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StPO III: Urteilsgründe des Verwerfungsurteils, oder: Wiedergabe/Würdigung der Entschuldigungsgründe

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Und dann habe ich noch den BayObLG, Beschl. v. 07.04.2025 – 206 StRR 105/25 – zu den Urteilsgründen betreffend die Entschuldigungsgründe in einem Berufungsverwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO.

Das AG hatte den wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte u. a. verurteilt. Das LG hat die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten verworfen. Zur Begründung der Verwerfung hat es ausgeführt, der zum Hauptverhandlungstermin ordnungsgemäß geladene und über die Folgen eines nicht oder nicht genügend entschuldigten Ausbleibens belehrte Angeklagte sei ohne hinreichende Entschuldigung nicht erschienen. Das LG hat zur weiteren Begründung dann noch ausgeführt:

„Eine Nachfrage bei der das Attest über eine angebliche Verhandlungsunfähigkeit ausstellende Ärztin ergab, dass diese den Angeklagten nicht untersucht hat. Folglich stellt dieses keine hinreichende Entschuldigung dar. Der Verteidiger ist nicht im Besitz einer schriftlichen Vertretungsvollmacht.“

Das reicht dem BayObLG nicht, so dass es das Verwerfungsurteil wegen einer Lücke in der Begründung aufgehoben hat:

1. Das zulässige Rechtsmittel hat auch einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.

a) Die Revision ist unter Heranziehung des gebotenen großzügigen Maßstabes noch zulässig (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt im Einzelnen Senat, Beschluss vom 14.11.2024, 206 StRR 388/24, BeckRS 2024, 31758). Eine Verfahrensrüge ist zwar nicht ausdrücklich erhoben. Die Revisionsbegründung ist jedoch auslegungsfähig; es kommt nicht darauf an, wie der Beschwerdeführer die Rüge bezeichnet, entscheidend ist ihre wirkliche rechtliche Bedeutung auf der Grundlage des Revisionsvorbringens (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 344 Rdn. 20a m. w. N.). Hier kann dem Revisionsvortrag (noch) die Zielrichtung entnommen werden, dass das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt habe (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt aaO § 329 Rdn. 48; BeckOK-StPO/Eschelbach, 54. Edition, § 329 Rdn. 67).

b) Die so verstandene Verfahrensrüge, die den formalen Anforderungen an eine solche noch gerecht wird (vgl. insoweit OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.11.2015, 1 Ss 322/15, BeckRS 2016, 2450, dort Rd. 4), greift auch durch (vgl. Senat, Beschluss vom 27.03.2024, 206 StRR 98/24, BeckRS 2024, 5807 zu einem vergleichbaren Sachverhalt).

Das Urteil des Landgerichts genügt nicht den von der Rechtsprechung an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 329 StPO ergangenen Verwerfungsurteils zu stellenden Anforderungen. Nach ständiger Rechtsprechung muss das nach § 329 StPO ergangene Urteil so begründet werden, dass das Revisionsgericht die maßgebenden Erwägungen des Berufungsgerichts nachprüfen kann. So müssen vorgebrachte Entschuldigungsgründe und als Entschuldigung in Betracht kommende Tatsachen wiedergegeben und gewürdigt werden. Dies folgt schon daraus, dass das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gebunden ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 05.04.2023, 203 StRR 95/23, zitiert nach juris, dort Rdn. 4).

Im Urteil des Landgerichts findet sich weder eine in sich geschlossene Darstellung der vom Angeklagten vorgebrachten Entschuldigungsgründe noch ist allein anhand der Entscheidungsgründe nachvollziehbar, warum das Landgericht den Angeklagten nicht als entschuldigt angesehen hat. Aus den dort niedergelegten Erwägungen des Landgerichts lässt sich zwar inzident darauf schließen, dass es zu einer telefonischen Kontaktaufnahme der Vorsitzenden mit der behandelnden Ärztin gekommen sein muss. Welchen näheren Inhalt das Gespräch hatte und mit wem genau es geführt wurde, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Ein Rückgriff auf das Hauptverhandlungsprotokoll oder die Akten ist dem Senat verwehrt. Er kann daher nicht beurteilen, ob die Kammer zurecht angenommen hat, dass der Angeklagte nicht entschuldigt ist, weil ihm ein Erscheinen zur Hauptverhandlung zumutbar war. Allein die Tatsache, dass die Ärztin den Angeklagten am Tag der Hauptverhandlung nicht untersucht hat, führt jedenfalls nicht ohne weiteres dazu, dass eine Verhandlungsunfähigkeit nicht vorgelegen hat; dies hängt u. a. von der Art der Erkrankung und den (Vor-)Kenntnissen der Ärztin von der Krankheit und dem Angeklagten ab.

Zwar rechtfertigt ein Verstoß gegen die Pflicht des Berufungsgerichts, das Entschuldigungsvorbringen lückenlos darzustellen und umfassend zu würdigen, die Aufhebung eines Verwerfungsurteils nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO dann nicht, wenn das angefochtene Urteil nicht auf diesem Fehler beruht, wovon insbesondere dann auszugehen ist, wenn das übergangene Vorbringen des Angeklagten ganz offensichtlich ungeeignet wäre, das Ausbleiben zu entschuldigen (vgl. Senat, Beschluss vom 27.03.2024, 206 StRR 98/24, BeckRS 2024, 5807, Rdn. 11 m w. N.). Im Hinblick auf das Revisionsvorbringen des Angeklagten kann hiervon jedoch vorliegend nicht ausgegangen werden.“

BtM II: Zurückstellung der Vollstreckung (§ 35 BtMG), oder: Kausalzusammenhang und Therapieunwilligkeit

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Im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen aus Bayern zu § 35 BtMG. Insoweit stelle ich aber auch nur die Leitsätze vor. Die lauten:

Ein Kausalzusammenhang zwischen Abhängigkeit und Straftat im Sinne von § 35 Abs. 1 BtMG ist gegeben, wenn die Abhängigkeit nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass die Straftat entfiele. Hat sich das Tatgericht weder mit der Frage einer Betäubungsmittelabhängigkeit zur Tatzeit noch mit der Frage einer Kausalität substantiiert befasst, kommt der floskelhaften Aussage im Hauptverhandlungsprotokoll, das Gericht gehe davon aus, dass der Angeklagte die Tat aufgrund Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hätte, keine Bindungswirkung für die Vollstreckungsbehörde zu.

Die Ablehnung einer Zurückstellung nach § 35 BtMG wegen fehlender Therapiewilligkeit hat Ausnahmecharakter. Für eine fehlende Therapiewilligkeit kann sprechen, dass ein Verurteilter in einer besonders verantwortungslosen und leichtfertigen Weise Therapiechancen vergab, etwa indem er bereits therapieerfahren im Maßregelvollzug verschiedene Regelverstöße beging, sich der Fortsetzung der Therapie verschloss und aus dem Vollzug floh.

Befangenheit I: Selbstanzeige eines Revisionsrichters, oder: Bekanntschaft mit vernommenem LG-Zeugen

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Heute ist zwar Feiertag, und zwar Christi Himmelfahrt oder „Vatertag“ – jeder wie er es mag 🙂 -, aber ich mache hier mal das „normale“ Programm. Und in dem gibt es heute drei Entscheidungen zur Besorgnis der Befangenheit. Einmal BGh, einmal BayObLG und einmal AG.

Ich beginne mit dem BayObLG, und zwar mit dem BayObLG, Beschl. v. 17.02.2025 – 203 StRR 659/24. Ergangen ist der Beschluss, aus dem ich schon gestern den BayObLG, Beschl. v. 03.03.2025 – 203 StRR 659/24 – zur Bestechlichkeit und zur Amtsträgereigenschaft vorgestellt habe (StGB III: Bestechunge des unzuständigen Amtsträgers?, oder: Abgrenzung von Dienst- und privater Handlung). Jetzt also der Beschluss vom 17.02.2025 zur Besorgnis der Befangenheit, des Revisionsrichtets wegen eines Bekanntschaftsverhältnisses mit einem Zeugen.

In dem Verfahren hatte der nach der internen Geschäftsverteilung des 3. Strafsenats des BayObLG zur Mitwirkung am Revisionsverfahren als Berichterstatter bestimmte Richter S. am 27.12.2024 gemäß § 30 StPO eine Selbstanzeige abgegeben. Außerdem hatte der nach dem Geschäftsverteilungsplan des BayObLG für die Strafsenate als Vertreter berufene Richter am BayObLG W. hat mit dienstlicher Erklärung vom 31.01.2025 gemäß § 30 StPO ebenfalls angezeigt, dass er bereits seit seiner Jugend mit dem vom LG in dem Verfahren als Zeugen vernommenen stellvertretenden Hauptgeschäftsführer der IHK und Leiter der Abteilung Recht und Steuern, dem Zeugen B., bekannt sei und eine freundschaftliche Beziehung zu ihm pflege. Der Zeuge B. wäre bei der IHK im Jahr 1995 sein Amtsnachfolger geworden und hätte diese Stelle durch seine Vermittlung erhalten. Man treffe sich nach wie vor regelmäßig und tausche sich über die beiderseitigen Tätigkeiten aus. Er könne nicht ausschließen, dass dabei auch über den verfahrensgegenständlichen Sachverhalt gesprochen worden sei. Die IHK habe das Strafverfahren mit einer Strafanzeige, in deren Erstellung der Zeuge eingebunden gewesen sei, initiiert.

Das BayObLG hat die Selbstanzeige für W. als begründet erklärt:

„2. Das Gericht entscheidet nach § 27 Abs. 1 i.V.m. § 30 StPO grundsätzlich ohne die Mitwirkung des von der Selbstanzeige betroffenen Richters. Nachdem sowohl der Vorsitzende des 3. Strafsenats als auch das weitere Senatsmitglied Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht S. zum Zeitpunkt der Beschlussfassung urlaubsbedingt abwesend sind, bedarf die vom BGH in seiner Entscheidung vom 26. September 2023 (- 5 StR 164/22 -, juris Rn. 23 ff.; vgl. auch Cirener in BeckOK StPO, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 30 Rn. 6 und 7) aufgeworfene Frage, ob die Wartefrist nach § 29 Abs. 1 StPO über ihren Wortlaut hinaus auch für den Richter gilt, der die Selbstanzeige abgegeben hat, aber von den Verfahrensbeteiligten nicht abgelehnt worden ist, mit der Folge, dass der eine Selbstanzeige abgebende Richter bei allen nach der Selbstanzeige zu treffenden Entscheidungen bis zur Entscheidung über die Selbstablehnung nicht mitwirken dürfte, bevor das gegen ihn gerichtete Gesuch zurückgewiesen oder verworfen wurde (vgl. Heil in KK-StPO, 9. Aufl. § 27 Rn. 3 zum Befangenheitsgesuch), keiner Entscheidung.

III.

Die Selbstanzeige des Richters am Bayerischen Obersten Landesgericht W. vom 31. Januar 2025 wird für begründet erklärt.

1. Nach § 30 StPO hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch nicht angebracht ist, ein Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 StR 159/17 –, juris Rn. 60 m.w.N.).

2. Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen sind dabei der Standpunkt eines besonnenen Angeklagten und die Vorstellungen, die er sich bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juni 2024 – 2 StR 51/23 –, juris Rn. 35). Nicht erheblich ist, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist oder nicht (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2023 – 2 StR 195/23 – BGHSt 68, 74, juris Rn. 22).

3. Persönliche Beziehungen des Richters zu Angeklagten, Verletzten oder Zeugen vermögen je nach Intensität und konkreter Sachlage die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2023 a.a.O. Rn. 24 m.w.N.). Sie lassen eine Ablehnung aber nur dann als begründet erscheinen, wenn eine besonders enge Beziehung vorliegt oder ein besonderer Zusammenhang mit der Strafsache besteht, der besorgen lässt, dass der Richter der Sache nicht mit der gebotenen Unvoreingenommenheit gegenübersteht (vgl. BGH a.a.O. Rn. 24 m.w.N.; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 24 Rn. 11; Conen/Tsambikakis in: MüKo StPO, 2. Aufl., § 24 Rn. 28).

4. Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Besorgnis der Befangenheit begründet. Denn es liegt ein Sachverhalt vor, der mit Blick auf die Gesamtschau der Umstände, insbesondere der langjährigen persönlichen Freundschaft des Richters zu dem Zeugen B., dessen Stellung bei der IHK und der möglichen persönlichen Betroffenheit des Zeugen resultierend aus der Behauptung des Angeklagten, innerhalb der IHK hätten nicht unerhebliche Organisationsmängel vorgelegen, aus der Sicht eines unbefangenen Angeklagten auch unter den Bedingungen des Revisionsverfahrens, in dem die angegriffene Entscheidung nur auf Rechtsfehler geprüft wird, den Anschein erwecken kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Hierbei hat der Senat auch berücksichtigt, dass sich das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung mit der Einlassung des Angeklagten befasst hat, der Zeuge B. hätte nicht hingeschaut (Urteil S. 18, 43 f.). Die IHK führt zudem nach den Feststellungen des Landgerichts einen Prozess vor dem Arbeitsgericht Nürnberg auf Erstattung der ihr entstandenen Rechtsverfolgungs- und Aufarbeitungskosten im Zusammenhang mit den Bestechungshandlungen des Angeklagten; es seien Kosten von insgesamt etwa 380.000 € angefallen (Urteil S. 42).“

TOA III: Wiedergutmachungserfolg als Voraussetzung?, oder: Schweigen des Opfers

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Und dann noch das dritte Posting zum Täter-Opfer-Ausgleich, und zwar mit dem BayObLG, Urt. v. 17.03.20225 – 203 StRR 613/24.

Das AG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Das LG hat die Strafmaßberufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie u.a. die Bejahung eines Täter-Opfer-Ausgleichs angreift. Ohne Erfolg.

Das AG hatte im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte hatte seit dem Jahr 2021 eine sexuelle Beziehung zur Geschädigten unterhalten und hielt sich des öfteren in ihrer Wohnung auf. Am 1. August 2022 legte er sich alkoholbedingt enthemmt zu der bereits neben ihrem 5 jährigen Sohn schlafenden Geschädigten ins Bett, zog ihr Nachthemd hoch, drang mit seinem Penis in die Scheide der Zeugin ein und vollzog mit mehreren Stoßbewegungen den vaginalen Geschlechtsverkehr. Dabei wusste er, dass die Geschädigte fest schlief, nahm billigend in Kauf, dass diese den Geschlechtsverkehr nicht wollte, und nutzte ihren Zustand bewusst für die Ausführung des Aktes. Als die Geschädigte erwachte und ihn von sich wegstieß, ließ der Angeklagte von ihr ab, ohne dass es zu einem Samenerguss gekommen war.“

Das LG hat die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB bejaht. Das BayObLG hat das nicht beanstandet:

„b) Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB und die Ausübung des tatrichterlichen Ermessens werden im Gesamtzusammenhang der Ausführungen noch hinreichend belegt.

aa) Ob das Tatgericht die Voraussetzungen des § 46a StGB annimmt, hat es in wertender Betrachtung zu entscheiden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 StR 403/21 –, juris Rn. 4 m.w.N.). Dazu hat es hinreichende Feststellungen zu treffen, welche Schäden das Opfer durch die Tat erlitten hat und welche Folgen fortbestehen. § 46a Nr. 1 StGB verlangt, dass der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat „ganz oder zum überwiegenden Teil“ wieder gutgemacht hat, wobei es aber auch ausreichend sein kann, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt (BGH, Urteil vom 25. Juli 2024 – 1 StR 471/23 –, juris Rn. 16 m.w.N.). Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss (st. Rspr.; vgl. BGH a.a.O. Rn. 16 m.w.N.). Ein kommunikativer Prozess in diesem Sinne setzt voraus, dass das Verhalten des Täters im Verfahren Ausdruck der Übernahme von Verantwortung” ist, um die friedensstiftende Wirkung der Schadenswiedergutmachung zu entfalten (BGH a.a.O. Rn. 16). Die Bemühungen des Täters müssen zumindest den Versuch der Einbeziehung des Opfers in den kommunikativen Prozess enthalten (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2005 – 1 StR 287/05 –, juris Rn. 9). Bloß einseitige Bemühungen des Täters ohne den Versuch einer Einbindung des Opfers sind nicht ausreichend (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2015 – 3 StR 89/15 –, juris Rn. 11 m.w.N.). Der kommunikative Prozess setzt andererseits keine persönliche Begegnung oder Besprechung des Täters mit seinem Opfer voraus. Eine Verständigung über vermittelnde Dritte, etwa den Verteidiger und einen Bevollmächtigten kann genügen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2023 – 6 StR 275/23 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Bei Sexualdelikten und im Falle von traumatisierten Opfern kann eine Einschaltung von Dritten als opferschonendes Vorgehen ratsam sein (vgl. BGH a.a.O. Rn. 6).

bb) Ein „Wiedergutmachungserfolg“ ist keine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2024 – 1 StR 471/23 –, juris Rn. 19 m.w.N.; ausführlich Kinzig in Schönke/Schröder, 30. Aufl., StGB § 46a Rn. 2). Äußert sich das Opfer nicht zu einem vereinbarten Ausgleich oder Bemühungen des Täters, so kann auch daraus nicht in jedem Fall, insbesondere nicht im Rahmen von persönlichen Beziehungen, auf eine Zurückweisung durch das Opfer mit der Konsequenz eines nicht erfolgreichen Ausgleichs geschlossen werden. Vielmehr kommt es im Einzelfall darauf an, ob das Schweigen des Verletzten als eine solche inhaltliche Ablehnung zu beurteilen ist (detailliert BGH, Urteil vom 24. August 2017 – 3 StR 233/17-, juris Rn. 14 ff.; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02 –, BGHSt 48, 134-147, juris Rn. 22). Die Anwendbarkeit des Strafmilderungsgrundes soll nicht ausschließlich vom Willen des Opfers abhängen; nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte dem Täter in den Fällen, in denen eine vollständige Wiedergutmachung nicht möglich wäre, eine realistische Chance eingeräumt werden, in den Genuss der Strafmilderung zu gelangen, etwa bei Verweigerung der Mitwirkung durch das Opfer. Als einschränkendes Kriterium fordert die Vorschrift aber das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, als Rahmenbedingung (vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 21). Das bedeutet, dass das Bemühen des Täters gerade darauf gerichtet sein muss, zu einem friedensstiftenden Ausgleich mit dem Verletzten zu gelangen; der Täter muss demnach in dem ernsthaften Bestreben handeln, das Opfer „zufriedenzustellen“ (BGH, Urteil vom 15. Januar 2020 – 2 StR 412/19 –, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02-, juris Rn. 24), ohne dass ihn vorrangig eine anderweitige Motivation antreibt.

cc) Gemessen daran durfte das Landgericht die Voraussetzungen von § 46a StGB bejahen. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der von Anfang an geständige Angeklagte bei derGeschädigten in der ersten Instanz entschuldigt (Urteil S. 10, 15) und ihr ungeachtet einer schwierigen Beweislage (Urteil S. 15) von vorne herein eine Aussage erspart. Zudem hat er, obgleich in beschränkten finanziellen Verhältnissen lebend, sich ihr gegenüber „verpflichtet“, an sie eine Zahlung von 3500.- Euro als Entschädigung zu leisten (Urteil S. 17) und bereits einen Betrag von 1000.- Euro bezahlt (Urteil S 17, 18). Die Geschädigte ihrerseits hat bei ihrer gerichtlichen Einvernahme die erstinstanzlich ausgesprochene Freiheitsstrafe von zwei Jahren als gerechten Schuldausgleich beurteilt und ein darüber hinaus gehendes Strafverfolgungsinteresse verneint (Urteil S. 15). Der Senat kann daher den Urteilsgründen noch hinreichend entnehmen, dass das Landgericht die gebotene wertende Entscheidung getroffen hat und dass die Geschädigte die finanzielle Entschädigung angenommen und die Vereinbarung als friedensstiftende Konfliktregelung innerlich akzeptiert hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 24. August 2017 – 3 StR 233/17-, juris; Maier in MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 46a Rn. 29).“

Straßenblockade/Nötigung des „Klimastraßenklebers, oder: Gewaltbegriff des § 240 StGB

Zum Wochenstart stelle ich heute zwei Entscheidungen des BayObLG zu Themen vor, die in der letzten Zeit die Rechtsprechung häufig(er) beschäftigt haben.

Hier ist zunächst der BayObLG, Beschl. v. 11.03.2025 – 203 StRR 1/25 – noch einmal zur Frage der Nötigung in einem „Klimakleberfall“. Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Die Angeklagte beteiligte sich am 16. August 2022 um die Mittagszeit am Bahnhofsplatz in N. an einer politisch motivierten, von den Teilnehmern geplanten, gleichwohl unangekündigten Straßenblockade, indem sie sich gegen 11.58 Uhr gemeinsam mit den weiteren Teilnehmern dem gemeinsamen Tatplan folgend auf die zu diesem Zeitpunkt vom öffentlichen Verkehr genutzte Fahrbahn setzte, um für die Kraftfahrzeugführer ein unüberwindbares Hindernis zu bilden, wobei sich einzelne Mitaktivisten, wie von vorne herein in der Gruppe abgesprochen und von der Angeklagten mitgetragen, zu diesem Zweck zudem auf die Fahrbahn klebten. Eine Ausweichmöglichkeit für die betroffenen Fahrzeugführer bestand nicht. Das Ziel der Aktion war es, die Bevölkerung für den Klimawandel zu sensibilisieren. Den Aufforderungen der Polizei, die Fahrbahn für den Verkehr freizugeben, leisteten die Angeklagte und die weiteren Teilnehmer der Protestaktion keine Folge. Wie von der Angeklagten und den weiteren Teilnehmern beabsichtigt, hielten die in beide Richtungen fahrenden Fahrzeugführer vor den Protestierenden an mit der Folge, dass auch die ihnen nachfolgenden 10 Fahrzeugführer für eine Zeitdauer zwischen 25 und 40 Minuten an ihrer Weiterfahrt gehindert wurden. Die Angeklagte wurde um 13.05 Uhr von Einsatzkräften von der Fahrbahn getragen. Um 15.04 Uhr wurde die Fahrbahn in beide Richtungen wieder für den Verkehr freigegeben.“

Das BayObLG hat gegen die Verurteilung wegen Nötigung (§ 240 StGB) keine Einwände:

„3. Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung wegen Nötigung in 10 tateinheitlichen Fällen.

a) Indem sich die Angeklagte gemeinsam mit den weiteren Aktivisten absprachegemäß auf die Fahrbahn setzte und durch dieses Verhalten dem gemeinsam gefassten Tatplan gemäß die Fahrer der Fahrzeuge der ersten Reihe, die die Blockierer nicht überfahren wollten, willentlich zum Halten brachte, schuf sie mittels der stehenden Fahrzeuge der ersten Reihe jedenfalls für die diesen nachfolgenden 10 Fahrzeugführer eine physische Barriere (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 -, juris Rn. 33). Sie bewirkte, dass die Fortbewegung von mindestens 10 Personen ohne deren vor der von den Tätern begründeten Zwangslage gefassten Einverständnis (vgl. Sinn in MüKoStGB, 4. Aufl., § 240 Rn. 104) durch die Fahrzeuge, die in erster Reihe hielten, unüberwindbar blockiert und ihre Weiterfahrt für eine tatbestandserhebliche Zeitspanne von mindestens 25 Minuten (Urteil S. 7) verhindert wurde.

b) Ob sich die von der Blockadeaktion objektiv betroffenen Fahrzeugführer von der Aktion subjektiv belästigt fühlten oder nach dem erzwungenen Anhalten die Wartezeit für sich akzeptierten, ist für den Gewaltbegriff ohne Relevanz. Die Empfindungen des Opfers, wenn es sein Verhalten nicht an seinem Willen, sondern an dem des Täters ausrichtet, sind ohne Bedeutung. Eine Nötigung liegt auch dann vor, wenn die vor einer Blockade zum Halt gebrachten Personen das Geschehen belustigt oder – etwa wegen des Dienstausfalls – erfreut zur Kenntnis nehmen. Allein entscheidend ist, dass sie an ihrem ursprünglichen Vorhaben gewaltsam gehindert wurden (Altvater/Coen in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 240 StGB Rn. 105 m.w.N.). Die von der Revision unter Berufung auf diesen Aspekt vermisste Vernehmung der Geschädigten war daher nicht erforderlich.

c) Soweit die Revision bezüglich der von ihr angezweifelten Zeitangaben auf die verakteten Vernehmungsprotokolle der Geschädigten verweist, ist dieser Vortrag urteilsfremd. Eine diesbezügliche Verfahrensrüge hat die Angeklagte nicht zulässig erhoben.

d) Ob darüber hinaus das der Angeklagten über die Rechtsfigur der Mittäterschaft nach § 25 StGB zurechenbare Ankleben auf der Fahrbahn von Seiten anderer Blockierer eine über die bloße Anwesenheit hinausgehende Kraftentfaltung darstellt, die bereits von den Fahrzeugführern der ersten Reihe als körperlich wirkender Zwang empfunden wurde (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Februar 2025 – 2 ORs 350 SRs 613/24 –, juris Rn. 10; im Ergebnis auch KG Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2024 – 3 ORs 69/23 –, juris Rn. 9; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juli 2015 – 2 Ss 9/15 –, juris Rn. 20 zum Anketten; BGH, Beschluss vom 23. April 2002 – 1 StR 100/02 –, juris zu einem Klettern auf die Motorhaube; BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, juris Rn. 33 zum Umlegen und verschließen einer Kette; Altvater/Coen a.a.O. § 240 StGB Rn. 39 zum Festketten), so dass es auf die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht ankommen würde, kann der Senat hier nach der Verfahrensbeschränkung dahinstehen lassen.

e) Dass das Landgericht eine physische und psychische Beihilfe zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 Alt. 1 StGB nicht erörtert hat (für eine Strafbarkeit KG Berlin, Beschluss vom 14. November 2024 – 3 ORs 65/24 –, juris zum Ankleben an einen Reisebus; KG Berlin, Beschluss vom 16. August 2023 – 3 ORs 46/23 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 10. Juli 2024 – 3 ORs 30/24 –, juris), beschwert die Angeklagte nicht.

f) Die Prüfung des Eingreifens allgemeiner Rechtfertigungsgründe und der Verwerflichkeit genügt ebenfalls den Anforderungen der Rechtsprechung für den Fall politischer Protestaktionen (vgl. Senat, Beschluss vom 12. November 2024 – 203 StRR 250/24-, juris; BayObLG, Beschluss vom 21. April 2023 – 205 StRR 63/23 –, juris Rn. 38 ff.; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, juris). Die Revision zeigt auch insoweit keinen Rechtsfehler auf.“