Und dann noch der BGH, Beschl. v. 15.01.2025 – 5 StR 338/24 – mal wieder zur Unterbrechung bzw. zur rechtzeitigen Fortsetzung der Hauptverhandlung. Stichwort: Schiebetermin. Den Beschluss habe ich übrigens schon mal vorgestellt wegen der materiellen Problematik (vgl. hier: BtM/KCanG I: Einfuhr von Betäubungsmitteln, oder: Wer ist Mittäter der Einfuhr?).
Verurteilt worden sind die Angeklagten jeweils u.a. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln. Dagegen die Revisionen, mit denen alle Angeklagten eine Verletzung des § 229 Abs. 1 StPO gerügt habe. Damit hatten sie allerdings keinen Erfolg:
„1. Allerdings greift die von allen Angeklagten erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung des § 229 Abs. 1 StPO nicht durch.
a) Der Rüge liegt das folgende Prozessgeschehen zugrunde:
Die Hauptverhandlung fand an insgesamt zwölf Verhandlungstagen statt, darunter am 15. November und am 15. Dezember 2023. Zwischen diesen beiden Tagen waren ursprünglich Verhandlungstermine am 28. und am 29. November 2023 vorgesehen. Am 27. November 2023 machte die Verteidigerin des Angeklagten R.S. geltend, verhandlungsunfähig erkrankt zu sein, und beantragte die Aufhebung dieser beiden Hauptverhandlungstage. Am selben Tag teilte sie weiter mit, dass eine anderweitige Vertretung des Mitangeklagten nicht habe organisiert werden können, da auch der Mitverteidiger durch weitere Termine verhindert sei.
Die Vorsitzende der Strafkammer hob darauf den für den Folgetag (28. November 2023) vorgesehenen Termin auf. In einem Telefonat teilte sie der Verteidigerin mit, dass am 29. November 2023 jedenfalls kurz zur Sache verhandelt werden müsse, um die maximale Unterbrechungsfrist zwischen den Hauptverhandlungstagen nicht zu überschreiten. Sie bot an, dass dortige Beweisprogramm auf die schon angekündigte Verlesung und Inaugenscheinnahme von Urkunden, Lichtbildern und Audiodateien zu beschränken und ihr ohne Rechtsverlust ein Erklärungs- und Widerspruchsrecht bis zum folgenden Termin am 15. Dezember 2023 zu gewähren. Notfalls müsse für den 29. November ein Sicherungsverteidiger bestellt werden, welcher auch durch das Gericht ausgewählt werden könne. Vorzugswürdig sei es, wenn die Verteidigerin einen Vertreter benennen könne und dies mit ihrem Mandanten abgesprochen sei.
Nachdem die Verteidigerin bis zum Nachmittag des 28. November 2023 keinen Vertreter benannt hatte, schlug die Vorsitzende ihr hierfür in einem weiteren Telefonat Rechtsanwältin J. vor und kündigte an, am nächsten Tag allein die in den für das Selbstleseverfahren vorgesehenen Urkunden enthaltenen Lichtbilder in Augenschein zu nehmen, das Beweisprogramm am 15. Dezember 2023 in ihrer Anwesenheit zu wiederholen und Erklärungsfristen für alle Verfahrensbeteiligten bis zu diesem Tag zu verlängern. Die Verteidigerin erklärte, dass sie keine Zweifel an der fachlichen Eignung der vorgeschlagenen Rechtsanwältin habe, ihr Mandant aber mit einer Vertretung durch einen anderen Verteidiger grundsätzlich nicht einverstanden sei.
Im Termin vom 29. November 2023 widersprach der Angeklagte R.S. der angekündigten Beiordnung. Er wolle keine Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt, da ein solcher nicht eingearbeitet sei und die Akten nicht kenne. Für den Fall der Beiordnung kündige er einen Befangenheitsantrag an. Die Vorsitzende ordnete gleichwohl Rechtsanwältin J. gemäß § 144 Abs. 1 StPO als Sicherungsverteidigerin allein für diesen Termin bei und hielt in der Verfügung fest, dass die Beweisaufnahme auf die genannten Lichtbilder beschränkt und am 15. Dezember 2023 wiederholt werde, „um alle Verteidigerrechte und Angeklagtenrechte weitgehend zu wahren“. Der Ankündigung entsprechend wurden diverse Abbildungen aus mehreren polizeilichen Vermerken, aus dem Auswertebericht zu einer Observation sowie aus zwei Gutachten in Augenschein genommen. Die Inaugenscheinnahme wurde am nächsten Verhandlungstag wiederholt und Gelegenheit zur Abgabe nachgelassener Erklärungen gemäß § 257 StPO gegeben. Das Befangenheitsgesuch des Angeklagten gegen die Vorsitzende der Strafkammer wurde mit Beschluss vom 7. Dezember 2023 als unbegründet zurückgewiesen.
b) Die Revisionen sehen in diesem Vorgehen einen Verstoß gegen § 229 StPO. Im Termin vom 29. November 2023 sei nicht zur Sache verhandelt worden, da dessen Beweisprogramm von vornherein habe wiederholt werden sollen. Aus Sicht des Tatgerichts sei die „Beweisaufnahme (möglicherweise) mit einem verfahrensrechtlichen Makel behaftet“ gewesen und habe deshalb von Beginn an eine „Heilung“ an einem weiteren Hauptverhandlungstag notwendig gemacht. Ihr sei daher kein eigenständiger beweisrechtlicher Wert zugekommen, vielmehr habe sie allein der Fristwahrung gedient. Die Hauptverhandlung habe daher ausgesetzt werden müssen (§ 229 Abs. 4 Satz 1 StPO), was nicht geschehen sei.
c) Die Verfahrensrüge ist unbegründet, da das Landgericht nicht gegen § 229 StPO verstoßen hat.
Als ein Termin, der zur fristwahrenden Fortsetzung der Hauptverhandlung nach Maßgabe von § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO geeignet ist, gilt nach ständiger Rechtsprechung nur ein solcher, in dem zur Sache verhandelt, mithin das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert worden ist. Dies kann etwa durch Vernehmung des Angeklagten, durch Beweisaufnahme oder sonst durch Erörterung des Prozessstoffs geschehen. Es genügt jede Förderung des Verfahrens, selbst wenn weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente. Nicht ausreichend sind hingegen sogenannte (reine) „Schiebetermine“, welche die Unterbrechungsfrist lediglich formal wahren, in denen aber tatsächlich keine Prozesshandlungen oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen vorgenommen werden, die geeignet sind, das Strafverfahren seinem Abschluss substanziell näher zu bringen (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 – 4 StR 64/22 mwN, NStZ-RR 2022, 382).
Hieran gemessen wurde das Verfahren auch im Hauptverhandlungstermin vom 29. November 2023 gemäß den Anforderungen des § 229 Abs. 1 StPO gefördert, wozu die Inaugenscheinnahme einer Reihe von Abbildungen ohne weiteres genügte. Dass die Beweisaufnahme nach eigener Einschätzung der Strafkammer mit einem „Makel behaftet“ war, ist nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bestellung einer zusätzlichen Pflichtverteidigerin für diesen Tag rechtsfehlerhaft war oder seitens der Mitglieder der Strafkammer insoweit Zweifel bestanden. Denn nach § 144 Abs. 1 StPO können dem Beschuldigten zu seinem gewählten oder einem gemäß § 141 StPO bestellten Verteidiger bis zu zwei Pflichtverteidiger zusätzlich bestellt werden, wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist. Ein solches Vorgehen kann dazu dienen, ein Weiterverhandeln auch bei dem vorübergehenden Ausfall eines Verteidigers sicherzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2020 – StB 23/20 Rn. 14, BGHSt 65, 129; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 144 Rn. 4). Eine Bestellung ist vom Willen des Beschuldigten unabhängig (BT-Drucks. 19/13829, S. 49; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 7; KK-StPO/Willnow, 9. Aufl., § 144 Rn. 1). Ein Verstoß gegen die Vorschriften zur notwendigen Verteidigung wird auch durch keinen der Revisionsführer geltend gemacht (vgl. zu den denkbaren Ausnahmefällen einer mit einer Pflichtverteidigerbestellung verbundenen Beschwer BGH, Beschluss vom 15. August 2023 – StB 28/23 mwN).
Dementsprechend diente die Wiederholung der Beweisaufnahme im nächsten Verhandlungstermin nicht der „Heilung“ eines Versäumnisses. Ihre Ankündigung schon bei Bestellung der zusätzlichen Pflichtverteidigerin stand vielmehr in Zusammenhang mit der Entscheidung der Vorsitzenden der Strafkammer, für alle Verfahrensbeteiligten auch die Erklärungsfristen entsprechend zu verlängern. Der erkrankten Verteidigerin sollte so Gelegenheit gegeben werden, von dem Recht nach § 257 Abs. 2 StPO anhand eines persönlichen Eindrucks von den in Augenschein genommenen Abbildungen Gebrauch zu machen. Dieses vom Willen zur Gewährleistung einer möglichst umfassenden Verfahrensfairness getragene Vorgehen macht aus der Beweisaufnahme vom 29. November 2023 keinen „Schiebetermin“.