Archiv der Kategorie: Auslagen

Anschaffung von Festplatten im Umfangsverfahren, oder: Wer trägt die Anschaffungskosten?

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In sog. Umfangsverfahren fallen i.d.R. erhebliche Aktenbestände an, die dann digital gespeichert werden. Es stellt sich die Frage, wer die Kosten für die Anschaffung der dazu erforderlichen Speichermedien zu tragen hat.

Dazu hat das OLG Jena im OLG Jena, Beschl. v. 27.12.2023 – 3 St 2 BJs 4/21 – Stellung genommen. Die Rechtsanwälte/Pflichtverteidiger sind in einem beim Staatsschutzsenat des OLG Jena anhängigen Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.a. tätig. Sie haben beantragt, festzustellen, dass die Kosten für die. Beschaffung einer externen Festplatte bzw. eines gleichwertigen Speichermediums zum Zwecke des Empfangs bzw. der Einsichtnahme der verfahrensgegenständlichen Audio-Dateien erforderliche Auslagen i.S.v. § 46 Abs. 1 RVG sind. Das OLG hat dem Antrag entsprochen und festgestellt, dass die Kosten für die Beschaffung einer externen Festplatte bzw. eines gleichwertigen Speichermediums zum Zwecke des Empfangs bzw. der Einsichtnahme der verfahrensgegenständlichen Audio-Dateien erforderliche Auslagen i.S.v. § 46 Abs. 1 RVG sind:

„Die im Tenor genannten Auslagen sind zur sachgerechten Durchführung des Verfahrens seitens der Verteidigung erforderlich.

Es handelt sich bei den in Rede stehenden Anschaffungskosten auch aus Sicht des Senats nicht um Kosten, die bereits für den allgemeinen Bürobetrieb der Strafverteidiger angefallen sind. Aufwendungen für Computer und EDV-Anlagen zählen nur insoweit zu den allgemeinen Geschäftskosten, als sie für die Unterhaltung des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwalts im Allgemeinen entstehen (OLG Hamm, Beschluss v. 6.5.2015 — 2 Ws 40/15, BeckRS 2015, 12437). Das Datenvolumen der in Rede stehenden Beweismittel ist mit ca. zwei Terabyte so groß, dass es die für die Unterhaltung des Kanzleibetriebs im Allgemeinen entstehenden Aufwendungen für Speicherbedarf übersteigen wird (vgl. OLG Celle, a.a.O.) und dies zudem für eine erhebliche Dauer.

Hinzu tritt, dass der Senat auch bekannt gegeben hatte, dass entsprechende Datenträger aufgrund des damit verbundenen Beschaffungsaufwandes seitens des Thüringer Oberlandesgerichts nicht zur Verfügung gestellt werden können, diese aber bereits zum Transfer der Daten auf die Endgeräte der Verteidigung erforderlich wären.“

Die Entscheidung ist zutreffend. Mir erschließt sich allerdings nicht, warum das OLG, worauf der Senat ausdrücklich hinweist, nicht in der Lage ist/sein soll/sein will, entsprechende Datenträger selbst zur Verfügung zu stellen. So groß ist der damit verbundene Beschaffungsaufwand ja nun nicht. Man hat den Eindruck, dass sich das OLG dahinter verstecken will.

Der Kollege Urbanzyk, der mir den Beschluss übersandt hat, hatte noch angemerkt, dass der Bezirksrevisor bereits darauf hingewiesen habe, dass die Festplatten nach „Abschluss des Verfahrens“ an das OLG herauszugeben seien. Dazu ist anzumerken: Gegen ein Herausgabeverlangen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, nur ist der für die Herausgabe ins Auge gefasste Zeitpunkt m.E. zu früh bzw. zu ungenau terminiert. Denn die Festplatten bzw. die dort gespeicherten Aktenbestandteile sind Teil der Handakten des Verteidigers, auf die er auch nach „Abschluss des Verfahrens“ – meint der Bezirksrevisor „Rechtskraft“ – schon aus Haftungsgründen Zugriff haben und behalten muss. M.E. wird eine Herausgabepflicht daher erst mit Ablauf der Sechs-Jahres-Frist des § 50 Abs. 1 BRAO bestehen. Aber wer hat Interesse an sechs Jahre alten Festplatten? Die Justiz offenbar schon.

Wer schuldet dem Gericht die Nr. 9003 VV GKG, oder: Der Rechtsanwalt muss „vorfinanzieren“

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Und als zweite Entscheidung dann noch der OVG Münster, Beschl. v. 19.01.2024 – 10 E 780/23. Auch eine zutreffende Entscheidung – man will sich ja am Feiertag nicht ärgern. Es geht noch einmal um die Frage, wer Kostenschuldner der sog. Aktenversendungspauschale Nr. 9003 VV GKG ist. Eien Frage, die m.E. schon seit langem beantwortet ist, aber nun ist sie noch einmal aufgetaucht.

Folgender kurzer Sachverhalt: Der Prozessbevollmächtigten der Klägerin sind im verwaltungsrechtlichen Ausgangsverfahren die Kosten einer Aktenversendungspauschale nach Nr. 9003 KV GKG in Höhe von 12 EUR auferlegt worden. Dagegen hat die Prozessbevollmächtigte Beschwerde eingelegt. Die hatte keinen Erfolg:

„Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein die Frage, wer die Kosten für die – hier erfolgte – Versendung der Akten in die Kanzleiräume eines Prozessbevollmächtigten schuldet. Dies ist – im Verhältnis zum Gericht – der Prozessbevollmächtigte und nicht der von ihm im Verfahren vertretene Beteiligte.

Nach § 28 Abs. 2 GKG schuldet die Auslagen nach Nr. 9003 des Kostenverzeichnisses nur, wer die Versendung der Akte beantragt hat. Dabei handelt es sich – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – um eine spezielle Kostenhaftungsregelung für die Aktenversendungspauschale, mit der eine ungerechtfertigte Haftung der allgemeinen Kostenschuldner nach den §§ 22 ff. GKG vermieden werden soll.
Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu Art. 1 Nr. 26 (§ 56 GKG a.F.) des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 (BT-Drs. 12/6962, S. 7, 66).

Daraus ergibt sich, wie die Beschwerdeführerin richtigerweise vorbringt, noch nicht, ob der Prozessbevollmächtigte oder der von ihm Vertretene Schuldner der Aktenversendungspauschale ist.

Anders als die Beschwerdeführerin meint, lässt sich dem Umstand, dass das Recht auf Akteneinsicht nach § 100 Abs. 1 VwGO den Beteiligten zusteht und auch dessen Wahrnehmung durch Bevollmächtigte letztlich im Interesse der Vertretenen erfolgt, aber nicht entnehmen, dass diese als Antragsteller und damit Kostenschuldner i. S. v. § 28 Abs. 2 GKG anzusehen sind. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kostenschuldner unabhängig davon zu bestimmen ist. Bei der Versendung von Akten handelt es sich um eine von § 100 VwGO nicht umfasste zusätzliche Leistung, für die Nr. 9003 einen eigenen Gebührentatbestand vorsieht.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 22. März 2013 – 11 E 85/13 -, juris Rn. 7 und vom 29. Januar 2013 – 2 E 81/13 -, juris Rn. 4 ff.

Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass Kostenschuldner dieser zusätzlichen Leistung der Prozessbevollmächtigte ist, wenn dieser die Versendung an sich beantragt hat. Die – durch die Pauschale abzugeltende – Aktenversendung erfolgt bei einer Beantragung durch einen Rechtsanwalt regelmäßig nur aus arbeitsorganisatorischen Gründen, die in die Interessensphäre des Prozessbevollmächtigten und nicht in diejenige des von ihm vertretenen Beteiligten fallen. Eine Aktenversendung, wie sie hier beantragt worden war, ist von vornherein nur den nach § 67 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 3 bis 6 VwGO bevollmächtigten Personen möglich, da allein ihnen und nicht den von ihnen Vertretenen die Mitnahme der Akten in die Wohnung oder die Geschäftsräume gestattet werden kann (vgl. § 100 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Der Rechtsanwalt entscheidet darüber, auf welche Weise und an welchem Ort er die Gerichtsakten einsieht, vorwiegend unter Berücksichtigung seiner eigenen Interessen und Arbeitsorganisation. Dass sich die Anfertigung von Aktenauszügen und Fotokopien für den Rechtsanwalt bei einer Aktenübersendung als einfacher erweisen mag, rechtfertigt nicht die Annahme, die Aktenübersendung liege auch im Interesse des von ihm Vertretenen. Dies gilt ebenso für den Einwand der Beschwerdeführerin, bei einer Aktenübersendung in die Kanzleiräume erfolge gewöhnlich ein gründlicheres Aktenstudium. Ein gründliches Aktenstudium ist dem Rechtsanwalt auch bei einer Akteneinsichtnahme bei Gericht möglich – entweder während der Akteneinsicht im Gerichtsgebäude oder auf Grundlage einer dort gefertigten Kopie der Akte in seinen Kanzleiräumen. Entscheidet sich der Rechtsanwalt für die Beantragung einer Aktenübersendung, rechtfertigt es die für ihn damit in aller Regel verbundene erhebliche Arbeitserleichterung, die dadurch entstandenen Kosten bei ihm zu erheben.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2010 – 1 WDS-KSt 6/09 -, juris Rn. 22; BGH, Urteil vom 6. April 2011 – IV ZR 232/08 -, juris Rn. 11 ff.; BSG, Beschluss vom 20. März 2015 – B 13 SF 4/15 S -, juris Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21. März 2016 – 5 S 2450/12 -, juris Rn. 5 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 1. Februar 2010 – 13 OA 170/09 -, juris Rn. 7 ff.; Bay. VGH, Beschluss vom 18. Januar 2007 – 19 C 05.3348 -, juris Rn. 17 ff.; a. A. Sächs. OVG, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 5 A 398/08 -, juris Rn. 3 ff.; Hamb. OVG, Beschluss vom 18. April 2006 – 1 So 148/05 -, juris Rn. 3.

Dass dies zu einer Vorfinanzierung der Aktenversendungspauschale durch den Rechtsanwalt für den Fall führt, dass er die Kosten an den Vertretenen weitergeben kann, rechtfertigt keine andere Entscheidung.“

Welche Auslagenerstattung nach Zurückverweisung?, oder: Auslegung von „Die Kosten des Termins….“

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Wird ein Urteil im Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahren aufgehoben, stellt sich ggf. nach der abschließenden Entscheidung im neuen Erkenntnisverfahren die Frage, welche Gebühren die Staatskasse ggf. als notwendige Auslagen des Beschuldigten/Betroffenen tragen muss. Das LG Magdeburg befasst sich in LG Magdeburg, Beschl. v. 14.2.2024 – 26 Qs 6/24 mit einer amtsgerichtlichen Kostenentscheidung in einem Verfahren, in dem zunächst ein Verwerfungsurteil ergangen war. Zudem nimmt es zur Verfahrensgebühr Stellung.

Das AG hatte im Hauptverhandlungstermin am 15.08.2022 den Einspruch des Betroffenen gegen einen gegen ihn wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassenen Bußgeldbescheid verworfen, weil der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung ohne Entschuldigung ferngeblieben sei  (§§ 73, 74 Abs. 2 OWiG). Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das OLG das AG-Urteil mit Beschluss vom 06.03.2023 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des AG zurückverwiesen. Das AG hat den Betroffenen dann mit Urteil vom 04.09.2023 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße verurteilt. Die Kostenentscheidung lautete wie folgt: „„Die Kosten des Termins vom 15.08.2022 und des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die insoweit notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last. Im Übrigen trägt der Betroffene die Kosten des Verfahrens.”

Der Verteidiger des Betroffenen hat die Festsetzung der von der Staatskasse zu erstattenden Auslagen des Betroffenen beantragt. Dabei hat er für den Hauptverhandlungstermin vom 15.08.2022 eine Verfahrensgebühr Nr 5109 VV RVG und eine Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG nebst Abwesenheitsgeldern und Postpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie die Verfahrensgebühr Nr. 5113 VV nebst einer weiteren Pauschale Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht.

Die Bezirksrevisorin beim LG hat Einwendungen gegen die Geltendmachung der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5109 VV RVG sowie der Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG für das erstinstanzliche Verfahren erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Staatskasse neben den notwendigen Auslagen des Betroffenen für das Rechtsbeschwerdeverfahren nur noch die notwendigen Auslagen für den Termin am 15.08.2022 auferlegt worden seien. Die Verfahrensgebühr und auch die Pauschale seien jedoch nicht für den Termin selbst, sondern für das „übrige” Verfahren entstanden. Diese Auslagen seien nicht ausscheidbar und daher nicht zu erstatten.

Das AG hat das anders gesehen und ist dem Kostenfestsetzungsantrag des Betroffenen gefolgt. Die Festsetzung der Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG und der Postpauschale Nr. 7002 VV RVG hat es damit begründet, dass das Verfahren vom OLG an das AG zurückverwiesen worden sei. Damit sei § 21 Abs.1 RVG einschlägig.

Dagegen hat die Bezirksrevisorin sofortige Beschwerde eingelegt, der das AG nicht abgeholfen und die Sache dem LG zur Entscheidung vorgelegt hat. Dort hatte die sofortige Beschwerde Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde der Landeskasse hat auch in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Unrecht die Festsetzung der dem Betroffenen aufgrund der Kostengrundentscheidung des Urteils des Amtsgerichts Wernigerode vom 04.09.2023 zu erstattenden notwendigen Auslagen auch auf die beantragte Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG sowie die Postpauschale, jeweils nebst 19 % Umsatzsteuer, erstreckt. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen der Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 18.10.2023 sowie in ihrer Beschwerdebegründung vom 04.12.2023, denen sich die Kammer nach kritischer Prüfung vollinhaltlich anschließt, Bezug genommen. Die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG entsteht unabhängig von der Durchführung eines Hauptverhandlungstermins und kann daher nicht – wie die Verteidigung meint – untrennbar mit einem solchen verbunden sein. Ebenso wenig ergibt sich vorliegend aus der Regelung des § 21 Abs. 1 RVG eine Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr Nr. 5109 und der Postpauschale im Wege der Festsetzung der dem Betroffenen zu erstattenden notwendigen Auslagen. Es mag nach dieser Vorschrift eine weitere Verfahrensgebühr angefallen sein, allerdings ist diese nach der Kostengrundentscheidung des Urteils vom 04.09.2023 nicht von der Landeskasse, sondern vom Betroffenen zu tragen.“

Die Entscheidung ist zutreffend. M.E. kommt es bei der Bewertung der Entscheidung zunächst auf die vom LG angesprochenen Fragen des Entstehens der Verfahrensgebühr und der Terminsgebühr sowie die der Frage der Zurückverweisung (§ 21 Abs. 1 RVG) an. Insoweit stellt das LG zutreffend dar, dass die Terminsgebühr nach Vorbem. 5. Abs. 3 VV RVG und auch Vorbem. 4 Abs. 3 VV RVG für die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem Termin entsteht. Es handelt sich um eine der in den Vorbem. 5 Abs. 2 VV RVG bzw. Nr. 4 Abs. 2 VV RVG erwähnten besonderen Gebühren. Die durch sie abgegoltene Teilnahme wird nicht von einer Verfahrensgebühr (für das gerichtliche Verfahren) erfasst. Die erfasst nur das (allgemeine) Betreiben des Geschäfts (zum Abgeltungsbereich der Gebühren Burhoff AGS 2022, 1 und 97). Und man muss auch nicht darüber streiten, dass durch die Zurückverweisung der Sache gem. § 21 Abs. 1 RVG alle Gebühren – mit Ausnahme der Grundgebühr – noch einmal entstehen, da es sich nach Zurückverweisung um eine neue Angelegenheit i.S. von § 15 RVG handelt (vgl. dazu Burhoff AGS 2023, 102; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Teil A Rn 2690 ff.). Damit hat das LG Recht, wenn es – unter Bezugnahme auf die Bezirksrevisorin ausführt -, dass durch den Termin vom 15.8.2022 eine Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG nicht mehr entstehen konnte. Denn die war bereits durch die sonstigen Tätigkeiten des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren – unabhängig von der Hauptverhandlung entstanden. Es handelt sich nicht (mehr) um „die Kosten des Termins ….“.

Erstattungsfähigkeit von Reisekosten nach Freispruch, oder: Anreise von einem anderen Ort ohne Anzeige

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Am RVG-Tag heute zunächst eine Entscheidung zur Erstattungsfähigkeit von Reisekostendes Angeklagten.

Insoweit gilt der Grundsatz: Wird ein Angeklagter frei gesprochen, kann er Auslagenersatz verlangen. Dazu gehören auch seine Reisekosten. Nur ist manchmal fraglich, in welchem Umfang der Angeklagte Erstattung verlangen kann. Dazu hat sich der LG Karlsruhe, Beschl. v. 06.12.2023 – 16 Qs 57/23 – geäußert, den ich schon in anderem Zusammenhang vorgestellt habe (vgl. hier: Bemessung der Rahmengebühr als Mittelgebühr I, oder: Freispruchantrag der StA hat keine Auswirkungen).

Für den „zweiten Teil“ der Entscheidung folgender Sachverhalt: Der Angeklagte war in dem gegen ihn anhängigen Verfahren unter seiner Wohnanschrift/Meldeadresse in Pforzheim in der Bundesrepublik Deutschland schriftlich vorgeladen. Daraufhin legitimierte sich sein Verteidiger als Wahlverteidiger. Seinem Schreiben vom 20.07.2022 war beigefügt die auf ihn ausgestellte und unterschriebene Vollmacht des ehemaligen Angeklagten, auf der sich ebenfalls die Adressdaten der deutschen Meldeadresse befand.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das AG gegen den ehemaligen Angeklagten einen Strafbefehl. Auf den Einspruch des Verteidigers fand am 01.03.2023 beim AG Pforzheim von 11:02 Uhr bis 11:16 Uhr die Hauptverhandlung statt. In dieser erwähnte der ehemalige Angeklagte erstmals, dass er aus geschäftlichen Gründen eine österreichische Anschrift habe. Die Hauptverhandlung wurde am 22.03.2023 von 14:52 Uhr bis 15:00 Uhr fortgesetzt.

Der Angeklagte wurde frei gesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt. Das Urteil des Amtsgerichts Pforzheim ist echtskräftig.

Der ehemalige Angeklagte dann hat u.a. Reisekosten in Höhe von 985,- EUR geltend gemacht. Das hat er u.a. damit begründet, er sei tatsächlich in Oberparschenbrunn in Österreich wohnhaft. Hierzu legte er eine entsprechende Meldebestätigung vom 04.11.2021 vor. Nach Aktenlage hat der Angeklagte erstmals im Rahmen der Kostenfestsetzung erwähnt, dass er auch von Österreich aus und nicht von seiner Meldeadresse in Pforzheim zu den Hauptverhandlungsterminen habe anreisen müssen.

Die Bezirksrevision ist der Festsetzung der geltend gemachten Reisekosten entgegen getreten. Die Fahrtkosten aus Österreich seien nicht festzusetzen. Der Angeklagte sei offiziell in Pforzheim gemeldet und auch dort geladen worden. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die beabsichtigte Fahrt aus dem Ausland sei vor Durchführung der Hauptverhandlung nicht ersichtlich. Ansonsten wäre es dem Gericht ggf. möglich gewesen, die Hauptverhandlung so zu legen, dass sich der Beschwerdeführer ohnehin an seiner Meldeadresse in Pforzheim aufgehalten hätte. Das AG ist dem gefolgt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten hatte Erfolg:

„3. Die dem Beschwerdeführer selbst entstandenen Fahrtkosten sind nach § 464a Abs. 2 Nr. 1 StPO i.V.m. § 5 JVEG erstattungsfähig.

Der Beschwerdeführer macht Fahrtkosten von seinem Wohnsitz in Österreich aus geltend, obwohl er jeweils an seiner Meldeadresse in Pforzheim geladen wurde.

Ausgangspunkt für die Beurteilung der Erstattungsfähigkeit ist § 5 Abs. 5 JVEG, der unmittelbar anwendbar ist. Durch den ausdrücklichen gesetzlichen Verweis bedarf es einer entsprechenden Anwendung von §§ 5, 6 JVEG nicht (in diesem Sinne aber offenbar Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 464a Rn. 15 m.w.N.). Aus § 5 Abs. 5 JVEG folgt: Wird die Reise zum Ort des Termins „von einem anderen als dem“ in der Ladung oder Terminsmitteilung bezeichneten oder der zuständigen Stelle „unverzüglich angezeigten Ort“ angetreten oder wird zu einem anderen als zu diesem Ort zurückgefahren, werden Mehrkosten nach billigem Ermessen nur dann ersetzt, wenn der Berechtigte zu diesen Fahrten durch besondere Umstände gezwungen war.

Eine förmliche Anzeige des Reiseantritts des Beschwerdeführers aus Österreich ist nicht aktenkundig. Die jedenfalls vom Beschwerdeführer behauptete Erwähnung seiner Arbeitsstelle in Österreich im Rahmen der Hauptverhandlung erfüllt erkennbar nicht die Anforderung an eine ordnungsgemäße Anzeige.

Dem Wortlaut der Norm nach kommt die vom Beschwerdeführer begehrte Erstattung nach billigem Ermessen demnach nur noch in Betracht, wenn der Berechtigte zu diesen Fahrten durch besondere Umstände gezwungen war (vgl. LG Koblenz MDR 1998, 1183 zu § 9 ZESG; erwähnt bei JVEG/Schneider, 4. Aufl. 2021, JVEG, § 1 Rn. 158).

Für Angeklagte ist die Regelung nach ihrem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang mit den Vorschriften der StPO jedoch einschränkend auszulegen: Die unverzügliche Anzeige soll dem Gericht nur die Prüfung ermöglichen, ob es den Zeugen, Sachverständigen oder sonstigen Beteiligten zunächst abbestellen will (vgl. OLG Dresden, JurBüro 1998, 269; Hartmann, KostenG, 39. Aufl., § 5 JVEG Rn 22). Hätte das Gericht die Ladung aber in jedem Fall aufrechterhalten, so sind dem Beteiligten die Mehrkosten der An- und/oder Rückreise von oder zu einem anderen als dem in der Ladung angegebenen Ort auch dann zu erstatten, wenn er die Anreise von dem anderen Ort verspätet oder überhaupt nicht angezeigt hat (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2013, 62; OLG Dresden, JurBüro 1998, 269; OLG Schleswig, RPfl 1962, 367; Hartmann, § 5 JVEG Rn. 24; Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl., § 5 Rn 5.23). Das ist aber bei Angeklagten stets der Fall. Da gegen einen ausgebliebenen Angeklagten gem. § 230 Abs. 1 StPO eine Hauptverhandlung grundsätzlich nicht stattfinden kann, ist es ausgeschlossen, dass das Amtsgericht den Beschwerdeführer abgeladen hätte, wenn er seine Anreise aus Österreich rechtzeitig angezeigt hätte. Zwar wäre es dem Beschwerdeführer gem. § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO grundsätzlich möglich gewesen, seinen Verteidiger für die Vertretung im Einspruchsverfahren gegen einen Strafbefehl gesondert zu bevollmächtigen. Insofern hätte ausnahmsweise entgegen § 230 Abs. 1 StPO eine Hauptverhandlung auch ohne den Beschwerdeführer stattfinden können. Eine solche Vorgehensweise liegt indes nicht in der Disposition des Gerichts. Die insoweit von der Bezirksrevision hypothetisch angedachte Möglichkeit einer kostenschonenden Terminierung von Hauptverhandlungen rund um die Verfügbarkeiten des Beschwerdeführers an seiner Meldeadresse in Pforzheim entspricht nicht den realen organisatorischen Gegebenheiten einer durch erheblichen Terminierungsdruck geprägten Strafjustiz.

Die fehlende Anzeige steht also der Erstattungspflicht hier nicht entgegen.

Die Anreise aus Österreich ist auch glaubhaft gemacht.“

Erstinstanzliche Verteidigung gegen Einziehung, oder: Welche Kosten-/Auslagenentscheidung?

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Nach dem BayObLG, Beschl. v. 27.10.2023 -204 StRR 394/23, den ich heute Vormittag vorgestellt habe (vgl. hier: Erfolgreiches Rechtsmittel gegen Einziehung, oder: Welche Kosten-/Auslagenentscheidung?), nun zwei weitere Entscheidungen zu Kosten-/Auslagenfragen bei der Einziehung.

Es handelt sich um zwei LG-Entscheidungen, von denen ich aber nur die Leitsätze vorstelle und im Übrigen auf das „Selbstleseverfahren“ verweise. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Zunächst der LG Hildesheim, Beschl. v. 13.12.2023 – 21 Qs 4/23 – zur Frage der Auslagenerstattung für den Einziehungsbeteiligten nach Erlöschen des Einziehungsanspruches vor Verfahrensabschluss. Dazu der Leitsatz:

Die notwendigen Auslagen eines Einziehungsbeteiligen sind regelmäßig nicht aus Billigkeitsgründen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn von einer Einziehungsentscheidung gegen diesen abgesehen wird, nachdem der aus der Tat erwachsene Wertersatzanspruch des Verletzten infolge von diesem veranlasster Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach Anordnung der Einziehungsbeteiligung, aber vor Abschluss des Verfahrens erloschen ist.

Und dann der LG Braunschweig, Beschl. v. 14.12.2023 – 8 Qs 326/23 -, der sich sowohl zur Frage des Gegenstandswertes bei der Einziehung äußert – Stichwort: Gegenstandswert bei unterschiedlichen Werten in der Anklage und dem (Einziehungs)Antrag der Staatsanwaltschaft – und dann auch zur Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO in erstinstanzlichen Verfahren. Hier die beiden Leitsätze:

1. Entscheidend für die Berechnung des Gegenstandswertes für die Nr. 4142 VV RVG ist nicht, in welcher Höhe die Staatsanwaltschaft am Ende der Beweisaufnahme eine Einziehung für gerechtfertigt hält, sondern vielmehr, welcher Betrag durch die Anklageerhebung zum Verfahrensgegenstand gemacht wird.
2. § 465 Abs. 2 StPO ist auch in erstinstanzlichen Verfahren anwendbar.