Archiv der Kategorie: Strafvollstreckung

Pflichti III: Bestellung in der Strafvollstreckung, oder: Bestellung im Bußgeldverfahren

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Und dann zum Schluss noch zwei Entscheidungen zu den Beiordungsgründen. Beide Entscheidungen betreffen nicht das „normale“ Erkenntnisverfahren, sondern einmal das Bußgeldverfahren und einmal die Strafvollstreckung, und zwar:

Liegt bei dem Verurteilten eine leichte Intelligenzminderung vor und ist ein Sachverständigengutachten zur Gefährlichkeit des Verurteilten erstattet, ist ihm im Strafvollstreckungsverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen.

Dem Betroffenen ist auch im Bußgeldverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalls das erfordern. Das ist ausnahmsweise dann der Fall, wenn bereits eine erste Verurteilung des Betroffenen ist auf seine Rechtsbeschwerde vom OLG hin aufgehoben worden ist und die durchzuführende Hauptverhandlung sich maßgeblich an den Ausführungen des OLG zu orientieren hat, wobei die insoweit gebotene Auseinandersetzung mit den optischen Fehlerquellen einer Messung namentlich unter Berücksichtigung der Sichtverhältnisse und die juristische Bewertung der Messmethode von einem juristischen Laien nicht erwartet werden kann.

 

Vollstreckung II: Vollstreckungsaufschub für Chef, oder: Wenn der Firmenchef „aufs Amt“ muss

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Der zweiten Entscheidung, dem LG Rostock, Beschl. v. 26.09.2022 – 11 StVK 937/17(1) – liegt ein Streit um einen Vollstreckungsaufschub zugrunde. Der Verurteilte hatte den beantragt, die Vollstreckungsbehörde hat nicht bewilligt. Die Einwendungen des Verurteilten waren dann bei der kleinen Strafvollstreckungskammer erfolgreich:

„Die Voraussetzungen für einen vorübergehenden Vollstreckungsaufschub gemäß § 456 Abs. 1 und 2 StPO sind erfüllt. Nach dem teilweise glaubhaften Vortrag des Verurteilten ist davon auszugehen, dass ihm durch die sofortige Vollstreckung der Strafe erhebliche, außerhalb des Straf-zwecks liegende Nachteile erwachsen würden bzw. erwachsen worden wären.

Soweit der Verurteilte, der alleiniger Geschäftsführer der pp.  ist, vorgetragen hat, zur Abwicklung seines Gewerbes bzw. dessen Ruhendstellung diverse Termine bei Ämtern, Notaren und anderen Behörden wahrnehmen zu müssen, begründet dies hinreichende Gründe für einen Vollstreckungsaufschub. Die Kammer konnte insoweit die Notwendigkeit der Klärung dieser Angelegenheiten außerhalb der Haft nachvollziehen, für die der Zeitraum der Ladungsfrist von einer Woche zu kurz bemessen war. Zwar erscheint die Wahrnehmung einiger dieser Termine auch aus der Haft heraus grundsätzlich möglich, jedoch dürften diese wesentlich erschwert und möglicherweise auch mit Nachteilen des Verurteilten, beispielsweise Zugriff auf Unterlagen, verspäteter Schriftwechsel oder auch erhöhte Kosten, verbunden sein. Der Verurteilte hat sich nach Kenntnis der Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses offenkundig bemüht, die erforderlichen Termine zeitnah abzustimmen und alles Notwendige in die Wege zu leiten. Nachdem der Verurteilte am 20.07.2022 von der Ladung Kenntnis erlangt und Termine sein Gewerbe betreffend bis Ende August 2022 vorgetragen hatte, erschien der Kammer ein Vollstreckungsaufschub bis zum 30.09.2022 erforderlich aber auch ausreichend.

Für einen darüber hinausgehenden Strafaufschub bis zum 14.10.2022 oder gar 01.11.2022 bestand hingegen keine Veranlassung. Sämtliche vom Verteidiger vorgebrachten Termine waren Ende August erledigt. Seit Erhalt der Ladung zum Strafantritt am 20.07.2022 werden bis zum 30.09.2022 mehr als zwei Monate vergangen sein, die ausreichend sind, um seine persönlichen und betrieblichen Verhältnisse zu ordnen und Vorkehrungen für seine Abwesenheit zu treffen.

Dem Ergebnis kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Verurteilte sich um einen Stellvertreter oder gar die Abwicklung seines Unternehmens in Ansehung der Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses der Kammer vom 19.04.2022 bereits ab diesem Zeitpunkt hätte bemühen müssen. Zwar musste er sich darauf einstellen, die widerrufene Restgesamtfreiheitsstrafe alsbald verbüßen zu müssen. Aufgrund der ausstehenden Entscheidung über sein Rechtsmittel und die Ungewissheit über den Termin zum Strafantritt war ihm gleichwohl nicht zuzumuten, bereits ab dem 19.04.2022 so weiträumig betreffend seines Gewerbes zu disponieren. Sinnvolle betriebliche Dispositionen konnten vielmehr erst nach Bekanntwerden der Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses erfolgen (OLG Frankfurt Beschluss v. 17.11.1988 – 3 Ws 1106/88 – beckonline).

Ergänzend wird angemerkt: Soweit der Verurteilte außerdem vorgetragen hat, auch wegen des Betonplattengießens Ende August 2022 an der Geschäftsadresse vor Ort sein zu müssen, begründet(e) dies keinen hinreichenden Grund eines Vollstreckungsaufschubs. Die Überwachung einer solchen Baumaßnahme, die in aller Regel fachmännisch und auftragsgemäß ausgeführt wird, kann aus Sicht der Kammer auch kurzfristig einem Dritten über-tragen werden bzw. obliegt es dem Verurteilten, selbst zuvor konkrete Anweisungen – auch fern-mündlich – zu erteilen, zumal es sich bei dem Gießen einer Betonplatte nicht um einen komplexen Bauabschnitt handeln dürfte. Im Übrigen ist auch nicht vorgetragen worden, weshalb die persönliche Anwesenheit des Verurteilten zwingend „von Nöten“ gewesen wäre.“

Vollstreckung I: Widerruf von Strafaussetzung, oder: Widerruf einer nachträglichen Gesamtstrafe

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In die 49. KW., die „Nikolauswoche“ :-), starte ich dann mit zwei vollstreckunsgrechtlichen Entscheidungen. Muss auch mal sein und ich habe zu der Thematik schon längere Zeit keine Entscheidungen mehr vorgestellt.

Ich beginne hier mit dem OLG Celle, Beschl. v. 26.08.2022 – 2 Ws 181/22 – zum Widerruf einer in einem nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, wenn die Tatzeit der weiteren Tat lediglich in die Bewährungszeit der zeitlich ersten, in die Gesamtstrafe einbezogenen Verurteilung fällt. Das OLG Celle sagt – jetzt: Das geht. „Jetzt“ deshlab, weil das OLG das früher anders gesehen hat, also seine bisherige Rechtsprechung im OLG Celle, Beschl. v. 24.08.2010 – 2 Ws 285/10 – aufgibt:

„Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht Hannover – Strafvollstreckungskammer – hat zurecht die Aussetzung der Vollstreckung der im Gesamtstrafenbeschluss vom 17.03.2021 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zur Bewährung widerrufen.

1. Denn der Verurteilte ist innerhalb der vom Amtsgericht Delmenhorst festgelegten Bewährungszeit bereits wenige Monate nach seiner Verurteilung erneut mit einschlägigen Delikten straffällig geworden und hat hierdurch gezeigt, dass sich die in ihn gesetzte Erwartung, er werde auch ohne den Vollzug der Freiheitsstrafe künftig keine weiteren Straftaten begehen, nicht erfüllt hat und stattdessen auch in der Zukunft weitere Straftaten von ihm zu befürchten sind.

a) Dem Widerruf steht nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der neuen Taten der in den Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Delmenhorst einbezogene Strafbefehl des Amtsgerichts Aschaffenburg noch nicht ergangen war.

Bislang ist umstritten, ob der Widerruf einer durch einen nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss gewährten Strafaussetzung zur Bewährung aufgrund einer weiteren Straftat des Verurteilten allenfalls dann möglich sein könne, wenn diese Tat innerhalb der Bewährungszeit sämtlicher dem Gesamtstrafenbeschluss zugrundeliegender Verurteilungen liegt (so: Senat, 2 Ws 285/10, Beschluss v. 24.08.2010; LG Berlin, 528 Qs 90/13, Beschluss v. 16.09.2013; S/S-Kinzig, StGB, § 56f, Rn 5), oder ob es ausreicht, dass diese Tat innerhalb der Bewährungszeit des als erstes ergangenen einbezogenen Urteils, aber noch vor dem bzw. den nachfolgenden einbezogenen Entscheidungen begangen wurde (so: OLG Hamm, 3 Ws 304/14, Beschluss v. 18.09.2014; OLG Stuttgart, 4 Ws 293/18, Beschluss v. 12.12.2018; OLG Bremen, 1 Ws 111/19, Beschluss v. 17.09.2019).

b) Soweit es der Senat bislang aufgrund dogmatischer Bedenken für erforderlich gehalten hatte, dass eine neue Straftat des Verurteilten nur dann den Widerruf einer durch einen nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss gewährten Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könne, wenn die neue Straftat innerhalb der Bewährungszeit sämtlicher einbezogener Entscheidungen begangen wurde (Senat, 2 Ws 285/10, Beschluss v. 24.08.2010), hält der Senat hieran nicht mehr fest.

Denn die besseren Argumente sprechen dafür, die Widerrufsmöglichkeit auch auf Fallkonstellationen zu erstrecken, in denen die neue Tat nur in die Bewährungszeit der zeitlich ersten einbezogenen Entscheidung fällt (vgl. bzgl. allem folgenden: OLG Hamm, a.a.O., OLG Stuttgart, a.a.O., OLG Bremen a.a.O.).

aa) Bereits der Wortlaut des § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB streitet hierfür. Denn als Voraussetzung für den Widerruf wird hier ausdrücklich lediglich auf die Begehung einer weiteren Straftat im Zeitraum zwischen der Strafaussetzung zur Bewährung in einem einbezogenen Urteil und der Rechtskraft der Gesamtstrafenentscheidung, nicht aber auf die Strafaussetzung in sämtlichen einbezogenen Urteilen Bezug genommen. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Neufassung des § 56f Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB auch eine Fassung in Betracht gezogen worden war, nach der dementgegen nur Straftaten, die in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung „in den einbezogenen Urteilen“ und der Gesamtstrafenentscheidung einen Widerruf ermöglichen sollten (vgl. BT-Drucks. 10/2720, S. 22), zeigt die letztlich geschaffene Regelung, dass der Gesetzgeber sich bewusst unter diesen Alternativen dafür entschieden hat, bereits in der Bewährungszeit einer der einbezogenen Entscheidungen begangene Straftaten für einen Widerruf der Bewährung ausreichen zu lassen (vgl. BT-Drucks. 16/3038, S. 58). Im Wortlaut des § 56f Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB kommt daher auch der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck.

bb) Nicht entgegen steht, dass durch § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB auf den Widerrufsgrund des § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB verwiesen wird, wonach eine erneute Straftat nur dann einen Widerruf begründen kann, wenn sie nach der zum Widerrufszeitpunkt maßgeblichen Aussetzungsentscheidung, im Falle einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung also nach dem Gesamtstrafenbeschluss, begangen worden ist. Denn § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB gilt ausweislich § 56f Abs. 1 S. 2 StGB nur entsprechend, ist also nur sinngemäß anzuwenden. Dies lässt durchaus die Auslegung zu, dass es nach der Bildung einer Gesamtstrafe nicht auf den Zeitpunkt der Gesamtstrafenbildung, sondern auf die erstmalige Gewährung einer Strafaussetzung zur Bewährung ankommt. Denn bereits von diesem Zeitpunkt an war der Verurteilte gewarnt und musste sich bewusst sein, dass neue Straftaten zu einer Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe führen können. Dass dem Verurteilten trotz dieser Kenntnis bis zu dem Zeitpunkt einer weiteren Verurteilung, aus der später gemeinsam mit der ersten Verurteilung eine Gesamtstrafe gebildet wird, eine Phase der Konsequenzlosigkeit weiterer Straftaten für die ihm gewährte Bewährung eingeräumt werden soll, erscheint als nicht nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr, als dem Verurteilten auch die Begehung der zur zweiten, einbezogenen Verurteilung führenden Straftaten bereits zum Zeitpunkt seiner ersten Verurteilung bekannt war und er deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Aussetzungsentscheidung haben konnte.

Hierfür spricht auch, dass § 57 Abs. 5 StGB für den Fall des Widerrufs der Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung gleicherweise die entsprechende Anwendung des § 56f StGB anordnet, hierbei aber ausdrücklich auch eine zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung begangene weitere Tat für einen Widerruf der Bewährung ausreichen lässt, sofern das aussetzende Gericht von der zwischenzeitlich begangenen Straftat keine Kenntnis hatte. Diese Wertung, dass auch vor der letzten Entscheidung über die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung begangene Straftaten zu einer Abänderung der Bewährungsentscheidung führen können, wenn zum Zeitpunkt dieser Entscheidung der einer Aussetzung entgegenstehende Umstand der Begehung weiterer Straftaten seit der Verurteilung nicht bekannt war, lässt sich auf die durch § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB gleichfalls angeordnete entsprechende Anwendung des § 56f Abs. 1 S. 1 StGB übertragen. Denn auch hier liegt der Gewährung einer Strafaussetzung zur Bewährung die Unkenntnis von neuen Straftaten des Verurteilten zugrunde. Auf den Zeitpunkt der Gesamtstrafenbildung ist daher für die Möglichkeit eines Widerrufs aufgrund einer zwischen Verurteilung und Gesamtstrafenbildung begangenen weiteren Straftat nur dann abzustellen, wenn die Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung in Kenntnis der zwischenzeitlich begangenen weiteren Tat erfolgte, das Gericht also bewusst trotz der erneuten Tatbegehung weiterhin eine positive Prognoseentscheidung getroffen hat.

cc) Schließlich spricht für die Auffassung, dass bereits die Begehung einer weiteren Straftat nach der zeitlich ersten einbezogenen Verurteilung für einen Widerruf der später durch eine Gesamtstrafenentscheidung gewährten Strafaussetzung zur Bewährung ausreicht, dass § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB sowohl auf eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung durch Beschluss gemäß § 460 StPO als auch auf eine Gesamtstrafenbildung im Rahmen der Einbeziehung einer vorangegangenen Entscheidung durch ein Urteil gemäß § 55 StGB Anwendung findet (vgl. BT-Drucks. 16/3038, S. 58).

Der Gesetzgeber zeigt durch diese Erstreckung des § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB auf die Fälle des § 55 StGB, dass es für den Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe gerade nicht darauf ankommen soll, ob der Verurteilte die in ihn gesetzte Erwartung eines künftig straffreien Lebens in sämtlichen der Gesamtstrafenentscheidung zugrundeliegenden Urteilen enttäuscht hat (so noch: Senat a.a.O.), sondern bereits die Enttäuschung dieser Erwartung in der ersten Verurteilung zu einem Widerruf der in einer später unter Einbeziehung dieser Verurteilung gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe erfolgten Aussetzung zur Bewährung führen kann und die von der ersten Verurteilung ausgehende Warnfunktion ausreichen soll.

Denn im Falle der Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB durch ein Urteil ist die zweite Verurteilung mit der Gesamtstrafenentscheidung identisch. Eine weitere Tat zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung in einem einbezogenen Urteil und der Rechtskraft der Gesamtstrafenentscheidung, die gemäß § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB einen Widerruf begründen kann, liegt bei einer Gesamtstrafenbildung durch § 55 StGB daher praktisch immer nach der ersten, aber noch vor der zweiten Verurteilung.

Auf Gesamtfreiheitsstrafen, die gemäß § 55 StGB gebildet werden, wäre § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB daher ohne relevanten Anwendungsbereich, wenn zu fordern wäre, dass die weitere Tat nach sämtlichen Verurteilungen, aber noch vor Rechtskraft der Gesamtstrafenentscheidung begangen worden ist. Denkbar wäre eine Anwendung des § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB insofern allenfalls noch bei der Begehung einer weiteren Straftat zwischen Verkündung und Rechtskraft der zweiten Verurteilung. Dass der Gesetzgeber aber den Anwendungsbereich derart einschränken wollte, ist nicht anzunehmen.

Pflichti I: Bestellung in der Strafvollstreckung, oder: War die vollstreckungsrechtliche Lage schwierig?

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Heute dann mal wieder ein „Pflichti-Tag“. Allerdings: So viele Entscheidungen wie sonst kann ich nicht vorstellen. Und: Es gibt nichts zur Rückwirkung: Versprochen 🙂 .

Ich starte mit dem LG Halle, Beschl. v. 19.09.2022 – 3 Qs 104/22. Er nimmt zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren Stellung, und zwar im Verfahren über den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung. Dazu führt das LG aus:

„In einem Strafvollstreckungsverfahren liegt entsprechend § 140 Abs. 2 StPO ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn die Schwere des Vollstreckungsfalls für den Verurteilten, besondere Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage im Vollstreckungsverfahren oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, dies gebieten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 140 Rn. 33, Krafczyk in: Beck’scher Online-Kommentar zur StPO, 44. Edition 01.07.2022, § 140 Rn. 51; OLG Celle, Beschluss vom 03. 12 2019 — 2 Ws 352/192 Ws 355/19 —, Rn. 12; OLG Koblenz, Beschluss vom 25. 03. 2019 — 2 Ws 156/19 —, Rn. 4, jeweils zitiert nach juris). Dabei sind die Voraussetzungen einschränkend auszulegen, da im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich in deutlich geringerem Maße als im Erkenntnisverfahren ein Bedürfnis für die Mitwirkung eines Verteidigers besteht, da Tatschwere und Rechtsfolgen bereits feststehen (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.., OLG Celle a.a.O.., OLG Koblenz a.a.O.., s. a. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 02. 05. 2002 —2 BvR 613/02 —, Rn. 11, zitiert nach juris).

Nach diesen Maßstäben liegt hier zwar nicht allein deswegen ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil sich das Verfahren über den Bewährungswiderruf auf eine Freiheitsstrafe von neun Monaten bezieht. Bei der Entscheidung, ob wegen der Schwere des Vollstreckungsfalles ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, hat die Dauer der nach einem Bewährungswiderruf zu vollstreckenden Strafe außer Betracht zu bleiben (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22.11.2021 — 1 Ws 278/21 —, Rn. 7, m. w. N., zitiert nach juris). Selbst im Erkenntnisverfahren gilt im Übrigen in der Regel erst eine Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe als ausreichend schwere Rechtsfolge, um für sich genommen die Beiordnung eines Verteidigers zu erfordern (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.. Rn. 23).

Maßgeblich ist hier vielmehr, ob die vollstreckungsrechtliche Lage schwierig ist. Das ist dann der Fall, wenn das Widerrufs-. Und Beschwerdeverfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Fragen aufwirft, die Aktenkenntnis erfordern oder über die regelmäßig auftretenden Probleme hinausgehen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17.11. 2021 —1 Ws 123/21 (S) Rn. 4; KG Berlin, Beschluss vom 14.09.2005 — 1 AR 951/055 Ws 399/05 —, Rn. 8; jeweils zitiert nach juris). Davon geht die Kammer hier allerdings aus. Zu beachten ist, dass nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft der Widerruf der Strafaussetzung auf die Begehung eines nicht einschlägigen, fahrlässig und — vor Verlängerung der Bewährungszeit —nur wenige Tage vor Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit begangenen Bagatelldelikts gestützt werden soll. Dabei führte die erste Nachverurteilung wegen einer nur drei Tage nach der zweitinstanzlichen Bewährungsverurteilung begangenen einschlägigen Tat, nämlich einer vorsätzlichen Körperverletzung, sowie eines weiteren, nur wenige Wochen später begangenen Verbrechens nur zu einer Verlängerung der Bewährungszeit. Inwieweit das der jetzigen Nachverurteilung zu Grunde liegende Delikt denkbar geringen Gewichts — allein oder unter Berücksichtigung der der ersten rechtskräftigen Nachverurteilung zu Grunde liegenden Delikte — geeignet ist, die Ausgangsprognose in Frage zu stellen und auch, inwieweit bei der Prognose, wie von der Staatsanwaltschaft in den Raum gestellt, die bisher noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen weiteren gegen den Verurteilten geführten Strafverfahren Berücksichtigung finden dürfen, ist eine Frage, die über das hinausgeht, was in Verfahren wegen eines möglichen Bewährungswiderrufs nach § 56f StGB regelmäßig zu prüfen ist. Es handelt sich um eine in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht schwierige Frage, die Aktenkenntnis zum zeitlichen Ablauf der Ereignisse und juristisches Fachwissen voraussetzt, das der Verurteilte nicht hat.“

Corona II: Rechtsprechungsübersicht zu Corona, oder: Montagsspaziergang, „Corona-Schöffe“, Vollstreckung

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Im zweiten Posting zu Corona-Entscheidungen bringe ich dann eine kleine Rechtsprechungsübersicht – quasi einmal „quer durch den Garten“. Es handelt sich um folgende Entscheidungen, von denen ich aber jeweils nur den Leitsatz vorstelle:

Weder mit Bußgeldern geahndeten Verstöße gegen die Maskenpflicht bei sogenannten Montagsspaziergängen noch die bloße Teilnahme an solchen Versammlungen noch die gemäß § 26 Nr. 2 VersammlG strafbewehrte Durchführung einer derartigen Versammlung ohne Anmeldung als Veranstalter oder Leiter begründen jeweils für sich allein oder in einer Zusammenschau die Annahme einer gröblichen Amtspflichtverletzung eines Schöffen im Sinne des § 51 Abs. 1 GVG.

Die Absonderung von Gefangenen bei einem Verdacht auf eine „Corona-Infektion“ ist eine zur Verhinderung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus geeignete und zulässige Maßnahme.

Zur Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage bei Ordnungswidrigkeiten nach den Corona-Bekämpfungsverordnungen des Landes Rheinland-Pfalz, die an den Impfstatus von Betroffenen anknüpfen, wen dieser in der Hauptverhandlung nicht aufgeklärt werden kann.