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StGB III: Strafbarer Kommentar zu Klimakleber?, oder: „Einfach drüber fahren selbst schuld ……“

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Und dann habe ich hier noch das schon etwas ältere BayObLG, Urt. v. 06.05.2024 – 203 StRR 111/24. Ausgangspunkt ist eine „Klimakleberaktion“. Es geht hier aber nicht um die Strafbarkeit einer „Klimaaktivistenaktion“ sondern um einen Kommentar, den der Angeklagte zu einem Beitrag der vom BR auf YouTube veröffentlicht worden ist, abgegeben hat.

Das AG hatte den Angeklagten deswegen wegen der Billigung von Straftaten zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG den Angeklagten freigesprochen und hierzu folgende Feststellungen getroffen:

„Dem Angeklagten wurde durch die Generalstaatsanwaltschaft München zur Last gelegt, am 23.02.2022 gegen 13:16 Uhr zu einem durch den Bayerischen Rundfunk (Redaktion BR 24) auf der Internetplattform YouTube veröffentlichten Beitrag mit dem Titel „Verkehrschaos auf Frankenschnellweg: Aktivisten kleben sich auf Straße“, dessen Gegenstand eine Reportage über Klimaaktivisten, welche sich am selben Tag auf einer Abfahrt des Frankenschnellwegs mit den Händen auf den Asphalt geklebt hatten, um gegen die Verschwendung von Lebensmitteln zu demonstrieren, unter dem Benutzernamen „F. S.“ folgenden Kommentar veröffentlicht zu haben:

„Einfach drüber fahren selbst schuld wenn man so blöd is und sich auf die Straße klebt“ (Schreibfehler übernommen).“

Die Generalstaatsanwaltschaft warf dem Angeklagten vor, mit diesem Kommentar zum Ausdruck bringen haben zu wollen, dass er die Tötung oder jedenfalls erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit der auf dem Lichtbild abgebildeten und konkret bestimmbaren Klimaaktivisten gutheißen würde. Da der Kommentar für alle YouTube-Nutzer weltweit einsehbar gewesen sei, was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen habe, sei die Größe des Personenkreises, dem der Kommentar zugänglich gemacht wurde, für den Angeklagten nicht mehr kontrollierbar gewesen. Ferner sei der Kommentar auch geeignet gewesen, bei einer nicht unerheblichen Personenanzahl der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland eine Erschütterung des Vertrauens in die öffentliche Rechtssicherheit hervorzurufen, was der Angeklagte ebenfalls zumindest billigend in Kauf genommen habe.

Der Angeklagte habe nach seiner Einlassung gegenüber dem LG nicht in Abrede gestellt, den Kommentar auf der Plattform YouTube veröffentlicht zu haben. Er habe das Verhalten der Klimaaktivisten als lästig und behindernd empfunden, zumal zu Stoßzeiten, wo Arbeitnehmer zur Arbeit fahren wollen. Seinen Beitrag habe er als Teil einer öffentlichen Debatte, die teilweise heftig geführt werde, gemeint. Er habe keinesfalls jemanden dazu ermutigen wollen, tatsächlich einfach die Klimaaktivisten zu überfahren, vielmehr habe er sich an der Diskussion, ob das Verhalten der Aktivisten Nötigung darstelle und somit Notwehr hiergegen erlaubt sei, beteiligen wollen. Eigentlich habe er statt „drüber fahren“ „beiseite schieben“ schreiben wollen, dann habe er wohl zu impulsiv formuliert, dies möglicherweise gefördert durch seine bereits in seiner Kindheit diagnostizierte ADHS-Erkrankung, und habe stattdessen den ihm zur Last gelegten Text geschrieben und veröffentlicht. Dies sei aufgrund seines aufgebrachten Zustands und seiner Impulsivität überspitzt formuliert, aber von ihm keineswegs ernst gemeint gewesen. Er sei auch nicht davon ausgegangen, dass jemand einen solchen Kommentar tatsächlich als Aufforderung verstehen könne und dementsprechend handele (Ziffer II. 2. der Gründe).

Das BayObLG hat den Freispruch „gehalten“. Hier die Leitsätze zu der umfangreich begründeten Entscheidung:

1. Eine Äußerung, die bereits bei objektiver Auslegung ihres Erklärungsinhalts für jeden vernünftig denkenden Menschen eine nicht ernstlich gemeinte Erklärung darstellt, und die vom Angeklagten in der Erwartung abgegeben wurde, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt, erfüllt nicht den Tatbestand des Billigens von Straftaten.

2. Die Teilnehmer an einer Demonstration sind nicht als „Teile der Bevölkerung“ im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 1a StGB zu betrachten, da sie zwar durch gemeinsame äußere und innere Merkmale verbunden sein mögen, aber nur vorübergehend miteinander verbunden sind.

OWi I: Ohne Autopilot schlafend auf der BAB im Tesla, oder: Geltung des allgemeinen Straßenverkehrsrechts

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Heute dann der nächste OWi-Tag mit – zumindest einer – ungewöhnlichen bzw. nicht alltäglichen Entscheidung.

Und hier kommt die dann gleich, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 21.10.2024 – 202 ObOWi 644/24. Die Entscheidung ist schon etwas älter, ich habe sie aber erst vor kurzem erhalten.

Folgender Sachverhalt: Nach den Feststellungen des AG befuhr der Betroffene am 28.12.2022 zwischen 11:30 Uhr und 11:40 Uhr mit seinem Pkw Tesla Model „3 Performance“ die BAB 70 zwischen Eltmann und Bamberg in östlicher Richtung. Das Fahrzeug war mit der „Autopilot 3.0 Hardware“, der „Standard Autopilot Firmware“ und der Option „Autopilot“ ausgestattet, mit der es bestimmungsgemäß möglich ist, dass das Fahrzeug eigenständig die durch die Fahrbahn vorgegebene Spur hält, die dazu nötigen Lenkbewegungen ausführt und die eingestellte Geschwindigkeit einhält sowie diese bei erkannten Hindernissen reduziert bzw. vor solchen anhält. Um sicherzustellen, dass der Fahrzeugführer die Kontrolle über den Wagen behält, ist eine Sicherheitsfunktion eingebaut. Zum einen muss der Fahrer regelmäßig das Lenkrad etwas bewegen oder zumindest eine gewisse Kraft darauf ausüben, zum anderen überwacht eine Innenraumkamera, ob der Fahrer Kontakt zu dem Lenkrad und die Augen geöffnet hat. Diese Kontrollmechanismen wurden von dem Betroffenen dadurch umgangen, dass er sogenannte Lenkradgewichte am Lenkrad anbrachte und das Objektiv der Kamera abdeckte oder abklebte, um ein selbständiges Fahren zu ermöglichen.

In dem Streckenabschnitt ab Viereth bis zur Anschlussstelle 15 (Hallstadt) schlief der Betroffene während einer Strecke von mindestens 8 km (Fahrzeit knapp 5 Minuten) und hatte dadurch keinerlei Kontrolle über das Fahrzeug.

Deswegen hat das AG den Betroffenen wegen des vorsätzlichen Führens eines nicht vorschriftsmäßigen Fahrzeugs, wodurch die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt war, wobei der Betroffene fahrlässig das Fahrzeug trotz körperlicher oder geistiger Mängel geführt hat, ohne in geeigneter Weise Vorsorge getroffen zu haben, dass andere nicht gefährdet werden, zu einer Geldbuße von 250,00 EUR verurteilt. Das BayObLG hat das anders gesehen. Allerdings hat es nur die Rechtsgrundlage für die Verurteilung des Betroffenen „ausgetauscht“ und die Rechtsbeschwerde dann verworfen:

„Ein Verstoß gegen die in §§ 1a, 1b StVG geregelten Pflichten des Fahrzeugführers und Fahrzeuganforderungen bei Nutzung hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktionen liegt – entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft – nicht vor, weil diese Vorschriften hier nicht anwendbar sind. Es gelten vielmehr die allgemeinen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften.

aa) Die durch das 8. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 16.06.2017 (BGBl. 2017 I 1648) eingeführten §§ 1a-c StVG regeln die Nutzung und den zulässigen Betrieb hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktionen. Der Gesetzgeber hat dabei an die Klassifikation angeknüpft, die von dem durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten „Runden Tisch automatisiertes Fahren“ zugrundegelegt worden ist (BT-Drs. 18/11300 S. 12 a.E.).

Danach sind folgende Stufen des automatisierten Fahrens zu unterscheiden:

Stufe 1: Fahrassistenzsysteme: Hierbei wird in gewissen Grenzen entweder die Längs- oder die Querführung des Fahrzeugs übernommen, wobei der Fahrer das System dauerhaft überwachen und zum Eingreifen bereit sein muss. Beispiele für solche Assistenzsysteme sind die adaptive Abstands- und Geschwindigkeitsregelung und der Parkassistent.

Stufe 2: Beim teilautomatisierten Fahren übernimmt das System sowohl die Längs- als auch die Querführung des Fahrzeugs für einen gewissen Zeitraum oder in spezifischen Situationen. Der Fahrer muss das System jedoch nach wie vor dauerhaft überwachen und jederzeit zur vollständigen Übernahme der Fahraufgabe in der Lage sein. Ein Beispiel hierfür ist der Stauassistent.

Stufe 3: Wesentliches Unterscheidungsmerkmal hochautomatisierter Fahrfunktionen im Vergleich zu den vorangegangenen Automatisierungsstufen ist, dass das Fahrzeug die Längs- und Querführung für einen gewissen Zeitraum oder in spezifischen Situationen übernimmt und der Fahrer das System nicht mehr dauerhaft überwachen muss. Er muss dabei jedoch immer in der Lage sein, die Fahraufgabe nach Aufforderung mit einer angemessenen Zeitreserve wieder vollständig und sicher zu übernehmen.

Stufe 4: Bei vollautomatisierten Fahrfunktionen übernimmt das System die Fahrzeugführung in einem definierten Anwendungsfall vollständig und bewältigt alle damit verbundenen Situationen automatisch.

Stufe 5: Beim autonomen (fahrerlosen) Fahren als höchste Automatisierungsstufe übernimmt das System das Fahrzeug vollständig vom Start bis zum Ziel. Alle im Fahrzeug befindlichen Personen sind in diesem Fall Passagiere (vgl. zum vorgenannten: „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren“, Herausgeber: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2015; Roshan, NJW-Spezial 2021, 137; Lange, NZV 2017, 345, 346; BeckOK/Will StVR [Stand: 15.04.2024] StVG § 1a vor Rn. 1).

Gegenstand der Bestimmungen der §§ 1a ff. StVG ist nicht der Betrieb eines Kraftfahrzeugs, das mit hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktionen ausgestattet ist, im öffentlichen Straßenverkehr an sich, sondern nur der Betrieb mittels dieser technischen Funktionen sowie die Pflichten des Fahrzeugführers bei der Verwendung hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktionen (BT-Drs. 18/11300 S. 20).

bb) Der vom Betroffenen zum Tatzeitpunkt gefahrene Pkw Tesla Model „3 Performance“ ist indes zu einer vollständigen Übergabe der Fahrzeugsteuerung auf die verbauten Assistenzsysteme nicht bestimmt und dazu auch nicht ausgelegt. Dies ergibt sich schon daraus, dass die angebrachten Kontrolleinrichtungen das Abwenden des Fahrers vom Verkehrsgeschehen gerade verhindern sollen. Der vollständigen Verlagerung der Fahrzeugführung auf die Assistenzsysteme wird herstellerseits durch taktile und optische Kontrollen entgegengewirkt.

Das vom Betroffenen geführte Fahrzeug ist somit der Kategorie des „teilautomatisierten Fahrens“ (Stufe 2) zuzuordnen. Nicht entscheidend kann dabei sein, dass das Fahrzeug durch vom Hersteller nicht gewollte Manipulationen auf eine höhere Automatisierungsstufe angehoben wird. Denn die Zuordnung zu einem bestimmten Automatisierungsgrad und damit die Anwendung der §§ 1a ff. StVG ist allgemein und einheitlich zu treffen. Die Entscheidung kann nicht durch das nicht normgemäße Verhalten im Einzelfall, das von den Sicherheitseinrichtungen im Fahrzeug gerade verhindert werden soll, abhängig gemacht werden.

Gehört das vom Betroffenen gefahrene Kraftfahrzeug der Stufe 2 an, fällt sein Betrieb nicht unter die §§ 1a und 1b StVG. Systeme dieser Stufe zeichnen sich dadurch aus, dass sich der Fahrzeugführer nicht von der Fahrzeugführung abwenden darf und jederzeit selbst eingreifen können muss (vgl. BeckOK/Will a.a.O.; Hentschel/König/Dauer/König Straßenverkehrsrecht 47. Aufl. § 1a StVG Rn. 10).
cc) § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO verpflichtet den Führer eines Kraftfahrzeugs dazu, dafür Sorge zu tragen, dass sich das Fahrzeug in einem vorschriftsmäßigen und verkehrssicheren Zustand befindet (vgl. OLG Saarbrücken DAR 2021, 566). Dies umfasst die Bau- und Betriebsvorschriften der §§ 32 bis 67 StVZO ebenso wie die Generalklausel des § 30 StVZO. Die Beschaffenheit von Fahrzeugen kann auch vorschriftswidrig sein, wenn Mängel vorhanden sind, die die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs beeinträchtigen oder andere Verkehrsteilnehmer belästigen. Vorschriftswidrig ist zudem eine Steigerung der normalen Gefahr des Fahrzeugs. Der Eintritt einer konkreten Gefährdung oder Belästigung anderer ist nicht erforderlich. Es genügt, dass eine solche wahrscheinlicher wird (OLG Bamberg DAR 2011, 212; NK-GVR/Krenberger 3. Aufl. § 23 StVO Rn. 6 m.w.N.). Grundsätzlich hat der Kraftfahrer alle an seinem Fahrzeug gegen eine mögliche Verkehrsgefahr vorgesehenen Sicherungseinrichtungen zu gebrauchen, auch wenn er deren Notwendigkeit nicht durchschaut (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß StVR 28. Aufl. § 23 StVO Rn. 13).

Durch das Anbringen der Lenkradgewichte und das Abkleben der Innenraumkamera hat der Betroffene den bestehenden Sicherheitsmechanismus gerade in der Absicht außer Kraft gesetzt, sich von der eigenen Verkehrsüberwachung abwenden und einschlafen zu können. Die von seinem Fahrzeug ausgehende normale Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer wurde dadurch beträchtlich erhöht. Selbst wenn durch die verbauten Assistenzsysteme eine Spurhaltung sowie eine Abstandskontrolle und Geschwindigkeitsreduktion möglich waren, konnten diese Einrichtungen allein ohne entsprechende Fahrzeugführung durch den Betroffenen möglichen Gefahrenmomenten, etwa durch Ereignisse oder sich entwickelnde Gefahrensituationen seitlich des Fahrzeugs oder außerhalb der Reichweite der Systeme nicht mit der erforderlichen Wirksamkeit begegnen, zumal der Betroffene eine Strecke von mindestens 8 km bzw. eine Fahrzeit von knapp 5 Minuten schlafend zurücklegte.

c) Ohne Rechtsfehler ist das Amtsgericht auch davon ausgegangen, dass sich der Betroffene einer Ordnungswidrigkeit nach § 2 Abs. 1, § 75 Abs. 1 Nr. 1 FeV schuldig gemacht hat.

Übermüdung gehört zu den körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen im Sinne der Vorschrift (Hentschel/König/Dauer/Dauer § 2 FeV Rn. 2; BeckOK/Gail § 2 FeV Rn. 7; MüKo/Hahn/Kalus StVR § 2 FeV Rn. 8).

Aufgrund der vom Betroffenen eingenommenen Position und der Dauer des Schlafs sowie der Auffälligkeiten im Rahmen der anschließenden polizeilichen Kontrolle ist es als ausgeschlossen anzusehen, dass sich die Gefahr des Einschlafens nicht durch deutlich wahrnehmende Ermüdungserscheinungen angekündigt hat, denen bei der Anwendung eines Mindestmaßes an Sorgfalt hätte Rechnung getragen werden können und müssen (OLG Düsseldorf NZV 2001, 81, 82).“

BtM/KCanG II: Neuer Grenzwert/ „alte“ Drogenfahrt, oder: Freispruch auch nach Verwerfungsurteil

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Als zweite Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v. 23.12.2024 – 201 ObOWi 1138/24.

Das AG hat mit Urteil v.15.07.2024 den Einspruch gegen einen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG gegen den Betroffenen erlassenen Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Nach dem Bußgeldbescheid steuerte der Betroffene am 10.12.2023 einen Klein-LKW im Straßenverkehr unter Wirkung eines berauschenden Mittels. Zum Zeitpunkt der Fahrt hatte der Betroffene in seinem Blut Tetrahydrocannabinol (THC) in einer Konzentration von 1,2 ng/ml.

Hiergegen wendet sich der Betroffene nach Zustellung des Urteils am 18.07.2024 indem er zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (nach § 74 Abs. 4 OWiG) beantragt und Rechtsbeschwerde eingelegt hat. Der Betroffene macht geltend, ihn treffe kein Verschulden an der Versäumung des Termins. Die GStA hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des AG vom 15.07.2024 aufzuheben, den Betroffenen freizusprechen. Es liege ein Verfahrenshindernis vor, weil die Tat nach Inkrafttreten des 6. Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (BGBl. I 2024 Nr. 266) nicht mehr geahndet werden könne.

Das BayObLG folgt dem Antrag:

„c) § 354a StPO i.V.m. §§ 4 Abs. 3 OWiG, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist auch hier anwendbar, obwohl ein Urteil vorliegt, durch das der Einspruch des Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen worden ist, und damit ein reines Prozessurteil, das keine Feststellungen materiell-rechtlicher Art zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage enthält. § 354a StPO ist anwendbar, wenn die Sache irgendwie beim Revisions-/Rechtsbeschwerdegericht anhängig ist, und sei es nur durch einen Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO oder durch die zulässige Revision gegen ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO bzw. die zulässige Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG (LR/Franke StPO 26. Aufl. § 354a Rn. 9).

Es ist davon auszugehen, dass die nach § 4 Abs. 3 OWiG bedeutsame Gesetzesänderung in jeder Verfahrenslage, vom Rechtsbeschwerdegericht jedenfalls auf die hier erhobene allgemeine Sachrüge zu berücksichtigen ist, wenn die dem Betroffenen zur Last gelegte Sachverhalt nach dem zum Zeitpunkt der Rechtsbeschwerdeentscheidung geltenden Recht nicht mehr ordnungswidrig ist (vgl. BayObLG, Beschl. v. 17.10.1969 – RReg. 4a St 78/69, NJW 1970, 262, 263 = BayObLGSt 1969, 142).

Die Generalstaatsanwaltschaft führt dazu aus:

„Die § 206b StPO zugrundeliegende Wertentscheidung des Gesetzgebers, wonach der vollständige Wegfall der Bußgelddrohung in jeder Lage des Verfahrens zu beachten ist, muss vielmehr auch bei der Auslegung des § 354a StPO Berücksichtigung finden. Der Wortlaut des § 354a StPO steht nicht entgegen; dieser enthält insoweit für den Fall des mit der allgemeinen Sachrüge anfechtbaren Verwerfungsurteils keine Einschränkung. Zudem stünde im Fall eines Sachurteils nach allgemeiner Meinung, etwa im Fall der beschränkten Anfechtung, selbst dessen Teilrechtskraft im Schuldspruch der Berücksichtigung der Rechtsänderung nicht entgegen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 01.12.1964 – 3 StR 35/64; BGHSt 20, 116, 118f.; BayObLG, Urt. v. 19.01.1961 – RReg. 4 St 9/61, NJW 1961, 688; Beschl. v. 17.07.2024 – 204 StRR 215/24, StraFo 2024, 353, 354f.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.05.2024 – 2 ORs 370 SRs 247/24, juris Rn. 8ff.; Fischer StGB 71. Aufl. § 2 Rn. 12 m.w.N.). Entsprechendes muss daher auch dann gelten, wenn noch überhaupt keine Rechtskraft eingetreten ist und durch die Entscheidung über das Verwerfungsurteil erst herbeigeführt werden soll (ebenso LR/Franke a.a.O.). Hinzu kommt, dass das Rechtsbeschwerdegericht den Bußgeldbescheid, aus dem sich der Tatvorwurf ergibt, als Verfahrensvoraussetzung auch nach Ergehen eines Verwerfungsurteils – jedenfalls auf die Sachrüge hin – ohnehin von Amts wegen zur Kenntnis nehmen muss.“

Diese in jeder Hinsicht zutreffenden rechtlichen Erwägungen macht sich der Senat nach eigener Sachprüfung zu eigen. Ein Bußgeldbescheid, dem eine Tat zugrunde liegt, die infolge Gesetzesänderung keine Ordnungswidrigkeit mehr darstellt und deshalb nicht mehr verfolgbar ist, kann nicht Verfahrensgrundlage sein, da der Richter sonst ein Gesetz anwenden müsste, zu dessen Existenzberechtigung bzw. Strenge der Gesetzgeber sich im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr bekennt (Schönke/Schröder/Hecker StGB 30. Aufl. § 2 Rn. 14). Die Gesetzesänderung entfaltet dieselbe Wirkung wie ein Verfahrenshindernis.“

 

BtM III: Zurückstellung von der Strafvollstreckung, oder: Betäubungsmittelabhängigkeit/mehrere Taten

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Und dann gibt es zum Tagesschluss noch den BayObLG, Beschl. v. 21.10.2024 – 203 VAs 397/24 – zur Zurückstellung nach § 35 BtMG.

Der Verurteilte ist mit Urteil des LG Coburg vom 02.04.2024 wegen Vergewaltigung in Tatmehrheit mit sexueller Nötigung, diese in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Nach den Feststellungen litt der Antragsteller im Tatzeitraum an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ sowie an einer Polytoxikomanie mit Abhängigkeit von Cannabinoiden, Methamphetamin, schädlichem Gebrauch von Alkohol, Opioiden, Sedativa und Hypnotika. Er nahm täglich die ihm verordneten Medikamente Quetiapin und Mirtazapin gegen den Suchtdruck ein, zudem konsumierte er annähernd täglich synthetische Cannabinoide, Crystal und Methylphenidat (Ritalin), wöchentlich Benzodiazepine und zweiwöchentlich Opioide, wahlweise nutzte er Fentanylpflaster. Nach dem Konsum von synthetischen Cannabinoiden führte er am 19.06.2023 in einem Hotel an einer Jugendlichen gegen deren Willen sexuelle Handlungen aus. Am 10.10. 2023 drang er in einem Badesee unter dem Einfluss von Ritalin und Alkohol gegen den Willen einer erwachsenen Geschädigten mit dem Finger in deren Scheide ein. Bei keiner der beiden Taten war die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten oder seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert oder aufgehoben. Das Landgericht hat sachverständig beraten das Vorliegen eines Hangs im Sinne von § 64 StGB angenommen, jedoch von der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt mangels eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem festgestellten Hang und der am 19.06.2023 begangenen Straftat abgesehen. Mit der am 10.07. 2023 begangenen Vergewaltigung hat sich das LG in diesem Zusammenhang nicht befasst.

Der Verurteilte hat dann bei der Staatsanwaltschaft unter Vorlage eines Bewilligungsbescheids der Rentenversicherung und einer im Laufe des Verfahrens aktualisierten Aufnahmezusage der Bezirksklinik Hochstadt beantragt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 35 BtMG zugunsten einer von ihm beabsichtigten Therapie zurückzustellen. Das wird abgelehnt. Dagegen der Antrag nach den §§ 23 ff. EGGVG, der dann beim BayObLG auch keinen Erfolg hatte:

„2. Rechtsfehlerfrei ist die Generalstaatsanwaltschaft zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen des § 35 Abs.1 Satz1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG bezüglich der der Verurteilung vom 2. April 2024 zugrundeliegenden Tat vom 10. Juli 2023 und somit bezüglich der Gesamtfreiheitsstrafe nicht vorliegen.

a) Gemäß § 35 Abs.1 BtMG kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszugs die Vollstreckung einer Strafe für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt oder sonst feststeht, dass die Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde und der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Abs. 3 Nr. 2 der Vorschrift sieht eine entsprechende Geltung von Absatz 1 vor, wenn auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind. Danach ist hier die Zurückstellung der gegen den Antragsteller verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nur möglich, wenn die der Verurteilung zugrundeliegende erheblichere Straftat aufgrund der Abhängigkeit begangen wurde.

b) Ein Kausalzusammenhang zwischen Abhängigkeit und Straftat im Sinne von § 35 Abs. 1 BtMG ist gegeben, wenn die Abhängigkeit nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass die Straftat entfiele (Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23 –, juris Rn. 14; Senat, Beschluss vom 21. September 2020 – 203 VAs 215/20 –, juris Rn. 49; Kornprobst in MüKoStGB, 4. Aufl. 2022, BtMG § 35 Rn. 44; Fabricius in Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl. § 35 Rn. 95 ff., insb. 96 m.w.N.; Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 35 Rn. 33). Die Abhängigkeit darf nicht nur begleitender Umstand, sondern muss die Bedingung der Straffälligkeit gewesen sein (Senat, Beschluss vom 21. September 2020 – 203 VAs 215/20 –, juris Rn. 49; Kornprobst a.a.O. § 35 Rn. 44; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 96; Bohnen in BeckOK-BtMG, 23. Ed., § 35 Rn. 103). Eine Ursächlichkeit kann nicht bereits dann angenommen werden, wenn zum Zeitpunkt der Tat eine Betäubungsmittelabhängigkeit bestand oder wenn die Tat aus einer Betäubungsmittelabhängigkeit heraus zu erklären ist (BayObLG, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 204 VAs 536/20 –, juris Rn. 14; Senat, Beschluss vom 21. September 2020 – 203 VAs 215/20 –, juris Rn. 49; Kornprobst a.a.O. § 35 Rn. 44; Weber a.a.O. § 35 Rn. 35; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 96). Andererseits reicht eine erhebliche Mitursächlichkeit aus, etwa bei einer Polytoxikomanie (vgl. Kornprobst a.a.O. § 35 Rn. 45; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 96a). Die Ursächlichkeit oder Mitursächlichkeit muss mit Gewissheit bestehen (Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23 –, juris Rn. 14; BayObLG, Beschluss vom 8. April 2024 – 204 VAs 62/24 –, juris Rn. 41; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 87, 96; Bohnen a.a.O. § 35 Rn. 103a; Weber a.a.O. § 35 Rn. 36). Umfangreiche Ermittlungen zur Feststellung des Kausalzusammenhangs sind im Rahmen des Verfahrens nach § 35 BtMG nicht geboten (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23 –, juris Rn. 14; Weber a.a.O. § 35 Rn. 36; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 87). Liegen der Strafe mehrere Taten zugrunde, ist nach § 35 Abs. 3 BtMG entscheidend, ob der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der abgeurteilten und einbezogenen Taten aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde. Bei der gebotenen zusammenfassenden Bewertung kommt der Art und Höhe einer Einzelstrafe maßgebliche Bedeutung zu, es sind aber auch Anzahl, Art, Begehungsweise, Umfang und Auswirkungen, mithin der Unrechts- und Schuldgehalt aller Taten, in die Würdigung einzubeziehen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. Februar 2012 – 2 VAs 1/12 –, juris Rn. 9; Bohnen a.a.O. § 35 Rn. 112; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 113).

c) Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung steht der Vollstreckungsbehörde hinsichtlich der Frage des Kausalzusammenhangs zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit und der Tat grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum zu (Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23-, juris Rn. 14; BayObLG, Beschluss vom 8. April 2024 – 204 VAs 62/24 –, juris Rn. 19; Weber a.a.O. § 35 Rn. 33, 142 m.w.N.), es sei denn, die Kausalität ergäbe sich hinreichend nachvollziehbar „aus den Urteilsgründen“ (vgl. § 35 Abs.1 BtMG, BayObLG, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 204 VAs 536/20 –, juris Rn. 16; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. November 2004 – 2 VAs 37/04 –, juris Rn. 4 m.w.N.; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 92 m.w.N.; Weber a.a.O. § 35 Rn. 43 m.w.N.). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Denn dem Urteil lässt sich auch unter Berücksichtigung der Ausführungen zu § 64 StGB und der Bejahung eines Hangs zwar die zur Tatzeit bestehende Betäubungsmittelabhängigkeit, nicht jedoch die von § 35 BtMG geforderte unmittelbare Kausalität zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit und der abgeurteilten Vergewaltigung entnehmen. Das erkennende Gericht hat als Ursache für die Vergewaltigung weder die Alkoholsucht noch die Betäubungsmittelabhängigkeit festgestellt, sondern die Ursache offen gelassen.

d) Die Annahme eines Beurteilungsspielraums der Vollstreckungsbehörde hat zur Folge, dass die gerichtliche Nachprüfung eingeschränkt ist. Kommt ein Beurteilungsspielraum zum Tragen, prüft der Senat nur, ob die Vollstreckungsbehörde von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und sich innerhalb des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten hat (vgl. zur Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung eines Beurteilungsspielraums Gerson in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 28 GVGEG Rn. 25, 27; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. Juli 2017 – 2 VAs 15/17 –, juris Rn. 8 m.w.N.).

e) Danach ist es hier mit Blick auf die Umstände der Tatbegehung nicht zu beanstanden, dass sich die Vollstreckungsbehörde von einer Kausalität der Betäubungsmittelabhängigkeit bezogen auf die Vergewaltigung als dem gewichtigeren Delikt nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu überzeugen vermochte und infolgedessen gehalten war, die Zurückstellung abzulehnen (zu der in diesem Fall gebundenen Entscheidung Weber a.a.O. § 35 Rn. 144 m.w.N.; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 332). Begeht ein suchtkranker Angeklagter eine Vergewaltigung nach dem Konsum von Alkohol und Betäubungsmitteln, so versteht es sich nämlich nicht von selbst, dass die Betäubungsmittelabhängigkeit kausal für die Tat war. In Betracht kommt auch ein sexuelles Verlangen (vgl. Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 111; Weber a.a.O. § 35 Rn. 37). Zudem ist bei dem Antragsteller neben der Polytoxikomanie auch eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ diagnostiziert worden. Die damit einhergehende Schwierigkeit bei der Kontrolle von Impulsen kommt ebenfalls als bestimmender Faktor für das am 10. Juli 2023 begangene Sexualdelikt in Betracht. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde beruht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Dass sie verfügbare weitere Erkenntnisquellen nicht herangezogen hätte, trägt auch der Antragsteller nicht vor.

f) Aus der Benennung der Registervergünstigung des § 17 Abs.2 BZRG in der Liste der angewendeten Vorschriften ergibt sich für sich alleine keine Bindungswirkung für die Vollstreckungsbehörde hinsichtlich der Annahme einer unmittelbaren Kausalität zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit und der abgeurteilten Straftaten (BayObLG, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 204 VAs 536/20 –, juris Rn. 22 ff.; KG, Beschluss vom 15. Februar 2016 – 1 VAs 1/16 -, juris Rn. 12; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 83a; Weber a.a.O. § 35 Rn. 44).

g) Die vom Antragsteller behauptete Zusicherung der Vorsitzenden des erkennenden Gerichts ist nach dem Inhalt ihrer dienstlichen Stellungnahme nicht bewiesen. Sein diesbezüglicher Vortrag ist bereits aus diesem Grund nicht geeignet, einen Vertrauensschutztatbestand bezüglich einer Entscheidung der Vollstreckungsbehörde nach § 35 BtMG zu schaffen.

StPO II: Dreimal Akteneinsicht beim BayObLG, oder: Umfang, Einsicht durch Dritte, Rechtsmittel

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Und im zweiten Posting habe ich dann hier drei Entscheidungen des BayObLG zur Akteneinsicht, und zwar zum Umfang der Einsicht, der Einsicht durch Dritte und zu Rechtsmitteln.

Ich stelle jeweils nur die Leitsätze der Entscheidungen vor. Die lauten:

1. Ersucht eine Landeszahnärztekammer zum Zweck der Überprüfung eines berufsrechtlichen Verstoßes eines ihrer Mitglieder um Einsicht in die Akten eines Haftpflichtprozesses, handelt es sich nicht um ein Akteneinsichtsgesuch im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO, sondern um ein Amtshilfeersuchen des Art. 35 Abs. 1 GG.

2. Das um gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG angegangene Gericht hat im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts (§ 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG) auch zu prüfen, ob dieser kraft einer anderen als der angegebenen Rechtsgrundlage rechtmäßig ist. Dabei darf das Gericht allerdings nicht anstelle der zuständigen Justizbehörde eine eigene Ermessensentscheidung treffen (§ 28 Abs. 3 EGGVG).

1. Ist die Art und Weise der Erteilung einer Akteneinsicht gesetzlich nicht geregelt, ist allgemein anerkannt, dass ein Anspruch auf Akteneinsicht keinen Anspruch auf die Ausreichung einer Ablichtung eines Dokuments enthält. Vielmehr liegt die Form der Auskunftserteilung im Ermessen der verantwortlichen Stelle.

2. Grundsätzlich gewährt auch Art. 78 i.V.m. Art. 75 BayStVollzG einem Strafgefangenen im bayerischen Strafvollzug keinen Rechtsanspruch auf die Fertigung und Aushändigung von Ablichtungen von ihn interessierenden Schriftstücken. 

3. Der Vollzugsanstalt steht bei der Frage, wie dem jeweiligen Gefangenen bei einer bedeutsamen rechtlichen Fragestellung zu helfen ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung über die Art der Hilfeleistung ist nach Maßgabe der jeweiligen Schwierigkeit und der persönlichen Verhältnisse des Gefangenen zu treffen.

4. Im Einzelfall kann sich der grundsätzlich eröffnete Beurteilungsspielraum, auf welche Weise der Strafgefangene bei seinen rechtlichen Belangen zu unterstützen ist, „auf Null“ reduzieren und insoweit Spruchreife eintreten.

1. Die Führung der Ermittlungsakten durch die Staatsanwaltschaft stellt keinen Justizverwaltungsakt im Sinne der §§ 23 ff. EGGVG dar.

2. Ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung noch innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG bei einer unzuständigen Justizbehörde eingegangen, ist diese aufgrund der ihr obliegenden dem Gebot des fairen Verfahrens entspringenden Fürsorgepflicht verpflichtet, den Antrag an die zuständige Justizbehörde weiterzuleiten, jedoch nur, wenn die Unzuständigkeit ohne weiteres erkennbar und die rechtzeitige Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang möglich ist. Unterbleibt dies, ist dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

3. Ein eine Wiedereinsetzung hinderndes, dem Antragsteller zuzurechnendes Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten kann auch dann vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält. Ohne Rechtsbehelfsbelehrung ist kein Vertrauenstatbestand geschaffen; eine rechtskundige Person muss selbst für die Einhaltung gesetzlicher Fristen sorgen.

4. Gewährt die Staatsanwaltschaft vor dem Abschluss der Ermittlungen anderen Mitbeschuldigten unbeschränkte Einsicht in die Ermittlungsakten, kann ein Beschuldigter die Rechtmäßigkeit der Akteneinsichtsgewährung nicht im Wege der §§ 23 ff. EGGVG vom Bayerischen Obersten Landesgericht überprüfen lassen, sondern in analoger Anwendung des § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO nur vom nach § 162 StPO zuständigen Gericht. Das Verfahren ist insoweit von Amts wegen dorthin abzugeben.