformen stellen einen tatbestandserheblichen Tatbeitrag zum Dauerdelikt des Besitzes dar und befinden sich dazu in einer sachlich-rechtlichen Idealkonkurrenz nach § 52 StGB (Fischer, StGB, 72. Aufl., Vorbem. §§ 52 ff. Rn. 60; Weber/Kornprobst/Maier/Weber, BtMG, 6. Aufl., Vorbem. §§ 29 ff. Rn. 577). Damit handelt es sich auch um dieselbe prozessuale Tat nach § 264 StPO (zum Verhältnis zwischen prozessualem und materiell-rechtlichem Tatbegriff BGH, Beschl. v. 24. Mai 2022 – 2 StR 394/21, juris Rn. 11 m.w.N.), sodass sich die tatrichterliche Kognitionspflicht (und die Feststellung einer Verletzung derselben) auch auf solche Tatbeiträge erstreckt (vgl. BGH, Urt. v. 26. September 2024 – 4 StR 115/24, juris Rn. 18).

3. Eine Strafbarkeit wegen des Erwerbs oder der Entgegennahme von Cannabis nach dem zum Tatzeitpunkt geltenden § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG scheidet wegen des lex-mitior-Grundsatzes nach § 2 Abs. 3 StGB aus. Die durch das KCanG geschaffene neue Rechtslage ist wiederum die gegenüber dem Tatzeitrecht für den Angeklagten günstigere Rechtslage.

a) Der Erwerb und die Entgegennahme ist nun in § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG geregelt. Nach dieser Vorschrift können nach Nr. 12a) bis zu 25 g pro Tag und nach Nr. 12b) bis zu 50 g im Monat straffrei erworben beziehungsweise entgegengenommen werden. Zwar liegt die dem Angeklagten zugeordnete Menge von 29,15 g Marihuana über der Grenze der täglich straffrei erwerb- und entgegennehmbaren Menge nach § 34 Abs. 1 Nr. 12a) KCanG, aber unter dem Schwellenwert nach § 34 Abs. 1 Nr. 12b) KCanG.

Es wurden keine Feststellungen dazu getroffen, ob die dem Angeklagten zugeordnete Menge durch diesen an einem Tag erworben oder entgegengenommen wurden oder nicht. Dies kann hier auch dahinstehen, da jedenfalls der Schwellenwert nach § 34 Abs. 1 Nr. 12b) KCanG unterschritten wurde.

b) Einer Anwendung des lex-mitior-Grundsatzes stünde auch nicht die Überlegung entgegen, dass ein Erwerb beziehungsweise die Entgegenahme nur aus einer illegalen Quelle erfolgt sein könne, da zum Tatzeitpunkt keine legalen Erwerbsmöglichkeiten von Cannabis aus Eigenanbau oder Anbauvereinigungen (vgl. § 2 Abs. 3 KCanG) existierten. Eine Auslegung dahingehend, dass nur der Erwerb oder die Entgegennahme aus legalen Quellen straffrei sein soll, ist nicht mit dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG vereinbar. Dieser differenziert nicht danach, ob der Erwerb oder die Entgegennahme aus legalen oder illegalen Quellen erfolgt.

Eine Anwendung dieser Vorschrift nur auf den Erwerb aus legalen Quellen mit der Folge der Strafbarkeit auch bei Unterschreiten der Schwellenwerte des § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 12 KCanG würde dem Grundsatz „nullum crimen sine lege“ (Keine Strafe ohne Gesetz – Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) widersprechen. Denn die Zufügung eines zusätzlichen Tatbestandsmerkmals in eine Strafausschließungsvorschrift hätte eine verfassungswidrige Ausdehnung der Strafbarkeit zur Folge. Unterhalb der Schwellenwerte – wobei es für den hier zu entscheidenden Fall nicht auf die Einordung als strafrechtliche Freigrenze (vgl. BGH, Beschl. v. 12. Juni 2024 – 1 StR 105/24, juris Rn. 22 ff. mit zust. Bespr. Lichtenthäler, FD-StrafR 2024, 817914) oder Freibetrag (BGH, Beschl. v. 24. April 2024 – 4 StR 50/24, juris Rn. 13 ff.) ankommt – liegt eine sog. Bereichsausnahme des Tatbestandes vor (Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., KCanG, § 34 Rn. 170), was dogmatisch einem Strafausschließungsgrund gleichkommt.

4. Ein Verschaffen von Cannabis ist jedoch auch nach der neuen Rechtslage nach § 34 Abs. 1 Nr. 11 KCanG strafbar, ohne dass dort – wie bei § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG – Schwellenwerte enthalten sind.

a) Der Gesetzgeber hat die Tathandlungen des § 34 Abs. 1 KCanG ausdrücklich an die Begrifflichkeiten des Betäubungsmittelgesetzes angelehnt (BT-Drs. 20/8704, S. 94; BGH, Beschl. v. 7. August 2024 – 3 StR 278/24, juris Rn. 7). Damit ist der Ausgangspunkt zur Bestimmung des Bedeutungsgehaltes der Tathandlung des Verschaffens nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG die betäubungsmittelrechtliche Auslegung der Verschaffenshandlung nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG. Ein Sich-Verschaffen liegt im Sinne des BtMG vor, wenn der Täter die tatsächliche Verfügungsgewalt über ein Betäubungsmittel auf andere Weise als beim Erwerb oder dem Entgegennehmen erlangt, also ohne Rechtsgeschäft, insbesondere auf strafbarem Weg durch Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Raub oder (räuberische) Erpressung (Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., KCanG, § 34 Rn. 161; BeckOK-BtMG/Hollering/Köhnlein, Stand: 15. September 2024, KCanG, § 34 Rn. 215.2; MK-StGB/O?lakc?o?lu, BtMG, 4. Aufl., § 29 Rn. 998, 1000; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1258). Deshalb ist bei der Übertragung des Bedeutungsgehalts auf das KCanG davon auszugehen, dass unter dem Sich-Verschaffen im Sinne der § 34 Abs. 1 Nr. 11 KCanG ein den Erwerb und die Entgegennahme ausschließendes sonstiges Sich-Verschaffen wie in § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtmG zu verstehen ist, auch um ein Leerlaufen der Schwellenwerte des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG zu vermeiden (vgl. hierzu Weiß, wistra 2024, 225, 227).

b) Zur Frage, auf welche Art und Weise der Angeklagte in den Besitz des Marihuanas gekommen ist, wurden keine Feststellungen getroffen, sodass insbesondere auch keine Anhaltspunkte für ein etwaiges strafbares Erlangen der Verfügungsgewalt über das Marihuana durch Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Raub oder (räuberische) Erpressung gegeben ist. Nach Überzeugung des Senats ist hierzu auch bei einer weiteren Verhandlung keine weitere Aufklärung mehr zu erwarten, sodass nicht von einem Verschaffen im Sinne von § 34 Abs. 1 Nr. 11 KCanG auszugehen ist.“

Das OLG hat sich dann auch noch mit einer Strafbarkeit nach § 261 StGB wegen Geldwäsche befasst. Insoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur den dazu vorliegenden Leitsatz des OLG vor, der lautet:

Der Anwendungsbereich des § 261 StGB ist dahingehend einzuschränken, dass der Erwerb und Besitz von Cannabis unterhalb der Schwellenwerte von § 34 Abs. 1 Nrn. 1, 12 KCanG nicht zu einer Geldwäschestrafbarkeit führt. Eine solche teleologische Reduktion des § 261 StGB ist erforderlich, um die Entkriminalisierungsabsicht des Gesetzgebers zu beachten.

KCanG III: Ggf. mildere Strafe nach dem KCanG, oder: Reicht das für eine Halbstrafenaussetzung?

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Und da ja aller guten Dinge drei sind, gibt es natürlich heute auch ein drittes Posting. In dem stelle ich den OLG Schleswig, Beschl. v. 02.12.2024 – 2 Ws 145/24, vor, der sich zur Halbstrafenaussetzung nach § 57 StGB im Hinblick auf eine ggf. mildere Strafe nach dem KCanG äußert. Hier die Leitsätze:

1. Im Rahmen der nach § 57 Abs. 1 StGB und nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorzunehmenden Gesamtwürdigung kommt dem Unrechtsgehalt der begangenen Tat Bedeutung für die künftige Sozial- und Legalprognose bei der Fragestellung zu, welche Taten mit welchem Unrechtsgehalt der Verurteilte nach Haftentlassung begehen könnte.

2. In diesem Rahmen kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass nach § 34 KCanG zu bestrafende künftige Taten einen geringeren Unrechtsgehalt aufweisen als die früheren Verurteilungen auf der Grundlage des BtMG. Für eine nachträgliche Korrektur des Strafmaßes einer auf der Grundlage des BtMG erfolgten Verurteilung ist allerdings außerhalb des Anwendungsbereichs der Art. 316 p, 313 StGB kein Raum.

3. Die Wahrscheinlichkeit einer bei Geltung des KCanG milderen Verurteilung ist kein besonderer Umstand im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB (Anschluss an OLG Celle, Beschluss vom 12. Juni 2024 – 2 Ws 137/24).