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StPO II: Anforderungen an eine wirksame Anklage, oder: „einheitlicher geschichtlicher Vorgang“/Tatdatum

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Und im zweiten Posting habe ich dann hier zwei Entscheidungen zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anklage.

Zunächst der BayObLG, Beschl. v. 10.03.2025 – 206 StRR 69/25 -, in dem es dazu heißt:

„1. Der Senat hält zunächst die von Amts wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzungen trotz erheblicher Mängel der Anklageschrift vom 14. Juni 2023, die in gleicher Weise dem Eröffnungsbeschluss vom 21. Juli 2023 anhaften, für gerade noch erfüllt, zumindest im Hinblick auf die nach teilweiser Sachbehandlung nach § 154 Abs. 2 StPO verbleibenden Tatvorwürfe (Beschluss vom 25. Juni 2024).

Anklageschrift, § 200 StPO, und Eröffnungsbeschluss, § 203 StPO, müssen die angeklagten prozessualen Taten im Sinne des § 264 StPO erkennen lassen. Darunter ist das tatsächliche Geschehen im Sinne eines einheitlichen geschichtlichen Vorgangs zu verstehen, der sich von anderen oder gleichartigen unterscheidet (s. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 264 Rn. 2 f.). Der Anklagesatz begegnet unter diesem Gesichtspunkt erheblichen rechtlichen Bedenken. In ihm sind in tabellarischer Form 20 Fälle aufgeführt, die dem Angeklagten als Betrugstaten zur Last gelegt werden. Sowohl die Tathandlungen als auch die sonstigen für die Subsumtion erforderlichen Merkmale sind lediglich dürftig, weitgehend nur stickpunktartig, dargetan. Dies gilt in besonderem Maße für den (tabellarisch als „Nr. 6“ bezeichneten) Fall, in dem die Tathandlung lediglich als „Tanken/Einkauf per Karte“ beschrieben und ein Tatzeitraum von mehr als einem Jahr angegeben ist.

Bezüglich der allein noch maßgeblichen abgeurteilten Tatvorwürfe vermag der Senat gleichwohl im Hinblick auf die angeführten Tatzeiten, die wenigstens kursorisch beschriebenen Vermögensschäden und die – wenn auch unpräzise – bezeichneten Geschädigten, gerade noch zu erkennen, welche historisch abgrenzbaren Verhaltensweisen die Anklage der Kognition des Gerichts unterbreiten wollte. Für den langen Tatzeitraum bei Fall Nr. 6 ist zwar zu vermuten, dass es sich um mehrere Einzelhandlungen gehandelt haben dürfte; soweit insoweit nur eine Handlung angeklagt und abgeurteilt worden ist, ist wohl zugunsten des Angeklagten von lediglich einer (natürlichen?) Handlung ausgegangen worden.“

Und dann der OLG Köln, Beschl. v. 08.04.2025 – 1 ORs 59/25 -, der zur Anklage, aber auch zur wirksamen Berufungsbeschränkung und zur Strafzumessung Stellung nimmt:

1. Wird durch das Tatgericht eine im Datum andere Tat festgestellt, als diejenige, die in der Anklageschrift genannt wurde, hebt diese Veränderung des Tatzeitraums die Identität zwischen angeklagter und abgeurteilter Tat nicht auf, sofern die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert ist.

2. Ein abweichend von der Anklageschrift festgestellte Tatdatum hinsichtlich einer Tat stellt auch materiell-rechtlichen Darstellungsmangel, der einer wirksamen Beschränkung der Berufung entgegenstehen würde.

3. Zur Strafzumessung, wenn ein falsches Tatdatum zugrunde gelegt worden ist.

StGB I: Weisungsverstoß in der Führungsaufsicht, oder: Ausreichende Feststellung in den Urteilsgründen?

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Ich stelle heute dann mal wieder StGB-Entscheidungen vor. Alle drei stammen aus der Instanz.

Zunächst berichte ich über den OLG Köln, Beschl. v. 07.01.2025 – 1 ORs 226/24 – zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht. Das OLG hat auf die Sprungrevision des Angeklagten dessen Verurteilung durch das AG aufgehoben:

„2. Das Rechtsmittel hat (vorläufig) Erfolg; es führt gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils samt der Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Der Schuldspruch gem. § 145a StGB – welcher im Verurteilungsfalle richtig auf „Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwei Fällen“ lauten müsste – wird von den getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht (lediglich) folgendes festgestellt:

„Die Angeklagte steht gemäß Beschluss des Landgerichts Köln vom 30.10.2019 – 121 StVK 281/19 – seit dem 12.12.2019 unter Führungsaufsicht.

Durch Konkretisierungsbeschluss des Landgerichts Köln vom 13.03.2023 ist der Angeschuldigten aufgegeben worden, jeden ersten Montag eines Monats in der Sprechstunde in der Zeit von 14:30 Uhr bis 17:45 Uhr in der Führungsaufsichtsstelle persönlich vorzusprechen. In Kenntnis der Beschlüsse und trotz entsprechender Belehrung über die Konsequenzen etwaigen Verstöße erschien die Angeschuldigte in den Monaten April und Mai 2023 nicht in der Sprechstunde der Führungsaufsichtsstelle.

Wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht gem. § 145a S. 1 StGB wird bestraft, wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 68b Abs. 1 StGB bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind teilweise lückenhaft und belegen nicht, dass sich die Angeklagte im Sinne von § 145a StGB strafbar gemacht hat.

a) Die Vorschrift des § 145a StGB ist eine Blankettvorschrift, deren Tatbestand erst durch eine genaue Bestimmung der Führungsaufsichtsweisung ausgefüllt wird; erst hierdurch wird die Vereinbarkeit der Norm mit Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet. Voraussetzung ist daher, dass die Weisung rechtfehlerfrei ist (vgl. BGH NStZ 2020, 480). Hierfür muss die Weisung, gegen die die Täterin verstoßen hat, hinreichend bestimmt sein (vgl. nur: Fischer, StGB, 71. Aufl., § 145a Rn 6). Dies ist in den Urteilsgründen darzustellen. In Anbetracht des Gebots aus Art. 103 Abs. 2 GG und des Umstands, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen zulässt, muss sich zudem aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst ergeben, dass es sich bei der Weisung, auf deren Verletzung die Verurteilung gestützt werden soll, um eine solche gem. § 68b Abs. 1 StGB handelt, die nach § 145a S. 1 StGB strafbewehrt ist. Dafür ist zwar einerseits eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 68b Abs. 1 StGB nicht erforderlich, andererseits wird sie aber ohne weitere Erläuterung regelmäßig nicht ausreichen, um dem Verurteilten die notwendige Klarheit zu verschaffen (zu den vorgenannten Voraussetzungen insgesamt: BGH NStZ 2021, 733).

Dem genügt das Urteil des Amtsgerichts nicht. Die — nach den getroffenen Feststellungen — die Führungsaufsicht begründenden und die Weisungen näher ausformenden Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes Köln vom 30. Oktober 2019 und vom 3. März 2023 werden in den Urteilsgründen – anders, als es sich zumindest dringend empfiehlt (BGH NStZ-RR 2023, 369) – nur auszugsweise mitgeteilt. Während sich aus den Feststellungen insoweit zwar noch eine hinreichend bestimmte Weisung als solche erkennen lässt, kann jedoch nicht abschließend geprüft werden, ob in dem sie anordnenden Beschluss unmissverständlich klargestellt ist, dass der Verstoß gegen diese Weisung auch strafbewehrt ist. Soweit die Urteilsgründe die Beschlüsse wiedergeben, kann ihnen dies nicht entnommen werden, da lediglich festgestellt wird, dass die Angeklagte „über die Konsequenzen etwaige] Verstöße“ belehrt worden sei. Wann eine Belehrung wie konkret über welche Konsequenzen erfolgt sein soll, bleibt indes im Ungewissen. Die Feststellungen erfahren insoweit auch keine Ergänzung durch die Beweiswürdigung, in welcher „auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Beschluss des Landgerichts Bonn [gemeint ist wohl: Köln], BI. 3 ff. d.A.“ Bezug genommen wird. Um den Inhalt einer Urkunde zum Gegenstand der Urteilsgründe zu machen, bedarf es der Wiedergabe des Urkundeninhalts; die bloße Wiedergabe der Blattzahlen ist insoweit unbehelflich (MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 267 Rn. 264). Ein Verstoß gegen eine strafbewehrte Weisung nach § 68b Abs. 1 StGB kann durch die getroffenen Feststellungen mithin nicht belegt werden.

b) Zudem setzt § 145a StGB als konkretes Gefährdungsdelikt (Fischer, StGB, 71. Aufl., § 145a Rn. 22; BeckOK StGB/Heuchemer, 63. Ed., § 145a Rn. 1) voraus, dass durch den Weisungsverstoß eine Gefährdung des Maßregelzwecks eintritt; dies ist dann der Fall, wenn sich die Gefahr weiterer Straftaten erhöht oder die Aussicht ihrer Abwendung verschlechtert hat. Dazu bedarf es eines am Einzelfall orientierten Wahrscheinlichkeitsurteils, das neben dem sonstigen Verhalten der Angeklagten auch die konkrete spezialpräventive Zielsetzung der verletzten Weisung in den Blick nimmt (BGH NStZ-RR 2018, 309; BGH StV 2020, 22; OLG Naumburg StV 2020, 30).

Sowohl zu dem Zweck der Führungsaufsicht als auch zur Gefährdung desselben durch das — alleine festgestellte — zweimalige Fernbleiben der Angeklagten von Gesprächsterminen in der Führungsaufsichtsstelle, verhält sich das Urteil des Amtsgerichts überhaupt nicht, sodass die Feststellungen auch insoweit lückenhaft sind und eine Verurteilung nicht zu tragen vermögen.

c) Schließlich tragen die Feststellungen auch den subjektiven Tatbestand des § 145a S. 1 StGB nicht.

Nach § 15 StGB ist ein vorsätzliches Handeln erforderlich, wobei ein bedingter Vorsatz ausreicht. Die Täterin muss wissen, dass eine bestimmte Weisung gegen sie ergangen ist; dass sie im Augenblick der Tat an die Weisung denkt, ist nicht notwendig. Das Vorsatzerfordernis erstreckt sich auch darauf, dass der Weisungsverstoß den Zweck der Maßregel gefährdet. Die Täterin muss also wissen und zumindest billigend in Kauf nehmen, dass sie durch ihren Weisungsverstoß wieder in die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten geraten könnte. Ein bedingter Vorsatz ist auch dann möglich, wenn die Täterin hofft, jener Versuchung widerstehen zu können. Jedoch können die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen dann fehlen, wenn die Täterin aus einer besonderen, nachvollziehbaren Situation heraus der Weisung keine Folge leistet. Es kommt insbesondere in Betracht, dass der bewusste Weisungsverstoß aus anerkennenswerten Motiven — wenn schon nicht mit einer Rechtfertigung, z.B. bei der Nothilfe — erfolgt und damit einhergeht, dass die Täterin die Gefährdung des Maßregelzwecks nicht billigend in Kauf nimmt (MüKoStGB/Groß/Anstötz, 4. Aufl., § 145a Rn. 18).

Auch hierzu fehlen Feststellungen in dem angegriffenen Urteil. Insbesondere nach der im Urteil wiedergegebenen Einlassung der Angeklagten, nach der sie aufgrund ihrer COPD-Erkrankung häufig Angstzustände habe und nicht vor die Tür gehen könne (S. 2, 7 des Urteils), hätte sich hier eine Auseinandersetzung mit der Frage aufgedrängt, ob vorliegend auch ein nicht strafbarer fahrlässiger Verstoß gegen die erteilte Weisung oder eine vorsätzliche Terminsversäumnis, allerdings ohne Inkaufnahme einer – ebenfalls bislang nicht festgestellten (s.o.) – Maßregelgefährdung in Betracht kommt.“

U-Haft I: Sechs-Monats-Prüfung durch das OLG, oder: Das dürfte dem BVerfG wohl nicht reichen

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Und dann Wochenstart, und zwar geht es in die 10.KW mit zwei Haftentscheidungen.

Zunächst kommt hier der OLG Köln, Beschl. v. 06.02.2025 – 2 Ws 48-51/24 – zum Haftgrund der Fluchtgefahr.

Ergangen ist der Beschluss im Haftprüfungsverfahren nach den §§ 120 ff. StPO, also Sechs-Monats-Prüfung. Das OLG hat die Fortdauer der U-Haft für weitere drei Monate angeordnet und führt aus:

„Zur Begründung wird auf die den Angeschuldigten und deren Verteidigungen bekannt gemachte Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 21.01.2025 sowie deren den Angeschuldigten zu 3. betreffende und dessen Verteidigung übermittelte – ergänzende -Stellungnahme vom 31.01.2025 verwiesen.

Im Hinblick auf die im Haftprüfungsverfahren seitens des Angeschuldigten zu 3. vorgebrachten Einwendungen, die sich gegen die Annahme eines Haftgrundes sowie die Verhältnismäßigkeit der Vollziehung des Haftbefehls richten, bemerkt der Senat ergänzend das Folgende:

1. Auch hinsichtlich des Angeschuldigten zu 3. besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Aus dem dringenden Verdacht der Begehung von – den dem Haftbefehl des Amtsgerichts Aachen vom 17.05.2024 in Abweichung von der Anklageschrift vom 13.12.2024, die für seine Person von vier Taten ausgeht, zu Grunde liegenden und damit für den Senat im Haftprüfungsverfahren maßgeblichen – drei Taten nach §§ 259 Abs. 1, 260 Abs. 1 Nr. 1, 2, 260a Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB resultiert für den bislang nicht vorbestraften und damit besonders haftempfindlichen Angeschuldigten ein ganz erheblicher Fluchtanreiz. Dieser wird dadurch, dass ihm nach dem weiteren Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens mit der Anklage noch ein weiterer Fall der gewerbsmäßigen Bandenhehlerei zur Last gelegt wird, noch verstärkt. Die Taten sind jeweils mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu ahnden, wobei für die Annahme minder schwerer Fälle bislang nichts ersichtlich ist. Der Angeschuldigte zu 3., der nach dem Ermittlungsergebnis Teil einer professionell vorgehenden Bande ist, durch deren Taten – auch in den dem Angeschuldigten zu 3. konkret zur Last gelegten Fällen – erhebliche Schäden entstanden sind, muss vor diesem Hintergrund mit einer empfindlichen, nicht aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe rechnen. Ausreichende und hinreichend tragfähige fluchthemmende Umstände bestehen aus den in dem Haftbefehl ausgeführten Gründen sowie aus den von der Generalstaatsanwaltschaft im hiesigen Haftprüfungsverfahren in den Verfügungen vom 17.01.2025 und 31.01.2025 aufgezeigten Gründen nicht. Dabei hat der Senat gesehen, dass der Angeschuldigte zu 3. über familiäre Bindungen und einen Wohnsitz in den Niederlanden verfügt. Weder diese noch die in den Niederlanden ausgeübte selbständige Tätigkeit als Leiter eines Baggerbetriebes erscheinen nach derzeitigem Erkenntnisstand indes hinreichend tragfähig, um den aufgezeigten Fluchtanreiz auszuräumen bzw. diesem ausreichend entgegenzuwirken. Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass der Angeschuldigte zu 3. hinsichtlich seines Wohnsitzes selbst einschränkend erklärt hat, dass der Verlust seines kreditfinanzierten Eigenheimes drohe, und hinsichtlich seiner selbständigen Tätigkeit zu berücksichtigen sei, dass die ihm zur Last gelegten Taten auf seinem Betriebsgelände begangen worden sein sollen und davon auszugehen ist, dass seine berufliche Tätigkeit zumindest teilweise mit den verfahrensgegenständlichen Taten zusammenhing. In der Gesamtschau, insbesondere mit Blick auf die beträchtliche Straferwartung, rechtfertigt schließlich auch der Umstand, dass der Angeschuldigte zu 3. am 21.06.2024 in den Niederlanden vom Vollzug der Auslieferungshaft verschont worden, den ihm in diesem Zusammenhang erteilten Weisungen nachgekommen ist und er sich insbesondere am 22.08.2024 zur Auslieferung in die Bundesrepublik freiwillig gestellt hat, derzeit weder eine Aufhebung noch eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls. Angesichts des kurzen Zeitraums von nur wenigen Wochen, in dem sich der Angeschuldigte zu 3. auf freiem Fuß befand, kommt allein diesem Umstand aktuell keine ausschlaggebende Bedeutung zu, zumal der Senat nicht auszuschließen vermag, dass der freiwilligen Gestellung zur Auslieferung die Hoffnung zugrunde lag, dass die Verschonung in der Bundesrepublik fortgesetzt bzw. beibehalten wird.

2. Der Vollzug der Untersuchungshaft steht vor diesem Hintergrund zu der Bedeutung der Sache, der Schwere der Taten, derer der Angeschuldigte zu 3. dringend verdächtig ist, und der zu erwartenden Strafe auch nicht außer Verhältnis (vgl.§§ 112 Abs. 1 S. 2, 120 Abs. 1 S. 1 StPO). Insbesondere liegen die Voraussetzungen für eine Verschonung des Angeschuldigten zu 3. vom Vollzug der Untersuchungshaft nach dem bisherigen Erkenntnisstand und der Aktenlage bislang nicht vor. Es kann jedenfalls derzeit nicht hinreichend tragfähig angenommen werden, dass der Zweck der Untersuchungshaft durch weniger einschneidende Maßnahmen, ggf. auch die Leistung einer von dem Angeschuldigten zu 3. angebotenen Sicherheit in Höhe von 10.000-15.000,- EUR, erreicht werden kann. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls — insbesondere mit Blick auf die von der Verteidigung im Schriftsatz vom 30.01.2025 aufgezeigten Umstände, insbesondere die freiwillige Gestellung im Auslieferungsverfahren – in Betracht kommen und gerechtfertigt erscheinen kann, wird indes in der in Kürze beginnenden Hauptverhandlung und deren weiteren Verlauf auf der Grundlage der dort zur Verfügung stehenden, ggf. weiteren Erkenntnismöglichkeiten einer erneuten Überprüfung durch das Tatgericht zu unterziehen sein.

Inwieweit daneben auch der (subisdiäre) Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO) den Vollzug der Untersuchungshaft rechtfertigt, muss der Senat vor diesem Hintergrund nicht entscheiden.“

Ja, richtig gelesen, mehr steht nicht im Beschluss. Ich bin mir nicht so sicher, ob die Ausführungen des OLG betreffend die Angeschuldigten 1 und 2 dem entsprechen, was das BVerfG unter „Begründungstiefe“ bei Haftfortdauerentscheidungen versteht. Ich habe da erhebliche Zweifel. Mich hätte die Ansicht des BVerfG dazu schon interessiert :-).

OWi II: Urteil beim qualifizierten Rotlichtverstoß, oder: Besonderheiten bei Messung mit Traffipax Traffiphot III

Im zweiten Posting geht es dann um den OLG Köln, Beschl. v. 29.11.2024 – III 1 ORBs 280/24. Der nimmt zu den Anforderungen an die Urteilsgründe Stellung, wenn die Messung bei einem sog. qualifizierten Roltichtverstoß mit Traffipax Traffiphot III erfolgt ist.

Nach den Feststellungen hatte die Betroffene einen qualifizierten Rotlichtverstoß begangen, indem sie mit ihrem Pkw innerorts trotz einer Rotlichtzeit von 1,01 s zunächst die Haltelinie und anschließend die Kreuzung überquerte. Das OLG hat die Feststellungen des AG als lückenhaft beanstandet und aufgehoben und zurückverwiesen:

„Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass der vom Amtsgericht festgestellte qualifizierte Rotlichtverstoß im Sinne von §§ 37 Abs. 2, 49 StVO, 4 Abs. 1 BKatV i.V.m. Nr. 132.3 BKat frei von Rechtsfehlern festgestellt worden ist. Hinsichtlich der Annahme, das Rotlicht habe bereits „länger als 1 Sekunde“ angedauert, ist die Beweiswürdigung lückenhaft.

Allerdings geht das Amtsgericht im Ausgangspunkt zu Recht davon aus, dass es sich bei der automatischen Rotlichtüberwachung um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 49).

In einem solchen Fall kann sich das Urteil im Grundsatz, wie allgemein beim Einsatz standardisierter Messverfahren, auf die Angabe des verwendeten Gerätetyps und des gewonnenen Messergebnisses sowie etwaig zu beachtender Toleranzwerte beschränken (vgl. OLG Hamm BeckRS 2006, 15059; OLG Braunschweig NJW 2007, 391; OLG Bremen NZV 2010, 42; OLG Schleswig ZfS 2014, 413; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 127656; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 8920; OLG Karlsruhe BeckRS 2024, 11920). Näherer Darlegungen über die Messmethode und deren technische Zuverlässigkeit bedarf es damit grundsätzlich nicht, um dem Rechtsmittel-gericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen worden sind (vgl. BGH NJW 1993, 3081).

Das Amtsgericht benennt in den Urteilsgründen auch wesentliche Anknüpfungstatsachen, indem die Dauer des Gelblichts, das Vorhandensein einer Haltelinie und zweier Induktionsschleifen, der Abstand zwischen der Haltelinie und der ersten Induktions-schleife, der Abstand zwischen der ersten und der zweiten Induktionsschleife und die gestoppten Rotlichtzeiten mitgeteilt werden (vgl. zum Erfordernis der Mitteilung von Anknüpfungstatsachen: OLG Hamm BeckRS 2006, 15059; OLG Karlsruhe NZV 2009, 201; OLG Schleswig ZfS 2014, 413; OLG Dresden, BeckRS 2017, 157846; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 127656; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 8920; OLG Karlsruhe BeckRS 2024, 11920; vgl. auch Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 49). Zudem wird die Tatörtlichkeit hinsichtlich der Wechsellichtzeichenanlage und der verkehrstechnischen Gestaltung des Verkehrsbereiches beschrieben; auf die Skizzen Bl. 29 f. d. A. wird in zulässiger Weise Bezug genommen.

Indes ist die Rotlichtzeit von der Anlage Traffipax Traffiphot III nicht direkt an der Haltelinie gemessen worden. Das erste Beweisfoto mit der ersten gemessenen Rotlichtzeit wurde vielmehr erst beim Überfahren der ersten Induktionsschleife ausgelöst. Da es aber für den Beginn der Rotlichtdauer auf das Überfahren der Haltelinie ankommt (SenE v. 21.08.1998 – Ss 378/98 = BeckRS 1998, 155014; SenE v. 22.05.2003 – Ss 198/03; Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 50 m.w.N.), stellt die auf dem ersten Foto eingeblendete Rotlichtzeit nicht die vorwerfbare Rotzeit dar. Das maßgebliche Überfahren der Haltelinie erfolgte zu einem früheren Zeitpunkt. Vor diesem Hintergrund muss die Zeit zwischen Überschreiten der Haltelinie und dem Erreichen des ersten Messpunkts abgezogen werden, um den betroffenen Fahrzeugführer nicht zu benachteiligen.

Während einige Rotlichtüberwachungsanlagen die vorzuwerfende Rotzeit automatisch (geräteintern) berücksichtigen, ist bei Rotlichtüberwachungen älterer Bauart in aller Regel eine manuelle Rückrechnung der gemessenen Rotzeit in Bezug auf den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie vorzunehmen (SenE v. 21.08.1998 – Ss 378/98 = BeckRS 1998, 155014; OLG Braunschweig NJW 2007, 391; Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1581 u. 1584; Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 48).

Auch bei der hier verwendeten Rotlichtüberwachungsanlage Traffipax Traffiphot III ist die Fahrzeit von der angezeigten Rotzeit zu subtrahieren, die das Fahrzeug vom Überfahren der Haltelinie bis zu der Position benötigt, die auf dem ersten Messfoto abgebildet ist (vgl. Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 48; Löhle/Beck DAR 2000, 1 [4]). Sie gehört zu den Anlagen ohne automatische Berechnung der vorwerfbaren Rotzeit (Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1589 ff., 1599). Das Auswerteverfahren ist nicht Bestandteil der Innerstaatlichen Bauartzulassung. Die Berechnungen haben sich an den konkreten Gegebenheiten zu orientieren (Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1599).

Sind – wie hier – zwei Induktionsschleifen vorhanden, durch die zwei Beweisfotos ausgelöst werden, besteht die Möglichkeit, die von dem Betroffenenfahrzeug zwischen den beiden Aufnahmen gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit des Fahrzeugs zu berechnen. Mit Hilfe der errechneten mittleren Geschwindigkeit des Fahrzeugs lässt sich die Zeit berechnen, die der Betroffene für das Zurücklegen der Strecke ab dem Überfahren der Haltelinie bis zum Auslösen des ersten Rotlichtfotos benötigt hat. Diese Zeit ist von der auf dem ersten Foto eingeblendeten Rotlichtzeit abzuziehen, um die rechtlich relevante vorwerfbare Rotlichtzeit zu erhalten. Durch eine solche Weg-Zeit-Berechnung kann – auf der Grundlage einer rekonstruierten Geschwindigkeit – ausgerechnet werden, wann die Haltelinie passiert wurde (vgl. OLG Hamm BeckRS 2006, 15059; OLG Braunschweig, NJW 2007, 391; OLG Dresden, BeckRS 2017, 157846; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 127656; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 8920; zur Rückrechnung näher Löhle/Beck, DAR 2000, 1 ff.). Die beschriebene Art der Berechnung geht dabei davon aus, dass das Fahrzeug mit gleichbleibender Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren ist.

Die Rückrechnung der vorwerfbaren Rotlichtzeit muss nachvollziehbar unter Berücksichtigung aller relevanten Parameter erfolgen (Wegstrecke, Lampenverzögerungs-zeit, Dauer der Rotphase beim Überfahren der ersten Induktionsschleife und Dauer der Rotphase bei Überfahren der zweiten Induktionsschleife). Eine etwaige Lampenverzögerungszeit, welche von der Art des verwendeten Leuchtmittels abhängt, ist ab-zuziehen (Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1599 u. 1601). Lampenverzögerungszeit ist die Zeit vom elektrischen Einschalten der Lampe einer Lichtzeichenanlage bis zum sichtbaren Aufleuchten (vgl. Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1582; Löhle/Beck, DAR 2000, 1 [4]). Die Rückrechnung kann eine Verminderung der vorwerfbaren Rotlichtzeit um bis zu 0,3 Sekunden, bei sehr langsamer Fahrt sogar um bis zu 0,5 Sekunden zur Folge haben (vgl. Krumm SVR 2006, 436 [439]; Burhoff, ZAP 2016, 407; Löhle/Beck DAR 2000, 1 [7]; Beck/Berr/Schäpe/Kärger/Weigel, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. Rdn. 676; zu Fehlerquellen bei Traffiphot III vgl. auch: Buck/Smykowski in Buck/Gieg, Sachverständigenbeweis im Verkehrs- und Strafrecht, 3. Aufl., § 7 Rdn. 45 ff.).

Nach diesen Maßgaben erweisen sich die Ausführungen im angefochtenen Urteil als unzureichend.

Das Amtsgericht hat zwar erkannt, dass eine Rückrechnung auf den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie zu erfolgen hat. Auch ist eine Rückrechnung dahin erfolgt, dass der Betroffenen das Missachten einer Rotzeit von 1,01 s vorgeworfen wird, während das erste Beweisfoto bei 1,20 s ausgelöst hat.

Für den Senat ist indes allein anhand der Urteilsgründe nicht überprüfbar, ob die Rückrechnung auf die vorwerfbare Rotlichtdauer nachvollziehbar und ohne jede Benachteiligung der Betroffenen erfolgt ist. Denn das Amtsgericht nimmt nur pauschal auf die „Berechnungen Bl. 158 f. d. A.“ Bezug, ohne mitzuteilen, wer diese erstellt und auf welcher Grundlage, insbesondere aufgrund welcher Berechnungsparameter, die Berechnungen erfolgt sind und ob und ggf. welche Toleranzen bzw. Sicherheitsabschläge hierbei zugunsten der Betroffenen vorgenommen worden, gerade auch im Hinblick auf eine etwaige Lampenverzögerungszeit. Eine solche Darstellung war im vorliegenden Einzelfall auch nicht verzichtbar, da die Grenze zum qualifizierten Rotlichtverstoß – mit der erheblichen Folge eines Fahrverbotes – überhaupt nur denkbar knapp überschritten ist.

Die Sache bedarf nach alledem – gegebenenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen (vgl. OLG Braunschweig NJW 2007, 391; Löhle/Beck, DAR 2000, 1 [7]; Krumm SVR 2006, 436 [439]; Burhoff, ZAP 2016, 407; Beck/Berr/Schäpe/Kärger/Weigel, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. Rdn. 676) – neuer tatrichterlicher Behandlung und Entscheidung.“

StPO II: Ist/War das Urteil vollständig begründet?, oder: Berufungsverwerfung trotz Vertretungsvollmacht?

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Und dann als zweite Entscheidung ein Beschluss des OLG Köln, der zu zwei Fragen Stellung nimmt. Nämlich: Wann liegt ein vollständig begründetes Urteil vor? und: Wann darf eine Berufung trotz Erscheinens eines Verteidigers mit Vertretungsvollmacht verworfen werden?

Dazu das OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v.26.09.2024 – III-1 ORs 162/24:

„1. Das Rechtsmittel führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO).

Das angefochtene Urteil hält materiell-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn es trägt keine richterliche Unterschrift.

Damit fehlt es bereits an der notwendigen Prüfungsgrundlage.

Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht sind allein die schriftlichen Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben (vgl. SenE v. 05.03.2010 – III-1 RVs 26/10; SenE v. 28.03.2024 – III-1 ORs 51/24; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 337 Rdn. 22 m.w.N.).

Ein vollständiges schriftliches Urteil liegt erst vor, wenn sämtliche an ihm beteiligten Berufsrichter seinen Inhalt gebilligt und dies mit ihrer Unterschrift bestätigt haben (BGH StV 2010, 618; OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 2010, 250; SenE v. 13.09.2005 – 83 Ss 47/05; SenE v. 22.02.2011 – III-1 RVs 35/11; SenE v. 27.11.2012 – III-1 RVs 215/12; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 275 Rdn. 4).

Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus dem Umstand, dass die Vorsitzende der Berufungsstrafkammer im Zusammenhang mit dem Urteil eine Zustellungsverfügung unterzeichnet hat. Die Unterschrift unter den Urteilsgründen als letzter Akt der Urteilsfällung kann nicht durch eine solche auf einer von dem erkennenden Richter unterzeichneten gesonderten Verfügung ersetzt werden (vgl. BGH StV 2010, 618; SenE v. 19.11.2002 – Ss 479/02 B – m.w.N.; SenE v. 13.09.2005 – 83 Ss 47/05; SenE v. 19.07.2011 – III-1 RVs 166/11 = NStZ-RR 2011, 348; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 275 Rdn. 6).

Der vorbezeichnete Mangel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (SenE v. 11.01.2013 – III-1 RVs 1/13; SenE v. 28.10.2014 – III- RVs 199/14; SenE v. 17.10.2017 – III-1 RVs 237/17; SenE v. 11.04.2018 – III-1 RVs 76/18; SenE v. 27.07.2021 – III-1 RBs 214/21; SenE v. 01.02.2024 – III-1 ORbs 12/24; Meyer-Goßner/Schmitt, SPO, 67. Aufl., § 338 Rdn. 52 m.w.N.), wenn – wie hier – die Unterschrift nicht mehr nachgeholt werden kann (vgl. SenE v. 20.08.2010 – III-1 RVs 166/11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. § 275 Rdn. 6 m.w.N.).“

Insoweit waren die Gründe tragend. Nicht tragend sind die Ausführungen des OLG zur Frage der Voraussetzungen der Verwerfung, wenn ein mit Vertretungsmacht ausgestatteter Verteidiger erscheint:

„Hinsichtlich der Verfahrensrüge, die Berufung hätte wegen wirksamer Vertretung durch einen mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger nicht verworfen werden dürfen, merkt der Senat allerdings – ungeachtet der Frage, ob diese Rüge in zulässiger Weise erhoben wurde – Folgendes an:

Ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO setzt neben der Säumnis des Angeklagten voraus, dass kein mit einer nachgewiesenen Vertretungsvollmacht ausgestatteter Verteidiger erschienen ist.

Ein solcher Verteidiger muss bereit sein, den Angeklagten aufgrund der Vollmacht zu vertreten (vgl. KG 18.4.1985 – 1 Ss 329/84 – JR 1985, 343; OLG Oldenburg StV 2018, 148; SenE v. 27.08.1991 – Ss 399/91 = StV 1992, 567; SenE v. 31.01.1992 – Ss 22/92 – 20 = StV 1993, 292; SenE v. 09.04.2013 – III-1 RVs 62/13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 329 Rdn. 16). Zur „Vertretung“ gehört dabei in der Regel nur, dass der bevollmächtigte Verteidiger für den Angeklagten anwesend ist. Eine weitere Mitwirkung an der Verhandlung obliegt ihm ebenso wenig wie dem Angeklagten, wenn dieser selbst anwesend wäre (vgl. SenE v. 31.01.1992 – Ss 22/92 – 20 = StV 1993, 292; OLG Oldenburg StV 2018, 148). Auch der Verteidiger muss keine Erklärungen zur Sache abgeben oder Anträge stellen.

Eine Verwerfung trotz Erscheinens eines Verteidigers mit Vertretungsvollmacht kommt vor diesem Hintergrund nur unter besonderen Umständen in Betracht, etwa wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass der Verteidiger es gar nicht zu einer Sachverhandlung kommen lassen will bzw. nicht gewillt ist, den Angeklagten in einer solchen zu vertreten (vgl. OLG Hamm StV 2018, 150 m.w.N.; OLG Oldenburg StV 2018, 148; SenE v. 27.08.1991 – Ss 399/91 = StV 1992, 567; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 329 Rdn. 4 u. 16; vgl. amtl. Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 18/3562, S. 69).

Der Rechtsansicht des Landgerichts, auch der Verteidiger vertrete nicht, der geltend mache, nicht über ausreichende Informationen zu verfügen, vermöchte der Senat hingegen nicht zu folgen. Sie wird auf eine Kommentarstelle gestützt, die ihrerseits ausschließlich auf Rechtsprechung vor Inkrafttreten der Neufassung des § 329 StPO verweist (MüKo-StPO-Quentin, 2. Aufl. 2024, § 329 Rdn. 27 m. w. N. in Fn. 72). Indessen ist – wie dargelegt – auch der mit Vertretungsvollmacht ausgestattete Verteidiger zu Angaben nicht verpflichtet. Die Erklärung des Verteidigers, ihm fehlten Informationen, erlangt daher vor allem im Hinblick auf § 349 Abs. 4 StPO Bedeutung: Nach dieser Vorschrift hat das Gericht den Angeklagten zur Fortsetzung der Hauptverhandlung zu laden und dessen persönliches Erscheinen anzuordnen, wenn es die Anwesenheit des Angeklagten in der auf seine Berufung hin durchgeführten Hauptverhandlung trotz der Vertretung durch einen Verteidiger für erforderlich hält. Je weniger Informationen aber dem mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger vorliegen, desto eher wird sich für das Gericht die Frage stellen, ob nicht die Anberaumung eines Fortsetzungstermins unter Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten erforderlich ist.

Aus dem bloßen Umstand, dass sich ein Verteidiger für eine Aussetzung der Hauptverhandlung bzw. für die Anberaumung eines Fortsetzungstermins im Sinne von § 329 Abs. 4 StPO ausspricht, kann nicht hergeleitet werden, dass dieser nicht bereit wäre, im Falle der Ablehnung seines Begehrens den Angeklagten in der Sachverhandlung zu vertreten (vgl. SenE v. 27.08.1991 – Ss 399/91 = StV 1992, 567). „