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Berufung II: Entschuldigung mit ärztlichem Attest, oder: Katastrophale Orthographie und Grammatik im Attest

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Und dann hier die zweite Berufungsentscheidung, nämlich der KG, Beschl. v. 04.04.2025 – 3 Ws 11/25 – zur Wiedereinsetzung in die Versäumung der Berufungshauptverhandlung wegen Säumnis infolge mäßig hohen Fiebers.

Das AG die Angeklagte wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt. Auf ihre hiergegen eingelegte Berufung hat die Vorsitzende der Berufungskammer Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 05.03.2025 um 9.30 Uhr anberaumt. Durch an diesem Tag um 6.52 Uhr beim LG eingegangenes Schreiben hat der Verteidiger beantragt, den Termin aufzuheben, weil die Angeklagte an Gürtelrose erkrankt sei und an starken Schmerzen, Fieber, Juckreiz und Abgeschlagenheit leide. Beigefügt war ein ärztliches „Besuchsprotokoll“, in welchem u. a. „starke Herpes am Geses“ bescheinigt worden ist.

Das LG hat den Antrag abgelehnt und die Berufung der Angeklagten nach § 329 StPO verworfen. In den schriftlichen Urteilsgründen heißt es, das Besuchsprotokoll, das vom 21.02.2025 stamme und keine Diagnose enthalte, könne nichts über den gegenwärtigen Zustand aussagen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 8. März 2025 hat die Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und erklärt, sie habe am Terminstag wegen Gürtelrose Fieber und starke Beschwerden gehabt. Dem Gesuch war ein ärztliches „Besuchsprotokoll“ des Allgemeinmediziners pp. vom 05.03.2025 beigefügt („Ankunft 7.30 Uhr, Abfahrt 8.50 Uhr“), in welchem der Angeklagten bei einer Körpertemperatur von 38,7 Grad Herpes Zoster bescheinigt wird. Lesbar sind weiter: „… Schmerzen li Lendenwirbelbereich mit blasige Ausschlag. Letzte Tage Simpotome stärker geworden. (Fieber, Schmerzen)“.

Den Wiedereinsetzungsantrag hat das LG verworfen. Zur Begründung heißt es u. a., die Angeklagte sei nach dem um 8.50 Uhr beendeten Arztbesuch ersichtlich nicht gehindert gewesen, ihr Ausbleiben noch genügend zu entschuldigen. Auch enthalte das am Terminstag ausgestellte Besuchsprotokoll keine Diagnose und sei im Übrigen „nicht gut genug lesbar, als dass das Gericht sich eine genügende Überzeugung von einer Verhandlungsunfähigkeit bilden könnte“. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde.

Das Rechtsmittel hat Erfolg:

„1. Das statthafte Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt, und es ist auch im Übrigen zulässig. Auch wenn sich das Verwerfungsurteil bereits mit Entschuldigungsvorbringen der Angeklagten auseinandersetzt, ist dieses nicht in dem Sinne „verbraucht“, dass es im Wiedereinsetzungsverfahren nicht mehr gewürdigt werden könnte. Die Wiedereinsetzung ist nämlich nur dann ausgeschlossen, wenn das Entschuldigungsvorbringen bereits Gegenstand der gerichtlichen Würdigung – im Sinne einer tatsächlichen inhaltlichen Auseinandersetzung – war (vgl. KG StV 2020, 855; NStZ-RR 2006, 183; Beschluss vom 23. August 2007 – 2 Ws 520/07 -; LG Berlin VRS 121, 366; s. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 67. Aufl., § 329 Rn. 42; Paul in Karlsruher Kommentar, StPO 7. Aufl., § 329 Rn. 23). Eine derartige Auseinandersetzung hat hier jedenfalls in Bezug auf das nur etwa eine Stunde vor der Hauptverhandlung attestierte Fieber nicht stattgefunden. Dieser für die Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit wichtige Um-stand war der Strafkammer im Zeitpunkt des Urteilserlasses noch nicht bekannt.

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Denn die Angeklagte war nach den nun bekannten und glaubhaft gemachten Umständen im Sinne der §§ 329 Abs. 7, 44, 45 StPO ohne Verschulden daran gehindert, an der Berufungshauptverhandlung teilzunehmen. Sie war verhandlungsunfähig.

a) In der Regel reicht ein zeitnahes ärztliches Attest, das Art und Schwere der Erkrankung mit-teilt, aus, um die Verhandlungsunfähigkeit zu prüfen und ggf. den Schluss zu rechtfertigen, dem Angeklagten sei es jedenfalls wegen seiner Erkrankung nicht zuzumuten gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen (vgl. KG Beschluss vom 29. Januar 1999 – 5 Ws 35-36/99 – [juris]; OLG Karlsruhe NJW 1995, 2571). Das von der Angeklagten übermittelte Attest stammt vom Terminstag, es wurde nur etwa eine Stunde vor dem Aufruf der Strafsache erstellt. Indem es der Angeklagten neben anderen etwas vage bleibenden Symptomen Fieber in Höhe von 38,7 Grad bescheinigt, offenbart es auch einen Umstand, der sie – jedenfalls im beschriebenen Gesamtbild der Symptomatik – als verhandlungsfähig erscheinen lässt. Der Senat hat erwogen, ob die katastrophale Orthographie und Grammatik in den ärztlichen „Besuchsprotokollen“ vom 22. Februar und 5. März 2025 (etwa “geses“ für Gesäß; „Röttung“; „mit blasige Ausschlag“; „Simpotome“) nachteilige Schlüsse auf die Qualifikation des Erstellers und die inhaltliche Richtigkeit des Bescheinigten, insbesondere von Anamnese und Diagnose, zulässt, dies allerdings verworfen. Belastbar wäre eine solche Bewertung nicht.

b) Die Überlegung des Landgerichts, „in Zeiten der digitalen Kommunikation … wäre es ein Leichtes gewesen, das Besuchsprotokoll rechtzeitig vor dem Termin an den Verteidiger zu übermitteln“, ist sachlich nachzuvollziehen, geht aber an dem hier anzuwendenden Prüfungs-maßstab vorbei. Denn es kommt im Wiedereinsetzungsverfahren darauf an, ob der Angeklagte genügend entschuldigt ist, nicht aber darauf, ob er sich genügend entschuldigt hat (vgl. für viele KG OLGSt StPO § 329 Nr. 40 [Volltext bei juris]); Beschluss vom 29. Januar 1999 – 5 Ws 35-36/99 – [juris]). Dass die Angeklagte hier ersichtlich zumindest nachlässig kommuniziert hat, berührt die Frage, ob sie objektiv entschuldigt war, nicht. Bedeutung könnte dem allenfalls in Bezug auf die Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens und die Echtheit des eingereichten Attests beigemessen werden. Derartige Zweifel hat das Landgericht offenbar gehabt, ohne sie klar zu benennen und ausdrücklich niederzulegen. Auch der Senat erkennt die Unklarheiten, hat aber keine belastbaren Hinweise darauf, dass das Attest inhaltlich falsch ist oder nicht von einem approbierten Arzt stammt.“

Berufung I: Der Angeklagte sitzt im Zuschauerraum, oder: Ist der Angeklagte erschienen?

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Wir starten in die 42. KW.72025 mit zwei Entscheidungen aus dem strafverfahrensrechtlichen Berufungsverfahren.

Den Opener macht der BayObLG, Beschl. v. 23.06.2025 – 203 StRR 234/25. Es geht in der Entscheidung u.a. um die Frage des „Erscheinens des Angeklagten“ in der Hauptverhandlung. Das LG hat die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung zwar im Sitzungssaal befunden habe, sich jedoch hartnäckig und konstant geweigert habe, als Angeklagter an der Verhandlung teilzunehmen. Er habe weder auf dem für den Angeklagten vorgesehenen Stuhl Platz genommen noch sich auf mehrmalige Nachfrage (bereit) erklärt, der Verhandlung in der Rolle als Angeklagter beizuwohnen, sondern permanent die Verhandlung durch stereotype Monologe gestört. Rechtlich sei bei einem Angeklagten, der sich in der Berufungshauptverhandlung in querulatorischer Weise störend verhalte, von einem Nichterscheinen auszugehen.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die Erfolg hatte:

2. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Die Annahme der Berufungskammer, rechtlich sei bei einem Angeklagten, der sich in der Berufungshauptverhandlung in querulatorischer Weise störend verhalte und seine Mitwirkung verweigere, von einem Nichterscheinen auszugehen, erweist sich als rechtsfehlerhaft, so dass die Verwerfung der Berufung zu Unrecht erfolgt ist.

a) Nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO ist eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 der Vorschrift ist ebenso zu verfahren, wenn die Fortführung der Hauptverhandlung in dem Termin dadurch verhindert wird, dass sich der Angeklagte vorsätzlich und schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat und kein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend ist. Satz 3 sieht vor, dass über eine Verwerfung wegen Verhandlungsunfähigkeit nach diesem Absatz das Gericht nach Anhörung eines Arztes als Sachverständigen entscheidet. Sinn und Zweck des § 329 StPO ist es, eine Verzögerung oder Vereitelung der Sachentscheidung über eine Berufung durch den Angeklagten zu verhindern (BT Drucks. 18/3562 S. 70; Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 2 m.w.N.). Die Bestimmung enthält eine Ausnahme von dem in § 230 Abs. 1 StPO niedergelegten Verfahrensgrundsatz, dass gegen einen ausgebliebenen Angeklagten nicht verhandelt und entschieden werden darf. Sie ist im Interesse des Angeklagten eng auszulegen und anzuwenden (Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 2 m.w.N.).

b) Um an Stelle des Angeklagten im Verfahren Erklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen, bedarf es einer ausdrücklichen Erklärung des Angeklagten, dass der Verteidiger befugt sein soll, über die Verteidigerrechte hinaus rechtswirksam Verfahrensbefugnisse für ihn wahrzunehmen. Demgemäß bestimmt § 329 Abs. 1 S. 1 StPO das Erfordernis des Nachweises einer besonderen Vertretungsvollmacht, soll ein Verteidiger den Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung vertreten. Die Pflichtverteidigerbestellung als solche genügt nicht (zum Ganzen Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2024 – 203 StRR 591/24-, juris Rn. 16 m.w.N.).

c) Erscheinen des Angeklagten im Sinne des § 329 Absatz 1 Satz 1 StPO meint nach der Vorstellung des Gesetzgebers die körperliche Anwesenheit im Sitzungssaal sowie ein Sicherkennengeben gegenüber dem Gericht (BT Drucks. 18/3562 S. 69 zur Neufassung von § 329 StPO). In erst- und zweitinstanzlicher Hauptverhandlung ist von einem einheitlichen Abwesenheitsbegriff auszugehen (ausführlich Arnoldi in MüKoStPO, 2. Aufl. 2024, § 230 Rn. 5). Der Senat schließt sich dieser Auffassung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung im Einklang mit der Literatur an (vgl. Eschelbach in BeckOK StPO, 55. Ed. 1.4.2025, § 329 Rn. 14; Paul in KK-StPO, 9. Aufl., § 329 Rn. 4; Quentin a.a.O. § 329 Rn. 21, 24; Brunner in KMR, 110. EL, § 329 Rn. 19; Gmel/Peterson in KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 230 Rn. 3 zu § 230 StPO; Arnoldi a.a.O. § 230 Rn. 10 m.w.N. zu § 230).

d) Darauf, ob der Angeklagte sich zur Person oder zur Sache äußert, kommt es demnach nicht an (Eschelbach a.a.O. § 329 Rn. 14; Quentin a.a.O. § 329 Rn. 24). Der Angeklagte muss nicht aktiv an der Verhandlung mitwirken und kann zu einer aktiven Teilnahme nicht gezwungen werden (Arnoldi a.a.O. § 230 Rn. 11; zur Mitwirkungsfreiheit Rogall in SK-StPO, 6. Aufl., vor §§ 133 ff. Rn. 73). Auch ein Sitzen im Zuschauerbereich macht den Angeklagten nicht abwesend (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2021 – 4 StR 517/20 –, juris zu einer dem Angeklagten vom Vorsitzenden zugewiesenen Sitzposition im Zuhörerraum).

e) Nur wenn der Angeklagte unerkannt im Sitzungssaal erschienen ist und sich dem Gericht gegenüber nicht als Angeklagter zu erkennen gegeben hat, ist dies als Nichterscheinen zu werten (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 Rv 34 Ss 173/22 –, juris; Arnoldi a.a.O. § 230 Rn. 10; Quentin a.a.O. § 329 Rn. 24 m.w.N.; Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 329 Rn. 7; Eschelbach a.a.O. § 329 Rn. 14 und 17; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 230 StPO Rn. 7; Deiters in SK-StPO, 6. Aufl., § 230 Rn. 14).

f) Erscheint der Angeklagte zum Termin im Sitzungssaal und gibt sich dem Gericht gegenüber hinreichend als Angeklagter zu erkennen, kann die für die Durchführung der Verhandlung erforderliche Präsenz des Angeklagten im Sitzungssaal festgestellt werden. In diesem Fall liegt kein Ausbleiben des Angeklagten im Sinne von § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vor. Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte jede Mitwirkung an der Verhandlung verweigert, indem er prozessleitenden Anordnungen, etwa der Anordnung der Einnahme des Platzes auf der Anklagebank, keine Folge leistet (Quentin a.a.O. § 329 Rn. 24; Paul a.a.O. § 329 Rn. 4; Frisch in SK-StPO, 6. Aufl., § 329 Rn. 8). Dem obstruktiven Verhalten des Angeklagten ist in diesem Fall nicht durch eine Verwerfung der Berufung, sondern durch geeignete Maßnahmen nach § 177 GVG zu begegnen (vgl. Frisch a.a.O. § 329 Rn. 8; Quentin a.a.O. § 329 Rn. 24). § 329 Abs. 2 S. 2 StPO stellt dementsprechend klar, dass ein Verwerfungsurteil nicht ergehen darf, wenn der Angeklagte wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungssaal entfernt worden ist (Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 15b; vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 9. August 2021 – 202 ObOWi 860/21 –, juris zur Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG). Die Abwesenheitsverhandlung nach § 231b StPO geht § 329 Abs. 1 StPO vor (Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 15b).

g) Nach diesen Vorgaben durfte die Strafkammer die Berufung des Angeklagten hier nicht nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verwerfen. Denn der Angeklagte ist zum Termin im Sitzungssaal erschienen und hat sich als Angeklagter zu erkennen gegeben. Nach der Niederschrift der Hauptverhandlung (zur Beweiskraft vgl. § 274 StPO) hat das Gericht den Beschwerdeführer in der Sitzung als Angeklagten behandelt, ihm als Angeklagten Hinweise erteilt und von ihm Unterlagen als Anlagen zu Protokoll genommen. Das Stören der Verhandlung und die Verweigerung der Mitwirkung stehen dem Ausbleiben nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht gleich. Der Verweis des Landgerichts auf eine Mitwirkungspflicht des Angeklagten trägt die Verwerfung nicht. Vielmehr ist anerkannt, dass auch ein Angeklagter, der erscheint, die Verhandlung aber mit der Behauptung, verhandlungsunfähig zu sein, ablehnt, nicht als ausgeblieben im Sinne von § 329 Abs. 1 StPO behandelt werden darf (Gössel a.a.O. § 329 Rn. 6; Eschelbach a.a.O. § 329 Rn. 14 und 15; Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 18; Paul a.a.O. § 329 Rn. 4; Frisch a.a.O. § 329 Rn. 9; Quentin a.a.O. § 329 Rn. 24; Eschelbach a.a.O. § 329 Rn. 14). Das Gericht kann in diesem Fall die Verhandlungsfähigkeit feststellen lassen und den Angeklagten wie einen Angeklagten behandeln, der von seinem Schweigerecht Gebrauch macht (Gössel a.a.O. § 329 Rn. 6). Nach dem Erscheinen hätte sich die Strafkammer daher zunächst über die Verhandlungsfähigkeit vergewissern müssen (Arnoldi a.a.O. § 230 Rn. 11).

Das landgerichtliche Urteil ist mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO). Die Entscheidung ergeht nach § 349 Abs. 4 StPO.“

StPO III: Urteilsgründe des Verwerfungsurteils, oder: Wiedergabe/Würdigung der Entschuldigungsgründe

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Und dann habe ich noch den BayObLG, Beschl. v. 07.04.2025 – 206 StRR 105/25 – zu den Urteilsgründen betreffend die Entschuldigungsgründe in einem Berufungsverwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO.

Das AG hatte den wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte u. a. verurteilt. Das LG hat die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten verworfen. Zur Begründung der Verwerfung hat es ausgeführt, der zum Hauptverhandlungstermin ordnungsgemäß geladene und über die Folgen eines nicht oder nicht genügend entschuldigten Ausbleibens belehrte Angeklagte sei ohne hinreichende Entschuldigung nicht erschienen. Das LG hat zur weiteren Begründung dann noch ausgeführt:

„Eine Nachfrage bei der das Attest über eine angebliche Verhandlungsunfähigkeit ausstellende Ärztin ergab, dass diese den Angeklagten nicht untersucht hat. Folglich stellt dieses keine hinreichende Entschuldigung dar. Der Verteidiger ist nicht im Besitz einer schriftlichen Vertretungsvollmacht.“

Das reicht dem BayObLG nicht, so dass es das Verwerfungsurteil wegen einer Lücke in der Begründung aufgehoben hat:

1. Das zulässige Rechtsmittel hat auch einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.

a) Die Revision ist unter Heranziehung des gebotenen großzügigen Maßstabes noch zulässig (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt im Einzelnen Senat, Beschluss vom 14.11.2024, 206 StRR 388/24, BeckRS 2024, 31758). Eine Verfahrensrüge ist zwar nicht ausdrücklich erhoben. Die Revisionsbegründung ist jedoch auslegungsfähig; es kommt nicht darauf an, wie der Beschwerdeführer die Rüge bezeichnet, entscheidend ist ihre wirkliche rechtliche Bedeutung auf der Grundlage des Revisionsvorbringens (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 344 Rdn. 20a m. w. N.). Hier kann dem Revisionsvortrag (noch) die Zielrichtung entnommen werden, dass das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt habe (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt aaO § 329 Rdn. 48; BeckOK-StPO/Eschelbach, 54. Edition, § 329 Rdn. 67).

b) Die so verstandene Verfahrensrüge, die den formalen Anforderungen an eine solche noch gerecht wird (vgl. insoweit OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.11.2015, 1 Ss 322/15, BeckRS 2016, 2450, dort Rd. 4), greift auch durch (vgl. Senat, Beschluss vom 27.03.2024, 206 StRR 98/24, BeckRS 2024, 5807 zu einem vergleichbaren Sachverhalt).

Das Urteil des Landgerichts genügt nicht den von der Rechtsprechung an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 329 StPO ergangenen Verwerfungsurteils zu stellenden Anforderungen. Nach ständiger Rechtsprechung muss das nach § 329 StPO ergangene Urteil so begründet werden, dass das Revisionsgericht die maßgebenden Erwägungen des Berufungsgerichts nachprüfen kann. So müssen vorgebrachte Entschuldigungsgründe und als Entschuldigung in Betracht kommende Tatsachen wiedergegeben und gewürdigt werden. Dies folgt schon daraus, dass das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gebunden ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 05.04.2023, 203 StRR 95/23, zitiert nach juris, dort Rdn. 4).

Im Urteil des Landgerichts findet sich weder eine in sich geschlossene Darstellung der vom Angeklagten vorgebrachten Entschuldigungsgründe noch ist allein anhand der Entscheidungsgründe nachvollziehbar, warum das Landgericht den Angeklagten nicht als entschuldigt angesehen hat. Aus den dort niedergelegten Erwägungen des Landgerichts lässt sich zwar inzident darauf schließen, dass es zu einer telefonischen Kontaktaufnahme der Vorsitzenden mit der behandelnden Ärztin gekommen sein muss. Welchen näheren Inhalt das Gespräch hatte und mit wem genau es geführt wurde, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Ein Rückgriff auf das Hauptverhandlungsprotokoll oder die Akten ist dem Senat verwehrt. Er kann daher nicht beurteilen, ob die Kammer zurecht angenommen hat, dass der Angeklagte nicht entschuldigt ist, weil ihm ein Erscheinen zur Hauptverhandlung zumutbar war. Allein die Tatsache, dass die Ärztin den Angeklagten am Tag der Hauptverhandlung nicht untersucht hat, führt jedenfalls nicht ohne weiteres dazu, dass eine Verhandlungsunfähigkeit nicht vorgelegen hat; dies hängt u. a. von der Art der Erkrankung und den (Vor-)Kenntnissen der Ärztin von der Krankheit und dem Angeklagten ab.

Zwar rechtfertigt ein Verstoß gegen die Pflicht des Berufungsgerichts, das Entschuldigungsvorbringen lückenlos darzustellen und umfassend zu würdigen, die Aufhebung eines Verwerfungsurteils nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO dann nicht, wenn das angefochtene Urteil nicht auf diesem Fehler beruht, wovon insbesondere dann auszugehen ist, wenn das übergangene Vorbringen des Angeklagten ganz offensichtlich ungeeignet wäre, das Ausbleiben zu entschuldigen (vgl. Senat, Beschluss vom 27.03.2024, 206 StRR 98/24, BeckRS 2024, 5807, Rdn. 11 m w. N.). Im Hinblick auf das Revisionsvorbringen des Angeklagten kann hiervon jedoch vorliegend nicht ausgegangen werden.“

Verwerfung II: Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten, oder: Aufklärungspflicht des Gerichts

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In der zweiten Entscheidung, dem KG, Urt. v. 18.10.2024 – 3 ORs 66/14 – 121 SRs 97/24 – geht es auch noch einmal um die (Un)Zulässigkeit der Verfahrensrüge im Rahmen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Das LG hat die Berufung des Angeklagten gegen ein Urteil des AG nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte dem Hauptverhandlungstermin unentschuldigt ferngeblieben sei. Dem lag das folgende Verfahrensgeschehen zu Grunde:

„Der ordnungsgemäß geladene Angeklagte reichte über seinen Verteidiger am Tag vor dem anberaumten Termin ein ärztliches Attest des Herrn Dr. A und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 24. – 26.06.2024 ein. Das Attest hatte den folgenden Wortlaut:

„Der o.g. Patient stellte sich am 24.6.24 in unserer Arztpraxis vor. Er berichtet, seit dem Vorabend unter Übelkeit mit Erbrechen und Diarrhöen zu leiden. Zudem wird von Schnupfen und Halsschmerzen seit 3-4 Tagen berichtet. Der Pat. schildert, einen geplanten Gerichtstermin am 25.6.24 bei den aktuell vorherrschenden gesundheitlichen Problemen nicht wahrnehmen zu können. Es erfolgte eine AU-Bescheinigung vom 24.-26.6.24.“

Die Vorsitzende der zuständigen Strafkammer kontaktierte daraufhin am 25.06.2024 die Praxis telefonisch, in der sie Herrn Dr. A nicht erreichen konnte, aber dessen Kollegin Frau Dr. B. Diese teilte der Vorsitzenden mit, Herr Dr. Asei aufgrund auswärtiger Termine in einer Heimeinrichtung nicht erreichbar. Der Angeklagte sei am 24.06.2024 erstmals in der Praxis erschienen, was Herrn Dr. A verwundert habe. Eine Untersuchung der Symptome habe nicht stattgefunden und sei auch nicht üblich. Sie habe mit Herrn Dr. A über die Angelegenheit gesprochen, der Angeklagte habe etwas erschöpft gewirkt. Herr Dr. A habe sich schwergetan, das Attest auszustellen. Zur Schwere der Symptomatik könne sie anhand der Patientenakte keine Angaben machen.

Gegen das Verwerfungsurteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er trägt vor, das LG habe seine Aufklärungspflicht verletzt, indem es nicht mit dem behandelnden Arzt selbst – gegebenenfalls per Mobiltelefon – Rücksprache gehalten habe. Ein solches Gespräch „hätte die Säumnis als [sic!] Angeklagten als unverschuldet aufgezeigt“.

Die GStA hat die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des LG beantragt. Das KG sieht das anders und hat verworfen. Hier die Leitsätze des KG:

1. Unterlässt es der Revisionsführer, das Ausmaß einer Erkrankung darzulegen oder die Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten am Terminstag zu schildern, ist seine auf eine unterbliebene Aufklärung des Gerichts gestützte Verfahrensrüge bereits unzulässig; das Revisionsgericht wird hierdurch nicht in den Stand versetzt, zu beurteilen, ob der Angeklagte im Zeitpunkt der Hauptverhandlung entschuldigt war.

2. Bei „Auslösung“ der Aufklärungspflicht durch Einreichung eines ärztlichen Attests kann das Gericht sich nicht auf Informationen vom „Hörensagen“ einer Kollegin des das Attest ausstellenden Mediziners stützen.

Verwerfung I: Ausbleiben genügend entschuldigt?, oder: Stationär behandlungsbedürftige Erkrankung

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Und heute dann drei Entscheidungen zu „Verwerfungsfragen“, und zwar zweimal Verwerfung der Berufung und einmal Verwerfung des Einspruchs im Bußgeldverfahren.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 09.12.2024 – 203 StRR 591/24.

Das LG hat die Berufung des vom AG verurteilten Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil er unentschuldigt trotz ordnungsgemäßer Ladung in dem Termin zur Hauptverhandlung am 02.08.2024 ausgeblieben wäre. Die im Termin vorgelegte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 01.082024 belege keine Verhandlungsunfähigkeit. Dagegen die Revision des Angeklagten, die beim LG keinen Erfolg hatte:

„…..

3. Die Verfahrensrüge des Angeklagten genügt diesen Anforderungen nicht.

a) Wie oben dargestellt, hat die Revision, will sie eine fehlerhafte Beurteilung des Tatrichters rügen, umfassend und vollständig die Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass dem Angeklagten das Erscheinen unmöglich oder unzumutbar war und das Berufungsgericht von diesem Entschuldigungsgrund Kenntnis hatte. Nachträglich hinzugekommene Informationen sind insoweit nicht von Bedeutung. Danach ist zwar die Rechtsauffassung des Landgerichts, mangels rechtzeitigen Nachweises einer Verhandlungsunfähigkeit sei von einer nicht ausreichenden Entschuldigung auszugehen, zu beanstanden, da es nach § 329 Abs. 1 StPO auf eine Verhandlungsunfähigkeit nicht ankommt. Allerdings enthält die in der Revisionsschrift wiedergegebene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weder Angaben zu einer Diagnose noch zu einer Symptomatik. Aus ihr war daher eine genügende Entschuldigung nicht abzuleiten. Dass der Angeklagte sich laut seiner ebenfalls in der Rechtfertigungsschrift zitierten nächtlichen Mitteilung an den Verteidiger subjektiv „wegen Krankheit“ nicht in der Lage gesehen hat, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, und beabsichtigt hat, am Morgen zur stationären Behandlung ein Krankenhaus aufzusuchen, genügt auch in Verbindung mit der auf die Bestätigung einer Arbeitsunfähigkeit beschränkten Bescheinigung für eine Entschuldigung des Fernbleibens nicht. Dafür hätte es zumindest der Angabe einer konkreten Symptomatik bedurft. Die vom Angeklagten behauptete stationäre Behandlungsbedürftigkeit ändert daran nichts. Denn nicht jede stationär behandlungsbedürftige psychische Erkrankung entschuldigt ein Fernbleiben von einem bereits seit längerem anberaumten Gerichtstermin. Zu einer sofortigen stationären Aufnahme des Angeklagten am Tag der Hauptverhandlung oder einer ambulanten ärztlichen Behandlung ist es auch nach dem Vorbringen der Revision nicht gekommen, vielmehr wurde die stationäre Behandlung zunächst aufgeschoben. Selbst ein stationärer Aufenthalt in einem Krankenhaus ist in der Regel kein Entschuldigungsgrund, wenn er aufschiebbar ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 20. Februar 2024 – 2 ORs 3/24 –, juris Rn. 12 m.w.N.).

b) Soweit der Angeklagte ein Aufklärungsdefizit des Tatrichters rügt, fehlt es ebenfalls bereits an einer hinreichenden Darlegung der Erkrankung. Der Revisionsschrift lässt sich weder eine Diagnose noch ein genaues Ausmaß der körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung entnehmen. Der Vortrag, der Angeklagte hätte an einer akuten psychischen Erkrankung gelitten, die sich am Vortag der Hauptverhandlung abgezeichnet, an diesem Tage zur Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geführt, eine Anreise zum und eine Teilnahme am Hauptverhandlungstermin verhindert, am Tag der Hauptverhandlung eine stationäre Aufnahme indiziert und nach der Vorstellung in der Notfallsprechstunde einer psychiatrischen Institutsambulanz einer psychiatrischen Fachklinik in G. zum Eintrag in die dortige Warteliste geführt hätte, genügt nicht. Soweit der Angeklagte seine Revision auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützt, enthebt ihn dies nicht von dem oben dargelegten Vortragserfordernis, weil das verfahrensgegenständliche Attest keinen Aufschluss über den Krankheitszustand des Angeklagten am Verhandlungstag erbringt (vgl. auch KG Berlin, Urteil vom 24. Juli 2023 – 3 ORs 38/23 –, juris Rn. 9).

c) Bezüglich der Angriffsrichtung eines Aufklärungsdefizits kommt es nicht mehr maßgeblich darauf an, dass der Beschwerdeführer innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO kein Beweismittel bezeichnet hat, das dem Tatrichter in der Hauptverhandlung als Erkenntnismöglichkeit für eine verlässliche Klärung des Zustands des Angeklagten zur Verfügung gestanden hätte. Die Bescheinigung der Klinik ist erst nach dem Termin vorgelegt worden. Dass der Tatrichter zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung Kenntnis von der Institutsambulanz als möglicher Quelle für das Abschöpfen von Informationen zum Gesundheitszustand des Angeklagten gehabt hätte, ist ebenso wenig vorgetragen wie mögliches substanzielles Wissen des die Arbeitsunfähigkeit bestätigenden Arztes.

d) Das am 18. November 2024 in der Revision nachgeschobene Vorbringen zu einer während eines stationären Aufenthalts vom 3. September 2024 bis zum 23. Oktober 2024 diagnostizierten rezidivierenden depressiven Störung, schwere Episode ohne psychotische Symptome, ist nach dem Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO nicht mehr geeignet, die unzulässige Verfahrensrüge zu heilen.

II.

Die Rüge wäre auch unter Berücksichtigung des Vorbringens vom 18. November 2024 unbegründet. Denn dass dem Angeklagten am Tag der Hauptverhandlung nach den Umständen des Einzelfalles ein Erscheinen nicht zumutbar gewesen wäre und ihm deshalb wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann, ergibt sich daraus nicht. Der Angeklagte hat auch in diesem Vortrag nicht dargetan, dass und weshalb gerade am Terminstag eine sofortige stationäre oder ambulante Behandlung angezeigt oder dass er aus sonstigen objektivierbaren Gründen am Erscheinen gehindert gewesen wäre. Alleine der Umstand, dass er an einer Depression leidet und sich subjektiv nicht in der Lage gefühlt hat, zum Termin zu erscheinen, stellt keinen ausreichenden Entschuldigungsgrund für sein Fernbleiben dar.“