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Volksverhetzung II: Feststellungen beim Freispruch, oder: Auslegung einer mehrdeutigen Äußerung

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2023 – 3 Ss 123/22. Das AG hatte vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 StGB) aus rechtlichen Gründen frei gesprochen.

Das OLG hat aufgehoben. Ihm haben die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht gereicht. Dazu hier nur der Leitsatz:

Bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen müssen sich die Urteilsgründe dazu verhalten, warum das Gericht die für erwiesen erachtete Tat in rechtlicher Hinsicht als nicht strafbar erachtet. Um dies zu ermöglichen, muss die in der Anklageschrift vorgeworfene Tat (§ 264 StPO) hinreichend konkret dargestellt werden. Denn weird den Adressaten der Urteilsgründe schon der Tatvorwurf nicht hinreichend verständlich gemacht, kann auch nicht nachvollziehbar werden, warum von diesem Vorwurf von Rechts wegen freigesprochen wurde.

Außerdem hat das OLG aber für die neue Hauptverhandlung eine „Segelanweisung“ gegeben, und zwar:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, soweit sie sich aus dem (freisprechenden) Urteil zu erschließen vermögen, die Verwirklichung einer Tat nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB noch nicht ohne Weiteres erkennbar ist.

Die Äußerungen des Angeklagten richten sich, soweit sie für den Senat angesichts der Urteilsgründe einer Entscheidung mit dem in § 267 Abs. 5 S. 1 StPO genannten Tenor greifbar sind, nach den bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht eindeutig gegen eine klar abgrenzbare religiöse Gruppe. Dies können neben den in § 6 VStGB genannten Personenmehrheiten zwar auch Bevölkerungsteile sein, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung als besondere Gruppe erkennbar sind (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 4).

Da sich die Äußerungen des Angeklagten ihrem Wortlaut nach nicht gegen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Kultur schlechthin richten, sondern gegen eine Gruppe von von ihm als „Zionisten“ bezeichneter Menschen, deren Abgrenzung ihm selbst ersichtlich schwerfällt, wird ein Schwergewicht der erneuten tatrichterlichen Feststellung und Erörterung auch darauf liegen müssen, ob sich die Äußerungen ihrem objektiven Sinngehalt nach gegen Juden im Allgemeinen richten. Insoweit darf sich die Kammer einerseits nicht mit dem bloßen Wortlaut der Äußerungen zufriedengeben. Denn entscheidend ist der objektive Sinngehalt. Wenn die Auslegung einer Erklärung aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen Dritten und Berücksichtigung des Adressatenkreises der Aussage ergibt, dass der Erklärende den Begriff „Juden“ nur deshalb vermeidet, weil er Strafbarkeit befürchtet, seinen Zuhörern aber unmissverständlich vermittelt, dass er nicht nur eine nicht abgrenzbare Teilmenge, sondern „die“ Juden meint, ist er auch an diesem Sinngehalt festzuhalten. Denn auch im Rahmen des § 130 StGB können nicht nur ausdrückliche, sondern auch konkludente Äußerungen strafbar sein.

Bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB sind zudem die aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die besondere wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene des einfachen Rechts zur Geltung kommt. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so müssen, soll die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung der rechtlichen Würdigung zu Grunde gelegt werden, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden (BVerfGE 82, 43 50 ff.; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020, 310 [311] – Wahlkampfplakat „Zionismus stoppen – Israel ist unser Unglück!“ neben einer Synagoge; AG Essen, Urt. v. 30.1.2015 – 57 Cs 631/14, juris Tz. 17 – Aufruf „Tod und Hass den Zionisten“).

Volksverhetzung I: Auslegung einer Äußerung auf FB, oder: Recht auf freie Meinungsäußerung beachten

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In die neue Woche starte ich heute mit zwei Entscheidungen zum StGB-Entscheidungen. Es handelt sich um Verstöße gegen § 130 StGB – „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2022- 3 Ss 131/22. Das hatte etwa betreffend den Vorwurf „Volksverhetzung“ folgenden Sachverhalt:

Angeklagt war ein hessischer Kommunalpolitiker. Dem ist das Teilen einer Bild-Text-Collage auf Facebook vorgeworfen worden. Auf dem einen Bild waren mehrere Männer schwarzer Hautfarbe, die mit Unterhemden oder T-Shirts bekleidet waren, zu sehen, die freudig Papiere in die Kamera zu halten schienen, versehen mit der Textzeile „Wir sind EU-Bürger“. Darunter waren mehrere Löwen abgebildet mit der Textzeile „und wir sind Vegetarier“.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung frei gesprochen. Das LG hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Die Revision hatte beim OLG keinen Erfolg:

„1. Soweit die Revision mit der Darstellungsrüge Beweiswürdigungsfehler bei der Verneinung der Voraussetzungen eines den öffentlichen Frieden zu stören geeigneten Angriffs auf die Menschenwürde einer durch ihre ethnische Herkunft bestimmten Gruppe durch Beschimpfen sowie eines der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Inhaltes (§ 11 Abs. 3 StGB), der die Menschenwürde von diesen genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft werden, gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit. c StGB rügt, zeigt sie keine revisiblen Rechtsfehler auf.

a) Die Ermittlung des tatsächlichen Sinngehalts einer beanstandeten Äußerung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 40, 97, 101; BGHSt 54, 15, 18 Tz. 8 f.; BGHSt 64, 252, 259 Tz. 23).

Kommt der Tatrichter zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, mag auch ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen. Anders ist dies insbesondere dann, wenn die Erwägungen des Tatgerichts lückenhaft sind oder gegen Sprach- und Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen; die rechtliche Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob allgemeine Auslegungsregeln verletzt worden sind.

Kriterien der Auslegung sind neben dem Wortlaut der Äußerungen und ihrem sprachlichen Kontext auch sämtliche nach außen hervortretende Begleitumstände, namentlich etwa die erkennbare politische Grundhaltung der Zuhörer und ihr Vorverständnis, aber auch die nach dem objektiven Empfängerhorizont deutlich werdende Einstellung des sich Äußernden. Bei mehrdeutigen Äußerungen gebietet es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG jedoch nur dann, die dem Angeklagten günstigere Deutung zugrunde zu legen, wenn diese nicht ausgeschlossen ist (zu diesen Prüfungsmaßstäben der st. Rspr. vgl. BVerfGE 82, 236, 267; BVerfG, NJW 1994, 2943; BGH, NStZ 2017, 146).

b) Nach diesen Maßstäben unter Berücksichtigung des revisionsrechtlich eingeschränkten Zugriffs auf die Darstellung in den Urteilsgründen verstoßen die getroffenen Feststellungen im Ergebnis nicht gegen Erfahrungssätze oder sind lückenhaft.

aa) Das Berufungsgericht hat mit – noch – tragfähigen Gründen eine von mehreren alternativen Deutungen der Text-Bild-Kombination dergestalt dargelegt, dass ein Zusammenhang zu Einreisen, Grenzübertritten und dem Passwesen, allgemein also eine polemisch-kritische Betrachtungsweise der Migrationspolitik besteht, da drei der abgebildeten Männer ein gelbes Dokument vorzeigen, welches mutmaßlich ein Ausweisdokument darstellen soll. Auf dieser Grundlage kommt es zu der noch vertretbaren Deutung, dass allein nach Flucht, Vertreibung, Verfolgung oder aus sonstigem Grund eingereiste, nichteuropäische dunkelhäutige Menschen, nicht zugleich oder ausschließlich auch dunkelhäutige Menschen, die bereits die Staatsangehörigkeit eines Staates der EU innehaben, gemeint sind. Dies wird damit begründet, dass hier lebende dunkelhäutige Personen mit einer Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates keine Veranlassung haben, irgendwelche Ausweispapiere kollektiv für ein Foto zu präsentieren.

Das ist tragfähig, mag auch eine andere Deutung aus der Sicht eines Tatrichters vertretbar sein. Denn die Bildunterschrift „Wir sind EU-Bürger“ stellt die Abbildung in einen gesamteuropäischen Kontext unter Hervorhebung der Freizügigkeit, die nach dem objektiven Empfängerhorizont Raum für nicht strafbare Interpretationen zulässt, während dies beispielsweise bei einer Formulierung wie „Wir sind Deutsche“ möglicherweise anders wäre. Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, eigene, möglicherweise auch politisch gefärbte Deutungen an die Stelle der dem Tatgericht obliegenden rational begründeten tatsachengestützten Beweisführung zu stellen (vgl. BGH NStZ 2007, 720; BGH NStZ 2009, 468 Rn. 12). Die tatrichterlichen Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein.

bb) Ein Rechtsfehler kann zwar darin liegen, dass das Tatgericht nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerungen nicht gezogen hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen (vgl. BGH StV 2012, 711, 713 Rn. 4) oder aber andere naheliegende Möglichkeiten erst gar nicht erörtert. Das Tatgericht muss sich daher mit allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandersetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen bzw. wenn sich ihre Erörterung aufdrängt (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 57, 58; BGH, Urt. v. 08.03.2018 – 3 StR 571/17 Rn. 6, juris).

Diese Voraussetzungen erfüllt das angegriffene Urteil jedoch, da es auf mehrere naheliegende Deutungsmöglichkeiten eingeht. So verschweigt das Urteil unter anderem nicht, dass die Abbildung vordergründig in als rassistisch interpretierbarer Weise auszudrücken vermag, dass genauso wenig wie Löwen Vegetarier seien, Männer, wie sie dort – jeder mit dunkler Hautfarbe – beispielhaft abgebildet, „EU-Bürger“ sein könnten oder dürften. Gleichwohl kommt es in vom Senat revisionsrechtlich noch hinzunehmender Weise zu der nicht völlig auszuschließenden Deutungsmöglichkeit einer kritischen Betrachtungsweise der Migrationspolitik.

2. Ohne Erfolg rügt die Staatsanwaltschaft deshalb auch das Vorhandensein revisionsrechtlich rechtsfehlerhafter Spekulationen zugunsten des Angeklagten und auch, dass die Feststellung von Äußerungsinhalten mit dem objektiven Sinngehalt und Kontext der Äußerung nicht in Übereinstimmung zu bringen seien.

3. Die Revision vermag zuletzt auch mit der Rüge fehlender Feststellungen zur subjektiven Seite nicht durchzudringen.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts und es obliegt ihm, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGHSt 21, 149 [151]). Dem Tatgericht kann nicht vorgegeben werden, unter welchen Voraussetzungen es zu einer bestimmten Folgerung kommen muss (BGHSt 29, 18 [20]). Ein beachtlicher Rechtsfehler liegt lediglich dann vor, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, weil nicht erschöpfend ist (BGHSt 29, 18 (20); BGH, Urt. v. 21.11.2006 – 1 StR 392/06 Rn. 13, juris). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, ist auch dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 189).

Angesichts dieses eingeschränkten Maßstabes sind entgegen der Auffassung der Revisionsführerin die Feststellungen zur subjektiven Seite tragfähig begründet. Denn ausweislich der Feststellungen hat der Angeklagte den Beitrag im ersten Impuls, ohne ihn weitergehend zu reflektieren, im Sinne „satirischer Zuspitzung“ als „witzig“ empfunden und sich gedacht, „irgendwie trifft es das“, was er mit dem von ihm kritisierten „gegenwärtigen“ Zustand der EU und der „zu Grunde liegenden deutschen Migrationspolitik“ verbunden hat. Dass das Tatgericht diese Feststellungen mit der Einlassung des Angeklagten begründet, der es Glauben schenkt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, und zwar auch dann, wenn Feststellungen zu der Frage, welchen Sinngehalt der Angeklagte der von ihm geteilten Text-Bild-Kombination konkret beimaß, unterblieben sind. Denn dem Senat ist es aus Gründen der Arbeitsteilung mit der Tatsacheninstanz in der Ordnung des Revisionsverfahrens verwehrt, die Beweiswürdigung durch seine eigene zu ersetzen (BGHSt 10, 208 [210]).

Soweit gerügt wird, die Kammer habe auf eine abwägende und kritische Würdigung des Wahrheitsgehaltes der Einlassung des Angeklagten verzichtet und sich im Ergebnis auf fernliegende Behauptungen des Angeklagten gestützt, so vermag dies im Ergebnis genauso wenig einen Rechtsfehler aufzudecken wie das Vorbringen, bei dem Angeklagten handele es sich um einen versierten, (parlaments-)erfahrenen und langjährigen Partei1-Politiker, bei dem sich das Tatgericht hätte gedrängt sehen müssen, zumindest kritisch zu hinterfragen, ob das von ihm behauptete völlige Verkennen des volksverhetzenden Sinngehalts der Text-Bild-Abbildung tatsächlich zutrifft.

Denn das Berufungsgericht hat sich auch mit dem politischen Engagement des Angeklagten und dessen Nachtatverhalten in vertretbarer Weise auseinandergesetzt. Letzteres wird insbesondere durch die Feststellungen deutlich, wonach der Angeklagte erst durch einen Anruf eines Journalisten auf die Kritikwürdigkeit aufmerksam gemacht wurde, er den Beitrag aus seiner Facebook-Chronik entfernt, sich öffentlich entschuldigt und versucht hat, klarzustellen, dass das Teilen des Beitrags weder rassistisch gemeint noch gegen Personen, Menschen oder Ethnien gerichtet gewesen ist, sondern die von ihm kritisierte Einwanderungspolitik mit der satirisch überzeichneten Abbildung habe darstellen sollen. Angesichts dieses Nachtatverhaltens und des dem Tatgerichts zustehenden Spielraums bei der Würdigung der Beweise rechtfertigt allein die Tatsache, dass der Angeklagte politisch langjährig erfahren ist, nicht die Annahme lückenhafter Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite. Insoweit erfolgte eine abwägende, kritische Würdigung der Vorstellungen des Angeklagten. So ist neben dem Tatzeitpunkt, – es handelte sich ausweislich der Feststellungen um den …abend des XX.XX.2019, bei dem der Angeklagte seinen Sohn im Kleinkindalter zu Bett brachte und versuchte ihn zum Schlafen zu bringen – der aus Sicht der Rechtsmittelinstanz nachvollziehbar indiziell für eine situative Unreflektiertheit spricht, zu berücksichtigen, dass das Tatgericht den Aussagegehalt kritisch gewürdigt hat, indem es u.a. zu dem Ergebnis gelangt ist, der Angeklagte habe unter dem Einfluss seiner kritischen Einstellung zur Flüchtlingspolitik kurzentschlossen und bedenkenlos einen Post mit geschmackloser Pointe, deren rassistischer Gehalt augenfällig sei, geteilt.“

StPO III: Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter, oder: Wirksame Stellung des Strafantrags durch Vertreter?

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Und als letzte Entscheidung des Tages dann noch einmal der LG Karlsruhe, Beschl. v. 04.01.2023 – 16 Qs 98/22. Ja – „noch einmal“, denn der Beschluss ist schon zweimal Gegenstand der Berichterstattung gewesen (StGB III: Sind die Audioaufnahmen „unbefugt“ erstellt?, oder: Restriktive Auslegung bei Beweisnot und  StPO I: Voraussetzung für den Erlass eines Strafbefehls, oder: Hinreichender Tatverdacht gegeben?). Heute dann zum dritten Mal, und zwar wegen der Frage der rechtzeitigen Stellung des Antrags. Dazu das LG:

„2. Dem Erlass des Strafbefehls steht allerdings bereits ein nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis entgegen. Es fehlt an einem form- und fristgerecht gestellten Strafantrag der Geschädigten gegen den Angeschuldigten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.

Die Strafverfolgung des Angeschuldigten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB würde gem. §§ 205 Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 1, 77b Abs. 1 Satz 1 StGB, 168 Abs. 2 StPO voraussetzen, dass die Geschädigte zuvor form- und fristgerecht einen entsprechenden Strafantrag gestellt hat. Eine Verfolgung von Amts wegen ohne Strafantrag ist ansonsten auch bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses nicht möglich (im Umkehrschluss zu § 205 Abs. 1 Satz 2 StPO; vgl. BeckOK StGB/Dallmeyer, 55. Ed. 1.11.2022, StGB § 77 Rn. 4.1).

Die Frist zur Stellung eines Strafantrags gem. § 77b Abs. 1 StGB beträgt drei Monate nach Kenntniserlangung von der Tat und der Person des Täters. Diese Frist ist bereits abgelaufen, ohne dass die Geschädigte selbst einen Strafantrag in dieser Sache gegen den Angeschuldigten gestellt hätte.

Der Angeschuldigte fertigte die verfahrensgegenständlichen Audioaufnahmen am 31.08.2021. Am 16.09.2021 übergab der Angeschuldigte Kopien der Audioaufnahmen auf einem USB-Stick den Beamten des Polizeipostens Illingen. Es lässt sich anhand der Aktenlage auch nach Rücksprache mit dem Polizeiposten Illingen nicht sicher rekonstruieren, ob die Geschädigte bereits damals über die Audioaufnahmen informiert wurde.

Jedenfalls hatte die Geschädigte spätestens nach Akteneinsicht ihrer Bevollmächtigten am 26.01.2022 sicher Kenntnis von Existenz und Übergabe der von ihr durch den Angeschuldigten gefertigten Audioaufnahmen. Spätestens nach dem 26.04.2022 war damit die gem. § 77b Abs. 1 Satz 1 StGB maßgebliche Frist für einen wirksamen Strafantrag der Geschädigten abgelaufen. Bis dahin hat die Geschädigte selbst keinen entsprechenden Strafantrag gestellt.

Die Prozessbevollmächtigten der angeblich Verletzten haben zwar am 03.02.2022 mittels qualifizierter elektronischer Signatur über das besondere elektronische Anwaltspostfach gemäß der damaligen Fassung von § 32a Abs. 3 Alt. 1 StPO formgerecht ein Strafverfolgungsbegehren wegen der Audioaufnahmen im eigenen Namen zum Ausdruck gebracht. Strafanträge sind auch grundsätzlich von der Vollmacht der Geschädigten gedeckt gewesen. Der in dem Schriftsatz hervorgehobene Begriff „Strafanzeige“ steht der Behandlung als Strafantrag ebenfalls nicht entgegen (vgl. BGH NJW 1992, 2167).

Allerdings haben die Prozessbevollmächtigten die Strafverfolgung im eigenen Namen beantragt und nicht lediglich den Strafantrag ihrer Mandantin übermittelt. Der gesamte Schriftsatz der Bevollmächtigten differenziert zwischen der Geschädigten (“unsere Mandantin“) und den Bevollmächtigten (“wir“). Den Strafantrag stellen dabei die Bevollmächtigten im eigenen Namen (“wir“) und nicht im Namen ihrer Mandantin.

Es handelt sich somit erkennbar nicht lediglich um eine Vertretung in der Erklärung, sondern um die Fallgruppe einer „Vertretung im Willen“ über den Strafantrag selbst. Selbst mit entsprechender Vollmacht ist eine solche Vertretung im Willen nach vorherrschender Auffassung unwirksam, wenn das jeweilige Antragsdelikt immaterielle, höchstpersönliche Rechtsgüter betrifft (vgl. OLG Bremen, NJW 1961, 1489; RGSt 21, 231 (233); MüKoStGB/Mitsch, 4. Aufl. 2020, StGB § 77 Rn. 29; BeckOK StGB/Dallmeyer, 55. Ed. 01.11.2022, § 77 Rn. 20; krit. Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 77 Rn. 22 m.w.N.). So liegt der Fall bei der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.“

StGB III: GG-Verstoß der „Kipo-Mindeststrafe“?, oder: Wer gewinnt das Rennen?

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Und als dritte Entscheidung dann nicht noch eine Entscheidung zu BtM, sondern etwas ganz anderes. Ich weise hier auf den AG Buchen, Beschl. v. 01.02.2023 – 1 Ls 1 Js 6298/21 – hin, en mir der Kollege Böttner aus Hamburg geschickt hat.

Mit dem Beschluss hat das AG ein bei ihm anhängiges „KiPo-Verfahren“ ausgesetzt und die Sache dem BVerfG vorlegt. Das AG hält die Neuregelung der Mindeststrafe in § 184b Abs. 3 stGb von 1 Jahr für einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Wegen der Einzelheiten, isnbesondere auch wegen des Vorwurfs, der der Angeklagten gemacht wird, verweise ich auf den verlinkten AG-Beschluss. Hier der Leitsatz dazu.

Die Mindesststrafe des § 184b Abs. 3 StGB von 1 Jahr Freiheitsstrafe ist ein Verstoß gegen das aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Schuldprinzip (Übermaßverbot), wenn diese auch dann zu verhängen ist, wenn es sich um den vorsätzlich aufrechterhaltenen Besitz von 3 Bilddateien („Stickern“) mit kinderpornografischen Inhalten und einer Länge von 11 Sekunden handelt, der von der nicht vorbestraften und von Anfang an mit den Ermittlungsbehörden kooperierenden Täterin ohne pädophile Neigungen unfreiwillig erlangt worden war.

Man darf gespannt sein, was das BVerfG „macht“. Und noch gespannter bin ich, wer das „Wettrennen“ um den § 184b Abs. 3 StGB gewinnt? Das BVerfG oder die Bundesregierung/der Gesetzgeber, der ja mit einem beschluss der JuMiKo umgehen muss (vgl. Jus­tiz­mi­nister für Ent­schär­fung der Kin­derpor­no­grafie-Straf­bar­keit). Bei der Bearbeitungsdauer beim BVerfG tippe ich auf den Gesetzgeber – wenn er denn etwas „macht“.

StGB II: Die „Bunte Blüte“ vertreibt CBD-Produkte, oder: Dem BGH gefällt die Beweiswürdigung nicht

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Die zweite Entscheidung kommt auch aus dem BtM-Bereich. Es handelt sich um das BGH, Urt. v. 16.01.2023 – 5 StR 269/22. Das ist die BGH-Entscheidung zum Vertrieb von CBD-Produkten.

Das LG hatte die Angeklagten, es handelte sich um den Geschäftsführer und Vertriebsleiter, zwei Mitarbeiter und zwei nicht mit dem operativen Geschäft befasste Teilhaber der Unternehmergesellschaft (UG) „Bunte Blüte“. Dieses Unternehmen vertrieb Bestandteile von Cannabispflanzen mit einem geringen Gehalt von rauscherzeugendem THC und einem hohen Gehalt des nicht berauschenden Wirkstoffs CBD, also sog. CBD-Produkte in kleinen Portionen zu 2 bzw. 5g über Verkaufsstellen und im Online-Handel.

Im Januar 2019 führte einer der Angeklagten gut 3 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen mit gut 5 Gramm THC aus der Schweiz nach Deutschland ein. Am darauffolgenden Tag wurden im Geschäftssitz des Unternehmens ungefähr 2,4 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen und etwa 1 Kilogramm einer cannabishaltigen Zubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt rund 5,5 Gramm THC verwahrt. Ferner bestellte einer der Angeklagten in Luxemburg knapp 7,5 Kilogramm Blütenstände von Cannabispflanzen, die einen Gehalt von gut 9 Gramm THC aufwiesen. Das Paket wurde jedoch am 19. Februar 2019 in Berlin vom Zoll entdeckt und beschlagnahmt, sodass es die „Bunte Blüte“ UG nicht erreichte.

Das LG hat die Angeklagten vom Vorwurf der bandenmäßigen Einfuhr und des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln freigesprochen. Begründung: Zwar handelet es sich bei den CBD-Produkten um Betäubungsmittel gehandelt. Den Angeklagten sei aber in subjektiver Hinsicht kein strafrechtliches Fehlverhalten nachzuweisen. Sie hätten weder erkannt noch fahrlässig verkannt, dass die gehandelten CBD-Produkte zu Rauschzwecken missbraucht werden könnten und daher dem BtMG unterfielen.

Der BGH hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Er beanstandet die Beweiswürdigung des LG als rechtsfehlerhaft. Die umfangreichen Ausführungen dazu stelle ich hier nicht ein, sondern Beschränkung mich auf den Versuch einer Zusammenfassung. Der BGh moniert im Wesentlichen folgende Punkte:

  • Die Strafkammer habe sich schon nicht mit der Glaubhaftigkeit der Einlassungen der Angeklagten auseinandergesetzt, sondern sie lediglich wörtlich wiedergegeben und ohne nähere Prüfung ihrer Entscheidung zugrunde gelegt.
  • Das LG habe sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, dass die Angeklagten damit geworben haben, die verkauften CBD-Produkte hätten entgegen der „Behauptung einiger selbst ernannter Experten, Polizisten und Richter“ keine Rauschwirkung.
  • Und: Er hat beanstandet, dass die Strafkammer keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und etwaigen Vorstrafen der Angeklagten getroffen hat, obwohl sich aus denen nach seiner Auffassung ggf. Anhaltspunkte dafür hätten ergeben können, dass die Angeklagten die BtM-Eigenschaft der gehandelten CBD-Produkte erkannten oder hätten erkennen können.

Also: Auf ein Neues.