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Haft III: Ausbleiben des Angeklagten im HV-Termin, oder: Ist der Angeklagte ordnungsgemäß geladen?

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Und zum Abschluss des Tages dann noch etwas aus dem Bereich des Haftbefehls nach § 230 StPO, und zwar den OLG Köln, Beschl. v. 26.06.2025 – 2 Ws 299/25.

Gestritten wird um das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO wegen Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung. Das LG hat zwar inzwischen den gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehl aufgehoben, es geht jetzt aber noch um die Feststellung der nachträglichen Rechtswidrigkeit. Dabei spielt die Frage eine Rolle, ob der Angeklagte überhaupt ordnungsgemäß zu Hauptverhandlung geladen war. Das hat das OLG verneint.

Ich stelle hier nur die Begründung des OLG vor, den zugrunde liegenden Sachverhalt bitte selbst im verlinkten Volltext nachlesen:

„2. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass eines auf § 230 Abs. 2 StPO gestützten Haftbefehls lagen nicht vor, da es an einer ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung, die zwingende Voraussetzung für die Anordnung des Zwangsmittels ist (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Auflage 2023, § 230, Rz. 9), fehlte.

a) Die Zustellungsurkunde vom 30.10.2024 begründet als öffentliche Urkunde zwar den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsache (§§ 182 i.V.m. 418 ZPO), nämlich dass es am Tag der Zustellung zu einer Einlegung der Terminladung in einen Briefkasten an der Anschrift N. gekommen ist, die der Angeklagte gegenüber dem Amtsgericht Waldbröl am 22.08.2024 als seine „ladungsfähige Anschrift“ mitgeteilt hatte. Allerdings ist weitere Wirksamkeitsvoraussetzung für eine auf diesem Weg grundsätzlich mögliche, die persönliche Kenntnis von dem Schriftstück fingierende Ersatzzustellung im Sinne der §§ 37 StPO, 178 Abs. 1, 180 ZPO, dass der Empfänger an der Anschrift auch tatsächlich wohnt (BVerfG, Beschluss vom 22.02.1992 – 2 BvR 884/91, NJW-RR 1992, 1085). Dies kann der Zusteller – mangels eigener Wahrnehmungsmöglichkeit an der Haustür – nicht beurkunden, so dass die Zustellungsurkunde insoweit keinen vollen Beweis im Sinne des § 418 ZPO begründet.

Vorliegend spricht nichts dafür, dass der Angeklagte am 30.10.2024 an der vorgenannten Anschrift eine Wohnung unterhalten bzw. im Haushalt seines Vaters gewohnt hat (1) oder einen entsprechenden Rechtsschein gesetzt hat mit der Folge, dass er sich nicht auf die Unwirksamkeit der Ladung berufen könnte (2), bzw. auf andere Weise von dem Hauptverhandlungstermin Kenntnis erlangt hat, diesem aber gleichwohl ferngeblieben ist (3).

(1) Hinsichtlich des tatsächlichen Wohnortes des Angeklagten ist aktenkundig, dass er zunächst in einer kommunalen Unterkunft wohnte, von wo er am 15.07.2024 von Amts wegen abgemeldet wurde (Bl. 281 d. HA). Ferner ist dokumentiert, dass er eine Wohnsitznahme in Nürnberg am 28.09.2024 der dortigen Meldebehörde angezeigt hat, was bereits ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass er zuletzt dort gewohnt hat. Dies gilt umso mehr, als er dort tatsächlich angetroffen und festgenommen werden konnte und es sich um den Haushalt seiner Mutter handelt.

Wo der Angeklagte in der Zwischenzeit wohnte bzw. ob er überhaupt über eine dauerhaft genutzte Unterkunft verfügte, ist unklar, kann aber vorliegend dahinstehen, da nach Aktenlage jedenfalls nicht davon ausgegangen werden kann, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt im Jahr 2024 (insbesondere im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ersatzzustellung am 30.10.2024) im Haushalt seines Vaters gewohnt hat. Er hat zwar gegenüber dem Amtsgericht Waldbröl am 22.08.2024 angegeben, er könne unter der Anschrift in N. geladen werden. Er hat zugleich aber klargestellt, es handele sich dabei um die Wohnanschrift seines Vaters, den er lediglich einmal pro Woche zum Frühstücken besuche. Er hat damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er selbst unter dieser Anschrift nicht im Sinne des Zustellrechts wohnt. Wohnung meint in diesem Kontext den Raum, in dem der Zustellungsadressat zum Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich lebt, d.h. seinen räumlichen Lebensmittelpunkt hat und den er regelmäßig aufsucht. Mag das Kriterium des „regelmäßigen Aufsuchens“ bei einem wöchentlichen Besuch zwar noch erfüllt sein, fehlt es jedoch an demjenigen des „räumlichen Lebensmittelpunktes“ bei – wie hier – nur gelegentlichen Besuchen aus einem bestimmten Anlass.

Konkrete Hinweise darauf, dass der Angeklagte gleichwohl bei seinem Vater wohnhaft gewesen sein könnte, so dass am 11.02.2025 von einer ordnungsgemäßen Ladung im Wege der Ersatzzustellung ausgegangen werden durfte, sind nicht ersichtlich. Vielmehr sprach hiergegen, dass der Angeklagte gegenüber dem Amtsgericht sogar mitgeteilt hatte, ab September 2024 über eine eigene Wohnung in Nümbrecht-Gaderoth zu verfügen (mag sich dies im Nachhinein auch nicht realisiert haben). Damit war jedenfalls eine mögliche Änderung der Wohnverhältnisse des Angeklagten zum 01.09.2024 aktenkundig.

(2) Dem Angeklagten ist es vorliegend auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung zu berufen. Er hat weder bewusst und zielgerichtet einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt herbeigeführt (vgl. hierzu BGH, NJW 2011, 2440) oder auch nur „mitverursacht“, noch einen solchen im weiteren Verlauf aufrechterhalten. Insbesondere bestand keine Verpflichtung seinerseits, das Landgericht Bonn über seinen Umzug nach Nürnberg in Kenntnis zu setzen. Weder konnte er wissen, dass das Landgericht Bonn von seinen Angaben gegenüber dem Amtsgericht Waldbröl Kenntnis erlangt hatte, noch, dass gegen ihn überhaupt ein Strafverfahren bei der Kammer anhängig war. Denn es bestehen keine hinreichend gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass er Kenntnis von der – Anfang September an die Adresse seines Vaters versandten – Anklageschrift hatte.

Soweit die Kammer in seiner Nichtabhilfeentscheidung argumentiert, der Angeklagte halte sich auch „im weiteren Verlauf […] zustellungsunfähig“, ist dies im Hinblick auf die vorausgegangene, dem hiesigen Beschwerdeverfahren zugrunde liegende Zustellungsproblematik ohne Relevanz, zumal – wie ausgeführt – nichts für ein doloses, zustellungsvereitelndes Verhalten des Angeklagten bereits im Jahr 2024 spricht.

(3) Es ist auch nicht deshalb von einer Heilung des Zustellungsmangels auszugehen, weil ihm die Terminladung tatsächlich zugegangen ist (§ 37 Abs. 1 StPO, § 189 ZPO). Insbesondere ist nicht belegt, dass ihm diese von seinem Vater ausgehändigt worden ist. Vielmehr lassen sich der Akte Hinweise darauf entnehmen, dass das Verhältnis des Angeklagten zu seinem Vater konfliktbelastet war (vgl. das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zur Person in der Anklageschrift).

b) Da mangels ordnungsgemäßer Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung die Voraussetzungen des § 230 Abs. 2 StPO für den Erlass eines Haftbefehls nicht vorlagen, war dieser rechtswidrig. Dem hat die Kammer mit der Aufhebung des Haftbefehls am 18.02.2025 auch entsprechend Rechnung getragen, nachdem sie von den tatsächlichen Begebenheiten Kenntnis erlangt hat und diese hat prüfen können.

Da die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass des Haftbefehls – objektiv – nicht vorlagen, konnte dieser von Beginn an keine Grundlage für die Freiheitsentziehung des Angeklagten sein. Ob die Kammer dies bereits am 11.02.2025 oder spätestens am 17.02.2025 hätte erkennen oder sich zu weiteren Nachforschungen hätte veranlasst sehen müssen, ist unerheblich. Fehl geht deshalb die der Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts zugrunde liegende Auffassung, dass sowohl der Erlass des Haftbefehls als auch dessen Bestand bis zum 18.02.2025 rechtmäßig gewesen seien, weil aufgrund der „zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse“ von der Ordnungsgemäßheit der Ladung auszugehen gewesen sei.

Mit Blick auf das Beschwerdevorbringen bemerkt der Senat in diesem Zusammenhang ergänzend, dass das Landgericht vor Erlass des Haftbefehls am 11.02.2025 versucht hat, den damaligen Wohnsitz des Angeklagten durch die Veranlassung einer Einwohnermeldeamtsanfrage zu verifizieren, was aufgrund der erlangten Antwort (vgl. Bl. 354 d. A.) jedoch nicht eindeutig ausgefallen ist und insbesondere nicht zu der Feststellung geführt hat, dass der Angeklagte bereits seit dem 28.09.2024 unter der Anschrift seiner Mutter in Nürnberg amtlich gemeldet ist. Ein willkürliches Handeln des Landgerichts, welches auch am Samstag, dem 15. sowie am Sonntag, dem 26.02.2025 – durch die Korrespondenz mit dem Verteidiger sowie der zuständigen Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Nürnberg – mit der Sache befasst war, liegt sowohl in Bezug auf den Erlass des Sitzungshaftbefehls fern als auch insoweit, dass erst am 18.02.2025 über die Aufhebung des Haftbefehls abschließend beraten und entschieden werden konnte……“

Haft III: Wenn die Angeklagte in der HV ausbleibt, oder: Kein Haftbefehl, wenn Erscheinen demnächst sicher

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas aus der landgerichtlichen Spruchpraxis, nämlich den LG Oldenburg, Beschl. v. 22.11.2024 – 4 Qs 332/24. Thematik: Sicherungshaftbefehl nach § 230 StPO.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten, dem Ehemann der Beschwerdeführerin, mit zwei Anklageschriften zur Last, insgesamt sieben Betrugstaten begangen zu haben, wobei er in sechs Fällen gewerbsmäßig und in fünf Fällen mit dem weiteren Angeklagten G. gemeinschaftlich gehandelt habe. Durch die eine Anklage wird zudem dem Angeklagten P.B. und der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer der Taten eine Beihilfe zur Last gelegt.

Das AG hat unter dem 15.04.2024 einen Termin zur Hauptverhandlung mit allen vier Angeklagten auf den 19.09.2024, 10:00 Uhr, anberaumt sowie Fortsetzungstermine auf den 10.10.2024, 09:00 Uhr, den 17.10.2024, 09:00 Uhr, den 07.11.2024, 09:00 Uhr, und den 28.11.2024, 09:00 Uhr, festgelegt. Ausweislich der Zustellungsurkunde ist die Ladung der Beschwerdeführerin zur Hauptverhandlung und zu den Fortsetzungsterminen unter der Zustellanschrift pp., dem Angeklagten C.D., der ebenfalls unter dieser Anschrift gemeldet ist, am 19.04.2024 persönlich übergeben worden.

Zum Hauptverhandlungstermin am 19.09.2024 erschien die Beschwerdeführerin pünktlich. Nicht erschienen war indes der Mitangeklagte P.B., gegen den, nach einem erfolglosen polizeilichen Vorführversuch, im Termin ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO ergangen ist. Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung am 19.09.2024 ist die Fortsetzung der Hauptverhandlung auf den bereits anberaumten Termin am 10.10.2024 bestimmt worden.

Aufgrund einer Mitteilung des Bewährungshelfers des Angeklagten C.D. und unter Weiterleitung von Unterlagen, die ihm der Angeklagte C.D. überreicht habe, erhielt das AG am 08.10.2024 davon Kenntnis, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann auf den 10.10.2024 um 15:00 Uhr und den 16.10.2024 um 11:00 Uhr in einer Nachlasssache – in Serbien – zu zwei Terminen geladen worden seien. Bestandteil der übermittelten Dokumente war u. a. eine Abschrift der in serbischer Sprache verfassten undatierten Ladung im Original sowie eine Übersetzung hiervon in die deutsche Sprache vom 26.09.2024. Aus der übersetzten Ladung ergibt sich neben den Terminsstunden die Mitteilung an die beiden Adressaten, dass deren persönliche Anwesenheit zu den Terminen zwingend erforderlich sei und die vorzulegenden Ausweisdokumente nicht durch eine bevollmächtigte Person, sondern nur durch Erben oder gesetzliche Vertreter eingereicht werden können. Eines der Dokumente war darüber hinaus mit der Behauptung versehen, dass die Beschwerdeführerin und der Mitangeklagte C.D die weiteren Termine „selbstverständlich“ wahrnehmen würden.

Zum Fortsetzungstermin am 10.10.2024 um 09.00 Uhr erschien die Beschwerdeführerin nicht. Der anwesende Verteidiger des C.D. teilte für den Angeklagten C.D. u. a. mit, dass dieser sich in Serbien befinde, um die Nachlassangelegenheit wahrzunehmen, weil die Gefahr bestünde, dass der Erbanspruch verfallen könnte. Die Höhe des möglichen Anspruchs sei dem Verteidiger aber nicht bekannt. Der Angeklagte C.D. werde nicht kommen. Die Verteidigerin der Beschwerdeführerin schloss sich diesen Ausführungen an und erklärte für die Beschwerdeführerin das Gleiche.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das AG daraufhin um 09:32 Uhr gegen die Beschwerdeführerin noch im Termin vom 10.10.2024 einen auf § 230 Absatz 2 StPO gestützten Haftbefehl erlassen. Dagegen die Beschwerde, die Erfolg hatte:

„2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Haftbefehl ist in materieller Hinsicht zu beanstanden. Dabei kann nach Ansicht der Kammer dahinstehen, ob die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe einen hinreichenden Entschuldigungsgrund darstellen, weil die Anordnung von Haft gemäß § 230 Abs. 2 StPO jedenfalls nicht erforderlich war und damit unverhältnismäßig ist. Im Einzelnen:

….

b) Nach Ansicht der Kammer lagen aber im Zeitpunkt seiner Anordnung durch das Amtsgericht – Schöffengericht – Cloppenburg am 10.10.2024 die materiellen Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO nicht vor. Dabei kann im Ergebnis dahinstehen, ob die Beschwerdeführerin für ihr Ausbleiben im Termin vom 10.10.2024 hinreichend entschuldigt war. Denn die Anordnung von Haft war jedenfalls nicht erforderlich und ist damit unverhältnismäßig.

aa) Gemäß § 230 Abs. 2 StPO ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen, wenn das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt ist und soweit dies zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten ist.

bb) Die Beschwerdeführerin war zu dem auf den 10.10.2024 anberaumten Hauptverhandlungstermin durch Zustellung im Wege der Übergabe der Ladung an einen in der Wohnung der betreffenden Person befindlichen erwachsenen Familienangehörigen (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), ordnungsgemäß geladen worden. Ladungen dieser Art wird im normalen Geschäftsgang ein Hinweis auf die Folgen des unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten im Sinne des § 216 Abs. 1 StPO beigefügt. Anhaltspunkte dafür, dass dies vorliegend nicht der Fall gewesen sein könnte, liegen nicht vor, insbesondere wurde Entsprechendes auch von der Beschwerdeführerin selbst nicht behauptet. Dass die Beschwerdeführerin darüber hinaus auf die Folgen ihres unentschuldigten Ausbleibens sowohl durch einen Hinweis der Vorsitzenden am Schluss des Hauptverhandlungstermins vom 19.09.2024 und darüber hinaus durch Schreiben vom 08.10.2024 weitere Male hingewiesen worden ist, schadet nicht, ist aber ohne Belang. Die Beschwerdeführerin ist im Termin vom 10.10.2024 auch ausgeblieben, da sie zur festgesetzten Terminsstunde sowie nach Ablauf einer hinreichenden Wartefrist nicht im Sitzungssaal anwesend war.

cc) Es kann nach Ansicht der Kammer dahinstehen, ob die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe einen hinreichenden Entschuldigungsgrund darstellen.

Die Kammer weist insoweit darauf hin, dass zur Entschuldigung eines Angeklagten jeder Umstand dient, der ihn – wie beispielsweise Krankheit oder Gefangenschaft – am Erscheinen vor Gericht gegen seinen Willen hindert oder bei Abwägen aller Gesichtspunkte ergibt, dass dem Angeklagten aus seinem Fernbleiben billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn. 16). Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich der Angeklagte – wie hier – sein Ausbleiben mitteilt und insoweit um Entschuldigung oder Verständnis bittet, sondern allein darauf, ob er entschuldigt ist, also ob dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens unter Abwägung aller Umstände des Falles billigerweise ein Vorwurf gemacht werden kann oder nicht (BVerfG, NJW 2007, 2318; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 230 StPO, Rn. 16 m. w. N.).

Das Gericht entscheidet hierüber im Freibeweis, wobei aber nur solche Beweise heranzuziehen sind, die sofort zur Verfügung stehen. Genügend entschuldigt ist das Ausbleiben zwar nur, wenn es glaubhaft erscheint, dass den Angeklagten kein Verschulden trifft (siehe insgesamt Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 329 StPO, Rn. 21 m. w. N.). Allerdings ist bei der Auslegung zugunsten des Angeklagten eine weite Auslegung geboten (BGHSt 17, 391 [397]). Maßgebend ist, ob dem Angeklagten nach den Umständen des Falles wegen des Ausbleibens billigerweise ein Vorwurf zu machen ist oder nicht (Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 329 StPO, Rn. 23 m. w. N.). Eine insoweit durch die Rechtsprechung angenommene Fallgruppe kann generell die Regelung beruflicher oder privater Angelegenheiten sein, jedenfalls dann, wenn sie unaufschiebbar und von solcher Bedeutung sind, dass dem Angeklagten das Erscheinen billigerweise nicht zugemutet werden kann, sodass die öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung ausnahmsweise zurücktreten muss (Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 329 StPO, Rn. 28 m. z. N. aus d. Rspr.). Hierunter können auch drohende wirtschaftliche Verluste fallen (OLG Düsseldorf, NJW 1960, 1921). Eine derartige Konstellation könnte ggf. auch der Verlust der Erbschaft darstellen.

dd) Der Erlass eines Haftbefehls war im Zeitpunkt seiner Anordnung aber unverhältnismäßig.

(1) In das hohe Rechtsgut der persönlichen Freiheit darf der Staat nur dann und nur insoweit eingreifen, als dies unerlässlich ist, um die künftige Teilnahme eines Angeklagten an einem Hauptverhandlungstermin mit Sicherheit zu erreichen. Ist nach den bekannt gewordenen Umständen zu erwarten, dass der Angeklagte zum neuen Hauptverhandlungstermin von selbst erscheinen wird, etwa, weil der für sein Ausbleiben angeführte Grund sich nur auf den gegenwärtigen Termin bezog, so ist es meist nicht erforderlich, und damit auch nicht zulässig, präventiv die Teilnahme an dem künftigen Termin durch Zwangsmittel sicherzustellen. Gleiches gilt, wenn das Erscheinen des Angeklagten mit der erforderlichen Sicherheit durch ein milderes Mittel erreichbar ist (BVerfGE 32, 87; OLG Hamburg, Beschl. v. 04.06.2020 – 2 Ws 72/20, Rn. 20).

Der Grundsatz, dass das mildeste Mittel anzuwenden ist, gilt auch für die Auswahl der in § 230 Abs. 2 StPO nebeneinander angedrohten Zwangsmittel. Dem an erster Stelle genannten Vorführungsbefehl gebührt als dem weniger einschneidenden Eingriff in die persönliche Freiheit stets der Vorrang vor dem Haftbefehl (BVerfGE 32, 87; BVerfG, NJW 2007, 2318). Letzterer darf nur angeordnet werden, wenn das mildere Mittel entweder bereits erfolglos ausgeschöpft ist oder nach Würdigung aller Umstände der Zweck der Norm, die Durchführung der Hauptverhandlung in Gegenwart des Angeklagten zu ermöglichen, andernfalls nicht oder nicht mit der erforderlichen Sicherheit erreichbar wäre. So liegt es etwa, wenn zu befürchten ist, dass der Angeklagte sich einer Vorführung durch Fernbleiben von seiner Wohnung entziehen würde (siehe hierzu insgesamt OLG Hamburg, Beschl. v. 04.06.2022 – 2 Ws 72/20, Rn. 21 m. w. N.).

(2) Diesen hohen Verhältnismäßigkeitsanforderungen hielt der Haftbefehl im Zeitpunkt seines Erlasses nicht stand.

Das mildere Mittel der Vorführungsanordnung war zwar für den Termin vom 10.10.2024 von vorne herein aussichtslos und damit gescheitert, weil sich die Beschwerdeführerin nach der Vorankündigung und den Angaben der Verteidigerin nicht an ihrer Wohnanschrift befand und eine Vorführung damit von vorne herein aussichtslos und fehlgeschlagen war. Dass dies für den Termin am 17.10.2024, jedenfalls aber zu den Terminen vom 07.11.2024 und vom 28.11.2024, aber ebenfalls der Fall sein würde, ist nicht ersichtlich.

Nach den bekannt gewordenen Umständen war bei Erlass des Haftbefehls nach Ansicht der Kammer vielmehr sogar hinreichend sicher zu erwarten, dass die Beschwerdeführerin zu dem künftigen Hauptverhandlungstermin am 17.10.2024, jedenfalls aber zu den Terminen vom 07.11.2024 und vom 28.11.2024, sogar von selbst erschienen wäre. Denn sie war schon zu dem ersten Verhandlungstermin – im Gegensatz zu dem Mitangeklagten Bruns – pünktlich erschienen. Nur aufgrund dessen Ausbleibens konnte am 19.09.2024 nicht in der Sache verhandelt werden. Auch hat die an einer festen Wohnanschrift gemeldete Beschwerdeführerin bereits schriftlich ihre Absicht bekundet, zu den weiteren Verhandlungs-terminen „selbstverständlich“ zu erscheinen. Dafür, dass sie insoweit nicht Wort halten würde, ergeben sich für die Kammer vor dem Hintergrund ihres Erscheinens im ersten Hauptverhandlungstermin keine Anhaltspunkte, zumal sie ihre Abwesenheit – unabhängig davon, ob man dies als Entschuldigungsgrund gelten lassen wollte oder nicht – vorab angekündigt und hierfür einen jedenfalls nachvollziehbaren – zeitlich befristeten – Grund genannt hat, der ihre Anwesenheit in Serbien lediglich am 10.10.2024 und am 16.10.2024 erfordert habe.

Aufgrund des Verhaltens der Beschwerdeführerin in der Vergangenheit hätte das Amtsgericht auf ihre künftige Zuverlässigkeit im Umgang mit justiziellen Verpflichtungen schließen müssen, sodass der Erlass eines Haftbefehls zur Erreichung des verfassungslegitimen Zwecks der Anwesenheit der Beschwerdeführerin während weiterer Hauptverhandlungstermine zwar geeignet, aber nicht erforderlich gewesen ist. Da der Erlass des Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO nicht erforderlich war, ist er unverhältnismäßig und der Beschluss materiell unrechtmäßig.“

StPO I: Sicherungshaftbefehl bei Ausbleiben in der HV?, oder: Warum immer gleich die Brechstange?

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Und heute dann StPO-Entscheidungen, alle drei haben mit Zwangsmaßnahmen zu tun oder hängen damit zusammen.

Ich eröffne den Reigen mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.03.2024 -Ws 188/24 -, in dem das OLG zu den Voraussetzungen für einen Sicherungshaftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO geht.

Der Angeklagte war zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Er hatte sich damit entschuldigt, dass er verschlafen habe. Das AG erlässt HB nach § 230 Abs. 2 StPO. Der Angeklagte wird festgenommen. Er legt gegen den Haftbefehl Beschwerde ein, die keinen Erfolg hat. Dagegen die weitere Beschwerde, die der Angeklagte aufrecht erhält, nachdem er nach Verurteilung in der Hauptverhandlung entlassen worden ist. Die weitere Beschwerde hatte beim OLG ERfolg:

„Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

1. Die weitere Beschwerde ist zulässig. Eine prozessuale Überholung durch die zwischenzeitliche erfolgte Aufhebung des Haftbefehls und die Freilassung des Beschwerdeführers ist nicht eingetreten. Das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers an der Überprüfung der Haftentscheidung besteht fort. Dass der Haftbefehl mit dem Abschluss der Hauptverhandlung am 23.01.2024 gegenstandslos geworden ist, führt angesichts der Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung nicht dazu, dass das Interesse des Beschwerdeführers an gerichtlichem Rechtsschutz, hinter dem bei einer weiteren Inhaftierung gebotenen zurückbleibt oder gänzlich entfällt. Das ursprüngliche Interesse auf gerichtlichen Schutz gegen den vollzogenen Haftbefehl wandelt sich vielmehr in ein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung (KK-StPO/Gmel/Peterson, 9. Aufl. 2023, StPO § 230 Rn. 17; BVerfG Beschluss vom 21.09.2017, 2 BvR 1071/15).

2. Die weitere Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Auf die weitere Beschwerde des Angeklagten ist festzustellen, dass der angefochtene Beschluss des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 16.01.2024 und der Haftbefehl des Amtsgerichts Weiden i.d.OPf. vom 09.01.2024 rechtswidrig waren.

a) Die Voraussetzungen des § 230 Abs. 2 StPO liegen zwar insoweit vor, als der Angeklagte zum Termin vom 09.01.2024 ordnungsgemäß mit der Belehrung über die Folgen unentschuldigten Fernbleibens geladen wurde und ohne genügende Entschuldigung zum Termin nicht erschienen ist.

b) Der Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO war aber unverhältnismäßig. Der Erlass eines Vorführungsbefehls wäre ausreichend gewesen.

aa) Zwischen den in § 230 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwangsmitteln besteht ein Stufenverhältnis. Grundsätzlich ist zunächst das mildere Mittel der polizeilichen Vorführung anzuordnen.

Dies hat der Gesetzgeber zuletzt in der Begründung des am 25.7.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe bei der Einfügung des Halbsatzes „soweit dies zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten ist“ in § 230 Abs. 2 StPO zum Ausdruck gebracht. Damit soll künftig ausdrücklich auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Bezug genommen werden. Eine inhaltliche Änderung ist hiermit nicht verbunden, denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der jede Anwendung staatlichen Zwangs den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne unterwirft, schränkt die Anwendung des § 230 Abs. 2 StPO bereits nach geltendem Recht ein. Das Wort „soweit“ soll deutlicher als bisher darauf hinweisen, dass dem Vorführungsbefehl stets der Vorrang vor dem Haftbefehl zu geben ist (siehe auch BVerfG, Beschluss vom 27.10.2006, 2 BvR 473/06, NJW 2007, 2318, 2319)“ (BT-Drs. 18/3562, S. 66).

Der Erlass eines Haftbefehls wird danach in der Regel nur in Betracht kommen, wenn der Versuch der Vorführung zum Termin gescheitert ist und/oder mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass die Anwesenheit des Angeklagten durch eine Vorführung sichergestellt werden kann (BeckOK StPO/Gorf, 50. Ed., StPO § 230 Rn. 13-14, m.w.N.). Nur dies wird dem verfassungsrechtlichen Anspruch gerecht, dass bei einer den Bürger belastenden Maßnahme Mittel und Zweck im angemessenen Verhältnis zueinanderstehen müssen (vgl. BVerfG aaO; Sächs. VerfGH, Beschluss vom 26.03.2015 – Vf. 26-IV-14; OLG Braunschweig NdsRpfl 2012, 313).

Ohne eine Vorführung versucht zu haben, ist der Erlass eines Haftbefehls nur in seltenen Ausnahmefällen verhältnismäßig; ein solcher Fall liegt etwa dann vor, wenn feststeht, dass der Angeklagte auf keinen Fall erscheinen will (vgl. KG, Beschluss vom 22.07.2019, 4 Ws 69/19, 161 AR 169/19m.w.N.) oder die Vorführung wahrscheinlich deshalb aussichtslos sein wird, weil der Aufenthaltsort des Angeklagten unbekannt ist oder die begründete Sorge besteht, dass der Angeklagte vor einer Vorführung untertauchen wird (BeckOK StPO/Gorf, ebenda).

Wenn das Gericht demgegenüber sofort zum Mittel des Haftbefehls greift, muss aus seiner Entscheidung deutlich werden, dass es eine Abwägung zwischen der polizeilichen Vorführung und dem Haftbefehl vorgenommen hat. Die Gründe, warum ausnahmsweise sofort die Verhaftung des Angeklagten angeordnet worden ist, müssen tragfähig sein und in dem Beschluss in einer Weise schlüssig und nachvollziehbar aufgeführt werden, dass sie in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Gericht im Rahmen seiner Eigenkontrolle gewährleisten. Von entsprechenden Darlegungen kann nur abgesehen werden, wenn die Nachrangigkeit des Freiheitsanspruchs offen zutage liegt und sich daher von selbst versteht (vgl. KG, ebenda, m.w.N.; zum ganzen so bereits OLG Nürnberg Beschluss vom 10.08.2021, Ws 734/21, unveröffentlicht; OLG Nürnberg Beschluss vom 09.03.2023, Ws 207/23).

bb) Diesen Anforderungen wird der angefochtene Haftbefehl in der Gestalt des Beschlusses des Landgerichts Weiden i.d.OPf. nicht gerecht. Es ist nicht ersichtlich, dass die mildere Anordnung der Vorführung aussichtslos sein wird. Die Begründungen der Nichtabhilfeentscheidungen des Amtsgerichts Weiden i.d.OPf. und des Landgerichts Weiden i.d.OPf. tragen den Erlass eines Haftbefehls anstelle der grundsätzlich vorrangigen Vorführung nicht.

Konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, es handle sich bei der Einlassung des Angeklagten, er habe verschlafen, um eine Schutzbehauptung, werden nicht genannt und sind auch nicht ersichtlich. Vielmehr spricht der Umstand, dass der Angeklagte sich am Tag der anberaumten Hauptverhandlung um 9:24 Uhr bei der Geschäftsstelle meldete, für die Glaubhaftigkeit dieser Angabe. Die Arbeitstätigkeit im Schichtdienst wurde von dem Angeklagten selbst unter Vorlage einer Arbeitgeberbescheinigung vorgetragen. Wohn- und Arbeitsort waren dem Amtsgericht damit bekannt. Eine Vorführung erscheint unter diesen Umständen durchaus erfolgversprechend und nicht aussichtslos.

Dass mit dem Haftbefehl die Durchführung der Hauptverhandlung mit vier Zeugen und einem Dolmetscher gesichert werden sollte, rechtfertigt nicht den Erlass eines Haftbefehls, auch wenn es nachvollziehbar ist, dass den Beteiligten ein nochmaliges erfolgloses Erscheinen erspart werden sollte. Bei einer erfolgreichen Vorführung des Angeklagten hätten die Zeuge aber auch kein weiteres Mal bei Gericht erscheinen müssen.

Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass es dem unter laufender Reststrafenbewährung stehenden Angeklagten um eine Verzögerung der Hauptverhandlung ging, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht angeführt. Aus dem vorgemerkten Bewährungszeitende am 21.08.2024 kann dies jedenfalls nicht geschlossen werden, da eine Entscheidung über den Straferlass bei Anhängigkeit weiterer Strafverfahren grundsätzlich zurückzustellen wäre (F., StGB, 71. Aufl. § 56g Rn. 2).

Die dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten sind auch nicht geeignet, durchgreifende Zweifel an einer erfolgreichen Vorführung zu begründen. Dass dem Angeklagten in der Anklageschrift Vereitelungs- und Täuschungshandlungen zur Last gelegt wurden, bietet keine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme, dass eine Vorführung des Angeklagten zu einem neuen Hauptverhandlungstermin erfolglos bleiben wird. Dasselbe gilt für eine Zugehörigkeit zur „Rauschgiftszene“, zumal sich aus dem Bundeszentralregister ergibt, dass der Angeklagte die letzte Straftat im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln im 2019 begangen hat.

Die Annahme, der Angeklagte werde sich dem künftigen Strafverfahren entziehen, ist somit ohne tragfähige Grundlage. Es ist vielmehr in einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Angeklagte, der über einen festen Wohnsitz mit seiner Ehefrau und seinen zwei Kindern sowie über eine feste Arbeitsstelle verfügt und sich zeitnah nach Beginn des ersten Hauptverhandlungstermins am 09.01.2024 telefonisch bei der Geschäftsstelle meldete und sein Verschlafen mitteilte, erfolgreich hätte vorgeführt werden können.“

Manchmal fragt man sich, warum eigentlich immer gleich die Brechstange herhalten muss. Das, was das OLG schreibt, ist doch nicht neu. Sollten AG und LG kennen.

 

U-Haft II: Vorführungsbefehl geht vor Sicherungs-HB, oder: Ein bisschen schnell geschossen

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In der zweiten Haftentscheidung geht es auch um die Verhältnismäßigkeit, und zwar um die eines Sicherungshaftbefehls (§ 230 Abs. 2 StPO).

Das AG hat einen Sitzungshaftbefehl gegen den Angeklagten, weil dieser zu einer Hauptverhandlungstermin trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne erkennbaren Entschuldigungsgrund nicht erschienen war. Das LG hat auf die Beschwerde mit dem LG Leipzig, Beschl. v. 10.05.2022 – 8 Qs 26/22 – den Haftbefehl aufgehoben:

„Die Voraussetzungen für den Erlass eines Sitzungshaftbefehls gemäß § 230 Abs. 2 StPO waren insbesondere unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht gege-ben.

Nach § 230 Abs. 2 StPO kann gegen einen ausgebliebenen Angeklagten ein Haftbefehl erlassen oder die Vorführung angeordnet werden, wenn das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt und dies zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten ist. Bei der Auswahl zwischen diesen beiden Zwangsmitteln ist das Gericht an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden.

Zwar ist der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung im anberaumten Hauptverhandlungstermin nicht erschienen. Die Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 01.04.2022 konnte ordnungsgemäß unter der dem Gericht bekannten Wohnadresse zugestellt werden (vgl. ZU vom 12.03.2022 nach Bl. 111). Auch konnte das Gericht keine genügende Entschuldigung des Angeklagten feststellen. Der Erlass eines Sitzungshaftbefehls war aber unter den gegebenen Umständen schon aus dem Gesichtspunkt fehlender Verhältnismäßigkeit unzulässig.

Der Sitzungshaftbefehl war aber unter den gegebenen Umständen unverhältnismäßig, weil er den Beschwerdeführer nicht gerechtfertigt in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt.

1. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) garantiert die Freiheit der Person. Ein Eingriff in die persönliche Freiheit durch einen Sitzungshaftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO kann nur hingenommen werden, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und auf rasche Bestrafung des Täters nicht anders gesichert werden kann. Die Bestimmung dient der Sicherung der Weiterführung und Beendigung eines begonnenen Strafverfahrens. Eine Maßnahme nach § 230 Abs. 2 StPO setzt nicht etwa dringenden Tatverdacht und Flucht oder Verdunklungsgefahr voraus, sondern nur die Feststellung, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht erschienen und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Als Mittel, die Anwesenheit des Angeklagten in einem neuen Verhandlungstermin sicherzustellen, sieht § 230 Abs. 2 StPO in erster Linie die Anordnung der Vorführung vor. Erst in zweiter Linie kann der weitaus stärker in die persönliche Freiheit eingreifende Haftbefehl in Frage kommen. Nur dies wird dem verfassungsrechtlichen Gebot gerecht, dass bei einer den Bürger belastenden Maßnahme Mittel und Zweck in angemessenem Verhältnis zueinander stehen müssen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 2006, BVerfGK 9, 406 [409]; SächsVerfGH, Beschluss vom 19. Juli 2012 – Vf. 36-IV-12 [HS]Nf. 37-IV-12 [e.A.]). Danach ist eine Verhaftung des Angeklagten mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren, wenn mit der erforderlichen Sicherheit bei verständiger Würdigung aller Umstände zu erwarten ist, dass der Angeklagte zum Termin erfolgreich vorgeführt werden kann (vgl. Becker in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 230 Rn. 25; OLG Düsseldorf, StV 2001, 332). Dies bedeutet, dass nicht jeder Zweifel an Realisierbarkeit einer Vorführung es schlechthin rechtfertigt, sogleich einen Sitzungshaftbefehl zu erlassen. Denn die gebotene Gesamtbetrachtung der Erforderlichkeit eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffs kann ergeben, dass eine Maßnahme, die einen vergleichbaren Eignungsgrad nicht gänzlich erreicht, gleichwohl als milderes Mittel vorrangig auszuschöpfen ist, weil sie wesentlich weniger einschneidende Folgen nach sich zieht (vgl. Sachs, GG, 7. Aufl., Art. 20 Rn. 153 m. w. N.; Schultze-Fielitz in: Dreier, GG, 2. Aufl., Art. 20 Rn. 183; VerfGH Sachs Beschl. v. 26.3.2015 — Vf. 26-IV-14, BeckRS 2015, 52708, beck-online).

Aufgrund der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person muss das Verfahren der Haftbeschwerde so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition besteht (vgl. zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG BVerfG, Be-schluss vom 30. August 2008 – 2 BvR 671/08 – juris Rn. 22). Im Grundsatz haben sich die mit Haftsachen betrauten Gerichte deshalb bei Haftentscheidungen mit den einzelnen Voraussetzungen eingehend auseinanderzusetzen und diese auf hinreichend gesicherter Tatsachenbasis zu begründen. Die Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Gericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten; sie müssen in sich schlüssig und nachvollziehbar sein. Von entsprechenden Darlegungen kann nur abgesehen werden, wenn die Nachrangigkeit des Freiheitsanspruchs offen zutage liegt und sich daher von selbst versteht (SächsVerfGH, Beschluss vom 19. Juli 2012 – Vf. 36-IV-12 (HS)Nf. 37-IV-12 (e. A.); Beschluss vom 28. Januar 2010 – Vf. 7-IV-10 [HS)Nf. 8-IV-10 [e. Al; VerfGH Sachs Beschl. v. 26.3.2015 — Vf. 26-IV-14, BeckRS 2015, 52708, beck-online).

Diesen Anforderungen trägt der mit der Haftbeschwerde angegriffene Sitzungshaftbefehl des Amtsgerichts Leipzig vom 01.04.2022 (ausgefertigt am 04.04.2022) nicht Rechnung. Die Entscheidung genügt jedenfalls der erforderlichen Begründungstiefe im Hinblick auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht; mit der Frage, weshalb das weniger einschneidende Mittel der Vorführungsanordnung hier nach den Umständen des Einzelfalls nicht ausreichend sein sollte, die Anwesenheit des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung zu gewährleisten, setzt sich das Amtsgericht nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise auseinander.

a) Soweit das Amtsgericht sinngemäß darauf verweist, dass ein Erscheinen des Beschwerdeführers mittels einer Vorführung nicht sicher zu erreichen sei, erwecken die Ausführungen bereits Zweifel, ob es sich habe davon leiten lassen, dass nach dem freiheitsgrundrechtlichen Erforderlichkeitsmaßstab nicht jegliche Gefahr eines solchen Fehlschlags den unmittelbaren Erlass eines Sitzungshaftbefehls unter Verzicht auf den vorrangigen Vorführungsversuch legitimiert. Weshalb bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung der erforderlichen Erfolgswahrscheinlichkeit der Maßnahme hier ein gewisses Risiko des Misslingens der Vorführung nicht hinnehmbar sein sollte, wird nicht erörtert und ist auch nicht ersichtlich. Insbesondere lässt sich dem Sitzungshaftbefehl nicht entnehmen und es liegt auch sonst nicht auf der Hand, dass ein erfolgloser Vorführungsversuch besondere Nachteile nach sich ziehen würde, die es rechtfertigten, die Wahl dieses milderen Mittels von einer überdurchschnittlich hohen Wahrscheinlichkeit oder gar der Sicherheit des Erfolgseintritts abhängig zu machen.

b) Überdies begründet das Amtsgericht auch nicht verständlich und nachvollziehbar die an-hand seines eigenen Maßstabs getroffene Einschätzung, ein Erfolg der Vorführungsanordnung sei nicht möglich. Die amtsgerichtlichen Erwägungen beziehen sich insoweit allein auf unterschiedliche örtliche Zuständigkeiten der Polizei wegen der Lage des Wohnorts des Beschwerdeführers und des Gerichtsorts in verschiedenen Bundesländern und verweisen auf die hieraus resultierende grundsätzliche Unmöglichkeit einer direkten Vorführung des Beschwerdeführers. Aus welchen Gründen die bloße Notwendigkeit einer länderübergreifenden Abstimmung und gegebenenfalls Kooperation der Polizeibehörden hier die Realisierbarkeit der Maßnahme in Frage stellen sollte, erläutert die Entscheidung jedoch nicht und auch sonst nicht nachvollziehbar. Diesbezügliche Organisationsmängel dürfen sich ohnehin nicht zulasten des Beschwerdeführers auswirken.“

Amtsrichter und Pflichtverteidigerin 6 Monate untätig ==> Entschädigung nach dem StrEG, oder: Unfassbar.

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Ich eröffne die 47. KW. mit einem Beschluss des LG Görlitz, den mir in der vergangenen Woche der Kollege Israel aus Dresden übersandt hat mit der Anmerkung, dass es eine „bemerkenswerte“ Entscheidung sei. Dem stimme ich zu bezogen auf die (zutreffenden) Aussagen des LG. Nimmt man den zugrunde liegenden Sachverhalt, dann ist der Beschluss für mich nicht „nur „bemerkenswert“ sondern – ich weiß, manche Kommentatoren mögen diesen Ausdruch nicht – „unfassbar. Und zwar „unfassbar“ sowohl hinsichtlich der (Un)Tätigkeit des Amtsrichters alas aber auch hinsichtlich der der Pflichtverteidigerin.

Es geht nämlich in etwa um folgenden Sachverhalt:

Der Angeklagte war im Hauptverhandlungstermin vom o1.03. 2017 unentschuldigt nicht erschienen. Die zunächst angeordnete Vorführung des Angeklagten scheiterte, so dass auf Antrag der Staatsanwaltschaft bestimmungsgemäß ein Sitzungshaftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO erlassen wurde. Aufgrund des erlassenen Sitzungshaftbefehls wurde der Angeklagte am 07.04.2017 dem zuständigen Richter vorgeführt. Der Haftbefehl wurde in Vollzug gesetzt und dem Angeklagten gemäß § 140 Abs. 2 StPO eine Pflichtverteidigerin beigeordnet. Mit Verfügung vom 10.04.2017 wurden die Ermittlungsakten der Pflichtverteidigerin zur Akteneinsicht für drei Tage übersandt und die Wiedervorlage nach einer Woche angeordnet. Diese Verfügung wurde am 13.04.2017 ausgeführt. Die Akten gelangten aus der Akteneinsicht am 25.04.2017 wieder zurück zum Amtsgericht. Mit Verfügung vom 26.04.2017 verfügte der zuständige Richter „zur Terminierung“. In der Folgezeit unternahm die Pflichtverteidigerin nichts. Mit Schreiben vom 27.07.2017 stellte die Staatsanwaltschaft (!!) eine Sachstandsanfrage. Die Geschäftsstelle teilte daraufhin mit, dass ein für den 30.08.2017 abgestimmt gewesen sei, dieser aber aufgehoben werden müsse, da der zuständige Richter in der Woche vorn 28.08.2017 bis 1.09.2017 kurzfristig aus privaten Gründen Urlaub geplant habe.

Am 29.o9.2017 legte der inzwischen beauftragte Wahlverteidiger des Angeklagten Haftbeschwerde gegen Haftbefehl vom 01.03.2017 ein. Der wurde mit Verfügung vom 05.10.2017 von einem inzwischen anderen Richter – der ursprünglich war nach §§ 24 ff. StPO ausgeschieden – aufgehoben. Im neuen Hauptverhandlungstermin vom 26.09.2018 wurde der Angeklagte frei gesprochen. Ein Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Sitzungshaft nach dem StrEG wurde verwehrt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten, die mit dem LG Görlitz, Beschl. v. 25.10.2018 – 13 Qs 124/18 – Erfolg hatte.

Das LG schließt sich in seiner Entscheidung zunächst der h.M. in Rechtsprechung und Literatur an und sagt: Auch ein zu Unrecht ergangener Sitzungshaftbefehl nach § 230 StPO und die dadurch verursachte Haft des Angeklagten sind grundsätzlich entschädigungspflichtig nach dem StrEG. Das wird m.E. überzeugend begründet. Ich weiß auch nicht, warum man darum streiten sollte/muss.

Und dann zu § 5 Abs. 3 StrEG:

„Dieser Entschädigungspflicht steht § 5 Abs. 3 StrEG nach Ablauf von drei Wochen nicht mehr entgegen.

Danach ist eine Entschädigung ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme dadurch schuldhaft verursacht hat, dass er einer ordnungsgemäßen Ladung vor dem Richter nicht Folge geleistet oder einer Anweisung nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 3 StPO zuwider gehandelt hat.

Zwar ist festzustellen, dass die am 1. März 2017 durch den zuständigen Richter angeordnete Sitzungshaft nach § 230 Abs. 2 StPO ordnungsgemäß angeordnet wurde. Der Angeklagte war trotz Ladung unentschuldigt dem Termin ferngeblieben und eine zunächst angeordnete Vorführung blieb erfolglos.

Aufgrund des bestehenden Sitzungshaftbefehls wurde der Angeklagte am 7. April 2017 dem zuständigen Richter vorgeführt und der Haftbefehl wurde in Vollzug gesetzt. An dieser Stelle ist wieder auf den Ansatz der Betrachtung, nämlich das grundgesetzlich geschützte Freiheitsrecht zu schauen. Ein Eingriff in dieses Freiheitsrecht bedarf zwingender Gründe und in allen Fällen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Inhaftierung nach § 230 Abs. 2 StPO darf ihrem Sinn nach nur auf eine zeitlich eng begrenzte Dauer angeordnet werden. Bei länger andauernden Unterbrechungen der Hauptverhandlung muss gegebenenfalls ein Haftbefehl nach § 112 ff. StPO erlassen werden. Dient der Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO jedoch nur dem Zweck der Gewährleistung der Anwesenheit des Angeklagten in einem neuen oder einem Fortsetzungstermin, so ist der zuständige Richter gehalten, einen solchen Termin unverzüglich anzuberaumen, um der Verhältnismäßigkeit der Mittel gerecht werden zu können. Nur dann, wenn ihm dies in der gebotenen Eile nicht möglich sein sollte, wird der zunächst angeordnete Sitzungshaftbefehl gegebenenfalls in einen Haftbefehl nach §112 ff. StPO umzuwandeln oder aufzuheben sein.

In Rechtsprechung und Literatur sind bisher keine gesetzlichen Höchstfristen für die Dauer der sogenannten „Sitzungshaft“ gemäß § 230 Abs. 2 StPO, noch Grenzen im Spannungsfeld zwischen der Anordnung eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO und eines Haftbefehls nach § 112 ff. StPO bestimmt worden. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um ein einfach gelagertes Strafverfahren, welches zudem bereits durch Verfügung vom 17. Januar 2017 vorbereitet war. Außer dem Angeklagten sind fünf weitere Zeugen geladen worden. Aufgrund der Haftsituation und des einfachen und überschaubaren Strafverfahrens erscheint eine Neuterminierung nach Inhaftnahme des Angeklagten innerhalb von drei Wochen zwingend angezeigt. Tatsächlich hat der zuständige Richter jedoch keinerlei Anstalten einer zügigen Terminierung erkennen lassen. Vielmehr hat er lediglich nach Inhaftnahme des Angeklagten am 7. April 2017 zwar eine Pflichtverteidigerin bestellt und dieser Akteneinsicht für drei Tage gewährt, jedoch keinerlei Terminierungen vorgenommen. Lediglich am 26. April 2017 lässt sich eine Verfügung den Akten entnehmen, nach Rücklauf der Akten aus der Akteneinsicht bei der Pflichtverteidigerin, dass nunmehr die Geschäftsstelle terminieren soll. Auch auf ein Schreiben des Angeklagten aus der Justizvollzugsanstalt Anfang Mai 2017, mit dem Antrag ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen, ergeht lediglich eine Verfügung, dass er bereits eine Pflichtverteidigerin habe und die Wiedervorlage zum Termin erfolgen solle. Der Richter hat in Kenntnis der Haftsituation keinerlei Bemühen erkennen lassen, zügig zu terminieren, noch hat er seine Geschäftsstelle dazu angehalten, was aus dem Umstand hervorgeht, dass ein Termin für den 30. August 2017 abgesprochen war, dieser jedoch wegen eines privaten Kurzurlaubes des Richters wieder aufgehoben werden musste. Die Terminierung selbst lässt sich aus den Akten jedoch nicht nachvollziehen und war in Anbetracht der Inhaftierung am 07. April 2017 deutlich zu spät.

Es ist nicht Aufgabe der Geschäftsstelle die Haftsituation zu erfassen und entsprechend zu reagieren, sondern originäre richterliche Aufgabe.“

Wenn man es liest, mag man es kaum glauben: Hauptverhandlungstermin mit Erlass des Sitzungshaftbefehls am 01.03.2017. Vorführung und Vollzug der Haft ab 07.04.2017 und dann? Nichts bzw. Untätigkeit des zuständigen Richters, der sich offenbar um nichts gekümmert hat und einen von der Geschäftsstelle (!!) für den 30.08.2017 abgesprochenen Termin dann wegen eines kurzfristigen Privaturlaubs wieder absagt. Ergebnis dann endlich, nachdem sich der Wahlverteidiger eingeschaltet hat – auch die Pflichtverteidigerin hatte ja nichts getan: Am 05.10.2017 wird nach fast sechs Monaten (!) die Haft nach § 230 Abs. 2 StPO aufgehoben.

Alles in allem ein Trauerspiel – sowohl für den zunächst zuständigen Richter, der übrigens wegen Besorgnis der Befangenheit zu Recht abgelehnt worden ist – als auch für die Pflichtverteidigerin, die ihren Mandanten in der Sicherungshaft hat sitzen lassen, ohne in der Haftfrage tätig zu werden. Wie gesagt: Unfassbar.

Ach so: Und der Beschluss des LG ist richtig.