Schlagwort-Archiv: Voraussetzungen

Fahrtenbuchführungspflicht für einen Firmenfuhrpark, oder: Regelmäßig wiederkehrende Verkehrsverstöße

© euthymia – Fotolia.com

Und dann heute zum Wochenschluss verkehrsverwaltungsrechtliche Entscheidung.

Ich beginne mit dem OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.09.2025 – 12 LA 8/24 – zur Fahrtenbuchführungspflicht für einen Firmenfuhrpark.

Gestritten wird um die Rechtmäßigkeit eines Bescheides durch den die Klägering mit einer zwölfmonatigen Fahrtenbuchführungspflicht für alle 15 Fahrzeuge ihres Firmenfuhrparks (oder für etwaige Ersatzfahrzeuge) belegt wurde.

Begründet worden ist das wie folgt: Am 14.06.2019 um 9:55 Uhr und am 14.08.2019 wurden mit Firmenfahrzeugen der Klägerin Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit begangen, und zwar um 27 km/h bzw. 43 km/h. In den deswegen geführten Bußgeldverfahren benannte die zeugenschaftlich angehörte Klägerin die für diese Verstöße verantwortlichen Fahrzeugführer nicht. Anderweitige behördliche Ermittlungen erbrachten ebenfalls keinen Erfolg bei der jeweiligen Identifikation eines Fahrers vor Eintritt der Verfolgungsverjährung.

In seiner Fahrtenbuchanordnung vom 29.11.20219 begründete der Beklagte die Erstreckung der Fahrtenbuchführungspflicht auf auch andere Firmenwagen der Klägerin als die beiden oben genannten Tatfahrzeuge wie folgt: Nicht nur die Ermittlungen der Täter vom 14.06. bzw. 14.08.2019, sondern auch diejenige der Täter zahlreicher vorangegangener Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften, die mit Firmenfahrzeugen der Klägerin begangen worden seien, seien daran gescheitert, dass die Klägerin an der Aufklärung der Zuwiderhandlungen nicht hinreichend mitgewirkt habe. Sie habe u. a. die Fahrzeugführer nicht benannt und ein Fahrzeugmanagement mit Aufzeichnungen, das ihr diese Benennung ermöglicht hätte, weder gehabt noch als Reaktion auf die (der vorliegenden) vorangegangenen Fahrtenbuchanordnungen aufgebaut. Eine spezielle Begründung für die zwölfmonatige Dauer der Fahrtenbuchführungspflicht enthält der Bescheid des Beklagten vom 29.11.2019 nicht.

Das VG hat wird, die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides bejaht und zur Begründung u. a. ausgeführt: Die Anordnung lasse im Hinblick auf die Dauer der „Fahrtenbuchauflage“ keine Ermessensfehler erkennen. Auch das Verhalten des Fahrzeughalters bei der Aufklärung des Verkehrsverstoßes sowie etwaige Maßnahmen, die für die Zukunft weitere Verstöße verhindern sollten, könne die Behörde unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr würdigen. Eine nur sechsmonatige Verpflichtung liege noch im unteren Bereich einer effektiven Kontrolle und stelle daher keine übermäßige Belastung dar. Bei Fahrtenbuchanordnungen für diese Dauer werde in der Rechtsprechung ein intendiertes Ermessen angenommen, welches nicht oder jedenfalls nicht im Einzelnen begründet werden müsse.

Gegen das VG-Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und deren Zulassung beantragt. Ohne Erfolg. Das OVG hat seine Entscheidung umfassend begründet. Hier stelle ich nur den amtlichen Leitsatz – die Einzelheiten bitte aus dem Volltext entnehmen:

Anordnungen von längeren Fahrtenbuchführungspflichten für den gesamten Firmenfuhrpark kommen jedenfalls unter folgenden Voraussetzungen in Betracht:

Nach mindestens einer vorangegangenen Fahrtenbuchanordnung von geringerer Dauer und/oder geringerem Ausmaß verweigert sich die fahrzeughaltende Kapitalgesellschaft fortgesetzt ihrer Obliegenheit, ausreichende innerbetriebliche Vorkehrungen zur Fahreridentifikation zu treffen, obwohl weiterhin regelmäßig wiederkehrend mit ihren Firmenfahrzeugen punktebewertete, aber unaufklärbare Verkehrsverstöße begangen werden.

 

StVollZ I: OK-Vermerk in der Gefangenenpersonalakte, oder: Besteht noch ein konkreter „OK-Verdacht“?

Ich stelle heute seit längerem mal wieder Entscheidungen aus bzw. zum Strafvollzug vor.

An der Spitze der Berichterstattung steht der KG, Beschl. v. 15.08.2025 – 5 Ws 138/25. Es geht in der Entscheidung um den sog. OK-Vermerk. Der Gefangene hatte die Löschung/Entfernung dieses Vermerks aus seiner Gefangenenpersonalakte beantragt. Der Gefangene verbüßt  eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen in der JVA des Offenen Vollzuges Berlin. Zwei Drittel-Termin ist 14.12.2025. Dieser Vermerk des Gefangenen, bei dem bereits  während der Untersuchungshaft im Jahr 2021 von der JVA Moabit eine anstaltsinterne Kenntlichmachung einer Zugehörigkeit zur Organisierten Kriminalität vorgenommenen worden war, geht zurück auf eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, in welcher eine Einbindung des Gefangenen in Strukturen Organisierter Kriminalität angenommen worden ist. In der JVA wurde der „OK-Vermerk“ dann regelmäßig im Rahmen der Vollzugsplanungen überprüft und aufrechterhalten. Gleichwohl wurde der Gefangene  am 27.03.2024 in den offenen Vollzug verlegt und dort sukzessive zu Vollzugslockerungen zugelassen. Wärend des Vollzugs ist es zu keinen weiteren Erkenntnisse gekommen.

Die StVK hat den „Entfernungsantrag“ abgelehnt. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die beim KG Erfolg hatte. Dem gefällt der Beschluss der StVK nun gar nicht:

Das KG rügt die Unvollständigkeit der Begründung. Insoweit stelle ich nur den Leitsatz vor, und zwar:

Die von den Strafvollstreckungskammern erlassenen Beschlüsse müssen grundsätzlich den Anforderungen genügen, die § 267 StPO an die Begründung strafrechtlicher Urteile stellt. Hieraus folgt, dass die Strafvollstreckungskammer die entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Erwägungen so vollständig darzulegen hat, dass sie eine rechtliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht.

Und das KG führt dann weiter aus:

„3. Aufgrund dieser ungenügenden Darstellung des Verfahrensgegenstandes kann der Senat nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG überprüfen (dazu sogleich unter 4.). Die Ausführungen der Strafvollstreckungskammer zur rechtlichen Würdigung lassen unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (vgl. dazu nur Senat, Beschlüsse vom 2. Januar 2025 – 5 Ws 252/23 –, vom 10. September 2021, a. a. O., Rn. 21 f., vom 1. November 2019, a. a. O., und vom 27. Juni 2019 – 5 Ws 55/19 Vollz –, juris Rn. 33, jew. m. w. N.) besorgen, dass sie hier den Prüfungsgegenstand verkannt hat, indem sie nicht den ablehnenden Bescheid der Vollzugsbehörde vom 9. Januar 2025 überprüft hat (vgl. dazu auch Senat, Beschluss vom 2. Januar 2025, a. a. O. [fehlerhafte isolierte Prüfung der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft durch die Strafvollstreckungskammer]). Sie hätte bezogen auf diesen Bescheid erörtern müssen, ob die Vollzugsbehörde in eigener Verantwortung geprüft hat, ob ein konkreter Verdacht besteht, der Gefangene sei der Organisierten Kriminalität zuzurechnen, und ob aufgrund dessen die Anbringung eines „OK-Vermerks“ gerechtfertigt ist. Ein derartiger Verdacht kann sich grundsätzlich aus der entsprechenden Mitteilung der Staatsanwaltschaft ergeben. Die dort genannten Beweisanzeichen sind jedoch von der Vollzugsbehörde eigenverantwortlich in Beziehung zu dem Verhalten des Gefangenen in der Haft, zu den Urteilsgründen und zu allen anderen Umständen zu setzen, die für die Zuordnung zur Organisierten Kriminalität von Belang sein können. Bleibt ein konkreter Verdacht, so ist die Eintragung gerechtfertigt (vgl. nur KG, Beschluss vom 4. Februar 1998, a. a. O., Rn. 10; Senat, Beschlüsse vom 2. Januar 2025, a. a. O., vom 10. September 2021, a. a. O., Rn. 20 ff. und vom 24. Januar 2017 – 5 Ws 141/16 Vollz –). Wenn ein konkreter Verdacht besteht, hat die Vollzugsbehörde ferner auf den Einzelfall bezogen zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen sie treffen muss und ob die Eintragung des „OK-Vermerks“ von vornherein oder noch gerechtfertigt ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 2. Januar 2025, a. a. O., und vom 10. September 2021, a. a. O., Rn. 20, jew. m. w. N.). Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass die Vollzugsbehörde die in der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls in zusätzlich eingeholten Auskünften der Polizeibehörde enthaltenen Tatsachen ihrer Entscheidung jedenfalls nicht unkritisch zugrunde legen darf, sondern zumindest auf ihre Plausibilität und Validität zu prüfen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Januar 2025, a. a. O.).“

VR III: Wertgrenze für „bedeutenden Schaden“, oder: Vorläufige Entziehung noch nach 6 Monaten?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann kommen hier zum Tagesschluss noch zwei Entscheidungen zur (vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB).

Ich stelle aber, da die Entscheidungen nichts wesentlich Neues enthalten nur die Leitsätze vor, die lauten:

1. Zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort.

2. Die Wertgrenze für den bedeutenden Schaden i.S. von § 69 Abs. 1 Nr. 3 StGB liegt bei 1.600,00 EUR.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis 6 Monate nach Bekanntwerden der Umstände, aufgrund derer eine Entscheidung nach § 111a StPO hätte ergehen können ist jedenfalls dann unverhältnismäßig, sofern keine anderen relevanten Umstände vorhanden sind, die für eine Gefährdung durch die weitere Teilnahme des Beschuldigten am Straßenverkehr sprechen.

Nochmals zur Anordnung der Fahrtenbuchauflage, oder: Mitwirkungspflicht kein „doppeltes Recht“

© euthymia – Fotolia.com

Und dann die zweite Entscheidung, und zwar der OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.02.2025 – 3 M 4/25 – zur Anordnung des Führens eines Fahrtenbuchs. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstelles hatte keinen Erfolg:

„1. Die Beschwerde wendet zunächst ein, dass sich aus der beim Verwaltungsvorgang befindlichen Anhörung im Bußgeldverfahren vom 12. März 2024 und der auf den 16. April 2024 datierenden Erinnerung an diesen Anhörungsbogen zwar ergebe, dass der Antragsteller als Beschuldigter eines Bußgeldverfahrens wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes am 7. März 2024 geführt worden sei. Einem Beschuldigten stehe jedoch ein Aussageverweigerungsrecht zu, so dass diesem und so auch dem Antragsteller eine mangelnde Mithilfe bei der Ermittlung des Fahrzeugführers nicht mit der Konsequenz des Führens eines Fahrtenbuchs vorgehalten werden könne, solange das Ermittlungsverfahren gegen ihn nicht eingestellt worden sei. Einen Zeugenfragebogen, der nach Einstellung des ursprünglich gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens hätte versandt werden müssen, existiere nicht. Mache ein Beschuldigter eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens keine oder nicht ausreichende Angaben, um den Fahrzeugführer zu ermitteln, könne dies nicht zu einer Fahrtenbuchauflage führen.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, für ihn habe als Beschuldigter keine Obliegenheit zur Mitwirkung bestanden. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass ein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender – bzw. unzureichender – Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, nicht besteht. Ein solches „Recht“ widerspräche dem Zweck des § 31a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen. Insbesondere steht die Ausübung des Aussageverweigerungsrechts der Anwendbarkeit des § 31a StVZO unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegen (im Einzelnen: vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. März 2023 – 8 B 157/23 – juris Rn. 7 ff. unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts).

Soweit der Vortrag der Beschwerde darauf abzielen sollte, dass der Antragsteller als Zeuge zu befragen gewesen wäre und deshalb die für die Aufklärung einer Zuwiderhandlung im Straßenverkehr zuständige Behörde nicht alle nach pflichtgemäßem Ermessen angezeigten Maßnahmen ergriffen haben könnte, rechtfertigt auch dies die Abänderung des Beschlusses nicht. Denn eine Zeugenstellung des Antragstellers kam vorliegend aus Rechtsgründen schon nicht in Betracht. Die Bußgeldbehörde hat den Antragsteller förmlich als Betroffenen angehört und durfte aufgrund der durchgeführten Ermittlungen fortgesetzt davon ausgehen, dass zumindest ein entsprechender Anfangsverdacht gegen ihn besteht. Die am Verfahren beteiligten Personen sind keine Zeugen, soweit die Entscheidung im Bußgeldverfahren unmittelbar gegen sie ergehen und in ihre Rechte eingreifen kann. Sie dürfen nicht als Zeugen vernommen werden, soweit das Verfahren ihre Sache betrifft; bereits bei Verdachtsgründen, die eine Verfolgung gegen eine bestimmte Person nahelegen, ist diese als Betroffener mit den gegebenen Verteidigungsmöglichkeiten anzuhören und nicht als Zeuge zu vernehmen. Diese Unterscheidung wird nicht zuletzt durch die verschiedenartigen Pflichten bzw. Rechte von Betroffenen einerseits und als Zeugen zu vernehmenden Personen andererseits bedingt. So ist ein Zeuge auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren grundsätzlich – sofern nicht aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht in Betracht kommt – sowohl auf Aufforderung zum Erscheinen bei der Verwaltungsbehörde als auch zur Aussage in der Sache verpflichtet; bei unberechtigter Weigerung kommen Ordnungsmittel wie etwa die Verhängung eines Ordnungsgeldes oder als letzte Maßnahme sogar die Erzwingungshaft in Betracht. Für den Betroffenen besteht dagegen auch im Verfahren wegen der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit keine Verpflichtung, zur Sache auszusagen, hierüber ist der Betroffene auch ausdrücklich zu belehren. Jedenfalls wenn – wie hier – sich der Tatverdacht der Bußgeldbehörde zumindest auch gegen den Kraftfahrzeughalter selbst richtet, scheidet dessen Vorladung und Vernehmung als Zeuge aus Rechtsgründen aus (zum Ganzen: vgl. VGH BW, Beschluss vom 10. August 2015 – 10 S 278/15 – juris Rn. 11 m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller mit Sicherheit als Fahrer ausschied, mithin das gegen ihn geführte Ordnungswidrigkeitenverfahren bereits vor Ablauf der Verfolgungsverjährung mit der Folge hätte eingestellt werden müssen, dass er als Zeuge zu befragen gewesen wäre. Die bloße fernmündliche Mitteilung des Antragstellers gegenüber der Zentralen Bußgeldstelle am 23. April 2024, wonach er nicht der Fahrer gewesen sei und drei seiner – namentlich nicht bezeichneten – Mitarbeiter, die sich sehr ähnlich sähen, als Fahrer in Betracht kämen, lässt einen solchen Schluss nicht zu.

2. Entgegen der Darstellung der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht bei der angegriffenen Entscheidung nicht unberücksichtigt gelassen, dass sich der Antragsteller unmittelbar nach dem Erhalt des Schreibens vom 16. April 2024 telefonisch gemeldet und mitgeteilt habe, dass er drei ähnlich aussehende Mitarbeiter habe, deren Namen er ohne Weiteres benennen könne, wobei die Benennung der Namen jedoch mit den Worten abgelehnt worden sei, dass man dann weiter ermitteln müsse. …..“

KCanG/BtM II: BGH zur Neufestsetzung von Strafen, oder: Keine analoge Anwendung der Regelungen

Bild von chiplanay auf Pixabay

Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 04.12.2024 – 6 StR 542/24.

Das LG hat den Angeklagten wegen Zwangsprostitution in Tateinheit mit ausbeuterischer Zuhälterei unter Einbeziehung von Strafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Der BGHh beanstandet die Gesamtstrafenbildung, weil das LG die für die einbezogenen Strafen wesentlichen Zumessungserwägungen nicht mitgeteilt hat. Bei der Sachlage sei eine revisionsgerichtliche Überprüfung der Gesamtstrafenbildung nicht möglich.

So weit, so gut: Interessant wird der Beschluss mit der ergänzenden Stellungnahme des BGH zu der Antragsschrift des GBA – insoweit dann KCanG:

„Entgegen der Auffassung der Revision kommt eine Neufestsetzung der Strafen aus der früheren Verurteilung, die sich auf Handeltreiben mit Cannabis beziehen, nicht in Betracht. Der Hinweis auf Art. 316p EGStGB iVm Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB verfängt nicht. Denn Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB erweitert den Anwendungsbereich des Art. 313 Abs. 1 EGStGB auf Fälle, in denen der Angeklagte wegen tateinheitlicher Verwirklichung (§ 52 StGB) einer Strafvorschrift verurteilt wurde, „die aufgehoben ist oder die den Sachverhalt, welcher der Verurteilung zugrunde lag, nicht mehr unter Strafe stellt oder mit Geldbuße bedroht“, und sieht als Rechtsfolge die Neufestsetzung der Strafe vor (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 155, 192; OLG Köln, Beschluss vom 12. September 2024 – 2 Ws 553/24; BeckOK-StGB/Seel, 63. Ed., Art. 313 EGStGB Rn. 9). Die Voraussetzungen dieser Norm sind nicht gegeben. Denn das Handeltreiben mit Cannabis ist nach wie vor strafbar (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 4 KCanG); zudem fehlt es an einer tateinheitlichen (Vor-)Verurteilung.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist für eine analoge Anwendung des Art. 316p iVm Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB, der verfassungsrechtlich unbedenklich ist, kein Raum. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Frage, ob und in welchem Umfang der rückwirkende Erlass nicht vollstreckter Strafen und die Tilgung entsprechender Verurteilungen in Betracht kommt, wurde im Gesetzgebungsverfahren angesichts der damit einhergehenden Belastungen der Landesjustiz ausführlich erörtert (vgl. dazu einerseits den Gesetzentwurf der Bundesregierung in BT-Drucks. 20/8704, S. 134, 155 sowie andererseits die Stellungnahme des Bundesrats BT-Drucks. 20/8704, S. 192; vgl. ferner Engel ZRP 2024, 50). Vor diesem Hintergrund ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber den Wortlaut der Vorschriften versehentlich zu eng gefasst und weitergehende Amnestieregelungen nicht im Blick hatte.

Gegen die vom Beschwerdeführer geforderte Neubemessung rechtskräftiger Strafen im Rahmen nachträglicher Gesamtstrafenbildung sprechen schließlich auch Sinn und Zweck des § 55 StGB. Grundgedanke der Vorschrift ist, dass Täter durch die getrennte Aburteilung von Taten, bei denen die Voraussetzungen der §§ 53, 54 StGB vorliegen, weder besser noch schlechter, sondern so gestellt werden, als wären alle Taten gemeinsam abgeurteilt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1983 – 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193; Schäfer/
Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 1228 mwN). Die von der Verteidigung begehrte Neufestsetzung der Strafen würde hingegen zu einer gesetzlich nicht vorgesehenen Privilegierung von Mehrfachtätern führen, bei denen eine Entscheidung nach § 55 StGB vor Inkrafttreten des KCanG nicht getroffen worden ist.“