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Durchsuchung I: Das verfassungsrechtliche 1 x 1, oder: So bekämpft man „Clankriminalität“ nicht

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Den Monat Mai beschließe ich dann mit einem EV-Tag, also mit Entscheidungen aus dem Ermittlungsverfahren, und zwar zur Durchsuchung.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 19.04.2023 – 2 BvR 2180/20. In ihm hat das BVerfG noch einmal/schon wieder zu den Voraussetzungen für die Anorndung einer Durchsuchungsmaßnahme Stellung genommen/nehmen müssen. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten (Alias-Name: M)  wegen des Verdachts der Geldwäsche und weiterer Delikte. Dieses Ermittlungsverfahren stand im Zusammenhang mit einem weiteren Ermittlungsverfahren gegen einen Beschuldigten K. wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs. K. soll im Rahmen seiner Tätigkeit als Pkw-Händler in zahlreichen Fällen dabei mitgewirkt haben, dass unter anderem gegenüber Versicherungen und Banken falsche Angaben für die Finanzierung hochpreisiger Fahrzeuge gemacht wurden, sodass er sich infolgedessen an den ausgezahlten Summen zu Unrecht bereichert haben soll. Aus den Ermittlungen ging hervor, dass K. und die genutzten Fahrzeuge Verbindungen ins kriminelle Milieu pp). aufweisen, darunter auch zum Beschuldigten. Der Beschuldigte soll einem örtlichen M.-Clan angehören und in zahlreiche polizeilich erfasste Vorgänge verwickelt sein, darunter in Ermittlungen wegen Verdachts des Kokainhandels, wegen Delikten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität und wegen Verdachts des Landfriedensbruchs. Soweit es den Beschuldigten angeht, betrifft die ihm angelastete Tatbeteiligung nur einen Teil der gegen K. erhobenen Vorwürfe. Diese stehen in Zusammenhang der Tätigkeit des K. als Geschäftsführer zweier Unternehmen, welche den Betrieb einer Lounge (im Folgenden: A. UG) und eines Handels für Kraftsportartikel (im Folgenden: B. UG) zum Gegenstand hatten.

Mit Beschluss vom 06.08.2020 hat das AG u.a. die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten angeordnet. Die Durchsuchung diente dem Zweck, Hinweise „auf die Nutzung und Beschaffung der Aliaspersonalie N.“, auf „Aufwendungen im Zusammenhang mit der A. UG sowie der B. UG“ sowie die Herkunft dieser Mittel, auf etwaige Absprachen zwischen den Beteiligten, sowie Dokumente, Mobiltelefone, Datenträger, Computer und sonstige Speichermedien aufzufinden. In Bezug auf diese Beweismittel ordnete das Gericht die Beschlagnahme an. Die Durchsuchung wurde am 12.08.2020 vollzogen. Die gegen die Durchsuchungsmaßnahme eingelegte Beschwerde hat das LG als unbegründet verworfen. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG als weitgehend begründet angesehen:

„b) Eine Wohnungsdurchsuchung wegen des Verdachts der Geldwäsche setzt nicht nur voraus, dass ein Anfangsverdacht für die Geldwäschehandlung, sondern gemäß der damals geltenden Fassung des Gesetzes auch für das Herrühren des Vermögensgegenstands aus einer bestimmten Katalogtat im Sinne des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. vorliegt. Dass eine Vortat aus dem Katalog des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. begangen wurde, war ein wesentliches Merkmal der Strafbarkeit der Geldwäsche (vgl. BVerfGK 8, 349 <353>). Nicht ausreichend für die Annahme eines Anfangsverdachts ist es demnach, wenn keine über bloße Vermutungen hinausgehenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Vortat bestehen. Auch Anhaltspunkte für die Annahme, das betroffene Geld oder der betroffene Vermögensgegenstand rührte aus irgendeiner Straftat her, genügen nicht, um Strafverfolgungsmaßnahmen auszulösen. Insofern ist die mögliche Katalogtat zu konkretisieren, auch wenn nicht erforderlich ist, dass die Geldwäschevortat bereits in ihren Einzelheiten bekannt ist. Das Stadium des Anfangsverdachts zeichnet sich gerade dadurch aus, dass weitere Ermittlungen gegebenenfalls in Form von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen nötig sind, weil die Tat in ihren Einzelheiten noch nicht aufgeklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Januar 2020 – 2 BvR 2992/14 -, Rn. 40 ff.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Mai 2020 – 2 BvQ 26/20 -, Rn. 32; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. März 2021 – 2 BvR 1746/18 -, Rn. 56 ff.).

c) Dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entsprechend behält Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vor. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151>). Dazu muss der Beschluss den Tatvorwurf und die gesuchten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Betroffene wird auf diese Weise zugleich in den Stand versetzt, die Durchsuchung zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220 f.>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151 f.>). In dem Beschluss muss zum Ausdruck kommen, dass der Ermittlungsrichter die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft hat (vgl. BVerfGE 103, 142 <151 f.>). Dazu ist zu verlangen, dass ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, müssen benannt werden (vgl. BVerfGK 8, 349 <353>; 9, 149 <153>; 18, 414 <418>; 19, 148 <153>).

Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel können im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden. Die Funktion des Richtervorbehalts, eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu gewährleisten, würde andernfalls unterlaufen (vgl. BVerfGK 5, 84 <88>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2018 – 2 BvR 1260/16 -, juris, Rn. 29). Defizite in der Begründung des zugrundeliegenden Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme können hingegen im Beschwerdeverfahren nachgebessert werden (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 5).

2. Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen sind mit den aufgeführten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht vereinbar.

a) Soweit die Fachgerichte den Durchsuchungsbeschluss auf den Tatverdacht einer Geldwäsche gemäß § 261 Abs. 1 StGB a.F. gestützt haben, reichen die zugrundeliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte nicht über vage Anknüpfungen und bloße Vermutungen hinaus.

aa) Der Beschluss des Amtsgerichts enthält kaum aussagekräftige Ausführungen zur Herkunft der verschleierten Vermögenswerte, was auch das Landgericht in der Beschwerdeentscheidung erkannt hat. Der Durchsuchungsbeschluss deutet lediglich an, dass der Verdacht einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO bestehen konnte. Nähere Anhaltspunkte zu den betroffenen Steuerarten, dem Veranlagungszeitraum und den pflichtwidrig unterlassenen oder falsch abgegebenen Steuererklärungen oder Voranmeldungen hat das Amtsgericht nicht geschildert. Die Ausführungen des Amtsgerichts waren daher für die Verdachtsannahme einer Steuerhinterziehung als Geldwäschevortat (vgl. § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Buchstabe b StGB a.F.) nicht tragfähig (vgl. BVerfGK 8, 349 <354>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. April 2017 – 2 BvR 2551/12 -, Rn. 22 ff.).

bb) Soweit das Landgericht zum Verdacht einer Geldwäschevortat ergänzend ausgeführt und unter anderem auf „Gewaltkriminalität“ verwiesen hat, handelt es sich dabei ebenfalls um eine nicht hinreichend konkretisierte Verdachtsannahme. Welche vom Katalog des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. erfassten Straftatbestände mit diesem Begriff gemeint sein sollen, bleibt völlig offen.

cc) Zureichende Anhaltspunkte für die Verdachtsannahme eines Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als Geldwäschevortat gemäß § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB a.F. in Verbindung mit § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG sind nicht ersichtlich. Den polizeilichen Ermittlungen zum Hintergrund des Beschwerdeführers ist lediglich zu entnehmen, dass gegen diesen zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln geführt wurden. Die Ermittlungsakte teilt jedoch nicht mit, welche Anhaltspunkte dafür ausschlaggebend waren, dass die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Den pauschalen Angaben kann nicht entnommen werden, ob die vermuteten Betäubungsmitteldelikte überhaupt im Zusammenhang mit den hier interessierenden, nicht nachvollziehbaren Transaktionen um die A. UG und die B. UG standen. Ob die erwähnten Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossen oder zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung des Durchsuchungsbeschlusses noch angedauert haben, bleibt ebenfalls im Dunkeln. Die Annahme, dass der Beschwerdeführer sich an etwaigen Betäubungsmitteldelikten beteiligt und die Erlöse aus diesen Taten dem Vermögen der A. UG und der B. UG zugeführt haben soll, erschöpft sich insofern in einer nicht näher begründeten Vermutung. Ob die Fachgerichte – etwa durch entsprechende Nachfrage bei den Ermittlungsbehörden – konkretere Erkenntnisse hätten erlangen können, spielt dabei keine Rolle. Denn maßgeblich für die verfassungsgerichtliche Prüfung sind allein die objektiv dokumentierten Erkenntnisse in der Ermittlungsakte. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer öffentlich als führendes Mitglied eines Familienclans auftritt – nicht zuletzt ersichtlich an der Nutzung eines Aliasnamens, der die Familienzugehörigkeit eindeutig klarstellen soll – und sich offenbar mit den kriminellen Tätigkeiten des Clans identifiziert, kann für sich genommen eine Verdachtsannahme nicht tragfähig begründen.

b) Die Durchsuchungsanordnung wird auch den Anforderungen an die Begrenzungsfunktion nicht gerecht.

aa) Im Hinblick auf den Tatvorwurf der Geldwäsche beschreibt der Beschluss im Kern den Vorwurf, dass der Beschwerdeführer Vermögenswerte in die bezeichneten Unternehmen eingebracht und verschleiert haben soll, die ihrerseits aus mutmaßlich kriminellen Handlungen herrühren. Als Vortat wird lediglich eine etwaige Steuerhinterziehung angedeutet. Die vom Landgericht erwähnte „Gewaltkriminalität“ und das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln findet in dem amtsgerichtlichen Beschluss keine Erwähnung. Für die Mess- und Kontrollierbarkeit der Vollziehung der Durchsuchung macht es dabei einen entscheidenden Unterschied, worauf sich der Verdacht des Herrührens der verschleierten Vermögenswerte konkret bezieht. Die Angabe der Geldwäschevortat wäre insofern für die mit dem Vollzug der Durchsuchungsanordnung betrauten Beamten ein wesentlicher Anhaltspunkt gewesen, nach welchen konkreten Beweismitteln zu suchen ist. Ohne eine nähere Angabe und Eingrenzung der in Betracht kommenden Geldwäschevortaten bestand die Gefahr einer uferlosen Ausforschung des Beschwerdeführers.

bb) Im Hinblick auf den Tatverdacht einer mittelbaren Falschbeurkundung und einer Urkundenfälschung hat das Amtsgericht zwar ein Verhalten erwähnt, welches die Verwirklichung der benannten Straftatbestände andeutet. Eine solch pauschale und vage Darstellung des Tatvorwurfs genügt den verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungen an die Begrenzung einer Durchsuchungsanordnung jedoch nicht. So enthält der Beschluss keine Umschreibung wesentlicher tatbestandlicher Voraussetzungen der erwähnten Straftatbestände. In Bezug auf den Tatverdacht einer Urkundenfälschung fehlt es an einer für den Tatbestand des § 267 Abs. 1 StGB geforderten Schilderung, welches konkrete Dokument im vorliegenden Fall unecht oder verfälscht gewesen und worin die konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers zu sehen sein soll. Der im Raum stehende Verdacht, dass falsche Ausweisdokumente verwendet worden sein sollen, findet im amtsgerichtlichen Beschluss keine Erwähnung. Was den Tatvorwurf einer mittelbaren Falschbeurkundung gemäß § 271 Abs. 1 StGB betrifft, enthält der amtsgerichtliche Beschluss keinerlei Ausführungen dazu, welche Urkunde, welches Buch oder welches Register betroffen gewesen ist und welche konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers die falsche Beurkundung bewirkt haben soll. Die aufgeführten Mängel führen dazu, dass die Durchsuchungsanordnung insoweit nicht mehr mess- und kontrollierbar ist.“

Der Beschluss enthält keine neuen Aussagen des BVerfG zu den Voraussetzungen für die Anordnung einer Durchsuchung. Das hat man alles schon einmal/mehrmals gelesen.Das ist das 1 x 1 der Durchsuchung.

Man fragt sich allerdings, warum hier das AG und auch das LG diese Vorgaben des BVerfG nicht umgesetzt und bei Erlass der Durchsuchungsmaßnahme beachtet haben, mal wieder. Hier hat man den Eindruck, dass offenbar die (vermutete) Zugehörigkeit des Beschuldigten zu einem Clan der (wahre) Grund für die Durchsuchungsmaßnahme gewesen ist. Das reicht aber nun mal nicht aus. Das BVerfG will mehr als nur vage Vermutungen lesen, nämlich konkrete Anhaltspunkte. Die Mühe, diese zu finden und aufzulisten, müssen sich die Ermittlungsbehörden schon machen, wenn man die „Clankriminalität“ – was man sich ja auf die Fahnen geschrieben hat – erfolgreich bekämpfen will. Wenn man es nicht beachtet, erhält man eben eine verfassungsgerichtliche Klatsche und landet dann – so wie hier – in der Presse (vgl. z.B. hier  der Beitrag aus dem Focus). Kein Ruhmesblatt.

Divers III: Reicht das für eine richterliche Unterschrift?, oder: Anforderungen an die Verfassungsbeschwerde

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Und als dritte Entscheidung des Tages der schon etwas ältere VerfG Brandenburg, Beschl. v. 16.12.2022 – VfGBbg 57/20.

In dem Verfahren richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des OLG Brandenburg. Das hatte die Revision gegen ein landgerichtliches Berufungsurteil als unbegründet verworfen. Der Angeklagate hatte mit seiner Verfahrensrüge geltend gemacht, dass die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils nicht innerhalb des nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Zeitraums zu den Akten gebracht worden seien. Die sich bei den Akten befindlichen Urteilsgründe enthielten eine unzureichende, den Anforderungen des § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht genügende Unterschrift und seien daher lediglich als Urteilsentwurf anzusehen. Auf der letzten Seite der Begründung befinde sich außer der Seitenzahl und dem Aktenzeichen lediglich die gedruckte Unterschriftenzeile „Xyz“. Darüber befinde sich ein nahezu senkrecht verlaufender, L-förmiger Abstrich, der nach circa 1,5 cm in einem kurzen Bogen 90 Grad nach rechts abknicke und sich circa 0,5 cm horizontal fortsetze. Die horizontale Linie setze sich nach einer Unterbrechung leicht ansteigend über circa 4 cm weiter nach rechts fort, sie werde dabei aber an drei weiteren Stellen für jeweils zwischen 1 und 4 Millimetern unterbrochen. Klare Auf- und Abstriche seien nicht zu erkennen. Damit sei das Urteil entgegen § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht von dem Berufsrichter, der an der Entscheidung mitgewirkt habe, unterschrieben.

Das OLG hatte gemeint, dass die Unterzeichnung des angefochtenen Urteils durch den Vorsitzenden der Berufungskammer noch den Anforderungen gerecht werde, die von der Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Unterschrift gestellt würden. Insoweit hatte es sich auf den KG, Beschl. v. 23.03.2020 – 3 Ws [B] 53/20162 Ss 18/20 – bezogen.

Der VerfGH Brandenburg hat leider zur Sache nicht Stellung genommen, sondern die Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen:

„….3. Im Hinblick auf den gerügten Verstoß gegen Art. 52 Abs. 3 LV genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung.

Notwendig ist nach § 20 Abs. 1 Satz 2, § 46 VerfGGBbg eine Begründung, welche schlüssig die mögliche Verletzung des geltend gemachten Grundrechts des Beschwerdeführers aufzeigt. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und ihrer konkreten Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein soll und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen sie kollidiert. Dazu bedarf es einer umfassenden einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Aufarbeitung der Rechtslage. Demnach muss der Beschwerdeführer ausgehend vom Entscheidungsinhalt aufzeigen, worin der Grundrechtsverstoß aus seiner Sicht im Einzelnen liegt (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 19. Juni 2020 – VfGBbg 10/19, Rn. 7, vom 19. Februar 2021 – VfGBbg 28/20, Rn. 9, vom 20. August 2021 – VfGBbg 68/20, Rn. 20, und vom 21. Januar 2022 – VfGBbg 57/21, Rn. 35, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht gerecht.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts ist, Gerichtsentscheidungen nach Art eines Rechtsmittelgerichts zu überprüfen. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestands, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind vielmehr Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Verfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt nur in Ausnahmefällen, vornehmlich bei der Verletzung des Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot, in Betracht. Eine gerichtliche Entscheidung verstößt jedoch nicht bereits bei jeder fehlerhaften Anwendung einfachen Rechts gegen das Willkürverbot, sondern erst, wenn sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar und damit schlechthin unhaltbar ist. Sie muss Ausdruck einer objektiv falschen Rechtsanwendung sein, die jeden Auslegungs- und Beurteilungsspielraum außer Acht lässt und ganz und gar unverständlich erscheint. Diese Voraussetzungen liegen u. a. dann vor, wenn sich ein Gericht mit seiner rechtlichen Beurteilung ohne nachvollziehbare Begründung in Widerspruch zu einer durch Rechtsprechung und Schrifttum geklärten Rechtslage setzt oder das Gericht den Inhalt einer Norm krass missdeutet, so dass sich der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht (st. Rspr., vgl. Beschlüsse vom 20. Oktober 2017 – VfGBbg 20/16, vom 16. August 2019 – VfGBbg 67/18, und vom 22. Januar 2021 – VfGBbg 62/18, Rn. 11, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Gemessen daran hat der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Willkürverbot nicht substantiiert aufgezeigt. Die Beschwerde benennt zwar zutreffend die Maßstäbe, nach denen ein Willkürverstoß angenommen werden kann, lässt aber insbesondere die notwenige Auseinandersetzung mit der zur Unterschriftsleistung ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) vermissen. Der Beschwerdeführer legt vielmehr allein die seiner Auffassung nach erfolgte Abweichung des Oberlandesgerichts von den vom Kammergericht Berlin in seiner Entscheidung vom 23. März 2020 (3 Ws [B] 53/20, 162 Ss 18/20) aufgestellten Maßstäben dar. Dies genügt aber zur Begründung der Willkürlichkeit der Entscheidung nicht. Darauf, ob die hier angegriffene Entscheidung von der Rechtsprechung des Kammergerichts Berlin abweicht, kommt es für ihre Vertretbarkeit nicht an, zumal das Brandenburgische Oberlandesgericht an dessen Rechtsprechung nicht gebunden ist. Zu einer Auseinandersetzung mit der vom BGH – auch im zivilrechtlichen Bereich – ergangenen Rechtsprechung hätte zudem auch deshalb Anlass bestanden, weil das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung vom 30. April 2020 auf das in NJW 1997, 3380 veröffentlichte Urteil des BGH (vom 10. Juli 1997 – IX ZR 24/97  ) ausdrücklich Bezug genommen hat.

Nach der vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Entscheidung des BGH ergebe sich aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift, was unter einer Unterschrift zu verstehen sei. Eine Unterschrift setze danach einen individuellen Schriftzug voraus, der sich – ohne lesbar sein zu müssen – als Wiedergabe eines Namens darstelle und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lasse. Ein Schriftzug, der als bewusste und gewollte Namensabkürzung erscheine (Handzeichen, Paraphe), stelle demgegenüber keine formgültige Unterschrift dar. Es sei zudem ein großzügiger Maßstab anzulegen, wenn die Autorenschaft gesichert sei. Diese Entscheidung spiegelt die gefestigte Rechtsprechung der Zivilsenate wider, wonach die Anforderungen an eine Unterschrift schon dann erfüllt sind, wenn ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender Schriftzug vorliegt, der individuelle und entsprechende charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 1997 – XII ZB 17/97, Rn. 3, vom 27. September 2005 – VIII ZB 105/04, Rn. 8, und vom 9. Februar 2010 – VIII ZB 67/09, Rn. 10, und Urteil vom 22. Oktober 1993 – V ZR 112/92, Rn. 5) . Eine dem Schriftzug beigefügte vollständige Namenswiedergabe in Maschinen- oder Stempelschrift kann zur Deutung vergleichend herangezogen werden. Der Namenszug kann flüchtig geschrieben sein und braucht weder die einzelnen Buchstaben klar erkennen zu lassen noch im Ganzen lesbar zu sein (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1991 – XI ZB 6/91, Rn. 11, juris). Auch ein vereinfachter, von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichneter und nicht lesbarer Namenszug kann danach als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 1997 – XII ZB 17/97, Rn. 3, vom 27. September 2005 – VIII ZB 105/04, Rn. 8, und vom 9. Februar 2010 – VIII ZB 67/09, Rn. 10, juris). Auch in Strafsachen hat der BGH ausgeführt, dass in nicht unbedenklicher Weise abstrahierte Unterschriften noch den Anforderungen genügen können (BGH, Beschluss vom 30. August 1988 – 1 StR 377/88, Rn. 3, juris).

Vor dem Hintergrund dieser großzügigen Rechtsprechung hätte es zur Begründung der Willkürlichkeit der angegriffenen Entscheidung einer weitergehenden Auseinandersetzung mit den an eine Unterschrift zu stellenden Maßstäben bedurft, zumal der Beschwerdeführer die – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Bewertung als Unterschrift bedeutsame – Beurteilung des Senats, dass es sich ersichtlich nicht lediglich um eine Paraphe handelt, ebenso wenig in Zweifel gezogen hat wie die tatsächliche Urheberschaft des Vizepräsidenten des Landgerichts an dem in Rede stehenden Schriftzug und den Umstand, dass der Vizepräsident auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt. Letzteres stellt auch nicht ein etwaiges Sonderwissen der Richter des Oberlandesgerichts dar, sondern ergibt sich auch aus den zum Strafverfahren geführten Akten. Bereits auf der der Verfassungsbeschwerde ebenfalls in Kopie beigefügten Abschlussverfügung befindet sich eine vergleichbare Unterschriftsleistung.

Die Möglichkeit eines Verstoßes gegen das Willkürverbot hat der Beschwerdeführer schließlich auch nicht insoweit aufgezeigt, als er die Annahme der Generalstaatsanwaltschaft in Frage gestellt hat, wonach eine fehlende Unterschrift unter dem landgerichtlichen Urteil den Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO von vornherein nicht zu begründen vermöge. Auf die Vertretbarkeit dieser Auffassung kommt es nicht an, weil es insoweit jedenfalls an der Darlegung der Kausalität eines etwaigen Verfassungsverstoßes fehlt. Der Beschwerdeführer hat selbst darauf hingewiesen, dass das Brandenburgische Oberlandesgericht die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zwar zunächst in Bezug genommen, den Schriftzug des Vorsitzenden aber sodann dennoch einer eigenständigen Prüfung unterzogen hat, bei der es zu dem Schluss gekommen ist, dass die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen erfüllt sind. Auf der Annahme, eine fehlende Unterschrift könne den Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO nicht begründen, beruht die angegriffene Entscheidung danach jedenfalls nicht.“

Na ja, schade…. Ich hätte schon gerne erfahren, ob die Striche eine „Unterschrift“ sind. Ich habe da so meine Zweifel, auch wenn Vizepräsidenten von LG vielleicht so „unterschreiben“ ?

Nicht angenommene VB und Auslagenerstattung, oder: Es bleibt beim Mindestgegenstandswert

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Im zweiten Posting dann etwas vom BVerfG, und zwar der BVerfG, Beschl. v. 30.03.2023 – 3. März 2023 – 2 BvR 1810/22.

In dem Beschluss hat das BVerfG über die Verfassungsbeschwerde gegen ein amtsgerichtliches Strafurteil entschieden. Gerügt worden war, dass ein gestellter Adhäsionsantrag übergangen worden sei. Es ist ein Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot, den Justizgewährungsanspruch und den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend gemacht worden.

„Gestritten“ worden ist um die Frage der Erschöpfung des Rechtsweges, nämlich darum, ob eine Anhörungsrüge zu erheben ist/war. Das BVerfG hat die Frage bejaht, die Verfassungsbeschwerde aber nicht zur Entscheidung angenommen, weil über die nach seiner Ansicht erhobene Anhörungsrüge vom AG noch zu entscheiden sei. Inoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext. Dazu hier nur der Leitsatz:

1. Wird mit der Verfassungsbeschwerde – gegebenenfalls lediglich der Sache nach – eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG regelmäßig abhängig ist. Etwas anderes gilt (nur), wenn das Anhörungsrügeverfahren offensichtlich aussichtslos ist.

2. Eine Anhörungsrüge ist ausnahmsweise auch statthaft, wenn das Gericht eine ausdrückliche Absehensentscheidung irrtümlich im Rahmen des Strafurteils, statt, wie vorgesehen, durch Beschluss, trifft oder den Adhäsionsantrag stillschweigend übergangen hat.

Und dann zum hier interessierenden gebührenrechtlichen Teil:

„1. Das Land Rheinland-Pfalz hat die Auslagen der Beschwerdeführerin im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu tragen.

Nach § 34a Abs. 3 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht die volle oder teilweise Erstattung von Auslagen auch dann anordnen, wenn die Verfassungsbeschwerde erfolglos geblieben ist. Dies gilt auch, wenn sie, wie hier, nicht zur Entscheidung angenommen wurde (vgl. BVerfGE 36, 89 <92>; BVerfGK 7, 283 <302 f.>). Die Anordnung der Auslagenerstattung steht im Ermessen des Gerichts und setzt voraus, dass besondere Billigkeitsgründe vorgetragen oder ersichtlich sind (stRspr; vgl. BVerfGE 7, 75 <77>; 20, 119 <133 f.>; 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>; 89, 91 <97>; 133, 37 <38 f. Rn. 2>).

Die Auslagenerstattung wird angeordnet, da in der Sache ein Verfassungsverstoß gegeben sein dürfte und die Verfassungsbeschwerde lediglich aus prozessualen Gründen, die für die Beschwerdeführerin nur schwer antizipierbar waren, nicht zur Entscheidung angenommen werden kann. Ob eine Anhörungsrüge statthaft und als Teil des Rechtsweges anzusehen ist, ist in der vorliegenden Fallkonstellation durchaus problematisch; die Kommentarliteratur schweigt zu dieser Frage.

2. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Festsetzung des Gegenstandswerts wird verworfen, da ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür nicht besteht. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG beträgt der Mindestgegenstandswert im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 5.000 Euro. Ein höherer Gegenstandswert kommt in Fällen, in denen eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen oder zurückgenommen worden ist, regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 79, 365 <369>). Umstände, die hier ausnahmsweise einen höheren Gegenstandswert rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Ist deshalb vom Mindestgegenstandswert auszugehen, so besteht für die gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts kein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. Oktober 2018 – 1 BvR 700/18 -, Rn. 4 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2019 – 2 BvR 962/19 -, juris, Rn. 4 f.).“

Klima I: Festkleben auf Straßen zum Klimaschutz, oder: BayObLG sagt, das ist als Nötigung strafbar

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Und dann auf in die 21. KW., und zwar mit „Klima-Entscheidungen“.

Zunächst stelle ich hier die nächste obergerichtliche Entscheidungen zur Frage der Rechtfertigung des Festklebens auf Straßen zum Klimaschutz vor. Zur Frage der Rechtfertigung hatte sich ja bereits vor einiger Zeit das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 29.07.2022 – 2 Ss 91/22 – geäußert. Nun habe ich hier den BayObLG, Beschl. v. 21.04.2023 – 205 StRR 63/23.

Es handelt sich um einen „Normalfall“. Der Angeklagte hatte sich auf der Fahrbahn einer Straße in München mit Sekundenkleber festgeklebt und dadurch im Zusammenwirken mit weiteren Personen eine unbekannte, größere Anzahl von Autofahrern am Weiterfahren gehindet oder zur Umfahrung der blockierten Straße gezwungen. Das AG hat den Angeklagten wegen Nötigung schuldig gesprochen. Seine Revision dagegen blieb erfolglos:

„3. Die Sachrüge ist ebenfalls unbegründet. Die umfassende Nachprüfung des Urteils durch den Senat deckt aufgrund der erhobenen Sachrüge keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf:

a) Die Tat stellt in objektiver und subjektiver Hinsicht eine Nötigung im Sinne von 240 Abs. 1 StGB dar. Insoweit wird Bezug genommen auf die zutreffenden und nicht ergänzungsbedürftigen Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 20. März 2023, die von der Revision auch nicht in Frage gestellt werden.

b) Die Tat des Angeklagten ist verwerflich im Sinne von 240 Abs. 2 StGB. Insoweit ist ergänzend zu den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zu bemerken:

i) Die Tat des Angeklagten ist nicht gerechtfertigt:

(1) Gerechtfertigte Nötigungen können nicht verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB sein. Daher ist die Verwerflichkeit nur dann zu prüfen, wenn kein allgemeiner Rechtsfertigungsgrund eingreift (Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 240 Rn. 38a) (a) Die Tat des Angeklagten ist nicht nach Art. 20 Abs. 4 GG gerechtfertigt:

(i) Gemäß Art. 20 Abs. 4 GG haben alle Deutschen gegen jeden, der es unternimmt, die in Art. 20 GG niedergelegte Ordnung zu beseitigen, das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Das Widerstandsrecht kann gegen jeden ausgeübt werden, der es unternimmt diese Ordnung zu beseitigen (Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick GG Art. 20 Rn. 17). Andere Abhilfe darf jedoch nicht möglich sein. Diese als „Subsidiaritätsklausel“ verstandene Beschränkung gestaltet das Widerstandsrecht zu einem äußersten und letzten Notmittel. Hintergrund der Einschränkung ist das staatliche Gewaltmonopol als Grundpfeiler moderner Staatlichkeit. Die legitime Anwendung physischer Gewalt soll deshalb erst dann in private Hände gegeben werden, wenn der Staat die verfassungsmäßige Ordnung nicht hinreichend schützen kann. (Grzeszick a.a.O Rn. 23).

(ii) Letzteres ist jedenfalls nicht der Fall. Es liegt derzeit keine Konstellation vor, in der die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist und die staatlichen Organe, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr in der Lage sind, die verfasste Ordnung selbst hinreichend zu schützen. Vielmehr ist der Staat in seiner Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt. Anders als der Angeklagte hält die gesetzgeberische Mehrheit im Parlament, die vom Angeklagten gewünschten gesetzgeberischen Aktivitäten zumindest derzeit nicht für erforderlich. Auf der Grundlage der Überzeugungen des Angeklagten ließe sich die Situation schlagwortartig zusammenfassen: Der Staat kann zwar die verfasste Ordnung schützen; er ergreift aber nicht die vom Angeklagten für nötig erachteten Maßnahmen.

(iii) Daneben ist auch nicht erkennbar, dass der Angeklagte seine „Widerstandshandlung“ gegen denjenigen richtete, der es unternahm, die in Art. 20 GG niedergelegte Ordnung zu beseitigen. Nach Auffassung des Angeklagten stellt die Klimakrise eine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung dar. Dieser Gefahr werde mangels staatlicher Gegenmaßnahmen nicht entsprechend begegnet. Ausgehend vom Ansatzpunkt des Angeklagten kämen als Adressat seiner Widerstandshandlung daher nur die Regierung und die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften in Betracht. Gegen die konkret von seiner Tat betroffenen Autofahrer war daher schon aus diesem Grund kein „Widerstand“ nach Art. 20 GG zulässig.

(b) Die Tat des Angeklagten ist nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt:

(i) Voraussetzungen für das Eingreifen dieses Rechtfertigungsgrundes ist u.a. das Vorliegen einer Gefahr. Es muss also ein Zustand gegeben sein, in dem aufgrund tatsächlicher Umstände die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schädigenden Ereignisses besteht. Die Gefahr muss gegenwärtig sein. Dies ist dann der Fall, wenn bei natürlicher Weiterentwicklung der Dinge der Eintritt eines Schadens sicher oder doch höchstwahrscheinlich ist, falls nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden (Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 34 Rn. 4, 7 m.w. N.). Die bestehende Gefahr darf nicht anders abwendbar sein als durch die Begehung der Tat. Die Tat muss daher geeignet und erforderlich sein, die Gefahr abzuwenden. Es darf zudem kein weniger einschneidendes Abwendungsmittel zur Verfügung stehen (Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 34 Rn. 9; BeckOK StGB Momsen/Savic StGB § 34 Rn. 7; Rönnau in Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2019, vor §§ 32 StGB Rn. 134).

(ii) In der vorliegenden Sachverhaltskonstellation scheidet eine Rechtfertigung der Tat des Angeklagten bereits deshalb aus, weil ihm zum Erreichen seines Ziels mildere Mittel zur Verfügung standen und er nicht eine Straftat hätte begehen müssen. Als milderes Mittel zur Einwirkung auf den politischen Meinungsbildungsprozess hätte er beispielsweise hierauf bezogene Grundrechte, nämlich Art. 5 GG (Meinungsfreiheit), Art. 8 (Versammlungsfreiheit), Art. 17 GG (Petitionsrecht) ausüben, bzw. von der Möglichkeit des Art. 21 GG (Freiheit der Bildung politischer Parteien) Gebrauch machen können (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29 Juli 2022 – 2 Ss 91/22 – juris Rn. 11). Daneben stünde ihm auch noch der Weg offen, dass er und gegebenenfalls weitere Personen im direkten Gespräch oder über sonstige Kommunikationsmittel auf Mitglieder der Regierung und/oder der gesetzgebenden Körperschaften zur Erreichung ihrer Ziele einwirken. Da bereits das Vorhandensein von milderen Mitteln die Anwendbarkeit von § 34 StGB ausschließt, ist der Senat nicht gehalten, die Streitfrage, ob derartige Verkehrsblockaden als Teil eines komplexen und gegebenenfalls längerfristigen Vorgehens geeignet sind, die Gefahren, die sich aus der globalen Erwärmung ergeben können, zu beseitigen (vgl. bejahend MüKoStGB/Erb StGB § 34 Rn. 113; Bönte, HRRS 2021, 164, 168; verneinend: Zieschang in Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2019, § 34 StGB Rn 91; Schönke/Schröder/Perron, 30. Aufl. 2019, StGB § 34 Rn. 19).

(iii) Die Revision meint, im Einzelfall könne eine politisch motivierte Verkehrsblockade nach § 34 StGB gerechtfertigt sein.

1. Die Revision räumt ein, § 34 StGB könne grundsätzlich keine Gesetzesverletzungen rechtfertigen, die darauf angelegt seien, eigenmächtig Maßnahmen durchzusetzen, die einer Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers bedürften. Denn dies würde abschließende Verfahrensregelungen missachten, die Ausdruck des Mehrheitsprinzips seien. Anders sei dies aber angesichts des existentiellen Risikos der globalen Erwärmung zu sehen. Ähnlich wie in der „notwehrähnlichen Lage“ sei eine Rechtfertigung von vorbeugenden „Widerstandsmaßnahmen“ nach § 34 StGB nicht ausgeschlossen. Eine Straftat könne im Einzelfall nach § 34 StGB gerechtfertigt sein, wenn das Interesse an einer politischen Befassung mit der Gefahrenabwehr das Interesse an der Friedens- und Ordnungsfunktion des Rechts wesentlich überwiegt (RevBegr. S 17f i.V.m Bönte HRRS 2021, 164, 172; RevBegr. Anm. S. 3; Satzger/von Maltitz, ZStW 2021, 1, 31, die die Frage aufwerfen, ob angesichts der elementaren Bedeutung des Klimaschutzes Straftaten „im Namen des Klimaschutzes“ eine gesonderte Behandlung seitens der Rechtsordnung zugesprochen werden kann).

2. Die skizzierte Auffassung der Revision überzeugt nicht.

a) Es ist kein Bedürfnis erkennbar, praeter legem einen weiteren Rechtfertigungsgrund für Verkehrsblockaden zu schaffen, deren Sinn und Zweck es ist, mittelbar Druck auf den Gesetzgeber auszuüben. Wie bereits dargelegt, bestehen im demokratischen Rechtsstaat diverse Möglichkeiten effektiv auf die gesetzgeberischen Körperschaften einzuwirken, um diese zu den gewünschten Maßnahmen zu veranlassen [siehe oben: 3) b) i) (1) (b) (ii) = Seite 9]. Eine „notwehrähnliche“ Sachlage, die dazu drängt, auf den Gesetzgeber mittelbar durch die Begehung von Straftaten einzuwirken, besteht daher nicht. Deshalb ist die Anerkennung eines besonderen Rechtsfertigungsgrund für Taten der vorliegenden Art nicht angezeigt.

b) Mit 34 StGB hat der Gesetzgeber einen Rechtfertigungsgrund geschaffen, der die Rechtswidrigkeit einer Straftat ausschließt, wenn jemand in einer gegenwärtigen Gefahr für ein Rechtsgut eine Straftat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Zusätzliche Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von § 34 StGB sind noch, dass die Gefahr für das Rechtsgut nicht anders abwendbar ist, dass die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden und dass bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Somit sieht die Rechtsordnung bereits positiv einen Rechtfertigungsgrund für Straftaten dann vor, wenn eine Abwägung der beteiligten Interessen erforderlich ist und diese ein wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses ergibt. Damit ist aber eine Situation der hier vorliegenden Art vom Gesetzgeber bereits abschließend geregelt. Eine auf den Einzelfall beschränkte Analogie zu § 34 StGB, die lediglich eine Interessenabwägung voraussetzt und auf die weiteren Anwendungsvoraussetzung von § 34 StGB verzichtet oder die Anerkennung eines selbständigen, neu zu schaffenden, Rechtfertigungsgrundes, bei dem es ausschließlich auf die Abwägung ankommt, verbietet sich daher.

c) Die Tat ist auch nicht, sofern man darin überhaupt einen Rechtfertigungsgrund sehen will, durch „zivilen Ungehorsam“ gerechtfertigt:

(i) Unter zivilem oder bürgerlichem Ungehorsam wird – im Unterschied zum Widerstandsrecht gegenüber einem Unrechtssystem – ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen verstanden, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen zu begegnen (BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 – 1 BvR 713/83 –, juris Rn. 91). Die herrschende Meinung lehnt eine Rechtfertigung von Straftaten durch „zivilen Ungehorsam“ ab.

(ii) Das Bundesverfassungsgericht hat zur Frage, ob „ziviler Ungehorsam“ speziell eine gezielte und bezweckte Verkehrsbehinderung durch Sitzblockaden rechtfertigen kann, ausgeführt, dies komme zumindest dann nicht in Betracht, wenn Aktionen des zivilen Ungehorsams wie bei Verkehrsbehinderungen in die Rechte Dritter eingreifen, die ihrerseits unter Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts als Instrument zur Erzwingung öffentlicher Aufmerksamkeit benutzt werden. Dabei bliebe zudem außer Acht, dass zum Wesen des zivilen Ungehorsams nach der Meinung seiner Befürworter die Bereitschaft zu symbolischen Regelverletzungen gehört, dass er also per definitionem Illegalität mit dem Risiko entsprechender Sanktionen einschließt als Mittel, auf den öffentlichen Willensbildungsprozess einzuwirken. Angesichts dieser Zielrichtung erschiene es widersinnig, den Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als Rechtfertigungsgrund für Gesetzesverletzungen geltend zu machen (BVerfG, a.a.O. Rn. 93).

(iii) Dem schließt sich der Senat unter Bezugnahme auf die dargestellte Begründung des Bundesverfassungsgerichts an, wobei zusätzlich noch berücksichtigt wurde, dass ziviler Ungehorsam Rechtsbruch ist, er die innerstaatliche Friedenspflicht verletzt, er gegen das Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz verstößt und er sich über das Mehrheitsprinzip hinwegsetzt, das für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen konstituierend ist (vgl. BVerfG, a.a.O Rn 92). Zusätzlich spricht gegen die Anerkennung von „zivilen Ungehorsam“ als Rechtfertigungsgrund folgende Argumentation: Ziviler Ungehorsam ist Protest, der sich gegen eine verfassungsgemäß zustande gekommene Mehrheitsentscheidung – einen fundamentalen Gemeinschaftswert – richtet und diese gestützt auf vorgeblich verallgemeinerungsfähige, aber offenkundig noch nicht mehrheitlich getragene Prinzipien und Wertvorstellungen in Frage stellt. Anstatt für die eigene Meinung auf legale Weise um eine Mehrheit zu werben, setzt der, der zivilen Ungehorsam leistet, die Überlegenheit der eigenen Ansicht voraus und leitet daraus das Recht ab, diese auch mit illegalen Mitteln durchsetzen zu dürfen. Die Annahme einer Rechtfertigung würde bedeuten, ein solches Recht tatsächlich zuzugestehen und damit der Ansicht einer Minderheit ein höheres Gewicht zuzubilligen als der im Rahmen des demokratischen Willensbildungsprozesses entstandenen Entscheidung der Mehrheit. Dies verstieße nicht nur gegen Art. 3 Abs. 3 GG, der die Bevorzugung einer aktiv geltend gemachten politischen Anschauung ausdrücklich verbietet, sondern stellte durch den Verzicht auf die Durchsetzung der Mehrheitsregel auch eine Selbstaufgabe von Demokratie und Rechtsfrieden durch die Rechtsordnung dar (Rönnau in Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2019, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff StGB Rn. 142).

ii) Die Tat des Angeklagten ist verwerflich im Sinne von 240 Abs. 2 StGB.

(1) Insoweit wird Bezug genommen auf die Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 20. Februar 2023 (dort Seite 9ff).

(2) Das Amtsgericht (UA S. 11f) hat die im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung durchgeführte Abwägung anhand der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Abwägungselemente durchgeführt. Insbesondere hat das Amtsgericht den Zweck der Verkehrsblockade nicht als Gesichtspunkt gewertet, der für die Verwerflichkeit spräche (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, juris Rn. 39)……“

Das BayObLG liegt mit seiner Argumentation auf der Linie des OLG Celle, begründet das nur etwas „wortreicher“ 🙂 .

Mehr Rechtsprechung zu den Fragen habe ich derzeit nicht. Da gibt es zwar noch das AG Mannheim, Urt. v.  25.04.2023 – 24 Cs 806 Js 31626/22 , das aber keine Besonderheiten enthält. Und: Es gibt zwar auch noch ein AG Frankfurt am Main-Urteil v. 11.05.2023 und ein AG  Tiergarten-Urt. v. 26.04.2023 – beide zum Festkleben an Gemälderahmen. Von denen liegen aber leider bislang die Volltexte noch nicht vor. Daher müssen insoweit derzeit noch die verlinkten Meldungen reichen.

BVerfG I: Richtervorlagen gegen harte „KiPo-Strafen“, oder: BVerfG weist als unzulässig zurück

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Ich eröffne die 16. KW. dann mit zwei Entscheidungen des BVerfG.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 03.03.2023 -2 BvL 11/22 und 2 BvL 15/22 -, den ich der Volltsändigkeit halber hier auch vorstelle. Es handelt sich um die Entscheidung des BVerfG zu zwei amtsgerichtlichen Beschlüssen betreffend die Strafhöhe in den sog. KiPo-Verfahren, und zwar AG München, Beschl. v. 17.6.2022 – 853 Ls 467 Js 181486/21 und AG Wuppertal, Beschl. v. 17.10.2022 -12 Ls-40 Js 261/22-24/22.

Wer darauf gehofft hatte, dass das BVerfG zu den angesprochenen Fragen Stellung nehmen würde, dessen Hoffnung wird enttäuscht. Das BVerfG hat nämlich die Vorlagen an unzulässig angesehen:

„….I.

In einem Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG muss die Begründung der Vorlage angeben, inwiefern die Entscheidung des vorlegenden Gerichts von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Dabei muss der Vorlagebeschluss aus sich heraus verständlich sein, da der Begründungszwang des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG das Bundesverfassungsgericht entlasten soll (stRspr; vgl. BVerfGE 22, 175 <177>; 65, 265 <277>; 141, 1 <10 Rn. 22>; 153, 310 <333 Rn. 55>; 159, 149 <170 Rn. 58>). Folglich hat das vorlegende Gericht den zugrunde liegenden Sachverhalt, soweit er für die verfassungsrechtliche Beurteilung wesentlich ist, und die maßgeblichen rechtlichen Erwägungen im Vorlagebeschluss erschöpfend darzulegen und vollständig aufzuklären (vgl. BVerfGE 22, 175 <177>; 37, 328 <333 f.>; 65, 308 <314>; 66, 265 <268>; 68, 311 <316>). Es muss sich mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, seine einschlägige Rechtsprechung erschöpfend darlegen und die in Schrifttum und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der vorgelegten Rechtsvorschrift von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 136, 127 <142 Rn. 45, 145 ff. Rn. 53 ff.>; 138, 1 <13 Rn. 37>; 141, 1 <11 Rn. 22>).

II.

Ausgehend von diesen Maßstäben genügen die Vorlagebeschlüsse den Anforderungen nicht.

1. Die Vorlage des Amtsgerichts München ist schon deshalb unzulässig, weil der Vorlagebeschluss aus sich heraus nicht verständlich ist. Das Amtsgericht München lässt eine hinreichende Sachverhaltsdarstellung vermissen und führt in seinem Vorlagebeschluss lediglich zu fiktiven Beispielsfällen aus.

2. Die Vorlage des Amtsgerichts Wuppertal ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil das Amtsgericht im Vorlagebeschluss nicht hinreichend darlegt, dass und warum das angeklagte Tatgeschehen dem Tatbestand des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB unterfällt. Aus dem Vorlagebeschluss erschließt sich nicht, warum das Amtsgericht davon ausgehen zu können meint, dass es sich bei der vom Angeschuldigten verbreiteten Datei um einen „pornographischen Inhalt“ im Sinne des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB handelt.

§ 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB setzt schon nach seinem Wortlaut voraus, dass es sich um „pornographischen Inhalt“ handelt. In Rechtsprechung und Schrifttum wird – auch wenn der Begriff der Pornographie des § 184 StGB insoweit nicht vollständig übertragen wird – für die Verwirklichung des Tatbestandes verlangt, dass die Vermittlung sexueller Inhalte ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize beim Betrachter ausgerichtet ist (vgl. BGHSt 59, 177 <178 Rn. 43, 179 Rn. 49>; BTDrucks 18/3202, S. 27; Hörnle, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 184b Rn. 14; Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 184b Rn. 5; Ziegler, in: BeckOK StGB, 54. Edition Stand 1.8.2022, § 184b Rn. 3).

Das ist hier zweifelhaft, da das Amtsgericht selbst annimmt, dass die Bilddatei nicht auf die Befriedigung sexueller Bedürfnisse ihrer Betrachter ausgelegt ist, sondern im Internet als „Spaßvideo“ kursiert. Das Bundesverfassungsgericht ist zwar an die einfachrechtliche Einordnung des vorlegenden Gerichts grundsätzlich gebunden (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 133, 1 <10 f. Rn. 35>). Das enthebt das vorlegende Gericht indes nicht der Aufgabe, sich mit den in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen auseinanderzusetzen, die dazu führen könnten, dass es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Norm nicht mehr ankommt, weil deren tatbestandliche Voraussetzungen schon nicht erfüllt sind. Das ist hier nicht geschehen.

Daher bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob das Amtsgericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB hinreichend begründet hat.“

Tja, schade. Kein weiteres Wort – nicht einmal ein kleines obiter dictum. Aber vielleicht hat das AG Buchen mit seiner Volage im AG Buchen, Beschl. v. 01.02.2023 – 1 Ls 1 Js 6298/21 – mehr Glück.