Und zum Abschluss des Tages dann noch etwas aus dem Bereich des Haftbefehls nach § 230 StPO, und zwar den OLG Köln, Beschl. v. 26.06.2025 – 2 Ws 299/25.
Gestritten wird um das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO wegen Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung. Das LG hat zwar inzwischen den gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehl aufgehoben, es geht jetzt aber noch um die Feststellung der nachträglichen Rechtswidrigkeit. Dabei spielt die Frage eine Rolle, ob der Angeklagte überhaupt ordnungsgemäß zu Hauptverhandlung geladen war. Das hat das OLG verneint.
Ich stelle hier nur die Begründung des OLG vor, den zugrunde liegenden Sachverhalt bitte selbst im verlinkten Volltext nachlesen:
„2. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass eines auf § 230 Abs. 2 StPO gestützten Haftbefehls lagen nicht vor, da es an einer ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung, die zwingende Voraussetzung für die Anordnung des Zwangsmittels ist (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Auflage 2023, § 230, Rz. 9), fehlte.
a) Die Zustellungsurkunde vom 30.10.2024 begründet als öffentliche Urkunde zwar den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsache (§§ 182 i.V.m. 418 ZPO), nämlich dass es am Tag der Zustellung zu einer Einlegung der Terminladung in einen Briefkasten an der Anschrift N. gekommen ist, die der Angeklagte gegenüber dem Amtsgericht Waldbröl am 22.08.2024 als seine „ladungsfähige Anschrift“ mitgeteilt hatte. Allerdings ist weitere Wirksamkeitsvoraussetzung für eine auf diesem Weg grundsätzlich mögliche, die persönliche Kenntnis von dem Schriftstück fingierende Ersatzzustellung im Sinne der §§ 37 StPO, 178 Abs. 1, 180 ZPO, dass der Empfänger an der Anschrift auch tatsächlich wohnt (BVerfG, Beschluss vom 22.02.1992 – 2 BvR 884/91, NJW-RR 1992, 1085). Dies kann der Zusteller – mangels eigener Wahrnehmungsmöglichkeit an der Haustür – nicht beurkunden, so dass die Zustellungsurkunde insoweit keinen vollen Beweis im Sinne des § 418 ZPO begründet.
Vorliegend spricht nichts dafür, dass der Angeklagte am 30.10.2024 an der vorgenannten Anschrift eine Wohnung unterhalten bzw. im Haushalt seines Vaters gewohnt hat (1) oder einen entsprechenden Rechtsschein gesetzt hat mit der Folge, dass er sich nicht auf die Unwirksamkeit der Ladung berufen könnte (2), bzw. auf andere Weise von dem Hauptverhandlungstermin Kenntnis erlangt hat, diesem aber gleichwohl ferngeblieben ist (3).
(1) Hinsichtlich des tatsächlichen Wohnortes des Angeklagten ist aktenkundig, dass er zunächst in einer kommunalen Unterkunft wohnte, von wo er am 15.07.2024 von Amts wegen abgemeldet wurde (Bl. 281 d. HA). Ferner ist dokumentiert, dass er eine Wohnsitznahme in Nürnberg am 28.09.2024 der dortigen Meldebehörde angezeigt hat, was bereits ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass er zuletzt dort gewohnt hat. Dies gilt umso mehr, als er dort tatsächlich angetroffen und festgenommen werden konnte und es sich um den Haushalt seiner Mutter handelt.
Wo der Angeklagte in der Zwischenzeit wohnte bzw. ob er überhaupt über eine dauerhaft genutzte Unterkunft verfügte, ist unklar, kann aber vorliegend dahinstehen, da nach Aktenlage jedenfalls nicht davon ausgegangen werden kann, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt im Jahr 2024 (insbesondere im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ersatzzustellung am 30.10.2024) im Haushalt seines Vaters gewohnt hat. Er hat zwar gegenüber dem Amtsgericht Waldbröl am 22.08.2024 angegeben, er könne unter der Anschrift in N. geladen werden. Er hat zugleich aber klargestellt, es handele sich dabei um die Wohnanschrift seines Vaters, den er lediglich einmal pro Woche zum Frühstücken besuche. Er hat damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er selbst unter dieser Anschrift nicht im Sinne des Zustellrechts wohnt. Wohnung meint in diesem Kontext den Raum, in dem der Zustellungsadressat zum Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich lebt, d.h. seinen räumlichen Lebensmittelpunkt hat und den er regelmäßig aufsucht. Mag das Kriterium des „regelmäßigen Aufsuchens“ bei einem wöchentlichen Besuch zwar noch erfüllt sein, fehlt es jedoch an demjenigen des „räumlichen Lebensmittelpunktes“ bei – wie hier – nur gelegentlichen Besuchen aus einem bestimmten Anlass.
Konkrete Hinweise darauf, dass der Angeklagte gleichwohl bei seinem Vater wohnhaft gewesen sein könnte, so dass am 11.02.2025 von einer ordnungsgemäßen Ladung im Wege der Ersatzzustellung ausgegangen werden durfte, sind nicht ersichtlich. Vielmehr sprach hiergegen, dass der Angeklagte gegenüber dem Amtsgericht sogar mitgeteilt hatte, ab September 2024 über eine eigene Wohnung in Nümbrecht-Gaderoth zu verfügen (mag sich dies im Nachhinein auch nicht realisiert haben). Damit war jedenfalls eine mögliche Änderung der Wohnverhältnisse des Angeklagten zum 01.09.2024 aktenkundig.
(2) Dem Angeklagten ist es vorliegend auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung zu berufen. Er hat weder bewusst und zielgerichtet einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt herbeigeführt (vgl. hierzu BGH, NJW 2011, 2440) oder auch nur „mitverursacht“, noch einen solchen im weiteren Verlauf aufrechterhalten. Insbesondere bestand keine Verpflichtung seinerseits, das Landgericht Bonn über seinen Umzug nach Nürnberg in Kenntnis zu setzen. Weder konnte er wissen, dass das Landgericht Bonn von seinen Angaben gegenüber dem Amtsgericht Waldbröl Kenntnis erlangt hatte, noch, dass gegen ihn überhaupt ein Strafverfahren bei der Kammer anhängig war. Denn es bestehen keine hinreichend gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass er Kenntnis von der – Anfang September an die Adresse seines Vaters versandten – Anklageschrift hatte.
Soweit die Kammer in seiner Nichtabhilfeentscheidung argumentiert, der Angeklagte halte sich auch „im weiteren Verlauf […] zustellungsunfähig“, ist dies im Hinblick auf die vorausgegangene, dem hiesigen Beschwerdeverfahren zugrunde liegende Zustellungsproblematik ohne Relevanz, zumal – wie ausgeführt – nichts für ein doloses, zustellungsvereitelndes Verhalten des Angeklagten bereits im Jahr 2024 spricht.
(3) Es ist auch nicht deshalb von einer Heilung des Zustellungsmangels auszugehen, weil ihm die Terminladung tatsächlich zugegangen ist (§ 37 Abs. 1 StPO, § 189 ZPO). Insbesondere ist nicht belegt, dass ihm diese von seinem Vater ausgehändigt worden ist. Vielmehr lassen sich der Akte Hinweise darauf entnehmen, dass das Verhältnis des Angeklagten zu seinem Vater konfliktbelastet war (vgl. das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zur Person in der Anklageschrift).
b) Da mangels ordnungsgemäßer Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung die Voraussetzungen des § 230 Abs. 2 StPO für den Erlass eines Haftbefehls nicht vorlagen, war dieser rechtswidrig. Dem hat die Kammer mit der Aufhebung des Haftbefehls am 18.02.2025 auch entsprechend Rechnung getragen, nachdem sie von den tatsächlichen Begebenheiten Kenntnis erlangt hat und diese hat prüfen können.
Da die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass des Haftbefehls – objektiv – nicht vorlagen, konnte dieser von Beginn an keine Grundlage für die Freiheitsentziehung des Angeklagten sein. Ob die Kammer dies bereits am 11.02.2025 oder spätestens am 17.02.2025 hätte erkennen oder sich zu weiteren Nachforschungen hätte veranlasst sehen müssen, ist unerheblich. Fehl geht deshalb die der Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts zugrunde liegende Auffassung, dass sowohl der Erlass des Haftbefehls als auch dessen Bestand bis zum 18.02.2025 rechtmäßig gewesen seien, weil aufgrund der „zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse“ von der Ordnungsgemäßheit der Ladung auszugehen gewesen sei.
Mit Blick auf das Beschwerdevorbringen bemerkt der Senat in diesem Zusammenhang ergänzend, dass das Landgericht vor Erlass des Haftbefehls am 11.02.2025 versucht hat, den damaligen Wohnsitz des Angeklagten durch die Veranlassung einer Einwohnermeldeamtsanfrage zu verifizieren, was aufgrund der erlangten Antwort (vgl. Bl. 354 d. A.) jedoch nicht eindeutig ausgefallen ist und insbesondere nicht zu der Feststellung geführt hat, dass der Angeklagte bereits seit dem 28.09.2024 unter der Anschrift seiner Mutter in Nürnberg amtlich gemeldet ist. Ein willkürliches Handeln des Landgerichts, welches auch am Samstag, dem 15. sowie am Sonntag, dem 26.02.2025 – durch die Korrespondenz mit dem Verteidiger sowie der zuständigen Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Nürnberg – mit der Sache befasst war, liegt sowohl in Bezug auf den Erlass des Sitzungshaftbefehls fern als auch insoweit, dass erst am 18.02.2025 über die Aufhebung des Haftbefehls abschließend beraten und entschieden werden konnte……“





