Der zweite Beschluss, der OLG Hamm, Beschl. v. 03.12.2024 – 3 Ws 417/24 -, befasst sich mit der Zulässigkeit einer Haftbeschwerde.
Das AG hat am 22.02.2024 gegen den Beschuldigten Haftbefehl erlassen, den es am 23.04.2024 neu gefasst hat. Auf Grundlage dieses geänderten Haftbefehls wurde gegen den Beschuldigten am 15.05.2024 ein Europäischer Haftbefehl erlassen. Mit Beschluss vom 30.09.2024 hat das AG den vom Verteidiger des Beschuldigten gestellten auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschuldigten hat das LG Bielefeld mit Beschluss vom 15.10.2024 als unbegründet verworfen. Mit Schriftsatz vom 29.10. hat der Beschuldigte über seinen Verteidiger weitere Beschwerde eingelegt.
Dem Beschuldigten wurde unterdessen – nachdem er auf Grundlage des Europäischen Haftbefehls aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland überstellt worden war – am 10. 10.2024 vor dem AG Kleve der Haftbefehl verkündet und dieser zugleich aufrechterhalten und in Vollzug gesetzt. In diesem Termin beantragte der Beschuldigte, dem zuständigen Gericht vorgeführt zu werden. Nachdem der Beschuldigte – seinem Antrag entsprechend – dem für ihn zuständigen Ermittlungsrichter zugeführt worden war, ist der Haftbefehl dort im Anschluss an den Vorführtermin vom 11.11.2024 aufrechterhalten und in Vollzug belassen worden.
Das OLG hat die weitere Beschwerde des Beschuldigten als unzulässig angesehen:
„Die nach § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO grundsätzlich statthafte weitere Beschwerde gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 15. Oktober 2024, mit welchem die Beschwerde vom 07. Oktober 2024 gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 23. April 2024 in Verbindung mit dem Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 30. September 2024 – betreffend die Zurückweisung des Antrages auf Außervollzugsetzung – als unbegründet verworfen wurde, ist bereits unzulässig.
1. Der Zulässigkeit der weiteren Beschwerde steht im vorliegenden Fall § 117 Abs. 2 S. 1 StPO entgegen. Nach dieser Vorschrift ist neben einem Antrag auf Haftprüfung die Beschwerde unzulässig (sog. „Vorrang der Haftprüfung gegenüber der Haftbeschwerde“). Diese Vorrangregelung führt auch im vorliegenden Fall zur Unzulässigkeit der weiteren Haftbeschwerde.
a) Der Beschuldigte hat im Rahmen seiner Vorführung am 10. Oktober 2024 beim Amtsgerichts Kleve gemäß § 115a Abs. 3 S. 1 StPO seine Vorführung vor das zuständige Gericht zur Vernehmung nach § 115 StPO beantragt. Der Sache nach handelt es sich um einen Antrag auf Haftprüfung im Sinne des § 117 Abs. 1 StPO (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 13. Februar 2002 – 2 Ws 38/02; OLG Stuttgart, Beschluss vom 03. August 1989 – 3 Ws 178/89, beck-online). Denn wie bei einer Haftprüfung führt auch der Antrag nach § 115a Abs. 3 S. 1 StPO zu einer gerichtlichen Prüfung des gemäß § 126 StPO zuständigen Gerichts aufgrund mündlicher Verhandlung, ob der Haftbefehl aufzuheben oder dessen Vollzug auszusetzen ist. Der Gang der Entscheidungsfindung und der Entscheidungsgegenstand stimmen mit einer Haftprüfung im Sinne der §§ 117 ff. StPO überein. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, die Haftprüfung nach den §§ 117 ff. StPO sowie die Vorführung nach den §§ 115a, 115 StPO – insbesondere im Hinblick auf die gesetzliche Vorrangregelung – unterschiedlich zu beurteilen. Denn der gesetzliche Grundgedanke, dass zunächst das sachnähere Haftgericht oder das bereits mit der Hauptsache befasste Tatgericht über die Haftfortdauer entscheiden soll (vgl. MüKoStPO/Böhm, 2. Auflage 2023, StPO § 117 Rn. 46), bevor das entferntere Beschwerdegericht – in der Regel gemäß § 118 Abs. 2 StPO nach Aktenlage – zu entscheiden hat, gilt in beiden Fällen gleichermaßen.
b) Die Stellung des Antrages auf Vorführung vor das zuständige Gericht am 10. Oktober 2024 hat damit zugleich die Unzulässigkeit der am 07. Oktober 2024 eingelegten Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 23. April 2024 nach sich gezogen und führt auch zur Unzulässigkeit der gegen den Verwerfungsbeschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 15. Oktober 2024 gerichteten weiteren Beschwerde vom 29. Oktober 2024, mit denen letztlich dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung (§ 120 Abs. 1 StPO) oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) verfolgt wurde, wie mit der am 10. Oktober 2024 vom Beschuldigten beantragten Haftprüfung. Dabei ist es letztlich unerheblich, ob die (weitere) Beschwerde vor, nach oder gleichzeitig mit dem Haftprüfungsantrag eingelegt worden ist. Insbesondere lebt die eingelegte Beschwerde nach Abschluss des Haftprüfungsverfahrens oder nach etwaiger Rücknahme des darauf gerichteten Antrages nicht wieder auf, sondern bleibt unzulässig (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18. Mai 2017 – 4 Ws 85/17; BeckOK StPO/Krauß, 53. Ed. 1.7.2024, StPO § 117 Rn. 13; Lind in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage 2019, § 117 StPO, Rn. 29 ff.). Denn die durch Anbringung des Haftprüfungsantrags einmal bewirkte Unzulässigkeit kann hierdurch nicht wieder beseitigt werden (vgl. Faßbender/Posthoff in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 117 StPO, Rn. 20). Der Beschwerdeführer erleidet hierdurch keinen wesentlichen Nachteil, da er gegen die Entscheidung nach erfolgter Haftprüfung erneut Beschwerde einlegen kann.
2. Die weitere Beschwerde ist darüber hinaus mittlerweile infolge der Entscheidung des Amtsgerichts Bielefeld vom 11. November 2024, mit dem der Haftbefehl aufrechterhalten und in Vollzug belassen worden ist, prozessual überholt und damit unzulässig.
a) Es entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung, dass bei mehreren aufeinander folgenden, denselben Gegenstand betreffenden Haftentscheidungen grundsätzlich nur jeweils die letzte Haftentscheidung angefochten werden kann (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 23. November 2020 – 1 Ws 475/20; OLG Hamm, Beschluss vom 29. Juni 2010 – 2 Ws 149/10, beck-online; BeckOK StPO/Krauß, 53. Ed. 1.7.2024, StPO § 117 Rn. 5; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Auflage 2024, § 117 StPO, Rn. 8 m.w.N.). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine frühere Haftentscheidung durch eine ihr zeitlich nachfolgende prozessual überholt sein kann und es einem vernünftigen Verfahrensablauf widerspricht, wenn der Angeklagte beliebig auf frühere, denselben Sachvorgang betreffende Haftentscheidungen zurückgreifen könnte, deren Begründung eventuell bereits überholt ist, und es hierdurch im Ergebnis zu einander widersprechenden Entscheidungen verschiedener mit der Sache befasster Gerichte kommen kann (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29. Juni 2010, 2 Ws 149/10; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2008 – 4 Ws 136/08; OLG Hamburg, Beschluss vom 22. Februar 1994, 1 Ws 40/94 – juris).
Etwas anderes gilt nur dann, wenn dies lediglich zu einer sachlich nicht gebotenen kurzfristigen Haftentscheidung desselben Spruchkörpers führen und die erstrebte Anrufung des Beschwerdegerichts dadurch ohne sachlich zwingende Gründe verzögert würde, weil derselbe Spruchkörper erst kurz zuvor eine ausreichend begründete Haftentscheidung (als Beschwerdegericht) getroffen hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 06. Juni 2013 – 5 Ws 202/13; OLG Hamm, Beschluss vom 29. Juni 2010, 2 Ws 149/10; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2008, 4 Ws 136/08 – beck-online).
Ein derartiger Ausnahmefall, der ein Abweichen von dem oben bezeichneten Grundsatz rechtfertigen könnte, ist vorliegend indessen nicht gegeben. Es liegt bereits keine Identität des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers vor, jedenfalls soweit es die personelle Identität des zuständigen Ermittlungsrichters beim Amtsgericht Bielefeld anbetrifft. Darüber hinaus hat der Ermittlungsrichter vorliegend – ausweislich des Protokolls des Vorführtermins vom 11. November 2024 – unter Berücksichtigung ergänzender Ausführungen des Beschuldigten und seines Verteidigers, insbesondere zur Frage des Vorliegens eines Haftgrundes, entschieden. Die Einhaltung des gesetzlich vorgesehenen Instanzenzuges kann aufgrund dessen auch vor dem Hintergrund des in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatzes nicht als bloßer Formalismus angesehen werden.
b) Es besteht auch kein besonderes Interesse an der Feststellung einer (etwaigen) Rechtswidrigkeit der (prozessual überholten) Haftfortdauerentscheidung. Ein solches käme nur dann in Betracht, wenn die Untersuchungshaft beendet wäre und der Beschuldigte ohne Zuerkennung des besonderen Fortsetzungsfeststellungsinteresses mangels Beschwer eine gerichtliche Überprüfung der freiheitsentziehenden Maßnahme nicht mehr erreichen könnte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 02. Februar 2017, 4 Ws 422/16; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Dezember 2015, 2 Ws 664/15, OLG Koblenz, Beschluss vom 06. November 2006, 1 Ws 675/06, juris). Dies ist indes vorliegend nicht der Fall. Denn die Untersuchungshaft wird weiterhin auf Grundlage der zuletzt ergangenen Entscheidung des Amtsgerichts Bielefeld vom 11. November 2024 vollzogen.“