Und dann habe ich als dritte Entscheidung noch den OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.01.2025 – 5 A 906/24 – zur Frage der erkennungsdienstliche Behandlung nach Einstellung des Verfahrens.
Die Polizei hatte die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers angeordnet. Seine dagegen erhobene Klage hatte beim VG keinen Erfolg. Zur Begründung hatte das VG ausgeführt: Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers sei rechtmäßig. Sie erweise sich auch unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr als notwendig. Selbst bei einer Verfahrensbeendigung durch Einstellung nach §§ 153 ff. StPO oder bei einem Freispruch sei der Straftatverdacht nicht notwendig ausgeräumt. Der vom Beklagten dargelegte Sachverhalt biete genügend Anhaltspunkte für die Annahme, der Kläger könne künftig erneut in den Verdacht der Beteiligung an einer Straftat geraten. Aus den staatsanwaltschaftlichen Akten ergäben sich ausreichende Anhaltspunkte für einen fortbestehenden Tatverdacht. Mit Blick auf die Tathandlung der Anlasstat bestehe ausweislich des Inhalts der Strafakte der Staatsanwaltschaft X. bzw. des Amtsgerichts B. ein Restverdacht. Das Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung sei nicht eingestellt worden, weil festgestanden habe, dass er die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen habe, sondern vielmehr auf der Grundlage des § 153a StPO gegen Auflage. Der als Zeuge vernommene Geschädigte habe ausgesagt, von dem Kläger mit einem Stock geschlagen worden zu sein. Auch bei dem weiteren berücksichtigten Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, welches nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden sei, sei der Tatverdacht nicht entfallen. In dem zur Verfahrenseinstellung gefertigten Vermerk habe die Staatsanwaltschaft I. festgehalten, der Kläger sei eines Vergehens nach § 224 StGB weiterhin verdächtig. Ob der Kläger im Zusammenhang mit der Tat am 22.04.2019 wegen erheblicher Alkoholisierung als schuldunfähig anzusehen gewesen sei, sei unerheblich, weil eine Schuldfeststellung keine Voraussetzung dafür sei, den Tatvorwurf zum Anlass einer (präventiven) erkennungsdienstlichen Behandlung zu machen. Die erkennungsdienstliche Behandlung lasse als Maßnahme der Gefahrenabwehr die Unschuldsvernutung unberührt. Vor dem Hintergrund dieser Taten offenbare sich die Neigung des Klägers, Konflikte unter Einsatz körperlicher Gewalt lösen zu wollen. Es deute auf ein erhöhtes Aggressionspotential hin, dass er bereit sei, Gegenstände gegen Personen einzusetzen. Die Ermessensentscheidung des Beklagten sei ebenfalls frei von Fehlern. Die konkret angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen seien für künftige Ermittlungen erforderlich und angemessen.
Dagegen die Berufung des Klägers, die ebenfalls keinen Erfolg hatte:
„Die hiergegen erhobenen Einwendungen des Klägers bleiben ohne Erfolg. Sie begründen keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht getroffenen Entscheidung, die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers nach § 81b Abs. 1 2. Alt StPO erweise sich als rechtmäßig.
Die Notwendigkeit der Anfertigung und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen bemisst sich danach, ob der Sachverhalt, der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Ermittlungs- oder Strafverfahrens festgestellt worden ist, Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potenzieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten, indem sie den Betroffenen überführen oder entlasten. Maßgeblich sind alle nach kriminalistischer Erfahrung bedeutsamen Umstände des Einzelfalls – insbesondere Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit sowie der Zeitraum, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juni 2018 – 6 C 39.16 -, juris, Rn. 22, und vom 23. November 2005 – 6 C 2.05 -, juris, Rn. 22, sowie Beschluss vom 6. Juli 1988 – 1 B 61.88 -, Buchholz 306 § 81b StPO Nr. 1; OVG NRW, Beschlüsse vom 7. August 2024, a. a. O., Rn. 12, vom 20. März 2024, a. a. O., Rn. 13, und vom 20. April 2022 – 5 A 2551/20 -, juris, Rn. 19.
Dabei gebieten der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der präventive Charakter der erkennungsdienstlichen Maßnahmen eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht bereits deshalb als potenzieller Rechtsbrecher behandelt zu werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt worden ist.
OVG NRW, Beschlüsse vom 23. September 2008 – 5 B 1046/08 -, juris, Rn. 6, und vom 13. Januar 1999 – 5 B 2562/98 -, DVBl 1999, 1228, juris, Rn. 17.
Der von dem Kläger angeführte Zeitablauf, während dem er seit der letzten Tat vom 29. Januar 2021 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, ist nicht geeignet, die Abwägung zu seinen Gunsten ausfallen zu lassen. Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs – § 224 StGB sieht auf Rechtsfolgenseite nur Freiheitsstrafe vor, bei der auch angeklagten räuberischen Erpressung handelt es sich um ein Verbrechen – sowie der Tatsache, dass der Kläger bereits zum zweiten Mal in einem Zeitraum von weniger als zwei Jahren einschlägig auffällig geworden ist, kann allein aufgrund des Zeitablaufs nicht von einer günstigen Prognose ausgegangen werden. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das Anlassverfahren gegen den Kläger erst am 22. September 2023 endgültig eingestellt wurde und der Kläger während des noch laufenden Strafverfahrens und der drohenden nicht unerheblichen Verurteilung einen besonderen Anreiz hatte, sich rechtstreu zu verhalten.
Vgl. zum Zeitablauf OVG NRW, Beschlüsse vom 27. August 2014 – 5 A 1692/13 -, juris, Rn. 9, und vom 11. September 2020 – 5 E 548/20 -, n. v., S. 4 f. des Beschlussabdrucks; Sächs. OVG, Beschluss vom 6. Februar 2017 – 3 A 862/16 -, juris, Rn. 12.
Die vorgebrachte „gefestigte Veränderung der Lebensumstände“ des Klägers bzw. den Vortrag, er lebe „in geordneten Verhältnissen“ und habe sich „die Strafverfahren zur Warnung“ „dienen lassen“, substantiiert er nicht. Die Ausführungen des Klägers sind außerdem nicht geeignet, die vom Verwaltungsgericht angenommene Neigung des Klägers zur Konfliktlösung mit Gewalt in Frage zu stellen. Weder die Manifestierung des Verhaltens unter Alkoholeinfluss noch die fehlende Alltäglichkeit der Situationen stehen einer Neigung zur gewaltsamen Konfliktlösung entgegen. Vergleichbares gilt für die Frage, ob die Konflikte vom Kläger ausgingen. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, woran angesichts der Schilderungen der Zeugen in den Strafverfahren Zweifel bestehen, existieren andere Möglichkeiten der Konfliktlösung.
Die pauschale Behauptung des Klägers, er habe in keinem der gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren versucht, seine Identität zu verschleiern, steht der Erforderlichkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht entgegen. Der Beklagte führt hierzu zu Recht aus, dass bei den bislang in Rede stehenden Taten stets Personen als Zeugen zur Verfügung gestanden hätten, die den Kläger identifizieren konnten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger zukünftig dem Verdacht einer einschlägigen Tat ausgesetzt ist, der eine Ermittlung und Identifizierung mithilfe der erkennungsdienstlichen Unterlagen erfordert.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. November 2023 – 5 B 1015/23 -, juris, Rn. 25 f. m. w. N.
Der Vorschlag des Klägers, anstelle der Aufnahme von Lichtbildern im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung auf die beim Einwohnermeldeamt vorhandenen Lichtbilder zurückzugreifen, ist aufgrund der damit verbundenen Umständlichkeit und der zeitlichen Verzögerung nicht geeignet, eine effektive und schnelle Erforschung und Aufklärung von Straftaten durch die Polizei zu gewährleisten.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Januar 2015 – 5 E 184/14 -, juris, Rn. 15.
Mit Blick auf seinen Vortrag zu einer als gering anzusehenden Schuld im Rahmen der berücksichtigten Straftaten und der Art der Verfahrenseinstellung setzt sich der Kläger bereits nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise mit den u. a. auf die höchstrichterliche Rechtsprechung gestützten diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander.
2. Auch die sinngemäß geltend gemachte Verfahrensrüge des Klägers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), mit der er rügt, dass das Verwaltungsgericht davon abgesehen hat, das persönliche Erscheinen des Klägers zur mündlichen Verhandlung anzuordnen, um sich einen eigenen Eindruck vom Kläger zu verschaffen, greift nicht durch. Aus dem Zulassungsvorbringen folgt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs oder den Amtsermittlungsgrundsatz.
Hält ein Kläger sein persönliches Erscheinen vor Gericht trotz anwaltlicher Vertretung für unerlässlich, muss er unter substantiierter Darlegung der für die Notwendigkeit seiner Anwesenheit sprechenden Gründe die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung oder die Anordnung seines persönlichen Erscheinens vor Gericht (§ 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO) beantragen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 1982 – 9 C 1.81 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 41, juris, Rn. 12; Bay. VGH, Beschluss vom 5. März 2021 – 24 ZB 21.30264 -, juris, Rn. 6.
Insofern bedarf es insbesondere der substantiierten Darlegung, aus welchen Gründen die entsprechenden tatsächlichen Aspekte bzw. Umstände nicht vom Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten vorgetragen werden können.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2002 – 1 B 313.01, 1 PKH 40.01 -, Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 31, juris, Rn. 7.
Das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich ausreichend vertretenen Partei wird dagegen durch ihren Gehörsanspruch nicht geschützt.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. Februar 2002 a. a. O., Rn. 7, und vom 4. August 1998 – 7 B 127.98 -, juris, Rn. 2.
Zur Darlegung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz muss der Rechtsmittelführer im Übrigen substantiiert ausführen, zu welchen tatsächlichen Umständen Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche Aufklärungsmaßnahmen sich hierfür hätten eignen können und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen Beweisantrag hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat; lediglich schriftsätzlich angekündigte Beweisanträge genügen den genannten Anforderungen nicht.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Februar 2022 – 4 B 25.21 -, juris, Rn. 8, vom 1. Februar 2017- 10 B 24.16 -, juris, Rn. 4; und vom 18. Februar 2015 – 1 B 2.15 -, juris, Rn. 2; Urteil vom 29. Mai 2008 – 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186, juris, Rn. 13; OVG NRW, Beschlüsse vom 28. März 2024 – 5 A 2099/23 -, juris, Rn. 14, und vom 16. Oktober 2023 – 5 A 2727/21 -, juris, Rn. 33; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 191, m. w. N.
Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der anwaltlich vertretene Kläger keinen Beweisantrag gestellt. Dem Gericht musste sich angesichts des Vorstehenden eine weitere Sachverhaltsaufklärung auch nicht aufdrängen.“