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VR I: Verurteilung wegen verbotenen Rennens, oder: Der BGH hebt zum zweiten Mal auf, auf in die 3. Runde

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Heute ist dann ein Verkehrsrechtstag, den ich mit einer Entscheidung des BGH eröffne.

Im BGH, Beschl. v. 27.03.2024 – 4 StR 493/23 – geht es mal wieder um ein Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB). „Mal wieder“ passt auch noch aus einem anderen Grund. Denn die Sache war schon einmal beim BGH. Der hatte das erste LG-Urteil mit Urteil v. v. 18.08.2022 (4 StR 377/21)  aufgehoben. Im zweiten Rechtsgang hat das LG den Angeklagten dann erneut verurteilt. Dagegen dann erneut die Revision des Angeklagten, die wieder Erfolg hatte. Ich stelle hier dann auch mal die doch recht umfangreichen Feststellungen des LG mit ein. Der BGH führt aus:

„1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen als bindend angesehen: Am 20. Oktober 2019 befuhr der 22-jährige Angeklagte mit seinem BMW M4 kurz nach 23:00 Uhr die Bundesautobahn 9 bei Ingolstadt. Sein Fahrzeug verfügte – auch aufgrund von mittels einer für den Off-road-Betrieb bestimmten Tuning-App vorgenommenen technischen Veränderungen – über 575 PS, 850 Nm Drehmoment und eine theoretische Höchstgeschwindigkeit von 330 km/h. Wegen der durch die Veränderungen und weitere Umbauten bedingten Verschlechterung der Geräusch- und Abgasemissionen war die Betriebserlaubnis des BMW erloschen. Der von dem Angeklagten befahrene geradlinig und eben verlaufende Streckenabschnitt der A 9 verfügt über drei nicht beleuchtete Spuren mit separatem Standstreifen. Aus Lärmschutzgründen ist die Geschwindigkeit ab 1.400 m vor der tatgegenständlichen Unfallstelle in der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr auf 120 km/h beschränkt, ab 750 m vor dieser auf 100 km/h. Das Verkehrsaufkommen war moderat, die Sicht war gut und die Fahrbahn trocken. Es befanden sich von Zeit zu Zeit Fahrzeuge auf allen drei Spuren. Auch die linke Spur wurde regelmäßig für Überholvorgänge genutzt.

Bereits innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h überholte der links fahrende Angeklagte einen mit ca. 100 km/h auf der mittleren Fahrspur befindlichen Pkw, wechselte vor diesem zunächst auf die mittlere Spur, dann auf die rechte Spur und ließ sich anschließend hinter den Pkw zurückfallen, so dass der Pkw wieder an ihm vorbeifuhr. Anschließend wechselte er über die mittlere Spur auf die linke Spur, setzte zu einer massiven Beschleunigung an und passierte den weiterhin auf der mittleren Fahrspur fahrenden Pkw erneut mit hoher, nicht mehr näher feststellbarer Geschwindigkeit. Das gesamte Fahrmanöver nahm er in der Absicht vor, eine möglichst schnelle Beschleunigung und die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und die Leistungssteigerung seines Fahrzeugs „auszuleben“. Dabei ignorierte er die ihm bekannten Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 120 km/h und 100 km/h, weil er „seinen Geschwindigkeitsrausch ausleben wollte“. Wenige Sekunden später schloss er zu einem vor ihm auf der linken Fahrspur fahrenden Pkw auf und ging leicht vom Gas. Nachdem der Fahrer dieses Pkw, der den mit hoher Geschwindigkeit sich nähernden BMW bemerkt hatte, auf die mittlere Spur gewechselt war, gab der Angeklagte wieder stark Gas, überholte den Pkw mit weit überhöhter Geschwindigkeit und beschleunigte weiter auf mindestens 233 km/h.

Noch im Sichtbereich des Fahrers des zuvor überholten Pkw nahm der Angeklagte erst im letzten Augenblick den mit eingeschaltetem Abblendlicht vor ihm mittig auf der linken Spur fahrenden Audi A4 des Geschädigten wahr. Obwohl er noch eine Vollbremsung einleitete und weitest möglich nach links auswich, fuhr er mit 207 km/h auf das Heck des Audi auf. Der Geschädigte, der angeschnallt mit ca. 120 km/h auf der mittleren Spur gefahren war, hatte etwa 4,2 Sekunden vor der Kollision seinen linken Blinker gesetzt und war sodann auf die linke Spur gewechselt, um ein vor ihm mit ca. 100 km/h fahrendes Wohnwagengespann, das seinerseits einen mit etwa 85 km/h auf der rechten Fahrspur fahrenden Lkw passierte, zu überholen. Als der Geschädigte den Blinker setzte, war der Angeklagte noch 125 m entfernt. Der Geschädigte hätte zu diesem Zeitpunkt die Lichter des BMW im Rück- und Seitenspiegel erkennen und den Spurwechsel unterlassen können. Eine zutreffende Einschätzung der Position des BMW und dessen hoher Geschwindigkeit war dem Geschädigten allerdings nur eingeschränkt und nur mit hoher Fehlertoleranz möglich. Der Unfall wäre vermeidbar gewesen, wenn der Angeklagte höchstens 197 km/h gefahren wäre.

Durch den Zusammenprall schleuderte der Audi A4 über die mittlere und rechte Spur ins Bankett und überschlug sich. Der Geschädigte erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und verstarb an der Unfallstelle. Der BMW des Angeklagten geriet ebenfalls ins Schleudern, kollidierte mit dem auf der mittleren Spur fahrenden Wohnwagengespann und überschlug sich. Aufgrund der Sicherheitsausstattung seines Fahrzeugs erlitt der Angeklagte nur leichte Verletzungen. An beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden. An weiteren Fahrzeugen wurden hohe Sachschäden verursacht.

2. Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht zusätzlich festgestellt: Der Angeklagte hielt den Eintritt einer kritischen Verkehrssituation durch einen Spurwechsel anderer Verkehrsteilnehmer direkt vor ihn auf seine Fahrspur für möglich und fand sich hiermit ab. Er ging dabei jedoch ernsthaft davon aus, sein Fahrzeug auch bei hohen Geschwindigkeiten sicher beherrschen und so einen Unfall ggf. im letzten Moment verhindern zu können. Er vertraute hierdurch auf das Ausbleiben einer Kollision und eines damit einhergehenden tödlichen Erfolges.

II.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 5 StGB weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinen Lasten auf. Denn die von dem hier maßgeblichen Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB geforderte Rennabsicht des Angeklagten ist nicht festgestellt.

1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft keine Feststellungen zu der für den hier einschlägigen Grundtatbestand des sog. Alleinrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Absicht des Angeklagten getroffen, mit seinem Fahrzeug eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen. Vielmehr hat es in seinem Urteil wiederholt ausgeführt, dass eine solche Absicht nach dem Urteil des Senats bereits bindend feststehe. Dies trifft nicht zu. Die Strafkammer hat die Reichweite der Aufhebung und damit auch den Umfang der Bindungswirkung von Feststellungen verkannt.

Der Senat hat das im ersten Rechtsgang angefochtene Urteil „mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite“ aufgehoben (vgl. § 353 StPO). Diese Formulierung erfasst sämtliche Feststellungen zur inneren Tatseite, ohne dass der Senat Teile hiervon ausgenommen hätte. Aus dem Umstand, dass er in den Entscheidungsgründen die im Ersturteil festgestellte Absicht des Angeklagten, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, als rechtsfehlerfrei festgestellt bezeichnet hat, lässt sich diesbezüglich nichts Gegenteiliges ableiten. Diese Ausführungen waren ohnehin lediglich der gebotenen Prüfungsreihenfolge bei der hier auf dem Grundtatbestand nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB aufbauenden Qualifikation nach § 315d Abs. 2 und 5 StGB geschuldet. Im maßgeblichen Tenor der Senatsentscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07 Rn. 5; Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135, 137) haben sie hingegen keinen Niederschlag gefunden. Auch in deren Gründen findet sich im Rahmen der Ausführungen zum Aufhebungsumfang keine entsprechende Einschränkung, so dass sich schon deshalb die Frage einer Auslegung des Tenors im Sinne des landgerichtlichen Verständnisses nicht stellt.

2. Das Fehlen von Feststellungen zur Tat, hier zur subjektiven Tatseite des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der auf die allgemeine Sachrüge zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07 Rn. 8 mwN). Da sich die Strafkammer für die Rennabsicht des Angeklagten an die Feststellungen des ersten Rechtsgangs gebunden sah, sind entsprechende Feststellungen auch der Gesamtheit der Urteilsgründe nicht zu entnehmen. Zudem beruht das Urteil auf dem Rechtsfehler (§ 337 StPO). Der Schuldspruch unterliegt daher – zugleich wegen des tateinheitlich verwirklichten Delikts (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2023 – 2 StR 308/22 Rn. 20) – der Aufhebung. Dasselbe gilt für die Folgeentscheidungen. Der Senat hebt auch die Entscheidung zur Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auf; das neue Tatgericht wird insoweit ohnehin den gesamten (auch weiteren) Verfahrensablauf zu berücksichtigen haben.

Die vom Landgericht im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen zum Gefährdungsvorsatz des Angeklagten (bei zugleich fehlendem Tötungsvorsatz) sind von dem Rechtsfehler ebenfalls betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO). Denn das Landgericht hat den ansonsten rechtsfehlerfrei bejahten Gefährdungsvorsatz des Angeklagten auch damit begründet, dass er ein „Alleinrennen“ gefahren habe. Diese Erwägung des Landgerichts knüpft an die zu Unrecht als bindend angesehene Rennabsicht des Angeklagten an. Der Senat hebt vor diesem Hintergrund alle im zweiten Rechtsgang neu getroffenen Feststellungen ebenfalls auf.

III…..

IV.

Das im dritten Rechtsgang erkennende Tatgericht wird aufgrund eigener Beweiserwägungen Feststellungen zur subjektiven Tatseite aller in Betracht kommenden Delikte (Grund- und Qualifikationstatbestände) zu treffen haben. Dies betrifft namentlich die Rennabsicht und den Gefährdungsvorsatz des Angeklagten, die weiteren subjektiven Voraussetzungen von § 315d Abs. 1 Nr. 3, § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) StGB (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315c Rn. 18) und den Tötungsvorsatz.

Auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, sollte sich das neue Tatgericht von seinem Tötungsvorsatz überzeugen können, verböte sich nicht. Einer derartigen Verschärfung des Schuldspruchs stünden weder das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) noch die Bindung des neuen Tatgerichts an die Aufhebungsansicht des Senats (§ 358 Abs. 1 StPO) entgegen, die sich hierüber nicht verhält. Das neu zuständige Schwurgericht wird jedoch das Verschlechterungsverbot hinsichtlich der gegen den Angeklagten zu verhängenden Rechtsfolgen zu beachten haben, denn die Urteilsaufhebung ist nunmehr allein zu seinen Gunsten erfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1991 – 2 StR 288/91, BGHSt 38, 66, 67; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 358 Rn. 18 mwN).

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass mangels damaliger Aufhebung auch die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten aus dem ersten Rechtsgang bindend sind. Sie können widerspruchsfrei ergänzt werden.“

Dann darf als die nächste Strafkammer ihr Glück versuchen. Vielleicht klappt es ja.

Welche Auslagenerstattung nach Zurückverweisung?, oder: Auslegung von „Die Kosten des Termins….“

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Wird ein Urteil im Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahren aufgehoben, stellt sich ggf. nach der abschließenden Entscheidung im neuen Erkenntnisverfahren die Frage, welche Gebühren die Staatskasse ggf. als notwendige Auslagen des Beschuldigten/Betroffenen tragen muss. Das LG Magdeburg befasst sich in LG Magdeburg, Beschl. v. 14.2.2024 – 26 Qs 6/24 mit einer amtsgerichtlichen Kostenentscheidung in einem Verfahren, in dem zunächst ein Verwerfungsurteil ergangen war. Zudem nimmt es zur Verfahrensgebühr Stellung.

Das AG hatte im Hauptverhandlungstermin am 15.08.2022 den Einspruch des Betroffenen gegen einen gegen ihn wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassenen Bußgeldbescheid verworfen, weil der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung ohne Entschuldigung ferngeblieben sei  (§§ 73, 74 Abs. 2 OWiG). Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das OLG das AG-Urteil mit Beschluss vom 06.03.2023 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des AG zurückverwiesen. Das AG hat den Betroffenen dann mit Urteil vom 04.09.2023 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße verurteilt. Die Kostenentscheidung lautete wie folgt: „„Die Kosten des Termins vom 15.08.2022 und des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die insoweit notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last. Im Übrigen trägt der Betroffene die Kosten des Verfahrens.”

Der Verteidiger des Betroffenen hat die Festsetzung der von der Staatskasse zu erstattenden Auslagen des Betroffenen beantragt. Dabei hat er für den Hauptverhandlungstermin vom 15.08.2022 eine Verfahrensgebühr Nr 5109 VV RVG und eine Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG nebst Abwesenheitsgeldern und Postpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie die Verfahrensgebühr Nr. 5113 VV nebst einer weiteren Pauschale Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht.

Die Bezirksrevisorin beim LG hat Einwendungen gegen die Geltendmachung der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5109 VV RVG sowie der Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG für das erstinstanzliche Verfahren erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Staatskasse neben den notwendigen Auslagen des Betroffenen für das Rechtsbeschwerdeverfahren nur noch die notwendigen Auslagen für den Termin am 15.08.2022 auferlegt worden seien. Die Verfahrensgebühr und auch die Pauschale seien jedoch nicht für den Termin selbst, sondern für das „übrige” Verfahren entstanden. Diese Auslagen seien nicht ausscheidbar und daher nicht zu erstatten.

Das AG hat das anders gesehen und ist dem Kostenfestsetzungsantrag des Betroffenen gefolgt. Die Festsetzung der Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG und der Postpauschale Nr. 7002 VV RVG hat es damit begründet, dass das Verfahren vom OLG an das AG zurückverwiesen worden sei. Damit sei § 21 Abs.1 RVG einschlägig.

Dagegen hat die Bezirksrevisorin sofortige Beschwerde eingelegt, der das AG nicht abgeholfen und die Sache dem LG zur Entscheidung vorgelegt hat. Dort hatte die sofortige Beschwerde Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde der Landeskasse hat auch in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Unrecht die Festsetzung der dem Betroffenen aufgrund der Kostengrundentscheidung des Urteils des Amtsgerichts Wernigerode vom 04.09.2023 zu erstattenden notwendigen Auslagen auch auf die beantragte Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG sowie die Postpauschale, jeweils nebst 19 % Umsatzsteuer, erstreckt. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen der Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 18.10.2023 sowie in ihrer Beschwerdebegründung vom 04.12.2023, denen sich die Kammer nach kritischer Prüfung vollinhaltlich anschließt, Bezug genommen. Die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG entsteht unabhängig von der Durchführung eines Hauptverhandlungstermins und kann daher nicht – wie die Verteidigung meint – untrennbar mit einem solchen verbunden sein. Ebenso wenig ergibt sich vorliegend aus der Regelung des § 21 Abs. 1 RVG eine Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr Nr. 5109 und der Postpauschale im Wege der Festsetzung der dem Betroffenen zu erstattenden notwendigen Auslagen. Es mag nach dieser Vorschrift eine weitere Verfahrensgebühr angefallen sein, allerdings ist diese nach der Kostengrundentscheidung des Urteils vom 04.09.2023 nicht von der Landeskasse, sondern vom Betroffenen zu tragen.“

Die Entscheidung ist zutreffend. M.E. kommt es bei der Bewertung der Entscheidung zunächst auf die vom LG angesprochenen Fragen des Entstehens der Verfahrensgebühr und der Terminsgebühr sowie die der Frage der Zurückverweisung (§ 21 Abs. 1 RVG) an. Insoweit stellt das LG zutreffend dar, dass die Terminsgebühr nach Vorbem. 5. Abs. 3 VV RVG und auch Vorbem. 4 Abs. 3 VV RVG für die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem Termin entsteht. Es handelt sich um eine der in den Vorbem. 5 Abs. 2 VV RVG bzw. Nr. 4 Abs. 2 VV RVG erwähnten besonderen Gebühren. Die durch sie abgegoltene Teilnahme wird nicht von einer Verfahrensgebühr (für das gerichtliche Verfahren) erfasst. Die erfasst nur das (allgemeine) Betreiben des Geschäfts (zum Abgeltungsbereich der Gebühren Burhoff AGS 2022, 1 und 97). Und man muss auch nicht darüber streiten, dass durch die Zurückverweisung der Sache gem. § 21 Abs. 1 RVG alle Gebühren – mit Ausnahme der Grundgebühr – noch einmal entstehen, da es sich nach Zurückverweisung um eine neue Angelegenheit i.S. von § 15 RVG handelt (vgl. dazu Burhoff AGS 2023, 102; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Teil A Rn 2690 ff.). Damit hat das LG Recht, wenn es – unter Bezugnahme auf die Bezirksrevisorin ausführt -, dass durch den Termin vom 15.8.2022 eine Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG nicht mehr entstehen konnte. Denn die war bereits durch die sonstigen Tätigkeiten des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren – unabhängig von der Hauptverhandlung entstanden. Es handelt sich nicht (mehr) um „die Kosten des Termins ….“.

Pflichti II: AG kickt den Verteidiger „vorschnell“ raus, oder: Und was ist mit dem Vertrauensschutz?

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Und als zweite Entscheidung dann eine Entscheidung des LG Halle. Gestritten worden ist um die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung durch das AG Merseburg. Das hatte im dem von der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten ursprünglich wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Halle eingeleiteten Ermittlungsverfahren am 25.02.2022 den Kollegen Siebers aus Braunschweig, der mir die Entscheidung geschickt hat, gem. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO bei geordnet, weil dem Angeklagten ein Verbrechen zur Last gelegt wurde.

Mit Verfügung vom 27.03.2023 stellte die Halle das Verfahren dann gem. § 170 Abs. 2 StPO ein, soweit ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Betracht kam. Gleichzeitig beantragte sie beim AG Merseburg den Erlass eines Strafbefehls bezüglich des Besitzes von 1,07 Gramm Marihuana gem. §§ 1, 3 Abs. 1, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 33 BtMG.

Das AG Merseburg erließ den Strafbefehl am 05.04.2023. Hiergegen legte der Angeklagte rechtzeitig Einspruch ein. Nach erfolgter Akteneinsicht meldete der Kollege sich beim AG, wobei er u. a. auf eine Verfahrenseinstellung gemäß § 153 StPO hinzuwirken versuchte sowie Kritik an der Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft, wegen der o. g. Tat einen Strafbefehl zu beantragen („steuergeldverschwendendes Verfahren“), übte.

Mit Beschluss vom 15.12.2023 hat das AG – ohne vorherige Anhörung der Verfahrensbeteiligten – die Beiordnung auf gehoben, weil kein Fall der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 1 StPO mehr gegeben sei. Gleichzeitig bestimmte das AG Hauütverhandlungstermin auf den 26.03.2024.

Der Kollege hat gegen den die Pflichtverteidigerbestellung aufhebendeb Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt, die Erfolg hatte. Das LG Halle mit dem LG Halle, Beschl. v. 15.02.2024 – 3 Qs 11/24 – die AG-Entscheidung aufgehoben:

„Gemäß § 143 Abs. 2 S. 1 StPO kann die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufgehoben werden, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung mehr vorliegt. Dies ist anzunehmen, wenn sich im Lauf des Verfahrens ergibt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen, die zur Annahme eines Falles der notwendigen Verteidigung im Sinne von § 140 Abs. 1 Nr. 1 bis 10, Abs. 2 StPO geführt haben, nicht mehr gegeben sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 66. Auflage, § 143 Rn 3).

Dies ist zwar vorliegend, nachdem die Staatsanwaltschaft der Verfahren hinsichtlich des Vorwurfs des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eingestellt hat, mittlerweile der Fall. Seit dem 27. März 2023 wird dem Angeklagten kein Verbrechen mehr vorgeworfen, sodass kein Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO mehr vorliegt.

Allerdings steht die Aufhebung der Bestellung im Ermessen des Gerichts („Kann-Bestimmung“). Dem liegt nach der Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, dass Aspekte des Vertrauensschutzes trotz Wegfalls der Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung die Fortdauer der Beiordnung rechtfertigen können (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 45; KG Berlin, Beschl. vom 15.5.2020 – 5 Ws 65/20, BeckRS 2020, 36749).

Den Gründen des angegriffenen Beschlusses ist indes nicht zu entnehmen, dass sich das Amtsgericht seines Ermessensspielraums bewusst gewesen ist. Dies folgt unter anderem aus der vom Gericht in den Gründen des Beschlusses verwendeten Formulierung, dass die Bestellung aufzuheben „ist“. Die Verwendung des Verbes „ist“ impliziert ohne nähere Begründung, dass die Aufhebung der Beiordnung als Automatismus in dem Fall, dass die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nicht mehr vorliegen, verstanden worden ist. Ein solcher Automatismus besteht hier aber gerade nicht.

Die fehlende Ermessensausübung des Amtsgerichts zwingt im vorliegenden Fall jedoch nicht zu einer Zurückverweisung der Sache, vielmehr kann die Kammer selbst in der Sache entscheiden. Eine Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht kommt nur in eng begrenzen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, a.a.O., § 309 Rn 7), welche die Kammer hier nicht annimmt. Grundsätzlich hat das Beschwerdegericht gemäß § 309 Abs. 2 StPO eine eigene Sachentscheidung zu treffen, wobei an die Stelle des Ermessens des Erstgerichts das Ermessen des Beschwerdegerichts tritt (vgl. Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage, § 309 Rn 28).

Dies führt zur Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Merseburg vom 15. Dezember 2023, da der Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 143 Abs. 2 S. 1 StPO ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten entgegen steht.

Seit der Teileinstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft – durch die die Voraussetzung des § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO weggefallen ist – bis zur Entscheidung des Amtsgerichts, die Pflichtverteidigerbestellung aufzuheben, sind knapp acht Monate vergangen, in denen weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft den Wegfall der Voraussetzung der notwendigen Verteidigung jemals problematisiert haben. Vielmehr hat der Verteidiger des Angeklagten in dieser Zeit weiterhin Tätigkeiten für ihn im dem Verfahren entfaltet, insbesondere versucht, auf eine Einstellung gem. § 153 StPO hinzuwirken. Staatsanwaltschaft und Gericht haben auf diese Tätigkeiten jeweils – beispielsweise mit der Veranlassung der Einholung eines Substanzgutachtens – reagiert, ohne zu erkennen zu geben, dass eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung in Betracht kommen könnte. Erst im unmittelbaren Zusammenhang mit der Terminierung der Hauptverhandlung für den 26. März 2024 hat das Amtsgericht – ohne die Verfahrensbeteiligten zuvor anzuhören – die Bestellung aufgehoben. Durch das der Aufhebung vorhergehende Verhalten hat das Amtsgericht jedoch ein schutzwürdiges Vertrauen des Angeklagten dahingehend geschaffen, dass die einmal getroffene Entscheidung der Beiordnung auch unter den nach der Teileinstellung geänderten Umständen aufrechterhalten bleiben soll. Aufgrund dessen war der Aufhebungsbeschluss des Amtsgerichts aufzuheben, sodass die Pflichtverteidigerbeiordnung fortdauert.“

Na ja: Erst das Verfahren einstellen und dann nach acht (!) Monaten sagen, dass die Beiordnungsgründen weggefallen sind und dann ohne Anhörung entpflichten, geht natürlich nicht. M.E. spricht viel dafür, dass das AG den möglicherweise „unbequemen“ Verteidiger „los werden wollte, da der ja schon mit „steuergeldverschwendendes Verfahren“ gegen den Strafbefehl gewettert hatte. Das versprach „Stimmung“ in der Hauptverhandlung, auf die das AG dann wohl keinen Bock hatte. Und schwupps, war der Verteidiger entpflichtet. Aber ebenso schwupps hat das LG Halle die Entscheidung aufgehoben, was m.E. richtig ist/war. Das AG draf sich dann jetzt auf die Hauptverhandlung freuen.

Pflichti II: Erteilung einer Vertretungsvollmacht, oder: Kein Aufhebungsgrund

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Im zweiten Pflichti-Posting dann der OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.05.2023 – Ws 468/23. Der äußert sich zur Aufhebung der Pflichtverteidigerbeiordnung, wenn der Angeklagte seinem Pflichtverteidiger gemäß § 329 Abs. 2 S. 1 StPO eine Vertretungsvollmacht erteilt.

Im entschiedenen Fall hatte das AG dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger bestellt. Der Angeklagte wird dann verurteilt. Er legt gegen dei Verurteilung Berufung ein.

Im Termin zur Berufungshauptverhandlung vor dem LG legt der Pflichtverteidiger eine Vertretungsvollmacht nach § 329 StPO vor. Das LG hebt daraufhin auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Pflichtverteidigerbestellung auf. Die Berufung des Angeklagten wurde verworfen. Der Angeklagte hat inzwischen Revision eingelegt.

Gegen die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung wird Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG Erfolg:

„1. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nach § 143a Abs. 1 StPO liegen nicht vor.

Nach § 143a Abs. 1 S. 1 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn der Beschuldigte einen anderen Verteidiger gewählt und dieser die Wahl angenommen hat. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, führt unabhängig davon, ob bei Personenidentität des Verteidigers überhaupt von einem „anderen Verteidiger“ im Sinne der Vorschrift gesprochen werden kann (so BeckOK StPO/Krawczyk, 47. Ed. 1.4.2023, StPO § 143a Rn. 1 unter Verweis auf SK-StPO/Wohlers Rn. 2 „Die Aufhebung der Bestellung muss auch dann erfolgen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger gewählt wird.“), die Vorlage einer Vertretungsvollmacht nach § 329 Abs. 2 S. 1 StPO nicht zur Annahme eines Wahlmandats. Davon, dass auch dem Pflichtverteidiger eine Vollmacht im Sinne des § 329 Abs. 2 S. 1 StPO erteilt sein kann (ohne dass dadurch die Pflichtverteidigerbestellung obsolet wird), gehen neben dem OLG Hamm in der von der Generalstaatsanwaltschaft zitierten Entscheidung (Beschluss vom 03.04.2014, 5 RVs 11/14) auch das OLG Köln (Beschluss vom 12.06.2018, 1 RVs 107/18) und der BGH aus (der anders als die beiden vorstehenden Entscheidungen sogar das Fortwirken einer vor der Pflichtverteidigerbestellung erteilten uneingeschränkten Vertretungsbefugnis annimmt, Beschluss vom 24.01.2023, 3 StR 386/21, beck-online Rn. 28). Zu Recht hat die Generalstaatsanwaltschaft ferner darauf hingewiesen, dass es nicht nur an der notwendigen Feststellung fehlt, dass der Pflichtverteidiger als Wahlverteidiger mandatiert und zur Durchführung der Verteidigung dauerhaft und nicht nur punktuell in der Lage ist (vgl. KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 143a Rn. 2), sondern vielmehr erhebliche Zweifel bestehen, dass die vom Landgericht angenommene Wahlverteidigerbestellung gesichert wäre.

2. Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung konnte auch nicht auf der Grundlage des § 143 Abs. 2 S. 1 StPO erfolgen.

Nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO kann die Bestellung aufgehoben werden, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung mehr vorliegt. An den für die Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO maßgeblichen Umständen – der Verurteilte stand zur Tatzeit hinsichtlich einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten unter Bewährung, deren Widerruf im Raum steht – hat sich allerdings vorliegend nichts geändert. Ein Fall notwendiger Verteidigung ist nach wie vor gegeben. Eine bloße Änderung der rechtlichen Bewertung des Vorliegens der Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbestellung kann aus Gründen des prozessualen Vertrauensschutzes eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nicht begründen (KG, Beschluss vom 28.02.2017, 5 Ws 50/17; OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.03.2023, Ws 173-174/23, sowie Beschluss vom 04.04.2023, Ws 294/23).“

Pflichti III: Störung des Vertrauensverhältnisses, oder: Anhörungspflicht bei Pflichtverteidigerbestellung

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen, und zwar einmal Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung wegen Störung des Vertrauensverhältnisses und zum Verfahen bei der Bestellung eines (weiteren) Pflichtverteidiger, nämlich.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Voraussetzung für die Aufhebung einer Beiordnung ist, dass konkrete Umstände vorgetragen werden, aus denen sich der endgültige Fortfall der für ein Zusammenwirken zu Verteidigungszwecken notwendigen Grundlage ergibt. Eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses muss der Angeklagte substantiiert darlegen. Pauschale, nicht näher belegte Vorwürfe rechtfertigen eine Entpflichtung nicht.

Bei § 142 Abs. 5 Satz 1 StPO, wonach dem Beschuldigten vor der Bestellung eines (weiteren) Pflichtverteidigers rechtliches Gehör zu gewähren ist, handelt es sich um eine zwingende Vorschrift.