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OWI II: Verletzung des rechtlichen Gehörs bei „OWis“, oder: Hilfsbeweis, (rechtzeitiger) Entbindungsantrag

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Im zweiten Posting habe ich hier dann vier Entscheidungen zur Verletzung des rechtlichen Gehörs, darunter (natürlich) auch drei, die sich mit „Entbindungsfragen“ (§§ 73, 74 OWiG) befassen. Ich stelle hier dann aber nur die Leitsätze vor, und zwar.

Von einer Versagung des rechtlichen Gehörs kann regelmäßig nur ausgegangen werden, wenn der Betroffene erfolglos alle ihm nach der konkreten Verfahrenslage zu Gebote stehenden prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, sich Gehör zu verschaffen. Hierzu gehört namentlich auch die Stellung von (Hilfs-)Beweisanträgen.

Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin sein Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Betroffene genügend entschuldigt hat. Vielmehr genügt es, dass eine beim Vorhandensein von Anhaltspunkten von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass das Fernbleiben des Betroffenen genügend entschuldigt ist.

    1. Zur Fortgeltung eines noch nicht beschiedenen Entbindungsantrages bei Verlegung der Hauptverhandlung (Fortführung von BGH StraFo 2024, 110)
    2. Zu rechtsmissbräuchlichem Verteidigerhandeln im Zusammenhang mit dem (Nicht-)Stellen eines Entbindungsantrages.
    3. Der Senat geht davon aus, dass die Entscheidung des BGH StraFo 2024, 110 so zu verstehen ist, dass auch ein nicht beschiedener Entbindungsantrag bei einer Terminverlegung fortwirkt.

Befindet sich der drei Tage vor einem Hauptverhandlungstermin per beA übermittelten Entbindungsantrag zwar erst am Ende eines mehrseitigen Schriftsatzes, wird aber auf der ersten Seite des Schriftsatzes auf den Gerichtstermin mit dem Zusatz „EILT SEHR !“ hingewiesen, kann der Betroffene von der Berücksichtigung seines Antrags ausgehen.

Und zu den Fragen steht dann eine ganze Menge in <<Werbemodus an>> Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, das jetzt gerade neu erschienen ist und hier bestellt werden kann. <<Werbemodus aus>>.

OWi II: Rechtliches Gehör wegen Abwesenheit verletzt?, oder: Begründung der Verfahrensrüge

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Und als zweite OWi-Verfahrens-Entscheidung dann der OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.04.2024 – 1 ORbs 324/23 – zur Begründung der Verfahrensrüge in einem „Quasi-Entbindungsfall2.

Wegen der etwas verwickelten Sachverhalts verweise ich auf den verlinkten Volltext. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen und zurückgewiesen. Zur Begründung führt es (umfangreich) aus:

„a) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht in der für eine Verfahrensrüge erhobenen Form gerügt worden und – dessen ungeachtet – auch nicht gegeben.

aa) Soweit der Betroffene die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) erhoben hat, handelt es sich um eine Verfahrensrüge, die jedoch nicht den an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 zu stellenden Anforderungen genügt. Da das Rechtsbeschwerdegericht nicht von sich aus die Ordnungsgemäßheit des gesamten Verfahrens prüfen kann, muss der Beschwerdeführer die den konkrete geltend gemachten Verfahrensmangel begründenden Tatsachen angeben; hierzu gehören auch die Tatsachen, die dem behaupteten Verfahrensfehler die Grundlage entziehen (sog. Negativtatsachen; vgl. statt vieler: BGH StV 2004, 30; BGH NJW 2016, 419; BGH NStZ-RR 2008, 85).

Im vorliegenden Fall hat der Betroffene geltend gemacht, zum anberaumten Hauptverhandlungstermin nicht erschienen zu sein; zugleich behauptet der Betroffene in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vom 25. Juli 2023, vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden zu sein.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 31. August 2023 die Aufhebung des angefochtenen Urteils mit der Begründung beantragt, dass der Betroffene nicht (erneut) von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung durch das Gericht entbunden worden war, kann dies der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, da es insoweit an einem entsprechenden Sachvortrag durch den Beschwerdeführer fehlt. Es fehlt an Angaben dazu, ob und ggf. in welchem Umfang der Betroffene von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung am 17. Mai 2023 gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbunden worden war. Hierzu hätte es eines konkreten Vortrags insbesondere deswegen bedurft, weil der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auf den Vorlagebeschluss des Kammergerichts vom 28. Februar 2022 (3 Ws (B) 31/22, abgedruckt in: DAR 2023, 94) am 10. Oktober 2023 grundlegend entschieden hat, dass die antragsgemäß nicht auf einen konkreten Termin bezogene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG bei Verlegung des Hauptverhandlungstermins fortwirkt, so dass ein Entbindungsbeschluss des Gerichts für den neuen Termin nicht erneut beantragt und erlassen werden muss (4 StR 94/22, abgedruckt in: NJW 2024, 776 f. = DAR 2024, 165 ff. = NZV 2024, 180 ff.). Um entscheiden zu können, ob das Bußgeldgericht die Hauptverhandlung zu Recht in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt hatte, hätte es eines entsprechenden Vortrags gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG insbesondere dahingehend bedurft, ob eine Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung durch das Gericht für einen konkreten Hauptverhandlungstermin ausgesprochen worden war oder sich generell auf die Hauptverhandlung in der vorliegenden Bußgeldsache bezogen hat. Hierzu verhält sich weder die Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vom 27. Juli 2023 noch die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 31. August 2023.

bb) Die Abwesenheit der Verteidigerin von der Hauptverhandlung kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht begründen, so dass es nicht darauf ankommt, ob ein entsprechender Sachvortrag den an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 zu stellenden Anforderungen genügt.

Eine Verletzung des Anspruches des Betroffenen auf rechtliches Gehör kann selbst bei Ablehnung eines auf die Verhinderung des Verteidigers gestützten Terminaufhebungs- oder Terminverlegungsantrages nicht liegen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. November 2012, 2 RBs 253/12; BayObLG, Beschluss vom 31. Mai 1994, 2 ObOWi 194/94, jew. zitiert nach juris, jew. m.w.N.). Die Verhinderung seines Verteidigers nimmt dem Betroffenen nicht die Möglichkeit, sich selbst vor Gericht rechtliches Gehör zu verschaffen. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet nur das rechtliche Gehör als solches, nicht rechtliches Gehör gerade durch Vermittlung eines Rechtsanwalts (vgl. bereits BVerfG NJW 1984, 862; OLG Hamm a.a.O.; BayObLG a.a.O.; OLG Köln VRS 83, 367; OLG Düsseldorf VRS 95, 104). Mithin hätte der Betroffene mit seinen Einwendungen gehört werden können, was erst Recht gilt, wenn diese – wie hier – bereits schriftsätzlich vorgetragen worden sind (vgl. auch BGHSt 28, 44, 46; BayObLG NZV 1992, 43; OLG Düsseldorf VRS 82, 209; OLG Köln VRS 83, 367; OLG Dresden DAR 2004, 102; siehe auch BVerfGE 85, 386,404).

cc) Soweit die Verteidigung die Verletzung rechtlichen Gehörs damit zu begründen sucht, dass das Bußgeldgericht „den in der Hauptverhandlung am 23. November 2023 aufgekommenen Zweifeln an einer konkreten Geschwindigkeitsmessung nicht nachgekommen“ sei, genügen die Ausführungen ebenfalls nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG. Dies betrifft sowohl die inhaltlichen Darlegungen zu den konkreten Zweifeln wie auch die Negativtatsache, dass ausweislich der Bußgeldakte eine Abschrift des Schreibens des Staatsbetriebs für das Mess- und Eichwesen des Freistaates Sachsen vom 5. Dezember 2022 sowohl dem Betroffenen als auch dessen Verteidigerin am 18. Dezember 2022 zugeleitet worden war.

b) Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. ….

OWi II: Rechtzeitig Entbindungsantrag gestellt?, oder: Jedenfalls über Antragstellung informiert

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Im zweiten Posting dann eine Entscheidung zu dem Verfahrensrechtlichen Dauerbrenner im OWi-Recht, nämlich die Fragen, die mit der Entbindung des Betroffenen zusammen hängen. Es handelt sich um den OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.05.2024 – 2 ORbs 63/24 .

Das OLG hat mal wieder eine Verwerfungsentscheidung eines des AG aufgehoben:

„Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, da das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt worden ist. Die Rüge ist insoweit ordnungsgemäß ausgeführt worden und führt zugleich zur Begründetheit der Rechtsbeschwerde:

Zwar könnte zweifelhaft sein, ob der Entbindungsantrag rechtzeitig vor dem Termin gestellt worden ist. Allerdings hat der Verteidiger versichert, kurze Zeit nach Übersendung des Antrages die zuständige Serviceeinheit telefonisch über den übermittelten Antrag informiert zu haben. Das Amtsgericht hat in Kenntnis der Rechtsbeschwerdebegründung keinen Anlass gesehen, dieser Darstellung entgegenzutreten. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes durfte der Betroffene davon ausgehen, dass sein Antrag Berücksichtigung finden würde.

Über den Entbindungsantrag hat das Amtsgericht nicht entschieden und damit das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt, wobei die Voraussetzungen für eine Entbindung vom persönlichen Erscheinen auch erfüllt waren.

Es ist auch nicht so, dass das Urteil nicht auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht, weil wegen der Abwesenheit auch des Verteidigers ohnehin eine Verwerfung hätte erfolgen müssen. Dass im Falle einer Entbindung auch der Verteidiger nicht erscheint, rechtfertigt die Verwerfung nämlich nicht (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 9. März 2010, 2 SsRs 38/10 mit weiteren Nachweisen).

Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.“

Und natürlich gilt auch hier: Die Fragen sind umfassend behandelt – <<Werbemodus an>> in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, das man hier jetzt bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

OWi I: Entbindung von der Anwesenheitspflicht, oder: Antragstellung auch noch zu Beginn der HV möglich

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Und dann vor Weihnachten auch noch einmal ein OWi-Tag.

Zum Warmwerden hier zunächst etwas zum Warmwerden, und zwar der OLG Naumburg, Beschl. v. 06.03.2023 – 1 ORbs 63/23, also schon etwas älter. Die Problematik ist bekannt und schon häufig(er) entschieden worden, nämlich: Zeitpunkt zur Stellung des sog. Entbindungsantrags. Das geht – sagt das OLG wie die h.M. – auch noch zu Beginn der Hauptverhandlung:

„Die Rüge ist auch begründet, wobei der Senat vollumfänglich auf die Ausführungen in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 28. Februar 2023 Bezug nimmt. Diese hat wie folgt ausgeführt:

„Das Amtsgericht Wernigerode hätte dem Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen stattgeben müssen. Ein Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG kann, wie hier geschehen, noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden (OLG Celle VRS 116, 451; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2012, 258). Dass der Betroffene die Ladung des Gerichts nicht befolgt hat, führt nicht zu einem unentschuldigten Ausbleiben im Termin der Hauptverhandlung. Da mit der Erklärung des Verteidigers, die Fahrereigenschaft werde eingeräumt, die gesetzlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen, auch wenn eine Erklärung zum Schweigerecht des Betroffenen fehlt, war die Anordnung des persönlichen Erscheinens unter keinem Gesichtspunkt mehr erforderlich, zumal der Verteidiger eine Gehaltsabrechnung des Betroffenen mit sich führte und insoweit die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hätten aufgeklärt werden können. Hinzu tritt, dass der Verteidiger über eine Vollmacht verfügte, die ihn ermächtigte, den Betroffenen in dessen Abwesenheit in der Hauptverhandlung zu vertreten und Erklärungen für seinen Mandanten abzugeben. Vom Erscheinen des Betroffenen war eine nähere Aufklärung der entscheidungserheblichen Umstände nicht zu erwarten. Bei der gegebenen Sachlage kommt es auf den persönlichen Eindruck des Betroffenen nicht an (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 273). Weitere Auskünfte hätte der Verteidiger als Vertreter des Betroffenen i. S. d. § 73 Abs. 3 OWiG ohne Weiteres erteilen können.

Das angefochtene Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler. Es ist deshalb mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuverweisen.“

Wenn das AG das bisher noch nicht wusste, jetzt sollte es – hoffentlich – bekannt sein.

OWi I: Das AG weiß es zweimal besser als das OLG (?), oder: Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beim AG Bochum

Smiley

Heute dann mal ein wenig OWi, aber mal etwas außergewöhnliche/besondere Entscheidungen bzw. Verfahren.

Ich beginne mit einer etwas – gelinde ausgedrückt – ungewöhnlichen Geschichte vom AG Bochum, also aus dem OLG-Bezirk Hamm, die mir der Kollege Steffen aus Hattingen mitgeteilt hat. Im Einzelnen:

Anhängig war beim AG Bochum eine Verfahren wegen eines Rotlichtverstoßes. Vorgeworfen wurde der Betroffenen ein einfacher Rotlichtverstoß. Der Verteidiger stellt einen Entbindungsantrag (§ 73 Abs. 2 OWiG) unter Hinweis darauf, dass die Betroffene ihre Fahrereigenschaft einräumt. Mitgeteilt wird außerdem, dass keine weiteren Angaben zur Sache gemacht werden, Angaben zur Person werden aber gemacht.

Der zuständigen Richter hat nicht entbunden. Dagegen wendet sich die Betroffene mit einem Befangenheitsantrag. Der wird mit dem AG Bochum, Beschl. v. 28.10.2022 – 32a OWi-842 Js 147/22 (153/22) und der Begründung abgelehnt, dass die Nichtentbindung weder rechtlich noch tatsächlich zu beanstanden sei. Die Glaubhaftigkeit der Angabe der Betroffenen, Fahrzeugführerin gewesen zu sein, sowie die Gewinnung eines persönlichen Eindrucks zur Bemessung einer angemessenen Geldbuße bei Vorliegen einer Regelgeldbuße im Bußgeldbescheid im Falle einer Verurteilung sei nur durch Anwesenheit der Betroffenen in der Hauptverhandlung zu erreichen und zu prüfen.

In der Hauptverhandlung erscheint die Betroffene nicht. Ihr Einspruch wird verworfen.

Dagegen dann das Rechtsbeschwerdezulassungsantrag, der mit dem  mit Rechtsbeschwerde war dann vor dem OLG Hamm erfolgreich. Das führt im OLG Hamm, Beschl. 08.03.2023 – III – 2 ORbs 22/23 – aus, was zu erwarten war:

„Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu Unrecht nicht entsprochen worden ist (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.05.2008 — 3 Ss OWi 669/07 —, zitiert nach juris). Das Amtsgericht hätte dem Entbindungsantrag vorliegend stattgeben müssen. Dieser ist wirksam gestellt worden. Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Die Entbindung ist nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt, sondern dieses ist verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn feststeht, dass von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ein Beitrag zur Sachaufklärung nicht erwartet werden kann (zu vgl. Senge in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 73 Rn. 24). Eine solche weitere Sachaufklärung war durch die Anwesenheit der Betroffenen nicht mehr zu erwarten. Diese hatte die Fahrereigenschaft eingeräumt. Anhaltspunkte dafür, dass diese sich zu Unrecht selbst bezichtigte, zur Tatzeit gefahren zu sein, bestanden nicht. Zu ihrem Einkommen hatte die Betroffene Angaben gemacht. Soweit die Ablehnung des Entbindungsantrags darüber hinaus noch damit begründet worden ist, dass das Gericht einen persönlichen Eindruck im Hinblick auf die Bußgeldbemessung gewinnen wollte, kann dies allein nicht genügen. Anderenfalls würde der Anspruch auf die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entwertet, da eine Ablehnung der Entbindung immer auf diesem Weg begründet werden könnte.“

Man sollte ja meinen, dass es nach diesen wohl gesetzten Worten des OLG gut war, aber: Erstaunlicherweise wiederholte sich das „Spiel“: Neuer Haupverhandlungstermin, Entbindungsantrag, Ablehnung, Verhandlungstermin mit Verwerfung des Einspruchs.

Das Verwerfungsurteil geht dann wieder zum OLG Hamm, das, was nicht verwundert, im OLG Hamm, Beschl. v. 31.08.2023 – 2 ORbs 79/23, das (zweifelhafte) Vergnügen hat, zum zweiten Mal aufzuheben. Die Begründung gleicht der aus dem ersten Beschluss. Zusätzlich führt das OLG aus:

„Soweit die Ablehnung des Entbindungsantrags darüber hinaus noch damit begründet worden ist, dass das Gericht einen persönlichen Eindruck im Hinblick auf die Bußgeldbemessung gewinnen wollte, kann dies allein nicht genügen. Anderenfalls würde der Anspruch auf die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entwertet, da eine Ablehnung der Entbindung immer auf diesem Weg begründet werden könnte.“

Und nun? Nun, das OLG hat – was zu erwarten war – beim zweiten Mal an eine andere Abteilung des AG Bochum verwiesen. Inzwischen hat man von dort, weil zwischenzeitlich absolute Verjährung eingetreten ist, angeboten, das Verfahren nach § 47 OWiG einzustellen, allerdings ohne Erstattung der notwendigen Auslagen. Die Betroffene hat sich damit einverstanden erklärt.

Wenn man das sieht/liest, schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen und fragt sich, ob man da eigentlich nichts anderes zu tun hat, als das OLG zweimal mit einer aussichtslosen Sache zu beschäftigen. Die vom OLG zu erwartende Entscheidung lag jeweils auf der Hand. Beim ersten Mal kann man es ja vielleicht noch nachvollziehen, obwohl schon ungewöhnlich ist, dass ein Richter am AG diese eingefahrene Rechtsprechung der OLG zum Entbindungsantrag nicht kennen soll. Aber dann beim zweiten Mal? Da wird es dann schon ungewöhnlich. Natürlich haben die OLG-Entscheidungen keine Bindungswirkung, aber es ist schon „keck“ zweimal das OLG mit einer Sache zu befassen und sich dabei beim zweiten Mal über eine gegenteilige Entscheidung des OLG hinweg zu setzen. So nach dem Motto: Was schert mich, was das OLG dazu sagt. Offenbar hat man nichts anderes zu tun. Mir soll noch mal einer mit der Überlastung der Justiz kommen. Die scheint dann doch in manchen Fällen „hausgemacht“ zu sein.

Unfassbar das Ganze.