Das AG Celle hatte dem Verurteilten, gegen den Sicherungshaftbefehl erlassen war, nach seiner Festnahme unter Bezugnahme auf § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO und ausschließlich für den Vorführungstermin einen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt. Auf Antrag des Verurteilten hat das AG Hildesheim dann unter Bezugnahme auf § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO einen anderen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger für das weitere Verfahren bestellt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:
„2. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der Verteidigerbestellung. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor. Eine Verteidigerbestellung hatte – entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Hildesheim wie auch zuvor bereits des Amtsgerichts Braunschweig – nicht auf Grundlage des Kataloges des § 140 Abs. 1 StPO zu erfolgen. Dieser findet im Vollstreckungsverfahren keine, auch keine entsprechende Anwendung. Im Vollstreckungsverfahren erfolgt eine Verteidigerbestellung in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO.
a) Der Sicherungshaftbefehl stellt eine Entscheidung der Strafvollstreckung dar. Für diese enthalten – mit Ausnahme der Bestimmungen in § 463 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 8 StPO – weder die §§ 449 ff. StPO generell, noch § 453c StPO selbst Regelungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers. Vielmehr ist für das Vollstreckungsverfahren anerkannt, dass eine Verteidigerbestellung allein auf Grundlage einer entsprechenden Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO zu erfolgen hat (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2022 – StB 26/22 m.w.N.; Schmitt/Köhler, a.a.O., § 140 Rn. 34 m.w.N.), wohingegen der Katalog des § 140 Abs. 1 StPO keine Anwendung findet (KG, Beschluss vom 14. September 2005 – 5 Ws 399/05 m.w.N.; a.A. AG Aschersleben, Beschluss vom 19. April 2010 – 6 VRJs 23/10; Satzger/Schluckebier/ Werner, StPO, 6. Aufl. 2025, § 140 Rn. 25). Grund hierfür ist, dass es für eine entsprechende Anwendung des Kataloges in § 140 Abs. 1 StPO im Vollstreckungsverfahren an einer vergleichbaren Interessenlage wie derjenigen im Erkenntnisverfahren fehlt. Das Strafvollstreckungsverfahren erfordert die Mitwirkung eines Verteidigers in weit geringerem Maße als das Erkenntnisverfahren (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 2002 – 2 BvR 613/02; BGH, Beschluss vom 8. Januar 2025 – StB 71/24; OLG Celle, Beschluss vom 20. September 2011 – 2 Ws 242/11; OLG Brandenburg, Beschluss vom 2. Oktober 2019 – 1 Ws 130/19; KG, a.a.O.).
Dass die §§ 140 ff. StPO unmittelbar nur für das Erkenntnisverfahren gelten, ergibt sich dabei bereits aus Wortlaut und Systematik der Vorschriften über die Verteidigerbestellung. Gemäß § 143 Abs. 1 StPO endet die Bestellung mit Einstellung oder rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens. Im Vollstreckungsverfahren gilt die ursprüngliche Bestellung nicht fort (vgl. KK-StPO/Willnow, a.a.O., § 140 Rn. 5).
Hielte man § 140 Abs. 1 StPO für (entsprechend) anwendbar, wäre mit jeder Verurteilung zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe oder der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel ein Pflichtverteidiger für das Vollstreckungsverfahren zu bestellen. Dass dies nicht den gesetzgeberischen Motiven entspricht, wird insbesondere an den Bestimmungen § 463 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 8 StPO erkennbar. Diese enthalten eigenständige Regelungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungsverfahren bei freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung. Diese wären nicht erforderlich, hielte der Gesetzgeber § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO im Vollstreckungsverfahren für anwendbar. Die ausdrückliche Pflicht zur Verteidigerbestellung in den in § 463 StPO geregelten Fällen zeigt auch, dass der Gesetzgeber eine Pflichtverteidigerbestellung im Vollstreckungsverfahren im Übrigen lediglich ausnahmsweise und in eng umgrenzten Fallgruppen beabsichtigt hat (BGH, Beschluss vom 8. Januar 2025 – StB 71/24). Hinsichtlich Entscheidungen über Strafrestaussetzungen gemäß § 57 StGB – in diesen Fällen ist der Verurteilte regelmäßig inhaftiert – findet einer Verteidigerbestellung auch lediglich unter den engen Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO statt (vgl. BGH, a.a.O.).
b) Soweit § 453c Abs. 2 StPO die §§ 115, 115a StPO für entsprechend anwendbar erklärt, folgt hieraus nichts anderes, insbesondere keine (entsprechende) Anwendung der § 140 Abs. 1 Nr. 4 oder Nr. 5 StPO.
Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Norm, denn einen Verweis auf Vorschriften zur Verteidigerbestellung enthält § 453c StPO nicht. Auch die Entstehungsgeschichte der § 140 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 StPO gebieten keine entsprechende Anwendung der Vorschriften. Die Aufnahme von § 140 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 StPO in den Katalog der Bestellungsgründe des § 140 Abs.1 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2128) diente insbesondere der Umsetzung von Artikel 4 Absatz 4 der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (PKH-Richtlinie). Die Richtlinie beansprucht aber lediglich Geltung für Verdächtige und Beschuldigte in Ermittlungs- oder Erkenntnisverfahren sowie in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, nicht jedoch für das nationale Vollstreckungsverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2022 – StB 26/22). Dementsprechend hat auch der deutsche Reformgesetzgeber anerkannt, dass die aufgrund der PKH-Richtlinie veranlassten Änderungen für das Ermittlungs- und Erkenntnisverfahren gelten und die Möglichkeit unberührt bleibe, dem rechtskräftig Verurteilten einen Pflichtverteidiger im Vollstreckungsverfahren wie nach bisheriger Rechtslage gemäß § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen (BT-Drs. 19/13829 S. 44).
Soweit schließlich das Amtsgericht zuletzt in der Verfügung vom 13. Juni 2025 unter Bezugnahme auf eine Literaturstimme (BeckOK-StPO/Krawczyk, StPO § 140 Rn. 11) seine Anwendung von § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO verteidigt, verkennt es mit der Anwendung der Vorschrift im Vollstreckungsverfahren den Sinngehalt der zitierten Fundstelle. Denn nach der dort vertretenen Auffassung wäre nach dieser Vorschrift in Ermittlungs- oder Erkenntnisverfahren ein Pflichtverteidiger zu bestellten, wenn sich ein Beschuldigter ggf. in anderer Sache in Anstaltsunterbringung gleich welcher Art und damit auch in Fällen der Sicherungshaft gemäß § 453c StPO befindet. Dementsprechend weist auch diese Literaturstimme an anderer Stelle daraufhin, dass die Verteidigerbestellung im Vollstreckungsverfahren nur in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO zu erfolgen hat (BeckOK-StPO/Krawczyk, a.a.O., Rn. 51).
c) Die Voraussetzungen einer Verteidigerbestellung in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO liegen nicht vor.
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungsverfahren kommt danach ausnahmsweise in Betracht, wenn besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren oder die Schwere des Vollstreckungsfalls für den Verurteilten dies gebieten. Hinweise für das Vorliegen dieser Voraussetzungen haben sich nicht ergeben. Auch Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Verteidigungsfähigkeit des Verurteilten waren nicht ersichtlich.
Die Umstände, die im Vorführungstermin am 3. März 2025 zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls und im Anschluss zu einem Absehen vom Widerruf der Strafaussetzung durch das Amtsgericht geführt haben, waren nicht derart schwierig, dass der Verurteilte sich hierzu nur mithilfe eines Verteidigers hätte erklären können. Schwierige Rechtsfragen waren nicht erkennbar.
3. Mit Blick auf die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft, trotz Kenntnis der angefochtenen Entscheidung seit dem 27. Februar 2025 mit dem Einlegen ihres Rechtsmittels bis zur förmlichen Zustellung zuzuwarten, merkt die Kammer an, dass eine Rechtsmitteleinlegung bereits mit Erlass des Beschlusses und damit schon vor Zustellung und Inlaufsetzung der Rechtsmittelfrist zulässig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 1973 – 2 StR 497/72; OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Juni 1985 – 1 Ws 335/85; Schmitt/Köhler, a.a.O., vor § 296 Rn. 4). Die hier erfolgte Auszahlung und nunmehr erforderliche Rückforderung der Pflichtverteidigervergütung wäre bei zeitnaher Rechtsmitteleinlegung vermeidbar gewesen.“