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Pflichti III: Keine „Umbeiordnung“ des „Pflichti“, oder: Schwierige Sachlage und Schwere der Tat

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Und in diesem dritten Posting habe ich dann noch drei Entscheidungen „aus der Instanz“. Von denen stelle ich aber nur die Leitsätze vor. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Das OLG Schleswig hat im OLG Schleswig, Beschl. v. 09.09.2025 – 1 Ws 133/25 – zu den Voraussetzungen einer „Umbeiordnung“ eines Pflichtverteidigers und zu den Folgen der Beauftragung eines Wahlverteidigers erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens Stellung genommen und meint:

1. Der Wechsel eines notwendigen Verteidigers – unbeschadet der Tatsache, ob dieser für die Staatskasse „kostenneutral“ wäre – steht nicht zur Disposition der beteiligten Rechtsanwälte und unterliegt deshalb auch nicht ihrer Absprache in Form eines einverständlichen Verteidigerwechsels.

2. Der beigeordnete Verteidiger hat einen staatlichen Auftrag, den er zu erfüllen hat, solange sich nicht in der Sache Gründe ergeben, die eine Aufhebung der Beiordnung erfordern.

3. Ist der erst nach Terminsbestimmung gewählte Verteidiger an den bestimmten Terminen verhindert, steht seiner Beiordnung ein wichtiger Grund im Sinne von § 142 Abs. 5 Satz 3 StPO entgegen.

4. Es liegt grundsätzlich in der Risikosphäre des Angeklagten, dass ein erst spät beauftragter Verteidiger das Mandat zeitlich nicht ausüben kann.

Als zweite Entscheidung dann den LG Hildesheim, Beschl. v. 02.10.2025 – 15 Qs 14/25 – zum Bestellungsgrund „schwierige Sachlage“ (§ 140 Abs. 2 StPO):

Eine schwierige Sachlage im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO ist dann anzunehmen, wenn – zum Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag auf Bestellung eines notwendigen Verteidigers entscheiden muss – ein Sachverständigengutachten bereits Verfahrensbestandteil ist oder ein solches angeordnet wird und zu erwarten ist, dass dieses Gutachten für den Ausgang des Verfahrens als Beweismittel eine entscheidende Rolle spielt (für ein gerichtlich beauftragtes Unfallrekonstruktionsgutachten eines Sachverständigen, dem mangels anderer unmittelbarer Beweismittel verfahrensentscheidende Bedeutung zukommt.

Und als dritte Entscheidung der LG Schweinfurt, Beschl. v. 07.10.2025 – 4 Qs 96/25 – zu Bestellung wegen Schwere der Tat (§ 140 Abs. 2 StPO), wenn die Eltern Beschuldigte einer fahrlässigen Tötung zum Nachteil eines leiblichen Kindes sind:

1. Im Einzelfall kann die Schwere des Tatvorwurfs bereits für sich, also unabhängig von der zu erwartenden Rechtsfolge, die notwendige Verteidigung begründen. Davon ist auszugehen, wenn dem Beschuldigten der Vorwurf der fahrlässigen Tötung zum Nachteil seiner beiden Kinder zur Last gelegt wird.

2. Für eine Pflichtverteidigerbestellung ausreichende Zweifel an der Verteidigungsfähigkeit des Beschuldigten liegen vor, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschuldigte aufgrund der mit dem ihm zur Last gelegten Tod von zwei Kindern verbundenen, emotionalen Ausnahmesituation nicht in der Lage ist, sich neben der Bewältigung der zumindest moralischen Verantwortung für den Tod seiner Kinder und den damit zweifellos verbundenen Verlust- und Schuldgefühlen auch mit dem strafrechtlichen Tatvorwurf umfassend und sachgerecht auseinanderzusetzen.

Pflichti III: Zulassungsverlust beim Pflichtverteidiger, oder: Wirksamkeit der Zustellung an den „Pflichti“

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Und im letzten Beitrag dann noch zwei Entscheidungen vom BGH, in denen dieser noch einmal zwei Fragen anspricht, zu den er sich auch in der Vergangenheit bereits geäußert hat.

Im BGH, Beschl. v. 03.09.2025 – 2 StR 156/24 – heißt es (noch einmal) zur Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers wegen Zulassungsverlustes:

“ Ist der Verteidiger nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassen, erfüllt er nicht mehr die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 – 5 StR 617/01, BGHSt 47, 238, 239). Entsprechend ist seine Bestellung aufzuheben (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 StPO).“

Im BGH, Beschl. v. 26.08.2025 – 4 StR 358/25 – geht es noch einmal um die wirksame Zustellung des Urteils des Tatgerichts, nachdem das Tatgericht die Revision wegen Fristversäumung nach § 346 Abs. 2 StPO verworfen hatte:

„….. Der Verwerfungsbeschluss erweist sich als rechtsfehlerhaft, da die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO mangels wirksamer Zustellung des Urteils gemäß § 345 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht zu laufen begonnen hatte. Denn eine Zustellung ist grundsätzlich nicht ordnungsgemäß bewirkt, wenn anstelle des Pflichtverteidigers eine andere Person das Empfangsbekenntnis unterschreibt. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Unterzeichnerin des Empfangsbekenntnisses, eine Kollegin des vormaligen Pflichtverteidigers, als dessen Vertreterin eingesetzt war und auftrat, sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 11. August 2021 – 3 StR 118/21 Rn. 4 f.)….“

Pflichti II: Etwas zu den Beiordnungsgründen, oder: Rechtsfolgen, fahrlässige Tötung und KiPo-Verfahren

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Im zweiten Beitrag dann die Entscheidungen, die sich seit dem letzten Pflichti-Tag zu den Beiordnungsgründen angesammelt haben. Es handelt sich um eine OLG-Entscheidung und drei landgerichtliche Beschlüsse, und zwar:

1. Die Verteidigung ist nach § 140 Abs. 2 StPO wegen der Schwere der Tat oder der der zu erwartenden Rechtsfolge notwendig, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu erwarten ist.

2. Zu den Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung im Berufungsverfahren für einen Angeklagten, der seine Wiederbestellung als Steuerberater nach dem StBerG anstrebt.

Ist der Beschuldigte nicht in der Lage, die ihn belastenden Beweisstücke selbstständig einzusehen, weil, wie in einem sog. KiPo-Verfahren, überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen, ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten.

Wird dem Beschuldigten eine fahrlässige Tötung vorgeworfen ist wegen der mit einem möglichen Schuldspruch verbundenen Feststellung, dass der Beschuldigte für den Tod eines Menschen verantwortlich wäre, stellt sich dies für einen bisher in keiner Weise strafrechtlich in Erscheinung getretenen Beschuldigten ungeachtet der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Rechtsfolgen als derart gravierend dar, dass die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers geboten erscheint.

1. Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt zwar nicht schon dann vor, wenn eine Freiheitsstrafe zu erwarten ist. Allerdings besteht bei einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe Anlass, einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Diese Grenze für die Straferwartung gilt auch, wenn sie „nur“ wegen einer zu erwartenden Gesamtstrafenbildung erreicht wird.

2. Drohen dem Beschuldigten in mehreren Parallelverfahren Strafen, die letztlich gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, welche das Merkmal „Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge“ i. S. d. § 140 Abs. 2 StPO begründet, ist die Mitwirkung eines Verteidigers in jedem Verfahren geboten.

3. Daneben sind ggf. auch sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Beschuldigte infolge der Verurteilung zu erwarten hat, zu berücksichtigen. Hierzu gehört insbesondere ein drohender Bewährungswiderruf.

Pflichti III: Keine Bestellung bei Sicherungshaft, oder: Nach Aufhebung keine Gebührenrückforderung!!!

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Und dann kommt zum Schluss der heutigen Berichterstattung noch der LG Hildesheim, Beschl. v. 11.08.2025 – 21 Qs 21/25 – zur Verteidigerbestellung im Bewährungsaufsichtsverfahren bei Sicherungshaft gemäß § 453c StPO.

Das AG Celle hatte dem Verurteilten, gegen den Sicherungshaftbefehl erlassen war, nach seiner Festnahme unter Bezugnahme auf § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO und ausschließlich für den Vorführungstermin einen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt. Auf Antrag des  Verurteilten hat das AG Hildesheim dann unter Bezugnahme auf § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO einen anderen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger für das weitere Verfahren bestellt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„2. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der Verteidigerbestellung. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor. Eine Verteidigerbestellung hatte – entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Hildesheim wie auch zuvor bereits des Amtsgerichts Braunschweig – nicht auf Grundlage des Kataloges des § 140 Abs. 1 StPO zu erfolgen. Dieser findet im Vollstreckungsverfahren keine, auch keine entsprechende Anwendung. Im Vollstreckungsverfahren erfolgt eine Verteidigerbestellung in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO.

a) Der Sicherungshaftbefehl stellt eine Entscheidung der Strafvollstreckung dar. Für diese enthalten – mit Ausnahme der Bestimmungen in § 463 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 8 StPO – weder die §§ 449 ff. StPO generell, noch § 453c StPO selbst Regelungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers. Vielmehr ist für das Vollstreckungsverfahren anerkannt, dass eine Verteidigerbestellung allein auf Grundlage einer entsprechenden Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO zu erfolgen hat (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2022 – StB 26/22 m.w.N.; Schmitt/Köhler, a.a.O., § 140 Rn. 34 m.w.N.), wohingegen der Katalog des § 140 Abs. 1 StPO keine Anwendung findet (KG, Beschluss vom 14. September 2005 – 5 Ws 399/05 m.w.N.; a.A. AG Aschersleben, Beschluss vom 19. April 2010 – 6 VRJs 23/10; Satzger/Schluckebier/ Werner, StPO, 6. Aufl. 2025, § 140 Rn. 25). Grund hierfür ist, dass es für eine entsprechende Anwendung des Kataloges in § 140 Abs. 1 StPO im Vollstreckungsverfahren an einer vergleichbaren Interessenlage wie derjenigen im Erkenntnisverfahren fehlt. Das Strafvollstreckungsverfahren erfordert die Mitwirkung eines Verteidigers in weit geringerem Maße als das Erkenntnisverfahren (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 2002 – 2 BvR 613/02; BGH, Beschluss vom 8. Januar 2025 – StB 71/24; OLG Celle, Beschluss vom 20. September 2011 – 2 Ws 242/11; OLG Brandenburg, Beschluss vom 2. Oktober 2019 – 1 Ws 130/19; KG, a.a.O.).

Dass die §§ 140 ff. StPO unmittelbar nur für das Erkenntnisverfahren gelten, ergibt sich dabei bereits aus Wortlaut und Systematik der Vorschriften über die Verteidigerbestellung. Gemäß § 143 Abs. 1 StPO endet die Bestellung mit Einstellung oder rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens. Im Vollstreckungsverfahren gilt die ursprüngliche Bestellung nicht fort (vgl. KK-StPO/Willnow, a.a.O., § 140 Rn. 5).

Hielte man § 140 Abs. 1 StPO für (entsprechend) anwendbar, wäre mit jeder Verurteilung zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe oder der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel ein Pflichtverteidiger für das Vollstreckungsverfahren zu bestellen. Dass dies nicht den gesetzgeberischen Motiven entspricht, wird insbesondere an den Bestimmungen § 463 Abs. 3, Abs. 4 und Abs. 8 StPO erkennbar. Diese enthalten eigenständige Regelungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungsverfahren bei freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung. Diese wären nicht erforderlich, hielte der Gesetzgeber § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO im Vollstreckungsverfahren für anwendbar. Die ausdrückliche Pflicht zur Verteidigerbestellung in den in § 463 StPO geregelten Fällen zeigt auch, dass der Gesetzgeber eine Pflichtverteidigerbestellung im Vollstreckungsverfahren im Übrigen lediglich ausnahmsweise und in eng umgrenzten Fallgruppen beabsichtigt hat (BGH, Beschluss vom 8. Januar 2025 – StB 71/24). Hinsichtlich Entscheidungen über Strafrestaussetzungen gemäß § 57 StGB – in diesen Fällen ist der Verurteilte regelmäßig inhaftiert – findet einer Verteidigerbestellung auch lediglich unter den engen Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO statt (vgl. BGH, a.a.O.).

b) Soweit § 453c Abs. 2 StPO die §§ 115, 115a StPO für entsprechend anwendbar erklärt, folgt hieraus nichts anderes, insbesondere keine (entsprechende) Anwendung der § 140 Abs. 1 Nr. 4 oder Nr. 5 StPO.

Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Norm, denn einen Verweis auf Vorschriften zur Verteidigerbestellung enthält § 453c StPO nicht. Auch die Entstehungsgeschichte der § 140 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 StPO gebieten keine entsprechende Anwendung der Vorschriften. Die Aufnahme von § 140 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 StPO in den Katalog der Bestellungsgründe des § 140 Abs.1 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2128) diente insbesondere der Umsetzung von Artikel 4 Absatz 4 der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (PKH-Richtlinie). Die Richtlinie beansprucht aber lediglich Geltung für Verdächtige und Beschuldigte in Ermittlungs- oder Erkenntnisverfahren sowie in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, nicht jedoch für das nationale Vollstreckungsverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2022 – StB 26/22). Dementsprechend hat auch der deutsche Reformgesetzgeber anerkannt, dass die aufgrund der PKH-Richtlinie veranlassten Änderungen für das Ermittlungs- und Erkenntnisverfahren gelten und die Möglichkeit unberührt bleibe, dem rechtskräftig Verurteilten einen Pflichtverteidiger im Vollstreckungsverfahren wie nach bisheriger Rechtslage gemäß § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen (BT-Drs. 19/13829 S. 44).

Soweit schließlich das Amtsgericht zuletzt in der Verfügung vom 13. Juni 2025 unter Bezugnahme auf eine Literaturstimme (BeckOK-StPO/Krawczyk, StPO § 140 Rn. 11) seine Anwendung von § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO verteidigt, verkennt es mit der Anwendung der Vorschrift im Vollstreckungsverfahren den Sinngehalt der zitierten Fundstelle. Denn nach der dort vertretenen Auffassung wäre nach dieser Vorschrift in Ermittlungs- oder Erkenntnisverfahren ein Pflichtverteidiger zu bestellten, wenn sich ein Beschuldigter ggf. in anderer Sache in Anstaltsunterbringung gleich welcher Art und damit auch in Fällen der Sicherungshaft gemäß § 453c StPO befindet. Dementsprechend weist auch diese Literaturstimme an anderer Stelle daraufhin, dass die Verteidigerbestellung im Vollstreckungsverfahren nur in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO zu erfolgen hat (BeckOK-StPO/Krawczyk, a.a.O., Rn. 51).

c) Die Voraussetzungen einer Verteidigerbestellung in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO liegen nicht vor.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungsverfahren kommt danach ausnahmsweise in Betracht, wenn besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren oder die Schwere des Vollstreckungsfalls für den Verurteilten dies gebieten. Hinweise für das Vorliegen dieser Voraussetzungen haben sich nicht ergeben. Auch Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Verteidigungsfähigkeit des Verurteilten waren nicht ersichtlich.

Die Umstände, die im Vorführungstermin am 3. März 2025 zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls und im Anschluss zu einem Absehen vom Widerruf der Strafaussetzung durch das Amtsgericht geführt haben, waren nicht derart schwierig, dass der Verurteilte sich hierzu nur mithilfe eines Verteidigers hätte erklären können. Schwierige Rechtsfragen waren nicht erkennbar.

3. Mit Blick auf die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft, trotz Kenntnis der angefochtenen Entscheidung seit dem 27. Februar 2025 mit dem Einlegen ihres Rechtsmittels bis zur förmlichen Zustellung zuzuwarten, merkt die Kammer an, dass eine Rechtsmitteleinlegung bereits mit Erlass des Beschlusses und damit schon vor Zustellung und Inlaufsetzung der Rechtsmittelfrist zulässig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 1973 – 2 StR 497/72; OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Juni 1985 – 1 Ws 335/85; Schmitt/Köhler, a.a.O., vor § 296 Rn. 4). Die hier erfolgte Auszahlung und nunmehr erforderliche Rückforderung der Pflichtverteidigervergütung wäre bei zeitnaher Rechtsmitteleinlegung vermeidbar gewesen.“

Der Satz: „Die hier erfolgte Auszahlung und nunmehr erforderliche Rückforderung ….“ ist übrigens falsch. Ich empfehle dem LG einen Blick in die dazu vorliegende zutreffende Rechtsprechung, und zwar: OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.07.2023 – Ws 133/23; LG Braunschweig, Beschl. v. 17.07.2025 – 4 Qs 178/25. Mich erstaunen 🙂 solche Dinge immer. Überlegt man sich denn nicht, was man schreibt und/oder denkt man nicht an die Auswirkungen. Der Ärger ist doch vorprogammiert.

Pflichti II: Bestellung wegen Schwere der Rechtsfolge, oder: DNA-Gutachten als einziges Beweismittel

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Und dann habe ich hier im zweiten Posting zwei Entscheidungen zum Beiordnungsgrund. Beide kommen vom LG Dessau-Roßlau, und zwar:

Zwar ist nicht grundsätzlich dann, wenn ein Sachverständigengutachten zum Gegenstand der Beweisaufnahme wird, eine schwierige Sachlage gegeben. Etwas anders gilt aber für die Fälle, in denen ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen den Beschuldigten ist, wenn es also z.B. für den Nachweis der Täterschaft des Angeschuldigten auf das Ergebnis eines DNA-Gutachtens voraussichtlich ankommen wird.

Bei der Beurteilung der Schwere der Rechtsfolge im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO ist nicht nur auf die Rechtsfolgenentscheidung des in Rede stehenden Verfahrens. sondern auch auf sonstige erhebliche Auswirkungen der verhängten Sanktion auf den Angeklagten abzustellen. Die Grenze von etwa einem Jahr gilt deswegen auch dann, wenn sie erst durch eine erforderliche Gesamtstrafenbildung erreicht wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob bereits rechtskräftig verhängte Strafen eine Gesamtstrafenbildung erforderlich machen. Vielmehr sind bei der Beurteilung der Schwere der Tat im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO auch weitere anhängige Verfahren zu berücksichtigen.