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Neuigkeiten zum CanG/KCanG III: Einziehung, oder: Überschreiten der erlaubten nicht geringen Menge

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Author H. Zell

Und dann habe ich hier noch eine Entscheidung zur Einziehung, und zwar den AG Bautzen, Beschl. v. 27.05.2024 – 47 Gs 409/24. In ihm geht es um den Umfang dr Einziehung (von Cannabispflanzen) bei Überschreitung der nicht geringen Menge.

Folgender Sachverhalt:

„Kurz vor dem 12.5.2024 baute der über 18 Jahre alte Beschuldigte in seiner Wohnung auf dem Anwesen pp..straße 21 in pp. vier weibliche Cannabispflanzen zum Eigenkonsum an, welche am 12.5.2024 in einem eigens dafür errichteten Anbauzelt in der Wohnung jeweils in einem Gefäß aufbewahrt wurden. Daneben bewahrte der Beschuldigte 47,494g Cannabisblüten in zwei Gläsern in einem Küchenschrank auf. Sowohl die vier Pflanzen als auch die beiden Gefäße mit den Cannabisblüten wurden durch die Polizei sichergestellt. Dem Beschuldigten war bewusst, dass er für den Anbau von mehr als 3 Cannabispflanzen eine Erlaubnis hatte.

Diese Handlungen strafbar als unerlaubter Anbau von Cannabis gemäß §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 2, 34 Abs. 1 Nr. 2a, 37 KCanG, 74 StGB.

Der Beschuldigte hat die Herausgabe sämtlicher von der Polizei sichergestellten im Tenor bezeichneten Gegenstände verlangt.“

Dazu sagt das AG:

„1. Die Beschlagnahme war nach §§ 94, 98 Abs. 2 i.V.m. § 111b, 111c, 111j Abs. 2 StPO für eine Cannabispflanze richterlich zu bestätigen, da die (vierte) Cannabispflanze nebst Pflanztopf sowohl als Beweismittel dient, als auch der späteren Einziehung im Hauptverfahren nach § 37 KCanG, § 74 StGB unterliegt.

Die angeordnete Maßnahme steht auch im angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat sowie zur Stärke des Tatverdachtes und ist für die weiteren Ermittlungen und die Sicherung der Durchführung des Verfahrens notwendig.

2. Der weitergehende Antrag der Staatsanwaltschaft auf richterliche Bestätigung der Beschlagnahme der sichergestellten drei weiteren Cannabispflanzen und der beiden Glasbehälter mit den Cannabisblüten war indes abzulehnen, da keine gesetzliche Grundlage für diesen Eingriff in die nach Art. 2 Abs. 1, Art. 14 GG geschützten Freiheiten besteht.

a) Beschlagnahme als Einziehungsgegenstand:

Nach der mit dem CanG getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung zur Neuausrichtung im Umgang mit Cannabis sind in gewissen Grenzen unter anderem Besitz und Anbau von Cannabis erlaubt. Damit einhergehend stehen diese erlaubten Tätigkeiten auch nicht (mehr) unter Strafe. Konkret ist nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KCanG der Besitz von bis zu 50 g Cannabis am Wohnsitz (Buchst. a) und der Besitz von bis zu drei lebenden Cannabispflanzen (Buchst. b) erlaubt. Das Additionsverbot von § 3 Abs. 2 Satz 2 KCanG erfasst nicht die Gegenstände und Mengen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a und b KCanG.

Anders als die Staatsanwaltschaft ist das Gericht nicht der Auffassung, dass sich die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat des unerlaubten Anbaus von Cannabis auf alle vier lebenden Cannabispflanzen bezieht und damit alle vier Pflanzen der Beschlagnahme (zur Sicherung der späteren Einziehung) unterliegen. Der Anbau von bis zu drei Cannabispflanzen gleichzeitig zum Eigenkonsum ist nicht nur gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 KCanG straflos, sondern nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG gesetzlich erlaubt. Die in diesem Rahmen erlaubte Tätigkeit wird nicht dadurch insgesamt zur unerlaubten Tätigkeit, da die erlaubte Menge (hier um eine lebende Cannabispflanze) überschritten wird. Eine derartige Auslegung wäre nach Auffassung des Gerichts contra legem. Gleiches gilt im Ergebnis beim Zusammentreffen des Besitzes der nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG erlaubten Menge mit dem gleichzeitigen Anbau von bis zu drei lebenden Cannabispflanzen zum Eigenkonsum, da das Additionsverbot insoweit nicht eingreift.

Das Gericht ist sich durchaus bewusst, dass dies im Ergebnis dazu führen dürfte, dass die Ermittlungsbehörden die erlaubten Mengen Cannabis abwägen bzw. abzählen und beim Beschuldigten belassen oder an zurückgeben werden müssen.

b) Beschlagnahme als Beweisgegenstand:

Eine Beschlagnahme der drei weiteren Cannabispflanzen und der 47,494g Cannabisblüten nach §§ 94, 98 Abs. 2 StPO als Beweisgegenstand kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Staatsanwaltschaft hat bereits nicht vorgetragen, zu welchen Beweiszwecken diese Gegenstände im Strafverfahren Verwendung finden sollen. Es zeigt sich auch nicht als erforderlich, die Gegenstände als potentielle Beweismittel vorerst im staatlichen Gewahrsam zu belassen. Denn eine fotografische Sicherung der Gegenstände ist erfolgt. Nach den Ausführungen der Mitbeschuldigten besteht auch kein Zweifel daran, dass es sich jeweils um Cannabis bzw. Cannabispflanzen handelt. Auch hat der Beschuldigte dies dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er „sein Cannabis“ zurückgefordert hat.

c) Nicht geringe Menge:

Eine Beschlagnahme zu Beweiszwecken käme uneingeschränkt für alle Gegenstände dann in Betracht, wenn sich der Verdacht bestehen würde, dass der Beschuldigte eine nicht geringe Menge (§ 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 4 KCanG) besessen und angebaut hat. Ausgehend von der aktuellen Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 18.04.2024 – 1StR 106/24) liegt die nicht geringe Menge weiterhin bei 7,5 g THC. Die sichergestellte Menge erlaubt jedoch unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen THC-Gehalts von 10 % nicht den Schluss, dass die nicht geringe Menge vorliegend überschritten wurde. Einer solcher Verdachtsrichtung geht auch die Staatsanwaltschaft nicht nach.

Es kommt daher insoweit auch nicht auf die Frage an, ob im Falle einer nicht geringen Menge die gesamte Menge der Einziehung nach § 37 KCanG i.V.m. § 74 StGB und damit einer vorläufigen Beschlagnahme als potentieller Einziehungsgegenstand unterliegen würde oder ob die Einziehung sich nicht auf die Cannabisgegenstände beziehen kann, die keine nicht geringe Menge sind und deren Gewicht bzw. Zahl unterhalb der Freigrenzen nach § 3 Abs. 1 und 2 KCanG liegen.“

VR II: Urteilsfeststellungen beim Alleinrennen, oder: Wir wollen das Fahrverhalten des Täters kennen

Und im zweiten Posting dann gleich noch einmal etwas vom KG, nämlich der KG, Beschl. v. 01.03.2024 – 3 ORs 16/24 – 161 SRs 4/24 – zu den Urteilsfeststellungen bei „Alleinrennen“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB). Mal wieder.

Das AG hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens „mit fahrlässiger Gefährdung von Leib und Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert“  verurteilt. Zugleich hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperre für die Wiedererteilung von sechs Monaten festgesetzt. Schließlich hat das Amtsgericht auch den bei der Tat verwendeten PKW VW Passat eingezogen.

Das AG hat festgestellt, dass der am 03.02.2023 auf einer Fahrstrecke von etwa zwei km Länge ein sogenanntes Einzelrennen durchgeführt und im Zusammenhang mit einem Spurwechsel einen anderen Verkehrsteilnehmer dazu veranlasst zu haben, bis zum Stillstand abzubremsen.

Die hiergegen gerichtete Sprungrevision des Angeklagten hatte mit der Sachrüge Erfolg. Das KG rügt unzureichende Feststellungen:

„1. Die Feststellungen erweisen nicht, dass der Angeklagte den Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht hat.

a) Nach dieser Regelung macht sich strafbar, wer sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert (vgl. Senat StraFo 2019, 342 = VRS 135, 267 = NZV 2019, 314 [m. zust. Anm. Quarch]; NJW 2019, 2788 m. Anm. Zopfs; DAR 2020, 149 = NZV 2020, 210; StV 2022, 29 [Volltext bei juris]). Vor dem Hintergrund der weiten gesetzlichen Formulierung dürfen sich Unschärfen bei der Sachverhaltsermittlung nicht einseitig zum Nachteil des Angeklagten auswirken (vgl. Senat StV 2022, 29 [Volltext bei juris]).

b) Die Urteilsfeststellungen leiden, wie dies bei ähnlichen Fallkonstellationen immer wieder vorkommt (vgl. Senat StV 2022, 29 [Volltext bei juris]), daran, dass sie zu weiten Teilen nicht das Fahrverhalten des Angeklagten darstellen, sondern dasjenige des verfolgenden Polizeifahrzeugs. Über dieses soll sich das Rechtsmittelgericht erschließen, welches Fahrverhalten dem Angeklagten zur Last fällt. Bei den Urteilsfeststellungen zu schildern ist aber nicht vorrangig das den Polizeibeamten zur Verfolgung abgenötigte Fahrverhalten, sondern dasjenige des (vorausfahrenden) Täters, welches das Tatgericht nach freier richterlicher Beweiswürdigung für tatbestandsmäßig hält. Hiervon hat sich zuvörderst der Tatrichter selbst ein Bild zu machen, das er im Urteil niederzulegen und dem Revisionsgericht zu vermitteln hat (vgl. Senat StV 2022, 29 [Volltext bei juris]).

Hier heißt es in den Urteilsfeststellungen, der Fahrer des Polizeifahrzeugs habe „stark beschleunigen“ müssen, „um zu dem PKW Passat aufzuholen, wobei der digitale Tachometer des Polizeifahrzeugs 87 km/h anzeigte“. „Trotzdem“, so heißt es weiter, „entfernte sich der PKW immer weiter“ (UA S. 3). Im gleichen Duktus heißt es später, die polizeilichen Zeugen seien dem Angeklagten weiter gefolgt, mit einer „abgelesenen Geschwindigkeit von 95 km/h“ bzw., dass „der Tachometer 85 km/h anzeigte“ (alles UA S. 3). Schließlich heißt es: „Die Polizeibeamten verfolgten den Angeklagten (…) mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h“ (UA S. 4).  All diese Schilderungen betreffen das Fahrverhalten des Polizeifahrzeugs. Ersichtlich soll das Rechtsmittelgericht daraus Schlussfolgerungen in Bezug auf die Fahrweise des Angeklagten und die von diesem erzielte Geschwindigkeit ziehen. Diese Folgerungen auszuformulieren und sie – in der Beweiswürdigung – zu begründen, ist aber die ureigene Aufgabe des Tatgerichts. Wenn es, wie hier, unterschiedliche Möglichkeiten gibt, die Beweise zu würdigen, ist das Revisionsgericht weder befugt noch in der Lage, dies zu tun.

Hier bleibt unklar, welche vom Angeklagten tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit, die sowohl für den äußeren Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB als auch für die subjektiv erforderliche „Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht“ zentral ist, das Tatgericht für erwiesen erachtet. Die Feststellung, der Tachometer des Polizeifahrzeugs sei digital, sagt nichts darüber aus, ob er geeicht war und ob das Amtsgericht einen Toleranzabzug vorgenommen hat. Dieser hätte bei einem geeichten Geschwindigkeitsmesser geringer ausfallen können als bei einem ungeeichten. Bei letzterem wird – zudem unter jedenfalls in Bezug auf Messstrecke und Abstand im Ansatz standardisierten Bedingungen – von der Rechtsprechung in Bußgeldsachen überwiegend 20% in Abzug gebracht (vgl. Senat DAR 2015, 99).

In diesem Zusammenhang gilt es nicht, einen Rechtssatz mit dem Inhalt zu formulieren, diese Grundsätze seien auf die Feststellung einer Straftat nach § 315d StGB ohne Abweichung zu übertragen. Vielmehr können in Bezug auf Geschwindigkeiten auch valide Schätzungen versierter – ggf. zur Verkehrsüberwachung eingesetzter – polizeilicher Zeugen erwartet werden (vgl. allg. BayObLG NZV 2001, 139; OLG Hamm NZV 1998, 169) und vom Tatgericht in freier richterlicher Beweiswürdigung sogar ohne Abschlag übernommen werden (vgl. Senat StV 2022, 29 [Volltext bei juris]). Aber die Urteilsfeststellungen müssen das Ergebnis dieser Überlegungen in Form der für erwiesen erachteten Geschwindigkeit mitteilen, und im Rahmen der Beweiswürdigung ist klarzustellen, ob ein Toleranzabzug vorgenommen wurde. Unterbleibt dies, bedarf es regelmäßig einer Erklärung.

Nicht bei den Feststellungen, sondern im Rahmen der Beweiswürdigung teilt das Amtsgericht mit, von welcher tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit es ausgeht, nämlich „von bis zu 100 km/h auf einer Strecke von 2 km“ (UA S. 6 u.). Sollte es sich hierbei um eine zusätzliche Urteilsfeststellung handeln, so setzt sie sich in Widerspruch zu den zuvor getroffenen Feststellungen (UA S. 3 – 4), und zudem fehlt ihr eine tragende Beweiswürdigung. Zwar hat einer der polizeilichen Zeugen „von gefahrenen Geschwindigkeiten bis 100 km/h“ gesprochen (UA S. 5). Insoweit fehlt es aber, wie dargelegt, an einer Überprüfung der Validität. Insbesondere wäre mitzuteilen gewesen, ob die Geschwindigkeit mit einem geeichten Tachometer ermittelt und ob ein Toleranzabzug vorgenommen worden ist.“

Auch hier: Immer wieder.

Und bei der Segelanweisung bzw. dem Teil: Wir wollen die Sache nicht wieder sehen, führt das KG aus:

„2. Für den weiteren Verfahrensgang weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Gegen die auf § 315f StGB gestützte Einziehung eines vom Täter bei der Tat geführten PKW ist im Grundsatz nichts zu erinnern. Allerdings wird das Amtsgericht zu beachten haben, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, die im Hinblick auf die Tat und die Persönlichkeit des Täters entsprechend zu begründen ist (vgl. hierzu NK-GVR/Quarch, a.a.O., § 315f StGB Rn. 1). Dies ist hier unterblieben. Das angefochtene Urteil erwähnt lediglich das Baujahr des Fahrzeugs (2011) (UA S. 7).

b) Die Einziehung hat den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar. Wird dem Täter auf diese Weise ein Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, so ist dies ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 2020, 214). Sollte das Amtsgericht erneut zur Einziehung des vom Angeklagten geführten PKW gelangen, so wird es bei der Strafzumessung deutlich zu machen haben, dass es dies als bestimmenden Gesichtspunkt erkannt und berücksichtigt hat.

c) Schließlich ist auch fraglich, ob die bisherigen Feststellungen die Verurteilung wegen der Qualifikation des § 315d Abs. 2 StGB tragen. Die Anforderungen an die hierzu erforderliche konkrete Gefährdung entsprechen denjenigen des § 315b und § 315c StGB (vgl. NK-GVR/Quarch, 3. Aufl., § 315d StGB Rn. 13). Eine konkrete Gefährdung liegt vor, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Notwendig ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen“ (vgl. BGH NStZ 2023, 415).

Die hierzu im Urteil festgestellte Verkehrssituation ist wenig klar. Geschildert wird ein Fahrstreifenwechsel des Angeklagten, in dessen Folge sowohl dieser als auch ein anderer Fahrzeugführer bis zum Stillstand abbremsen mussten. Allerdings erschließt sich der Vorgang nicht gänzlich, zumal die Fahrzeuge des Angeklagten und des anderen Verkehrsteilnehmers offenbar nebeneinander zum Stehen kamen. Das auf diese Weise geschilderte Verkehrsgeschehen ist jedenfalls nicht ohne Weiteres als „Beinaheunfall“ einzustufen, zumal unklar bleibt, ob der andere Fahrer aus einer nicht ganz geringen Geschwindigkeit und zudem stark abbremsen musste. „

StGB III: (Erweiterte) Einziehung von Taterträgen, oder: Kontokorrentgutschrift und Ursprungsort

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Und dann habe ich hier noch zwei Entscheidungen zur Einziehung (§§ 73 ff. StGB), und zwar:

Die Gutschrift auf einem im Kontokorrent geführten Girokonto stellt einen Gegenstand dar, der Grundlage für die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen sein kann.

Die Vorschrift des § 73a StGB ist wie seine Vorgängervorschrift § 73d StGB a.F. gegenüber § 73 StGB subsidiär und kann erst dann zur Anwendung gelangen, wenn nach Ausschöpfung aller zulässigen Beweismittel ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen des § 73 StGB erfüllt sind. Dies schließt es aus, Gegenstände der erweiterten Einziehung zu unterwerfen, die der Angeklagte aus anderen, von der Anklageschrift nicht erfassten, aber konkretisierbaren Straftaten erlangt hat; denn diese Taten können und müssen zum Gegenstand eines gesonderten Strafverfahrens gemacht werden, in dem die Voraussetzungen des vorrangig anwendbaren § 73 StGB zu prüfen sind.

KCanG II: Einziehung von sichergestelltem Cannabis, oder: Die am Wohnort erlaubte Menge gibt es zurück

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Und dann als „Mittagshappen“ das AG Westerstede, Urt. v. 02.04.2024 – 42 Ls 209/23 (375 Js 83173/22) – mit einer ganz interessanten Einziehungsentscheidung; die ist der Grund, warum ich die Entscheidung hier vorstelle.

Das AG ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Der Angeklagte bevorratete am 12.04.2023 im 2. Obergeschoss des Mehrfamilienhauses in der pp. in mehreren Klemmbeuteln insgesamt 992,40 Gramm Cannabis. Dabei hatte er vor, 800,45 Gramm dieser Gesamtmenge in Kleinstmengen gewinnbringend weiterverkaufen. Der Rest des verbleibenden Cannabis (191,95 Gramm) bevorratete er für seinen täglichen Eigenkonsum. Die Gesamtmenge Cannabis wurde im Rahmen einer Durchsuchung am 12.04.2023 durch die Polizeibeamten sichergestellt.“

Deshlab verurteilt es den Angeklagten wie folgt:

„Der Angeklagte hat sich daher des unerlaubten Besitzes von Cannabis in Tateinheit mit gewerbsmäßigen Handeltreiben mit Cannabis nach dem §§ 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, Nr. 4, Abs. 3 S. 2 Nr. 4 Konsumcannabisgesetz, 52 Strafgesetzbuch schuldig gemacht. Es findet nunmehr das seit dem 01.04.2024 in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz Anwendung, worauf im Rahmen der Hauptverhandlung nach § 265 StPO hingewiesen wurde. Hinsichtlich des Handeltreibens ist das Gericht von einer nicht geringen Menge nach § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG ausgegangen. Es lag zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zwar kein Wirkstoffgutachten hinsichtlich des Cannabis vor, allerdings ist bei einer Gesamtmenge von 800,45 Gramm Cannabis selbst unter Zugrundelegung eines sehr niedrigen Wirkstoffgehalts von einer Überschreitung der nicht geringen Menge auszugehen. Ob der ursprüngliche von der Rechtsprechung entwickelte Grenzwert von 7,5 Gramm Cannabis fortan weiter Anwendung findet, kann ebenfalls dahinstehen, da bei der hier aufgefundenen Gesamtmenge jedenfalls von einer Überschreitung auszugehen ist. Hinsichtlich der verbleibenden, aufgefundenen Menge, das zum Eigenkonsum des Angeklagten dienen sollte, von 191,95 Gramm und damit hinsichtlich des unerlaubten Besitzes von Cannabis ist das Gericht zugunsten des Angeklagten nicht davon ausgegangen, dass hier eine nicht geringe Menge im Sinne des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG vorlag.“

Festgesetzt wird eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.

Und zur Einziehung heißt es dann:

„Das sichergestellte Cannabis in einer Gesamtmenge von 942,40 Gramm wurde durch das Gericht nach § 37 S. 2 KCanG in Verbindung mit § 74 Abs. 2 StGB eingezogen. Hierbei ist das Gericht mangels expliziter gesetzlicher Regelung und Vorliegens obergerichtlicher Rechtsprechung zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass von der Gesamtmenge des aufgefundenen Cannabis (992,40 Gramm) eine Menge von 50 Gramm abzuziehen ist, die der Angeklagte nunmehr legal am Wohnort besitzen kann.“

Nach den mir vorliegenden Informationen hat der StA die Einziehungsentscheidung nicht gepasst. Sie ist daher in die Berufung gegangen. Wir werden dazu dann ggf. bald etwas vom LG Oldenburg hören.

Betrug I: Vorsicht – Datingplatformen im Internet, oder: Betrugsmasche „Love scam“

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Heute dann StGB-Entscheidungen, alle drei befassen sich mit Betrug (§ 263 StGB). Als erste Entscheidung hier etwas aus Bayern, nämlich der BayObLG, Beschl. v. 04.04.2024 – 203 StRR 104/24.

Das LG hat die Angeklagte wegen Geldwäsche (§ 261 StGB) verurteilt. Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hat. Das BayObLG nimmt in seiner Verwerfungsentscheidung ua. zum sog. „love scam“ Stellung, und zwar:

„a) Gegen die von ihr getroffene Feststellung, dass die Überweisungen der Geschädigten auf das Konto der Angeklagten aus Betrugsstraftaten von deren flüchtig Bekannten „O.“ herrührten, ist nichts zu erinnern. Bei der Methode „love scam“, die häufig über Dating-Plattformen im Internet praktiziert wird, spiegelt eine Person einer anderen unter Ausnutzung von deren Gutgläubigkeit eine erfundene Identität, eine erfundene Lebensgeschichte, eine erfundene Vertrauensbasis und einen erfundenen dringenden Geldbedarf vor. Sobald das Opfer die erwünschte(n) Zahlung(en), in der Regel über einen Dritten, geleistet hat, bricht der Täter dem Tatplan entsprechend den Kontakt ab und taucht unerkannt und für das Opfer nicht rückverfolgbar ab. Dieses Verhalten des Bekannten der Angeklagten und etwaiger weiterer Beteiligter erfüllt den Tatbestand von § 263 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2022 – 2 StR 395/22 –, juris Rn. 3; LG München I, Urteil vom 27. Juni 2019 – 12 Kls 319 Js 227596/16, BeckRS 2019, 33417 Rn. 77, und dazu BGH, Beschluss vom 21. November 2019 – 1 StR 482/19 –, juris; Metz JR 2019, 492, 494). Die für den Betrug erforderliche Irrtumserregung zum Zeitpunkt der Zahlung belegen die Feststellungen des Landgerichts auch im Falle der Geschädigten R. Dass das Opfer im Laufe der Ermittlungen auf ihrer Fehlvorstellung beharrte, lässt den objektiven Tatbestand nicht wieder entfallen. Soweit die Revision eine Kündigung des Darlehens vermisst und eine Schenkung ins Feld führt, übersieht sie, dass sowohl ein Darlehensvertrag als auch eine Schenkung unter den konkreten Umständen sittenwidrig im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB wären (zur Sittenwidrigkeit einer Schenkung vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2022 – X ZR 40/20 –, juris Rn. 16 ff.) und den beiden Geschädigten die für eine Realisierung ihres Rückzahlungsanspruchs erforderliche Identität des Vertragspartners nicht bekannt ist. Der Tatbestand des Betrugs entfällt im Falle einer freiwilligen Zuwendung auch nicht deshalb, weil sich der Getäuschte der nachteiligen Wirkung seiner Verfügung auf sein Vermögen bewusst ist (BGH, Urteil vom 12. Mai 1992 – 1 StR 133/92 –, BGHSt 38, 281-284, juris Rn. 5; BGH, Urteil vom 10. November 1994 – 4 StR 331/94 –, juris Rn. 13; im Ergebnis auch BGH, Beschluss vom 26. Januar 2006 – 5 StR 334/05 –, juris Rn. 7 zur Subvention). Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie hier der Täter dem Opfer einen bestimmten Zweck für die Vermögenshingabe nur vorgegaukelt hat (zur Zweckverfehlung beim Schenkungsbetrug vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl., § 263 Rn. 139; des weiteren zur Zweckverfehlung NK-StGB/Kindhäuser/Hoven, StGB, 6. Aufl., § 263 Rn. 296; Saliger in Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 263 StGB B IV Rn. 122, 178 ff.; Beukelmann, BeckOK StGB, 60. Ed § 263 Rn. 49 ff.; O?lakc?o?lu/Mansouri, NStZ 2023, 129 ff., insb. S. 133 ff.; Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl., § 263 Rn. 181 ff., 185a; Heger in Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 263 Rn. 56: wenn der mit der Aufwendung verfolgte Zweck verfehlt wurde, obwohl seine Erreichung sich als Grundbedingung für das Vermögensopfer darstellt). Den Bedenken einer Mindermeinung der Literatur (vgl. Hefendehl in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 263 Rn. 1026 ff. zum Meinungsstand; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 263 Rn. 41, 102) vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Das Vermögensdelikt des Betrugs schützt auch vor durch Täuschung veranlassten bewussten Vermögenseinbußen.“