Schlagwort-Archive: Wiedereinsetzungsantrag

StPO I: Unzulässiger Wiedereinsetzungsantrag, oder: Die eigene „eidesstattliche Versicherung“ reicht nicht

Bild von congerdesign auf Pixabay

Heute dann StPO. Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 26.09.2023 – 5 StR 350/23.

Das LG hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen verurteilt. Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat die dem Angeklagten beigeordnete Verteidigerin, Rechtsanwältin Bö. am 20.03.2023 Revision eingelegt, woraufhin ihr das Urteil am 27.04. 2023 zugestellt worden ist. Nachdem eine Revisionsbegründung innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht eingegangen war und sich die Vorsitzende zuvor beim Büro der Verteidigerin erfolglos nach einer Revisionsbegründung erkundigt hatte, hat die Strafkammer die Revision durch Beschluss vom 08.06.2023 gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.

Der Beschluss ist der Verteidigerin am 15.06.2023 zugestellt worden. Am 21.06.2023 hat Rechtsanwalt I. als gewählter Verteidiger des Angeklagten die Revision gegen das Urteil mit der allgemeinen Sachrüge begründet und die Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Begründung der Revision sowie die Entscheidung des Revisionsgerichts über den Verwerfungsbeschluss des Landgerichts beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Angeklagte habe Rechtsanwältin Bö. „unmittelbar“ nach seiner Verurteilung und „auch noch einmal telefonisch nach der Urteilsverkündung aus der Haft heraus“ mit der „Einlegung und Führung der Revision“ beauftragt. Er sei davon ausgegangen, „dass die Rechtsanwältin alles Notwendige unternehmen würde, um die Revision form- und fristgemäß zu führen“, habe jedoch am 15.06.2023 den Beschluss des Landgerichts erhalten und am selben Tag von Rechtsanwältin Bö. auf Nachfrage erfahren, dass jene die Revision nicht begründet habe, woraufhin er sich an Rechtsanwalt I. gewandt habe. Zur Glaubhaftmachung des Vortrags hat Rechtsanwalt I. eine als „eidesstattliche Versicherung“ bezeichnete Erklärung des Angeklagten beigefügt, die eine – nicht vollständig übereinstimmende – Sachverhaltsschilderung enthält, und die Richtigkeit seiner eigenen Darstellung des Gesprächs mit dem Angeklagten „anwaltlich versichert“.

Im weiteren Verfahren hat Rechtsanwältin Bö. schriftsätzlich mitgeteilt und anwaltlich versichert, dass sie dem Angeklagten, der keine Revision habe einlegen wollen, geraten habe, zunächst Revision einzulegen und deren Erfolgsaussichten auf der Grundlage des schriftlichen Urteils zu prüfen. Diesem Rat sei der Angeklagte gefolgt. Nach Eingang des schriftlichen Urteils habe sie mit ihm das weitere Vorgehen telefonisch besprochen; Ergebnis dessen sei gewesen, dass der Angeklagte gebeten habe, die Revision zurückzunehmen. Sie habe daraufhin keine Revisionsbegründung abgegeben. Nach Erhalt des Verwerfungsbeschlusses habe der Angeklagte telefonisch mitgeteilt, dass er doch an der Revision habe festhalten wollen und sei so aufgebracht gewesen, dass das Gespräch habe beendet werden müssen.

Der BGH hat den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig angesehen:

„2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist unzulässig, weil entgegen § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht glaubhaft gemacht ist, dass den Angeklagten kein Verschulden an der Fristversäumung getroffen hat.

Schon vor Eingang des Schriftsatzes der beigeordneten Verteidigerin war nicht hinreichend dargetan, dass der Angeklagte seine Verteidigerin mit der fristgemäßen Einlegung und Begründung der Revision beauftragt hatte. Denn seiner „eidesstattlichen Versicherung“ kam angesichts der Möglichkeit, von ihr eine Erklärung beizuholen, kein nennenswerter Beweiswert zu. Auch über die anwaltliche Versicherung des gewählten Verteidigers konnte die Richtigkeit der Angaben des Angeklagten zur Beauftragung der beigeordneten Verteidigerin nicht glaubhaft gemacht werden.

Aus der anwaltlichen Versicherung der beigeordneten Verteidigerin ergibt sich zudem ein anderer Geschehensablauf, so dass nunmehr erst Recht das fehlende Verschulden des Angeklagten an der Fristversäumung nicht glaubhaft gemacht ist.

Rechtsmittel III: Zulässiger Wiedereinsetzungsantrag, oder: Frist und Glaubhaftmachung

Bild von Karen Arnold auf Pixabay

Und zum Tagesschluss dann noch etwas vom BGH zur Widereinsetzung. Nichts Neues, aber: Man sollte/muss auf solche Dinge achten. Der BGH führt im BGH, Beschl. v. 20.12.2021 – 4 StR 439/21 – aus:

„1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionseinlegungsfrist ist unzulässig, da das Gesuch nicht fristgerecht angebracht worden ist und es darüber hinaus an der erforderlichen Glaubhaftmachung des Antragsvorbringens zur unverschuldeten Fristversäumnis fehlt.

a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und zu begründen. Der Antragsteller muss mitteilen, wann er Kenntnis von der Fristversäumung erlangte, und dartun, aufgrund welcher tatsächlicher Umstände er gehindert war, die Frist einzuhalten. Erforderlich ist der Vortrag eines Sachverhalts, der ein Verschulden des Antragstellers an der Fristversäumung ausschließt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 3. April 1987 – 2 StR 109/87, BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 1; vom 27. Juni 2017 – 2 StR 129/17, NStZ-RR 2017, 285; vom 12. Juli 2017 – 1 StR 240/17, Rn. 6 mwN). Der Sachvortrag zu dem einer Fristwahrung entgegenstehenden Hinderungsgrund ist ferner glaubhaft zu machen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO).

b) Das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten ist nicht rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO angebracht worden. Nach dem Antragsvorbringen erlangte der Angeklagte durch Erhalt eines Schreibens seines damaligen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt W. am 8. Mai 2021 Kenntnis davon, dass innerhalb der am 7. Mai 2021 endenden Revisionseinlegungsfrist kein Rechtsmittel gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt worden war. Das Schreiben des Angeklagten vom 11. Mai 2021, in welchem er Rechtsmittel eingelegt und der Sache nach um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachgesucht hat, ging beim Landgericht aber erst am 28. Juli 2021, mithin nach Ablauf der einwöchigen Wiedereinsetzungsfrist ein. Soweit vom Angeklagten im Wiedereinsetzungsverfahren pauschal geltend gemacht wird, er sei bis Ende Juli 2021 außer Stande gewesen, sein Schreiben vom 11. Mai 2021 postalisch an das Landgericht zu senden, wird ein durchgängiges, sich über die gesamte Zeitspanne erstreckendes Fehlen einer Übermittlungsmöglichkeit weder hinreichend substantiiert dargetan, noch glaubhaft gemacht.

Darüber hinaus hat der Angeklagte sein Vorbringen zu dem der Wahrung der Revisionseinlegungsfrist entgegenstehenden Hinderungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Insoweit hat er vorgetragen, das vom 2. Mai 2021 datierende Schreiben seines damaligen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt W., aus dem sich ergab, dass durch den Pflichtverteidiger kein Rechtsmittel eingelegt werden wird, erst am 8. Mai 2021 erhalten zu haben. Nach Verkündung des Urteils sei mit dem Verteidiger zwar keine weitere Rücksprache erfolgt, es sei aber „eigentlich abgesprochen“ gewesen, dass eine entsprechende Einlegung von Rechtsmitteln im Falle einer Verurteilung erfolgen soll. Weder zu dem Zeitpunkt des Erhalts des Verteidigerschreibens noch zu der unbedingten Beauftragung des Verteidigers zur Revisionseinlegung ist eine Glaubhaftmachung des Vorbringens erfolgt. Der Inhalt des Schreibens von Rechtsanwalt W. vom 2. Mai 2021 bietet – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – keinen Anhalt für eine durch den Angeklagten erfolgte Beauftragung des Verteidigers zur Rechtsmitteleinlegung.

c) Ein Fall eines „offenkundigen Mangels“ der Verteidigung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR, NJW 2003, 1229; BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2021 – 3 StR 422/20, NStZ-RR 2021, 112; vom 7. August 2019 – 3 StR 165/19, NStZ-RR 2019, 349; vom 5. Juni 2018 – 4 StR 138/18, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. c Beschränkung 3) liegt schon deshalb nicht vor, weil ein dem Verteidiger erteilter Auftrag zur Revisionseinlegung nicht glaubhaft gemacht ist.“

Wiedereinsetzung II: Anforderungen an den Antrag, oder: Wie oft denn eigentlich noch?

© eyetronic Fotolia.com

Die zweite Entscheidung kommt dann noch einmal vom BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 17.12.2020 – 3 StR 423/20 – noch einmal – zum wievielten Mal eigentlich? – zu den Anforderungen an die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags Stellung genommen. Und zwar wie folgt:

„II. Bereits das persönliche Schreiben des Angeklagten vom 28. September 2020 ist als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44, 45 StPO) zu werten (§ 300 StPO). Da der Angeklagte die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist nicht in Abrede stellt, sondern geltend macht, sein Verteidiger habe dies zu vertreten, wird seinem Rechtsschutzbegehren durch eine entsprechende Auslegung des Schreibens hinreichend Rechnung getragen. Eine Deutung des Antrags als zudem gestellter Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO ist demgegenüber nicht veranlasst.

Sowohl dieser vom Angeklagten selbst gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als auch der mit dem Verteidigerschriftsatz vom 5. Oktober 2020 gestellte Wiedereinsetzungsantrag sind unzulässig.

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen. Zudem ist innerhalb der Antragsfrist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO).

2. Zwar ist der mit Schreiben des Angeklagten vom 28. September 2020 gestellte Wiedereinsetzungsantrag fristgerecht angebracht worden. Nachdem der Angeklagte am 24. September 2020 von der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Kenntnis erlangt hatte und damit das Hindernis für die Fristwahrung entfallen war, hat er mit seinem am 1. Oktober 2020 beim Landgericht eingegangenen Schreiben die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO hinsichtlich des Anbringens des Wiedereinsetzungsantrages gewahrt. Jedoch ist entgegen § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO innerhalb der am 1. Oktober 2020 endenden Wochenfrist die Revisionsbegründung und damit die versäumte Handlung nicht nachgeholt worden. Die Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO gilt – von hier nicht relevanten Ausnahmefällen abgesehen – auch dann, wenn es sich bei der versäumten und nachzuholenden Handlung um die Begründung einer Revision handelt. Die Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO wird insofern durch die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ersetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 1997 – 1 StR 543/96, NStZ-RR 1997, 267; KK-StPO/Maul, 8. Aufl., § 45 Rn. 9; MüKoStPO/ Valerius, § 45 Rn. 19). Die Revisionsbegründung ist jedoch erst mit dem Verteidigerschreiben vom 5. Oktober 2020 nachgeholt worden. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte schuldlos gehindert war, für ein Anbringen der Revisionsbegründung innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO Sorge zu tragen, sind nicht ersichtlich, zumal er in seinem Schreiben vom 28. September 2020 vorgebracht hat, er habe bereits einen anderen Anwalt mandatiert.

3. Auch der mit Verteidigerschriftsatz vom 5. Oktober 2020 gestellte weitere Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand genügt den Formerfordernissen des § 45 StPO nicht. Denn maßgebend für den Beginn der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte selbst Kenntnis von der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist erlangt hat (BGH, Beschlüsse vom 27. November 2019 – 5 StR 539/19, juris; vom 20. November 2019 – 4 StR 522/19, NStZ-RR 2020, 49, 50; vom 26. Juni 2018 – 3 StR 197/18, juris Rn. 3 f.; vom 29. November 2016 – 3 StR 444/16, StraFo 2017, 66; vom 14. Januar 2015 – 1 StR 573/14, NStZ-RR 2015, 145). Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger – wie hier – eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (BGH, Beschlüsse vom 20. November 2019 – 4 StR 522/19, NStZ-RR 2020, 49, 50; vom 2. Juli 2019 – 2 StR 570/18, StraFo 2019, 469, 470; vom 2. April 2019 – 3 StR 63/19, juris Rn. 5 f.). Auf den im Schriftsatz vom 5. Oktober 2020 mitgeteilten Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Verteidiger kommt es hingegen nicht an. Daher hätten mit dem Verteidigervorbringen Angaben dazu gemacht werden müssen, wann der Angeklagte Kenntnis von der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist erlangt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Juli 2019 – 2 StR 570/18, StraFo 2019, 469, 470; vom 26. Juni 2018 – 3 StR 197/18, juris Rn. 3 f.; vom 29. November 2016 – 3 StR 444/16, StraFo 2017, 66; vom 14. Januar 2015 – 1 StR 573/14, NStZ-RR 2015, 145). Hieran fehlt es jedoch. Zudem ergibt sich aus dem Vorbringen des Angeklagten in seinem Schreiben vom 28. September 2020, dass dieser – wie dargetan – am 24. September 2020 Kenntnis davon erlangt hat, dass die Revisionsbegründungsfrist versäumt worden war. Die Unzulässigkeit des mit dem Verteidigerschriftsatz vom 5. Oktober 2020 gestellten weiteren Wiedereinsetzungsantrags folgt deshalb auch daraus, dass die mit diesem Schreiben angebrachte Revisionsbegründung entgegen § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO nachgeholt worden ist.“

Rechtsmittel I: Das „fehlerhafte Rechtsverständnis der Verteidigerin“, oder: „Herr lass Hirn vom Himmel regnen“.

Bild von Christian Dorn auf Pixabay

Heute ist Christi Himmelfahrt und damit dann auch Vatertag. Daher zunächst allen Väter und Großväter 🙂 herzliche Grüße und einen schönen Tag, ob mit oder ohne Bollerwagen. Wenn mit Bollerwagen: Immer daran denken: Abstand halten.

Und wegen des Vatertages fange ich hier heute etwas später an, aber: Normales Programm 🙂 , also drei Entscheidungen. Der Themenkreis heute: Rechtsmittel und was dazugehört.

Und den Opener macht der BGH, Beschl. v. 11.03.2020 – 4 StR 68/20. Es geht um die Revision eines Angeklagten gegen ein Urteil des LG Bielefeld, durch das der Angeklagte u.a. wegen schwerer räuberischer Erpressung iu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden. Das LG hat durch Beschluss vom 11.12.2019 die rechtzeitig eingelegte Revision des Angeklagten gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, weil weder er selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle noch seine Verteidigerin einen Revisionsantrag gestellt oder die Revision begründet haben. Gegen diesen – ihr am 17.12.2019 zugestellten – Beschluss hat die Verteidigerin des Angeklagten am 24.12.2019 die Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO beantragt. Sie hat ferner zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung beantragt.

Der BGH hat den Wiedereinsetzungantrag als unzulässig zurückverwiesen:

„1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision ist unzulässig.

a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Innerhalb der Antragsfrist von einer Woche ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Letzteres ist nicht erfolgt. Weder das Schreiben des Angeklagten vom 19. Dezember 2019 noch der Antrag der Verteidigerin vom 24. Dezember 2019 enthält eine Begründung der Revision in der durch § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form. Eine Revisionsbegründung ist auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vorgelegt worden.

b) An der Verwerfung des Wiedereinsetzungsgesuchs ist der Senat nicht ausnahmsweise aus dem in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) EMRK gewährleisteten Recht eines Angeklagten auf tatsächliche und wirksame Verteidigung als besonderer Aspekt des nach Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren (EGMR, Slg. 1999-I Nr. 27 – Van Geyseghem/Belgien, NJW 1999, 2353) gehindert. Die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geforderten Maßnahmen zur Kompensierung des hier vorliegenden Verteidigerverschuldens wurden im vorliegenden Fall ergriffen.

aa) Die Verteidigerin hat nicht, wie es ihre Pflicht gewesen wäre (vgl. BVerfG, NJW 1983, 2762, 2765; BGH, Beschluss vom 18. Januar 2018 – 4 StR 610/17 Rn. 2), die Revision des Angeklagten form- und fristgerecht begründet und auch beim Stellen des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Nachholung dieser versäumten Handlung unterlassen. Dieses Unterlassen gründet ersichtlich auf einem fehlerhaften Rechtsverständnis der Verteidigerin über die Wirkung einer Pflichtverteidigerbestellung. Die Beiordnung als Pflichtverteidiger endet entgegen der im Wiedereinsetzungsgesuch geäußerten Auffassung der Verteidigerin nicht etwa mit Einlegung der Revision, sondern wirkt über die erste Instanz hinaus für das gesamte Verfahren und erfasst damit auch die Revisionsbegründung (so ausdrücklich nun § 143 Abs. 1 StPO in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019, BGBl. I S. 2128); ausgenommen war bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung vom 17. Dezember 2018 (BGBl. I, 2018; S. 2571) lediglich die Revisionshauptverhandlung (zur früheren Rechtslage: Willnow in KK-StPO, 8. Aufl., § 141 StPO Rn. 10).

bb) Versäumnisse eines Pflichtverteidigers können dem Staat allerdings nur ausnahmsweise angelastet werden, da die Führung der Verteidigung Sache des Angeklagten und seines Verteidigers ist, einerlei ob er staatlich bestellt oder vom Mandanten ausgewählt und bezahlt wird. Für Behörden und Gerichte besteht eine Verpflichtung zum Eingreifen nur, wenn das Versagen eines Pflichtverteidigers offenkundig ist oder wenn sie davon unterrichtet werden (EGMR, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 38830/97 – Czekalla/Portugal, NJW 2003, 1229; EGMR, Urteil vom 22. März 2007 – 59519/00 . Staroszczyk/Polen, NJW 2008, 2317). So ist das Gericht an der Verwerfung eines Rechtsmittels nur gehindert und zum Eingreifen verpflichtet, wenn die eindeutige Missachtung einer reinen Formvorschrift durch den Pflichtverteidiger zur Folge hat, dass dem Betroffenen ein ihm an sich zustehendes Rechtsmittel genommen wird, ohne dass dies von einem höherrangigen Gericht bereinigt wird. Ein derartiges „offenkundiges Versagen“ macht nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte „positive Maßnahme seitens der zuständigen Behörden“ erforderlich, wozu beispielsweise die Aufforderung an die Pflichtverteidigerin gehört, ihren Schriftsatz zu ergänzen oder zu berichtigen (EGMR, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 38830/97 . Czekalla/Portugal, NJW 2003, 1229, 1230).

cc) Letzteren Anforderungen genügt der Verfahrensgang. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der von § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO ausdrücklich geforderten Nachholung der Revisionsbegründung als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Wiedereinsetzung um eine „reine Formvorschrift“ im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte handelt. Jedenfalls ist dem Erfordernis einer positiven Maßnahme durch die zuständige Behörde zur Beseitigung des „Versagens“ vorliegend Genüge getan: Die der Verteidigerin und dem Angeklagten zugestellte Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 7. Februar 2020 weist eindeutig auf das Fehlen der Revisionsbegründung als . einzigem . Hindernis für die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsgesuchs hin. Die erforderlichen Reaktionen hierauf sind nicht erfolgt.

dd) Es liegt auch keine Häufung außerordentlicher Umstände vor, die eine darüber hinaus gehende Flexibilität in der Rechtsgewährung fordert, um sicherzustellen, dass der Zugang zum Gericht nicht konventionswidrig eingeschränkt wird (EGMR, Urteil vom 1. September 2016 – 24062/13 – Marc Brauer/Deutschland, NVwZ 2018, 635, 637). Denn anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall ist der Angeklagte hier nicht psychisch krank und auch nicht in einer persönlich schwierigen Lage, die durch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und Postzustellungsprobleme gekennzeichnet war. Vorliegend befindet sich der Angeklagte in Untersuchungshaft und ist ersichtlich zur Kommunikation mit Justizbehörden in der Lage, was sein Schreiben vom 19. Dezember 2019 als Reaktion auf die Zustellung des Beschlusses gemäß § 346 Abs. 1 StPO belegt.“

Wenn man das liest, kann man m.E. nur rufen: Herr lass Hirn vom Himmel regnen. Aber nicht für den Senat, sondern für die Verteidigerin. Und bitte: Entschuldigung für dieses „Weihnachtsgeschenk“? M.E. nicht. Denn das hat mit dem neuen Rechts nichts zu tun, sondern war schon zum alten Recht unbestritten, dass die Pflichtverteidigerbestellung für das ganze Verfahren gilt. Ich verstehe nicht, warum solche Rechtsanwälte „verteidigen“?

Und nochmals: Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags, oder: Anfänger auf Verteidigerseite

entnommen openclipart.org

Nach dem Anfänger in der Berufungskammer beim LG Braunschweig, dann zum Ausgleich 🙂 ein Anfänger – jedenfalls m.E. – auf der „anderen Seite“, nämlich als Verteidiger. Es geht mal wieder um die ausreichende Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags. Versäöumt worden ist die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde. Es wird ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Der ist dann aber unzulässig, weil (mal wieder) nicht ausreichend begründet, so jedenfalls der OLG Bamberg, Beschl. v. 24.10.2017 – 3 Ss OWi 1254/17:

„Der Antrag des Betr. auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechts­beschwerde ist ebenso wie die Zulassungsrechtsbeschwerde selbst als unzulässig zu verwerfen.

1. Nachdem das Urteil vom 30.05.2017 zwar in (erlaubter) Abwesenheit des Betr., jedoch in Anwesenheit des wirksam unterbevollmächtigten Verteidigers des Betr. verkündet wurde, endete die Wochenfrist des § 341 I StPO zur Einlegung der Zulassungsrechtsbeschwerde hier gemäß §§ 73 III, 79 IV [letzter Halbs.] i.V.m. § 80 III Satz 1 OWiG ohne weiteres bereits mit Ablauf des 06.06.2017 (vgl. schon OLG Bamberg, Beschl. v. 29.05.2006 – 3 Ss OWi 430/06 = NStZ 2007, 180; ferner u.a. Göhler-Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 73 Rn. 26 f. u. § 79, Rn. 30a, jeweils m.w.N.), so dass die Einlegung der Rechtsbeschwerde erst am 21.06.2017 verspätet erfolgte. Dies verkennt die Verteidigung, wenn sie aus nicht nachvollziehbaren Gründen und noch nach Gewährung von Akteneinsicht durch den Senat irrig von einem mit ihrem Rechtsmittel angefochtenen „Abwesenheitsurteil“ auszugehen scheint.

2. Eine Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die voraussetzt, dass der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO), kommt nicht in Betracht, weil das Gesuch bereits unzulässig ist.

a) Der Antrags auf Wiedereinsetzung ist nicht nur binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 I Satz 1 StPO), vielmehr handelt es sich bei den für die Gewährung der Wiedereinsetzung erforderlichen Angaben ebenso wie hinsichtlich ihrer Glaubhaftmachung um Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags (vgl. zuletzt nur BGH, Beschl. v. 12.07.2017 – 1 StR 240/17 [bei juris] m.w.N.). Darzulegen und glaubhaft zu machen sind folglich auch diejenigen Umstände, aus denen sich ergibt, dass der Antragsteller ohne eigenes Verschulden gehindert war, die versäumte Rechtsmittelfrist einzuhalten. Dazu gehört der Vortrag eines Lebenssachverhalts, der das fehlende Verschulden an der Säumnis belegt und Alternativen ausschließt, die der Wiedereinsetzung sonst entgegenstehen (BGH a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 45 Rn. 5, jeweils m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen genügt das Wiedereinsetzungsgesuch allerdings schon deshalb nicht, weil die Ausführungen der Verteidigung nicht erkennen lassen, dass der Betroffene sie überhaupt mit der Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil des AG vom 30.05.2017 beauftragt und die Verteidigung dem Betr. gegenüber dies auch zugesagt hatte, was aber für eine unverschuldete Säumnis des Betr. erste und unabdingbare Voraussetzung wäre (st.Rspr.; vgl. neben BGH a.a.O u.a. BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 StR 573/14 = NStZ-RR 2015, 145, 146; BGH, Beschl. v. 23.09.2015 – 4 StR 364/15 = NStZ 2017, 172 = AnwBl 2016, 73 und schon BGH, Beschl. v. 05.08.2008 – 5 StR 319/08 = NStZ-RR 2009, 375 = StraFo 2008, 431; siehe zuletzt auch schon OLG Bamberg, Beschl. v. 23.03.2017 – 3 Ss OWi 330/17 [bei juris] und BGH, Beschl. v. 13.07.2017 – 1 StR 283/17 = StraFo 2017, 418; BeckOK/Cirener StPO [27. Edit.] § 44 Rn. 24a m.w.N.).“

Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung stehen in jedem Kommentar und7oder in jedem Handbuch. Man muss die Bücher aber nicht nur kaufen, sondern auch lesen/gebrauchen.