Archiv der Kategorie: Auslagen

Notwendige Aufwendungen des Pflichtverteidigers, oder: Gerichtliche Feststellung bindet Kostenbeamten

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Und die zweite „Vorschussentscheidung“ kommt dann aus dem Strafverfahren bzw. einem Auslieferungsverfahren.

Das AG hatte in einem Auslieferungsverfahren dem Verfolgten die Kollegin E.Hößler, Dillingen a.d.Donau als Pflichtbeiständin (fürchterliches Wort 🙂 ) beigeordnet. Diese beantragte mit Schreiben vom 02.06.2021 gemäß § 46 Abs. 2 RVG die gerichtliche Feststellung, dass die Übersetzung von 259 Seiten aus den Verfahrensakten des dem Antrag auf Auslieferung zugrundeliegenden, in Serbien geführten Strafverfahren für eine ordnungsgemäße Verteidigung notwendig sei.

Mit Beschluss vom 15.06.2021 stellte das AG die Notwendigkeit der Übersetzung fest. Eine vorherige Anhörung des Bezirksrevisors erfolgte nicht. Der Beschluss enthält keine Gründe.

Mit Schreiben vom 04.08.2021 beantragte die Kollegin dann unter Rechnungsvorlage die Erstattung der angefallenen Übersetzerkosten in Höhe von insgesamt 25.000,63 EUR direkt an die Übersetzerin. Der Kostenbeamte verlangte mit Schreiben vom 01.09.2021 eine Glaubhaftmachung des Kostenansatzes. Nach Anhörung des Bezirksrevisors wurden die zu erstattenden Übersetzungskosten nur teilweise festgesetzt, weil der Kostenbeamte – ohne weitere Begründung – bei einer Vielzahl der übersetzten Dokumente deren Übersetzung für eine sachgerechte Verteidigung nicht für erforderlich erachtete. Die Kollegin hat Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss erhoben und unter Verweis auf die vom AG festgestellte Notwendigkeit der Übersetzung die Erstattung der gesamten beantragten Übersetzungskosten beantragt. Der Kostenbeamte half der Erinnerung nicht ab. Das AG hat der Erinnerung in vollem Umfang abgeholfen und die Kostenfestsetzungsbeschlüsse mit der Maßgabe aufgehoben, dass die weiteren Übersetzungskosten i.H.v. 7.808,48 EUR ebenfalls aus der Staatskasse zu erstatten sind. Die hiergegen von der Staatskasse eingelegte Beschwerde hat LG Augsburg mit dem LG Augsburg, Beschl. v. 28.09.2022 – 3 Qs 285/22 – verworfen. Die dagegen eingelegte weitere Beschwerde der Staatskasse hatte keinen Erfolg. Das OLG München gat sie im OLG München, Beschl. v. 07.12.2022 – 4 Ws 23/22 – zurückgewiesen:

„3. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da die angefochtene Entscheidung des Landgerichts Augsburg, deren Begründung der Senat beitritt, der Sach- und Rechtslage entspricht. Ergänzend ist anzumerken:

a) Die Entscheidung über die Erstattung von Auslagen des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwaltes erfolgt in zwei Stufen:

Auf der ersten Stufe entscheidet das Gericht, das den Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt hat, dem Grunde nach darüber, ob die geltend gemachten Auslagen für eine sachgemäße Durchführung der Sache, hier der Vertretung des Auszuliefernden im Rahmen des Auslieferungsverfahrens, erforderlich waren. In keinem Fall ist für Feststellung der Erforderlichkeit der Rechtspfleger oder der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zuständig. Denn es geht um solche Fragen, die nur das erkennende Gericht aus seiner Beurteilung der materiell-rechtlichen und prozessualen Gesamtsituation beantworten kann (vgl. Toussaint/Toussaint, 52. Aufl. 2022, RVG § 46 Rn. 38). Nach der ausdrücklichen und unmissverständlichen Regelung in § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG ist die gerichtliche Feststellung der Notwendigkeit von Auslagen, zu denen gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG auch die Kosten für Übersetzungen und Dolmetscher gehören, für das weitere Kostenfestsetzungsverfahren bindend. Die Entscheidung des Gerichts, mit der die Erforderlichkeit festgestellt wird, erfolgt nach Anhörung des Bezirksrevisors und sie ist zu begründen. Sie ist jedoch nicht anfechtbar (vgl. Toussaint/Toussaint, 52. Aufl. 2022, RVG § 46 Rn. 46), auch nicht für die Staatskasse (NK-GK/Hagen Schneider, 3. Aufl. 2021, RVG § 46 Rn. 28).

Auf der zweiten Stufe, nämlich im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 55 RVG, entscheidet der zuständige Kostenbeamte, ob die auf der ersten Stufe vom Gericht für erforderlich erachteten Auslagen auch der Höhe nach erstattungsfähig sind. Werden Auslagen für Übersetzungen oder Dolmetscher geltend gemacht, so prüft er insbesondere, ob diese sich – wie in § 46 Abs. 2 Satz 3 2. HS RVG geregelt – auf die nach JVEG erstattungsfähigen Beträge beschränken.

b) Dies zugrunde gelegt hatte der Kostenbeamte die mit Beschluss vom 15.06.2021 getroffene Entscheidung des Amtsgerichts Dillingen a. d. Donau, dass die Übersetzung der fraglichen 259 Seiten für eine sachgerechte Verteidigung im Auslieferungsverfahren erforderlich war, hinzunehmen. Er war nicht berechtigt, unter Verstoß gegen die ausdrückliche gesetzliche Regelung und unter Missachtung der gesetzlich bestimmten Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidung im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Prüfung der Höhe inzident erneut und ohne Zuständigkeit die Erforderlichkeit der Übersetzungskosten zu prüfen, wie dies im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.04.2022 geschehen ist.

Etwas anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil die Entscheidung des Amtsgerichts insofern fehlerhaft war, als weder eine Anhörung des Bezirksrevisors noch eine eigene Prüfung der beantragten Auslagen stattgefunden hat und der Beschluss außerdem jegliche Begründung vermissen lässt. Stellt ein Gericht, und sei es auch fehlerhaft, die Erforderlichkeit einer Reise oder anderer Auslagen fest, schafft es für den Rechtsanwalt einen Vertrauenstatbestand, auf den sich der Rechtsanwalt verlassen darf (Hartung/Schons/Enders/Hartung, 3. Aufl. 2017, RVG § 46 Rn. 59).

Anzumerken ist, dass der Kostenbeamte, wenn er sich denn über eine gerichtliche Entscheidung hinwegsetzen möchte, seine eigene zumindest in einem solchen Umfang begründen sollte, damit eine inhaltliche Nachprüfung möglich ist. Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.04.2022 teilt zu keinem der als nicht für eine sachgerechte Verteidigung erforderlich erachteten Dokumente mit, worauf sich diese Einschätzung stützt. Auch die Stellungnahme des Bezirksrevisors verhält sich dazu nicht.

Da die Höhe der geltend gemachten Kosten, dh. das für das jeweilige Einzeldokument geltend gemachte Zeilenhonorar, vom Kostenbeamten nicht beanstandet wurde, hat es mit der Entscheidung des Landgerichts Augsburg sein Bewenden.“

Die Entscheidung ist zutreffend und erinnert noch einmal daran, dass es für den Pflichtverteidiger sinnvoll ist/sein kann, beim Gericht die Feststellung der Notwendigkeit von als erforderlich angesehener Auslagen/Aufwendungen, also z.B. Kopien aus der Akte, Reisen oder eben auch Übersetzungen, zu beantragen. Stellt das Gericht die Notwendigkeit fest, gilt das auch für das Kostenfestsetzungsverfahren. An der Stelle sollte es dann keinen Streit mehr mit der Staatskasse geben. Lehnt das Gericht die Feststellung ab, ist damit nichts verloren. Denn diese Ablehnung ist anders als die positive Bescheidung für das Kostenfestsetzungsverfahren nicht bindend (s. Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 219 ff.).

Ich empfehle auch die Lektüre des Beschlusses des LG Augsburg. Denn das hat in seiner Entscheidung zudem darauf hingewiesen, dass die Staatskasse zu Recht moniere, dass die Übersetzung von insgesamt 259 Seiten, welche lediglich äußerst pauschal als „Aktenteile aus dem in Serbien gegen den Betroffenen geführten Strafverfahren nebst anwaltlichem Schriftverkehr und einen Social-Media-Chat“ bezeichnet worden seien, nicht zwingend – wie seitens des AG geschehen – vollumfänglich als erforderliche Aufwendung hätten angesehen werden müssen. Auf die Frage kam es dann letztlich aber wegen der grundsätzlichen Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Feststellungsbeschlusses zwar nicht mehr an. Die Ausführungen des LG sollten jedoch Anlass sein, nicht ggf. „blind“ die gesamte Akte übersetzen zu lassen.

Ist die Aktenversendungpauschale angefallen? oder: Vollständige Originalakte und Rücksendepflicht

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Zum Schluss der Woche gibt es heute drei gebührenrechtliche AG-Entscheidungen mit kurzen, knappen Begründungen zu Fragen, die immer wieder eine Rolle spielen. Zunächst hier zwei Entscheidungen zur Aktenversendungspauschale.

Da weise ich dann zunächst (noch einmal) hin auf den AG Vechta, Beschl. v. 21.10.2022 – 93 OWi 234/22. In dem zugrunde liegenden Bußgeldverfahren hatte der Betroffene die Übersendung des Beschilderungsplans beantragt, der war ihm aber nicht zur Verfügung gestellt worden, was das AG als rechtsfehlerhaft angesehen hat. Der Landkreis hatte aber dennoch die Aktenversendungspauschale geltend gemacht. Diesen Kostenansatz hat das AG aufgehoben:

„b) Der vom Landkreis Vechta erlassene Kostenansatz der Pauschale von 12 Euro für die Versendung der Akte ohne des Beschilderungsplanes war aufzuheben, da dieser rechtswidrig ist Die Aktenversendungspauschale gern. § 107 Abs. 5 OWiG fällt nur bei Übersendung der vollständigen Originalakte an (Gassner/Seith/Sandherr, 2. Auflage 2020, § 107 OWiG Rn. 29). Da der Beschilderungsplan zum notwendigen Bestandteil der Akte gehört, hätte dieser mitübersendet werden müssen, was nicht der Fall war.“

Und als zweite Entscheidung hier dann der AG Langenburg, Beschl. v. 08.11.2022 – 1 Cs 36 Js 543/22 – mit folgender Aussage:

„Die Aktenversendungspauschale nach KV 9003 GKG kann nur erhoben werden, wenn eine Rücksendepflicht besteht. Bei Übersendung von Fotokopien eines Teils oder aber der gesamten Akte zum Verbleib fällt neben den Schreibauslagen daher keine Aktenversendungspauschale an.“

BVerfG II: Erledigung der Verfassungsbeschwerde, oder: Auslagenerstattung verneint

Und dann als zweite Entscheidung der BVerfG, Beschl. v. 29.12.2022 – 2 BvR 1216/21 – ebenfalls zur Problematik der Auslagenerstattung nach Erledigung der Verfassungsbeschwerde. Hier hat das BVerfG die Auslagenerstattung verneint:

„2. Der sinngemäße Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist unbegründet.

a) Nach Erledigung der Verfassungsbeschwerde ist über die Auslagenerstattung gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Die Erstattung der Auslagen nach dieser Vorschrift stellt im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers erstattungsberechtigten Gegners die Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen (vgl. BVerfGE 49, 70 <89>) dar (vgl. BVerfGE 66, 152 <154>). Im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts findet eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Entscheidung über die Auslagenerstattung nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247 <264 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 2018 – 2 BvR 2767/17 -, Rn. 13). Bei der Entscheidung über die Auslagenerstattung kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. So ist es billig, einem Beschwerdeführer die Erstattung seiner Auslagen zuzuerkennen, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft, weil in diesem Fall – falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind – davon ausgegangen werden kann, dass sie deren Begehren selbst für berechtigt erachtet hat (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>).

b) Nach diesen Maßstäben entspricht es nicht der Billigkeit, der Beschwerdeführerin die Auslagenerstattung anzuordnen. Zwar hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Begehren der Beschwerdeführerin entsprochen, indem es ihr mit Bescheid vom 20. Juli 2022 eine Aufenthaltszusage erteilt hat. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass das Bundesamt der Beschwer – der vorigen Ablehnung des Antrags – deshalb abgeholfen hat, weil es das verfassungsrechtliche Vorbringen der Beschwerdeführerin für durchgreifend erachtet hätte.

Den verfahrensgegenständlichen ablehnenden Bescheid vom 25. Juli 2019 hatte das Bundesamt darauf gestützt, dass eine erneute Antragstellung im Fall der Beschwerdeführerin nicht zulässig sei und ein Wiederaufgreifen des vorherigen Antragsverfahrens nicht in Betracht komme. Ihr ursprünglicher Antrag sei im Jahr 2017 abgelehnt worden, weil der Nachweis nicht erbracht worden sei, dass die Möglichkeit zu einer Aufnahme in einer jüdischen Gemeinde im Bundesgebiet bestehe (Nr. I 2. Buchst. e der Anordnung des Bundesministeriums des Innern vom 24. Mai 2007 in der Fassung vom 21. Mai 2015 – im Folgenden: Aufnahmeanordnung). Daher sei eine erneute Antragstellung unzulässig, weil eine solche Möglichkeit nach Nr. II 7. Satz 2 Aufnahmeanordnung nur bei einer Ablehnung aufgrund fehlenden Nachweises der jüdischen Nationalität beziehungsweise Abstammung (Nr. I 2. Buchst. a Aufnahmeanordnung) bestehe.

In seinem nunmehr stattgebenden Bescheid vom 20. Juli 2022 hat das Bundesamt die Zulässigkeit des Antrags damit begründet, dass die Aufnahmeanordnung durch das Bundesministerium des Innern im März 2022 geändert worden sei und seitdem für Antragstellerinnen und Antragsteller aus der Ukraine die Möglichkeit einer einmaligen erneuten Antragstellung unabhängig vom Ergebnis des vorausgegangenen Verfahrens bestehe. Die Stattgabe des Antrags stellt sich demnach als Reaktion auf die Änderung der Aufnahmeanordnung anlässlich des Überfalls der Russischen Föderation auf die Ukraine am 24. Februar 2022 dar. Sie erlaubt nicht den Rückschluss, dass das Bundesamt das verfassungsrechtliche Vorbringen der Beschwerdeführerin gegen die restriktive Ausgestaltung der erneuten Antragstellung gemäß Nr. II 7. Aufnahmeanordnung für zutreffend hielt.“

BVerfG I: Erledigung der Verfassungsbeschwerde, oder: Auslagenerstattung bejaht

Erledigt sich eine beim BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerde stellt sich für den Beschwerdeführer die Frage der Auslagenerstattung. Zu den dabei zu beachtenden Grundsätzen hat vor kurzem das BVerfG in zwei Entscheidungen Stellung genommen. Die stelle ich heute vor.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 16.12.2022 – 2 BvR 1203/22. In dem hat das BVerfG die Auslagenerstattung zugunsten des Beschwerdeführers angeordnet:

„Der Antrag auf Auslagenerstattung hat Erfolg.

a) Über die Auslagenerstattung ist gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Die Erstattung der Auslagen nach dieser Vorschrift stellt im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers erstattungsberechtigten Gegners die Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen (vgl. BVerfGE 49, 70 <89>) dar (vgl. BVerfGE 66, 152 <154>). Bei der Entscheidung über die Auslagenerstattung kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. So ist es billig, einer beschwerdeführenden Person die Erstattung ihrer Auslagen zuzuerkennen, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft, weil in diesem Fall ? falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind ? davon ausgegangen werden kann, dass sie das Begehren der beschwerdeführenden Person selbst für berechtigt erachtet hat (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>). Im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts findet eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Entscheidung über die Auslagenerstattung nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247 <264 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Dezember 2017 – 2 BvR 2160/17 -).

b) Nach diesen Maßstäben entspricht es der Billigkeit, die Auslagenerstattung anzuordnen. Das Verwaltungsgericht hat den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 7. Juli 2022 abgeändert und dem Prozesskostenhilfeantrag in Bezug auf bestimmte Klagegegenstände stattgegeben. Damit hat es zum Ausdruck gebracht, dass es das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat.“

Der auswärtige Verteidiger in Bußgeldverfahren, oder: Reisekosten für auswärtige Verteidiger?

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Die zweite Entscheidung, der LG Hildesheim, Beschl. v. 12.12.2022 – 22 Qs 18/22 – nimmt Stellung zur Auslagenerstattung für den auswärtigen Rechtsanwalt in Bußgeldsachen. Die Frage macht gerade in Bußgeldsachen häufig Schwierigkeiten.

Der Betroffene hatte im Bußgeldverfahren einen auswärtigen Verteidiger beauftragt. Dieser hat, nachdem der Betroffene frei gesprochen worden ist und das AG der Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen auferlegt hat, die Erstattung seiner Reisekosten (224,28 EUR Fahrtkosten und 50 EUR Abwesenheitsgeld nebst anteiliger Umsatzsteuer) beantragt. Das AG hat diese festgesetzt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Staatskasse hatte Erfolg:

„Das so verstandene Rechtsmittel der Landeskasse hat im vollen Umfang Erfolg. Die Reisekosten des Verteidigers (224,28 € Fahrtkosten und 50 € Abwesenheitsgeld nebst anteiliger Umsatzsteuer) sind keine aufgrund des Urteils des Bußgeldrichters vom 9. August 2021 aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen.

Aus der Bezugnahme in § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO auf § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2. ZPO ergibt sich, dass Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts nach VV RVG Nr. 7003 ff. „nur insoweit“ zu erstatten sind, als seine Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig ist (vgl. KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 464a Rn. 12).

1. Selbst auf Grundlage der Rechtsauffassung des Amtsgerichts hätten die Kosten des auswärtigen Verteidigers daher nicht in voller Höhe festgesetzt werden dürfen, sondern – wie der Verteidiger selbst im Schriftsatz vom 29. August 2022 ausgeführt hat – nur in Höhe der Reisekosten eines Rechtsanwalts mit der höchstmöglichen Entfernung im Amtsgerichtsbezirk (BGH, Beschl. v. 9. Mai 2018 I ZB 62/17, MDR 2018, 1022), was hier zu festsetzbaren Reisekosten von etwa 63,60 € nebst Umsatzsteuer geführt hätte (33,60 € Reisekosten für jeweils etwa 40km Hin- und Rückweg zzgl. 30 € Abwesenheitsgeld).

2. Nach der Rechtsprechung der Kammer lässt sich diese zivilgerichtliche Rechtsprechung (n. d. v. g. Beschl. v. 9. Mai 2018, zuletzt etwa Beschl. v. 14.09.2021, VIII ZB 85/20 MDR 2021, 1486ff.) aber nicht auf Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren übertragen. Sie betrifft ganz andere Verfahrenssituationen, nämlich Zivilprozesse mit Anwaltszwang.

a) Im Strafverfahren ist hingegen § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO seit jeher differenziert ausgelegt worden. So ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines auswärtigen Anwalts – unabhängig von (Amts-)Gerichtsbezirken – grundsätzlich nur dann bejaht worden, wenn das Verfahren ein schwieriges und abgelegenes Rechtsgebiet betrifft, weshalb nur ein Anwalt mit besonderen Kenntnissen auf diesem Spezialgebiet zur ordnungsgemäßen Verteidigung in der Lage ist und ein solcher Spezialist am Sitz des Prozessgerichts nicht ansässig ist (vgl. LG Koblenz NStZ 2003, 619; OLG Köln NJW 1992, 586; OLG Jena StV 2001, 242; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt Rn. 12, s. a. Kotz: Aus der Rechtsprechung zu den Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen in Strafsachen 2010/2011, NStZ-RR 2012, 265, 266f.). Ferner kommt bei einem schweren Schuldvorwurf dem besonderen Vertrauensverhältnis regelmäßig eine größere Bedeutung als die Ortsnähe zu. Wenn der auswärtige Verteidiger gemäß §§ 141, 142 StPO als Pflichtverteidiger hätte bestellt werden können, dürfen seine als Wahlverteidiger geltend gemachten Auslagen dahinter nicht zurückbleiben (vgl. OLG Stuttgart Beschl. v. 12.10.2017 ,1 Ws 140/17, BeckRS 2017, 129463; OLG Nürnberg ZfS 2011, 226).

Hingegen hätte die unreflektierte Anwendung der vorgenannten zivilistischen Rechtsprechung ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des Strafverfahrens hingegen auch die Konsequenz, dass in Fällen notwendiger Verteidigung die Fahrtkosten eines auswärtigen Wahlverteidigers, der zum Verteidiger hätte bestellt werden können, nur bis zur Höhe der im (Amts-)Gerichtsbezirk maximal anfallenden Reisekosten erstattungsfähig wären und wohl auch nicht auf die Schwierigkeit oder Entlegenheit des Rechtsgebiets abgestellt werden könnte (vgl. Beschl. der Kammer v. 30. August 2022, 22 Qs 9/22).

b) Im Ordnungswidrigkeitenverfahren treten die vorgenannten Konstellationen nur ganz selten auf. Im Verfahren kann sich der Betroffene selbst vertreten und die Sachverhalte sind regelmäßig – wie hier bei dem Vorwurf eines überschaubaren Verkehrsverstoßes – einfach gelagert.

Wie die die Landeskasse vertretende Bezirksrevisorin zutreffend ausgeführt hat, ist es dann dem Betroffenen grundsätzlich zumutbar, einen Rechtsanwalt am Gerichtssitz zu mandatieren, für dessen Terminswahrnehmung keine Reisekosten anfallen (vgl. Beschlüsse der Kammer vom 14.05.2007, 22 Qs 6/07; vom 15.04.2010, 22 Qs 4/10; vom 15.01.2013, 22 Qs 8/13; vom 26.11.2014, 22 Qs 14/14, vom 12.03.2015, 22 Qs 1/15, vom 25.08.2017, 22 Qs 11/17 und v. 30. August 2022, 22 Qs 9/22).

c) In den vorgenannten Entscheidungen hat die Kammer hingegen dem Betroffenen regelmäßig Reisekosten in Höhe der nicht umsatzsteuerbelasteten Kosten einer fiktiven Informationsfahrt des Betroffenen zu einem Rechtsanwalt am Gerichtssitz zuerkannt.

Dies kommt im vorliegenden Fall aber nicht in Betracht. Eine persönliche Besprechung in der Kanzlei des mandatierten Rechtsanwalts hat es nicht gegeben, sodass auch nicht fiktiv für den Fall der Mandatierung eines Rechtsanwalts am Gerichtsort davon ausgegangen werden kann, dass der Betroffene diesen zum Zwecke der Information bzw. persönlichen Beratung aufgesucht hat und in entsprechender Höhe in jedem Falle Reisekosten entstanden wären.

Vielmehr sind – dem einfachen und überschaubaren Sachverhalt entsprechend – schriftliche beziehungsweise telefonische Besprechungen erfolgt. Diese hätten – wie die Bezirksrevisorin ebenfalls zutreffend ausgeführt hat – in gleicher Weise bei Mandatierung eines Rechtsanwalts am Gerichtsort erfolgen können (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl. 2021, Rn. 173 zu VV RVG Nr. 7003), sodass insgesamt keine Reisekosten zu den notwendigen Auslagen gehören.“

Anzumerken ist: Leider kann man, da die Entscheidung nun überhaupt keine konkreten Umstände aus dem Verfahren mitteilt, nicht abschließend beurteilen, ob die Entscheidung zutreffend ist oder nicht. Es spricht allerdings einiges dafür, dass hier in der Tat die Zuziehung eines auswärtigen Verteidigers nicht erforderlich gewesen sein dürfte. Das LG spricht von einem „einfachen und überschaubaren“ Sachverhalt, der offenbar eine persönliche Beratung und Besprechung nicht erfordert hat. Wenn aber, was offenbar der Fall war, die telefonische Beratung ausgereicht hat, dann dürfte auch die Zuziehung eines Verteidigers, der vor Ort war, ausgereicht haben  (zu allem eingehend auch Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1366 ff. m.w.N. ).

Aber: Das ist nur der erste Schritt. Denn: Liegen die Voraussetzungen für die Erstattung der Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts nicht vor, wovon das LG ausgeht, führt das lediglich dazu, dass nur die Mehrkosten, die gegenüber der Beauftragung eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts angefallen sind, nicht erstattungsfähig sind. Der Angeklagte bzw. auch der Betroffene ist in jedem Fall berechtigt, einen im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen mit der Folge, dass dessen Reisekosten ohne eine Notwendigkeitsprüfung zu erstatten sind. Das hat das LG hier m.E. falsch gesehen. ich verweise nur auf § 137 StPO.

Aber trotzdem: Vorsicht bei der Wahl des Verteidigers.