Archiv der Kategorie: Beweiswürdigung

StPO II: Faire Auslegung eines Beweisbegehrens, oder: Bedeutungslose Bedeutungslosigkeit?

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Die zweite Entscheidung betrifft auch eine Beweisfrage. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 26.03.2024 – 2 StR 211/23 -, der sich zur Pflicht des Tatgerichts, ein Beweisbegehren auszulegen, äußert:

„2. Diese Ablehnung des Beweisantrags hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Genügt ein erkennbar als Beweisantrag vorgebrachtes Beweisbegehren seinem Wortlaut nach nicht den Anforderungen an die notwendige Konkretisierung der Beweistatsache, ist es in sonstiger Weise lückenhaft, ungenau formuliert oder mehrdeutig oder bleibt unklar, welcher einsichtige Prozesszweck mit ihm verfolgt werden soll, und lassen sich die hieraus resultierenden Zweifel nicht ohne weiteres eindeutig aus den gesamten Umständen der Antragstellung ausräumen, so ist der Vorsitzende aufgrund der Aufklärungspflicht, die ein Hinwirken auf eine sachdienliche Antragstellung gebietet, der Fürsorgepflicht sowie der Verfahrensfairness (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) grundsätzlich gehalten, den Antragsteller zunächst auf die Bedenken gegen seinen Antrag hinzuweisen und ihm durch entsprechende Befragung Gelegenheit zu geben, die erforderliche Klarstellung vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 1996 ? 1 StR 120/96, NStZ-RR 1996, 336, 337; Beschluss vom 8. Februar 1996 ? 4 StR 776/95, NStZ 1996, 562; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 115; KK-StPO/Krehl, 9. Aufl., § 244 Rn. 78). Auch wenn dies nicht zum Erfolg führt, bleibt das Gericht verpflichtet, die vom Antragsteller tatsächlich gewollte Beweisbehauptung durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2000 ? 3 StR 410/99, NStZ 2000, 267, 268 mwN). Diese kann sich nicht nur aus dem Wortlaut des Antrags, sondern aus allen Umständen, die bei einer nach Sinn und Zweck fragenden Auslegung zu berücksichtigen sind, ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 516/14, StV 2016, 337, 338; Beschlüsse vom 11. April 2007 – 3 StR 114/07, juris Rn. 7; und vom 6. März 2014 – 3 StR 363/13, NStZ 2014, 419). Bei mehreren Interpretationsalternativen ist derjenigen der Vorzug zu geben, die zur Beweiserhebung führt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 1984 ? 2 StR 320/84, NStZ 1984, 564, 565; Beschluss vom 12. Mai 2022 – 5 StR 450/21, juris Rn. 15 mwN).

Ferner muss nach der ständigen Rechtsprechung der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen das Tatgericht der unter Beweis gestellten Tatsache aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung ist eine Tatsache nur dann, wenn ein Zusammentreffen zwischen ihr und der abzuurteilenden Tat nicht besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs nicht geeignet ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen, wobei sich das Gericht im Urteil nicht in Widerspruch zu der Ablehnungsbegründung setzen darf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. August 1996 – 4 StR 373/96, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 22; und vom 7. November 2023 – 2 StR 284/23, NStZ 2024, 177, 178; jew. mwN).

b) Hieran gemessen erweist sich die Ablehnung des Beweisantrags als rechtsfehlerhaft.

aa) Die Strafkammer hat das dem Beweisantrag bei verständiger Würdigung zugrundeliegende Beweisthema nur verkürzt behandelt und so den Antrag schon nicht in einem zur Beweiserhebung führenden Sinne ausgelegt.

Der notwendigen Behandlung als Beweisantrag steht zunächst nicht entgegen, dass der Antrag seinem Wortlaut nach zwar positiv formuliert, jedoch inhaltlich auf eine Negativtatsache gerichtet war. Denn der Antrag ist bei verständiger Auslegung – naheliegend ? dahingehend zu verstehen, dass unter Beweis gestellt war, es habe zwischen dem Angeklagten und Ü.   keine betäubungsmittelbezogenen Kontakte gegeben. Eine dahingehende Auslegung drängte sich auch deshalb auf, weil die Verteidigung des Angeklagten zuvor einen – von der Strafkammer mangels bestimmter Tatsachenbehauptung rechtsfehlerfrei abgelehnten – „Beweisantrag“ auf Einvernahme des Ü.   mit derselben Stoßrichtung gestellt hatte. Darin hatte sie beantragt, Ü.   als Zeugen zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass dieser ausschließlich mit J.    Betäubungsmittelhandel betrieben habe. Mit dem der Verfahrensrüge zugrunde liegenden ? in enger zeitlicher Abfolge gestellten ? Beweisantrag wollte die Verteidigung bei gleichem Beweisziel ihr Beweisthema konkretisieren, was sie im Beweisantrag durch die beispielhafte Aufzählung verschiedener Handlungssequenzen, die ausschließlich zwischen Ü.   und J.   stattgefunden haben sollten ? „Drogen verkauft“, „Absprachen gehalten“ und „geschäftlichen Beziehung“ ? zum Ausdruck brachte. Soweit die Strafkammer ausführt, dass schon unklar sei, was Gegenstand der „Absprache“ oder was mit „geschäftlichen Beziehung“ gemeint sei, und insoweit eine konkrete Tatsachenbehauptung vermisst, hat sie bei der gebotenen Auslegung des Beweisantrags dessen Beweisthema und Zielrichtung unzulässig verkürzt.

bb) Infolgedessen hat die Strafkammer den Beweisantrag rechtsfehlerhaft allein am Maßstab der rechtlichen Bedeutungslosigkeit gemessen und dabei den tatsächlichen Gehalt der unter Beweis gestellten Tatsachen außer Betracht gelassen. Sie hat deshalb bei ihrem Ablehnungsbeschluss verkannt, dass der Beweisantrag nicht darauf abzielte, aus dem Umstand der ausschließlichen betäubungsmittelbezogenen Kommunikation zwischen Ü. und J.    die Annahme einer bandenmäßigen Tatbegehung unter Beteiligung des Angeklagten zu widerlegen. Insofern hat sie zwar – für sich genommen rechtsfehlerfrei – angenommen, dass die unter Beweis gestellte Tatsache der Absprachen ausschließlich zwischen Ü.   und J.   eine Bandenabrede nicht ausschloss (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2009 – 3 StR 83/09, juris Rn. 9). Sie hat jedoch nicht in den Blick genommen, dass bei sachgerechter Auslegung des Antrags nachgewiesen werden sollte, dass – unabhängig von der rechtlichen Einordnung als Bande – zwischen dem Angeklagten und Ü.   zu keiner Zeit betäubungsmittelbezogene Kontakte bestanden und damit insbesondere Rückschlüssen in tatsächlicher Hinsicht entgegengetreten werden sollte, der Angeklagte und Ü.   hätten über den Kryptodienst A.   unter Pseudonymen miteinander kommuniziert. Mit diesem Gesichtspunkt befassen sich die Ablehnungsgründe nicht.

cc) Die Ablehnung des Beweisantrags erweist sich zudem aus einem weiteren Grund als rechtsfehlerhaft. Denn das Gericht muss sich an der dem Ablehnungsbeschluss zugrundeliegenden Annahme der Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache festhalten lassen. Es darf sich im Urteil nicht zu der Ablehnungsbegründung in Widerspruch setzen oder seine Überzeugung auf das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache stützen (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 2007 – 2 StR 248/07, StraFo 2008, 29; Beschlüsse vom 20. August 1996 – 4 StR 373/96, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 22; vom 29. April 2014 – 3 StR 436/13, juris Rn. 3).

Hiergegen hat die Strafkammer verstoßen, indem sie – allein orientiert an der defizitären Auslegung des Beweisantrags ? feststellte, dass Ü.   dem Angeklagten Anweisungen gab, an wen die Betäubungsmittel auszuliefern seien und wie – nach der Festnahme des J.    – im Hinblick auf die im Bunker vorrätig gehaltenen Drogen der Gruppierung zu verfahren sei. Damit hat sie entgegen dem vorgenannten Verständnis des Beweisantrags der behaupteten Beweistatsache nicht nur eine die Entscheidung tragende Bedeutung beigemessen, sondern sogar das Gegenteil davon festgestellt.“

Urteilsgründe: Handel mit Betäubungsmitteln, oder: Allein Besitz von Feinwaage u.a. reicht nicht

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Und dann als letzte Entscheidung noch etwas aus dem BtM-Bereich, und zwar das AG München, Urt. v. 10.4.2024 – 1015 Ds 373 Js 146518/23 jug. Vorgeworfen worden ist der m Angeklagten ein Verstoß gegem das BtMG/KCanG. Das AG hat ihn frei gesprochen:

„Der Angeklagte wurde von der Staatsanwaltschaft mit unveränderter zugelassener Anklageschrift vom 30.11.23 folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

„1.Am 15.03.2023 gegen 18:51 Uhr bewahrte der Angeklagte in der pp-, München, 2,87 Gramm Marihuana und 2,22 Gramm Tabak-Marihuana-Gemisch zusammen mit einer Feinwaage und diversen Druckverschlusstüten wissentlich und willentlich auf. Dabei plante der Angeklagte, durch einen späteren Verkauf Gewinn zu erzielen.

Das Betäubungsmittel hatte mindestens einen Wirkstoffgehalt von 5 % THC.

Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.

Bei Tatbegehung besaß der Angeklagte die gemäß § 3 JGG erforderliche Reife, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.“

Dem Angeklagten wurde deshalb vorgeworfen, sich eines vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß §§ 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage I zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, Fassung vor dem 01.04.24 bzw. §§ 1 Nr. 8, 2 I Nr. 1, 34 I Nr. 1, 2 u. 12 KCanG, ab dem 01.04.24 strafbar gemacht zu haben.

Dem gegenüber hat das Gericht folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der Angeklagte hatte in seinem Zimmer die unter Nr. 1 angegebenen Mengen an Marihuana und Tabak-Marihuana-Gemisch sowie die Druckverschlusstüten und die Feinwaage. Der Angeklagte hat angegeben, die Druckverschlusstüten hätten sich dort befunden, weil er wisse, dass beim Transport von Marihuana der Geruch verräterisch sei. Deshalb würde er, wenn er Marihuana in der Hosen- oder Jackentasche mitnehme, dieses in Druckverschlusstüten verpacken.

Diese seien nicht einzeln zu erwerben deswegen habe sich eine solche Menge dort befunden. Weiter hat er angegeben, dass er die Feinwaage in seinem Besitz gehabt habe, weil er zum Teil geringere Mengen habe abwiegen wollen. Diese beiden Angaben sind nicht zu widerlegen. Allein die Tatsache, dass der Angeklagte eine Feinwaage und diverse Druck-verschlusstüten bei sich zuhause aufbewahrt, reicht nicht aus, um davon auszugehen, dass er auch mit Marihuana Handel getrieben habe.

Der Angeklagte konnte daher nicht mit der zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit des vorsätzlichen unerlaubten Handelns mit Cannabis in Form von Marihuana nach dem Konsumcannabisgesetz überführt werden. Er war daher freizusprechen. Der Freispruch erfolgte aus tatsächlichen Gründen.“

Urteilsgründe I: Feststellungen bei der Drogenfahrt, oder: Allein „Blutwirkstoffbefund“ reicht nicht

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Und dann unter der „Oberrubrik“ StPO heute drei Entscheidungen, die sich mit den Anforderungen an die Urteilsgründe befassen.

In dem Zusammenhang stelle ich hier zunächst den BGH, Beschl. v. 24.04.2024 – 4 StR 90/24 – vor, er sich noch einmal zu den tatsächlichen Feststellungen bei einer Drogenfahrt äußert. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. es hat – soweit insoweit von Interesse – festgestellt, dass der Angeklagte vor Fahrantritt er Marihuana und Amphetamine konsumiert hatte. Aufgrund dessen übersah er einen an einer roten Ampel wartenden Pkw und fuhr auf dessen Heck auf, wodurch dem Geschädigten ein Schaden in Höhe von über 4.000 EUR entstand. Seine Fahruntüchtigkeit hätte der Angeklagte nach Auffassung des LG bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen. Der Geschädigte hatte den Angeklagten nach dem Unfall angesprochen und gefragt, was denn passiert sei, er werde die Polizei rufen. Der Angeklagte reagierte zunächst nicht, wirkte im weiteren Gesprächsverlauf schläfrig und hatte eine langsame Aussprache. Er bat den Geschädigten davon abzusehen, die Polizei hinzuzuziehen, worauf sich dieser angesichts des oberflächlich nur leichten Schadens zunächst einließ. Der Angeklagte ermöglichte die Feststellung seiner Personalien, indem er seinen Personalausweis übergab. Als der Geschädigte mangels von ihm weiter erbetener Herausgabe eines Führerscheins durch den Angeklagten doch die Polizei einschalten wollte, fuhr dieser mit seinem Pkw davon. Wenig später wurde er an seiner Wohnanschrift am Steuer des Fahrzeugs sitzend von der Polizei angetroffen, nachdem er soeben einen Joint konsumiert hatte. Die Polizei eröffnete ihm, ohne Fahrerlaubnis gefahren zu sein, woraufhin er unsinnige Bemerkungen abgab wie „Ja, und wer bestimmt das? Wem gehört die Schwerkraft?“.

Dem BGH haben die Feststellungen des LG für eine Veurteilung nach § 315c StGB nicht gereicht bzw. sie seien nicht ausreichend „belegt“:

Nichts Besonderes, aber mal wieder ein „Reminder“.

„b) Diese auch den Schuldspruch nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB im Fall II.1 a) der Urteilsgründe tragenden Feststellungen hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei belegt.

aa) Anders als bei Alkohol kann der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf daher neben dem Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10; Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 Rn. 9; Urteil vom 15. April 2008 – 4 StR 639/07 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 3. November 1998 – 4 StR 395/98, BGHSt 44, 219, 221 ff.). Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2022 – 4 StR 231/22 Rn. 8; Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82, BGHSt 31, 42, 44 ff.).

bb) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Das Landgericht hat die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten allein mit „dem in der Hauptverhandlung verlesenen chemisch-toxikologischen Gutachten“ sowie „den bestätigenden glaubhaften Angaben“ des Geschädigten begründet, der den Angeklagten als schläfrig, langsam sprechend und reaktionsarm beschrieben habe. Diese Beweiswürdigung ist in mehrfacher Hinsicht unzureichend. Mangels Mitteilung des Ergebnisses des chemisch-toxikologischen Gutachtens und der ihm zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen ist ungeachtet der Zeugenaussage schon nicht in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise belegt, dass der insoweit nicht geständige Angeklagte unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand. Zudem wäre hinsichtlich des Blutwirkstoffbefundes zu bedenken gewesen, dass der Angeklagte den Feststellungen zufolge noch nach dem Tatgeschehen Cannabis konsumierte.

Darüber hinaus hätte die Strafkammer näher darlegen und begründen müssen, welche Beweisbedeutung sie dem insgesamt festgestellten Nachtatverhalten des Angeklagten für dessen betäubungsmittelbedingte Fahruntüchtigkeit beigemessen hat. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung hätte das Landgericht zudem bedenken müssen, ob auch die Fahrweise des Angeklagten auf seine relative Fahruntüchtigkeit schließen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10). Insbesondere mit den näheren Gegebenheiten des Unfallereignisses und seines Zustandekommens hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Dies wäre jedoch auch deshalb erforderlich gewesen, weil der Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB zugleich voraussetzt, dass die eingetretene Gefährdung gerade Folge der betäubungsmittelbedingten Fahruntüchtigkeit ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2016 – 4 StR 317/16 Rn. 2; Beschluss vom 11. Februar 2014 ? 4 StR 520/13)…..“

OWi I: Halter nicht automatisch Parkverstoßtäter, oder: Das ist keine „Revolution“, sondern h.M.

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Heute dann noch einmal OWi-Entscheidungen. Grund ist der BVerfG, Beschl. v. 17.05.2024 – 2 BvR 1457/23 -, der seit gestern ja über die Ticker läuft und heute dann auch in der Tagespresse angekommen ist.

Folgender, alltäglicher, Sachverhalt: Gegen den Betroffenen wird wegen eines Parkverstoßes eine Geldbuße in Höhe von 30 EUR festgesetzt. Der Betroffene legt Einspruch ein.  In der darauf stattfindenden Hauptverhandlung schweigt der Betroffene. Das AG verurteilt ihn. Im Urteil wird ausgeführt, der Betroffene habe geschwiegen. Die Feststellungen zur Person basierten auf den Angaben im Bußgeldbescheid, die der Betroffene bestätigt habe, und auf der verlesenen Auskunft des Fahreignungsregisters. Die Feststellungen zur Sache beruhten auf den verlesenen Angaben im Bußgeldbescheid, den Lichtbildern sowie dem Umstand, dass der Beschwerdeführer Halter des in Rede stehenden Fahrzeugs sei.

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, der damit begründet worden ist, dass der Rückschluss auf den Betroffenen als Nutzer des Fahrzeugs allein aus der Haltereigenschaft fehlerhaft sei, hat das OLG Köln mit Beschl. v. 12.9.2023 – III-1 ORbs 292/23 – als unbegründet verworfen. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, die Erfolg hatte:

„1. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot.

a) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den konkreten Fall sind zwar Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt jedoch unter anderem unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein solcher Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Von einer willkürlichen Missdeutung kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 74, 102 <127>; 83, 82 <84>; 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; stRspr). Dieser Maßstab gilt auch für die verfassungsrechtliche Überprüfung der von den Fachgerichten vorgenommenen Beweiswürdigung und der von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BVerfGE 4, 294 <297>; 96, 189 <203>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. März 2023 – 1 BvR 1620/22 -, Rn. 10 m.w.N.).

b) Gemessen daran verstößt das Amtsgericht mit der angegriffenen Entscheidung gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Willkürverbot. Das angegriffene Urteil enthält keinerlei Ansätze sachgerechter Feststellungen und Erwägungen zur Täterschaft des Beschwerdeführers, auf die bei einer Verurteilung nicht verzichtet werden kann.

Nach § 49 Abs. 1 Nr. 13 Variante 3 StVO handelt ordnungswidrig im Sinne des § 24 StVG, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über Parkscheiben nach § 13 Abs. 1 oder Abs. 2 StVO verstößt. Das Amtsgericht hat seine Feststellungen zur Sache allein auf die verlesenen Angaben im Bußgeldbescheid, auf Lichtbilder des Fahrzeugs sowie auf den Umstand gestützt, dass der Beschwerdeführer der Halter des in Rede stehenden Fahrzeugs sei. Damit hat das Amtsgericht zu dem Verkehrsverstoß, der dem Beschwerdeführer angelastet wird, in seiner Person weder ein aktives Tun noch ein Begehen durch Unterlassen festgestellt. Die Angaben im Bußgeldbescheid – wie auch die Lichtbilder, die allein das Fahrzeug des Beschwerdeführers zeigen – haben bezüglich der Frage, ob der Beschwerdeführer das Fahrzeug bei der bestimmten Fahrt auch tatsächlich geführt hat, keinerlei Aussagekraft. Der Beschwerdeführer hat zu dem ihn betreffenden ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorwurf geschwiegen. Auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer Halter des in Rede stehenden Pkws ist, darf bei Fehlen jedes weiteren Beweisanzeichens nicht auf dessen Täterschaft geschlossen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1993 – 2 BvR 843/93 -, juris, Rn. 12; BGHSt 25, 365 <367 ff.>; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 20. November 1973 – 2 Ss OWi 1374/73 -, NJW 1974, S. 249; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Februar 2020 – IV-2 RBs 1/20 -, juris, Rn. 5 ff.; Fromm, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2021, § 61 OWiG Rn. 1; Tiemann, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 261 StPO Rn. 57).“

Angesichts der dargestellten zwischenzeitlich einhelligen Auffassung in Literatur und fachgerichtlicher Rechtsprechung zum unzureichenden Beweiswert der Haltereigenschaft als solcher ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei sachgerechter Verfahrensweise und bei Zugrundelegung sachgerechter Erwägungen zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre.“

Ich kann die Aufregung nicht so ganz verstehen. Die „Bild“ meinte gestern, titeln zu müssen: „Neuer-Richter-Beschluss: Knöllchen-Revolution für alle Autorfahrer“. Geht es noch oder: Kann man mal bitte einen Gang zurückschalten. Denn was ist an dem Beschluss bzw. der Aussage des BVerfG „neu“ und was ist bitte die „Revolution“? „Revolution“ ist „ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt.“ Das sehe ich nun wirklich nicht. Das BVerfG rügt einen Verstoß gegen das Willkürverbot, nämlich das Abweichen von einer h.M., wonach allein die Haltereigenschaft nicht ausreicht, um die Täterschaft zu begründen. Das ist, wie die zitierte Rechtsprechung zeigt, nun wirklich nicht, neu. Also warum die Welle?

Ich kenne genügend andere Stellen, an denen das BVerfG eine „Revolution“ hätte beginnen können. Ich sage nur „Messverfahren“.

 

 

StPO I: EuGH – Verwertung von Encro-Chat? Ja, aber, oder: LG Kiel sieht keine Auswirkungen

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Und dann heute StPO-Entscheidungen – aus der Instanz. Na ja, fast 🙂

Ich erinnere. Das LB Berlin hatte mit dem LG Berlin, Beschl. v. 01.07.2021 – (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21); dem EuGH einige Fragen zur Verwertbarkeit der durch die EncroChat-Übewachung gewonnenen Ergebnisse vorgelegt (vgl. dazu Sondermeldung zur Verwertbarkeit von EncroChat, oder: Endlich Vorlage an den EuGH durch das LG Berlin.

Inzwischen hat sich, worüber ja auch schon an anderen Stellen berichtet worden ist, der EuGH zu den Voraussetzungen für die Übermittlung und Verwendung von Beweismitteln in grenzüberschreitenden Strafverfahren geäußert und die präzisiert. Dabei hat er die deutsche Rspr. bestätigt, wonach die Staatsanwalt Daten, die von ausländischen Behörden gewonnen werden, auch dann verwenden dürfen, wenn die Maßnahme in Deutschland nicht zulässig gewesen wäre (EUGH, Urt. v. 30.4.2024 – C-670/22).

Ich will hier jetzt nicht – die immer – ein wenig schwer lesbare Entscheidung des EuGH einstellen, sondern nur die Grundzüge der Entscheidung mtteilen, die sich etwa wie folgt zusammenfassen lassen:

  • Eine EAA, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats (hier: Frankreich) befinden, muss nicht notwendigerweise von einem Richter erlassen werden. Sie kann von einem StA erlassen werden, wenn dieser in einem rein innerstaatlichen Verfahren dafür zuständig ist, die Übermittlung bereits erhobener Beweise anzuordnen.
  • Der Erlass einer solchen EAA unterliegt denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen, wie sie für die Übermittlung ähnlicher Beweismittel bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt gelten. Es ist nicht erforderlich, dass er denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie für die Erhebung der Beweise gelten. Jedoch muss ein Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen diese Anordnung befasst ist, die Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen überprüfen können.
  • Der EuGH stellt außerdem klar, dass der Mitgliedstaat, in dem sich die Zielperson der Überwachung befindet, von einer mit der Infiltration von Endgeräten verbundenen Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes unterrichtet werden muss. Die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats hat dann die Möglichkeit, mitzuteilen, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist, wenn diese Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde.
  • Das nationale Strafgericht muss in einem Strafverfahren gegen eine Person, die der Begehung von Straftaten verdächtig ist, Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen, und wenn sie geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.

So traurig es ist: Aus der Entscheidung des EuGH  lässt sich wohl kein Beweisverwertungsverbot VV hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Und auf der Linie liegt dann auch gleich eine LG Entscheidung, und zwar der LG Kiel, Beschl. v. 08.05.2024 – 7 KLs 593 Js 18366/22 -, der weiterhin die Verwertbarkeit von Encrocaht bejaht:

„Auch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 30.04.2024 betreffend EncroChat lässt sich – entgegen den Ausführungen der Verteidigung in der Haftbeschwerde – kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung u.a. ausgeführt, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2014/41 nicht dem Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung entgegensteht, wenn die Integrität der durch die Überwachungsmaßnahme erlangten Daten wegen der Vertraulichkeit der technischen Grundlagen, die diese Maßnahme ermöglicht haben, nicht überprüft werden kann, sofern das Recht auf ein faires Verfahren im späteren Strafverfahren gewährleistet ist. Die Integrität der übermittelten Beweismittel kann grundsätzlich nur zu dem Zeitpunkt beurteilt werden, zu dem die zuständigen Behörden tatsächlich über die fraglichen Beweismittel verfügen (EuGH, Urt . v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 90). Darüber hinaus ist die Europäische Ermittlungsanordnung ein Instrument der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Sinne von Art. 82 Abs. 1 AEUV, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruht. Dieser Grundsatz, der den „Eckstein“ der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bildet, beruht seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen sowie auf der widerlegbaren Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhalten. Daraus folgt, dass die Anordnungsbehörde, wenn sie mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung um Übermittlung von Beweismitteln ersucht, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, nicht befugt ist, die Ordnungsmäßigkeit des gesonderten Verfahrens zu überprüfen, mit dem der Vollstreckungsmitgliedstaat die Beweise, um deren Übermittlung sie ersucht, erhoben hat. Insbesondere würde eine gegenteilige Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 in der Praxis zu einem komplexeren und weniger effizienten System führen, das dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel abträglich wäre (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 99 f.). In einem Strafverfahren im Anordnungsstaat ist bei der Bewertung. der mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung erlangten Beweismittel sicherzustellen, dass die Verteidigungsrechte gewahrt und ein faires Verfahren gewährleistet wird, was impliziert, dass ein Beweismittel, zu dem eine Partei nicht sachgerecht Stellung nehmen kann, vom Strafverfahren auszuschließen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az, C-670/22, Rn. 130).

Diese Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes sind auch auf die SkyECC-Daten übertragbar.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Verteidigungsrechte des Angeklagten gewahrt sind und ein faires Verfahren gewährleistet wird. Insbesondere *besteht für den Angeklagten die Möglichkeit zu sämtlichen vorliegenden Daten sachgerecht Stellung zu nehmen. Es liegen zudem die französischen Beschlüsse im Zusammenhang mit der Erhebung der SkyECC-Daten vor (SB französische Beschlüsse I und II), sodass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verfahrensbeteiligten nachprüfbar waren und sind. Hinsichtlich der Übereinstimmung der im‘ hiesigen Verfahren zu Grunde liegenden Daten mit den durch die französischen, Behörden übermittelten SkyECC-Daten hat die Kammer bereits Beweis erhoben durch Vernehmung des.Zeugen pp. des LKA .Kiel, u.a. über .dessen durchgeführten Datenabgleich. Danach ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Datenverfälschung in Deutschland. ‚Soweit es den französischen Bereich betrifft, gibt es ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die Daten fehlerhaft und inhaltlich verfälschend aufgezeichnet und ausgewertet worden sind. Widersprüche bei den Zahlen und sonstigen Datenwiedergaben sieht die Kammer nicht. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass die Chats die Kommunikation nicht lückenlos wiedergeben. Das hat sie berücksichtigt und wird es weiter berücksichtigen.“

Nach der EuGH-Entscheidung wird man sich fragen (müssen), ob eigentlich EncroChat noch ein „vernünftiger“ Verteidigungsansatz ist. Jedenfalls wird das Verteidigen mit EncroChat sicherlich nicht leichter.