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OWi I: Poliscan FM 1 ist weiterhin standardisiert, oder: Das KG schaut in die Glaskugel des BVerfG?

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Und heute am Donnerstag dann dreimal OWi, und zwar zweimal OLG, einmal AG.

Ich mache den Opener mit dem KG, Beschl. v. 08.12.2023 – 3 ORbs 229/23 -, in dem das KG noch einml/mal wieder zur Standardisierung von Poliscan FM 1 Stellung nimmt.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschindigkeitsüberschreitung verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Nach den Feststellungen Urteilsfeststellungen hat der Betroffene einen PKW auf öffentlichem Straßenland geführt und dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 31 km/h nach Toleranzabzug überschritten. Die Geschwindigkeit von 64 km/h hat ein Geschwindigkeitsüberwachungsgerät vom Typ Poliscan FM 1 gemessen.

In der Hauptverhandlung hatte die Verteidigerin einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt und ihn wie folgt begründet:

„Das Sachverständigengutachten wird ergeben,

– dass nicht festgestellt werden kann, dass zur Ermittlung der Geschwindigkeit nur Messwerte verwendet worden sind, die innerhalb des zugelassenen Bereiches (maximal 50 m, minimal 20 m) entstanden sind;

– dass anhand der gespeicherten Daten nicht bestätigt werden kann, dass die gemessene Geschwindigkeit 64 km/h (nach Abzug der Toleranz 3 km/h) betragen hat.

Es kann nicht von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden. Es ist weder sichergestellt, noch nachgewiesen, dass die Bestimmung der Geschwindigkeit ausschließlich unter Verwendung von Messwerten im zugelassenen Bereich (max. 50 m. min. 20 m.) erfolgte.

In der XML-Datei sind bei „PositionFirstMeasurement“ und „PositionLastMeasurement“ bei der verwendeten Softwareversion 4.4.9. fixe Werte hinterlegt – nämlich als Uhrzeit jeweils der Beginn der Messreihe und als Entfernung die fixen Werte aus der Bauartzulassung. Es liegt eine gezielte Datenvernichtung vor. Es geht dabei nicht um die Frage der Speicherung aller Rohmessdaten, sondern um den Nachweis, dass das Messgerät im zugelassenen Messbereich gearbeitet hat“.

In dem Zusammenhang hatte die Verteidigerin auf einen Beschluss des KG vom 24.01.2020 verwiesen, welcher denktheoretisch die Möglichkeit einer staatlich veranlassten Vereitelung der Rekonstruktion in den Raum gestellt, sich aber mangels entsprechender Anhaltspunkte weder zum Vorliegen noch zu möglichen Konsequenzen einer solchen willkürlichen Vereitelung verhalten habe.

Das AG hat den Antrag abgelehnt, da die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Es stützt seine Verurteilung u.a. auf die Messung, die ordnungsgemäß zustande gekommen sei. Es handle sich um ein standardisiertes Messverfahren.

Der Betroffene hat Rechtsbeschwerde eingelegt, die keinen Erfolg hatte. Da der Beschluss recht umfangreich begründet ist, stelle ich hier nur die Leitsätze ein, und zwar:

    1. Die fehlende Erfassung des Messbereichs bei der konkreten Messung mit der Geschwindigkeitsmessverfahren Poliscan FM1 mit der Softwareversion 4.4.9. – einer sog. Hilfsgröße – führt ebenso wie die fehlende Speicherung der Rohmessdaten nicht zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses (Anschluss an OLG Zweibrücken, Beschluss vom 1. Dezember 2021 – 1 OWi 2 SsBs 100/21).
    2. Die Veränderung der Gerätesoftware lässt die Standardisierung in der Regel nicht entfallen.
    3. Dem Beschwerdeführer steht weder ein einfachgesetzlicher noch gar ein verfassungsrechtlich verankerter Anspruch auf die Generierung von Beweismitteln – hier: die Erfassung von Messgrößen im Messbereich – zu.
    4. Auch die mit der aktualisierten Gerätesoftware gewonnenen Messdaten unterliegen nicht einem (ungeschriebenen) Beweisverwertungsverbot. Ein solches käme ohnedies nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Rechtsverstößen in Betracht, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch unberücksichtigt geblieben sind.

Den Rest dann bitte selbst lesen. Und wer das tut, stößt sich vielleicht auch an einer Formulierung/Passage, wenn es nämlich heißt:

„bb) Dieser Rechtsprechung ist das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Juni 2023 – 2 BvR 1167/20 –, juris) auch nicht entgegengetreten.

Mit der dem Verfahren zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör und sein Rechts auf ein faires Verfahren durch die Nichtspeicherung von Rohmessdaten des Geschwindigkeitsmessgerätes LEIVTEC XV 3 verletzt seien. Die nachträgliche Prüfung der Messung sei dadurch unmöglich. Er könne seine Verteidigerrechte nicht wahrnehmen und die Handhabung konterkariere den Grundsatz der Waffengleichheit.

Zwar ist die Verfassungsbeschwerde u.a. wegen nicht hinreichender Substantiierung nicht zur Entscheidung angenommen worden, aber den Beschlussgründen ist zu entnehmen, dass die Nichtspeicherung nur dann problematisch sei, wenn dem Beschwerdeführer ein Anspruch aufgrund eines verfassungsrechtlich verankerten Rechts auf Schaffen bzw. Vorhalten potentieller Beweismittel zur Wahrung von Verteidigungsrechten zustünde. Das Gericht hebt erneut hervor, dass das standardisierte Messverfahren und die damit verbundenen reduzierten Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung, Beweiswürdigung und Darlegungserfordernissen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sind. Es betont zugleich, dass der Beschwerdeführer nur aufgrund ordnungsgemäß zustande gekommener Messergebnisse verurteilt werden darf und ihm ein Einsichts- und Auskunftsanspruch gegen die Behörden hinsichtlich anlässlich der Messung entstandener, aber nicht zu den Akten gelangter Daten zusteht (vgl. grundlegend BVerfG NJW 2021, 455).

Dieser Anspruch des Betroffenen wird nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „gewahrt, wenn ihm die Möglichkeit eröffnet ist, das Tatgericht im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Durch das Stellen von Beweisanträgen, Beweisermittlungsanträgen und Beweisanregungen hat der Betroffene ausreichende prozessuale Möglichkeiten, weiterhin auf Inhalt und Umfang der Beweisaufnahme Einfluss zu nehmen“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2023 a.a.O.; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 15. September 2023 – Vf. 20-VI-21 –, juris).

Der Anspruch umfasst aber nicht ein Recht auf Erfassen und Speicherung von bei der Messung entstandener Daten zwecks nachträglicher Überprüfung bzw. Plausibilisierung durch die Verteidigung.“

Na? Ja, ist in meinen Augen schon putzig. Da nimmt das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Und dann fängt man als OLG an, die – nicht tragende (!!!) – Begründung des BVerfG auszulegen und anzunehmen, was das BVerfG wohl gemeint hat. Ich habe zumindest Bedenken, wenn sich OLG als Wahrsager/Glaskugelgucker betätigen.

Strafe II: Zwei Entscheidungen aus dem Jugendrecht, oder: Schwere der Schuld und Einheitsjugendstrafe

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Und dann im zweiten Postingzwei Entscheidungen aus dem Jugendstrafrecht.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 13.09.2023 – 5 StR 205/23. Er betrifft die Jugendstrafe. Es handelt sich bei der Entscheidung um einen sog. Anfragebeschluss. Der BGH möchte also die Rechtsprechnung ändern und fragt daher bei den anderen Senat wie sie es mit ggf. entgegenstehender Rechtsprechung halten, und zwar wie folgt:

2. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Die Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG, bei der wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist, setzt nicht voraus, dass bei dem Angeklagten eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit festgestellt werden kann.

Das hat der BGH umfassend begründet, und zwar so umfassend, dass ich auf das Selbstleseverfahren verweise.

Und als zweite Entscheidung noch etwas vom KG, und zwar der KG, Beschl. v. 27.12.2023 – 4 ORs 72/23. Er befasst sich mit der der sog. Einheitsjugendstrafe, und zwar:

§ 31 Abs. 2 JGG sieht grundsätzlich eine Einbeziehung bereits rechtskräftiger Entscheidungen, solange sie noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt sind, in ein neues Urteil und die Verhängung einer einheitlichen Maßnahme für alle Taten vor. Von der Einbeziehung einer früheren Verurteilung kann zwar aus erzieherischen Zweckmäßigkeitserwägungen (§ 31 Abs. 3 S. 1 JGG) abgesehen werden, hierfür müssen aber Gründe vorliegen, die unter dem Gesichtspunkt der Erziehung von ganz besonderem Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen. Erst wenn solche Gründe festgestellt sind, ist der tatrichterliche Ermessensspielraum eröffnet. Das Abstellen allein auf den Ablauf der Bewährungszeit genügt diesen Anforderungen nicht.

 

Alkohol II: Umrechnung von Atemalkohol in eine BAK?, oder: Konvertierung wissenschaftlich nicht gesichert

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Und als zweite Entscheidung dann der KG, Beschl. v. 06.09.2023 – 2 ORs 29/23. Das ist eine der „Alle Jahre wieder-Entscheidungen“, was bedeutet. Die behandelte Problematik ist an sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung entschieden, aber – alle Jahre wieder – muss dennoch ein Obergericht dazu Stellung nehmen. Es geht um die Darstellung des Messergebnisses der Atemalkoholkonzentration und um die Umrechnung von Atemalkohol in Blutalkohol.

In dem Verfahren ist der Angeklagte vom AG wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Dagegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt und diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das LG hat die Berufung als unbegründet verworfen. Die Revision hatte dann beim KG Erfolg:

„1. Das Urteil des Landgerichts, das lediglich Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch (und zur Schuldfähigkeit) enthält, war schon deshalb aufzuheben, weil das Landgericht zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung ausgegangen ist und dementsprechend keine eigenen Feststellungen zur Tat getroffen hat.

a) Im Rahmen einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht auf die Sachrüge von Amts wegen – unabhängig von einer sachlichen Beschwer und ohne Bindung an die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts – zu prüfen, ob dieses zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung nach § 318 Satz 1 StPO und damit einer Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist (vgl. BGHSt 27, 70; KG, Beschluss vom 7. Februar 2017 – [5] 121 Ss 4/17 [3/17] -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., § 318 Rn. 33, § 352 Rn. 4).

b) Grundsätzlich gebietet es die dem Rechtsmittelberechtigten in § 318 Satz 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang der Anfechtung, den in den Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren (vgl. KG, Urteil vom 22. September 2014 – [4] 161 Ss 148/14 [203/14] –). Somit führt nicht jeder Mangel des infolge der Beschränkung grundsätzlich in Rechtskraft erwachsenen Teils des Urteils, insbesondere auch nicht jede Lücke in den Schuldfeststellungen, zur Unwirksamkeit der Beschränkung (vgl. KG aaO).

Die wirksame Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt jedoch voraus, dass das angefochtene Urteil seine Prüfung ermöglicht. Dies ist namentlich dann nicht der Fall, wenn die Feststellungen zur Tat so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung des Berufungsgerichts bilden können (vgl. BGHSt 33, 59; KG aaO und Beschluss vom 30. März 2012 – [2] 161 Ss 28/12 [7/12] – mwN). Die Beschränkung ist ferner insbesondere dann unwirksam, wenn auf der Grundlage der Feststellungen zum Schuldspruch überhaupt keine Strafe verhängt werden könnte (vgl. BGH NStZ 1996, 352; Senat, Beschluss vom 30. März 2012 – [2] 161 Ss 28/12 [7/12] – mwN).

c) Nach diesen Grundsätzen ist die von dem Angeklagten erklärte Beschränkung der Berufung unwirksam. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind so unzureichend, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung des Berufungsgerichts bilden können. Sie tragen nicht die Annahme eines schuldhaft begangenen Diebstahls (§ 242 StGB).

2. Die vom Amtsgericht zur Tat getroffenen Feststellungen lauten wie folgt:

„Am 19. September 2022 gegen 14:15 Uhr riss der Angeklagte bei ‚Sat ‘, x, x Berlin, das Mobiltelefon der Marke ‚Sam G S 22 U ‘ für 1299 Euro aus der Befestigung, steckte es in seine rechte Jackentasche und verließ das Geschäft ohne die Ware zu bezahlen, um es für sich zu verwenden.

Die Tat wurde beobachtet und der Angeklagte wurde ergriffen. Das erbeutete Telefon wurde zurückgeführt. Der Angeklagte hatte zuvor Alkohol konsumiert. Eine um 14:58 Uhr genommene Atemalkoholmessung ergab einen Wert von 2,46 Promille.“

a) Rechtsfehlerhaft ist es, dass das Amtsgericht ohne nähere Erläuterung festgestellt hat, der Angeklagte habe eine mit Promille-Werten bestimmte Atemalkoholkonzentration aufgewiesen. Dies ist nicht nachvollziehbar, weil das Ergebnis einer Atemalkoholmessung die in Gramm oder Milligramm bestimmte Äthylalkoholmenge in einem bestimmten Atemvolumen darstellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 449/22 –, juris und vom 18. September 2019 – 2 StR 187/19 –, juris). Das Gericht hat also entweder nicht das konkrete Messergebnis (zur Frage einer direkten Konvertierbarkeit von AAK- in BAK-Werte vgl. auch BGHSt 46, 358, 362 ff.) oder aber irrtümlich ein unzutreffendes Messergebnis mitgeteilt und seiner (impliziten) Beurteilung der Schuldfähigkeit damit nicht ausschließbar einen unzutreffenden Grad der Alkoholisierung zugrunde gelegt. Denn wenngleich eine Atemalkoholkonzentration von 0,25mg/l normativ einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 ‰ entspricht (§ 24a StVG), ist eine Umrechnung von Atemalkohol in Blutalkohol wissenschaftlich nicht gesichert und daher erst recht keine exakte Konvertierung möglich (vgl. dazu KG, Beschluss vom 3. März 2016 – (3) Ws (B) 106/16 – mwN, juris).

Mit Rücksicht darauf kommt es nicht infrage, die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit aufgrund von Messungen mithilfe von Atemalkoholtestgeräten festzustellen; vielmehr können deren Ergebnisse insoweit nur als Indiz herangezogen und ausschließlich  zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt werden, wenn andere verwertbare Ausgangsdaten zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit nicht zur Verfügung stehen, während eine Berücksichtigung zum Nachteil des Angeklagten ausscheidet (vgl. KG, Beschluss vom 24. September 2015 – (1) 121 Ss 157/15 (15/15) – mwN, juris). Letzteres ist hier zu besorgen, weil eine am Tattag um 14:58 Uhr entnommene Blutprobe möglicherweise einen noch höheren Wert ergeben hätte als die seinerzeit durchgeführte Atemalkoholmessung.

b) Das daneben vom Amtsgericht festgestellte „Leistungsverhalten“ des Angeklagten, das grundsätzlich zur Beurteilung der Schuldfähigkeit durch den Tatrichter herangezogen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 449/22 –, juris), beschränkt sich hier auf die Beschreibung des Tatgeschehens und erlaubt für sich keinen Rückschluss auf das Ausmaß der Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten. Andernfalls geriete die Beweiswürdigung in die Gefahr des Zirkelschlusses, dass der zur Tat fähige Täter automatisch auch schuldfähig gewesen ist.“

Geldempfangsvollmacht im Festsetzungsverfahren, oder: Elektronisches Dokument als Scan des Originals

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Und dann zum Wochenschluss – na ja, fast – noch RVG-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 12.01.2023 – 1 Ws 122/23, über den in dieser Woche in der FB-Gruppe „Strafverteidiger“ diskutiert worden ist. Inzwsichen liegt mir der Beschluss vor und ich will dann gleich über ihn berichten.

In der Sache geht es um die Frage der Vorlage der Originalvollmacht im Kostenfestsetzungsverfahren, wenn der Verteidiger das Kostenfestsetzungsverfahren betreibt und Auszahlung an sich beantragt. Darum ist beim LG Berlin gestritten worden. Die Staatskasse bestand auf Vorlage der Originalvollmacht. Der Verteidiger hat die Vollmacht nur als elektronisches Dokument in Form eines Scans des schriftlichen Originals über sein beA vorlegt. Das LG hat daraufhin dann schließlich den Festsetzungsantrag zurückgewiesen. Dagegen die sorfortige Beschwerde, die vom KG keinen Erfolg hatte:

„2. Der Kostenfestsetzungsantrag des Beschwerdeführers ist durch den angefochtenen Beschluss zu Recht zurückgewiesen worden, weil Rechtsanwalt X seine wirksame Bevollmächtigung nicht in der hierfür erforderlichen Form nachgewiesen hat.

Zu den nach § 464b Satz 3 StPO im Kostenfestsetzungsverfahren entsprechend anzuwendenden Vorschriften der Zivilprozessordnung gehören auch die für alle Verfahrensarten gültigen grundsätzlichen Bestimmungen über Prozessbevollmächtigte und Beistände in den §§ 78-90 ZPO (vgl. BGH NJW 2011, 3722 m.w.N.). Gemäß § 80 Satz 1 ZPO ist die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten zu reichen. Die Bezirksrevisorin des Landgerichts hat die Nichteinreichung der Vollmacht gerügt, so dass das Landgericht trotz des Umstandes, dass es sich bei dem als Bevollmächtigten Auftretenden hier um einen Rechtsanwalt handelte (§ 88 Abs. 2 ZPO), die Bevollmächtigung auch zu Recht geprüft hat.

Ebenfalls zu Recht ist es dabei von deren nicht wirksamem Nachweis ausgegangen. Bei der von Rechtsanwalt X per beA übersandten und signierten Datei des Scans der Vollmachtsurkunde handelt es sich nicht um eine schriftlich zu den Gerichtsakten gereichte Vollmacht iSd des § 80 Abs. 1 ZPO. Diese Norm verlangt die schriftliche Einreichung der Vollmacht zum Nachweis der tatsächlichen Bevollmächtigung, der grundsätzlich nur durch die Vorlage der Originalvollmacht oder einer öffentlich beurkundeten Vollmacht, nicht aber durch Kopie, Telefax oder beglaubigte Abschrift geführt werden kann (vgl. BGHZ 126, 266, NJW 1994, 2298; Toussaint in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 80 Rn 17; Althammer in: Zöller, 35. Aufl. 2024, § 80 Rn 8)

Ein elektronisches Dokument in Form eines Scans des schriftlichen Originals steht insoweit sonstigen Kopien gleich und ist zum Nachweis der Vollmacht nicht ausreichend. Zwar kann die Schriftform gemäß § 126 Abs. 3 BGB durch die elektronische Form ersetzt werden, dies setzt aber gemäß § 126a Abs. 1 BGB voraus, dass der Aussteller der Erklärung seinen Namen hinzufügt und das elektronische Dokument mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versieht. Dies ist hier jedoch nicht geschehen, weil Aussteller der Vollmacht nicht Rechtsanwalt X, sondern der Antragsteller ist. Rechtsanwalt X konnte den Nachweis auch nicht dadurch führen, dass er als verantwortende Person nach § 130a Abs. 3 ZPO das elektronische Dokument signierte. Denn diese elektronische Signatur ersetzt lediglich die nach § 130 Nr. 6 ZPO erforderliche Unterschrift (vgl. BGHZ 184, 75, NJW 2010, 2134; Fritsche in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 130a Rn 9 m.w.N.), ermöglicht aber nicht die Erfüllung der Formerfordernisse anderer Vorschriften (vgl. Greger in: Zöller, 35. Aufl. 2024, § 130a ZPO Rn 2a).

Soweit mit der Beschwerde geltend gemacht wird, dass das Oberlandesgericht Oldenburg die Vorlage des Originals eines Berechtigungsscheines der Beratungshilfe für nicht erforderlich gehalten und einen per beA übermittelten Scan hat ausreichen lassen (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 1. April 2022 – 12 W 25/22 –), ist diese Konstellation mit dem Nachweis der Bevollmächtigung nach § 80 ZPO bereits nicht vergleichbar. Denn es besteht bereits keine gesetzliche Pflicht zur Vorlage des Originals des Beratungshilfescheins, während § 80 Abs. 1 ZPO die schriftliche Einreichung der Vollmacht verlangt.“

Dazu zwei Dinge;

1. Das KG referiert die Rechtsprechung des BGH zur Vorlage einer Geldempfangsvollmacht zutreffend und zieht daraus auch grundsätzlich die richtigen Schlüsse. Aber: Es bleibt m.E. eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diese zivilgerichtliche Rechtsprechung des BGH auch im Strafverfahren Anwendung findet. Ansatzpunkt für eine solche Diskussion wäre m.E. § 464b S. 3 StPO gewesen, wonach die Vorschriften der ZPO (nur) „entsprechend“ anzuwenden sind. Und das wird in der Literatur und auch Rechtsprechung zum Anlass genommen, die Vorlage der Vollmacht im Original in den Festsetzungsfällen nicht immer zur fordern (vgl. dazu Volpert in: Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 1448 unter Hinweis auf LG Duisburg StraFo 2003, 104 = AGS 2003, 219;

Und: M.E. hätte sich das KG auch zu der Frage äußern können, wenn nicht müssen, warum eigentlich der Antrag insgesamt zurückgewiesen wird? Hätte es nicht ausgereicht, die Auszahlung an den Verteidiger/Rechtsanwalt abzulehnen und zugunsten des antragstellenden Mandanten festzusetzen? Das wäre doch als Minus gegenüber dem geltend gemachten Anspruch m.E. möglich gewesen.

2. Im Übrigen: Unverständlich ist mir das Verhalten „beider Seiten“.

Ich kann nach den Beschlussgründen weder nachvollziehen, warum die Bezirksrevisorin auf der Vorlage der Originalvollmacht beharrt hat. Man hat den Eindruck, dass die Vertreterin der Staatskasse es dem Verteidiger – aus welchen Gründen auch immer – „mal zeigen wollte“. Erreicht hat sie damit m.E. nichts, außer dass über den Antrag ggf. noch einmal entschieden werden muss. Denn in der Sache ist darüber ja nicht entschieden worden. Also: Doppelte Arbeit.

Aber auch das Verhalten des Verteidigers ist nicht nachvollziehbar. Denn das Bestehen auf einer rechtsmittelfähigen Entscheidung bringt ja nun kein Geld in die Kasse, sondern macht einen neuen Antrag erforderlich. Warum erspart man sich also die Arbeit nicht und erfüllt den Wunsch der Staatskasse, wenn auch „zähneknirschend“?. Oder noch besser: Warum lässt man sich nicht den Kostenerstattungsanspruch des Mandanten abtreten – ggf. auch noch nachträglich? Dann braucht man nämlich keine Geldempfangsvollmacht (mehr), weil man ja dann als Verteidiger/Rechtsanwalt einen eigenen Anspruch geltend macht (vgl. dazu AG Hamburg-Harburg, Beschl. v. 25. 4.2023 – 664 Ds 4/22 jug).

Beweis III: Vorsorglich gestellter Beweisantrag, oder: Anforderungen an die Verfahrensrüge

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Und dann zum Tagesschluss die angekündigte Entscheidung des KG. Es geht in dem KG, Beschl. v. 02.02.2024 – 3 ORbs 9/24 – 122 Ss 6/24 – um die Anforderungen an eine Verfahrensrüge in Bezug auf einen nicht beschiedenen „vorsorglich“ gestellten Beweisantrag.

Dazu das KG:

„Die durch die Rechtsbeschwerde erhobene Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe entgegen §§ 77 Abs. 3 OWiG, 244 Abs. 6 Satz 1 StPO einen Beweisantrag nicht beschieden, ist unzulässig (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Der Antrag, die Urheberin der vorgenannten Bescheinigung als Zeugin zu vernehmen, ist nur „vorsorglich“ gestellt worden. Die Rechtsbeschwerde hätte daher – innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist – vortragen müssen, unter welcher Bedingung die Antragstellung erfolgte und warum diese Bedingung eingetreten ist, sodass die Ablehnung nur durch einen Beschluss unter den Voraussetzungen der §§ 77 OWiG, 244 Abs. 3 StPO erfolgen durfte (vgl. BGH NStZ 2021, 382 und zuvor BGH NStZ-RR 1999, 1 bei Miebach/Sander; BGH NStZ-RR 2013, 349). Dies gilt umso mehr, als das Beweisbegehren bei verständiger, jedenfalls naheliegender Würdigung daran geknüpft war, dass der bescheinigte Inhalt vom Tatgericht nicht geglaubt wird. Tatsächlich hat das Tatgericht den bescheinigten Inhalt aber zumindest als wahr unterstellt, hieran aber nicht die vom Betroffenen gewünschte Schlussfolgerung geknüpft, er werde auch im Falle eines nur einmonatigen Fahrverbots entlassen.

Im nachgereichten Schriftsatz bekundet die Verteidigung, der Beweisantrag sei an die Bedingung geknüpft gewesen, dass das Amtsgericht auf das verwirkte Regelfahrverbot erkennen werde. Diese Tatsachenerklärung zu einer erhobenen Verfahrensrüge ist verspätet (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 345 Abs. 1 Satz 1 StPO). Auf die inhaltlich bestehenden Zweifel, dass dem Beweisantrag ein solcher Erklärungsgehalt tatsächlich beikommt und dieser auch erkennbar geworden ist, kommt es daher nicht an.“