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Beschlagnahme eines Gegenstands als Beweismittel, oder: Keine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV

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Und dann mal wieder etwas zur Einziehungsgebühr Nr. 4142 VV RVG, und zwar der OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.03.2024 – 2 Ws 186/23 (S). Es geht um die Frage, ob ggf. bei der Beschlagnahme eines Gegenstands als Beweismittel die Gebühr Nr. 4142 VV RVG entsteht. Das OLG hat die Frage verneint:

„Das Rechtsmittel ist indes unbegründet. Das Landgericht hat die Nr. 4142 VV RVG zu Recht abgesetzt.

Die Verfahrensgebühr „bei Einziehung und verwandten Maßnahmen“ entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen, die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht. Wie der Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme vom 27. Februar 2024 zutreffend ausgeführt hat, löst mithin nicht jede Beschlagnahme den Gebührentatbestand aus, sondern nur solche Beschlagnahmen, deren Ziel es ist, eine der genannten Rechtsfolgen zu ermöglichen und damit die Beseitigung des Gegenstandes (Vermögenswerts) herbeizuführen; bei der Beschlagnahme eines Gegenstands als Beweismittel entsteht die Gebühr hingegen nicht (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 17. Februar 2009- 2 Ws 378/08, BeckRS 2009, 8073; BeckOK-RVG/v. Seltmann/Knaudt, Nr. 4142 Rdnr. 5 mwN.).

Im zugrunde liegenden Ermittlungs- bzw. Strafverfahren ist es zu einer Beschlagnahme mit dem Zweck der Sicherung einer Einziehung nicht gekommen. Die angeordnete Sicherstellung von Uhren, die später dann in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Ulm (17 Js 1306/17) dem Berechtigten ausgehändigt wurden, erfolgte vielmehr aktenkundig ausdrücklich und allein deshalb, weil diese „als Beweismittel von Bedeutung sein können“ (BI. 15 d.A.). Bei dieser Sachlage ist nicht anzunehmen, dass der Antragsteller wegen der beschlagnahmten Uhren mit Blick auf eine Einziehung oder damit verwandte Maßnahme tätig geworden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 17. August 2023, Az.: 2 Ws 102/23 (S)).“

Trifft – leider – zu.

Gegenstandswert II: Gebühren für die Einziehung, oder: Objektives wirtschaftliches Abwehrinteresse

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Und die zweite Entscheidung, der LG Berlin, Beschl. v. 05.03.2024 – 511 Qs 5 und 10/24 – äußert sich dann noch einmal zum Gegenstandswert für die Einziehungsgebühr Nr. 4142 VV RVG. Dazu das LG Berlin:

„2. Die Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes ist auch (teilweise) begründet.

Der Gegenstandswert für die Einziehung richtet sich nach dem objektiven wirtschaftlichen Interesse des Angeklagten an der Abwehr der Anordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 22.05.2019 ¬1 StR 471/18, m.w.N.). Es kommt weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig ist noch ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehlt. Ebenfalls ist nicht erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden ist. Es genügt, dass sie nach Lage der Sache in Betracht kommt (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 14. Februar 2020 – 1 Ws 40/20 -, Rn. 1, juris). Somit ist vorliegend unschädlich, dass weder in der Anklageschrift oder im Eröffnungsbeschluss noch in der Hauptverhandlung auf die Möglichkeit der Einziehung hingewiesen oder ein entsprechender Antrag gestellt worden ist. Maßgeblich ist vielmehr, dass nach dem konkreten Anklagesatz, der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen worden ist, bezüglich des Freigesprochenen (zumindest in jedenfalls sieben von acht ihm zur Last gelegten Taten) eine Einziehung tatsächlich in Betracht kam. Hiervon ist auch das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgegangen.

Wie die Beschwerdebegründung zutreffend wiedergibt, ist ein Vermögensgegenstand oder sonstiger wirtschaftlicher Vorteil ist im Sinne des § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB „durch“ eine rechtswidrige Tat als Tatertrag erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen ist, dass er seiner faktischen Verfügungsgewalt unterliegt. Auf zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse kommt es dabei nicht an. Eine solche Verfügungsgewalt ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Tatbeteiligte im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen kann. Bei mehreren Beteiligten genügt zumindest eine tatsächliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand dergestalt, dass die Möglichkeit eines ungehinderten Zugriffs auf diesen besteht. Für die Bestimmung des Erlangten im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB kommt es allein auf eine tatsächliche Betrachtung an; wertende Gesichtspunkte sind nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht zu berücksichtigen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beteiligte eine zunächst gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später aufgegeben hat (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. nur Beschluss vom 10. Januar 2023 – 3 StR 343/22 -, Rn. 5, mwN).

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist somit maßgeblich, inwieweit der Freigesprochene ungehindert Zugriff auf vermeintlich betrügerisch erlangte Geldbeträge hatte. Dass er insoweit als Mitglied einer Bande angeklagt war, begründet nach dem Zuvorgesagten und der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade keine gesamtschuldnerische Haftung hinsichtlich aller durch irgendwelche Bandenmitglieder (vermeintlich) erlangten wirtschaftlichen Vorteile (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2018 – 5 StR 196/18 -, juris).

Danach ist, da eine weitergehende faktische Verfügungsgewalt nicht ersichtlich ist, auf die Gutachterkosten abzustellen. Die in dem angefochtenen Beschluss in den acht angeklagten Fällen jeweils im Wege der Schätzung ermittelten 300 Euro erweisen sich hingegen als zu niedrig. Für eine Schätzung war bereits deshalb kein Raum, da in den die früheren Anklagevorwürfen betreffenden Fallakten jedenfalls Gutachten des Freigesprochenen vorlagen. Da nach der Anklagehypothese der Freigesprochene mit den vermeintlichen Unfallverursachern kollusiv zusammengewirkt haben soll, sind die gesamten Gutachterkosten wirtschaftlich wertlos und damit erlangtes „Etwas“ im Sinne des § 73 StGB.

Danach gelten folgende Beträge als erlangt:

Fall 2            589,03 Euro (vgl. BI. 84 FA 3)
Fall 3            619,50 Euro (vgl. BI. 39 FA 5)
Fall 4            863,30 Euro (vg. BI. 39 FA 6)
Fall 5            832,83 Euro (vgl. BI. 187 FA 12)
Fall 6            924,05 Euro (vgl. BI. 103 FA 33)
Fall 8            832,83 Euro (vgl. BI. 69 FA 15)
Fall 12                    1.189,29 Euro (vgl. BI. 138 FA 21)

Gesamt:       5.850,83 Euro

Bezogen auf Fall 14 war der Gegenstandswert mit 0 Euro zu bemessen, da es nach der Anklage beim Versuch verblieb und keine Regulierung erfolgte. Mithin hat der Freigesprochene auch aus der Tat nichts erlangt.“

StGB AT III: Neueres zur (Wertersatz)Einziehung, oder: Erweiterte Einziehung, Gesamtstrafe, Aufwendungen

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Und dann habe ich hier noch einiges zur Einziehung (§§ 73 ff. StGB). Auch hier stelle ich nur die Leitsätze zu den Entscheidungen vor. Ich mache keinen „Einziehungstag“, dann werden die Entscheidungen zu alt.

Hier sind dann also:

Die Vorschrift des § 73a StGB ist wie seine Vorgängervorschrift § 73d StGB a.F. gegenüber § 73 StGB subsidiär und kann erst dann zur Anwendung gelangen, wenn nach Ausschöpfung aller zulässigen Beweismittel ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen des § 73 StGB erfüllt sind. Dies schließt es aus, Gegenstände der erweiterten Einziehung zu unterwerfen, die der Angeklagte aus anderen, von der Anklageschrift nicht erfassten, aber konkretisierbaren Straftaten erlangt hat; denn diese Taten können und müssen zum Gegenstand eines gesonderten Strafverfahrens gemacht werden, in dem die Voraussetzungen des vorrangig anwendbaren § 73 StGB zu prüfen sind.

Die versehentliche Nichtaufrechterhaltung einer Einziehung in einem Gesamtstrafenbeschluss ist der versehentlichen Nichtanordnung der Einziehung nicht gleichzusetzen.

1. Die Verschiebung bzw. Weiterreichung eines Wertersatzes unterliegt § 73b Abs. 2 StGB.

2. Weil ersparte Aufwendungen dort allerdings nicht erfasst werden, könnten sie auch nicht nach § 73b Abs. 1 StGB bei anderen, die nicht Täter oder Teilnehmer sind, eingezogen werden.

Erstinstanzliche Verteidigung gegen Einziehung, oder: Welche Kosten-/Auslagenentscheidung?

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Nach dem BayObLG, Beschl. v. 27.10.2023 -204 StRR 394/23, den ich heute Vormittag vorgestellt habe (vgl. hier: Erfolgreiches Rechtsmittel gegen Einziehung, oder: Welche Kosten-/Auslagenentscheidung?), nun zwei weitere Entscheidungen zu Kosten-/Auslagenfragen bei der Einziehung.

Es handelt sich um zwei LG-Entscheidungen, von denen ich aber nur die Leitsätze vorstelle und im Übrigen auf das „Selbstleseverfahren“ verweise. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Zunächst der LG Hildesheim, Beschl. v. 13.12.2023 – 21 Qs 4/23 – zur Frage der Auslagenerstattung für den Einziehungsbeteiligten nach Erlöschen des Einziehungsanspruches vor Verfahrensabschluss. Dazu der Leitsatz:

Die notwendigen Auslagen eines Einziehungsbeteiligen sind regelmäßig nicht aus Billigkeitsgründen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn von einer Einziehungsentscheidung gegen diesen abgesehen wird, nachdem der aus der Tat erwachsene Wertersatzanspruch des Verletzten infolge von diesem veranlasster Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach Anordnung der Einziehungsbeteiligung, aber vor Abschluss des Verfahrens erloschen ist.

Und dann der LG Braunschweig, Beschl. v. 14.12.2023 – 8 Qs 326/23 -, der sich sowohl zur Frage des Gegenstandswertes bei der Einziehung äußert – Stichwort: Gegenstandswert bei unterschiedlichen Werten in der Anklage und dem (Einziehungs)Antrag der Staatsanwaltschaft – und dann auch zur Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO in erstinstanzlichen Verfahren. Hier die beiden Leitsätze:

1. Entscheidend für die Berechnung des Gegenstandswertes für die Nr. 4142 VV RVG ist nicht, in welcher Höhe die Staatsanwaltschaft am Ende der Beweisaufnahme eine Einziehung für gerechtfertigt hält, sondern vielmehr, welcher Betrag durch die Anklageerhebung zum Verfahrensgegenstand gemacht wird.
2. § 465 Abs. 2 StPO ist auch in erstinstanzlichen Verfahren anwendbar.

Ein erfolgreiches Rechtsmittel gegen Einziehung, oder: Welche Kosten-/Auslagenentscheidung?

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Und am RVG-Tag heute dann noch einmal/mal wieder etwas zur Einziehung, und zwar zur Kosten-/Auslagenentscheidung in Zusammenhang mit der Einziehung. Dazu mehren sich die Entscheidungen, und zwar dann, wenn z.B. der Angeklagte erstinstanzlich oder mit einem Rechtsmittel gegen eine Einziehungsentscheidung Erfolg hatte. Zunächst dazu der BayObLG, Beschl. v. 27.10.2023 -204 StRR 394/23. Das BayObLG hat jetzt umfassend Stellung genommen.

Nach dem Sachverhalt hatte das AG den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt und die Einziehung des sichergestellten iPhone 11 des Angeklagten angeordnet. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte unbeschränkt Berufung ein, die keinen Erfolg hatte.

Mit seiner gegen das Berufungsurteil eingelegten Revision hat der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Das Rechtsmittel war, soweit es sich gegen den Schuldspruch des Diebstahls und die hierfür festgesetzte Freiheitsstrafe gerichtet hat, unbegründet und ist nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen worden.

Erfolgreich war die Revision u.a. aber hinsichtlich der angeordneten Einziehung. Das BayObLG hat insoweit festgestellt, dass gemäß § 74 Abs. 1 StGB nur Gegenstände eingezogen werden können, die durch eine vorsätzliche Tat hervorgebracht (Tatprodukte) oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind (Tatmittel). Keine dieser Tatbestandsalternativen treffe auf das sichergestellte Mobiltelefon iPhone 11 des Angeklagten zu. Es hat daher die Anordnung der Einziehung des sichergestellten Mobiltelefons iPhone 11 des Angeklagten entfallen lassen. Das BayObLG hat sodann folgende Kostenentscheidung getroffen: „Die Gerichtskosten werden um die in Bezug auf das Einziehungsverfahren in der Berufungs- und in der Revisionsinstanz anfallenden Gerichtsgebühren gemindert. Die Staatskasse hat die dem Angeklagten im Verfahren aller Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen, die die Einziehung betreffen, zu erstatten. Der Angeklagte hat die weiteren Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.“

Das BayObLG hat seine Entscheidung im BayObLG, Beschl. v. 27.10.2023 -204 StRR 394/23 – umfassens begründet. Den hier im Volltext einzustellen, würde wegen des Umfangs den Rahmen sprengen. Daher nur die Leitsätze:

    1. Entfällt die Einziehungsanordnung aus Rechtsgründen, muss sich dies, wenn die Tragung der gesamten Kosten durch den Angeklagten unbillig wäre, bei der Kostenentscheidung zugunsten des Angeklagten auswirken.
    2. Dies geschieht dadurch, dass die Gerichtskosten um die in Bezug auf das Einziehungsverfahren in den Rechtsmittelinstanzen anfallenden Gebühren (Nrn. 3430 und 3440 KV GKG) gemindert (§ 473 Abs 4 Satz 1 StPO) und dass dem Angeklagten diejenigen durch das Einziehungsverfahren in allen Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen (Nr. 4142 VV RVG) erstattet werden (§ 473 Abs. 4 Satz 2, § 465 Abs. 2 Satz 3 StPO analog).
    3. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung steht dem nicht entgegen, da sich für das Strafverfahren und das Einziehungsverfahren unterschiedliche Gebühren- und Vergütungssysteme gegenüberstehen, die es schwierig machen, den Rechtsmittelerfolg in einer jeweils einheitlichen Quote der zu ermäßigenden Gerichtskosten und der zu erstattenden notwendigen Auslagen abzubilden, während demgegenüber die auf die Einziehung entfallenden Kosten ohne weiteres ausscheidbar sind.

Anzumerken ist: Das BayObLG setzt in der Entscheidung konsequent die Rechtsprechung des BGH, die insoweit den Rechtsgedanken des § 465 Abs. 2 StPO anwendet, um. Das ist m.E. auch zutreffend, weil man den Angeklagten, der sich gegen eine Einziehung gewehrt hat, dann, wenn er zwar verurteilt wird, aber hinsichtlich der Einziehung Erfolg hatte, nicht auf den insoweit entstandenen Gebühren und Auslagen „sitzen lassen“ kann. Denn die dadurch entstehenden Belastungen können beträchtlich sein. Als Verteidiger muss man also diese Rechtsprechung im Blick haben und ggf. gegen die Kostenentscheidung, wenn sie den Teilerfolg nicht berücksichtigt, Rechtsmittel (§ 464 Abs. 3 StPO) einlegen.