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Aufklärung I: Bestand ein Beweisverwertungsverbot?, oder: Vertrauensperson mit Sperrerklärung

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Und heute am Pfingstmontag hier „normales“ Programm. Der ein oder andere wird arbeiten, alle anderen können dann morgen lesen.

Zur Thematik: Ich stelle heute zwei Entscheidungen des BGH vor, die mit Aufklärung und Aufklärungspflicht zu tun haben.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 15.02.2023 – 2 StR 270/22 – zur Aufklärungsrüge und zu unzutreffende Annahmer eines Beweisverwertungsverbots.

Das LG hat die Angeklagten in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen das BtMG von Verstößen gegen das BtM unter Verurteilung im Übrigen teilfreigesprochen. In dem Verfahren hatte das LKA, nachdem es Hinweise auf einen Handel mit Kokain und Marihuana erhalten hatte, eine Vertrauensperson mit dem Decknamen M auf die Angeklagten angesetzt. M hatte von deneb in drei Fällen Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erworben. Das LG hatte ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Angaben der wegen einer vollumfänglichen Sperrerklärung nicht vernehmbaren Vertrau­ensperson M gegenüber dem Vernehmungsbeamten angenommen. Dagegen die Revision der StA, die erfolgreich war. Der BGh hat umfassen begründet, warum ein Verwertungsverbot nicht bestanden hat.

„2. Die erhobene Aufklärungsrüge ist zulässig. Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass sich das Landgericht aus Rechtsgründen gehindert sah, Beweise im Zusammenhang mit der Vertrauensperson M.   zu erheben, wozu es sich ansonsten gedrängt gesehen hätte. Dies genügt.

Die Aufklärungsrüge ist auch begründet. Das Landgericht hat es entgegen § 244 Abs. 2 StPO unterlassen, Beweis über die Angaben der wegen einer vollumfänglichen Sperrerklärung nicht vernehmbaren Vertrauensperson M.  gegenüber dem Vernehmungsbeamten sowie über die Erkenntnisse aus einer mit ihr zusammenhängenden akustischen Überwachung gemäß § 100f StPO zu erheben.

a) Die Angaben der wegen einer vollumfänglichen Sperrerklärung nicht vernehmbaren Vertrauensperson M.  gegenüber dem Vernehmungsbeamten sowie die Erkenntnisse aus einer mit dem Einsatz der Vertrauensperson zusammenhängenden akustischen Überwachung gemäß § 100f StPO sind verwertbar.

Das Landgericht hat in einem Hinweisbeschluss die Angaben der Vertrauensperson M.  gegenüber dem Vernehmungsbeamten sowie die Erkenntnisse aus einer mit dem Einsatz der Vertrauensperson zusammenhängenden akustischen Überwachung gemäß § 100f StPO für nicht verwertbar erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt sei. Die Vertrauensperson stehe aufgrund der vollumfänglichen Sperrerklärung des Thüringer Innenministeriums für eine konfrontative Befragung durch die Verfahrensbeteiligten nicht zur Verfügung. Aus diesem Grund sei es sowohl der Kammer als auch den Verfahrensbeteiligten verwehrt, sich von der Glaubwürdigkeit der Vertrauensperson einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Hinzu komme, dass die Vertrauensperson zumindest auch eingesetzt worden sei, um die Vorschriften über den Verdeckten Ermittler nach §§ 110a ff. StPO zu umgehen. Die Vertrauensperson dürfe nicht gezielt Nachforschungen anstellen, sondern sich nur umhören, um Informationen zu beschaffen, die geeignet seien, einen Anfangsverdacht zu begründen. Darüber hinaus gehende Ermittlungsmaßnahmen, wie die Durchführung von Abhörmaßnahmen, oblägen allein den Ermittlungsbehörden. Das Aufzeichnen von Ausforschungsgesprächen nach § 100f StPO könne nicht auf die Ermittlungsgeneralklausel gestützt werden, da hierfür ein gehobener Verdachtsgrad erforderlich sei.

Dieser Rechtsauffassung ist nicht zu folgen.

aa) Der Einsatz der Vertrauensperson M.  war zulässig. Insbesondere ist eine Umgehung der Vorschriften über den Verdeckten Ermittler gem. § 110a ff. StPO nicht festzustellen.

(1) Der heimliche Einsatz von Personen, die den Beschuldigten befragen, um ihn zu belastenden Äußerungen zu veranlassen, ist jedenfalls dann zulässig, wenn es sich bei der den Gegenstand der Verfolgung bildenden Tat um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelt und wenn der Einsatz anderer Ermittlungsmethoden – für deren Auswahl untereinander wiederum der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt – erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre. Für die Beantwortung der Frage, wann eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt, vermitteln die Kataloge in §§ 98a, 100a, 110a StPO Hinweise; die Aufzählung ist nicht abschließend (BGH, Beschluss vom 13. Mai 1996 – GSSt 1/96, BGHSt 42, 139, 157; vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 – 3 StR 104/07, NJW 2007, 3138, 3142).

Dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15. Juli 1992 (OrgKG) für bestimmte Formen besonders gefährlicher und schwer aufklärbarer Kriminalität den Einsatz Verdeckter Ermittler, der bis dahin auf die Generalklauseln der §§ 161, 163 StPO gestützt wurde, durch Einfügung der §§ 110a ff. StPO im Einzelnen geregelt hat, rechtfertigt nicht den Schluss, dass er die traditionell als zulässig anerkannte Inanspruchnahme anderer Personen ausschließen wollte (BGH, Beschluss vom 13. Mai 1996 – GSSt 1/96, BGHSt 42, 139, 151). Die Kontaktaufnahme solcher anderen Personen mit dem Beschuldigten hat der Gesetzgeber in diesem Gesetz bewusst nicht geregelt. Diese sollte weiterhin zulässig sein (vgl. Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drucks. 12/989 S. 41).

Soweit Stimmen in der Literatur eine spezielle gesetzliche Regelung über den Einsatz von V-Leuten für erforderlich halten (vgl. Barczak, StV 2012, 182, 186; Gebhard/Hoheisel-Gruler, Kriminalistik 2021, 515, 517; Gercke, StV 2017, 615, 622; Soiné, ZRP 2021, 47 ff.; SSW-StPO/Eschelbach, 5. Aufl., § 110a Rn. 11), sieht der Senat keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.

(2) Indes sind rechtsstaatliche Grenzen zu beachten, die der vernehmungsähnlichen Befragung von Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht – wegen ihrer Nähe zum nemo-tenetur-Prinzip – gesetzt sind. Aus dieser Nähe sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip, speziell dem Grundsatz des fairen Verfahrens kann sich eine heimliche Befragung im Einzelfall auch unter Berücksichtigung des Gebotes einer effektiven Strafverfolgung als unzulässig erweisen (vgl. Beschluss vom 13. Mai 1996 – GSSt 1/96, BGHSt 42, 139, 156 f.). Als Beispiele aus der Rechtsprechung werden in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Fälle erwähnt, dass einem Untersuchungshäftling ein Spitzel in die Zelle gelegt (BGH, Urteil vom 28. April 1987 – 5 StR 666/86, BGHSt 34, 362; vgl. auch Urteil vom 21. Juli 1998 – 5 StR 302/97, BGHSt 44, 129; EGMR, Entscheidung vom 5. November 2002 – 48539/99, – Allan v. Großbritannien – StV 2003, 257, 259 f.) oder das gesprochene Wort verbotswidrig fixiert wurde (BGH, Urteile vom 17. März 1983 – 4 StR 640/82, BGHSt 31, 304, 308; vom 9. April 1986 – 3 StR 551/85, BGHSt 34, 39, 43). Mit dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist es ebenfalls nicht vereinbar, dem Beschuldigten, der sein Schweigerecht in Anspruch genommen hat, in gezielten, vernehmungsähnlichen Befragungen, die auf Initiative der Ermittlungsbehörden ohne Aufdeckung der Verfolgungsabsicht durchgeführt werden, selbstbelastende Angaben zur Sache zu entlocken (BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 – 3 StR 104/07, BGHSt 52, 11, 19). Unzulässig ist es auch, den Beschuldigten zu selbstbelastenden Äußerungen zu drängen (zu verdeckten Ermittlern: BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 – 5 StR 51/10, BGHSt 55, 138, 145; Urteil vom 26. Juli 2007 – 3 StR 104/07, BGHSt 52, 11, 15; Beschluss vom 27. Januar 2009 – 4 StR 296/08, NStZ 2009, 343, 344) oder einem psychologischen Druck gleichkommend zu täuschen (BGH, Beschluss vom 31. März 2011 – 3 StR 400/10, BGHR StGB § 9 Abs. 1 Teilnahme 1).

Eine weitergehende generelle Unverwertbarkeit der Angaben des Beschuldigten gegenüber einer V-Person mit Blick auf §§ 136 Abs. 1, 136a Abs. 1 Satz 1 StPO (so Lagodny, StV 1996, 167, 168; SSW-StPO/Eschelbach, 5. Aufl., § 136 Rn. 23 ff.; § 136a Rn. 9 f. jeweils mwN) ist hingegen abzulehnen, da gerade keine Vernehmung vorliegt und die Aussagefreiheit des Beschuldigten nicht berührt ist. So hat der EGMR eine Verletzung des Rechts auf Selbstbelastungsfreiheit in einem Fall verneint, in welchem es dem Beschuldigten, der sich weder in Haft befand noch bis dahin polizeilich vernommen worden war, freistand, sich mit dem Informanten der Polizei, der das verdeckt geführte Gespräch heimlich aufzeichnete, zu unterhalten (EGMR, Urteil vom 10. März 2009 – 4378/02 – Bykov v. Russland, NJW 2010, 213, 215).

(3) Gemessen daran war der Einsatz der Vertrauensperson zulässig. Es bestand ein Anfangsverdacht aufgrund der Angaben eines Hinweisgebers, dass der Angeklagte S.   seit etwa einem halben Jahr im Raum Erfurt Handel mit Kokain und Marihuana treibe, wobei er regelmäßig über Marihuana im Kilogrammbereich verfüge, das er möglicherweise vom Angeklagten O.  erwerbe. Damit handelte es sich bei der Verdachtstat um eine schwerwiegende Straftat, nämlich um Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz anderer Ermittlungsmethoden erfolgversprechender gewesen wäre. Die aufgrund des Einsatzes der Vertrauensperson gewonnenen Erkenntnisse sind danach grundsätzlich verwertbar.

Ein aufgrund des nemo-tenetur-Grundsatzes bestehendes Verwertungsverbot besteht ebenfalls nicht. Die Auffassung des Landgerichts, dass eine Vertrauensperson nicht gezielt Nachforschungen anstellen dürfe, ist unzutreffend. Es existieren lediglich die oben genannten Einschränkungen, für deren Vorliegen hier keine Anhaltspunkte bestehen.

bb) Dass die Vertrauensperson wegen der Sperrerklärung nicht in der Hauptverhandlung als Zeuge zur Verfügung stand, hinderte nicht die Verwertung der Angaben, welche die Vertrauensperson im Rahmen einer Vernehmung gemacht hatte.

(1) Das von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK garantierte Recht des Angeklagten auf konfrontative Befragung von Belastungszeugen stellt eine besondere Ausformung des Grundsatzes des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK dar. Ob die fehlende Gelegenheit für den Angeklagten beziehungsweise seinen Verteidiger, einen Zeugen selbst zu befragen, eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK begründet, hängt von einer einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung ab (BGH, Urteil vom 13. Januar 2022 – 3 StR 341/21, NStZ 2022, 496, 497 f.; EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 – 9154/10, Schatschaschwili v. Deutschland, StV 2017, 213, 216 Rn. 100 f.; BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 – 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925 f.; BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 – 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 52; Beschlüsse vom 17. März 2010 – 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 74; vom 29. November 2006 – 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150, 154).

Dabei ist nicht nur in Rechnung zu stellen, ob die Nichtgewährung des Konfrontationsrechts im Zurechnungsbereich der Justiz liegt, sondern vor allem auch in den Blick zu nehmen, mit welchem Gewicht die Verurteilung des Angeklagten auf die Bekundungen eines nicht konfrontativ befragten Zeugen gestützt worden ist und ob das Gericht die Unmöglichkeit der Befragung des Zeugen durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger kompensiert hat, namentlich durch eine besonders kritische und zurückhaltende Würdigung der Bekundungen des Zeugen (BGH, Urteil vom 13. Januar 2022 – 3 StR 341/21, NStZ 2022, 496, 497 f.; vgl. EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 – 9154/10, Schatschaschwili v. Deutschland, StV 2017, 213, 217, Rn. 107 ff.; Urteil vom 4. Mai 2017 – 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 52 ff.; Beschluss vom 26. April 2017 – 1 StR 32/17, NStZ 2017, 602, 603).

Ist die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen, kann eine Verurteilung auf dessen Angaben nur gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden (BGH, Beschluss vom 29. November 2006 – 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150, 155 f.; Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 105 f.).

(2) Gemessen daran durfte das Landgericht nicht von vorneherein die Angaben der Vertrauensperson gegenüber dem Vernehmungsbeamten außer Acht lassen.

Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob eine Verletzung des völkerrechtlich gewährleisteten Konfrontationsrechts im innerstaatlichen Recht lediglich auf der Ebene der Beweiswürdigung zu besonders strengen Beweis- und Begründungsanforderungen führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2010 – 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926; BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 103 ff.; Beschluss vom 29. November 2006 – 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150, 157) oder – obwohl verfassungsrechtlich nicht geboten (BVerfG, aaO) – die Unverwertbarkeit von auf einen nicht konfrontativ befragten Zeugen zurückgehender Informationen bewirkt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2014 – 1 StR 638/13, NStZ-RR 2014, 246, 248; Senat, Beschluss vom 17. März 2010 – 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 78 f.).

Zwar liegt der Umstand, dass eine konfrontative Befragung nicht durchgeführt werden konnte, vorliegend im Verantwortungsbereich der Justiz, da dieser die Sperrerklärung des Thüringer Innenministeriums zuzurechnen ist. Allerdings sind auch in einem derartigen Fall die Angaben vor dem Vernehmungsbeamten verwertbar, wenn sie durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden. Hierfür liegen Anhaltspunkte vor, wie insbesondere die Übergabe der Betäubungsmittel durch die Vertrauensperson an die Polizei am 15. Juni 2020 und am 2. Juli 2020, die Observation des Wohnobjekts des Angeklagten K.   am 2. und 10. Juli 2020, die aufgezeichneten Gespräche zwischen der Vertrauensperson und dem Angeklagten S.   vom 2. und 10. Juli 2020 sowie insbesondere die Erkenntnisse aufgrund des Zugriffs vom 10. Juli 2020 mit der Sicherstellung einer Tasche mit 4.776,06 Gramm Marihuana, die     B.   dem Angeklagten S.   brachte.

cc) Die Aufzeichnung der Gespräche war ebenfalls nicht rechtswidrig, so dass kein Verwertungsverbot hinsichtlich der dadurch erlangten Erkenntnisse vorliegt.

(1) Ein Verwertungsverbot kommt dann in Betracht, wenn das Gespräch zwischen einer Vertrauensperson und dem Tatverdächtigen verbotswidrig fixiert wurde (vgl. BGH, Urteile vom 17. März 1983 – 4 StR 640/82, BGHSt 31, 304, 306 f.; vom 9. April 1986 – 3 StR 551/85, BGHSt 34, 39, 43; Beschluss vom 31. März 2011 – 3 StR 400/10, BGHR StGB § 9 Abs. 1 Teilnahme 1). Im Umkehrschluss folgt daraus, dass eine Verwertung von Gesprächsaufzeichnungen unter Beteiligung einer Vertrauensperson möglich ist, wenn die Aufzeichnung rechtmäßig angeordnet wurde.

(2) Mit Beschluss des Amtsgerichts Erfurt vom 1. Juli 2020 lag eine rechtmäßige Anordnung zum Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes gemäß § 100f StPO vor. Dessen Voraussetzungen waren erfüllt, zumal ein Anfangsverdacht hinsichtlich einer Katalogtat bestand. Auch in einer Gesamtschau mit dem Einsatz einer Vertrauensperson kann eine Unzulässigkeit der Aufzeichnung nicht erkannt werden. Vielmehr kann das Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes gerade dazu dienen sicherzustellen, dass die durch die Vertrauensperson gewonnenen Erkenntnisse rechtlich unbedenklich erlangt wurden, nämlich ohne Zwang oder durch eine – psychologischem Druck gleichkommende – Täuschung.

b) Der Senat kann insbesondere angesichts der von der Revisionsführerin vorgetragenen Inhalte der gemäß § 100f StPO aufgezeichneten Gespräche nicht ausschließen, dass das Landgericht – im Falle der gebotenen Beweiserhebungen – hinsichtlich der am 2. und 10. Juli 2020 begangenen Taten zu einer Verurteilung der Angeklagten S.   und K.   wegen täterschaftlichen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie hinsichtlich der Tat vom 10. Juli 2020 zu einer solchen Verurteilung auch des Angeklagten O.   gelangt wäre, zumal sich das Landgericht selbst dazu gedrängt gesehen, jedoch aus rechtlich fehlerhaften Erwägungen davon abgesehen hat.

Aufgrund der genannten Beweismittel, die Anhaltspunkte für eine Beteiligung mehrerer Personen an den beiden Betäubungsmittelgeschäften geben, ist in der gebotenen Zusammenschau mit den übrigen Beweismitteln ein Schluss auf ein mittäterschaftliches bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht völlig fernliegend. So deutet der Inhalt des aufgezeichneten Gesprächs vom 2. Juli 2020 darauf hin, dass der Angeklagte S.   die Lieferung von anderen Arten von Betäubungsmitteln nur nach Rücksprache mit anderen Personen verhandeln konnte. Der Angeklagte S.   erklärte hier der Vertrauensperson M.  , dass ihre Anfrage nach weiteren Stoffarten „jetzte gar nicht“ gehe, da er „kein erreicht“ habe. In Zukunft wolle er dies „auch noch mal mit denen“ absprechen. Im Gespräch zwischen der Vertrauensperson M.  und dem Angeklagten O.  , am 10.07.2020 gab dieser zu verstehen, die benötigte Vorbereitungszeit für die Lieferung von 500 Gramm Methamphetamin liege bei einer Woche. Auf die Äußerung der Vertrauensperson, dass sie „längerfristige Geschichten“ suche, entgegnete der Angeklagte O.  , dass „wir auch richtig dafür“ seien. Nach Hinzukommen des gesondert Verfolgten B.   zum Fahrzeug der M.  übernahm dieser die Gesprächsführung, was als weiteres Indiz einer Bandenabrede in Betracht kommt.“

Verfahrensrüge II: Vortrag bei Beweisantragsrügen. oder: Aufklärungsrüge, Bedeutungslos, Zeugenbeweis

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Und dann hier der BGH, Beschl. v. 22.02.2023 – 6 StR 509/22 -, in dem der BGH zu sog. Beweisantragsrügen und den Anforderungen an die Begründung Stellung genommen hat:

„a) Dem Senat ist es im Rahmen der erhobenen „Verfahrensrüge 1“ mangels vollständigen Vortrags der rügebegründenden Tatsachen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) verwehrt, eine Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) abschließend zu prüfen. Es fehlt schon an ausreichendem Vortrag dazu, weshalb sich dem Gericht trotz der im Ablehnungsbeschluss vom 3. Juni 2022 ausgeführten gewichtigen Umstände die Beiziehung von „Rohdaten über das Bundeskriminalamt“ zum Zwecke der näheren Auswertung von Standortdaten aufdrängen musste (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. September 2022 – 5 StR 191/22, NStZ 2023, 116; vom 16. März 2021 – 5 StR 35/21, Rn. 13; im Einzelnen Becker in Löwe/Rosenberg, 27. Aufl., § 244 Rn. 369 mwN). Der Beschwerdeführer erwähnt zwar einzelne Umstände, die der vom Landgericht vorgenommenen Zuordnung des EncroChat-Accounts entgegenstehen könnten, insbesondere „auch“ Ergebnisse einer Wohnraumdurchsuchung. Diese werden indes nicht vollständig vorgetragen.

b) Die „Verfahrensrüge 2“ ist jedenfalls unzulässig. Für die Prüfung der vom Landgericht in seinem Beschluss vom 5. August 2022 angenommenen Bedeutungslosigkeit der mit Antrag vom selben Tage behaupteten Beweistatsachen (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO) hätte auch die im Ablehnungsbeschluss hinsichtlich der übrigen Gründe für die Zuschreibung des EncroChat-Accounts in Bezug genommene weitere Entscheidung der Strafkammer vom 3. Juni 2022 vorgetragen werden müssen. Dass dieser Beschluss Gegenstand des Vortrags einer weiteren Verfahrensrüge war, enthebt von dieser Vortragspflicht nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 1986 – 4 StR 496/86, NStZ 1987, 36; Urteil vom 21. September 2022 – 6 StR 47/22, Rn. 17).

c) Soweit der Beschwerdeführer die Ablehnung der beantragten Vernehmung eines Zeugen mit Blick auf ein diesem zugestandenes umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) beanstandet, erfüllt auch diese Rüge die gesetzlichen Vortragspflichten nicht. Insoweit wird schon der vom Ablehnungsbeschluss in Bezug genommene, inhaltlich allerdings nicht erschöpfend wiedergegebene Vermerk der Strafkammervorsitzenden über ein Telefonat mit dem Zeugen nicht vollständig mitgeteilt. Dies war zur Beurteilung etwaiger Willensmängel des Zeugen bei der Ausübung seines Zeugenrechts ebenso notwendig wie für die Frage, ob der Zeuge für den Fall seines Erscheinens zu einer Aussage hätte veranlasst werden können (vgl. Bachler in BeckOK-StPO, 46. Ed., § 244 Rn. 84 f. mwN.).

d) Erfolglos bleibt schließlich die Beanstandung, die Strafkammer habe zu Unrecht den Antrag als bedeutungslos abgelehnt (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO), zum Beweis der Tatsache, dass „in den Jahren 2016-2019“ an einer näher bezeichneten Anschrift „Personen aus Durres/Albanien“ angetroffen worden sind, Auskunft „über sämtliche Polizeieinsätze“ einzuholen. Insoweit fehlt es dem Antrag an der Angabe eines Strengbeweismittels (vgl. Alsberg/Güntge, Der Beweisantrag im Strafprozess, 8. Aufl., Kap. 3 A.II Rn. 5 mwN) und – auch für eine etwaige Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) – an einer hinreichend konkreten Beweisbehauptung.“

Das was der BGH hier verlangt, ist aber nun kein Hexenwerk.

BGH I: Erfolgreiche Aufklärungsrüge gibt es, oder: Sondermeldung

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Heute dann mal ein wenig BGH 🙂 . Und ich starte mit einer „Sondermeldung“, nämlich mit dem BGH, Beschl. v. 12.02.2020 – 1 StR 451/19. „Sondermeldung“ deshalb, weil es um eine erfolgreiche (!!) Aufklärungsrüge geht. Dass man das noch erlebt 🙂 :

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts raubte der Angeklagte im Zusammenwirken mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten P. in den frühen Morgenstunden des 30. Juni 2017 der Nebenklägerin und ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann mindestens 78.000 € Bargeld, 855,61 Gramm Feingold in Barrenform sowie Schmuck und Münzen. Der Angeklagte und der Mitangeklagte setzten bei der Tat in der Wohnung der Geschädigten in einer Seniorenresidenz in A. Fesselungswerkzeug aus Vliesmaterial gegen die zur Tatzeit 73-jährige, von der Brust abwärts querschnittsgelähmte Nebenklägerin ein.

Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem konkreten Tatablauf und der Tatbeteiligung des Angeklagten, der sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen hat und bei seinen polizeilichen Vernehmungen eine Tatbeteiligung bestritten hatte, maßgeblich auf die (geständigen) Angaben des Mitangeklagten gestützt, die es durch objektive Umstände bestätigt gesehen hat.

2. In zulässiger Weise (vgl. zu den Anforderungen BGH, Beschluss vom 9. Januar 2018 – 3 StR 605/17 Rn. 4) beanstandet die Revision, dass die Strafkammer nicht die Ehefrau des Angeklagten A. als Zeugin zu den Abläufen am frühen Morgen des 30. Juni 2017 vernommen hat. Nach dem Vorbringen in der Verfahrensrüge hätte A. angegeben, erst einmal mit dem Mitangeklagten gemeinsam im Fahrzeug gesessen zu sein, dass dies aber nicht am 30. Juni 2017 gewesen sei, und dass sie nicht gemeinsam von dem Angeklagten, dem Mitangeklagten und ihrer Tochter in ihrem Fahrzeug, das der Angeklagte geführt habe, zu ihrer Arbeitsstelle in H. gebracht worden sei.

3. Die Aufklärungsrüge ist begründet, denn das Landgericht hätte sich ausweislich des vorgetragenen Akteninhalts zu der Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten gedrängt sehen müssen (§ 244 Abs. 2 StPO).

a) Der Mitangeklagte hat in seiner geständigen Einlassung Angaben zu der gemeinsamen Fahrt zum Tatort nach A. und zur Rückkehr zu den jeweiligen Wohnorten in B. (Angeklagter) sowie S. (Mitangeklagter) gemacht, die mit den von seinem Mobiltelefon generierten Standort-Verbindungsdaten übereinstimmen. Danach war das Mobiltelefon des Mitangeklagten am 29. Juni 2017 um 22.01 Uhr und am 30. Juni 2017 um 2.49 Uhr in demselben Funkmast in M. – etwa 60 km von B. auf der Strecke von B. nach A. gelegen – und sodann um 6.04 Uhr in einem Funkmast in H. eingebucht, wo sich der Arbeitsplatz der Ehefrau des Angeklagten befindet. Zudem hat der Mitangeklagte sich dahingehend eingelassen, nach dem von beiden begangenen Raub von A. in die Wohnung des Angeklagten in B. gefahren zu sein und dort im Keller einen mitgenommenen Möbeltresor aufgebrochen und die Beute geteilt zu haben. Sodann habe er gemeinsam mit dem Angeklagten und dessen Tochter die Ehefrau des Angeklagten zur Arbeit in H. gefahren; anschließend habe ihn der Angeklagte zum Bahnhof nach B. gebracht, von wo aus er mit der Bahn nach S. zurückgefahren sei. Aus dem vorgetragenen Akteninhalt ergibt sich, dass der Angeklagte um 4.47 Uhr versuchte, seine Ehefrau anzurufen.

b) Vor dem Hintergrund der den Angeklagten insgesamt belastenden Angaben des Mitangeklagten und der gegebenen Beweissituation, dass dessen Angaben das maßgebliche Beweismittel für eine Tatbeteiligung des Angeklagten waren, war die Strafkammer gehalten, die Angaben des Mitangeklagten weitergehend durch eine Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten zu überprüfen. Insoweit ist von Bedeutung, dass bei dem von dem Mitangeklagten geschilderten Aufenthalt beider in der Wohnung des Angeklagten in B. nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist, weshalb der Angeklagte seine Ehefrau, die sich zumindest vor der Abfahrt zur Arbeitsstelle ebenfalls vor Ort befand, anzurufen versuchte. Die Ehefrau hätte daher – entsprechend dem Vorbringen in der Verfahrensrüge – Angaben zu dem für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Einlassung des Mitangeklagten relevanten Geschehen am frühen Morgen des 30. Juni 2017, insbesondere hinsichtlich der Fahrt zur Arbeit machen können. Die Vernehmung der A. als Zeugin lag auch nahe, da aus dem in der Verfahrensrüge vorgetragenen Akteninhalt ersichtlich ist, dass sie mehrfach gegenüber KHK F. Angaben zur Sache machte, so am 25. Oktober 2017 anlässlich der Durchsuchung dahingehend, dass der Angeklagte in der Nacht vom 29. Juni 2017/30. Juni 2017 bei ihr zu Hause gewesen sei. Am 2. Mai 2018 gab die Ehefrau des Angeklagten auf Nachfrage von KHK F. an, dass sie nur einmal mit dem Mit- angeklagten im Fahrzeug gesessen habe, dieser aber noch nie im Fahrzeug gewesen sei, als sie zu ihrer Arbeitsstelle gefahren sei oder gefahren worden sei. Im Übrigen ist auch in der Anklageschrift ein Arbeitszeitnachweis betreffend A. als Be- weismittel benannt, aus dem sich deren Arbeitsbeginn am 30. Juni 2017 um 6.02 Uhr ergibt und der zur Bestätigung der Richtigkeit der Einlassung des Mitangeklagten dient.

c) Dem von der Revision vorgetragenen Akteninhalt, aus dem sich unter anderem Vermerke über verschiedene (informatorische) Befragungen der A. durch KHK F. ergeben, ist nicht zu entnehmen, dass die Ehefrau des Angeklagten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO Gebrauch gemacht hätte; auch Anhaltspunkte dafür, dass sie sich in einer Hauptverhandlung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen könnte, ergeben sich aus der Akte – entsprechend dem Revisionsvorbringen – nicht. Soweit in einem Vermerk vom 3. Mai 2018 von KHK F. über Angaben der Ehefrau des Angeklagten am 2. Mai 2018 niedergelegt ist, sie habe eine Vernehmung aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt, kann darin eine Ausübung ihres Zeugnisverweigerungsrechts nicht gesehen werden. Dies gilt umso mehr, als A. am 3. Mai 2018 gegenüber KHK F. wieder Angaben zur Sache gemacht hat.

d) Schließlich steht auch der Umstand, dass ein entsprechender Beweisantrag des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht gestellt worden ist, dem Erfolg der Rüge nicht im Weg. Die Aufklärungspflicht besteht grundsätzlich unabhängig vom Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten; die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht kann deshalb nicht daran scheitern, dass der Beschwerdeführer die vermisste Aufklärung in der Hauptverhandlung nicht verlangt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2016 – 2 StR 116/16 BGHR StPO § 244 Abs. 2 Aufklärungspflicht 1 Rn. 5; Urteil vom 22. Januar 2002 – 1 StR 467/01 Rn. 8; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 362; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 390). Voraussetzung ist freilich, dass dem Gericht das Beweismittel und die hiermit verbundene Möglichkeit, den Sachverhalt ergänzend aufzuklären, ohne den – etwa mit einem Beweisantrag verbundenen – Sachvortrag bekannt, jedenfalls erkennbar war (LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 362; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 390). Dies ist – wie dargestellt – der Fall.

4. Auf der unterbliebenen Beweiserhebung beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat vermag auch unter Berücksichtigung der weiteren Beweisergebnisse nicht auszuschließen, dass die Strafkammer, hätte sich ergeben, dass die Angaben des Mitangeklagten zu der gemeinsamen Fahrt zur Arbeitsstelle der A. unzutreffend waren, anders entschieden hätte. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.“

StPO I: Beweisantrag, oder: Der wird in der Hauptverhandlung gestellt

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Heute dann noch einmal drei „StPO-Entscheidungen“.

An der Spitze der KG, Beschl. v. 12.09.2018 – (2) 161 Ss 141/18 (40/18). Es geht um außerhalb der Hauptverhandlung gestellte Beweisanträge. Mit der Revisin war gerügt worden, dass das Tatgericht nicht vor der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträgen nachgegangen ist. Dazu das KG:

„1. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge genügt nicht der gebotenen Form. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO sind bei Erhebung der Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß begründenden Tatsachen anzugeben. Sie müssen ohne Bezugnahmen und Verweisungen so umfassend und vollständig mitgeteilt werden, dass das Revisionsgericht allein aufgrund dieser Angaben prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revi­sion zutrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2016 – 1 StR 579/15 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 12. Juli 2017 – 3 Ws (B) 166/17 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. § 344 Rdn. 21, mwN).

Die Revision rügt einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 und 6 StPO, obwohl – insoweit in der Gegenerklärung klargestellt – in der Hauptverhandlung am 17. April 2018 ein Beweisantrag nicht gestellt wurde. Dabei handelt es sich auch nicht – wie der Revisionsführer meint – um eine bloße Förmelei, weil der Zeuge zu den zuvor stattge­fundenen Hauptverhandlungsterminen regelmäßig geladen worden war. Nur für Beweisanträge in der Hauptverhandlung sind Ablehnungsgründe abschließend normiert (§ 244 Abs. 3, 4 und 5 StPO) und hat eine Ablehnung durch Beschluss zu erfolgen (§ 244 Abs. 6 Satz 1 StPO). Bei der Behandlung von Beweisanträgen die vor der Hauptverhandlung gestellt wurden, ist der Tatrichter gerade nicht an § 244 Abs. 3 und 6 StPO gebunden, sondern kann im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht entscheiden (vgl. Trüg/Habetha, Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 244 Rn. 93, Rn. 55). Diese verpflichtet ihn nur dann zur Erhebung des Beweises, wenn bekannte oder erkennbare Umstände vorliegen, die zur Erhebung des Beweises drängen (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1952 – 3 StR 374/52 –, BGHSt 3, 169; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 244 Rn. 12 mwN). Zudem handelt es sich bei dem von der Revision vorgetragenen Begehren schon nicht um einen Beweisantrag, da er bereits eine dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung vermissen lässt. Ob der Angeklagte sich „aggressiv“ verhalten und die Zeugin „verbal angegriffen“ hat, ist eine reine Wertungsfrage, die einem Beweis nicht zugänglich ist (vgl. BGHSt 37, 162).

Eine fehlerhafte Nichterhebung des beantragten Beweises könnte somit lediglich mit der Aufklärungsrüge beanstandet werden. Eine solche Verfahrensrüge ist vorliegend aber nicht erhoben worden. Die Revision rügt (nur) einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 und 6 StPO. Doch selbst wenn die Aufklärungsrüge in der Beweisantragsrüge mit angelegt wäre – wovon der Senat nicht ausgeht –, wäre sie erfolglos geblieben. Die Verfahrensrüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO wäre bereits nicht ordnungsgemäß unter Beachtung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt und daher unzulässig. Es sind weder konkrete Tatsachen bezeichnet, die der Tatrichter unterlassen hat zu ermitteln (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 244 Rn. 102) noch ist vorgetragen, welche konkreten Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen (vgl. BGH NStZ 1999, 45 mwN; KG, Beschluss vom 16. Oktober 2017 – [5] 121 Ss 143/17 [65/17] –, juris).“

Revision I: Aufklärungsrüge, oder: Das wollen wir lesen

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Heute dann mal ein wenig Revisions- bzw. Rechtsbeschwerderecht – ist ja kein so großer Unterschied – und zwar mit drei Entscheidungen zur Begründung des Rechtsmittels.

Den Opener macht das OLG Bamaberg, Urt. v. 09.02.2018 – 3 OLG 110 Ss 138/17, das zu den Anforderungen an die Aufklärungsrüge bei Zeugenbeweis und wegen unterbliebener Schuldfähigkeitsbegutachtung Stellung nimmt. Es reichen – wie häufig beim OLG Bamberg – die (amtlichen) Leitsätze. Die lauten:

  1. Die Aufklärungsrüge, mit der die unterbliebene Vernehmung eines Zeugen beanstandet wird, ist nicht zulässig erhoben, wenn dessen ladungsfähige Anschrift nicht mitgeteilt wird .
  2. Eine zulässige Aufklärungsrüge erfordert ferner den Vortrag, welche konkreten Angaben der nicht vernommene Zeuge hätte machen können.
  3. Die Aufklärungsrüge, mit der die unterlassene Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zu den Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB gerügt wird, ist unzulässig, wenn ausreichend bestimmte Behauptungen dazu, welche konkreten Tatsachen das Gericht hätte aufklären können und was es zu der vermissten Beweiserhebung drängen musste, unterbleiben.

Also: Beachten!!