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StGB III: Gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr, oder: Feststellungen und Fahrlässigkeit

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Und dann noch der OLG Köln, Beschl. v. 04.04.2024 – 1 ORs 45/24, und zwar zum gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr.

Zum Tatgeschehen hat das AG Folgendes festgestellt:

„Die Betroffene befuhr am 06.05.2022 mit einem Pkw Audi R8 mit dem amtlichen Kennzeichen pp. unter anderem den Rheinparkweg in Köln. Sie befand sich mit ihrem Ehemann auf der Rückfahrt von einem Konzert vom Tanzbrunnen. Sie fuhr das Fahrzeug nicht oft. Bei der Ausfahrt aus dem dortigen Kreisverkehr auf den Auenweg gegen 23:33 Uhr beschleunigte die Angeklagte den Pkw zu stark. Nach 300 m brach das Heck des Fahrzeugs aus und die Angeklagte verlor die Kontrolle über das Fahrzeug. Der Pkw fuhr unkontrolliert über die Gegenspur und den Gehweg. Hinter dem Gehweg befand sich, abgetrennt durch einen Gitterzaun und Sträucher, das Gleisbett des [gemeint: der] Deutschen Bahn AG. Der Pkw durchbrach den Zaun und das Gebüsch und befand sich sodann auf dem Gelände der Deutschen Bahn AG, wobei er in den Schienenverkehr hineinragte. Nachdem die Zugstrecke durch die Polizei gesperrt worden war, näherte sich gleichwohl gegen 23:44 Uhr, als sich die Polizeibeamten und der Ehemann der Angeklagten dem Fahrzeug genähert und die Papiere aus dem Handschuhfach entnommen hatten, ein ICE auf den Gleiches [wohl gemeint: „Gleisen].“ Der Zugführer übersah den dort befindlichen Pkw und touchierte die Front des Pkw mit einer Geschwindigkeit von 35-40 km/h, wodurch diese erheblich beschädigt wurde. Am ICE entstand nur ein leichter Sachschaden. Der Zusammenstoß war von dem Zugführer gar nicht bemerkt worden.“

Verurteilt worden ist wegen Verstoßes gegen § 315 Abs. 1 Nr. 2 StG. Die Sprungrevision hatte Erfolg. Dem OLG genügen die Feststellungen des AG nicht:

„a) Zunächst bestehen allerdings keine Bedenken, soweit das Amtsgericht davon ausgegangen ist, dass die Angeklagte ein Hindernis im Sinne von § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB bereitet hat, indem sie infolge zu starker Beschleunigung die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren hat, welches daraufhin unkontrolliert über die Gegenspur und den Gehweg fuhr, einen Gitterzaun und das Gebüsch durchbrach und sich daraufhin auf dem Gelände der Deutschen Bahn AG befand, wo es in den Schienenverkehr hineinragte.

Unter einem Hindernisbereiten ist jede Einwirkung im Verkehrsraum zu verstehen, die geeignet ist, den reibungslosen Verkehrsablauf zu hemmen oder zu verzögern (BGH NStZ-RR 2020, 183 m.w.N.; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 9 m.w.N.). In Fällen, in denen ein Fahrzeug – wie hier – auf die Schienen gelangt, ist die Erfüllung dieses Tatbestandes besonders augenfällig (BGH NJW 1959, 1187).

b) Auch kann aufgrund der getroffenen Feststellungen davon ausgegangen werden, dass das Verhalten der Angeklagten zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Schienenbahnverkehrs geführt hat.

Die Verkehrssicherheit ist beeinträchtigt, wenn die normale abstrakte Verkehrsgefahr gesteigert worden ist (Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 13 m.w.N.). Dies ist in Anbetracht der erfolgten Kollision zwischen ICE und Pkw belegt.

c) Demgegenüber wird der Eintritt einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben anderer Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert im Urteil nicht tragfähig begründet.

Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr erfordert, dass die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH NStZ 2022, 228; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 14). Ist ein Schaden tatsächlich eingetreten, kann die (zuvor konkret drohende) Gefahr nicht geringer, wohl aber größer gewesen sein (Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 16b).

Das Amtsgericht begründet die Annahme einer konkreten Gefährdung mit der Erwägung, dass ein Zusammenstoß mit einem schienengeführten Verkehrsmittel (immer) die konkrete Gefahr des Entgleisens und dadurch entstehenden ungleich größeren Schäden beinhalte.

Nach obigen Maßgaben ist ein konkreter Gefahrerfolg hierdurch nicht belegt.

Zwar mag es naheliegen, dass im Falle einer Zugentgleisung erhebliche Gefahren für die Zuginsassen und für fremde Sachen von bedeutendem Wert drohen. Fahrgäste eines Zuges sind nicht angeschnallt. Nicht selten stehen sie oder bewegen sich in den Abteilen und Gängen, so dass im Falle einer Zugentgleisung Stürze und Verletzungen zu besorgen sind (vgl. OLG Oldenburg NStZ 2005, 387 zum Fall einer erzwungenen Notbremsung eines etwa 80 km/h schnell fahrenden Eisenbahnzuges).

Jedoch muss die Annahme eines Beinahe-Unfalls in der konkreten Tatsituation nachvollzogen werden können. Hierfür genügt es nicht, auf allgemeine Gefahren von Entgleisungen abzustellen. Vielmehr hätte dargelegt werden müssen, dass in der konkreten Tatsituation die konkrete Gefahr einer Entgleisung bestand, so dass es nur noch vom Zufall abhing, ob Rechtsgüter verletzt wurden. Insoweit hätte es einer Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Einzelfalles bedurft.

Dem Urteil lässt sich hierzu lediglich entnehmen, dass der ICE mit einer Geschwindigkeit von 35-40 km/h herangenaht war und der Lokführer den Pkw übersehen haben soll. Zudem wird mitgeteilt, der Pkw habe „in den Schienenverkehr hineingeragt“. Nicht dargestellt wird jedoch, wie weit der Pkw in den Schienenverkehr hineinragte, ob also das Fahrzeug beispielsweise nur wenige Zentimeter in das Gleisbett hineinragte oder ob es sich etwa mittig auf dem Schienenkörper befand. Ohne Kenntnis der genauen Einzelfallumstände ist der Eintritt einer konkreten Gefahr nicht nachzuvollziehen.

Der Gefahrerfolg lässt sich auch nicht anhand der weiteren Urteilsbegründung ableiten: Ausweislich der Urteilsgründe hat es keine Personenschäden gegeben. Am ICE soll durch den Zusammenstoß „nur leichter Sachschaden“ entstanden sein. Zwar handelt es sich bei dem ICE zweifellos um eine fremde Sache von bedeutendem Wert. Die Höhe des am ICE entstandenen Sachschadens wird indes weder beziffert noch sonst in einer Weise beschrieben, dass der Senat davon auszugehen vermag, dass an dem ICE bedeutender Schaden entstanden ist. Dass einer fremden Sache von bedeutendem Wert nur ein unbedeutender Schaden droht, reicht für die Verwirklichung des Tatbestandes nicht (BGH NJW 1990, 194f.; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 16b).

Hinsichtlich des von der Angeklagten gefahrenen Fahrzeugs teilt das Amtsgericht mit, dass dessen Front durch den Zusammenstoß mit dem ICE „erheblich“ beschädigt worden sei. Unabhängig von der nicht einheitlich beantworteten Frage, ob das von dem Täter selbst geführte Fahrzeug im Rahmen von § 315 Abs. 1 StGB überhaupt taugliches Gefährdungsobjekt sein kann (vgl. hierzu näher Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 16; Pegel in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. § 315 Rdn. 70 ff.), teilt das angefochtene Urteil nicht mit, in wessen Eigentum der Pkw stand, so dass jedenfalls schon nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Angeklagte selbst Eigentümerin des Fahrzeugs, mithin das Fahrzeug nicht „fremd“ ist.

2. Auch die Feststellungen zur Fahrlässigkeit sind lückenhaft. Hierauf weist die Verteidigung zu Recht hin.

a) Anhand der Urteilsgründe kann zunächst allerdings nachvollzogen werden, dass die Angeklagte objektiv sorgfaltswidrig handelte, indem sie den von ihr gefahrenen Pkw, den sie nicht oft fuhr, nach der Ausfahrt aus dem Kreisverkehr „zu stark“ beschleunigte, so dass sie über diesen die Kontrolle verlor und das Fahrzeug unkontrolliert über die Gegenfahrbahn und den Gehweg bis in das Gleisbett schleuderte. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVO darf derjenige, der ein Fahrzeug im Straßenverkehr führt, nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Nach § 3 Abs. 1 S. 2 StVO ist die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Hiergegen hat die Angeklagte ersichtlich verstoßen.

b) Nicht hinreichend belegt wird jedoch, dass der Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für die Angeklagte – als mit den Örtlichkeiten nicht vertraute Fahrerin – zur Tatzeit vorhersehbar gewesen ist.

Ein (objektiv) fahrlässiges Verhalten verlangt, dass der wesentliche Kausalverlauf und der eingetretene Erfolg nicht so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung liegen dürfen, dass vernünftigerweise nicht damit gerechnet werden brauchte (BGHSt 12, 75). Dabei müssen nicht alle Einzelheiten des Geschehensablaufs prognostiziert werden können; es genügt, dass der Erfolg im Endergebnis voraussehbar gewesen ist (OLG Nürnberg NStZ-RR 2006, 248).

Das Amtsgericht trifft zu dieser Frage keine ausreichenden Feststellungen.

Es beschränkt sich auf die allgemeine Erwägung, in einer Großstadt müsse stets damit gerechnet werden, dass hinter einem Zaun auch Schienen verlaufen können.

Dem vermag der Senat – in dieser Allgemeinheit – nicht zu folgen.

Die Generalstaatsanwaltschaft führt in ihrer Vorlageverfügung zutreffend aus, dass darzulegen gewesen wäre, warum die mit den Örtlichkeiten nicht vertraute Angeklagte zur Tatzeit damit hätte rechnen müssen, bei pflichtwidriger Beschleunigung und Kontrollverlust über das schleudernde Fahrzeug in das Gleisbett der Deutschen Bahn zu gelangen und dort ein Hindernis für den Bahnverkehr zu bereiten. Hierfür hätte es näherer Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten, der Lichtverhältnisse und der Erkennbarkeit der Bahnstrecke bedurft. Ohne eine nähere Beschreibung der Tatörtlichkeit und einer Auseinandersetzung mit der Frage, was für einen Autofahrer, der die Örtlichkeiten nicht kennt, in der konkreten Tatsituation vorhersehbar gewesen ist, vermag der Senat nicht nachzuprüfen, ob das Geschehen möglicherweise so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung lag, dass ein mit den Örtlichkeiten nicht vertrauter Autofahrer vernünftigerweise nicht damit hatte rechnen müssen…..“

Corona II: Ist ein Coronatestzertifikat eine Urkunde?, oder: Urkundenfälschung

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Die zweite Entscheidung zu Corona kommt dann heute aus dem strafrechtlichen Bereich. Das OLG Hamm hat im OLG Hamm, Beschl. v. 23.01.2024 – 4 ORs 162/23 – zur Urkundeneigenschaft eines Coronatestzertifikats Stellung genommen.

Auszugehen war von folgenden Feststellungen: Die Angeklagte erstellte „ein Coronatestzertifikat, das auf den 02.02.2021 datiert wurde und bestätigte, dass der Zeuge R am 01.02.2021 um 17:41 einen negativen Sars-CoV-2 RnA-Test vorgenommen habe. Tatsächlich nahm die Angeklagte aber keine Testung des Zeugen R vor. Zu der Ausstellung des vorgenannten Testzertifikats, das als Aussteller die Institutsambulanz Fachbereich B der LWL  Klinik in L ausweist, war die Angeklagte, wie sie wusste, nicht berechtigt. Ihr war bewusst, dass der Zeuge R. das unrichtige Testzertifikat bei der Firma pp. vorlegen würde, um die IHK-Prüfung ablegen zu können. Das vorgenannte Zertifikat stellte sie dem Zeugen R zur Verfügung, dieser reichte es am 02.02.2021 per Mail bei der Firma pp. ein und erhielt auf diesem Weg Zugang zur IHK-Abschlussprüfung.“

Auf dier Grundlage hat das LG Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 Alt. 1 StGB angenomme. Die Angeklagte habe im Namen der Institutsambulanz der LWL-Klinik L ein Zertifikat über einen erfolgten Coronatest betreffend den Zeugen R erstellt. Dazu sei sie nicht berechtigt gewesen. Aus dem Testzertifikat sei die Institutsambulanz als Aussteller erkennbar. Dieses Testzertifikat solle Beweis über eine stattgefundene Coronatestung erbringen und nachweisen, dass der Test negativ ausgefallen sei.

Dagegen die Revision. Das OLG Hamm hat aufgehoben und frei gesprochen:

„Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten ist zulässig und hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils weist belastende Rechtsfehler auf und hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand……

2. Das Landgericht hat danach zu Unrecht eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) bejaht.

Das im Urteil wiedergegebene Testzertifikat ist keine Urkunde im Sinne des Gesetzes, so dass ihre Herstellung durch die Angeklagte nicht den Tatbestand des Herstellens einer unechten Urkunde oder der Verfälschung einer echten Urkunde erfüllen kann.

Eine Urkunde ist die Verkörperung einer allgemein oder für Eingeweihte verständlichen Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen lässt und geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen. Aus der Urkunde muss danach der geistige Urheber erkennbar sein, also die Person, welche die Gedankenerklärung abgibt. Erkennbarkeit bedeutet, dass derjenige, der (wirklich oder scheinbar) hinter der Urkunde steht, aus ihr als Person bestimmbar ist, wobei es sich nicht um eine Einzelperson handeln muss. Die Identität muss sich zumindest für Beteiligte oder Eingeweihte aus der Urkunde selbst erschließen. Es reicht nicht aus, wenn die Feststellung nur anhand von Umständen möglich ist; die außerhalb der Urkunde liegen (vgl. BGH, Beschluss v. 23.03.2010 — 5 StR 7/10, juris Rn. 4; Fischer StGB 69. Aufl. § 267 Rn. 11 m.w.N.). Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der in ihr als Aussteller bezeichnet ist. Entscheidendes Kriterium für die Unechtheit ist die Identitätstäuschung: Über die Person des wirklichen Ausstellers wird ein Irrtum erregt; der rechtsgeschäftliche Verkehr wird auf einen Aussteller hingewiesen, der in Wirklichkeit nicht hinter der in der Urkunde verkörperten Erklärung steht (vgl. BGH, Beschluss v. 21.03.1985 — 1 StR 520/84, juris Rn. 8).

Nach diesen Maßstäben mangelt es vorliegend dem nach den Urteilsfeststellungen von der Angeklagten erstellten Testzertifikat an der Garantiefunktion, da es keinen Aussteller erkennen lässt. Soweit darin als Aussteller eine „Station: Institutsambulanz, Fachb.: B“ angegeben ist, fehlt jeglicher Bezug zur LWL-Klinik L, zumal auch ein derartiges Zertifikat nach den  Bekundungen des Zeugen K von der Klinik nicht benutzt wird, so dass sich auch aufgrund des optischen Eindrucks kein Rückschluss auf die LWL-Klinik L als Aussteller ziehen lässt.

Die auf dem Testzertifikat enthaltenen Angaben, die ggf. auf einen Aussteller hindeuten könnten, reichen schließlich auch nicht aus, um in hinreichender Form auf einen – konkreten – fiktiven Aussteller zu schließen. Die tatsächliche Existenz des scheinbaren Ausstellers ist weder für die Frage der Ausstellererkennbarkeit noch für die Frage der Täuschung über die Ausstelleridentität Voraussetzung (vgl. OLG Gelle, Beschluss v. 19.10.2007 — 32 Ss90/07, juris Rn. 37; BGH, Urteil v. 27.09.2002 — 5 StR 97/02, juris Rn. 15). Es handelt sich vorliegend aber bei den Ausstellerangaben insgesamt um Allerweltsbezeichnungen mit erkennbar fehlender Individualisierung. Es wird dabei gerade nicht auf einen bestimmten Aussteller verwiesen.

3. Die Angeklagte hat sich auch nicht nach §§ 277, 278 StGB a.F. strafbar gemacht, da das als Gesundheitszeugnis anzusehende Testzertifikat nach den Feststellungen nicht zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft ausgestellt worden ist, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen nicht gegeben sind.

4. Das angefochtene Urteil kann daher aus Rechtsgründen keinen Bestand haben und war gemäß § 353 Abs. 1 StPO aufzuheben.

Es ist aufgrund der erfolgten Inaugenscheinnahme des Testzertifikats seitens des Senats sicher auszuschließen, dass sich die Feststellung, dass das Testzertifikat die LWL-Klinik Lals Aussteller ausweist, anderweitig treffen lässt. Darüber hinaus kann der Senat auch sicher ausschließen, dass eine Urkundeneigenschaft des Testzertifikats aufgrund eines fiktiven Ausstellers angenommen wird.

Da somit auszuschließen ist, dass weitere erhebliche Feststellungen nach einer Zurückverweisung möglich sind und die Aufhebung des Urteils nur wegen fehlerhafter Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO) und die Angeklagte aus sachlich-rechtlichen Gründen freisprechen.“

Alkohol III: Nachtrunkbehauptung im Verkehrsrecht, oder: Wenn Eheleute sich streiten

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Und dann noch aus dem Verkehrecht der LG Itzehoe, Beschl. v. 19.02.2024 – 14 Qs 9/24. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen Verdachts der Trunkenheit im Verkehr im Verfahren wegen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis.

Zugrunde liegt eine in der Praxis ja nicht seltene Konstellation. Eheleute trinken gemeinsam Alkohol, man streitet sich, die Ehefrau nimmt die Kinder und fährt zu einer Freundin. Der Ehemann ruft die Polizei an und teilt mir, dass seine Ehefrau alkoholisiert unterwegs ist/war. Die Polizei trifft die Ehefrau bei der Freundin an und es wird eine Blutentnahme angeordnet. Das Ergebnis  der Blutprobe würde dann „reichen“. Aber es kommt die Einlassung: Bei der Freundin ist es zu einem Nachtrunk gekommen. Und die hatte hier zumindest vorläufig Erfolg. Denn das LG hat die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) aufgehoben:

„Vorliegend kann nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen zwar angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin am 12.11.2023 gegen 21:14 Uhr in Lutzhorn das Kraftfahrzeug Mercedes-Benz mit dem amtlichen Kennzeichen pp. nach dem vorherigen Genuss alkoholischer Getränke geführt hat – es kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Ermittlungen indes nicht mit der erforderlichen großen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sie zum Zeitpunkt der Fahrt auch eine Butalkoholkonzentration von mindestens 1,1 °/00 aufwies.

Der dahingehende Tatverdacht beruht derzeit ausschließlich auf der Aussage des Ehemannes der Beschuldigten gegenüber der Polizei, welcher am Tattag um 21:05 Uhr die Dienststelle in Elmshorn kontaktierte und angab, seine Ehefrau habe sich nach einem Streit stark alkoholisiert und schwankend mit dem Fahrzeug entfernt, sowie den damit korrespondierenden Angaben der Zeugen PK pp. und POM pp., welche die Beschuldigte am Tattag um 22:34 Uhr an der antrafen und einen Atemalkoholgeruch feststellten sowie den Analyseergebnissen der um 23:42 Uhr und 00:12 Uhr bei der Beschwerdeführerin entnommenen Blutproben, die einen BAK-Wert von 1,85 und 1,72 °/00 aufwiesen.

Diese Beweismittel sind jedoch nicht ohne weiteres geeignet, den dringenden Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt gern. § 316 Abs. 1, 2 StGB zu begründen, denn der unmittelbare Schluss, dass die Beschwerdeführerin bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der Autofahrt eine Blutalkoholkonzentration von über 1,1 °/00 aufwies, kann daraus nicht gezogen werden.

a) Die Beschwerdeführerin selbst hat den Tatvorwurf bestritten und sich gegenüber den Polizei-beamten zuletzt dahingehend eingelassen, sie habe vor Fahrtantritt zwischen 17:00 Uhr und 20:00 Uhr in einem Restaurant 0,5 I Bier und drei bis vier 2 cl Gläser Ouzo getrunken – größere Mengen Alkohol, nämlich 0,33 I Bier und etwa 15 cl Ouzo, habe sie hingegen erst nach Fahrtende bei ihrer Freundin, der Zeugin pp. konsumiert. Diese Einlassung, nach der sich die Beschwerdeführerin während der Autofahrt allenfalls im Zustand relativer Fahruntüchtigkeit befunden hat, wird sich nicht ohne Weiteres widerlegen lassen.

Der Ehemann der Beschuldigten, der bisher keine Angaben zur Trinkmenge der Beschuldigten gemacht hat, gibt nunmehr an, diese habe vor Fahrtantritt in einem Restaurant zwei Bier und drei bis vier Ouzo getrunken, er habe die Polizei lediglich aus Verärgerung und Wut nach der Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau gerufen. Die Zeugin pp. hat darüber hinaus an Eides statt versichert, die Beschwerdeführerin habe nach ihrer Ankunft bei ihr gegen 21:00 Uhr bis 22:00 Uhr ein Bier getrunken und den Großteil einer Ouzo-Flasche geleert. Diese Aussagen stützen die Einlassung der Beschwerdeführerin und sind nicht geeignet, den gegen sie erhobenen Vorwurf der Trunkenheitsfahrt im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit zu begründen.

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass das Aussageverhalten der Zeugen und die Einlassung der Beschuldigten inkonsistent sind und es sich auch um nachträglich abgesprochene Aussage handeln kann. So gab die Beschuldigte selbst zunächst an, sie habe nach der Fahrt in ihrem Fahrzeug Alkohol konsumiert, wenig später korrigierte sie die Aussage dahingehend, sie habe nach Fahrtende mit ihrer Freundin drei bis vier Bier getrunken und nach Durchführung des Atemalkoholtests gab sie schließlich an, gegen 17:30 Uhr zwei Weißweinschorlen und einen Ouzo und gegen 21:15 Uhr bei Frau pp. zwei bis drei Bier getrunken zu haben. Auch wirft es jedenfalls Fragen auf, dass die Zeugin pp.  gegenüber der Polizei zunächst angegeben haben soll, dass beide Frauen bei ihr keinen Alkohol konsumiert hätten. Sofern sie nunmehr behauptet, sie habe die Frage nach etwaigem Alkoholkonsum lediglich auf sich bezogen beantwortet, da es darum gegangen sei, die Beschwerdeführerin im Verlaufe der Nacht mit dem Fahrzeug von der Wache abzuholen, muss der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ggf. nach Anhörung der Vernehmungsbeamten ermittelt werden. Die Kammer hält die Frage nach einer (ausschließlichen) Alkoholisierung der Zeugin im Rahmen der gegen die Beschwerdeführerin geführten Ermittlungen wegen einer Trunkenheitsfahrt für wenig wahrscheinlich; es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Niederschrift der Aussage der Zeugin pp. nicht von den vernehmenden Beamten (PKW POM pp. ) selbst, sondern von dem Zeugen POMA pp. gefertigt worden ist.

In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass der Ehemann der Beschuldigten die erste Aussage gegenüber der Polizei im Streit mit der Beschwerdeführerin getätigt hat, was eine kritische Würdigung der Aussage erfordert, da eine Belastungstendenz und eine etwaige Dramatisierung der Umstände jedenfalls nicht fernliegend erscheint. Für letzteres würde auch sprechen, dass er gegenüber der Polizei zunächst angab, die Beschwerdeführerin habe einen schwankenden Gang aufgewiesen, wohingegen die Polizeibeamten PK pp. und POM pp. bei der Beschwerdeführerin keinerlei Ausfallerscheinungen feststellen konnten.

Letztlich sind die Unstimmigkeiten innerhalb der Aussagen allenfalls geeignet einen hinreichenden Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt gem. § 203 StPO zu begründen, es kann indes nicht mit der notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin diese Tat auch begangen hat.

b) Auch die Ergebnisse der doppelten Blutprobenentnahme sind nicht geeignet, die Nachtrunkbehauptung der Beschwerdeführerin zu widerlegen.

Ein Rückschluss von einer gemessenen Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Blutentnahme auf die relevante Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Fahrt ist grundsätzlich dann möglich, wenn in der dazwischenliegenden Zeit ein regelhafter Verlauf der Blutalkoholkurve unterstellt werden kann; Nachtrunkeinlassungen erschweren diesen Rückschluss zugunsten des Beschuldigten (LG Oldenburg, Beschluss vom 24. Mai 2022 – 4 Qs 155/22 m.w.N.). In geeigneten Fällen kann eine Nachtrunkbehauptung jedoch durch die Ergebnisse einer Doppelblutentnahme widerlegt werden. Dem liegt zugrunde, dass die Zeitspanne während welcher die Blutalkoholkonzentration nach dem letzten Alkoholkonsum bis zur Erreichung ihres Maximums steigt – die sog. Anflutungsphase – im Regelfall etwa 30 Minuten bis zu zwei Stunden beträgt, wenngleich sie im Einzelfall von Person zu Person variiert (LG Oldenburg, Beschluss vom 24. Mai 2022 – 4 Qs 14 Qs 9/24 m.w.N.). In dieser Phase ist mithin mit steigenden Blutalkoholkonzentrationswerten zu rechnen, sodass in Fällen, in denen die Analysen einer ersten, in zeitlich engem Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Tatgeschehen entnommenen Blutprobe, und einer zweiten, im Abstand von 30 Minuten entnommenen Blutprobe, eine sinkende Blutalkoholkonzentration ergibt, die Nachtrunkbehauptung in der Regel als widerlegt angesehen werden kann (vgl. a.a.O.). Für einen solchen Rückschluss muss die Entnahme der ersten Blutprobe allerdings spätestens 45 Minuten nach Trinkende erfolgen (zu den weiteren Voraussetzungen vgl. ausführlich a.a.O. m.w.N.). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt, denn das Blut für die erste Blutprobe zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration wurde der Beschwerdeführerin erst um 23:42 Uhr entnommen – und mithin knapp 1,5 Stunden nach dem behaupteten Trinkende um 22:15 Uhr. In diesem Fall verbietet sich der Rückschluss, dass die sinkenden Werte belegen, dass die Nachtrunkbehauptung unwahr ist, da auch im Falle des Nachtrunks die Anflutungsphase zum Zeitpunkt der zweiten Blutprobenentnahme bereits beendet wäre und die „Abbauphase“ begonnen hätte.

Der Nachweis einer absoluten Fahruntüchtigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrt lässt sich vor diesem Hintergrund nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit führen.“

Schon erstaunlich, dass das LG die verschiedenen, sich teilweise widersprechenden Aussagen nicht einfach mit „unglaubhaft“ abgetan hat. Man darf gespannt sein, wie das AG damit umgeht.

Und: die erwähnte Entscheidung des LG Oldenburg hatte ich hier übrigens auch vorgestellt, und zwar hier.

KiPo II: Bei einer Durchsuchung übersehener USB-Stick, oder: Hatte der Angeklagte noch wissentlichen Besitz?

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich heute um das AG Pforzheim, Urt. v. 14.09.2023 – 2 Ls 33 Js 3824/22. Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf des Besitzes kinderpornografischer Inhalte gem. § 184 b Abs. 3 StGB frei gesprochen. Begründung:

„Anlässlich der Durchsuchung in der pp.-Straße in pp. am 21.06.2022 zwischen 07.45 Uhr und 09.25 Uhr aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Pforzheim, 9 Gs 100/22 vom 17.05.2022 wurde unter anderem ein USB Stick (Asservat 1.4), welcher dem Angeklagten gehört, sichergestellt und beschlagnahmt. Auf dem USB Stick befanden sich siebzehn kinderpornograifsche Videodateien, was der Angeklagte wusste.

Die Dateien zeigen teilweise sexuellen Missbrauch von Kleinkindern, die Vornahme sexueller Handlungen an und von Kindern sowie die Zurschaustellung von Kindern in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung sowie Geschlechtsteilen in sexuell aufreizender Art und Weise und geben ein tatsächliches und wirklichkeitsnahes Geschehen wieder. Dem Angeklagten war dies aufgrund der Bilder ebenso bewusst wie das kindliche Alter der Darsteller.

Ferner war dem Angeklagten bewusst, dass die Dateiinhalte ohne die Vermittlung weiterer gedanklicher Inhalte nur auf eine sexuelle Stimulation des Betrachters abzielten.
Im Einzelnen handelt es sich um folgende Dateien auf dem USB-Stick (Asservat 1.4):

[Detaillierte Beschreibung des Inhalts der 17 kinderpornografischen Videodateien]

Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, er habe die auf den USB-Stick befinden Dateien bereits im Jahre 2014/2015 heruntergeladen und nicht mehr benutzt. Er sei davon ausgegangen, dass der Stick bei der Durchsuchung im Ermittlungsverfahren 92 Js 1437/16 sichergestellt und mitgenommen wurde und habe nicht gewusst, dass sich der Stick noch in seiner Schublade befindet.

Darüber hinaus hat die Beweisaufnahme ergeben, dass der USB-Stick tatsächlich bei der Durchsuchung übersehen worden sein könnte und diese Dateien nach dem Jahre 2015 jedenfalls nicht mehr bearbeitet wurden.

Es lässt sich daher nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Angeklagte die inkrimierten Dateien nach der Durchsuchung noch wissentlich im Besitz hatte.

In dem genannten vorausgegangenem Verfahren erging am 29.04.2016 ein seit 18.05.2016 rechtskräftiger Strafbefehl des Amtsgerichts Maulbronn (1 Cs 92 Js 1437/16) wegen Verbreitung kinderpornografischer Schriften; weitere Tathandlungen, insbesondere der Besitz kinderpomografischer Inhalte, wurden zuvor durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – vom 14.04.2016 gem. §§ 154, 154 a StPO von der weiteren Verfolgung ausgenommen.

Damit ist hinsichtlich des früheren Besitzes der Dateien Strafklageverbrauch eingetreten und der Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen.“

KiPo I: „Nur“ Verbreitung von „Jugendpornografie“, oder: Lückenhafte Beweiswürdigung

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In die 8. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen, die sog. „KiPo-Verfahren“ zum Gegenstand haben. In beiden Entscheidungen geht es um die Beweiswürdigung/Nachweisbarkeit.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 14.12.2023 – 3 StR 183/23. Der BGh hat in dem Urteil zur Beweiswürdigung bei Verurteilung wegen Verbreitung pornographischer Inhalte Stellung genommen. Das LG hat den Angeklagten wegen Verbreitung jugendpornographischer Inhalte (§ 184c Abs. 1 Nr. 1 StGB) verurteilt. Dagegen hatte sich die Staatsanwaltschaft gewendet, die in einigen der Fälle eine Verurteilung des Angeklagten (auch) wegen Verbreitung kinderpornographischer Inhalte (§ 184b StGB) erstrebt. Sie hat die Feststellungen des LG zum Alter der in den Videos zu sehenden Mädchen beanstandet. Die hatte die Strafkammer auf der Basis einer Inaugenscheinnahme der Videodateien und aufgrund eigener Sachkunde anhand einer Gesamtwürdigung der in den Filmen zu erkennenden körperlichen Merkmale der Darstellerinnen, ihres Verhaltens sowie der sichtbaren äußeren Umstände der Aufnahmen getroffen.

Das Rechtsmittel der StA hatte Erfolg. Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung des LG, aufgrund derer sie zu der Feststellung gelangt ist, dass die Darstellerinnen in den Videos zum maßgeblichen Zeitpunkt der Herstellung der Aufnahmen nicht ausschließbar mindestens 14 Jahre, aber sicher nicht älter als 18 Jahre alt waren, als unzulänglich, weil sie eine beachtliche Lücke aufweist. Nach den allgemeinen Ausführungen zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung, die ich hier mal auslasse, führt der BGH aus:

„b) Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, aufgrund derer sie zu der Feststellung gelangt ist, dass die Darstellerinnen in den Videos zum maßgeblichen Zeitpunkt der Herstellung der Aufnahmen nicht ausschließbar mindestens 14 Jahre, aber sicher nicht älter als 18 Jahre alt waren, unzulänglich, weil sie eine beachtliche Lücke aufweist.

aa) Generell gilt zur Altersbestimmung von Darstellern pornographischer Inhalte beziehungsweise zur Abgrenzung jugendpornographischer Inhalte von kinderpornographischen Inhalten Folgendes:

Ist das kindliche Alter der in einem Video oder auf einem Bild erkennbaren Person – etwa aufgrund ihrer Identifizierung – bekannt, kommt es für die rechtliche Einordnung eines Inhalts als kinderpornographisch allein auf das tatsächliche Alter an. Mithin ist immer § 184b StGB einschlägig, wenn die bei einem realen Geschehen gezeigte Person tatsächlich ein Kind ist, auch wenn sie älter aussehen sollte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55, 61; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184b Rn. 18; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 9; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 184b Rn. 12; MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 12; LK/Nestler, StGB, 13. Aufl., § 184b Rn. 8; BeckOK StGB/Ziegler, 59. Ed., § 184b Rn. 8).

In Fällen nicht identifizierter abgebildeter Personen bedarf es einer Altersbestimmung oder zumindest Alterseingrenzung aufgrund einer Gesamtwürdigung aller sich aus dem Inhalt selbst und dessen Bezeichnung ergebender Umstände, namentlich der körperlichen Entwicklung, des Aussehens, der Gestik und Mimik, der Stimme, der Äußerungen und des Verhaltens des Abgebildeten, aber auch weiterer Faktoren wie der Räumlichkeit, in der die Aufnahme gefertigt wurde, Bekleidungsstücke (etwa Kinderbekleidung), sichtbarer weiterer Gegenstände (etwa Kinderspielzeug) sowie textlicher oder sprachlicher Altersangaben in dem Inhalt oder dessen Bezeichnung (Dateiname). Dabei ist zwar primär das auf diese Weise beweiswürdigend festgestellte oder zumindest eingegrenzte Alter der Person maßgeblich. Es genügt aber für eine Einordnung eines Inhalts als kinder- beziehungsweise jugendpornographisch, wenn ein objektiver, gewissenhaft urteilender Betrachter aufgrund einer Gesamtwürdigung des Inhalts und dessen Bezeichnung den Eindruck erlangt, dass die gezeigte Person ein Kind oder Jugendlicher ist. Dann ist das tatsächliche Alter irrelevant („Scheinkinder“ oder „Scheinjugendliche“) beziehungsweise ohne Bedeutung, ob sich dieses feststellen lässt oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55, 60 ff.; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184b Rn. 18, § 184c Rn. 9 f.; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 10 ff., § 184c Rn. 11 f.; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 184b Rn. 13; MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 13, § 184c Rn. 11 f.; LK/Nestler, StGB, 13. Aufl., § 184b Rn. 8, § 184c Rn. 9 f.; NK-StGB/Papathanasiou, 6. Aufl., § 184b Rn. 14, § 184c Rn. 6; BeckOK StGB/Ziegler, 59. Ed., § 184b Rn. 8, § 184c Rn. 8; s. auch BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2008 – 2 BvR 2369/08 u.a., MMR 2009, 178).

Altersangaben zu nicht identifizierten abgebildeten Personen in den betreffenden Aufnahmen oder in Dateinamen, die eine Volljährigkeit oder zumindest Jugendlichkeit des Darstellers behaupten, stehen der gesamtwürdigenden Annahme einer jüngeren Altersstufe nicht entgegen, denn ansonsten hätte es der Hersteller oder Verbreiter des Inhalts in der Hand, durch einfache unwahre Behauptungen eine Anwendbarkeit der §§ 184b, 184c StGB zu verhindern (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55, 60).

Demgegenüber kann Angaben in einer Videoaufnahme oder einer Dateibezeichnung, die ein kindliches oder jugendliches Alter des Abgebildeten behaupten, im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung Indizwert dahin zukommen, dass es sich bei der betreffenden Person tatsächlich um ein Kind oder einen Jugendlichen handelt. Auch kann eine solche Angabe in der Gesamtschau mit dem Aufnahmeinhalt geeignet sein, einem objektiven, gewissenhaft urteilenden Betrachter den Eindruck zu vermitteln, die gezeigte Person sei ein Kind oder Jugendlicher, was für die Qualifikation eines Inhalts als kinder- oder jugendpornographisch ausreicht.

bb) Den vorgenannten Anforderungen genügt die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht vollständig.

Der Strafkammer haben als Beweismittel allein die einer Inaugenscheinnahme zugänglichen urteilsgegenständlichen Videodateien zur Verfügung gestanden. Sie hat die Videos sowie Standbilder aus den elektronischen Dateien in Augenschein genommen und anhand dieser Betrachtungen aufgrund eigener, aus der Lebenserfahrung der Richterinnen und Schöffinnen gespeister Sachkunde die erwähnten Altersfeststellungen getroffen. Dabei hat sie für jede einzelne Darstellerin aufgrund einer Gesamtwürdigung zahlreicher Kriterien den Schluss gezogen, dass diese zum Zeitpunkt der Erstellung der Aufnahme nicht ausschließbar mindestens 14 Jahre, auf jeden Fall aber – offensichtlich – nicht älter als 18 Jahre war.

Dies ist zwar für sich genommen nicht zu beanstanden. Jedoch hat die Strafkammer ausdrücklich unberücksichtigt gelassen, dass die Dateinamen der Videos, die zudem zu Beginn der Filme eingeblendet werden, jeweils Altersangaben der Darstellerinnen enthalten, wonach diese zwölf beziehungsweise 13 Jahre alt seien. Diese behaupteten Angaben zum Alter der Mädchen in den Dateibezeichnungen seien unerheblich. Auf solche könne es nicht ankommen, denn ansonsten hätte es der Verbreiter oder Hersteller eines pornographischen Inhalts in der Hand, durch falsche Behauptungen eine Anwendung der §§ 184b, 184c StGB zu verhindern.

Diese pauschale Ausklammerung der Altersangaben der Darstellerinnen in den Dateinamen aus der gebotenen Gesamtwürdigung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar stehen – wie dargelegt – Altersangaben zu nicht identifizierten abgebildeten Personen in den betreffenden Videoaufnahmen oder in Dateinamen, die eine Volljährigkeit oder zumindest Jugendlichkeit des Darstellers behaupten, der gesamtwürdigenden Annahme einer jüngeren Altersstufe nicht entgegen. Mithin sind Angaben, die ein höheres als das tatsächliche oder aufgrund des Gesamteindrucks vermittelte Alter eines Darstellers behaupten, unerheblich. Dagegen kann die Angabe eines kindlichen oder jugendlichen Alters in dem betreffenden Inhalt oder seiner Bezeichnung durchaus Indizwert für ein solches oder zumindest den Gesamteindruck eines solchen haben. Auch wenn sie nicht bereits für sich genommen zur Anwendbarkeit des § 184b oder § 184c StGB führt (vgl. MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 13), so muss sie daher in die gebotene Gesamtwürdigung einbezogen werden.

Daher hätte die Strafkammer den Altersangaben von zwölf beziehungsweise 13 Jahren in den Dateinamen der Videos nicht von vornherein jeden Beweiswert absprechen dürfen.

c) Auf dieser Lücke in der Beweiswürdigung beruhen die Feststellungen der Strafkammer zum Alter der Mädchen. Es ist ungeachtet der sorgfältigen Analyse der Videoinhalte nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass das Landgericht in den hier relevanten Fällen zu der Überzeugung gelangt wäre, alle oder jedenfalls einzelne Darstellerinnen seien oder erschienen nach dem maßgeblichen Gesamteindruck, der einem objektiven Betrachter vermittelt werde, jünger als 14 Jahre, wenn sie die mit der Dateibezeichnung aufgestellte Behauptung eines kindlichen Alters in ihre Gesamtwürdigung eingestellt hätte.

Zwar hat die Strafkammer in den Urteilsgründen weiter ausgeführt, die Altersangaben in den betreffenden Videos seien nicht belastbar, weil drei der Filme dieselben zwei Mädchen zeigten, allerdings die Altersangaben in den Dateinamen divergierten, obgleich jedenfalls zwei der Filme in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang erstellt worden seien. Auch mit diesem Argument hat das Landgericht indes den Altersbezeichnungen Indizwert nicht absprechen dürfen. Denn für eine Einordnung eines Inhalts als kinderpornographisch ist – wie dargelegt – ausreichend, wenn ein objektiver, gewissenhaft urteilender Betrachter aufgrund einer Gesamtwürdigung des Inhalts und dessen Bezeichnung den Eindruck erlangt, die gezeigte Person sei ein Kind, auch wenn dies (möglicherweise) tatsächlich nicht der Fall ist. Für eine solche „Scheinkindqualifikation“ ist allein der betreffende Inhalt maßgeblich, also das auf einem Bild oder in einem Video Wahrnehmbare sowie die Bezeichnung des Bildes oder Videos. Informationen jenseits des zu beurteilenden Inhalts sind dagegen für diese Einordnung irrelevant; sie können die Qualifikation eines Darstellers als „Scheinkind“ weder in Frage stellen noch begründen.“