Archiv der Kategorie: Strafrecht

KiPo III: Strafzumessung beim sexuellen Missbrauch, oder: Lange Zeit zwischen den Taten und dem Urteil

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Und dann noch als dritte Entscheidung der BGH, Beschl. v. 14.01.2025 – 4 StR 302/24. Es ist zwar nicht ein „KiPo-Fall“, aber es geht u.a. um schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Der BGH beanstandet die Strafzumessung des Landgerichts.

„1. Während die rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, hält der Strafausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat bei der Begründung der Zumessung der Einzelstrafen den langen zeitlichen Abstand zwischen den Taten und dem Urteil nicht berücksichtigt.

a) Nach den getroffenen Feststellungen beging der zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils 85-jährige Angeklagte die 17 Taten, die sämtlich den (schweren) sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, im Zeitraum von 2013 bis zum ersten Quartal 2018; er ist danach nicht mehr straffällig geworden.

b) Eine vom Täter – wie hier der Fall ? nicht verschuldete lange Zeitspanne zwischen Tat und Urteil ist auch in Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern ein bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Oktober 2017 – 2 StR 219/15 Rn. 16 f.; Beschluss vom 12. Juni 2017 – GSSt 2/17, BGHSt 62, 184, 192); vor allem dann, wenn der Angeklagte seither nicht mehr straffällig geworden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2022 – 6 StR 191/22 Rn. 3). Dies hätte das Landgericht in den Fällen II. 2. d) und II. 2. e) der Urteilsgründe bei der Prüfung eines minder schweren Falls des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176a Abs. 4 StGB (i. d. Fassung vom 21. Januar 2015) und im Übrigen bei der konkreten Strafzumessung der jeweiligen Einzelstrafen berücksichtigen müssen.

c) Die Einzelstrafen können deshalb nicht bestehen bleiben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich der Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf die Höhe der Einzelstrafen ausgewirkt hat. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Die Feststellungen sind von der Aufhebung nicht betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die zu den getroffenen nicht in Widerspruch stehen, sind zulässig.

2. Der Senat weist darauf hin, dass die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer bei der Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe das fortgeschrittene Alter des Angeklagten mehr als bislang auch im Hinblick auf die Wirkung der Strafe auf sein zukünftiges Leben in den Blick zu nehmen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2006 – 4 StR 572/05 Rn. 13).“

KiPo II: Besitz von kinderpornografischen Inhalten, oder: Konkrete Feststellungen zur sexuellen Handlung

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Und dann in der zweiten Entscheidung etwas Verfahrensrechtliches. Das BayObLG hat im BayObLG, Beschl. v. 16.12.2024 – 203 StRR 589/24 – zur Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung bei einer Verurteilung wegen Besitzes von kinderpornographischen Inhalten Stellung genommen.

Es hat die vom LG als wirksam angesehene Beschränkung bei der Verurteilung wegen des Besitzes kinderpornographischer Inhalte und des Drittverschaffens kinderpornographischer Inhalte als unwirksam angesehen:

„3. Gemessen daran erweist sich die Beschränkung der Berufung hier als unwirksam. Die Feststellungen des Tatrichters sind zu lückenhaft, um den Schuldspruch zu tragen und die Nachprüfung des Strafausspruchs zu ermöglichen.

a) Bezüglich der jeweils als selbständige Tat abgeurteilten Weitergaben von Dateien lassen sich weder dem Urteil des Amtsgerichts noch dem Erkenntnis des Landgerichts hinreichende Ausführungen zum Inhalt der jeweiligen Abbildung entnehmen. Der Verweis auf den gesetzlichen Tatbestand genügt den Anforderungen an eine Urteilsbegründung nicht. Denn nach § 267 Abs. 1 S. 1 StPO müssen die Urteilsgründe im Falle einer Verurteilung die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Ein Geständnis des Angeklagten entbindet das Gericht nicht von der Notwendigkeit, eigene tatsächliche Feststellungen zu treffen und diese sodann rechtlich zu bewerten. Wird ein Angeklagter wegen mehrerer selbstständiger Straftaten verurteilt, so müssen die einzelnen Taten so hinreichend dargestellt werden, dass das Revisionsgericht in Bezug auf jede einzelne Tat in der Lage ist zu prüfen, ob sie den Straftatbestand in objektiver und in subjektiver Hinsicht erfüllt.

b) Daraus folgt, dass die Urteilsgründe im Falle einer – tatmehrheitlichen – Verurteilung nach § 184b StGB die wesentlichen Inhalte der jeweiligen kinderpornografischen Inhalte wiedergeben müssen; hierzu gehört zumindest eine Beschreibung der Art der sexuellen Handlung (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2023 – 5 StR 55/23, juris Rn. 3 und vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12 m.w.N; OLG Celle, Beschluss vom 28. Mai 2024 – 1 ORs 13/24 –, juris Rn. 21; OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Mai 2023 – 1 ORs 85/23 –, juris Rn. 10). Zwar ist es beim Vorliegen einer großen Menge von Video- und Bildaufnahmen nicht erforderlich, in den Urteilsgründen jede einzelne zu beschreiben; zumindest für eine exemplarische Auswahl der Aufnahmen sind aber konkrete Feststellungen zu den sexuellen Handlungen geboten (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12; OLG Oldenburg a.a.O. Rn. 10; OLG Celle a.a.O. Rn. 21). Möglich wäre auch eine Bezugnahme auf in den Akten befindliche Abbildungen gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12).

c) Im vorliegenden Fall kann die exemplarische Darstellung von 5 Bilddateien und 2 Videodateien den insgesamt 11 Fällen des Drittverschaffens kinderpornographischer Inhalte nicht zugeordnet werden. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass bezüglich der beiden Taten vom 30. Juni 2021 auch zu prüfen wäre, ob insoweit eine natürliche Handlungseinheit und damit eine Tat im materiellrechtlichen Sinn vorliegt (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2023 – 3 StR 123/23 –, juris Rn. 18).

d) Nachdem das Amtsgericht die notwendigen Feststellungen versäumt hatte, hätte die Berufungskammer entsprechende eigene Feststellungen nachholen müssen.“

KiPo I: Sichverschaffen jugendpornografischer Inhalte, oder: „aufreizend geschlechtsbetonte Körperhaltung“

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Heute stelle ich drei Entscheidungen zu „Kipo-Verfahren“ vor.

Ich starte mit dem BGH, Urt. v. 20.11.2024 – 2 StR 170/24. Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Unternehmens des Sichverschaffens jugendpornographischer Inhalte verurteilt.

Dazu hatte das LG folgende Feststellungen getroffen:

„Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Mai 2022 forderte der Angeklagte eine andere, ebenfalls etwa 15 Jahre alte Geschädigte in Kenntnis ihres jugendlichen Alters zur Übersendung von Nacktaufnahmen auf. Dieser Aufforderung kam die Geschädigte nach und übersandte eine Videodatei, in welcher ihre unbekleideten Brüste im Fokus der Kamera stehen. Der Angeklagte speicherte sich dieses Video ab (Fall II.11 der Urteilsgründe).“

Auf die Revision des Angeklagten hat der BGh insoweit aufgehoben und frei gesprochen:

„a) Die hinsichtlich Fall II.11 der Urteilsgründe erfolgte Verurteilung wegen Unternehmens des Sichverschaffens jugendpornographischer Inhalte gemäß § 184c Abs. 3 StGB wird von den Feststellungen nicht getragen; denn diese ergeben nicht, dass die Handlung des Angeklagten sich auf einen jugendpornographischen Inhalt bezog.

aa) Nach § 184c Abs. 3 StGB macht sich strafbar, wer es unternimmt, einen jugendpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen, oder wer einen solchen Inhalt besitzt. Ein jugendpornographischer Inhalt liegt vor, wenn er sexuelle Handlungen von, an oder vor einer jugendlichen Person, die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten jugendlichen Person in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes einer jugendlichen Person zum Gegenstand hat. Die Aufnahme des nur unbekleideten Körpers der Person erfüllt für sich diese Voraussetzungen noch nicht (BGH, Beschluss vom 21. November 2023 – 4 StR 72/23, u.a. Rn. 12; vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 342/14, BGHR StGB § 184b Abs. 1 Kinderpornographische Schrift 1 Rn. 5).

bb) Daran gemessen tragen die Feststellungen in Fall II.11 der Urteilsgründe die Annahme nicht, die Handlung des Angeklagten habe sich auf einen jugendpornographischen Inhalt bezogen. Denn den Feststellungen lässt sich nicht entnehmen, dass die Geschädigte in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung zu sehen oder dies vom Angeklagten beabsichtigt gewesen wäre. Seine Aufforderung bezog sich auf die Übersendung von Nacktaufnahmen, wobei eine aufreizend geschlechtsbetonte Körperhaltung nicht thematisiert wurde. Das übersandte Video zeigte die unbekleideten Brüste, die im Fokus der Kamera standen. Dies stellt keinen jugendpornographischen Inhalt dar.

cc) Da auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitergehende, die Erfüllung des Tatbestands des § 184c Abs. 3 StGB ergebende Feststellungen getroffen werden könnten, spricht der Senat den Angeklagten im Fall II.11 der Urteilsgründe mit entsprechender Kostenfolge frei.“

Bewährung III: Nachverurteilung als Widerrufsgrund, oder: Ist die weitere Beschwerde zulässig?

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Und in der dritten Entscheidung, dem OLG Celle, Beschl. v. 06.11.2024 – 2 Ws 303/24 – geht es auch um eine Rechtsmittelfrage, und zwar:

Der bereits mehrfach wegen Betruges vorbestrafte Beschwerdeführer wurde durch Urteil des AG wegen Betruges in 7 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Mit Beschluss vom 18. Mai 2022 widerrief das Amtsgericht Lüneburg die dem Beschwerdeführer gewährte Strafaussetzung zur Bewährung, nachdem dieser keinerlei Zahlungen auf die ihm gemachte Bewährungsauflage erbracht hatte

Hiergegen legte der Verurteilte form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein. Mit Schreiben vom 07.07.2022 teilte die zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufene Beschwerdekammer des LG Lüneburg dem Beschwerdeführer mit, sie beabsichtige, die Beschwerde zunächst für die Dauer von drei Monaten zurückzustellen und den Bewährungsverlauf abzuwarten. Zugleich wurde der Verurteilte aufgefordert, Nachweise über von ihm behauptete Zahlungen vorzulegen.

Eine Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Verurteilten erging in der Folgezeit nicht; wiederholt behauptete der Beschwerdeführer, er habe im Hinblick auf die Geldauflage gem. § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB Teil-Zahlungen erbracht.

Mit Urteil des AG Duisburg-Hamborn vom 21.03.2024 wurde der Verurteilte dann zu einer Geldstrafe  verurteilt. Am 09.09.2024, mithin deutlich mehr als zwei Jahre nach Eingang der sofortigen Beschwerde, verwarf das LG Lüneburg nach vorheriger Gewährung rechtlichen Gehörs zu den neu eingetretenen Umständen die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss vom 18.05.2022. Zur Begründung führte die Kammer aus, der Beschwerdeführer sei spätestens ab November 2023 zahlungsfähig gewesen, habe gleichwohl gröblich und beharrlich gegen die Zahlungsauflage verstoßen und dabei versucht, das Landgericht über nur vermeintlich erbrachte Zahlungen zu täuschen. Zudem liege nunmehr angesichts der Nachverurteilung durch das AG Duisburg-Hamborn vom 21.03.2024 auch der Widerrufsgrund gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB vor.

Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner als „sofortige Beschwerde“ bezeichneten Eingabe seines Verteidigers vom 26.09.2024.

Das OLG hat die Eingabe als weitere Beschwerde amgesehen und die als unzulässig verworfen. Hier dann auch (nur) der Leitsatz:

Ein auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen einen Bewährungswiderruf gem. § 56f StGB ergangener Beschluss des Beschwerdegerichts ist gem. § 310 StPO selbst dann unanfechtbar, wenn das Beschwerdegericht den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB (zusätzlich) auf eine erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens ergangene Nachverurteilung stützt.“

Bewährung II: Bewährungsverlängerung statt Widerruf, oder: Welches Rechtsmittel ist richtig?

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Und dann hier die zweite Entscheidung mit dem OLG Celle, Beschl. v. 27.01.2025 – 2 Ws 14/25.

Die Staatsanwaltschaft hatte einen Widerrufsantrag gestellt. Den hat das LG abgelehnt und stattdessen die Bewährungszeit verlängert.

Frage: Was ist das richtige Rechtsmittel?

Das OLG sagt:

Sieht das Gericht auf den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft hin von einem Widerruf ab und verlängert es stattdessen lediglich nach § 56f Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB die Bewährungszeit ist die sofortige Beschwerde nach § 453 Abs. 2 S. 3 StPO das statthafte Rechtsmittel.