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Klima II: Lösen eines Klimaklebers von der Straße, oder: Gebührenbescheid der Polizei

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Und als zweite „Klima-Kleber-Entscheidung“ habe ich hier den OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.09.2024 – OVG 1 S 81/23 -, der sich mit der „Nachbereitung“ befasst

Und zwar hat die Polizei Berlin einen Gebührenbescheid in Höhe von 241,- EUR erlassen, mit dem die Kosten für das Lösen eines Klimaaklebers von der Straße geltend gemacht worden sind. Dagegen das Rechtsmittel zum VG, das Erfolg hatte. Und dagegen dann die Beschwerde zum OVG, die keinen Erfolg hatte. Das OVG folgt dem VG, dass davon ausgegangen ist, dass der Gebührenbescheid nicht in rechtmäßiger Weise auf §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, 6 Abs. 1, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBtrG) i.V.m. Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen (PolBenGebO) gestützt werden könne:

„Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerde nicht durchzudringen.

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, das Ablösen der Hand des Antragstellers von der Fahrbahnoberfläche und das anschließende Wegtragen sei schon deshalb nicht als Ersatzvornahme i.S.d. §§ 9 Abs. 1 lit. a), 10 VwVG zu qualifizieren, da es sich dabei um eine nicht vertretbare Handlung gehandelt habe, die der Ersatzvornahme nicht zugänglich sei.

Soweit die Beschwerde moniert, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es sich bei den polizeilichen Maßnahmen um eine unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG – und nicht um einen Sofortvollzug i.S.d. § 6 Abs. 2 VwVG – gehandelt habe, führt dies nicht zu der Einschätzung, das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angegriffenen Bescheides überwiege das private Interesse, von der Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben.

Das Verwaltungsgericht hat in zutreffender Weise die Regelungen des §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, 6 Abs. 1, 9 Abs. 2, 10 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge (GebBtrG) i.V.m. Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen (PolBenGebO) als maßgebliche Rechtsgrundlage für den Gebührenbescheid erachtet. Dem tritt die Beschwerde nicht entgegen.

Danach kann für eine unmittelbare Ausführung von Maßnahmen und Ersatzvornahmen zur Gefahrenabwehr für Personen, Sachen oder Tiere gemäß den §§ 14, 15 und 36 des ASOG, insbesondere Sicherung von Gefahrenstellen auf öffentlichem Straßenland oder Baustellensicherungen, für Personen und Tiere in Notlagen eine Gebühr zuzüglich der durch die Ersatzvornahme entstandenen Auslagen erhoben werden, sofern nicht eine speziellere Tarifstelle einschlägig ist.

Das Verwaltungsgericht hat zunächst für die hier vorliegende Sachlage – von der Beschwerde insoweit unbeanstandet – angenommen, dass die Voraussetzungen einer Ersatzvornahme nach § 10 VwVG nicht vorliegen und im Folgenden die Frage beantwortet, ob das Lösen der Klebeverbindung zwischen der Hand des Antragstellers und der Straßenoberfläche und das anschließende Wegtragen als unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG qualifizieren werden kann, hat dies jedoch verneint. Soweit die Beschwerde dagegen einwendet, die Abgrenzung zwischen der unmittelbaren Ausführung nach § 15 ASOG und einem Sofortvollzug nach § 6 Abs. 2 VwVG könne nicht dahingehend erfolgen, ob die Maßnahme im (mutmaßlichen) Willen des Verantwortlichen erfolgt – dann unmittelbare Ausführung – oder der entgegenstehende Wille des Verantwortlichen überwunden werden muss – dann Sofortvollzug –, denn eine Abgrenzung nach der Zwangsqualität würde zu Regelungslücken in den Bundesländern führen, die nicht über beide Institute verfügen, führt dies für das vorliegende Verfahren nicht weiter, denn im Land Berlin sind beide Institute gesetzlich geregelt. Soweit der Antragsgegner der Auffassung ist, den Streit um die Abgrenzung beider Institute habe der Landesgesetzgeber durch die Einführung des § 23 des Berliner Mobilitätsgesetzes (MobG BE) dahingehend entschieden, dass die unmittelbare Ausführung (auch) als Ausübung von Verwaltungszwang zu qualifizieren sei, steht der Senat dieser Sichtweise skeptisch gegenüber. § 23 MobG BE eröffnet den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) die Möglichkeit, Fahrzeuge auf Bussonderspuren, in Haltestellenbereichen und auf Wendeanlagen eigenständig umzusetzen. Zur Realisierung dürfen besonders ausgebildete Beschäftigte der BVG bestimmte Befugnisse, wie z.B. die unmittelbare Ausführung gem. § 15 ASOG (§ 23 Abs. 3 Nr. 1 lit. a MobG BE), die Ersatzvornahme gem. § 10 VwVG (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 lit. a MobG BE) und den unmittelbaren Zwang gegenüber Sachen (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 lit. b MobG BE) ausüben. Daraus nun aber ableiten zu wollen, der Landesgesetzgeber habe die unmittelbare Ausführung nunmehr (auch) als Ausübung von Verwaltungszwang qualifiziert mit der Folge, dass eine Abgrenzung beider Institute nur noch danach erfolgen könne, ob die Gefahrenabwehrbehörde (dann § 15 ASOG) oder eine andere Verwaltungsbehörde (dann § 6 Abs. 2 VwVG) tätig wird, erscheint keineswegs zwingend. Denn genauso gut könnte der Landesgesetzgeber im Rahmen des § 23 MobG BE nur die einzelnen Befugnisse der BVG übertragen haben, die für die Beseitigung der den Busverkehr behindernden Fahrzeuge notwendig und erforderlich sind, ohne damit eine Entscheidung über die hier aufgeworfene Frage zu treffen. Ein diesbezüglicher Wille des Gesetzgebers lässt sich der Begründung jedenfalls nicht entnehmen, denn die Regelung des § 23 MobG BE hat erst auf Vorschlag des Ausschusses für Umwelt, Verkehr und Kilmaschutz vom 7. Juni 2018 (Drs. 18/1177) während des laufenden Gesetzgebungsprozesses Eingang in das Gesetz gefunden und wird daher von der Begründung des Gesetzesentwurfs vom 27. Februar 2018 (Drs. 18/0878) nicht erfasst.

Unabhängig von den von der Beschwerde weiter aufgeworfenen Fragen, ob hier von einer konkreten Gefahr für Personen, Sachen oder Tiere ausgegangen werden kann und ob eine Gebührenpflichtigkeit auch dann besteht, wenn sich die unmittelbare Ausführung gegen den Verhaltensstörer richtet, obwohl § 13 ASOG nicht unmittelbar in der Tarifstelle 8 PolBenGebO genannt wird, kann die Beschwerde bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil sie nicht darlegt, dass der Zweck der Maßnahme durch eine Inanspruchnahme des Verhaltensstörers nicht oder nicht rechtzeitig hätte erreicht werden können. Im Grundsatz müssen die durch einen polizeirechtlich Verantwortlichen hervorgerufenen Gefahren oder Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung diesem gegenüber untersagt und ggfs. mit den Mittel des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchgesetzt werden. Nur dann, wenn der Zweck der Maßnahme auf diesem Wege nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann, ist der Anwendungsbereich der unmittelbaren Ausführung nach § 15 ASOG eröffnet (vgl. hierzu: Pewestorf in: Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Auflage 2022, § 15 Rn. 5; Graulich in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Auflage 2021, Abschnitt E Rn. 296; Knape/Schönrock, Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz für Berlin, 11. Auflage 2016, § 15 Rn. 15, 23). Bezogen auf den hier vorliegenden Fall hat der Antragsgegner aber nicht dargelegt, warum der Zweck der Maßnahme – das Freimachen der Straße für den Straßenverkehr – nicht bzw. nicht rechtzeitig mit den zur Verfügung stehenden Mitteln des Vollstreckungsrechts zu erreichen gewesen wäre. Denn es erschließt sich dem Senat nicht, warum im vorliegenden Fall der solchermaßen definierte Zweck nicht nach Auflösung der Versammlung durch Vollstreckung im Wege des unmittelbaren Zwangs gem. § 12 VwVG der gegenüber dem anwesenden Antragsteller unstreitig ausgesprochenen Aufforderung, die Fahrbahn zu verlassen (Platzverweis), erreichbar gewesen sein soll. Gegensätzliches wird auch von der Beschwerde nicht vorgetragen. Der Senat geht zwar entgegen den Ausführungen des Antragstellers nicht davon aus, dass die Verbindung seiner Hand mit der Straßenoberfläche mittels Sekundenklebers durch „wiederholtes Bewegen und Anspannen der Hand“ durch den Antragsteller selbst hätte gelöst werden können. Allerdings erscheint eine Durchsetzung der Anordnung mit den Mitteln des Vollstreckungsrechts – Anordnung der sofortigen Vollziehung mit verbundener Androhung des unmittelbaren Zwangs unter sofortiger Fristsetzung – durchaus möglich.“

Polizeikommissar erscheint bekifft zum Dienst, oder: Charakterlich ungeeignet ==> Entlassung

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Und dann in der zweiten Entscheidung, dem VG Aachen, Beschl. v. 16.12.2024 – 1 L 884/24 – noch einmal etwas zum Kiffen.

Nach dem Sachverhalt war einem Polizeikommissar im Beamtenverhältnis auf Probe von der zuständigen Kreispolizeibehörde vorgeworfen worden, im Mai 2024 unter dem Einfluss von Cannabis mit seinem Pkw zum abendlichen Dienst angetreten zu sein. Weitere Ermittlungen hätten zudem ergeben, dass er bereits vor der Teillegalisierung Cannabis konsumiert und damit gegen das BtMG verstoßen habe. Der Polizeikommissar ist deshalb aus dem Probedienst entlassen worden.

Dagegen Klage und Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Der Antrag hatte beim VG keinen Erfolg:

„Die Entlassungsverfügung ist im Hinblick auf den Entlassungsgrund nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG auch materiell rechtmäßig. Nach dieser Vorschrift kann ein Beamter auf Probe entlassen werden, wenn er sich in der Probezeit nicht bewährt hat. Zweck der Probezeit ist die Bewährung für die entsprechende Laufbahn (§ 5 Abs. 1 Satz 1 LVO). Deshalb ist dem Beamten innerhalb der Probezeit die Möglichkeit zu geben, seine Eignung für die eingeschlagene Laufbahn nachzuweisen. Die Entscheidung des Dienstherrn darüber, ob der Beamte sich in der Probezeit nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bewährt hat, ist ein Akt wertender Erkenntnis seines für die Beurteilung zuständigen Organs. Dabei genügen bereits berechtigte Zweifel des Dienstherrn, ob der Beamte die Eignung und Befähigung besitzt und die fachlichen Leistungen erbringt, die für die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit notwendig sind, um eine Bewährung zu verneinen. Diese Entscheidung ist gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Begriff der Bewährung und die gesetzlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt und ob allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt worden sind.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Juni 2022 – 6 A 2041/18 -, juris Rn. 178 f. und Beschluss vom 27. September 2024 – 6 B 461/24 -, juris Rn. 22.

Die Bewährung des Beamten erfordert unter dem Aspekt der charakterlichen Eignung die sichere Erwartung, dass der Beamte auch abgesehen von den fachlichen Anforderungen die dienstlichen und außerdienstlichen Beamtenpflichten erfüllen wird. Für die charakterliche Eignung ist daher die prognostische Einschätzung entscheidend, inwieweit der Beamte der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht werden wird. Dies erfordert eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Beamten, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen. Die Zweifel können sich sowohl aus dienstlichem als auch aus außerdienstlichem Verhalten ergeben. Bloße Mutmaßungen reichen nicht aus. Geboten ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Mai 2019 – 2 A 15.17 -, juris Rn. 55 f.; OVG NRW, Urteil vom 9.6.2022 – 6 A 2041/18 -, juris Rn. 188; und Beschluss vom 27. September 2024 – 6 B 461/24 -, juris Rn. 29.

Unter Beachtung dieser Maßgaben, des beschränkten gerichtlichen Prüfungsumfangs und des von dem Antragsgegner ermittelten und zugrunde gelegten Sachverhalt ist die Annahme, der Antragsteller sei charakterlich ungeeignet, nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat weder einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt oder sachfremde Erwägungen angestellt noch die gesetzlichen Maßgaben oder den bestehenden Beurteilungsspielraum verkannt.

Vielmehr hat er u.a. darauf abgestellt, dass der Antragsteller laut Zeugenaussagen regelmäßig Cannabis konsumiere, teilweise bei eigenen Fahrten oder vor dem Dienstantritt. Zudem erwerbe er die Drogen entweder bei einem anderen Freund oder in einem Coffeeshop in den Niederlanden, die Drogen führe er dann in das Bundesgebiet ein. An Wochenenden habe er in der Vergangenheit auch „härtere“ Drogen (Amphetamine, MDMA und Koks) eingenommen.

Im Hinblick auf den Konsum von Cannabis wird diese Aussage durch die Ergebnisse des internen Ermittlungsverfahrens der Kreispolizeibehörde gegen den Antragsteller bestätigt. Diese erwirkte einen Durchsuchungsbeschluss, den sie am 7. Mai 2024 vollzog, als der Antragsteller um 20:53 Uhr mit seinem Pkw auf der Dienststelle zum Antritt des Nachtdienstes erschien und sich einer Blutprobe unterzog. Diese ergab THC-Werte, die ausweislich des rechtsmedizinischen Gutachtens des Universitätsklinikums Köln vom 15. Mai 2024 für einen Konsum wenige Stunden vor der Blutentnahme sprachen; der Antragsteller habe zum Zeitpunkt der Blutentnahme noch unter der Wirkung von Cannabis gestanden. Die Durchsuchung seiner Person, der mitgeführten Gegenstände, des Spindes, des Fahrzeugs und des von ihm bewohnten Zimmers sowie die weiteren Ermittlungen ergaben zusätzliche Anhaltspunkte für einen Drogenkonsum.

Der Verdacht des Antragsgegners, dass der Antragsteller nicht nur gelegentlich Cannabis konsumiere, wird durch die im rechtsmedizinischen Gutachten nachgewiesenen Konzentration von 90 ng/ml THC-COOH bestätigt. Denn Teile der Rechtsprechung nehmen diesen Grenzwert an, um von einem regelmäßigen Konsum von Cannabis auszugehen,

Vgl. VG Aachen, Gerichtsbescheid vom 23. November 2023 – 3 K 1669/23 -, n.v., S. 5 des Entscheidungsabdrucks, m.V.a.: Möller, Medikamente und Drogen – verkehrsmedizinisch-toxikologische Gesichtspunkte, in: Drogen und Straßenverkehr, Deutscher Anwaltverlag 3. Aufl. 2016, § 3, B. Drogen, Rn. 232 ff., unter Hinweis auf den zur Untersuchung von Blutproben ergangenen Erlass des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr NRW vom 10. Juni 1999 – Az. 632-21- 03/2.1 (sog. Daldrup-Tabelle).

Des Weiteren ergibt sich aus Chatverläufen in den sozialen Medien, dass sich der Antragsteller wiederholt über das Rauchen und den Ankauf von Weed bzw. Ott mit verschiedenen Personen unterhielt.

Im Übrigen erfuhr der Antragsgegner im Rahmen des internen Ermittlungsverfahrens, dass gegen den Antragsteller im Sommer 2020 ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Nötigung auf die Anzeige einer Zeugin, die sich vom Antragsteller zum Oralverkehr gezwungen gesehen habe, und im Jahr 2021 ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen des Verdacht einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetzes wegen des Konsums von Cannabis geführt worden seien. Beide Verfahren sind von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden. In einem weiteren Verfahren erhob die Staatsanwaltschaft gegen den Antragsteller am 5. August 2024 beim Amtsgericht Anklage wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis, § 24a Abs. 1 StVO und Bedrohung. Eine Entscheidung hierzu steht noch aus.

Nach Maßgabe dieser Erkenntnisse ist gegen den Ansatz des Antragsgegners in dem Entlassungsbescheid, dass sich das Verhalten des Antragsstellers mit den während der Probezeit erworbenen Fähigkeiten als Polizeivollzugsbeamter nicht vereinbaren lasse und die charakterliche Eignung für das Amt fehle, nichts zu erinnern. So habe der Antragsteller am 7. Mai 2024 (Fahrt mit seinem privaten PKW zur Dienststelle und versuchter Dienstantritt unter Einfluss von Cannabis) gegen das Nüchternheitsgebot im polizeilichen Dienst und Bußgeldvorschriften des Straßenverkehrsgesetzes verstoßen. Dies zeige einen hohen Mangel an Einsicht und Pflichtbewusstsein. Auch wenn der Konsum von Cannabis – wie vom Antragsteller vorgetragen – außerhalb des Dienstes stattgefunden habe, bestehe ein mittelbarer dienstrechtlicher Bezug, da er unter dem Einfluss von Drogen den Dienst angetreten habe. Insgesamt habe er durch seine Handlungen und Verhaltensweisen das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit sowie das Vertrauen der Allgemeinheit in rechtmäßiges Handeln durch die Polizei grob gefährdet. Das Vertrauen der Allgemeinheit in die Tätigkeit der Polizei würde erheblich gemindert, wenn bekannt würde, dass ein Polizeivollzugsbeamter (auf Probe) unter Drogeneinfluss zum Dienst erscheine, Amtshandlungen durchführe und die Behörde diesen trotz offensichtlich fehlender Eignung in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufe.

Vgl. zur Entlassung eines Polizeibeamten, der (wiederholt) unter Alkoholeinfluss den Dienst antrat: OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2024 – 6 B 1288/23 -, juris; auch eine außerdienstliche Trunkenheitsfahrt könnte zu dem Schluss einer mangelnden charakterlichen Eignung für den Polizeivollzugsdienst führen: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: August 2016, § 23 BeamtStG, Rn. 136.

Die Argumentation des Antragstellers, dass lediglich ein Verstoß gegen die Erlasslage bestehe, wonach alle Bedienstete während des Dienstes nicht unter dem Einfluss von Cannabis stehen dürften und wegen der Teillegalisierung von Cannabis eine rechtswidrige Beschneidung seiner Freiheitsrechte erfolge, geht fehl. In dem Erlass des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen vom 28. März 2024 zum Inkrafttreten des Cannabisgesetzes zum 1. April 2024 stellt das Land NRW klar, dass es allen Bediensteten und Beschäftigten, insbesondere Waffenträgern, untersagt sei, während des Dienstes unter dem Einfluss berauschender Mittel – beispielsweise den Konsum von Cannabis – zu stehen. Dieser Erlass stellt unter keinem Blickwinkel einen rechtswidrigen Eingriff in die Freiheitsrechte des Antragstellers dar, sondern setzt einen eindeutigen Dienstbezug voraus.

Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers kam es auch nicht darauf an, dass sich Anzeichen eines Berauschtseins oder Ausfallerscheinungen zeigten. Denn die Auswirkungen eines Drogenkonsums können nicht abschließend abgeschätzt werden. Es ist in jedem Falle auszuschließen, dass ein Waffenträger unter Einfluss berauschender Mittel im Dienst agiert. Dass der Antragsteller keine Kenntnis davon gehabt habe, dass er weiterhin unter dem Einfluss von Cannabis befinde, liegt allein in seinem Verantwortungsbereich.“

Bekifft mit Fahrrad oder E-Scooter gefahren …. , oder: Untersagung des Führens von Fahrrädern/E-Scootern

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Im letzten „Kessel Buntes“ des (noch) laufenden Jahres gibt es dann noch einmal (Verkehrs)Verwaltungsrecht.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen des OVG Münster, und zwar mit dem OVG Münster, Beschl. v. 05.12.2024 – 16 B 175/23 – und dem OVG Münster, Beschl. v. 05.12.2024 – 16 B 1300/23. Beiden Entscheidungen liegen Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörden zugrunde, mit denen zwei Männern nach einer Drogenfahrt mit einem Fahrrad bzw. einem E-Scooter das Fahren nach § 3 FEV untersagt worden war. Das OVG sagt in beiden Fällen: Geht nicht. Hier die Begründung aus OVG Münster, Beschl. v. 05.12.2024 – 16 B 175/23:

„Vorliegend ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers gegen die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge (auch von Fahrrädern) Erfolg haben wird, weil die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2022 rechtswidrig ist.

Der Senat geht davon aus, dass diese Untersagung ihre Rechtsgrundlage nicht in § 3 FeV findet, weil diese Vorschrift nicht hinreichend bestimmt und verhältnismäßig ist. Er schließt sich damit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz an.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 17. April 2023 – 11 BV 22.1234 -, juris, Rn. 30 ff.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 20. März 2024 – 10 A 10971/23.OVG -, juris, Rn. 27 ff.; ebenso: VG Schwerin, Beschluss vom 27. Juli 2023 – 6 B 1855/22 SN -, juris, Rn. 22 ff.; Begemann, in: Freymann/Wellner, jurisPK- Straßenverkehrsrecht, Stand: 27. September 2024, § 3 FeV Rn. 21.1; Müller/Rebler, Keine Rechtsgrundlage für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge?!, DAR 2023, 437 (440); a. A.: Nds. OVG, Beschluss vom 23. August 2023 – 12 ME 93/23 -, juris, Rn. 8 ff. (jedenfalls für die Fälle einer Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad mit mehr als 1,6 ‰ BAK); VG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 23. September 2021 – 7 L 901/21 -, juris, Rn. 55 ff., und vom 16. November 2023 – 7 L 1617/23 -, juris, Rn. 54 ff.; VG Köln, Urteil vom 24. Juli 2024 – 23 K 6615/23 -, juris, Rn. 66 ff.; offenlassend: BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2020 – 3 C 5.20 -, juris, Rn. 38.

Angesichts der grundrechtsrelevanten Bedeutung der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge für die Fortbewegungsmöglichkeiten der Betroffenen,

vgl. Bay. VGH, Urteil vom 17. April 2023 – 11 BV 22.1234 -, juris, Rn. 32; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 20. März 2024 – 10 A 10971/23.OVG -, juris, Rn. 33 ff.,

teilt der Senat die Auffassung, dass unter Berücksichtigung des im Vergleich zu Kraftfahrzeugen in der Regel geringeren Gefährdungspotentials insbesondere nicht hinreichend klar geregelt ist, in welchen Fällen von einer Ungeeignetheit bzw. von bedingter Eignung von Führern fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge bzw. Eignungszweifeln auszugehen ist. Insofern ist es auch nicht ausreichend, dass nach § 3 Abs. 2 FeV die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung finden. Selbst wenn diese Vorschriften nur dann entsprechend anzuwenden sind, wenn sie ihrem Inhalt nach nicht das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge voraussetzen, fehlt es doch überwiegend an Anhaltspunkten dafür, wann die Schwelle zur Annahme von Eignungszweifeln bzw. fehlender oder bedingter Eignung bezüglich des Führens weniger gefahrenträchtiger Fahrzeuge überschritten ist.

Vgl. dazu ausführlich Bay. VGH, Urteil vom 17. April 2023 – 11 BV 22.1234 -, juris, Rn. 33 ff.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 20. März 2024 – 10 A 10971/23.OVG -, juris, Rn. 76 ff.

Sonstige Ermächtigungsgrundlagen für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge sind nicht ersichtlich.

Erweist sich die mit Bescheid der Antragsgegnerin erfolgte Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge daher als rechtswidrig, gilt dies auch für die in diesem Bescheid erlassene Aufforderung zur Abgabe der Mofa-Prüfbescheinigung. Insoweit ist ebenfalls die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.“

Zustellung II: Wirksamkeit einer Ersatzzustellung, oder: Verkleben der Briefkastenklappe mit Silikon

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Der zweite Beschluss zur Zustellung stammt mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.10.2024 – 19 U 87/23 – aus dem Zivilrecht. Die Ausführungen des OLG passen aber auch für andere Verfahrensarten.

Das OLG führt zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten in dem nach § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Beschluss aus:

2. Der Vollstreckungsbescheid ist im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten (§ 180 Satz 1 ZPO) wirksam zugestellt worden.

a) Nach den erstinstanzlich getroffenen Feststellungen, welche von der Berufung nicht in Zweifel gezogen werden, handelt es sich bei der Adresse M.-Str. 8 in O., unter welcher die Zustellung bewirkt wurde, nicht nur um den privaten Wohnsitz des Geschäftsführers der Beklagten, sondern auch um die – bei einer GmbH obligatorisch im Handelsregister einzutragende (vgl. BeckOGK/Bayer/J. Schmidt, 15.05.2024, GmbHG § 35 Rn. 186) – Geschäftsanschrift der Rechtsmittelführerin.

Wie sich aus § 35 Abs. 2 Satz 3 GmbHG ergibt, können an die Vertreter einer solchen Kapitalgesellschaft unter deren im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke für die Gesellschaft zugestellt werden. Hierbei handelt es sich um eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung, dass die Vertreter der GmbH stets und jederzeit unter dieser Geschäftsadresse erreichbar sind (vgl. BeckOGK/Bayer/J. Schmidt, aaO, mwN).

Die abweichenden Ausführungen der Berufungsführerin sind ersichtlich von Rechtsirrtum beeinflusst. Entgegen deren Auffassung kommt es insbesondere nicht darauf an, dass kein besonderer mit dem Namen der Gesellschaft versehener Postbriefkasten angebracht war.

b) Dass der Vollstreckungsbescheid die Geschäftsadresse der Beklagten tatsächlich erreicht hat – darauf erstreckt sich die vorbezeichnete gesetzliche Vermutung nicht (vgl. BeckOGK/Bayer/J. Schmidt, aaO, § 35 Rn. 189 mwN) – wird auch vom Rechtsmittelführer nicht in Abrede gestellt; abgesehen davon wird dies durch den Inhalt der Zustellungsurkunde, der die Beweiskraft des § 418 ZPO zukommt, belegt.

c) Ferner muss von einer ordnungsgemäßen Ersatzzustellung des Vollstreckungsbescheids durch Einlegen in den – mit dem Nachnamen des Geschäftsführers der Beklagten beschrifteten – Briefkasten, der an der Geschäftsanschrift der Rechtsmittelführerin angebracht war, nach § 180 ZPO ausgegangen werden.

Zwar fehlt es an einem zur Wohnung oder zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten im Sinne der vorgenannten Bestimmung, wenn dieser überquillt, zugeklebt ist oder sich sonst in einem nicht ordnungsgemäßen Zustand befindet, aus dem erkennbar wird, dass er nicht benutzt wird (vgl. Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Auflage 2024, § 180 Rn. 5 mwN). Eine derartige Feststellung lässt sich aber nicht treffen: Soweit die Beklagte geltend macht, ihr Geschäftsführer habe den Briefkasten mit Silikon verklebt (gehabt), steht dieser Darstellung gerade entgegen, dass ihrem eigenen Vorbringen zufolge gleichwohl das zugestellte Schriftstück in den Briefkasten hat eingelegt werden können.

Außerdem vermag sie keinen – nach § 418 Abs. 2 ZPO ihr obliegenden – Beweis dafür anzutreten, dass der Briefkasten zum Zeitpunkt der Zustellung unzugänglich oder zur sicheren Aufnahme von Schriftstücken ungeeignet gewesen wäre. Für die von der Berufung beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass der „extrem starke Verschluss … der Briefkastenklappe mit Silikon … nur mittels erheblichster Krafteinwirkung auf die Briefkasteneinwurfklappe“ habe überwunden werden können, bleibt kein Raum. Denn es fehlt an Anknüpfungstatsachen, welche den – angeblichen – Ausgangszustand, der auch nach Darstellung der Beklagten mittlerweile nicht mehr vorliegt, und die konkrete Ausführung der behaupteten Maßnahme belegen könnten.

3. Die Beklagte konnte auch nicht ohne Verschulden (§ 233 Satz 1 ZPO) annehmen, dass Zustellungen in den mit dem Namen ihres Geschäftsführers gekennzeichneten Postbriefkasten an ihrer Geschäftsanschrift nicht erfolgen werden. Dem Wiedereinsetzungsgesuch der Berufungsführerin kann – unabhängig von den zutreffenden Erwägungen, welche das Landgericht diesbezüglich angestellt hat – schon deshalb nicht entsprochen werden, weil ihre diesbezügliche Darstellung im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nicht als wahrscheinlich im Sinne der §§ 294, 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO eingestuft werden kann, auch wenn die Beklagte eine entsprechende eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vorgelegt hat. Insbesondere folgende Umstände wecken daran erhebliche Zweifel:

a) Gerade in Anbetracht der in der eidesstattlichen Versicherung ihres Geschäftsführers enthaltenen Angaben („Alle Briefe für die T. GmbH wurden und werden von den Postzustellern regelmäßig immer in das von T. GmbH angemietete Postfach Nummer 13 in O. eingelegt. Es hat sich auch eingespielt, daß private Post von A. W. in das Postfach Nummer 13 gelegt wurde und gelegt wird.“) leuchtet nicht ein, weshalb an dem – angeblich nicht mehr benötigten und daher gänzlich überflüssig gewordenen – Briefkasten, sieht man schon von einer Demontage desselben ab, im Zuge des behaupteten Verklebens der Einwurf-Klappe nicht auch das Namensschild entfernt worden war, was unter den behaupteten Umständen auf der Hand gelegen hätte und mit keinerlei Aufwand verbunden gewesen wäre.

b) Zu Recht hebt die Klägerin in ihrer Berufungsantwort hervor, hätte die Beklagte ein Postfach angemietet, wäre zu erwarten gewesen, dass sich wenigstens auf deren Homepage (www.pp.de) ein diesbezüglicher Hinweis finden lasse, was aber nicht der Fall ist.

4. Unabhängig davon wäre das Vorbringen der Berufungsführerin – auch wenn man ihm Glauben schenken würde – nicht geeignet, ihr Verschulden an der Versäumung der Einspruchsfrist entfallen zu lassen. Denn ihrem Geschäftsführer fällt, unterstellt man – was aus den oben aufgezeigten Gründen abzulehnen ist – ihr Vorbringen als wahr, insoweit zumindest eine Nachlässigkeit zur Last, die sie sich zurechnen lassen muss.

Dass der Briefkasten jedenfalls bis Mitte Dezember 2022 als Empfangsvorrichtung zumindest für private Post ihres Geschäftsführers genutzt worden war, steht außer Frage. Sollte dieser Mitte Dezember 2022 Bemühungen unternommen haben, die Einwurf-Klappe des Briefkastens mit Silikon zu verkleben, wäre er in Anbetracht dessen, dass das Namensschild nicht entfernt wurde – damit wurde Außenstehenden gegenüber zumindest der visuelle Anschein erzeugt, dass dieser, wie zuvor, weiterhin als Empfangsvorrichtung dienen sollte – gehalten gewesen, die Haltbarkeit und den Erfolg seiner diesbezüglichen Anstrengungen regelmäßig zu überprüfen, was die Beklagte aber selbst nicht einmal behauptet. Abgesehen davon, dass allein schon witterungsbedingte Einflüsse zu einer erheblichen Lockerung der behaupteten – von einem Fachmann nicht überprüften – Festigkeit der (ursprünglichen) Klebeverbindung beigetragen haben können, ist nicht auszuschließen, dass ein Zusteller unter Aufbietung einer gewissen Kraftentfaltung die Klappe öffnete, weil er eine bloße Schwergängigkeit derselben vermutete und für ihn – insbesondere wegen des angebrachten Namensschildes und in Ermangelung sonstiger Hinweise – auch nicht die unter diesen Umständen fernliegende Intention des Wohnungsinhabers erkennbar war, dass der Briefkasten auf diese Weise außer Betrieb gesetzt werden sollte.“

Versäumte Frist II: Schwierige Fristberechnung …, oder: … die darf man nicht dem Personal überlassen

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Die zweite Entscheidung kommt dann vom VGH Baden-Württemberg. Der hat im VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.11.2024 – 9 S 1510/23 – zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in den Fällen einer schwierigen Fristberechnung Stellung genommen.

Die Klägerin hatte im zugrunde liegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragt, die Berufung gegen ein VG-Urteil zuzulassen. Der VGH hat den Antrag als unzulässig angesehen. Die Klägerin habe nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils des Verwaltungsgerichts die Gründe dargelegt, aus denen die Berufung zuzulassen ist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO):

„2. Der Klägerin ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 60 Abs. 1 VwGO setzt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden liegt vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.2023 – 8 B 26.23 -, juris Rn. 6). Die Versäumung der Frist für die Zulassungsbegründung ist im vorliegenden Fall nicht unverschuldet gewesen.

a) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Das Verschulden von „Hilfspersonen“ des bevollmächtigten Rechtsanwalts muss sich ein Beteiligter mangels einer Zurechnungsnorm dagegen regelmäßig nicht zurechnen lassen. Allerdings kann den Rechtsanwalt ein eigenes Verschulden treffen, wenn die Organisation seines Büros mangelhaft ist oder die „Hilfspersonen“ nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ausgewählt, überwacht oder angeleitet wurden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 31; Beschluss vom 09.11.2020 – 12 S 1982/20 -, juris Rn. 5; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 8).

Die Wahrung der prozessualen Fristen gehört zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts, denen er besondere Sorgfalt widmen muss. Allerdings darf er grundsätzlich die Berechnung und Notierung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten bereitet, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23.06.2011 – 1 B 7.11 – juris Rn. 5, und vom 06.07.2007 – 8 B 51.07 -, juris Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 32, und Beschluss vom 09.11.2020 – 12 S 1982/20 -, juris Rn. 8; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9).

Dies findet seine Grenze aber bei Fristen, deren Berechnung Schwierigkeiten oder Besonderheiten aufweist. Das gilt etwa für die Frist zur Begründung eines Zulassungsantrags im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. So läuft nach § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO eine zweimonatige Begründungsfrist, wenn die Berufung bereits in dem erstinstanzlichen Urteil zugelassen worden ist. Bei einer Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht beträgt die Frist zur Begründung der Berufung nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO hingegen einen Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses, der einen Antrag voraussetzt, dessen Stellung und Begründung wiederum gesonderten Fristen unterliegen (§ 124a Abs. 4 Satz 1 bzw. 4 VwGO). Die Berechnung und Überwachung dieser Fristen bedürfen besonderer Sorgfalt und dürfen daher von einem Rechtsanwalt grundsätzlich nicht vollständig seinem Büropersonal überlassen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9, VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 02.08.2006 – 4 S 2288/05 -, juris Rn. 5, und vom 07.08.2003 – 11 S 1201/03 -, juris Rn. 7; OVG SH, Beschluss vom 03.07.2024 – 5 LB 2/24 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2023 – 1 A 1840/23 -, juris Rn. 7; OVG Hbg., Beschluss vom 26.10.2022 – 6 Bf 137/22 -, juris Rn. 20; Nds. OVG, Beschluss vom 04.11.2008 – 4 LC 234/07 -, juris Rn. 6; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 28.01.2004 – 10 A 11759/03 -, juris Rn. 18; parallel zur Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG, mittlerweile AsylG: Senatsbeschluss vom 12.06.2007 – A 9 S 315/07 -, juris Rn. 5; vgl. auch Bier/Steinbeiß-Winkelmann in: Schoch/Schneider, 45. EL Januar 2024, VwGO § 60 Rn. 45). Ein Rechtsanwalt muss durch eine entsprechende Kanzleiorganisation gewährleisten, dass die Überwachung solcher Fristen, die nicht als Routineangelegenheiten behandelt werden dürfen, letztlich eigenverantwortlich ihm obliegt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2023 – 1 A 1840/23 -, juris Rn. 7 m. w. N.).

Nur wenn sich die Abwicklung solcher Verfahren nach den konkreten Verhältnissen in der Rechtsanwaltskanzlei als Routineangelegenheit darstellt, sind geringere Anforderungen zu stellen, allerdings nur in dem Sinne, dass der Rechtsanwalt die Frist nicht selbst berechnen muss, sondern sich auf eine Überprüfung beschränken kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 3 C 21.11 -, juris Rn. 23; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 05.03.1982 – 8 C 159.81 -, juris Rn. 3: „dem Büro geläufige Fristberechnung“; ebenso VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 33; OVG NRW, Beschluss vom 24.06.2011 – 1 A 1756/09 -, juris Rn. 56).

Die eine Wiedereinsetzung beantragenden Beteiligten müssen die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Erforderlich ist eine rechtzeitige, substantiierte und schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.02.2021 – 2 C 11.19 -, juris Rn. 7). Die „Beweislast“ für die Umstände, die dafür sprechen, dass die Fristversäumnis unverschuldet war, liegt bei den Betroffenen, die die Wiedereinsetzung begehren. Gelingt die Glaubhaftmachung nicht oder bleibt nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten oder dem Prozessbevollmächtigten verschuldet war, so kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.09.2023 – 1 C 10.23 -, juris Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.2023 – 1 S 1173/23 -, juris Rn. 19).

b) Nach diesen Maßstäben macht die Klägerin keine Tatsachen glaubhaft, aus denen sich schlüssig ergibt, dass sie ohne Verschulden verhindert war, die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO einzuhalten.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verschulden sie sich zurechnen lassen muss, erklärt mit Schriftsatz vom 03.11.2023 sinngemäß, er habe sich zwischen dem 21.08.2023 und dem 29.08.2023 im Urlaub befunden. Sein Praktikant M. R., seit Juli 2023 Diplomjurist und außerdem Referendar, habe am 21.08.2023 als Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung irrigerweise den 21.11.2023 eingetragen. Ihm, dem Prozessbevollmächtigten, sei der Fehler am 02.11.2023 zufällig aufgefallen. Die Führung des Fristenkalenders sowie die ordnungsgemäße Fristberechnung würden regelmäßig kontrolliert, dabei sei aber die Falschberechnung übersehen worden. Das Eintragen von Fristen sei eine „einfache technische Verrichtung“, die er seinem Praktikanten, der seit Beginn des Studiums in den Semesterferien in seiner Kanzlei mithelfe, überlassen dürfe. Habe er eine Weisung erteilt, könne er sich darauf verlassen, dass diese befolgt werde. Bei dem Praktikanten handele es sich um eine sorgsam ausgewählte Person, die ihre Zuverlässigkeit dadurch unter Beweis gestellt habe, dass sie seit mehreren Jahren „immer und wieder“ mitarbeite und mit „der Fristenproblematik vertraut“ sei. Ein Organisationsverschulden scheide aus, weil die Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten klar abgestimmt worden seien. Dass sein Praktikant der allgemeinen Dienstanweisung hinsichtlich der korrekten Berechnung und Eintragung nicht entsprochen habe, sei ein einmaliges Versehen. Das Vorgetragene versichern der Bevollmächtigte der Klägerin wie auch sein Praktikant an Eides statt.

Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Bevollmächtigten der Klägerin und der eidesstattlichen Versicherungen ist davon auszugehen, dass der Bevollmächtigte der Klägerin gegen die Pflicht zur eigenverantwortlichen Berechnung, Eintragung und Kontrolle der Berufungsbegründungsfrist verstoßen hat. Er legt nicht dar, dass sich die Abwicklung von Berufungszulassungsverfahren vor Oberverwaltungsgerichten in seiner Kanzlei als Routineangelegenheit darstellte bzw. es sich bei der Berechnung der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO wegen der Häufigkeit der zu bearbeitenden Berufungszulassungsverfahren um eine in der Rechtsanwaltskanzlei geläufige Fristberechnung handelte und er daher berechtigt gewesen wäre, sich auf eine (ggf. stichprobenartige) Überprüfung der Tätigkeit seines Praktikanten zurückzuziehen. Eine entsprechende schwerpunktmäßige Ausrichtung der Kanzlei ist auch sonst nicht erkennbar. Denn dem Briefkopf zufolge ist der Bevollmächtigte der Klägerin Fachanwalt für Steuerrecht mit den weiteren Schwerpunkten Bau- und Architektenrecht sowie Wirtschaftsrecht. Abgesehen davon legt er nicht dar, dass die Berechnung der Fristen nach § 124a VwGO oder auch nur der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zur Routine seines Praktikanten gehörte. Das Vorbringen, sein Praktikant, der seit Juli 2023 Diplomjurist sei und seit Beginn dessen Studiums in den Semesterferien bzw. „immer und wieder“ in seiner Kanzlei mithelfe, sei sorgsam ausgewählt, mit „der Fristenproblematik vertraut“ und arbeite seit Jahren unbeanstandet, genügt hierfür ersichtlich nicht. Zwar kann sich ein Rechtsanwalt bei juristisch ausgebildeten Hilfskräften in der Regel noch mehr als beim Laienpersonal darauf verlassen, dass diese um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen wissen und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten umsichtig und gewissenhaft ausführen, so dass die Anforderungen an die Überwachungspflichten geringer sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2005 – VI ZB 13/05 -, juris Rn. 6). Gleichwohl ist ein Wissen um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen nicht gleichzusetzen mit einer Routine in der Berechnung der Fristen des § 124a VwGO. Die vom Praktikanten angeblich irrigerweise angenommene Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung von drei Monaten dürfte eher gegen dessen Routine beim Berechnen entsprechender Fristen sprechen. Vor dem Hintergrund des Ausgeführten wäre es die Obliegenheit des Bevollmächtigten gewesen, die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO selbst zu berechnen bzw. rechtzeitig die Fristberechnung zu kontrollieren. Die pauschale Behauptung, er kontrolliere die ordnungsgemäße Führung des Fristenkalenders sowie die ordnungsgemäße Fristenberechnung regelmäßig, habe aber die Falschberechnung übersehen, vermag ihn nicht zu exkulpieren.“