StGB III: Vertretung mehrerer Gläubiger im InsolvenzV, oder: Parteiverrat wegen widerstreitender Interessen

© fotomek – Fotolia.com

Und dann zum Schluss des Tages noch den OLG Celle, Beschl. v. 02.10.2024 – 3 ORs 18/24 – zum Parteiverrat nach § 356 StGB.

Dazu folgender Sachverhalt:  Das AG und das LG haben den Angeklagten wegen Parteiverrat (§ 356 StGB) verurteilt. Der Angeklagte war als Rechtsanwalt damit beauftragt, in einem eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der T. P. GmbH die Interessen der Gläubigerinnen M. H. GmbH und M. P. GmbH & Co. KG zu vertreten und deren Forderungen durchzusetzen. Der Angeklagte gewann den Eindruck, dass der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin der Insolvenzmasse Vermögensteile vorenthielt und dass der vorläufige Insolvenzverwalter und der vorläufige Gläubigerausschuss ihre Funktionen nicht ordnungsgemäß ausübten. Der Angeklagte wollte deshalb in der anberaumten Gläubigerversammlung eine Neubesetzung des Gläubigerausschusses erreichen. Um über die dafür notwendige Anzahl an Stimmen zu verfügen, benötigte der Angeklagte Vollmachten von weiteren Gläubigern. Diese wurden erteilt.

Der Angeklagte teilte dem AG seine Teilnahme an der Gläubigerversammlung als Vertreter von insgesamt sieben Gläubigern, darunter die M. H. GmbH, die M. P. GmbH & Co. KG sowie die Gläubiger J. und K., an und fügte als Anhang die Dateien der unterschriebenen Vollmachten bei. Im Prüfungsteil der Gläubigerversammlung bestritt der Angeklagte für die M. P. GmbH & Co. KG diverse angemeldete Forderungen. Darunter befanden sich auch die Forderungen des Gläubigers K. in Höhe von insgesamt 56.031,29 EUR und des Gläubigers J. in Höhe von insgesamt 60.834,01 EUR. Der Insolvenzverwalter hatte die Hauptforderungen K. und J. nicht bestritten. Ohne die Handlung des Angeklagten wären die Hauptforderungen der Gläubiger K. und J. in die Insolvenztabelle aufgenommen worden und diese hätten insoweit Zahlungstitel erlangt. Die Revision gegen das Berufungsurteil des LG war erfolgreich.

Ich stelle hier nur die Leitsätze des OLG ein. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den recht umfangreich begründeten Beschluss des OLG. Also:

1. Zwar beurteilen sich die anvertrauten Interessen im Sinne von § 356 Abs. 1 StGB nach dem Inhalt des dem Rechtsanwalt erteilten Auftrags, der maßgeblich vom Willen der Partei gestaltet wird. Beruhen die Feststellungen hierzu aber auf einer Beweiswürdigung, die einseitig auf die Sichtweise der Auftraggeber abstellt, kann dies rechtsfehlerhaft sein. Denn das Anvertrautsein einer Angelegenheit erfordert auch die Annahme des Auftrags durch den Rechtsanwalt, wobei diese ausdrücklich oder durch schlüssige Erklärung erfolgen kann.

2. Vertritt ein Rechtsanwalt mehrere Gläubiger und bevorzugt, nachdem ein Interessenkonflikt zwischen ihnen zu Tage getreten ist, einen der Gläubiger vor den anderen, so scheidet eine rechtfertigende Pflichtenkollision aus. Denn darin läge ein Wertungswiderspruch zu Sinn und Zweck des § 356 Abs. 1 StGB, der das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Rechtsanwaltschaft schützt. Außerdem bestehen bei einer solchen Sachlage keine gleichrangingen Pflichten gegenüber verschiedenen Mandanten; vielmehr hat die Pflicht zur Niederlegung aller Mandate Vorrang.

 

StGB II: Aussteller der Urkunde existiert nicht, oder: Dennoch verkörperte Gedankenerklärung

Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Und dann im zweiten StGB-Posting etwas zum Klassiker: Urkundenfälschung durch Unterzeichnung mit dem Namen einer nichtexistenten Person, und zwar den BayObLG, Beschl. v. 13.06.2024 – 202 StRR 15/24.

Dazu das BayObLG:

„Ebenfalls ohne Rechtsfehler ist das Landgericht im Fall II. 2.b (1) seiner Urteilsgründe (BU S. 9/10 Mitte einerseits, S. 55 unten andererseits) von einer mit dem versuchten Betrug tateinheitlich verwirklichten Urkundenfälschung in der Tatvariante des Herstellens einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 1. Alt. StGB) ausgegangen. Nach den insoweit relevanten Feststellungen der Berufungskammer ließ der Angeklagte zur Erlangung unberechtigter Provisionen über seinen Mittäter zwei Anträge auf Abschluss von Erwerbsunfähigkeitsversicherungen einreichen. Hierbei trug er in den Anträgen als versicherte Personen jeweils tatsächlich nicht existierende Personen mit Vor- und Familiennamen und allen notwendigen weiteren, ebenfalls frei erfundenen Personendaten in das Antragsformular ein. Die Anträge unterzeichnete er sodann eigenhändig mit Namenszügen dieser nicht existenten Personen.

Urkunde i.S.v. § 267 StGB ist jede verkörperte, aus sich heraus verständliche menschliche Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt und geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen (st.Rspr.; vgl. neben BGH, Urt. v. 10.11.2022 – 5 StR 283/22 bei juris = BGHSt 67, 147 = NJW 2023, 1973 = NStZ 2023, 613 = BeckRS 2022, 31209 = JR 2023, 560 = GesR 2023, 372 = medstra 2023, 240 = MedR 2023, 975 zuletzt u.a. OLG Zweibrücken, Urt. v. 26.06.2023 – 1 OLG 2 Ss 33/22 bei juris = BeckRS 2023, 18320, jeweils m.w.N.). Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht, d.h. wenn der Anschein erweckt wird, ihr Aussteller sei eine andere Person als diejenige, von der sie herrührt (st.Rspr., vgl. neben BGH, Urt. v. 10.11.2022 – 5 StR 283/22 [a.a.O.] u.a. BGH, Beschl. v. 19.11.2020 – 2 StR 358/20 bei juris = BeckRS 2020, 42039 und BayObLG, Beschl. v. 31.05.2023 – 207 StRR 294/22 = BeckRS 2023, 13344, jeweils m.w.N.).

Durch die Unterzeichnung eines Dokuments mit dem Namen einer nicht existenten Person als Aussteller verliert die verkörperte Gedankenerklärung jedoch nicht etwa die für jedwede Urkunde wesensnotwendige sog. Garantiefunktion deshalb, weil ihr (vermeintlicher) Aussteller nicht existent ist. Denn Aussteller ist auch in diesem Fall nach der sog. ‚Geistigkeitstheorie‘ (vgl. BGHSt 13, 382, 385) derjenige, von dem die Erklärung geistig herrührt. In Abgrenzung etwa zu den Fällen sog. ‚offener‘ oder ‚versteckter Anonymität‘ reicht es für die Tatbestandsverwirklichung deshalb aus, wenn die Urkunde den Anschein erweckt, dass eine individualisierbare Person (Behörde oder Unternehmen) als Aussteller für die Erklärung einsteht, was freilich nicht voraussetzt, dass diese Person auch tatsächlich existiert (vgl. neben BGH, Urt. v. 10.11.2022 – 5 StR 283/22 [a.a.O.] schon BGHSt 1, 117, 121; BGHSt 2, 50, 52 und BGHSt 5, 149, 150; ferner u.a. BGH, Urt. v. 27.09.2002 – 5 StR 97/02 bei juris = BeckRS 2002, 8612 = NStZ-RR 2003, 20 = wistra 2003, 20 = StraFo 2003, 101 = StV 2004, 25; OLG Celle, Beschl. v. 19.10.2007 – 32 Ss 90/07 bei juris = NStZ-RR 2008, 76 = BeckRS 2007, 19084; BeckOK-StGB/Weidemann [60. Edition – Stand: 01.02.2024] § 267 Rn. 13, 21 ff.; Fischer StGB 71. Aufl. § 267 Rn. 11, 30; Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB 30. Aufl. § 267 Rn. 49, jeweils m.w.N.).“

StGB I: Betrugstaten in Form „Falscher Polizeibeamter, oder: Geldwäsche oder (Banden)Hehlerei?

Bild von Steve Buissinne auf Pixabay

Heute ist dann mal Zeit für StGB-Entscheidungen.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem BGH, Beschl. v. 14.05.2024 – 3 StR 88/24 – zur Frage des Vorliegens von Hehlerei (§ 259 StGB) und Geldwäsche (§ 261a StGB) bei Entlohnung des Täters aus der Tatbeute in den Betrugstatenfällen „falscher Polizeibeamter“.

Dazu folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs und nach Zurückverweisung durch den BGH (BGH, Beschl. v. 02.11.2022 – 3 StR 12/22, NStZ-RR 2023, 49) im zweiten Rechtsgang wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei verurteilt. Nach den Feststellungen des LG schloss sich der Angeklagte einer Gruppierung an, die Betrugstaten nach dem modus operandi „Falscher Polizeibeamter“ beging. In der Türkei befindliche Anrufer („Keiler“) nahmen telefonisch Kontakt mit älteren Personen in Deutschland auf, wobei den Opfern mittels „Caller-ID-Spoofing“ als Telefonnummer des Anrufers die Notrufnummer der Polizei (110) angezeigt wurde. Die An­gerufenen sollten ihre zu Hause befindlichen Bargeldbestände und Wertsachen zusammentragen und Bargeld von ihren Bankkonten abheben und die Vermögenswerte, um diese zu sichern, zur zeitweiligen Aufbewahrung Poli­zeibeamten übergeben, die sie zu Hause aufsuchen würden (sog. Abholer). Anschließend übergaben die „Abholer“ die erlangte Beute an „Logistiker“, denen es oblag, die „Abholer“ aus der Tatbeute zu entlohnen und die erlangten Vermögenswerte nach Abzug eines weiteren Beuteanteils für die „Logistiker“ an die Hintermänner in der Türkei zu transferieren. Der Angeklagte übernahm in dem hochgradig organisiert und arbeitsteilig agierenden Personenzusammenschluss als „Logistiker“ fortlaufend die eng begrenzte Auf­gabe, „Abholer“ nach der Beuteerlangung aus dieser zu entlohnen. Nach einer Tat mit einer Beute von mindestens 315.000 EUR deponierte der Angeklagte eine Tasche mit den erlangten Gegenständen zur Abholung durch andere Bandenmitglieder. Drei Tage später übergab der Angeklagte auftragsgemäß Bargeld in Höhe von 1.000 EUR, das er zuvor erhalten hatte und das der Tatbeute entstammte, als Entlohnung der „Abholer“ an einen von ihnen. Auf die erneute Revision des Angeklagten hat der BGH mit Beschl. v. 14.05.2024 – 3 StR 88/24 – das Urteil aufgehoben bei Aufrechterhaltung der Feststellungen. Er führt u.a. aus:

„1. Die rechtliche Einordnung des Tathandelns des Angeklagten – der Entlohnung der „Abholer“ – als gewerbsmäßige Bandenhehlerei gemäß § 260a Abs. 1 StGB geht fehl. Denn der Tatbestand der Hehlerei ( § 259 Abs. 1 StGB ) ist nicht erfüllt; das Agieren des Angeklagten lässt sich unter keine der dort aufgeführten Handlungsvarianten subsumieren.

Der Angeklagte verschaffte sich die 1.000 € nicht, weil er das Geld nicht zur eigenen Verfügung erhielt, sondern mit der Maßgabe, damit die „Abholer“ zu entlohnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2022 – 3 StR 456/21 ,wistra 2022, 380Rn. 9; vom 31. Oktober 2018 – 2 StR 281/18 , BGHSt 63, 228 Rn. 13 ). Eine „Drittverschaffung“ liegt schon deshalb nicht vor, weil die „Abholer“, denen der Angeklagte die 1.000 € zukommen ließ, zugleich Vortäter, also Täter der (Vor-) Tat waren, aus der das Geld stammte. Ein Vortäter ist aber nicht Dritter im Sinne des § 259 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2022 – 3 StR 456/21 ,wistra 2022, 380Rn. 7 ff.; vom 22. August 2019 – 1 StR 205/19 , NStZ-RR 2019, 379, 380). Die Handlungsvariante des „Absetzens“ (beziehungsweise der Absatzhilfe) ist nicht erfüllt, weil es bei dem Zurückreichen von Tatbeute an den Vortäter an der insofern erforderlichen entgeltlichen wirtschaftlichen Verwertung des Erlangten fehlt und zudem auch bei dieser Tatvariante der Empfänger der Sache ein Dritter sein muss (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2022 – 3 StR 456/21 ,wistra 2022, 380Rn. 6; vom 31. Oktober 2018 – 2 StR 281/18 , BGHSt 63, 228 Rn. 18 ).

Dieser Rechtsfehler bedingt die erneute Urteilsaufhebung, soweit der Angeklagte im Fall II. 6. der Gründe des Urteils vom 20. August 2021 verurteilt worden ist. Dies zieht die Aufhebung der Aussprüche über die Gesamtstrafe und die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach sich. Die ergänzend im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen haben dagegen Bestand ( § 353 Abs. 2 StPO ), weil sie von dem Rechtsmangel nicht betroffen sind.

2. Die Sache bedarf mithin im aufgezeigten Umfang neuer Verhandlung und Entscheidung. Hierzu bemerkt der Senat:

a) Das neue Tatgericht wird eine mögliche Strafbarkeit des Angeklagten durch seine Tätigkeit bei der Entlohnung der „Abholer“ wegen Geldwäsche gemäß § 261 StGB zu prüfen haben (vgl. zur Geldwäschestrafbarkeit in Fallkonstellationen wie der vorliegenden BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2023 – 5 StR 418/23 , juris Rn. 5 ff.; Urteil vom 2. Juni 2021 – 3 StR 21/21 ,wistra 2021, 441Rn. 47; zu einer Strafbarkeit wegen Begünstigung nach § 257 StGB s. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2024 – 5 StR 93/23 , NZWiSt 2024, 148 Rn. 13 ff.). Im Hinblick auf das Revisionsvorbringen des Angeklagten ist anzumerken, dass es für eine Strafbarkeit wegen Geldwäsche nicht darauf ankommt, ob die vom Angeklagten an die „Abholer“ gezahlten 1.000 € gegenständlich aus der Tatbeute stammten (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2024 – 3 StR 457/23 , NStZ-RR 2024, 147, 148; Urteil vom 10. August 2023 – 3 StR 412/22 , NZWiSt 2024, 187 Rn. 63 mwN).

Ob angesichts der Tatzeit (10. September 2017) die Tatzeitfassung des § 261 StGB aF oder – gemäß § 2 Abs. 3 StGB – die gegenwärtige Gesetzesfassung einschlägig ist, hängt von einem als Strafzumessungsakt dem Tatgericht obliegenden konkreten Gesamtvergleich im Einzelfall ab (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 – 4 StR 366/16 , NStZ-RR 2017, 240, 241 f.; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 354a StPO Rn. 11): Sollte das neue Tatgericht – naheliegend – eine Geldwäschehandlung und angesichts der Gewerbsmäßigkeit des Agierens des Angeklagten einen besonders schweren Fall der Geldwäsche ( § 261 Abs. 4 StGB aF; § 261 Abs. 5 StGB nF) bejahen, wäre im Hinblick auf die identischen Strafrahmen und die täterfreundlichere Regelung zur Einziehung in § 261 Abs. 7 StGB aF (gegenüber § 261 Abs. 10 Satz 2 StGB nF) das Tatzeitrecht maßgeblich (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2023 – 3 StR 412/22 , NZWiSt 2024, 187 Rn. 85; Beschlüsse vom 3. Mai 2023 – 3 StR 81/23 ,wistra 2023, 378Rn. 4 mwN; vom 7. Februar 2023 – 3 StR 459/22 , juris Rn. 4 mwN). Bei einer Bestrafung aus dem Grundtatbestand wäre wegen des niedrigeren Strafrahmens die aktuelle Gesetzesfassung die mildere und damit gemäß § 2 Abs. 3 StGB relevante (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2023 – 5 StR 418/23 , juris Rn. 5 f.; Urteil vom 10. August 2023 – 3 StR 412/22 , NZWiSt 2024, 187 Rn. 70; Urteil vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21 , BGHSt 67, 130 Rn. 13 f., 24 ff. ).

b) Bei Bejahung einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen Geldwäsche wird von der anzuwendenden Gesetzesfassung abhängen, ob im dritten Rechtsgang erneut die Einziehung des Wertes von Taterträgen bezüglich der vom Angeklagten erlangten und an die „Abholer“ weitergereichten 1.000 € anzuordnen sein wird. Denn bei dem Geld handelte es sich mit Blick auf den Geldwäschetatbestand um ein Tatobjekt im Sinne des § 74 Abs. 2 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 2024 – 5 StR 93/23 , NZWiSt 2024, 148 Rn. 5; vom 3. Mai 2023 – 3 StR 81/23 ,wistra 2023, 378Rn. 4 f.). Wertersatzeinziehung nach § 74c StGB schiede aus, weil der Angeklagte kein Eigentum an dem Geld erlangte. Denn das Betrugsopfer händigte dieses dem „Abholer“ als vermeintlichem Polizeibeamten nur zur Verwahrung aus, blieb also Eigentümer (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 2024 – 5 StR 93/23 , NZWiSt 2024, 148 Rn. 6; vom 3. Mai 2023 – 3 StR 81/23 ,wistra 2023, 378Rn. 5; vom 7. Februar 2023 – 3 StR 459/22 , juris Rn. 5 f.). Die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 , § 73c Satz 1 StGB im Hinblick auf die vom Angeklagten weitergereichten 1.000 € ungeachtet der Qualifikation des Geldes als Tatobjekt wäre wegen der Sonderregelung des § 261 Abs. 10 StGB nF nur statthaft bei Anwendung der aktuellen Gesetzesfassung des § 261 StGB , also bei einer Bestrafung aus dem Grundtatbestand des § 261 Abs. 1 StGB nF (vgl. BGH, Urteile vom 10. August 2023 – 3 StR 412/22 , NZWiSt 2024, 187 Rn. 86; vom 7. Februar 2023 – 3 StR 459/22 , juris Rn. 7; vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21 , BGHSt 67, 130 Rn. 22 ff. ).“

StPO III: Schöffe macht sich länger private Notizen, oder: Beschäftigung mit privaten Dingen ==> Rauswurf

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann noch etwas aus der Hauptverhandlung, nämlich die Frage nach der Besorgnis der Befangenheit einer Schöffin.

Der Angeklagte hat in einem Berufungsverfahren eine Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das ist wie folgt begründet worden: Der Angeklagte und sein Verteidiger hätten beobachten können, wie die Schöffin ab 14:00 Uhr bei der Verlesung eines Extraktionsberichtes durch den Vorsitzenden sich in einem schwarzen DIN-A5 Notizbuch Notizen auf den letzten Seiten gemacht habe. Das sei insoweit auffällig gewesen, als sie sich bisher Notizen zum Verfahren auf einem DIN A4 Papier gemacht habe. Ein solches DIN A4 Papier habe sich auch am Sitzungstag auf ihrem Tisch befunden. Die Schöffin habe sich Notizen in dem Buch untereinander gemacht, z.B. wie bei einer Einkaufsliste. Sie habe dabei mindestens 3 Seiten benutzt, weil sie mindestens einmal umgeblättert habe und dann auf den Folgeseiten links und rechts Notizen von oben bis unten gefertigt habe. All das habe sie gemacht, während der Vorsitzende die Chats vorgelesen habe. Sie habe daher dem Vorlesen und dem im Zusammenhang verlesenen Chat nicht folgen können. Sodann habe beobachtet werden können, dass sie das Zählen beginne. Sie habe auf der linken und rechten Seite die jeweiligen Aufzeichnungen gezählt. Dies habe sie wiederholt und sich weiterhin Notizen gemacht, die jedoch auch nie im Zusammenhang mit dem Vorgelesenen erfolgten, was deutlich aufgefallen sei. Daher sei offenkundig gewesen, dass sich die Schöffin nicht etwa Notizen des soeben vorgelesenen Chats gemacht habe. Um exakt 14.19 Uhr habe sie ihr Notizbuch geschlossen, weil sie offenkundig mit ihrer privaten Tätigkeit, die nicht im Zusammenhang mit dem Verfahren gestanden habe, fertig gewesen sei. Dies, obwohl der Vorsitzende noch lange nicht fertig gewesen sei, mit dem Verlesen. Auf Nachfrage der Verteidigung habe die Schöffin pp. sodann – was zutreffend ist bestätigt, dass diese Notizen nichts mit dem Verfahren zu tun gehabt hätten.

Die Schöffin hat in ihrer dienstlichen Stellungnahme hierzu ausgeführt, dass es stimme, dass sie während der Verhandlung Kritzeleien gemacht habe, die nicht unmittelbar mit dem Verfahren in Verbindung gestanden hätten. Diese hätten jedoch nicht der Ablenkung sondern vielmehr dazu gedient, ihre Konzentration zu bewahren. Das Kritzeln sei für sie eine bewährte Technik, die sie regelmäßig nutze – auch während ihres Studiums – um bei längeren Vorträgen konzentriert zu bleiben und nicht gedanklich abzuschweifen. Trotz des Kritzelns habe sie die Verlesung des Chats durch den Vorsitzenden Richter aufmerksam verfolgt.

Das LG Dortmund hat im LG Dortmund, Beschl. v. 08.11.2024 – 45 Ns 131/22 – dem Antrag statt gegeben:

„Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters oder einer Schöffin ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der Richter oder die Schöffin ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgebend ist dabei der Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten (vgl. zum Ganzen: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO-Kom., 66. Aufl. § 24 Rn. 8 und 8a).

Der unterzeichnende Vorsitzende hat selbst beim Verlesen des Chats nicht mitbekommen, inwieweit die Schöffin pp. sich Notizen oder Ähnliches gemacht hat. Jedoch hat sich die Tätigkeit der Schöffin nach dem letztlich unbestritten gebliebenen Vortrag der Verteidigung über einen Zeitraum von 19 Minuten hingezogen und die Schöffin habe erkennbar dabei zwischendurch auch Punkte ihrer Notizen abgezählt. Das lässt es aus der Sicht eines verständigen Angeklagten in der Tat nicht unwahrscheinlich erscheinen, dass die Schöffin pp. über einen nicht nur kurzen Zeitraum der Beweisaufnahme mit verfahrensfremden Angelegenheiten beschäftigt war, zumal sie auf anschließende Nachfrage des Verteidigers, ob die Notizen etwas mit dem Verfahren zu tun gehabt hätten, auch umgehend mit „Nein“ geantwortet hat. In Anbetracht der Länge des Vorgangs lässt das für einen verständigen Betrachter auch durchaus den Eindruck der Befangenheit zu. Hieran ändert in Anbetracht der dezidierten Ablaufschilderung in dem Befangenheitsantrag sodann auch die dienstliche Erklärung der Schöffin, dass diese Kritzeleien letztlich nur ihrer Konzentrationshilfe gedient hätten, nichts mehr.“

Also zurück auf Start, gehe nicht über Los …. 🙂

StPO II: Freiwillige Herausgabe vor der Durchsuchung, oder: Dann braucht man keine Durchsuchung mehr

Bild von Nikin auf Pixabay

Im zweiten Posting dann noch eine Entscheidung zur Durchsuchung und sie kommt ebenfalls aus Sachsen. Es handelt sich um den LG Dresden, Beschl. v. 23.10.2024 – 2 Qs 13/24.

Nach dem Sachverhalt führt die StA gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vergewaltigung. Er soll in den frühen Morgenstunden des 16.03.2024 gegen 02:50 Uhr der Beschuldigte durch das Eintreten der Tür in die Wohnung seiner ehemaligen Lebensgefährtin eingedrungen sein und ihr im dortigen Schlafzimmer mehrmals mit der Faust und dem Ellenbogen in das Gesicht von pp. geschlagen haben. Anschließend soll er mit Gewalt für etwa zehn Minuten den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr durchgeführt haben.

Der Beschuldigte wurde am 16.03.2024 vorläufig festgenommen und das Amtsgericht Dresden ordnete mit Beschluss vom 16.03.2024 die Untersuchungshaft gegen ihn an. Im Rahmen des Termins zur Haftbefehlseröffnung vor dem AG am 16.03.2024 beantragte die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses für die Wohnung des Beschuldigten zum Auffinden von dessen Mobiltelefon, seiner Schuhe, von Betäubungsmitteln und von Unterlagen über die Beziehung zwischen dem Beschuldigten und pp. Der Beschuldigte erklärte daraufhin, dass die gesuchten Unterlagen ausschließlich bei pp. aufzufinden seien und er sein Mobiltelefon und seine Schuhe mit Widerspruch übergeben würde, um den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses zu vermeiden.

Das Amtsgericht Dresden ordnete daraufhin mit Beschluss vom 16.03.2024 (dennoch) die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten zum Zwecke des Auffindens des Mobiltelefons des Beschuldigten, seiner zur Tatzeit getragenen Bekleidung sowie von Unterlagen über die persönliche Beziehung zwischen dem Beschuldigten und pp. an. Im Hinblick auf die ebenfalls beantragte Durchsuchung der Wohnung nach Betäubungsmitteln sah das Amtsgericht den erforderlichen Anfangsverdacht für nicht gegeben.

Gegen diesen Beschluss legte der Beschuldigte Beschwerde ein und widersprach zugleich der Verwertung der aufzufindenden Beweismittel. Die Durchsuchungsanordnung vom 16.03.2024 wurde noch am selben Tag vollzogen. Der beschuldigte begehrt nunmehr die Feststellung, dass die Durchsuchung rechtswidrig erfolgt sei. Mit Erfolg:

„1. Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Ein Rechtsschutzinteresse für die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der hier gegenständlichen, prozessual überholten Durchsuchungsmaßnahme ist wegen des mit der Durchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs gegeben (BVerfG, Beschluss vom 05.07.2023 – 2 BvR 370/13, BeckOK StPO/Cirener, § 296, Rn. 12 ff.).

2. Die Beschwerde des Beschuldigten hat auch in der Sache Erfolg.

a) Gegenüber der durch Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 angeordneten Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten standen den Ermittlungsbehörden gleichermaßen geeignete, aber grundrechtsschonendere Maßnahmen zur Verfügung, weshalb die angeordnete Maßnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstieß und der Beschluss mithin rechtswidrig war.

Bei der Anordnung einer Durchsuchungsmaßnahme gemäß §§ 102, 105 Abs. 1 Satz 1 StPO muss aufgrund des damit für den Betroffenen einhergehenden intensiven Grundrechtseingriffs dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße Rechnung getragen werden (BVerfG NJW 1966, 1603 (1607)). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet daher, nahe liegende gleichermaßen geeignete grundrechtsschonendere Ermittlungsmaßnahmen der Maßnahme nach § 102 StPO vorzuziehen (BVerfG NStZ-RR 2006, 110). Eine Durchsuchungsmaßnahme muss aus Gründen der Verhältnismäßigkeit daher unterbleiben, wenn der Betroffene die im Beschluss konkret benannten Gegenstände freiwillig und vollständig herauszugeben bereit ist (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl., § 102, Rn. 31). Gleichermaßen unterbleiben muss eine Durchsuchungsmaßnahme, wenn durch weniger einschneidende Maßnahmen, wie die Vernehmung von Zeugen oder die Beiziehung von Akten, der Durchsuchungszweck erreicht werden kann (BVerfG BeckRS 2005, 32877; BVerfG NJW 2009, 281 (282); OLG Dresden BeckRS 2008, 7878).

Im Haftprüfungstermin am 16.03.2024 wurde durch den Beschuldigten erklärt, dass er bereit sei, sein Mobiltelefon und die am Tattag getragene Kleidung freiwillig herauszugeben. Diese im Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 konkret genannten Gegenstände hätten somit durch freiwillige Übergabe von dem Beschuldigten erlangt werden können, ohne dass es einer polizeilichen Wohnungsdurchsuchung bedurft hätte. Sachliche Erwägungen, weshalb diese weniger einschneidende Maßnahme zurückgestellt wurde, sind nicht erkennbar. Die angeordnete Maßnahme war daher im Hinblick auf die Durchsuchung zum Zwecke des Auffindens des Mobiltelefons und der am Tattag getragenen Kleidung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar.

Gleichermaßen unvereinbar mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz war die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten im Hinblick auf die Unterlagen zu der persönlichen Beziehung zwischen dem Beschuldigten und der Zeugin pp. Im Haftprüfungstermin am 16.03.2024 wurde durch den Beschuldigten diesbezüglich erklärt, dass die gesuchten Unterlagen ausschließlich bei der Zeugin pp. aufzufinden seien. In Anbetracht dieser Aussage wäre es zunächst angezeigt gewesen, den konkreten Verbleib der Unterlagen durch Einvernahme der Zeugin pp. zu erforschen bzw. die freiwillige Herausgabe zu erwirken. Weiterhin bestand von Seiten der Ermittlungsbehörde, die hier insbesondere ein Interesse am Auffinden von Unterlagen zu familienrechtlichen Streitigkeiten hatte, die Möglichkeit der Aktenanforderung beim zuständigen Familiengericht. Die Ermittlungsbehörden wären daher angehalten gewesen, sich zu bemühen, zunächst durch weniger einschneidende Maßnahmen an die relevanten Unterlagen zu gelangen und die grundrechtsintensive Maßnahme der Wohnungs-durchsuchung zumindest zurückzustellen, insbesondere auch in Anbetracht des Um-standes, dass den Unterlagen zu der persönlichen Beziehung zwischen dem Beschuldigten und hinsichtlich des Tatverdachts der Vergewaltigung nur ein mittelbarer Beweiswert zukommt.

b) Der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 ist indes nicht aufgrund eines Verstoßes gegen das allgemeine Willkürverbot rechtswidrig.

Ein Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot liegt nicht bereits bei der zweifelsfrei fehlerhaften Anwendung einfachen Rechts vor, sondern erfordert, dass eine zweifelsfrei einschlägige Norm nicht angewendet wurde oder deren Inhalt in erheblicher Weise missgedeutet wurde (BeckOK GG/Kischel, Art. 3, Rn. 84).

Wenngleich das Amtsgericht Dresden bei Auslegung und Anwendung des § 102 StPO die Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verkannt hat, wurde in Ermangelung eines Anfangsverdachts wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln ein darauf gerichteter Durchsuchungsbeschluss ausdrücklich nicht erlassen. Anhaltspunkte dafür, dass der Durchsuchungsbeschluss gleichwohl zur weiteren Erforschung eines etwaigen Betäubungsmitteldelikts erlassen wurde, sind nicht ersichtlich.“