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Pflichti III: Bestellung eines Sicherungsverteidigers, oder: Keine Anhörung nach Benennung eines Pflichti

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Und dann noch etwas zum Sicherungsverteidiger und/oder zur Anhörungspflicht nach § 142 Abs. 5 S. 1 StPO.

Mit Anklageschrift vom 07.12.2023 hat die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten und seine Ehefrau Anklage vor dem LG wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) in 48 Fällen und Steuerhinterziehung (§ 370 AO) in weiteren 48 Fällen erhoben.

Mit Beschluss vom 10.04.2024 bestellte die (damalige) Vorsitzende der 11. großen Strafkammer des LG Rechtsanwalt R 1 zum Pflichtverteidiger des Angeklagten. Mit Beschluss vom 23.09.2024 ließ die 11. große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer die Anklageschrift vom 07.12.2023 zu und eröffnete das Hauptverfahren; zugleich wurden Termine zur Hauptverhandlung mit Beginn im Januar 2025 bestimmt. Mit Verfügung vom 16.01.2025 wurden die in Aussicht genommenen Hauptverhandlungstermine mit der Begründung aufgehoben, dass zunächst die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten zu überprüfen sei. Mit weiterer Verfügung vom gleichen Tag wurden sodann neue Hauptverhandlungstermine für März und April 2025 bestimmt. Mit Schriftsatz vom 18.01.2025 teilte der Pflichtverteidiger mit, dass er nach derzeitigem Stand nicht uneingeschränkt an sämtlichen der nunmehr bestimmten Termine zur Verfügung stehen könne. Es wurde beantragt, Rechtsanwältin R 2 als zusätzliche Pflichtverteidigerin zur Sicherung des Verfahrens beizuordnen. Dazu wurde mitgeteilt, dass diese versichert habe, sich rechtzeitig in den Verfahrensstoff einzuarbeiten; der Angeklagte sei mit deren Beiordnung als zusätzliche Pflichtverteidigerin einverstanden. Mit Verfügung vom 28.01.2025 erfragte die Vorsitzende der Strafkammer die Verfügbarkeit der Verteidiger zu weiteren Hauptverhandlungsterminen (bis September 2025); zu dieser Anfrage zeigte der Pflichtverteidiger des Angeklagten mit Schreiben vom 31.01.2025 teilweise seine Verfügbarkeit und teilweise seine Verhinderung an. Mit Beschluss der Vorsitzenden vom 04.02.2024 wurde dem Angeklagten sodann Rechtsanwältin R 2 als Pflichtverteidigerin zur Sicherung des Verfahrens bestellt. Mit Schriftsatz vom 18.02.2025 legte Rechtsanwalt R 3 namens und mit Vollmacht des Angeklagten sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss ein. Zur Begründung teilte Rechtsanwalt R 3 mit, dass der Angeklagte sich nicht erinnern könne, zu der erfolgten Bestellung angehört worden zu sein. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er einen eigenen Verteidiger würde benennen können. Der Angeklagte wünsche, dass Rechtsanwalt R 3, den er ausgewählt und nunmehr bevollmächtigt habe, bestellt werde. Zu den Ausführungen in der Beschwerdeschrift nahm der Pflichtverteidiger R 1 mit Schriftsatz vom 20.02.2025 Stellung und teilte im Wesentlichen mit, dass am 14.01.2025 mit dem Angeklagten Rücksprache gehalten und ihm – nachdem er erklärt habe, keinen eigenen „Verteidigerwunsch“ zu haben – Rechtsanwältin R 2 vorgeschlagen worden sei, womit der Angeklagte sich einverstanden erklärt habe.

Die Strafkammer hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Das hat sie mit dem OLG Köln, Beschl. v. 30.04.2025 – 3 Ws 28/25 – verworfen:

„1. Die Entscheidung über die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO steht im Ermessen des Gerichts (vgl. MüKoStPO/Kämpfer/Travers, 2. Aufl. 2023, StPO § 144 Rn. 4 mwN.). Die Vorschrift des § 144 Abs. 1 StPO hat zur zentralen Voraussetzung, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert. Eine solche – „vom Willen des Beschuldigten unabhängige“ (BT-Dr.19/13829, 49) – Bestellung ist somit nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat; vielmehr muss sie zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein. Auf den Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens kommt es mithin nur dann an, soweit diese dazu führen, dass dessen zügige Durchführung ohne den weiteren Verteidiger gefährdet wäre (BGH, Beschluss vom 31.08.2020 – StB 23/20, NJW 2020, 3736 f. Rn. 13.; Beschluss vom 24.3.2022 ? StB 5/22, NStZ 2022, 696 f. Rn. 14). Auf die sofortige Beschwerde gegen die (Ablehnung der) Bestellung eines weiteren Verteidigers prüft das Beschwerdegericht, ob der Vorsitzende des Erstgerichts die Grenzen seines Beurteilungsspielraums zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO eingehalten und sein Entscheidungsermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Es kann die Beurteilung des Vorsitzenden, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung (nicht) erfordert, nur dann beanstanden, wenn sie sich nicht mehr im Rahmen des Vertretbaren hält (BGH, Beschluss vom 31.08.2020 – StB 23/20, aaO., Rn. 15.; Beschluss vom 24.3.2022 ? StB 5/22, aaO., Rn. 18).

Der Senat vermag unter Berücksichtigung des so eröffneten Prüfungsmaßstabs nicht zu erkennen, dass die in dem angefochtenen Beschluss der Vorsitzenden der 11. großen Strafkammer getroffene Entscheidung zur Beiordnung eines Sicherungsverteidigers die Grenzen des Vertretbaren überschreitet.

2. Zudem vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die erfolgte Bestellung von Rechtsanwältin R 2 als Pflichtverteidigerin zur Sicherung des Verfahrens unter Missachtung des in § 142 Abs. 5 S. 1 StPO normierten (und hier gemäß § 144 Abs. 2 S. 2 StPO anwendbaren) Anhörungsrechts (mit der Folge der Möglichkeit zum Austausch der bestellten Verteidigerin nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO) erfolgt ist.

Es ist anerkannt, dass eine Anhörungspflicht nach § 142 Abs. 5 S. 1 StPO nicht besteht, wenn der Angeklagte sein Bestimmungsrecht bereits ausgeübt und einen Verteidiger benannt hat (KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 142 Rn. 9; BeckOK StPO/Krawczyk StPO § 142 Rn. 16 jew. mwN). Aus dem oben im Einzelnen wiedergegebenen Verfahrensablauf wird indes deutlich, dass die Vorsitzende der 11. großen Strafkammer bei der Bestellung von Rechtsanwältin R 2 keinen Grund zu der Annahme hatte, der Angeklagte sei mit einer Beiordnung von Rechtsanwältin R 2 als zusätzliche Pflichtverteidigerin nicht einverstanden und hätte das ihm zustehende Wahlrecht somit nicht wirksam zugunsten von Rechtsanwältin R 2 ausgeübt. Dies folgt bereits eindeutig aus dem Inhalt der der Kammer vorgelegten Schriftsätze des Pflichtverteidigers Dr. R 1 vom 18.01. und 20.02.2025. Das Vorbringen des Wahlverteidigers in dem Beschwerdeverfahren vermag eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Die von dem Pflichtverteidiger im vorliegenden Beschwerdeverfahren ergänzend dargelegten, dem Schriftsatz vom 18.01.2025 vorausgegangenen tatsächlichen Vorgänge sind von dem Wahlverteidiger Rechtsanwalt R 3 nicht in Abrede gestellt worden. Insbesondere hat der Verteidiger Rechtsanwalt R 3 ausdrücklich als zutreffend dargestellt, dass der Angeklagte zu dem von dem Pflichtverteidiger beabsichtigten Vorgehen, gegenüber dem Gericht die Bestellung eines Sicherungsverteidigers zu beantragen, am 14.01.2025 befragt worden ist und er in diesem Zusammenhang u.a. erklärt hat, keinen Verteidiger zu kennen, den er benennen möchte. Soweit der Wahlverteidiger in diesem Zusammenhang rügt, die entsprechenden Nachfragen und Erläuterungen dazu seien nicht durch den Pflichtverteidiger selbst, sondern von einer in dessen Kanzlei tätigen Bürokraft vorgenommen worden, verhilft dies der sofortigen Beschwerde nicht zum Erfolg. Zum einen stellt dieser Einwand die Richtigkeit des Inhalts des Schriftsatzes des Pflichtverteidigers vom 18.01.2025, mit dem gegenüber der Kammer mitgeteilt wurde, der Angeklagte sei mit einer Beiordnung von Rechtsanwältin R 2 einverstanden, nicht in Zweifel. Zum anderen ist nicht im Ansatz ersichtlich bzw. vorgetragen, inwiefern sich der Angeklagte anders verhalten hätte, wenn die entsprechenden Nachfragen zu dem entsprechenden Zeitpunkt (nämlich am 14.01.2025) von dem Pflichtverteidiger selbst gehalten worden wären.“

Wenn der Angeklagte mehrere Verteidiger hat…., oder: Erstattung von Wahlanwaltsgebühren nach Freispruch?

Am „Gebührenfreitag“ gibt es heute zwei kostenrechtliche Entscheidungen, eine kommt vom OLG Celle, die andere vom LG Berlin.

Ich starte mit dem OLG Celle, Beschl. v. 19.12.2025 – 2 Ws 344/24 + 2 Ws 345/24. Dem Beschluss liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der ehemals Angeklagte H. war wegen des Vorwurfs des besonders schweren Raubes angeklagt. Daneben wurde gegen ihn die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 36.500 EUR beantragt. Das LG hat ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten H. wurden der Landeskasse auferlegt.

In dem Verfahren hatte sich zunächst mit Schriftsatz vom 11.11.2019 Rechtsanwalt W. als Wahlverteidiger für den Freigesprochenen legitimiert. Mit Beschluss des AG v. 23.4.2020 ist Rechtsanwalt L. dem Freigesprochenen als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Grund dafür war, dass Rechtsanwalt W. im Frühjahr 2020 wegen einer schweren Erkrankung, die kurz nach Erlass eines Haftbefehls am 18.2.2020 gegen den Freigesprochenen auftrat, als daher die Haftbefehlsverkündung unmittelbar bevorstand, mehrere Monate ausgefallen war und zunächst unklar war, ob er überhaupt seine Tätigkeit wiederaufnehmen konnte. So ist der Freigesprochene auch in der Folgezeit nicht mehr von Rechtsanwalt W. verteidigt worden. Mit Entscheidung des Vorsitzenden des LG vom 8.4.2022 ist dann noch Rechtsanwalt R. dem Freigesprochenen zur Verfahrenssicherung als zusätzlicher Pflichtverteidiger beigeordnet worden.

Rechtsanwalt L. hat beantragt, die entstandenen notwendigen Auslagen hinsichtlich der Wahlverteidigergebühren festzusetzen. Geltend gemacht worden sind – für Rechtsanwalt W – eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG, die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 36.500 EUR und eine Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie – für Rechtsanwalt L., die Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG, die Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG, zweimal die Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG, zweimal die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie Dolmetscherkosten und sonstige Auslagen und USt. sowie eigene notwendige Auslagen des Angeklagten.

Von den geltend gemachten Gebühren hat das LG gemäß § 52 Abs. 1 S. 2 RVG die bereits an Rechtsanwalt R. ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung betreffend eine Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG angerechnet sowie die weiteren über einen Betrag von 482 EUR hinausgehenden Beträge betreffend die Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG abgesetzt. Zudem hat es Dolmetscherkosten gekürzt. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, dass eine Erstattung der Aufwendungen des früheren Angeklagten für die Gebühren seiner Verteidiger Rechtsanwalt W., Rechtsanwalt L. und Rechtsanwalt R. als notwendige Auslagen nach § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO betreffend die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4142 VV RVG nur insoweit in Betracht komme, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen würden. Es komme daher wegen der bereits erfolgten Erstattung der Pflichtverteidigergebühren hinsichtlich des Rechtsanwalts R. nur die Erstattung der Differenz zwischen der Wahl- und Pflichtverteidigergebühren, die bisher noch nicht erstattet wurde, in Betracht. Die weitere Erstattung der Verfahrensgebühr scheide aus.

Der weitere Verteidiger des Freigesprochenen, Rechtsanwalt R., hat beantragt, die entstandenen notwendigen Auslagen hinsichtlich der Wahlverteidigergebühren wie folgt festzusetzen: Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG, 10 mal Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG, zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 36.500,00 EUR, abzüglich der bereits ausgezahlten Pflichtverteidigergebühren.

Von den geltend gemachten Gebühren hat das LG die Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG abgesetzt und von den verbleibenden Wahlverteidigergebühren von insgesamt 3.943,50 EUR zzgl. 19 % Umsatzsteuer in Höhe von 749,26 EUR und die bereits ausgezahlten Pflichtverteidigergebühren abgezogen. Die abgezogenen Pflichtverteidigergebühren enthielten die auch bereits bei Rechtsanwalt L. angerechneten 531 EUR betreffend die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV. Zur Begründung hat das LG auch hier ausgeführt, dass eine Erstattung der Aufwendungen des früheren Angeklagten für die Gebühren seiner Verteidiger Rechtsanwalt W., Rechtsanwalt L. und Rechtsanwalt R. als notwendige Auslagen nach § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO betreffend die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4142 VV RVG nur insoweit in Betracht komme, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen würden.

Sowohl Rechtsanwalt L. als auch Rechtsanwalt R. haben sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte bei Rechtsanwalt L. weitgehend und bei Rechtsanwalt R. in vollem Umfang Erfolg:

„2. Die sofortigen Beschwerden haben – hinsichtlich der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Verden vom 26.11.2024 (Beschluss 1 von 2) betreffend Rechtsanwalt L. ganz überwiegend und hinsichtlich der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Verden vom 26.11.2024 (Beschluss 2 von 2) betreffend Rechtsanwalt R. vollumfänglich – Erfolg.

Das Landgericht ist in den angefochtenen Entscheidungen jeweils zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Aufwendungen eines freigesprochenen Angeklagten für die mehreren tätig gewordenen Verteidigern geschuldeten Verteidigergebühren als notwendige Auslagen nach § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich nur insoweit zu erstatten sind, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass dieser Grundsatz dann eine Ausnahme erfährt, wenn die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers aus vom Angeklagten nicht zu vertretenen Gründen, wie etwa zur Sicherung des Fortganges des Verfahrens, erfolgt (vgl. bereits OLG Celle, Beschl. v. 04.09.2018 – 1 Ws 71/18; Senat, Beschl. v. 25.11.2024, 2 Ws 305/24; OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.04.2022 – 2 Ws 19/22 –, juris, mwN). Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass der Freigesprochene durch den Umstand einer ihm nicht zurechenbaren Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers nicht benachteiligt werden darf. Nichts anderes kann gelten, wenn der freigesprochene Angeklagte in dem Verfahren durch einen Wahlverteidiger verteidigt und ihm zur Verfahrenssicherung ein Pflichtverteidiger als weiterer Verteidiger beigeordnet worden war (Senat, Beschluss vom 25.11.2024, Az. 2 Ws 305/24).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind vorliegend dem früheren Angeklagten seine Aufwendungen für die seinem Wahlverteidiger Rechtsanwalt W. geschuldeten Verteidigergebühren als notwendige Auslagen dem Grunde nach als erstattungsfähig anzuerkennen.

Denn die spätere Beiordnung von Rechtsanwalt L. als weiteren Verteidiger ist nur erfolgt zur Sicherung des Fortgangs des geführten Strafverfahrens. Zwar lässt sich dies der Beiordnungsentscheidung nicht entnehmen. Allerdings hat Rechtsanwalt L. anwaltlich versichert, dass Rechtsanwalt W. im Frühjahr 2020 wegen einer schweren Erkrankung mehrere Monate ausgefallen war und zunächst unklar war, ob er überhaupt seine Tätigkeit wiederaufnehmen konnte. In der Folgezeit ist er auch nicht mehr für den Freigesprochenen tätig geworden. Aufgrund dessen – und mithin für den Freigesprochenen und Rechtsanwalt W. nicht vertretbar – musste Rechtsanwalt L. somit im Rahmen der Verkündung des zuvor erlassenen Haftbefehls gegen den Freigesprochenen am 23.04.2020 beigeordnet werden, was letztlich auch der Sicherung und Beschleunigung des Verfahren diente.

Auch die spätere Beiordnung von Rechtsanwalt R. als weiteren Verteidiger ist nur erfolgt zur Sicherung des Fortgangs des geführten Strafverfahrens, was sich bereits aus der Beiordnungsentscheidung vom 08.04.2022, aber auch aus der E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Vorsitzenden der Strafkammer und Rechtsanwalt L. (Bl. 107 f. Bd. III d.A.) ergibt.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Mitwirkung von Rechtsanwalt W. sowie die Mitwirkung von Rechtsanwalt L. und Rechtsanwalt R. in dem vorausgegangenen Strafverfahren als weitere, beigeordnete Verteidiger aus sachlichen und von dem früheren Angeklagten nicht zu vertretenden Gründen geboten war. Daher sind seine sämtlichen Aufwendungen für die gegenüber beiden Verteidiger geschuldeten Verteidigergebühren, mithin auch die Wahlverteidigergebühren als notwendige Auslagen nach § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO und jeweils auch die geltend gemachte Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG zu erstatten.

a) Daher ist nach den vorstehenden Ausführungen und sofern hiervon nicht abweichend im Übrigen aufgrund der zutreffenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Kostenantrags des Rechtsanwalts L. die Vergütung im Wesentlichen so erstattungsfähig, wie beantragt (und wie unter Ziff. I. a) dargestellt) mit Ausnahme der geltend gemachten Dolmetscherkosten von 275 Euro, weil diese nur in Höhe von 255 Euro nachgewiesen wurden. Deshalb ergeben sich nach Abzug der Vorschussrechnung (576 Euro) Auslagen in Höhe von insgesamt 3.790,75 Euro zzgl. 19 % Umsatzsteuer von 720,24 Euro (somit insgesamt 4.510,99 Euro) und eigene notwendige Auslagen des Freigesprochenen in Höhe von 280 Euro. Es ist daher ein Gesamtbetrag von 4.790,99 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.10.2022 festzusetzen.

Aufgrund des Abschlages in Höhe von 20 Euro hinsichtlich der geltend gemachten Dolmetscherkosten war die – unbeschränkt eingelegte – sofortige Beschwerde im Übrigen als unbegründet zu verwerfen.

b) Dem Kostenantrag des Rechtsanwalts R. ist nach den vorstehenden Ausführungen und insofern hiervon nicht abweichend aufgrund der zutreffenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung vollständig wie beantragt (und wie unter Ziff. I. b) dargestellt) zu entsprechen, sodass sich ein festzusetzender Gesamtbetrag von 1.297,70 Euro (1.090,50 Euro zzgl. 19 % Umsatzsteuer in Höhe von 207,20 Euro) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.10.2022 ergibt. „

Pflichti I: Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, oder: Voraussetzungen für einen Sicherungsverteidiger

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Ich stelle heute dann mal wieder Pflichtverteidigungsentscheidungen vor. Im Moment ist an der „Front“ allesdings Ruhe, Ich heb nicht so viel Entscheidungen vorliegen wie noch vor einiger Zeit.

ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 26.06.2024 – StB 35/24 -, der sich noch einmal zur Entbindung des Pflichtverteidigers äußert. Es handelt sich um ein Verfahren in Zusammenhang mit der (versuchten) Erstürmung des Reichstagsgebäudes.

Der Vorsitzendes des OLG-Senats hatte den Antrag auf Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt. Dagegen die Beschwerde, die keinen Erfolg hatte. Der BGH führt aus:

„Die gemäß § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1, § 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1 und 2 StPO statthafte, fristgerechte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der zur Entscheidung berufene Vorsitzende des mit der Sache befassten Oberlandesgerichtssenats (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO) hat den Antrag auf Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt T. zu Recht abgelehnt. Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen diesem und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Auch im Übrigen besteht kein Anlass zur Aufhebung der Verteidigerbeiordnung gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO.

1. a) Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Angeklagtem endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet ist. Mit dieser am 13. Dezember 2019 in Kraft getretenen Vorschrift (BGBl. I S. 2128, 2130, 2134) sollten zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel normiert werden. Deshalb kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. BT-Drucks. 19/13829 S. 48). Danach ist anerkannt, dass Maßstab für die Störung des Vertrauensverhältnisses die Sicht eines verständigen Angeklagten und eine solche von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Aufhebung 2 Rn. 6 f. mwN).

b) Daran gemessen ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers kein Grund für eine Rücknahme der Verteidigerbestellung. Aus den zutreffenden und auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens fortgeltenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die Bezug genommen wird, ist weder von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen, noch ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung erkennbar (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Ergänzend ist nur Folgendes auszuführen:

aa) Es ist schon nicht ersichtlich, dass die behauptete Unkenntnis des Angeklagten von seiner Kostentragungspflicht für die angefallenen Pflichtverteidigergebühren eine grobe Pflichtverletzung von Rechtsanwalt T. darstellt. Hinzu kommt, dass der Angeklagte Rechtsanwalt T. zuvor selbst bevollmächtigt hatte. Dem Angeklagten war damit bewusst, dass er für dessen Tätigkeit als Wahlverteidiger honorarpflichtig ist. Die nachfolgende Beiordnung wurde sodann mit Zustimmung des Angeklagten vorgenommen. Hierdurch ist er auch vor dem Hintergrund nicht beschwert, dass er etwaig zu einem späteren Zeitpunkt mit den Kosten des Pflichtverteidigers belastet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2023 – StB 27/23).

bb) Der weiterhin behauptete Umstand, Rechtsanwalt T. habe hohe Honorarforderungen gestellt und seine Tätigkeiten als Wahlverteidiger später überhöht abgerechnet, begründet weder einen Vertrauensverlust noch eine grobe Pflichtverletzung. Zwar kommt die Zurücknahme der Beiordnung wegen einer Störung des Vertrauensverhältnisses in Betracht, wenn der Pflichtverteidiger den Angeklagten ungeachtet dessen erklärter Ablehnung wiederholt bedrängt, eine schriftliche Vereinbarung über ein Honorar abzuschließen, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigen würde, und hierbei zum Ausdruck bringt, ohne den Abschluss dieser Vereinbarung sei seine Motivation eingeschränkt, für den Angeklagten tätig zu werden (vgl. KG, Beschluss vom 23. Januar 2012 – 4 Ws 3/12, StV 2013, 142, 143; KK-StPO/Willnow, 9. Aufl., § 143a Rn. 12). Indes ist dem Vortrag des Angeklagten bereits ein derartiges pflichtwidriges Verhalten von Rechtsanwalt T. nicht zu entnehmen. Dessen Honorarforderungen standen zudem im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Wahlverteidiger und lagen zeitlich vor seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger.

cc) Ferner rechtfertigen die vom Angeklagten vorgetragenen Umstände zum Schließfach in der Sch. nicht die Rücknahme der Beiordnung von Rechtsanwalt T. . Dass sich dieser zumindest vorübergehend gehindert sah, auf Wunsch des Angeklagten und seines Wahlverteidigers den Schlüssel für das Schließfach an den Sohn des Angeklagten auszuhändigen, erscheint in der konkreten Konstellation vertretbar. Im Übrigen gibt es keinen Anhalt dafür, dass der Pflichtverteidiger von der Unrichtigkeit seiner Angaben überzeugt war, das Schließfach sei von den Ermittlungsbehörden aufgebohrt worden.

2. Die Bestellung von Rechtsanwalt T. zum Pflichtverteidiger ist auch nicht gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO aufzuheben, weil der Angeklagte mit Rechtsanwalt Dr. S. einen anderen Verteidiger gewählt hat. Denn es begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, dass der zur Entscheidung berufene Vorsitzende des mit der Sache befassten Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts die Aufrechterhaltung der Beiordnung von Rechtsanwalt T. als Pflichtverteidiger gemäß § 143a Abs. 1 Satz 2 StPO aus den Gründen des § 144 StPO weiterhin für erforderlich gehalten hat.

a) Nach § 144 Abs. 1 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung einem Beschuldigten zu seinem Wahl- oder (ersten) Pflichtverteidiger „bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger zusätzlich“ bestellt werden, „wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist“. Von einer solchen Notwendigkeit ist auszugehen, wenn sich die Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstreckt und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. März 2024 – StB 19/24, NStZ-RR 2024, 178, 179; vom 5. Mai 2022 – StB 12/22, juris Rn. 12; vom 24. März 2022 – StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 16; vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 14 mwN; s. auch BT-Drucks. 19/13829 S. 49 f.).

Bei der Entscheidung über die Bestellung eines Sicherungsverteidigers kommt dem hierzu gemäß § 142 Abs. 3 StPO berufenen Richter ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Dessen Beurteilung, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert, kann das Beschwerdegericht daher nur beanstanden, wenn sie sich nicht mehr im Rahmen des Vertretbaren hält; anderenfalls hat es sie hinzunehmen (vgl. zur Fallkonstellation der Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2022 – StB 12/22, juris Rn. 8, 13; vom 24. März 2022 – StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 18).

b) Gemessen daran ist gegen das Vorgehen des Vorsitzenden nichts zu erinnern. Zwar fehlt es an einer ausdrücklichen Erörterung des § 144 StPO in den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich jedoch, dass der Vorsitzende die Verfahrenssicherung im Blick gehabt und nach den dargelegten Maßstäben keinen Anlass gesehen hat, Rechtsanwalt T. zu entpflichten. Der Vorsitzende ist im Rahmen der Beurteilung des Entpflichtungsgrundes nach § 143a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO auf entsprechende sachliche Gesichtspunkte eingegangen. Seine daraus hervorgehende Wertung, die Rechte des Angeklagten an einer effektiven Verteidigung (s. Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK) geböten aufgrund des außergewöhnlich umfangreichen und schwierigen Verfahrens die Bestellung von zwei Pflichtverteidigern neben dem Wahlverteidiger, überschreitet den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht und ist frei von Ermessensfehlern.“

Hatten wir alles schon mal.

Pflichti II: Bestellung eines Sicherungsverteidigers, oder: Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung

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Und im zweiten Posting dann „Diverses“ zur Pflichtverteidigung, allerdings auch wieder nur die Leitsätze, da die entschiedenen Fragen schon häufiger entschieden worden sind. Hier sind dann also:

1. Die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers als Sicherungsverteidiger kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht.

2. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein „unabweisbares Bedürfnis“ besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensverlauf zu gewährleisten.

1. Zu den Voraussetzungen der Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung.

2. Die Aufhebung der Bestellung nach § 143 Abs. 2 Satz 1 StPO steht im Ermessen des Gerichts. Den Beschlussgründen muss zu entnehmen sein, dass sich das Gericht des ihm eröffneten Ermessensspielraums bewusst war und dass es sein Ermessen unter Berücksichtigung der im Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkte ausgeübt hat.

 

 

War ich als Pflichtverteidiger konkludent beigeordnet?, oder: Neue Besen kehren gut (?)

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Und – wie an jedem Freitag – heute dann gebührenrechtliche Entscheidungen. Zunächst stelle ich den OLG Köln, Beschl. v. 28.03.2022 – 2 Ws 103/22 – vor. Der würde an sich auch ganz gut zu einem „Pflichti-Tag“ passen, aber: Das RVG steht im Vordergrund, daher kommt der Beschluss heute.

In der Entscheidung geht es um die Frage einer konkludenten Beiordnung der Kollegin Lingenu aus Möncgengladbach, die mir den Beschluss geschickt hat. Zwischen der Kammer, bei der gegen den Mandanten der Kollegin ein Verfahren wegen mehrfacher Brandstiftung, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Mord, geführt wurde und der Kollegin war im Rahmen von Terminabsprachen abgesprochen worden und dann in einem Vermerk festgejalten worden: „Mit Blick auf die im Rahmen der Terminabstimmung zutage getretene Terminlage der Verteidigung ist beabsichtigt, Frau Rechtsanwältin W. sowie Frau Rechtsanwältin L. verfahrenssichernd beizuordnen.“

Die schriftliche Beiordnung der Kollegin erfolgte dann aber nicht. Die Kollegin wurde zur Hauptverhandlung geladen und nahm in der Zeit vom 25.01.2021 bis zur Verkündung des Urteils am 02.06.2021 an 21 Hauptverhandlungsterminen teil. Sie hat dann ihren Vergütungsantrag gestellt. Im Rahmen des Vergütungsfestsetzungsverfahrens wurde dann festgestellt, dass ihre formelle Beiordnung bis dahin nicht erfolgt war. Die Kollegin hat daraufhin beantragt, die (zumindest) konkludente Beiordnung betreffend den Angeklagten nachträglich schriftlich zu fassen bzw. hilfsweise, sie rückwirkend dem Angeklagten als Pflichtverteidigerin beizuordnen. Dies wurde von der nunmehrigen – neuen – Vorsitzenden der Jugendkammer abgelehnt. Sie ist davon ausgegangen, dass weder eine Bestellung durch schlüssiges Verhalten anzunehmen sei noch eine rückwirkende Bestellung in Betracht komme. Dagegen hat der Angeklagte sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG dann Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Rechtsanwältin Pp. ist dem Angeklagten für das Verfahren spätestens ab dem Beginn der Hauptverhandlung am 25.01.2021 und für deren gesamte Dauer als Sicherungsverteidigerin gemäß § 144 Abs. 1 StPO beigeordnet worden.

a) Im Regelfall bedarf die Bestellung eines Verteidigers einer ausdrücklichen Verfügung des zuständigen Richters (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 142 Rn. 17 m.w.N.). An einer solchen fehlt es vorliegend, denn anders als im Falle von Rechtsanwältin Pp. erfolgte im Nachgang zu der E-Mail des Vorsitzenden vom 20.11.2020 anschließend keine formelle Beiordnung von Rechtsanwältin Pp.. Sie ist aber aus nachfolgenden Gründen stillschweigend durch den Vorsitzenden beigeordnet worden.

b) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Bestellung eines Verteidigers in Ausnahmefällen durch das betreffende Gericht auch aufgrund schlüssigen Verhaltens erfolgen kann (vgl. BGH, Beschlüsse v. 20.07.2009, 1 StR 344/08, und v. 04.11.2014, 1 StR 586/12; OLG Saarbrücken, Beschluss v. 17.09.2014, 1 Ws 126.114; KG Berlin, Beschluss v. 29.05.2012, 1 Ws 30/12; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 30.07.2014, 1 Ws 106/13; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 142 Rn. 17 m.w.N.). Voraussetzung für eine konkludente Verteidigerbestellung ist ein Verhalten des zuständigen Richters, das unter Beachtung aller hierfür maßgebenden Umstände zweifelsfrei einen solchen Schluss rechtfertigt (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss v. 17.09.2014, 1 Ws 126/14; KG Berlin, Beschluss v. 29.05.2012, 1 Ws 30/12; LG Stade, Beschluss vom 28.03.2018, 132 Qs 34/18). Die maßgebenden Umstände und das Verhalten des zuständigen Richters sind dabei so auszulegen, wie sie aus der Sicht eines verständigen und . redlichen Beteiligten aufzufassen sind (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 30.07.2014, 1 Ws 106/13; LG Stade, Beschluss vom 28.03.2018, 132 Qs 34/18).

c) Hieran gemessen musste Rechtsanwältin Pp. nach der ausdrücklichen Ankündigung des Vorsitzenden in der E-Mail vom 20.11.2020, sie als Sicherungsverteidigerin zu bestellen, die anschließend erfolgenden Terminabsprachen und die Ladung zu den abgesprochenen Terminen so verstehen, dass sie dem Angeklagten als Sicherungs-verteidigerin beigeordnet worden war. Denn ohne ihre Beiordnung hätte jedenfalls an vier avisierten Terminen die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden können. Im Hinblick auf die Dauer der Untersuchungshaft – und die zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgte Haftfortdauerentscheidung nach 6 Monaten – hatte der Vorsitzende – die durch die vorgenannte E-Mail aktenkundige – Absicht, durch Bestellung von Sicherungsverteidigern für beide Angeklagten eine zeitnahe Durchführung der Hauptverhandlung zu ermöglichen. Mangels aktenkundiger Gründe, die im weiteren Verlauf gegen die Bei-ordnung von Rechtsanwältin Pp. gesprochen haben könnten, ist davon auszugehen, dass anders als im Falle von Rechtsanwältin Pp. die formelle Beiordnung von Rechtsanwältin Pp. aufgrund gerichtsinterner Abläufe versehentlich vergessen wurde.

Spätestens aber das ohne Hinweis auf eine Tätigkeit als Wahlverteidigerin – hierzu hätte im Hinblick auf die E-Mail vom 20.11-.2020 aus Sicht des Angeklagten und von Rechtsanwältin Pp. Anlass bestanden – erfolgende Mitwirkenlassen an der Hauptverhandlung ab dem 25.01.2021 und die Aufrechterhaltung der Termine, in denen allein eine Vertretung durch Rechtsanwältin Pp. gewährleistet wurde, konnte aus Sicht des Angeklagten und von Rechtsanwältin Pp. nur im Sinne einer Beiordnung ausgelegt werden.

Die Voraussetzungen für die Bestellung von Rechtsanwältin Pp. als zusätzlicher Pflichtverteidigerin nach § 144 Abs. 1 StPO lagen auch vor. …..“

Das Verhalten der „neuen“ Vorsitzenden klint so ein bisschen nach „neue Besen kehren gut“ bzw. nach: „Was schert mich das Geschwätz meines Vorgängers“.