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OWI II: Verletzung des rechtlichen Gehörs bei „OWis“, oder: Hilfsbeweis, (rechtzeitiger) Entbindungsantrag

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Im zweiten Posting habe ich hier dann vier Entscheidungen zur Verletzung des rechtlichen Gehörs, darunter (natürlich) auch drei, die sich mit „Entbindungsfragen“ (§§ 73, 74 OWiG) befassen. Ich stelle hier dann aber nur die Leitsätze vor, und zwar.

Von einer Versagung des rechtlichen Gehörs kann regelmäßig nur ausgegangen werden, wenn der Betroffene erfolglos alle ihm nach der konkreten Verfahrenslage zu Gebote stehenden prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, sich Gehör zu verschaffen. Hierzu gehört namentlich auch die Stellung von (Hilfs-)Beweisanträgen.

Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin sein Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Betroffene genügend entschuldigt hat. Vielmehr genügt es, dass eine beim Vorhandensein von Anhaltspunkten von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass das Fernbleiben des Betroffenen genügend entschuldigt ist.

    1. Zur Fortgeltung eines noch nicht beschiedenen Entbindungsantrages bei Verlegung der Hauptverhandlung (Fortführung von BGH StraFo 2024, 110)
    2. Zu rechtsmissbräuchlichem Verteidigerhandeln im Zusammenhang mit dem (Nicht-)Stellen eines Entbindungsantrages.
    3. Der Senat geht davon aus, dass die Entscheidung des BGH StraFo 2024, 110 so zu verstehen ist, dass auch ein nicht beschiedener Entbindungsantrag bei einer Terminverlegung fortwirkt.

Befindet sich der drei Tage vor einem Hauptverhandlungstermin per beA übermittelten Entbindungsantrag zwar erst am Ende eines mehrseitigen Schriftsatzes, wird aber auf der ersten Seite des Schriftsatzes auf den Gerichtstermin mit dem Zusatz „EILT SEHR !“ hingewiesen, kann der Betroffene von der Berücksichtigung seines Antrags ausgehen.

Und zu den Fragen steht dann eine ganze Menge in <<Werbemodus an>> Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, das jetzt gerade neu erschienen ist und hier bestellt werden kann. <<Werbemodus aus>>.

OWi III: Verwerfungsurteil und Verfahrensverzögerung, oder: Begründung der (Verfahrens)Rüge

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Und dann als dritte Entscheidung der BayObLG, Beschl. v. 24.04.2024 – 201 ObOWI 339/24 – zur Begründung der Verfahrensrüge zur Beanstandung rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung bei Verwerfungsurteil-

Das AG hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsverbot mit einem Fahrverbot von einem Monat mit Urteil vom 24.03.2021 gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Das Urteil wurde dem Verteidiger am 26.03.2021 zugestellt. Das Hauptverhandlungsprotokoll wurde am 29.03.2021 fertiggestellt. Gegen das Urteil hat der Betroffene am 29.03.2021 Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Verletzung „formellen und materiellen Rechts“ rügte. Er hat mit Verteidigerschriftsatz vom 13.10.2023 beantragt, eingegangen bei Gericht am 21.11.2023, das Verfahren wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einzustellen. Am 27.11.2023 wurde dem Verteidiger das Urteil nochmals zugestellt. Eine ergänzende Rechtsbeschwerdebegründung ist nicht erfolgt. Die Rechtsbeschwerde wurde vom BayObLG als unbegründet verworfen:

„b) Das vom Betroffenen geltend gemachte Verfahrenshindernis der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung bedurfte vorliegend auch nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils der Erhebung einer formalen Rüge. Eine solche wurde jedoch nicht in zulässiger Weise ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

aa) Will der Beschwerdeführer die Verletzung des Beschleunigungsgebotes geltend machen, erfordert dies grundsätzlich die Erhebung einer Verfahrensrüge (st.Rspr., vgl. u. a. BGH, Beschl. v. 20.06.2007 – 2 StR 493/06 bei juris Rn. 9; zuletzt BGH, Beschl. v. 15.03.2022 – 4 StR 202/21 bei juris Rn. 16, jew. m.w.N.). Ein Ausnahmefall, für den die höchstrichterliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren angenommen hat, das Rechtsmittelgericht habe wegen eines Erörterungsmangels auf die Sachrüge hin einzugreifen, liegt hier schon deshalb nicht vor, weil die Verzögerung erst nach Urteilserlass eingetreten ist und sich nicht aus den Urteilsgründen ergibt.

Allerdings kann für Verzögerungen nach Urteilserlass die bloße Erhebung der Sachrüge ausreichend sein, wenn der Betroffene die Gesetzesverletzung deshalb nicht form- und fristgerecht rügen konnte, weil die Verzögerung erst nach Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist eingetreten ist und deshalb vom Beschwerdeführer nicht (mehr) mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden konnte (BGH NStZ 2001, 52; BGH, Beschl. v. 20.06.2007 a.a.O. Rn. 10). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor, da die Frist zu Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde erst mit Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe begann (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 OWiG). Die am 26.03.2021 erfolgte Zustellung des Urteils konnte die Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde nicht in Lauf setzen, weil nach § 273 Abs. 4 StPO das Urteil nicht zugestellt werden durfte, bevor das Protokoll fertiggestellt war. Der Verstoß hiergegen machte die Zustellung wirkungslos und setzte deshalb die genannten Fristen nicht in Lauf (st.Rspr., vgl. zuletzt zur Revisionsbegründungsfrist BGH, Beschl. v. 24.11.2020 – 5 StR 439/20 bei juris = NStZ-RR 2021, 57 = StraFo 2021, 164 = BeckRS 2020, 36921 m.w.N.). Der Betroffene war von daher nicht gehindert, zu den Verfahrenstatsachen vorzutragen, aus denen er das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung herleiten will, zumal er vor der zweiten Zustellung Akteneinsicht hatte.

bb) Die Erhebung einer Verfahrensrüge war auch nicht deshalb entbehrlich, weil bei Vorliegen einer zulässigen Rechtsbeschwerde grundsätzlich (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 66. Aufl. Einl. Rn. 150 m.w.N.) das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses von Amts wegen zu prüfen ist (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. und Art. 6 EMRK Rn. 9g; Meyer-Goßner NStZ 2003, 173; a.A. Wohlers JR 2005, 189; offengelassen: BGH, Beschl. v. 10.09.2003 – 5 StR 330/03 bei juris). Dies gilt jedenfalls in den Fällen, in denen der Tatrichter lediglich den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verwirft.

(1) Aus rechtsstaatlichen Gründen kann die Verfahrenseinstellung wegen überlanger Verfahrensdauer dann unabweisbar sein, wenn sie auf einer außergewöhnlichen, vom Betroffenen nicht zu vertretenden und auf Versäumnisse der Justiz zurückzuführenden Verfahrensverzögerung beruht, die den Betroffenen im Lichte der Gesamtdauer des Verfahrens unter Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls, namentlich des Tatvorwurfs, des Umfangs und der Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes, des festgestellten oder voraussichtlich feststellbaren Schuldumfangs sowie möglicher Belastungen durch das Verfahren, in unverhältnismäßiger Weise belastet und der Verzögerung im Rahmen der Sachentscheidung nicht mehr hinreichend Rechnung getragen werden kann (vgl. BGHSt 35, 137 ff.; BGHSt 46, 159 ff.).

(2) Die Frage, ob und in welchem Umfang eine Kompensation bei Vorliegen einer Verfahrensverzögerung erforderlich ist, ist somit das Ergebnis einer Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls. Ob eine Verfahrensverzögerung unerheblich ist, ob die bloße Feststellung der Verfahrensverzögerung dem Betroffenen ausreichende Kompensation verschafft (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.10.2018 – 6 Kart 6/17 [OWi] bei juris Rn. 1269; OLG Stuttgart, Beschl. v.04.06.2018 – 3 Rb 26 Ss 786/17 bei juris), ob ein „Normalfall“ überlanger Verfahrensdauer vorliegt, der durch die Anrechnung eines Teils der verhängten Geldbuße oder des Fahrverbots kompensiert werden kann (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 11.02.2021 – 4 RBs 13/21 bei juris; beim Verwerfungsurteil verneinend: OLG Rostock, Beschl. v. 27.01.2016 – 21 Ss OWi 2/16 [B] bei juris Rn. 11) oder ob sich der Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot als derartig schwer und außergewöhnlich darstellt, dass ihm nur durch die Einstellung des gesamten Verfahrens Rechnung getragen werden kann, kann nicht ohne Kenntnis der verhängten Sanktion und der damit verbundenen Belastungen für den Betroffenen beantwortet werden, wobei sich letztere oftmals der genauen Kenntnis der Justiz entziehen.

In einem Fall, in dem der Tatrichter lediglich den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verwirft, kommt hinzu, dass sich, anders als bei einem Urteil in der Sache, Tatunrecht und Verfahrensverzögerungen bis zum Erlass des Urteils schon nach der Natur der Entscheidung nicht aus den Urteilsgründen selbst ergeben, während der Betroffene hierzu unschwer Ausführungen machen kann. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von Amts wegen bei zulässiger Rechtsbeschwerde zu berücksichtigen, widerspräche somit der differenzierten geltenden rechtlichen Systematik, wonach der Betroffene gehalten ist, alle diesbezüglichen Umstände vorzutragen, es sei denn sie würden sich aus der Entscheidung selbst ergeben, die Entscheidung wäre lückenhaft oder die Umstände würden sich, weil sie erst nach Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist entstanden sind, der formgerechten Begründung entziehen.

cc) Die Rechtsbeschwerdeausführungen genügen nicht, um das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung aufzuzeigen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 OWiG).

(1) Die Rechtsbeschwerde teilt zwar mit, dass mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 27.04.2021 der Antrag des Betroffenen nach § 74 Abs. 4 OWiG auf Wiedereinsetzung in die versäumte Hauptverhandlung zurückgewiesen wurde. Sie verhält sich in diesem Zusammenhang aber nicht zu der Frage, wann dem Betroffenen der Beschluss zugestellt wurde, ob er dagegen Rechtsmittel eingelegt hatte und wann gegebenenfalls seitens des Rechtsmittelgerichts hierüber entschieden wurde. Ausführungen hierzu erweisen sich jedoch als notwendig, weil bis zur Rechtskraft des die Wiedereinsetzung versagenden Beschlusses das Rechtsbeschwerdeverfahren von Gesetzes wegen ruhte (§ 342 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Der Senat kann daher nicht prüfen, ob und in welchem Umfang die Notwendigkeit der Bearbeitung eines Rechtsmittels des Betroffenen mit dazu beigetragen hat, dass die Akten nicht dem Rechtsbeschwerdegericht vorgelegt wurden.

(2) Es fehlen auch sonst jegliche Darlegungen für den betreffenden Zeitraum vom 27.04.2021 bis 26.09.2023. Die Frage, ob und in welchem Umfang eine Verfahrensverzögerung eine Kompensation erforderlich macht und welcher Art diese gegebenenfalls sein muss, setzt, wie ausgeführt, eine wertende Betrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls voraus. Maßstab ist der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Verfolgungsorgane und die daraus folgenden individuellen Belastungen für den Betroffenen (BGH, Urt. v. 13.03.2011 – 5 StR 411/11 bei juris Rn. 8; BGH, Urt. v. 23.10.2013 – 2 StR 392/13 bei juris Rn. 9). Der Senat kann jedoch, da Einzelheiten für den Grund der Verzögerung nicht genannt werden, nicht prüfen, ob und in welchem Umfang der Betroffene in ihm zurechenbarer Weise selbst zu der Verfahrensverzögerung beigetragen hat.

(3) Der vorliegende Fall weist zudem die Besonderheit auf, dass dem Kraftfahrtbundesamt nach dem Vorbringen des Betroffenen (fälschlicherweise) die Rechtskraft der Entscheidung vom 24.03.2021 mitgeteilt worden war. Nachdem es nicht der Lebenserfahrung entspricht, dass eine von der Vollstreckungsbehörde für rechtskräftig gehaltene Entscheidung nicht auch vollstreckt wird, liegt der Schluss nahe, dass der Betroffene seine Fahrerlaubnis in amtliche Verwahrung gegeben und die Geldbuße bezahlt hat, obwohl er damit rechnen musste, dass die zugrunde liegende Entscheidung noch gar nicht rechtskräftig war, nachdem er gegen sie Rechtsbeschwerde eingelegt hatte und eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht ergangen war. Im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu Notwendigkeit und Art der Kompensation, bei der auch die Folgen der Verfahrensverzögerung speziell für den Betroffenen und sein Umgang mit dieser von Bedeutung sind, hätte dieser Umstand nicht unberücksichtigt bleiben dürfen und es hätte hierzu von der Rechtsbeschwerde vorgetragen werden müssen.

dd) Ob im vorliegenden Fall dem Grunde nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung der nicht ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge hätte in Betracht kommen können, braucht nicht entschieden zu werden. Eine solche ist auch nach Mitteilung der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München vom 20.03.2024, aus der hervorging, dass die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde erst mit der am 27.11.2023 bewirkten Zustellung zu laufen begonnen hatte, und zur Geltendmachung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung die Erhebung einer Verfahrensrüge erforderlich war, nicht nachgeholt worden.“

OWi II: Rechtzeitig Entbindungsantrag gestellt?, oder: Jedenfalls über Antragstellung informiert

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Im zweiten Posting dann eine Entscheidung zu dem Verfahrensrechtlichen Dauerbrenner im OWi-Recht, nämlich die Fragen, die mit der Entbindung des Betroffenen zusammen hängen. Es handelt sich um den OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.05.2024 – 2 ORbs 63/24 .

Das OLG hat mal wieder eine Verwerfungsentscheidung eines des AG aufgehoben:

„Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, da das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt worden ist. Die Rüge ist insoweit ordnungsgemäß ausgeführt worden und führt zugleich zur Begründetheit der Rechtsbeschwerde:

Zwar könnte zweifelhaft sein, ob der Entbindungsantrag rechtzeitig vor dem Termin gestellt worden ist. Allerdings hat der Verteidiger versichert, kurze Zeit nach Übersendung des Antrages die zuständige Serviceeinheit telefonisch über den übermittelten Antrag informiert zu haben. Das Amtsgericht hat in Kenntnis der Rechtsbeschwerdebegründung keinen Anlass gesehen, dieser Darstellung entgegenzutreten. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes durfte der Betroffene davon ausgehen, dass sein Antrag Berücksichtigung finden würde.

Über den Entbindungsantrag hat das Amtsgericht nicht entschieden und damit das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt, wobei die Voraussetzungen für eine Entbindung vom persönlichen Erscheinen auch erfüllt waren.

Es ist auch nicht so, dass das Urteil nicht auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht, weil wegen der Abwesenheit auch des Verteidigers ohnehin eine Verwerfung hätte erfolgen müssen. Dass im Falle einer Entbindung auch der Verteidiger nicht erscheint, rechtfertigt die Verwerfung nämlich nicht (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 9. März 2010, 2 SsRs 38/10 mit weiteren Nachweisen).

Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.“

Und natürlich gilt auch hier: Die Fragen sind umfassend behandelt – <<Werbemodus an>> in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, das man hier jetzt bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

Welche Auslagenerstattung nach Zurückverweisung?, oder: Auslegung von „Die Kosten des Termins….“

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Wird ein Urteil im Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahren aufgehoben, stellt sich ggf. nach der abschließenden Entscheidung im neuen Erkenntnisverfahren die Frage, welche Gebühren die Staatskasse ggf. als notwendige Auslagen des Beschuldigten/Betroffenen tragen muss. Das LG Magdeburg befasst sich in LG Magdeburg, Beschl. v. 14.2.2024 – 26 Qs 6/24 mit einer amtsgerichtlichen Kostenentscheidung in einem Verfahren, in dem zunächst ein Verwerfungsurteil ergangen war. Zudem nimmt es zur Verfahrensgebühr Stellung.

Das AG hatte im Hauptverhandlungstermin am 15.08.2022 den Einspruch des Betroffenen gegen einen gegen ihn wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassenen Bußgeldbescheid verworfen, weil der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung ohne Entschuldigung ferngeblieben sei  (§§ 73, 74 Abs. 2 OWiG). Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das OLG das AG-Urteil mit Beschluss vom 06.03.2023 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des AG zurückverwiesen. Das AG hat den Betroffenen dann mit Urteil vom 04.09.2023 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße verurteilt. Die Kostenentscheidung lautete wie folgt: „„Die Kosten des Termins vom 15.08.2022 und des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die insoweit notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last. Im Übrigen trägt der Betroffene die Kosten des Verfahrens.”

Der Verteidiger des Betroffenen hat die Festsetzung der von der Staatskasse zu erstattenden Auslagen des Betroffenen beantragt. Dabei hat er für den Hauptverhandlungstermin vom 15.08.2022 eine Verfahrensgebühr Nr 5109 VV RVG und eine Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG nebst Abwesenheitsgeldern und Postpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie die Verfahrensgebühr Nr. 5113 VV nebst einer weiteren Pauschale Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht.

Die Bezirksrevisorin beim LG hat Einwendungen gegen die Geltendmachung der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5109 VV RVG sowie der Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG für das erstinstanzliche Verfahren erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Staatskasse neben den notwendigen Auslagen des Betroffenen für das Rechtsbeschwerdeverfahren nur noch die notwendigen Auslagen für den Termin am 15.08.2022 auferlegt worden seien. Die Verfahrensgebühr und auch die Pauschale seien jedoch nicht für den Termin selbst, sondern für das „übrige” Verfahren entstanden. Diese Auslagen seien nicht ausscheidbar und daher nicht zu erstatten.

Das AG hat das anders gesehen und ist dem Kostenfestsetzungsantrag des Betroffenen gefolgt. Die Festsetzung der Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG und der Postpauschale Nr. 7002 VV RVG hat es damit begründet, dass das Verfahren vom OLG an das AG zurückverwiesen worden sei. Damit sei § 21 Abs.1 RVG einschlägig.

Dagegen hat die Bezirksrevisorin sofortige Beschwerde eingelegt, der das AG nicht abgeholfen und die Sache dem LG zur Entscheidung vorgelegt hat. Dort hatte die sofortige Beschwerde Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde der Landeskasse hat auch in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Unrecht die Festsetzung der dem Betroffenen aufgrund der Kostengrundentscheidung des Urteils des Amtsgerichts Wernigerode vom 04.09.2023 zu erstattenden notwendigen Auslagen auch auf die beantragte Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG sowie die Postpauschale, jeweils nebst 19 % Umsatzsteuer, erstreckt. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen der Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 18.10.2023 sowie in ihrer Beschwerdebegründung vom 04.12.2023, denen sich die Kammer nach kritischer Prüfung vollinhaltlich anschließt, Bezug genommen. Die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG entsteht unabhängig von der Durchführung eines Hauptverhandlungstermins und kann daher nicht – wie die Verteidigung meint – untrennbar mit einem solchen verbunden sein. Ebenso wenig ergibt sich vorliegend aus der Regelung des § 21 Abs. 1 RVG eine Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr Nr. 5109 und der Postpauschale im Wege der Festsetzung der dem Betroffenen zu erstattenden notwendigen Auslagen. Es mag nach dieser Vorschrift eine weitere Verfahrensgebühr angefallen sein, allerdings ist diese nach der Kostengrundentscheidung des Urteils vom 04.09.2023 nicht von der Landeskasse, sondern vom Betroffenen zu tragen.“

Die Entscheidung ist zutreffend. M.E. kommt es bei der Bewertung der Entscheidung zunächst auf die vom LG angesprochenen Fragen des Entstehens der Verfahrensgebühr und der Terminsgebühr sowie die der Frage der Zurückverweisung (§ 21 Abs. 1 RVG) an. Insoweit stellt das LG zutreffend dar, dass die Terminsgebühr nach Vorbem. 5. Abs. 3 VV RVG und auch Vorbem. 4 Abs. 3 VV RVG für die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem Termin entsteht. Es handelt sich um eine der in den Vorbem. 5 Abs. 2 VV RVG bzw. Nr. 4 Abs. 2 VV RVG erwähnten besonderen Gebühren. Die durch sie abgegoltene Teilnahme wird nicht von einer Verfahrensgebühr (für das gerichtliche Verfahren) erfasst. Die erfasst nur das (allgemeine) Betreiben des Geschäfts (zum Abgeltungsbereich der Gebühren Burhoff AGS 2022, 1 und 97). Und man muss auch nicht darüber streiten, dass durch die Zurückverweisung der Sache gem. § 21 Abs. 1 RVG alle Gebühren – mit Ausnahme der Grundgebühr – noch einmal entstehen, da es sich nach Zurückverweisung um eine neue Angelegenheit i.S. von § 15 RVG handelt (vgl. dazu Burhoff AGS 2023, 102; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Teil A Rn 2690 ff.). Damit hat das LG Recht, wenn es – unter Bezugnahme auf die Bezirksrevisorin ausführt -, dass durch den Termin vom 15.8.2022 eine Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG nicht mehr entstehen konnte. Denn die war bereits durch die sonstigen Tätigkeiten des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren – unabhängig von der Hauptverhandlung entstanden. Es handelt sich nicht (mehr) um „die Kosten des Termins ….“.

OWi II: Anforderungen an das Verwerfungsurteil, oder: „bin beim falschen Gericht, kann aber noch kommen.“

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Die zweite Entscheidung, der OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.01.2024 – 2 ORbs 202/23 – befasst sich mal wieder mit einem der verfahrensrechtlichen Dauerbrenner im OWi-Verfahren, nämlich Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG.

Das AG hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid, mit dem dem Betroffenen eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt worden ist, verworfen, weil der Betroffene ohne genügende Entschuldigung zum Termin der Hauptverhandlung nicht erschienen sei. Zur Begründung hat das Amtsgericht wie folgt ausgeführt:

„Die von den Betroffenen telefonisch am Sitzungstag um 12:00 Uhr angegebenen Gründe vermögen über das Fernbleiben nicht zu entschuldigen, weil sie offensichtlich ein Verschulden des Betroffenen begründen.“

Dagegen der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, der erfolgreich war und zur Aufhebung des Verwerfungsurteils geführt hat:

„Die zulässig erhobene, den Begründungsanforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genügende Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe rechtsfehlerhaft und mit unzureichender Würdigung angenommen, das Ausbleiben des Betroffenen sei nicht genügend entschuldigt, dringt durch.

1. Nach dem Rügevorbringen hat der Betroffene am Sitzungstag um 12:00 Uhr zu Beginn der Hauptverhandlung telefonisch mitgeteilt, „dass er sich im Gericht geirrt“ habe und „zum Gericht nach („Ort 01“) in die („Adresse 01“) gefahren“ sei. Ein diesbezüglicher Telefonvermerk der Verwalterin der Geschäftsstelle ist im Termin bekannt gegeben worden. Der Betroffene habe auch „angeboten, noch zum Gericht zu fahren“ und damit seine Absicht, an der Verhandlung teilzunehmen, telefonisch bekundet. Ihm hätte deshalb die Möglichkeit gegeben werden müssen, zu einer späteren Terminsstunde zu erscheinen. Das Amtsgericht habe rechtsfehlerhaft konkrete Feststellungen zur Frage der genügenden Entschuldigung nicht getroffen.

2. Das angefochtene Urteil unterliegt bereits deshalb der Aufhebung, weil sich das Amtsgericht in den Urteilsgründen mit dem Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen nicht konkret und aus sich heraus verständlich befasst hat und dies dem Rechtsbeschwerdegericht keine hinreichende Überprüfung erlaubt, ob das Tatgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, dass der Betroffene ohne genügende Entschuldigung zum Termin der Hauptverhandlung nicht erschienen war.

a) Urteile, durch die ein Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verworfen wird, sind so zu begründen, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung nachprüfen kann. Hat der Betroffene Entschuldigungsgründe für sein Nichterscheinen vor dem Hauptverhandlungstermin mitgeteilt, oder bestehen sonst Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Ausbleiben des Betroffenen, so muss sich das Urteil mit ihnen auseinandersetzen und erkennen lassen, warum das Gericht den vorgebrachten bzw. ersichtlichen Gründen die Anerkennung als ausreichende Entschuldigung versagt hat (ständige Rechtsprechung der Senate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, vgl. Beschl. v. 1. Dezember 2011 – 1 Ss [OWi] 207/11; Beschl. v. 21. März 2017 – [2 B] 53 Ss-OWi 124/17 [68/17]; Beschl. v. 20. Februar 2007 – 1 Ss [OWi] 45/07; Beschl. v. 30. Mai 2018 – [2 B] 53 Ss-OWi 164/18 [144/18]; vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 74, 284, 285; BayObLG, Beschl. v. 5. Januar 1999 – 2 ObOWi 700/98, NStZ-RR 1999, 187; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 34, 35). Da das Rechtsbeschwerdegericht an die tatsächlichen Feststellung des angefochtenen Urteils gebunden ist und diese nicht im Wege des Freibeweises nachprüfen oder ergänzen darf (OLG Köln, Beschl. v. 20. Oktober 1998 – Ss 484/98 B, NZV 1999, 261, 262), ist eine tragfähige, in der Rechtsbeschwerdeinstanz nachprüfbare Auseinandersetzung mit dem Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen unabdingbar; das Amtsgericht ist deshalb bei der Verwerfung des Einspruchs wegen Ausbleibens des Betroffenen in der Hauptverhandlung gehalten, die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben im Hauptverhandlungstermin entschuldigen sollen, so vollständig und ausführlich mitzuteilen, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung, ob zutreffend von einer nicht genügenden Entschuldigung ausgegangen worden ist, allein aufgrund der Urteilsgründe möglich ist (vgl. OLG Hamm VRS 93, 450, 452).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Weder wird das Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen nachvollziehbar mitgeteilt noch ausgeführt, weshalb eine genügende Entschuldigung nicht vorliege. Die Würdigung des Amtsgerichts ist nicht aus sich heraus hinreichend verständlich dargestellt und lässt eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht in ausreichendem Maße zu.

3. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf der unzureichenden tatgerichtlichen Würdigung des Entschuldigungsvorbringens beruht. Dies wäre lediglich dann nicht der Fall, wenn die vom Betroffenen vorgebrachten Gründe von vornherein und ohne weiteres erkennbar nicht geeignet waren, sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung zu entschuldigen (BayObLG, Beschl. v. 5. Januar 1999 – 2 ObOWi 700/98. NStZ-RR 1999, 187; OLG Oldenburg, Beschl. v. 31. August 2010 – 2 SsRs 170/10, NZV 2011, 96; Göhler/Seitz/Bauer, aaO. § 74 Rdnr. 48). So verhält es sich hier jedoch nicht.

Das in § 74 Abs. 2 OWiG geregelte Verfahren der Verwerfung des Einspruchs ohne Verhandlung zur Sache beruht auf der Vermutung, dass derjenige sein Rechtsmittel nicht weiterverfolgt wissen will, der sich ohne ausreichende Entschuldigung zur Verhandlung nicht einfindet (Karlsruher Kommentar-OWiG/Senge, 5. Aufl. § 74 Rdnr. 19). Diese Vermutungswirkung ist u.a. dann entkräftet, wenn der Betroffene noch vor oder im Termin mitteilt, nicht rechtzeitig erscheinen zu können und sein Erscheinen in angemessener Zeit ankündigt (KG, Beschl. v. 10. März 2022 – 3 Ws [B] 56/22, zit. nach Juris). Das Gericht ist in diesem Fall gehalten, einen längeren Zeitraum zuzuwarten; nur wenn dem Gericht ein weiteres Zuwarten wegen anstehender weiterer Termine – auch im Interesse anderer Verfahrensbeteiligter – nicht zumutbar ist, gebührt dem Gebot der termingerechten Durchführung der Hauptverhandlung der Vorrang (KG, Beschl. v. 4. Juli 2012 – 3 Ws [B] 359/12, zit. nach Juris). Die Wartepflicht besteht unabhängig davon, ob den Betroffenen an der Verspätung ein Verschulden trifft, es sei denn ihm fällt grobe Fahrlässigkeit oder Mutwillen zur Last (KG aaO., mwN.).

Gemessen daran ist das Vorbringen des Betroffenen nicht von vornherein ungeeignet, eine genügende Entschuldigung und eine Verpflichtung des Amtsgerichts zu begründen, ihn aufgrund der bestehenden Fürsorgepflicht die Möglichkeit einzuräumen, durch ein verspätetes Erscheinen die Folgen einer Säumnis abzuwenden. Das Tatgericht wäre insofern gehalten gewesen, zu den zugrunde liegenden Einzelheiten – u.a. die Bereitschaft und der zu erwartende Zeitpunkt eines nachträglichen Erscheinens des Betroffenen, gegebenenfalls nach Rücksprache unter der von ihm angegebenen Mobilfunknummer sowie anstehende weitere Termine am Sitzungstag – konkrete Feststellungen zu treffen und diese unter Berücksichtigung des Grundsatzes des fairen Verfahrens in den Urteilsgründen näher zu würdigen.“