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StPO II: Nachweis der Verständigungsmitteilung, oder: Genügende Entschuldigung für Ausbleiben im Termin?

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Und dann die beiden Entscheidungen zur Hauptverhandlung, einmal geht es um den Nachweis der ausreichenden Mitteilung zu einer Verständigung (§ 243 Abs. 4 StPO) und einmal um die Verwerfung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid. Hier sind dann:

Die Protokollierung des Tatgerichts, dass der Vorsitzende den Inhalt eines richterlichen Vermerks über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Gespräche bekannt gegeben hat, genügt den von § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO gestellten Anforderungen, wenn der Vermerk im Hauptverhandlungsprotokoll durch Nennung seiner Ausstellers, seines Datums und seines Betreffs so unverwechselbar bezeichnet, dass eine eindeutige Identifizierung möglich ist Es bedarf weder die „Verlinkung“ mit einer Aktenfundstelle noch muss der Vermerk „verlesen“ werden.

Erscheint der Angeklagte nicht zum Termin, kommt es im Fall des § 412 Satz 1, § 329 Abs. 1 und 7 StPO nicht darauf an, ob er sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist.

OWi II: Anforderungen an das Verwerfungsurteil, oder: „bin beim falschen Gericht, kann aber noch kommen.“

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Die zweite Entscheidung, der OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.01.2024 – 2 ORbs 202/23 – befasst sich mal wieder mit einem der verfahrensrechtlichen Dauerbrenner im OWi-Verfahren, nämlich Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG.

Das AG hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid, mit dem dem Betroffenen eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt worden ist, verworfen, weil der Betroffene ohne genügende Entschuldigung zum Termin der Hauptverhandlung nicht erschienen sei. Zur Begründung hat das Amtsgericht wie folgt ausgeführt:

„Die von den Betroffenen telefonisch am Sitzungstag um 12:00 Uhr angegebenen Gründe vermögen über das Fernbleiben nicht zu entschuldigen, weil sie offensichtlich ein Verschulden des Betroffenen begründen.“

Dagegen der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, der erfolgreich war und zur Aufhebung des Verwerfungsurteils geführt hat:

„Die zulässig erhobene, den Begründungsanforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genügende Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe rechtsfehlerhaft und mit unzureichender Würdigung angenommen, das Ausbleiben des Betroffenen sei nicht genügend entschuldigt, dringt durch.

1. Nach dem Rügevorbringen hat der Betroffene am Sitzungstag um 12:00 Uhr zu Beginn der Hauptverhandlung telefonisch mitgeteilt, „dass er sich im Gericht geirrt“ habe und „zum Gericht nach („Ort 01“) in die („Adresse 01“) gefahren“ sei. Ein diesbezüglicher Telefonvermerk der Verwalterin der Geschäftsstelle ist im Termin bekannt gegeben worden. Der Betroffene habe auch „angeboten, noch zum Gericht zu fahren“ und damit seine Absicht, an der Verhandlung teilzunehmen, telefonisch bekundet. Ihm hätte deshalb die Möglichkeit gegeben werden müssen, zu einer späteren Terminsstunde zu erscheinen. Das Amtsgericht habe rechtsfehlerhaft konkrete Feststellungen zur Frage der genügenden Entschuldigung nicht getroffen.

2. Das angefochtene Urteil unterliegt bereits deshalb der Aufhebung, weil sich das Amtsgericht in den Urteilsgründen mit dem Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen nicht konkret und aus sich heraus verständlich befasst hat und dies dem Rechtsbeschwerdegericht keine hinreichende Überprüfung erlaubt, ob das Tatgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, dass der Betroffene ohne genügende Entschuldigung zum Termin der Hauptverhandlung nicht erschienen war.

a) Urteile, durch die ein Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verworfen wird, sind so zu begründen, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung nachprüfen kann. Hat der Betroffene Entschuldigungsgründe für sein Nichterscheinen vor dem Hauptverhandlungstermin mitgeteilt, oder bestehen sonst Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Ausbleiben des Betroffenen, so muss sich das Urteil mit ihnen auseinandersetzen und erkennen lassen, warum das Gericht den vorgebrachten bzw. ersichtlichen Gründen die Anerkennung als ausreichende Entschuldigung versagt hat (ständige Rechtsprechung der Senate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, vgl. Beschl. v. 1. Dezember 2011 – 1 Ss [OWi] 207/11; Beschl. v. 21. März 2017 – [2 B] 53 Ss-OWi 124/17 [68/17]; Beschl. v. 20. Februar 2007 – 1 Ss [OWi] 45/07; Beschl. v. 30. Mai 2018 – [2 B] 53 Ss-OWi 164/18 [144/18]; vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 74, 284, 285; BayObLG, Beschl. v. 5. Januar 1999 – 2 ObOWi 700/98, NStZ-RR 1999, 187; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 34, 35). Da das Rechtsbeschwerdegericht an die tatsächlichen Feststellung des angefochtenen Urteils gebunden ist und diese nicht im Wege des Freibeweises nachprüfen oder ergänzen darf (OLG Köln, Beschl. v. 20. Oktober 1998 – Ss 484/98 B, NZV 1999, 261, 262), ist eine tragfähige, in der Rechtsbeschwerdeinstanz nachprüfbare Auseinandersetzung mit dem Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen unabdingbar; das Amtsgericht ist deshalb bei der Verwerfung des Einspruchs wegen Ausbleibens des Betroffenen in der Hauptverhandlung gehalten, die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben im Hauptverhandlungstermin entschuldigen sollen, so vollständig und ausführlich mitzuteilen, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung, ob zutreffend von einer nicht genügenden Entschuldigung ausgegangen worden ist, allein aufgrund der Urteilsgründe möglich ist (vgl. OLG Hamm VRS 93, 450, 452).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Weder wird das Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen nachvollziehbar mitgeteilt noch ausgeführt, weshalb eine genügende Entschuldigung nicht vorliege. Die Würdigung des Amtsgerichts ist nicht aus sich heraus hinreichend verständlich dargestellt und lässt eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht in ausreichendem Maße zu.

3. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf der unzureichenden tatgerichtlichen Würdigung des Entschuldigungsvorbringens beruht. Dies wäre lediglich dann nicht der Fall, wenn die vom Betroffenen vorgebrachten Gründe von vornherein und ohne weiteres erkennbar nicht geeignet waren, sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung zu entschuldigen (BayObLG, Beschl. v. 5. Januar 1999 – 2 ObOWi 700/98. NStZ-RR 1999, 187; OLG Oldenburg, Beschl. v. 31. August 2010 – 2 SsRs 170/10, NZV 2011, 96; Göhler/Seitz/Bauer, aaO. § 74 Rdnr. 48). So verhält es sich hier jedoch nicht.

Das in § 74 Abs. 2 OWiG geregelte Verfahren der Verwerfung des Einspruchs ohne Verhandlung zur Sache beruht auf der Vermutung, dass derjenige sein Rechtsmittel nicht weiterverfolgt wissen will, der sich ohne ausreichende Entschuldigung zur Verhandlung nicht einfindet (Karlsruher Kommentar-OWiG/Senge, 5. Aufl. § 74 Rdnr. 19). Diese Vermutungswirkung ist u.a. dann entkräftet, wenn der Betroffene noch vor oder im Termin mitteilt, nicht rechtzeitig erscheinen zu können und sein Erscheinen in angemessener Zeit ankündigt (KG, Beschl. v. 10. März 2022 – 3 Ws [B] 56/22, zit. nach Juris). Das Gericht ist in diesem Fall gehalten, einen längeren Zeitraum zuzuwarten; nur wenn dem Gericht ein weiteres Zuwarten wegen anstehender weiterer Termine – auch im Interesse anderer Verfahrensbeteiligter – nicht zumutbar ist, gebührt dem Gebot der termingerechten Durchführung der Hauptverhandlung der Vorrang (KG, Beschl. v. 4. Juli 2012 – 3 Ws [B] 359/12, zit. nach Juris). Die Wartepflicht besteht unabhängig davon, ob den Betroffenen an der Verspätung ein Verschulden trifft, es sei denn ihm fällt grobe Fahrlässigkeit oder Mutwillen zur Last (KG aaO., mwN.).

Gemessen daran ist das Vorbringen des Betroffenen nicht von vornherein ungeeignet, eine genügende Entschuldigung und eine Verpflichtung des Amtsgerichts zu begründen, ihn aufgrund der bestehenden Fürsorgepflicht die Möglichkeit einzuräumen, durch ein verspätetes Erscheinen die Folgen einer Säumnis abzuwenden. Das Tatgericht wäre insofern gehalten gewesen, zu den zugrunde liegenden Einzelheiten – u.a. die Bereitschaft und der zu erwartende Zeitpunkt eines nachträglichen Erscheinens des Betroffenen, gegebenenfalls nach Rücksprache unter der von ihm angegebenen Mobilfunknummer sowie anstehende weitere Termine am Sitzungstag – konkrete Feststellungen zu treffen und diese unter Berücksichtigung des Grundsatzes des fairen Verfahrens in den Urteilsgründen näher zu würdigen.“

Corona I: Ausbleiben in Berufungs-HV „wegen Corona“, oder: Darlegung der genügenden Entschuldigung

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Heute zum Wochenstart mal wieder drei Entscheidungen aus der Katergorie „Corona/Covid-19“. Alle drei kommen vom BayObLG, zwei sind schon etwas älter.

Ich starte dann mit den schon etwas älteren Entscheidungen, und zwar hier mit dem BayObLG, Beschl. v. 28.06.2023 – 206 StRR 174/23 – zum Ausbleiben des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin wegen geltend gemachter coronabedingter Verhandlungsunfähigkeit

Das AH hatte den Angeklagten am 12.10.2022 wegen Beihilfe zum Betrug „in einem besonders schweren Fall“  verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hat das LG verworfen, weil der ordnungsgemäß geladene Angeklagte im Verhandlungstermin am 14.02.2023 nicht erschienen sei, obwohl ihm die Folgen eines unentschuldigten Fernbleibens mit der Ladung mitgeteilt worden seien. Allein die Übersendung einer Bescheinigung über das Vorliegen eines positiven SARS-CoV-2 Antigentests genüge ohne weitere Informationen darüber, warum der Angeklagte am Erscheinen im Hauptverhandlungstermin gehindert sei, denen das Gericht nachgehen könne, nicht.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die beim BayObLG keinen Erfolg hatte:

„Das Rechtsmittel ist unbegründet, weil das Fernbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 14. Februar 2023 allein durch die kommentarlose Vorlage der Bescheinigung über einen positiven Antigentest auf das Vorliegen einer SARS-CoV-2 Infektion nicht genügend entschuldigt war.

Insoweit kann auf die erschöpfenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 30. Mai 2023 Bezug genommen werden. Ergänzend bemerkt der Senat auch im Hinblick auf seinen Beschluss vom 25. Oktober 2022, 206 StRR 286/22, BeckRS 2022, 30918, dass zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung, die hier am 14. Februar 2023 stattfand, im Gegensatz zu dem mit Beschluss vom 25. Oktober 2022 entschiedenen Fall, in dem am 28. Juni 2022 die Hauptverhandlung im Berufungsverfahren stattgefunden hatte, die Quarantänepflicht nach der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 12. April 2022 (BayMBl. 2022 Nr. 225 vom 12. April 2022) nicht mehr galt. Am 14. Februar 2022 galt die Allgemeinverfügung zu Schutzmaßnahmen bei positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Corona-Schutzmaßnahmen) gemäß Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 15. November 2022 (BayMBl. 2022 Nr. 631 vom 15. November 2022), deren Gültigkeit durch Allgemeinverfügung vom 20. Januar 2023 bis zum 28. Februar 2023 verlängert worden ist (BayMBl. 2023 Nr. 46 vom 25. Januar 2023). In der Bekanntmachung vom 15. November 2022 war in Nr. 2.1 für positiv getestete Personen unverzüglich nach Kenntniserlangung vom positiven Testergebnis Maskenpflicht nach Nr. 3 außerhalb der eigenen Wohnung für mindestens fünf Tage nach dem Erstnachweis des Erregers angeordnet, aber keine Quarantänepflicht.

Die Feststellungen des Landgerichts belegen schlüssig, dass das Nichterscheinen des Angeklagten zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwerfungsurteils nicht ausreichend entschuldigt war. Die Gründe lassen erkennen, dass der Angeklagte lediglich die Bescheinigung über einen positiven Antigentest übersandt hatte, ohne hierzu weitere Informationen zu erteilen (UA Seite 2). Die Gründe teilen zwar weder mit, wer das Testergebnis übersandt hat, noch wann dies geschehen war. Dies wirkt sich im Ergebnis jedoch nicht aus, denn aus der bloßen Mitteilung des positiven Testergebnisses ergibt sich – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt – noch keine genügende Entschuldigung des Nichterscheinens im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO. Es ist nicht erkennbar, dass nach Art und konkreten Auswirkungen der Erkrankung eine Beteiligung des Angeklagten an der Hauptverhandlung unzumutbar gewesen sei.

Die rechtliche Prüfung des Revisionsgerichts erstreckt sich auch darauf, ob das Berufungsgericht auf der Grundlage der festgestellten Umstände die Pflicht zu weiterer Sachaufklärung im Wege des Freibeweises gehabt hätte (BGH Beschluss vom 11. April 1979, 2 StR 306/78, NJW 1979, 2319, 2320; vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 12. September 2000, 5 StRR 259/00, juris Rn. 9). Besondere, schon aus den Feststellungen selbst ersichtliche Anhaltspunkte für ein solches Defizit liegen nicht vor. Es ist in den Urteilsgründen ausdrücklich festgestellt, dass nur das Testergebnis mitgeteilt worden war, also weder ein ärztliches Attest vorlag noch sonst ein Arzt mitgeteilt war. Ein Rechtsfehler, der darin liegen könnte, dass eine Nachfrage des Vorsitzenden bei dem betreffenden Arzt unterblieben ist, um von diesem eine Erläuterung der Krankheitssymptome zu erhalten, lässt sich aus den Urteilsgründen nicht ersehen.“

Zur Berufungsverwerfung hatte das BayObLG auch bereits im BayObLG, Beschl. v. 25.10.2022 – 206 StRR 286/22 – Stellung genommen, der folgende Leitsätze hat:

1. Macht der Angeklagte geltend, er habe einen Selbsttest auf eine Infektion mit dem Corona-Virus durchgeführt, der ein positives Ergebnis erbracht habe, ist dies wegen der bei Richtigkeit der Behauptung nicht auszuschließenden Infektionsgefahren für die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit regelmäßig auch dann als ausreichende Entschuldigung für sein Fernbleiben anzusehen, wenn er keine körperlichen Symptome aufweist, die seine Verhandlungsunfähigkeit begründen würden.
2. Bloße Zweifel an der Richtigkeit eines schlüssig vorgebrachten Entschuldigungsgrundes rechtfertigen die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht; ihnen hat das Gericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht nachzugehen. Eine Mitwirkungspflicht obliegt dem Angeklagten insoweit nicht. Kommt er der Aufforderung des Gerichts zur Vorlage eines Testergebnisses einer Schnellteststelle nicht nach, ist dies allein zur Begründung einer Verwerfung des Rechtsmittels nicht geeignet. Ist das Gericht davon überzeugt, dass der das Fernbleiben in der Hauptverhandlung ausreichend begründende Entschuldigungsgrund nur vorgeschoben ist, sind die tragenden Gründen hierfür im Urteil nachvollziehbar darzulegen.

StPO II: „per Schnelltest positiv auf Corona getestet“, oder: Wiedereinsetzung gegen Berufungsverwerfung

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Als zweite Entscheidung kommt dann hier der OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.02.2023 – 1 ORs 5/23, der sich noch einmal zu Berufungsverwerfung – Stichworte: genügende Entschuldigung, Wiedereinsetzung – äußert.

Der Angeklagte ist vom LG zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Er legt Berufung ein und wird ordnungsgemäß zur Berufungshauptverhandlung geladen. Wenige  Stunden vor dem geplanten Aufruf der Sache Angeklagte teilt der Angeklagte dem LG am Terminstag über seinen Verteidiger mit, dass er sich per Schnelltest positiv auf das Coronavirus getestet habe. Er habe sogleich einen PCR-Test durchführen lassen, dessen Ergebnis noch ausstehe, und sich in häusliche Quarantäne begeben. Zur Berufungshauptverhandlung erschien dann weder der Angeklagte noch sein Verteidiger.

Daraufhin hat das LG die Berufung des Angeklagten wegen unentschuldigten Ausbleibens nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Die Mitteilung des Verteidigers entbehre der erforderlichen Glaubhaftmachung. Namentlich beanstandete die Kammer, dass kein Nachweis über die Durchführung eines positiv ausgefallen Schnelltest bzw. die Teilnahme an einer PCR-Testung vorgelegt worden sei.

Hiergegen hat der Angeklagte unter Vorlage einer Bescheinigung über einen positiven PCR-Test sowohl Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung beantragt als auch Revision eingelegt. Den Wiedereinsetzungsantrag hat das LG verworfen und zur Begründung insbesondere darauf abgestellt, dass es an einer Glaubhaftmachung des geltend gemachten Entschuldigungsgrundes fehle. Auf die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten hat das OLG den Beschluss aufgehoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Das Verwerfungsurteil und die Revision hiergegen seien deshalb gegenstandslos:

„1. a) Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2022 ist gemäß § 46 Abs. 3 StPO statthaft und nach §§ 306, 311 Abs. 1 StPO form- und fristgerecht eingelegt worden.

b) In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg.

aa) Nach §§ 329 Abs. 7 StPO kann ein Angeklagter unter den Voraussetzungen von §§ 44, 45 StPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen, wenn er darlegt und glaubhaft macht, dass er ohne Verschulden verhindert war, an der Berufungsverhandlung teilzunehmen. Hierzu sind nach § 329 Abs. 7 i. V. m. § 45 Abs. 2 S. 1 StPO binnen Wochenfrist nach Wegfall des Hindernisses die Tatsachen so vollständig vorzutragen, dass ihnen – als wahr unterstellt – die unverschuldete Verhinderung des Angeklagten ohne weiteres entnommen werden kann. Hierzu bedarf es einer genauen Darstellung der Tatsachen, die für die Frage bedeutsam sind, wie und durch welche Umstände es zur Versäumung der Berufungsverhandlung gekommen ist. Das Mittel der Glaubhaftmachung kann auch im Beschwerderechtszug nachgereicht werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 45 Rn. 7 m. w. N.).

Diesen Formerfordernissen hat der Angeklagte entsprochen, indem er mit den am 14. Februar 2022 und am 19. Mai 2022 bei Gericht angebrachten Anwaltsschriftsätzen, spätestens am 19. Mai 2022 unter Vorlage des positiven PCR-Testergebnisses vom 28. Januar 2022, dargelegt hat, dass er im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung an einer SARS-Cov-2-Infektion gelitten habe.

bb) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung ist nicht durch die gleichzeitig erhobene Revision ausgeschlossen (vgl. § 342 StPO).

(1.) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung nach § 329 Abs. 7 StPO setzt voraus, dass zur Entschuldigung geeignete Tatsachen geltend und glaubhaft gemacht werden, die dem Berufungsgericht nicht bekannt waren (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31. Juli 2008, 3 Ss 288/08, zit. n. juris; OLG Köln StV 1989, 53; OLG München NStZ 1988, 377). Die Rechtsfehlerhaftigkeit der Verwerfung der Berufung bei fehlerhafter Würdigung gerichtsbekannter Tatsachen kann nicht im Wiedereinsetzungsverfahren, sondern nur mit der Revision geltend gemacht werden (vgl. OLG Hamm wistra 2008, 40; OLG Hamm wistra 1997, 157; OLG Düsseldorf StV 2009, 13; OLG Düsseldorf wistra 2003, 399 f.; OLG Düsseldorf VRS 97, 139; OLG Jena VRS 205, 299). Auch auf neue Beweismittel für die vom Berufungsgericht schon gewürdigten Tatsachen kann der Wiedereinsetzungsantrag nicht gestützt werden (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 28. September 2017, 4 Ws 120/17, zit. n. juris; OLG Düsseldorf NStZ 1992, 99f.; OLG Hamburg MDR 1991, 469; zum Ganzen: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. § 329 Rdnr. 42 m.w.N.).

(2.) Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Tatsache, dass der Angeklagte auch mit dem PCR-Test positiv auf eine Coronainfektion getestet wurde, eine neue Tatsache ist, die die Prüfung der Wiedereinsetzung veranlasst. Denn der Grundsatz, dass eine Wiedereinsetzung nicht mit der gleichen Tatsachenbehauptung beantragt werden kann, mit der ein Angeklagter sein Nichterscheinen bereits entschuldigt hat, gilt jedenfalls dann nicht, wenn es das Berufungsgericht versäumt hat, diese Tatsache in dem Urteil nach § 329 Abs. 1 StPO zu würdigen (vgl. OLG München, Beschluss vom 21. April 1988, 2 Ws 191/88, NStZ 1988, 377 f.; Löwe/Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 329 Rn. 118; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 329 Rn. 42 jeweils m.w.N.).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Berufungsgericht hat das tatsächliche Vorbringen des Angeklagten nicht gewürdigt. In dem Verwerfungsurteil des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2022 ist zwar ausgeführt, dass der Verteidiger mitgeteilt habe, „der Angeklagte habe sich per Schnelltest positiv auf Corona getestet und habe sich vorsorglich in die häusliche Quarantäne begeben“, jedoch erachtet das Berufungsgericht diesen Vortrag als unbeachtlich, da diese Mitteilung des Verteidigers „der erforderlichen Glaubhaftmachung etwa durch einen Nachweis eines positiv ausgefallenen Schnelltestes“ entbehre. Die von der Berufungskammer postulierte Notwendigkeit einer Glaubhaftmachung, aufgrund derer in die Prüfung der Entschuldigungsgründe nicht eingetreten wurde, ist rechtsfehlerhaft. Eine Entschuldigung gemäß § 329 Abs. 1 StPO ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2010, 1 Ss OWi 84 B/10; Senatsbeschluss vom 23. Februar 2009 – 1 Ss (OWi) 9 B/09; OLG Bamberg DAR 2008, 217). Dabei trifft den Angeklagten hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes im Rahmen des § 329 Abs. 1 StPO – anders als im Wiedereinsetzungsverfahren (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO) – keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder auch zu einem lückenlosen Nachweis (vgl. bereits BGHSt 17, 391, 396, KG JR 1978, 36; OLG Celle StV 1987, 192; OLG Koblenz VRS 64, 211, 212; OLG Köln NZV 1999, 261, jeweils m.w.N.). Daraus wiederum folgt, dass eine genügende Entschuldigung nicht schon deshalb zu verneinen ist, weil der Entschuldigungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden ist (vgl. BayObLG NJW 1998, 172; OLG Köln NJW 1953, 1046).

Erforderlich und ausreichend ist hier, dass der Angeklagte vor der Hauptverhandlung schlüssig einen Sachverhalt vorträgt oder vortragen lässt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen, dem Gericht somit hinreichende Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht sind (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2010 a.a.O.; OLG Bamberg DAR 2008, 217).

Dadurch, dass das Berufungsgericht das Verwerfungsurteil (rechtsfehlerhaft) auf die fehlende Glaubhaftmachung eines Entschuldigungsgrundes gestützt hat, folgt, dass es das tatsächliche Vorbringen des Angeklagten, sich am Tag der Hauptverhandlung wegen eines positiven Corona-Schnelltests in häuslicher Quarantäne befunden zu haben, nicht bei seiner Entscheidung erwogen und gewürdigt hat, ja nicht einmal konkrete Tatsachen festgestellt hat und auch nicht in das Freibeweisverfahren, beispielsweise zur Ermittlung des Aufenthalts des Angeklagten, eingetreten ist. Die Verwehrung einer Sachentscheidung im Wiedereinsetzungsverfahren ist nur gerechtfertigt, wenn sich aus der Wiederholung des Tatsachenvortrages ergibt, dass sich der Antragsteller damit lediglich gegen die Beweiswürdigung wendet und rügt, dass das Berufungsgericht das Vorbringen zu Unrecht als zur Entschuldigung nicht genügend angesehen habe. In einem solchen Fall ist im Hinblick auf die Möglichkeit der Revision kein Schutzbedürfnis dafür gegeben, dass der gleiche Sachverhalt von dem Berufungsgericht ein zweites Mal entschieden werden soll. Die Berechenbarkeit des Rechts erfordert aber, dass der Angeklagte auch weiß, dass sein Entschuldigungsvorbringen bereits in vollem Umfang gewürdigt wurde. Ein solches Wissen ist nur aus dem Urteil selbst zu gewinnen. Gibt das Urteil darüber keinen ausreichenden Aufschluss, kann der Angeklagte durchaus der Meinung sein, dass sein Vorbringen zumindest teilweise übersehen oder auch nur im Tatsächlichen verkannt wurde, also über erhebliche Gründe möglicherweise noch gar nicht entschieden ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 21. April 1988, 2 Ws 191/88 NStZ 1988, 377 f.). Letzteres ist hier der Fall, da das Berufungsgericht das Verwerfungsurteil auf die fehlende Glaubhaftmachung gestützt hat und die vorgebrachten Tatsachen dazu konsequent nicht erwogen hat.

Nach alledem ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung der maßgebliche Rechtsbehelf (vgl. § 342 StPO).

cc) Aufgrund der über seinen Verteidiger vorgetragenen Coronainfektion ist das Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung am 27. Januar 2022 genügend entschuldigt und im Wiedereinsetzungsverfahren durch das im Beschwerdeverfahren eingereichte positive Ergebnis des PCR-Tests auch ausreichend glaubhaft gemacht worden.

Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung ist § 329 Abs. 1 StGB eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, die sich bei der Frage der genügenden Entschuldigung in Zweifelsfällen zu Gunsten des Angeklagten auswirkt (vgl. OLG Stuttgart Justiz 2004, 126 m. zahlr. N.; BayObLG StV 2001, 338). Entscheidend ist nicht, ob sich der Angeklagte genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist (ganz h. M., vgl. statt vieler: BayObLG NZV 1998, S. 426; OLG Düsseldorf VRS 92, S. 259; OLG Koblenz VRS 60, S. 465; OLG Stuttgart NZV 1992, S. 462). Eine Entschuldigung ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2010, 1 Ss OWi 84 B/10; Senatsbeschluss vom 23. Februar 2009 – 1 Ss (OWi) 9 B/09; OLG Bamberg DAR 2008, 217). Dabei ist es, wie bereits ausgeführt, erforderlich, dass der Angeklagte mit dem Wiedereinsetzungsantrag schlüssig einen Sachverhalt vorträgt oder vortragen lässt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen. Eine Krankheit stellt dabei einen ausreichenden Entschuldigungsgrund dar, wenn sie nach ihrer Art und nach ihren Wirkungen, insbesondere nach dem Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar erscheinen lässt (OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331; OLG Köln DAR 1987, 267). Ein Sachvortrag, der dem Gericht eine Bewertung von Krankheit eines Angeklagten als Entschuldigungsgrund nach diesen Kriterien ermöglichen soll, erfordert für seine Schlüssigkeit daher zumindest die Darlegung eines krankheitswertigen Zustandes, also eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustands, der ärztlicher Behandlung bedarf (vgl. auch BSGE 35, 10 ff., 12). Für den Fall, dass eine Infektion mit dem Coronavirus vorgebracht wird, ist ein solches Vorbringen indes nicht erforderlich, denn das Fernbleiben ist in diesem Fall nicht lediglich durch eine Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten, sondern bereits durch die Schutzbedürftigkeit anderer Prozessbeteiligter vor einer Infektion gerechtfertigt (BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22BeckRS 2022, 30918). Eine Infektion mit dem Coronavirus rechtfertigte und gebot zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung schon aufgrund bestehender öffentlich-rechtlicher Vorschriften (auch ohne das Vorliegen von Krankheitssymptomen) das Fernbleiben von einer Gerichtsverhandlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 2. SARS-CoV-2-EindV).

Der bloße Verdacht, dass ein Entschuldigungsgrund nur vorgeschützt sein könnte, rechtfertigt es im Übrigen nicht, den Angeklagten als unentschuldigt zu behandeln. Bleibt zweifelhaft, ob er genügend entschuldigt ist, dann sind die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht gegeben; solche Zweifel verpflichten vielmehr zu ihrer Klärung (Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 329 Rn. 26).

Mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Angeklagte weit mehr als den Verdacht einer bei ihm akut vorliegenden Coronainfektion vorgetragen und durch den Befundbericht vom 28. Januar 2022 über das positive Ergebnis des PCR-Tests vom 26. Januar 2022 glaubhaft gemacht, nämlich dass er tatsächlich im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung mit dem SARS-Cov-2-Virus infiziert war. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft bestehen keine begründeten Zweifel an einer Coronainfektion des Angeklagten zu jenem Zeitpunkt.

Zur Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungstatsache genügt es, dass dem Gericht in einem nach Lage der Sache vernünftigerweise zur Entscheidung hinreichendem Maß die Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit dargetan wird (OLG Düsseldorf NJW 1985, 2207, wistra 1990, 364). Das vorgelegte Testergebnis des Labors bezieht sich auf den Angeklagten, dessen Vor- und Zuname sowie sein Geburtsdatum dort korrekt angegeben sind. Zwar ist eine Personalausweis- oder Reisepassnummer nicht eingetragen, sodass die Testung eines anderen mit dem Coronavirus infizierten Mannes, der die Personalien des Angeklagten angegeben hat, theoretisch möglich ist. Der Senat betrachtet dies jedoch unter Berücksichtigung der üblichen Gepflogenheiten im medizinischen Bereich als fernliegend, Anhaltspunkte dafür sind jedenfalls nicht ersichtlich.

Nach alledem ist der Angeklagte unverschuldet der Berufungshauptverhandlung am 27. Januar 2022 ferngeblieben, mithin als entschuldigt anzusehen, so dass er unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2022 gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung am 27. Januar 2022 in den vorigen Stand zu setzen ist.

Corona II: Ausbleiben im Termin wegen Corona, oder: Foto vom positiven Selbsttest reicht als Entschuldigung

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Die zweite „Corona-Entscheidung“, der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.02.2023 – 1 ORs 2 Ss 44/22 – behandelt auch eine verfahrensrechtliche Problematik, und zwar die Frage der genügenden Entschuldigung für das Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung (§ 329 StPO).

Das LG hat die Berufung des Angeklagten gegen ein amtsgerichtliche Urteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Angeklagte mit E-Mail vom 23.08.2022 mitgeteilt habe, an Corona erkrankt zu sein und deshalb den Termin nicht wahrnehmen zu können. Ihm sei unter Hinweis auf die Folge des Nichterscheinens erklärt worden, dass er ein Attest vorlegen müsse. Der Angeklagte habe mitgeteilt, sein Hausarzt sei im Urlaub und er selbst befinde sich in Quarantäne. Sodann habe er ein Lichtbild eines positiven Coronatests vorgelegt. Nachdem die Geschäftsstelle erneut mitgeteilt habe, dass ein ärztliches Attest oder der Nachweis einer Coronaerkrankung in Form eines schriftlichen Testergebnisses vorgelegt werden müsse, habe er am 25.02.2022 ein ärztliches Attest vorgelegt, aus dem sich ergebe, dass er bei einer Praxis angerufen und dort erklärt habe, er sei hochfiebrig und habe eine Covid-19-Infektion. Eine ärztliche Untersuchung habe nicht stattgefunden. Weitere Entschuldigungsgründe seien nicht bekannt geworden.

Die dagegen eingelegte Revision hat beim OLG mit der Verfahrensrüge Erfolg:

„Die Revision hat mit der formgerecht gemäß § 344 Abs. 2 StPO erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO Erfolg, da das Landgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, der Angeklagte sei nicht genügend entschuldigt.

1. Gemäß § 329 Abs. 1 StPO hat das Gericht die Berufung zu verwerfen, wenn bei Beginn des Hauptverhandlungstermins der Angeklagte nicht erschienen und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.

Der Begriff der „genügenden Entschuldigung“ ist zugunsten des Angeklagten weit auszulegen. Denn § 329 Abs. 1 StPO enthält eine Ausnahme von der Regel, dass ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden darf, und birgt die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich (BGH, Beschluss vom 01.08.1962 – 4 StR 122/62, NJW 1962, 2020; Senat, Beschlüsse vom 27.08.2007 – 1 Ws 337/07, juris Rn. 2, vom 07.11.2011 – 1 Ss 85/10). Eine genügende Entschuldigung im Sinne von § 329 Abs. 1 StPO ist anzunehmen, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolge dessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (Senat, Beschluss vom 07.09.2011 – 1 Ss 85/10; Gössel in LR-StPO, 26. Aufl., § 329 Rn. 33 mwN). Eine Krankheit entschuldigt insbesondere dann, wenn sie nach Art und Auswirkungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar macht (Senat, Beschluss vom 30.08.2011 – 1 Ss 29/11; OLG Hamm, Beschluss vom 08.04.1998 – 2 Ss 394/98, NStZ-RR 1998, 281, 282). Wird eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorgebracht, ist das Fernbleiben eines Angeklagten nicht nur durch eine Verhandlungsunfähigkeit gerechtfertigt, sondern bereits durch die Schutzbedürftigkeit anderer Prozessbeteiligter vor einer Infektion (BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 11).

Bei der Prüfung, ob die Voraussetzung einer Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO vorliegen, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob und in welcher Form der Angeklagte sich entschuldigt hat, sondern ob er tatsächlich entschuldigt ist. Den Angeklagten trifft hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder gar zu einem lückenlosen Nachweis. Bloße Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens dürfen nicht zu Lasten des Angeklagten gehen. Nur der Nachweis, dass die Entschuldigung unwahr ist, lässt sie als ungenügend erscheinen. Bloßen Zweifeln hat das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen (BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 15 ff. mwN; Senat, Beschluss vom 31.07.2015 – 1 OLG 1 Ss 65/15; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 329 Rn. 20 ff.; Paul in KK-StPO, 9. Aufl., § 329 Rn. 7).

2. Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, rechtfertigen die Urteilsgründe die Annahme, dass der Angeklagte nicht genügend entschuldigt gewesen sei, in rechtlicher Hinsicht nicht.

a) Das Urteil leidet bereits an einem Darstellungsmangel. Hat der Angeklagte vor dem Termin bereits Gründe für eine Entschuldigung seines Nichterscheinens vorgetragen, muss das Urteil diese anführen, sich mit ihnen auseinandersetzen und erkennen lassen, weshalb dem Vorbringen die Anerkennung als Entschuldigung versagt wurde. Dies gilt insbesondere für gesundheitliche Gründe (BayObLG, Beschluss vom 21.12.1995 – 5St RR 127/95, juris Rn. 9 mwN; OLG Hamm, Beschluss vom 08.04.1998 – 2 Ss 394/98, NStZ-RR 1998, 281; Senat, Beschluss vom 07.11.2011 – 1 Ss 85/10). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Aus ihnen ergibt sich nicht, aus welchem Grund das Landgericht davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte nicht hinreichend entschuldigt sei. Es gibt nur das Verfahrensgeschehen wieder, ohne sich inhaltlich und rechtlich damit auseinander zu setzen.

b) Die Ausführungen des Landgerichts lassen zudem besorgen, dass es entweder unzutreffend darauf abgestellt hat, der Angeklagte habe sich nicht ausreichend entschuldigt, ohne zu klären, ob er ausreichend entschuldigt war, oder, dass es etwaig bestehende Zweifel an der Richtigkeit der vorgebrachten Entschuldigung zu Lasten des Angeklagten gewertet hat (s. zu einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren Konstellation BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris). Die Strafkammer ist insoweit ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen.

Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte sowohl ein Foto von einem positiven Selbsttest als auch ein ärztliches Attest vorgelegt hat, mit dem – nach telefonischer Konsultation des Arztes – das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bestätigt wird. Damit hat der Angeklagte schlüssig einen Sachverhalt vorgetragen, der, zumindest aufgrund der Infektionsgefahren für die Öffentlichkeit und die Verfahrensbeteiligten, geeignet war, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen (s. BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 19). Soweit sich aus dem Attest ergibt, dass der Angeklagte angeben habe, hochfiebrig zu sein, ist auch ein Umstand vorgetragen, der eine Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten nahelegt.

Gründe dafür, dass der Entschuldigungsgrund aus der Luft gegriffen oder ob und aus welchen Gründen das Landgericht möglicherweise von seiner Unrichtigkeit überzeugt war, sind nicht dargetan. Etwaige bloße Zweifel an der Richtigkeit sind ebenfalls nicht aufgezeigt. Insbesondere genügt hierfür der Hinweis darauf, dass das Attest nicht vom Hausarzt, sondern von einem anderen Arzt ohne Untersuchung telefonisch ausgestellt worden sei, nicht. Denn zum einen musste sich der Angeklagte nach dessen Angaben an einen fremden Arzt wenden, weil sein Hausarzt im Urlaub war. Falls das Landgericht bei seiner Entscheidung von der Unrichtigkeit des Vortrags ausgegangen war oder eine solche vermutete, hätte es diesen nachprüfen und das Ergebnis der Nachforschung darlegen müssen. Zum anderen war eine telemedizinische Vorstellung in dem maßgeblichen Zeitraum bei Verdacht einer Corona-Infektion jedenfalls nicht unüblich. Falls das Gericht vermutete, dass die Erkrankung nur vorgeschützt sein könnte, hätte es ebenfalls eigene Ermittlungen anstellen müssen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.02.1987 – 1 Ss 468/86, NJW 1988, 2965; BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 23 f.). Dieser Verpflichtung ist das Landgericht nicht nachgekommen. Die Urteilsgründe lassen vielmehr besorgen, dass es rechtsfehlerhaft davon ausging, dass der Angeklagte entweder ein schriftliches Testergebnis einer Teststation oder ein Attest, das aufgrund einer persönlichen Vorsprache bei dem Arzt erstellt wurde, vorlegen müsse, um entschuldigt zu sein. Eine solche Forderung begegnet mit Blick auf die fehlende Pflicht zur Mitwirkung durchgreifenden rechtlichen Bedenken (s. BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22, juris Rn. 23; OLG Hamm, Beschluss vom 18.03.1997 – 2 Ss 142/97, NStZ-RR 1997, 240).“