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StGB II: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Rechtsmäßigkeit der Diensthandlung?

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Und im zweiten Posting dann der BayObLG, Beschl. v. 18.02.2025 – 204 StRR 43/25 – zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§§ 113, 114 StGB) und zur Rechtsmäßigkeit der Diensthandlung.

Der Angeklagte ist wegen  Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 Abs. 1 StGB) und mit Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) verurteilt. Das LG ist davon ausgegangen, dass der geschädigte Polizeibeamte POM K. eine rechtmäßige Diensthandlung im Sinne der §§ 113, 114 StGB vorgenommen hat. Dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte:

„a) Der Begriff der Diensthandlung erfasst alle gezielten Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung des bereits durch Gesetz, Verordnungen, Gerichtsbeschlüsse, Verwaltungsakte oder Allgemeinverfügungen festgelegten staatlichen Willens in einem konkreten Einzelfall (MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl. 2021, § 113 Rn. 11; Schönke/Schröder/Eser, StGB, 30. Aufl. 2019, § 113 Rn. 10). Die Tätigkeit des Organwalters (hier der genannte Polizeibeamte) muss erkennbar darauf abzielen, den durch sie für einen bestimmten Fall konkretisierten staatlichen Willen notfalls mit Mitteln des hoheitlichen Zwangs gegenüber bestimmten Personen durchzusetzen, so dass für die betroffenen Normadressaten eine Zwangslage zur Duldung des Eingriffs in ihre Rechtssphäre herbeigeführt wird (vgl. MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl. 2021, § 113 Rn. 11).

b) So liegt es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier:
Zusammengefasst lag danach dem Vorgehen des Polizeibeamten POM K., der zusammen mit dem PHM E. vor Ort war, zugrunde, dass der Zeuge G. auf dem Straßenbereich vor dem Anwesen V-Straße in N. mehrere Personen mit einem abgebrochenen Flaschenhals bedroht hatte. Nachdem diese Situation entschärft war, wollten die beiden Polizeibeamten die zur Verfolgung der Straftat notwendigen Feststellungen, insbesondere zur Person, treffen. Der Zeuge G. wollte sich dem entziehen, indem er in Richtung L-Straße davonrannte. Den beiden den Zeugen G. verfolgenden Beamten stellte sich die Angeklagte entgegen, um die polizeilichen Maßnahmen zu verhindern, und, nachdem der POM K. versucht hatte, die Angeklagte aus dem Weg zu schieben, stieß diese ihrerseits den POM K. weg. Um weitere Handlungen der Angeklagten zur Verhinderung der Identitätsfeststellung des Zeugen G. zu unterbinden, brachte POM K. die Angeklagte zu Boden und hielt sie fest, wobei diese sich dagegen wehrte und POM K. hierbei mit mindestens zwei Tritten am linken Kopfbereich traf, wodurch dieser Schmerzen im Bereich des Kopfes, der Ohren und des Kiefers verspürte und in der Folge mehrere Tage lang Schluckbeschwerden hatte.

c) Das Berufungsgericht geht aufgrund der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei von einer Vollstreckungstätigkeit im Sinne der §§ 113, 114 StGB. Die zur nachvollziehbaren rechtlichen Einordnung der Diensthandlung notwendigen Feststellungen nach ihrer Art, ihrem Zweck, der Ausführung und den Begleitumständen (OLG Hamm, Beschluss vom 25.02.2016 – III – 3 RVs 11/16 –, juris Rn. 6) sind vorliegend ausreichend getroffen.

Zu unterscheiden sind insoweit die Ausgangsmaßnahme, die sich gegen den Zeugen G. richtete, und die gegen die Angeklagte gerichtete Maßnahme der Festnahme.

aa) Die beiden Beamten PHM E. und POM K. waren hier repressiv tätig, weil sie zur Aufklärung einer Straftat (Bedrohung durch den Zeugen G.), deren Zeugen sie waren, tätig wurden, da sie die zur Verfolgung der Straftat notwendigen Feststellungen, insbesondere zur Person des Täters, treffen wollten und hierzu dessen Verfolgung aufnahmen, nachdem dieser davonrannte. Hierbei handelt es sich um eine rechtmäßige Maßnahme nach § 163b Abs. 1 StPO.

bb) Soweit die Angeklagte diese Maßnahme unterbinden wollte, indem sie sich POM K. in den Weg stellte und diesen sogar zurückstieß, war sie Störerin im Sinne des § 164 StPO (MüKoStPO/Kölbel/Neßeler, 2. Aufl. 2024, StPO § 164 Rn. 4; BeckOK StPO/El Duwaik, 54. Ed. 01.01.2025, StPO § 164 Rn. 5; HK-GS/Kai Ambos, 5. Aufl. 2022, StPO § 164 Rn. 3). Entsprechend § 164 StPO war POM K.auch berechtigt, die Angeklagte festzunehmen. Dies war vorliegend zur Verhinderung weiterer Handlungen der Angeklagten gegen die polizeilichen Maßnahmen gegen den Zeugen G. auch erforderlich, geeignet und angemessen (Verhältnismäßigkeit), nachdem die Angeklagte vorliegend durch aktives Tun (Wegstoßen des PHM K.) ihr Ziel verfolgte und sich durch das vorherige Aus-Dem Weg-Stoßen seitens POM K. nicht von der Durchführung weiterer Störungen hatte abbringen lassen.

cc) Hierzu durfte POM K. auch unmittelbaren körperlichen Zwang anwenden (MüKoStPO/Kölbel/Neßeler, 2. Aufl. 2024, StPO § 164 Rn. 7; BeckOK StPO/El Duwaik, 54. Ed. 01.01.2025, StPO § 164 Rn. 8; KK-StPO/Schmitt, 9. Aufl. 2023, StPO § 164 Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, 67. Auflage 2024, StPO § 164 Rn. 2), der vorliegend auch nicht angedroht werden musste.

(1) § 164 StPO bildet demnach nicht nur die Rechtsgrundlage für den dort bezeichneten Eingriff in die Bewegungsfreiheit der Angeklagten, sondern darüber hinaus auch die Grundlage für die mit der Festnahme verbundenen Vorbereitungs- und Vollziehungsmaßnahmen, soweit diese notwendig und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Mittel und Zweck angemessen sind (OLG Dresden, Beschluss vom 01.08.2001 – 3 Ss 25/01 –, juris Rn. 27 für eine Maßnahme nach § 81a StPO). Mit dieser Regelung des unmittelbaren Zwangs wird die Rechtsstellung der Angeklagten nicht verletzt. Sie wird vielmehr durch den mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geschützt, der für das gesamte öffentliche Recht, somit auch im Strafrecht, Geltung hat. Die Ausübung des unmittelbaren Zwangs hat sich daher in Wahl und Ausmaß des angewandten Mittels nach dem in der konkreten Situation Erforderlichen zu richten. Ein Übermaß an Gewalteinwirkung wäre hiernach rechtlich nicht gedeckt (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, 67. Auflage 2024, Einl., Rn. 20 ff.).

(2) Zur Einhaltung und Ausgestaltung dieser Grundsätze können in der Praxis – so wie es hier das Berufungsgericht durchgeführt hat – als Orientierungsmaßstab die für das jeweilige Handeln der besonderen Beamtengruppe erlassenen Vorschriften herangezogen werden, hier die Regelungen des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwangs (vgl. vom Rechtsgedanken her auch MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl. 2021, StGB § 113 Rn. 41; Fischer/Anstötz, 72. Auflage 2025, StGB § 113 Rn. 13 m.w.N.). Sie haben die Funktion, für typisierte Fallgestaltungen der polizeilichen Tätigkeit Mindesterfordernisse bei besonders belastenden Eingriffen zu gewährleisten. Sie sind somit regelmäßig die positiv-rechtliche Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Gemäß Art. 81 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes muss unmittelbarer Zwang vor seiner Anwendung angedroht werden. Nach Satz 2 der Vorschrift kann hiervon abgesehen werden, „wenn die Umstände sie nicht zulassen“, insbesondere wenn die sofortige Anwendung des Zwangsmittels zur Abwehr einer Gefahr notwendig ist.

Im Polizeirecht handelt es sich bei der Androhung des unmittelbaren Zwangs um eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens, wenn die Diensthandlung gerade in dessen Anwendung besteht. Das Erfordernis der Androhung ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und bezweckt, polizeiliche Zwangsmaßnahmen, die regelmäßig mit Gefahren für den Betroffenen und für den Polizeibeamten verbunden sind, möglichst zu vermeiden. Deshalb soll der jeweils Betroffene, der nicht bloßes Objekt einer hoheitlichen Maßnahme ist, durch die Androhung des Einsatzes unmittelbaren Zwangs vor dessen Einsatz den ganzen Ernst der Situation deutlich erkennen. Er soll damit — letztmalig — die Möglichkeit erhalten, sein Verhalten selbst zu korrigieren (OLG Dresden, Beschluss vom 01.08.2001 – 3 Ss 25/01 –, juris Rn. 28 ff.).

Eine Androhung des unmittelbaren Zwangs war vorliegend nicht notwendig. Die Kammer hat sich in ausreichender Weise mit der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes oder einer etwaigen Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit der vorherigen Androhung des unmittelbaren Zwangs auseinandergesetzt. In nicht zu beanstandender Weise ist sie zu dem Ergebnis gekommen, dass eine vorherige Androhung des unmittelbaren Zwangs nicht erforderlich war, weil eine Androhung aufgrund des bereits gezeigten Verhaltens der Angeklagten von vornherein keinen Erfolg versprach, nachdem diese sich bereits nicht durch ein erstes Wegstoßen von der Durchführung weiterer Störungsversuche abhalten ließ (BeckOK StPO/El Duwaik, 54. Ed. 01.01.2025, StPO § 164 Rn. 8; Erb in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 164 StPO Rn. 12).“

StGB III: Verbreiten kinderpornografischer Schriften, oder: AG Ahaus mit interessanter Beweiswürdigung

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Und dann habe ich noch das schon etwas ältere AG Ahaus, Urt. v. 10.11.2023 – 3 Ls 76/23, das ich wegen der interessanten Beweiswürdigung jetzt noch vorstelle.

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten das Zugänglichmachen kinderpornographischer Inhalte gemn. § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie den Besitz kinderpornographischer Inhalte gem. § 184b Abs. 3 StGB zur Last gelegt. Das AG hat den freigesprochen. Es hatte folgende Feststellungen getroffen

„Der Angeklagte soll zum einen am 14.06.2022 um 15:36 Uhr drei kinderpornographische Bilddateien in das Internet hochgeladen haben. Dabei soll es sich zweimal um ein Bild gehandelt haben, das ein ca. 8.10 Jahre altes Mädchen unbekleidet seitlich auf einem Bett liegend gezeigt habe, das mit einer Hand Po und Vagina gespreizt habe. Das dritte Bild soll ein Mädchen im gleichen Alter gezeigt haben, das unbekleidet auf dem Rücken im Bett gelegen haben soll und mit beiden Händen die Schamlippen weit auseinandergezogen haben soll. Zum anderen soll der Angeklagte am 18.10.2022 auf seinem Mobiltelefon der Marke Samsung ein kinderpornographisches Video besessen haben, auf dem ein ca. 4jähriger unbekleideter Junge auf einer sandigen Straße stehen soll. Eine kleine Ziege soll an seinem Genital geleckt haben.“

Zur Beweisaufnahme führt das AG aus:

„Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts lediglich fest, dass das National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC) in den USA dem LKA mitgeteilt hat, dass es am 14.06.2022 uni 15:36 Uhr erfahren haben will, dass von einer IP-Adresse, die zu diesem Zeitpunkt dem Angeklagten bzw. seiner im gleichen Haus lebenden Lebensgefährtin zuzuordnen war, drei Bilder mit dem vorgeworfenen Inhalt über Bing Image „upgeloaded“ worden sein sollen.

Zudem steht fest, dass das Video mit dem vorgeworfenen Inhalt am 18.10.2022 objektiv auf dem Mobiltelefon des Angeklagten vorhanden war.

Das Gericht konnte aber hinsichtlich des ersten Tatvorwurfs weder mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Angeklagte für diesen Upload verantwortlich war, noch, dass er die ihm vorgeworfenen Bilder überhaupt vorsätzlich oder nicht vorsätzlich im Internet heruntergeladen hat. Hinsichtlich des zweiten Tatvorwurfs konnte das Gericht nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen, dass dem Angeklagten das Vorhandensein des Videos auf seinem Mobiltelefon bewusst war.

Der Angeklagte hatte sich nicht zur Sache eingelassen. Die durchgeführte Beweisaufnahme hat nach Auffassung des AG dann aber nicht zu einem Tatnachweis geführt. Wegen der Einzelheiten der Würdigung verweise ich auf den Volltext. Sie lässt sich in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

1. Eine Verbreitenshandlung lässt sich nich allein dadurch feststellen, dass ein kinderpornographisches Bild lediglich über die Suchmaschine Bing-Image hochgeladen wird, da ein solcher Upload in technischer Hinsicht lediglich auf einen Microsoft-Server erfolgt. 

2. Zur Beweiswürdigung betreffend den bewussten Upload in Form der Suche eines selbst besessen Bildes.

Beweise I: Isolierte Wiedergabe der Zeugenaussagen, oder: Welche Angaben welches Zeugen für welche Tat?

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In die neue Woche geht es dann mit zwei Entscheidungen zur Beweiswürdigung.

Ich beginne mit dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 07.11.2024 – 1 Ss 33/24. Das LG hat den Angeklagten wegen wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Beleidigung  verurteilt. Dagegen die Revision, die mit der Sachrüge Erfolg hatte. Das OLG beanstandet die Beweiswürdigung des LG:

„a) Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO), dem allein es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen, so dass das Revisionsgericht die Würdigung der wesentlichen beweiserheblichen Umstände grundsätzlich hinnehmen muss (vgl. nur BGH NStZ 1991, 548 m.w.N.; NStZ-RR 2006, 82, 83; Senatsbeschlüsse vom 17. Februar 2022 – Ss 62/21 (1 Ss 1/22) –, 9. November 2022 – Ss 54/22 (37/22) und 4. November 2024 1 Ss 31/24 –). Das Revisionsgericht hat jedoch zu prüfen, ob dem Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht insbesondere dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 20. April 2021 – 1 StR 286/20 -, juris und vom 26. Januar 2021 – 1 StR 376/20 -, juris; Beschluss vom 14. April 2021 – 4 StR 91/21 -, juris, jeweils m.w.N.; Senatsbeschlüsse vom 4. März 2016 – Ss 11/2016 (10/16) -, vom 18. Mai 2016 – Ss 30/2016 (23/16) -, vom 29. November 2022 – Ss 54/22 (37/22) – und vom 4. November 2024 – 1 Ss 31/24 -).

b) Auch in Ansehung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wegen Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen (Tat Ziff. III.1. der Urteilsgründe) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, da den Urteilsgründen nicht zu entnehmen ist, worauf die Feststellung beruht, der Angeklagte habe sowohl dem Zeugen K.G. als auch den Zeugen M.G. und A.G. durch ein Herumfuchteln mit einem erhoben in der Hand getragenen Schirm in Aussicht gestellt, dass er sie damit schlagen werde (UA S. 4). Das Gericht beschränkt sich auf die isolierte Wiedergabe der Aussagen der vernommenen Zeugen, ohne darzulegen, welche Tatbestandsmerkmale des objektiven und subjektiven Tatbestands es jeweils aufgrund welcher Angaben welches Zeugen für verwirklicht hält. Wie es zur Annahme einer Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen gelangt, die voraussetzen würde, dass sämtliche Drohungsadressaten die Drohung wahrgenommen und deren Sinn verstanden haben (vgl. Eisele in: Schönke/ Schröder, StGB, 30. Aufl., § 241 Rn. 15; Sinn in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 241 Rn. 21), bleibt offen, nachdem keiner der unmittelbaren Tatzeugen Entsprechendes in der Hauptverhandlung bekundet hat. Insbesondere konnten sich weder der Zeuge M.G. (UA S. 13) noch der Zeuge A.G. (UA S. 13 f.) an eine solche Bedrohung erinnern. Der Zeuge K.G. (UA S. 14) hat außer von einem Einsatz des Schirms gegen die Polizei nur von einer Bedrohung zu seinem eigenen Nachteil berichtet. Allein die Angaben der als Vernehmungsbeamtin vernommenen und beim eigentlichen Tatgeschehen nicht anwesenden Zeugin Z. (UA S. 17 f.) belegen die Annahme einer Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen bereits deshalb nicht, weil die Aussagen der Zeugen M.G.K, K.G. und A.G. ihr gegenüber uneinheitlich waren, der Angeklagte nämlich nach Angaben des Zeugen M.G. mit dem Schirm bedrohlich auf alle drei Brüder losgegangen sein soll, während die beiden anderen Zeugen jeweils Bezeichnung seiner Person als „Scheißausländer“ nicht zu bestätigen (UA S. 16). Vielmehr hat er bekundet, der Angeklagten habe ihn als „Scheißkanake“ oder „Dreckskanake“, „vielleicht“ aber auch als „Scheißausländer“ oder „Drecksausländer“ beschimpft oder „alles davon“ gesagt. Es habe inzwischen so viele Vorfälle mit rassistischen Beleidigungen seitens des Angeklagten gegeben, dass es ihm schwerfalle, einzelne Wortlaute einzelnen Daten zuzuordnen.

c) Die rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wegen Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen führt hinsichtlich der Tat Ziff. III.1. der Urteilsgründe zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt, da die – für sich genommen im Schuldspruch rechtsfehlerfreie – tateinheitliche Verurteilung wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen aufgrund der vorliegenden Tateinheit isoliert keinen Bestand haben kann (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2005 – 2 StR 468/04 –, juris; Senatsbeschluss vom 4. November 2024 – 1 Ss 31/24 –; Franke in: Löwe- Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 353 Rn. 8). Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht auch die der für die Tat verhängten Einzelstrafe sowie des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

d) Der Aufhebung unterliegt auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung zum Nachteil des Zeugen M G (Ziff. III.2. der Urteilsgründe). Auch insoweit leidet das angefochtene Urteil an einem durchgreifenden Rechtsfehler. Die allein festgestellte Beleidigung des Zeugen als „Scheißausländer“ (UA S. 5) wird durch die Beweiswürdigung nicht belegt. Von der Möglichkeit einer alternativen Tatsachenfeststellung hat das Tatgericht keinen Gebrauch gemacht, und dem Revisionsgericht ist ein Eingriff in die Tatsachenfeststellungen ebenso verwehrt wie eine eigene Beweiswürdigung.

(2) Dass jede der weiteren von dem Zeugen erwogenen Bezeichnungen seiner Person den Tatbestand des § 185 StGB erfüllen würde, ist unerheblich, da das Tatgericht von der Möglichkeit einer alternativen Tatsachenfeststellung (vgl. hierzu Sander in: Löwe-Rosenberg, 27. Aufl., § 261 Rn. 225; Wenske in: MüKo-StPO, 2. Aufl., § 267 Rn. 121 f.) keinen Gebrauch gemacht, sondern allein die – nicht belegte – Bezeichnung des Zeugen als „Scheißausländer“ festgestellt und diese der Verurteilung des Angeklagten zu Grunde gelegt hat.“

StPO III: „zu breite Darstellung der …. Beweise“, oder: „Vernehmungen auf knapp 150 Seiten“ will BGH nicht

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Und dann zum Tagesschluss mal wieder eine Entscheidung des BGH, in der er die Beweiswürdigung des LG als zu umfangreich beanstandet.

Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen die Revision, die weitgehend ohne Erfolg geblieben ist.

Der BGH moniert im BGH, Beschl. v. 05.12.2024 – 2 StR 300/24 – aber wie folgt:

„2. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs und des Ausspruchs über die Einziehung des Mobiltelefons Samsung Duos ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

a) Den Feststellungen lässt sich trotz der weitschweifigen Ausführungen noch hinreichend entnehmen, durch welche bestimmten Tatsachen die gesetzlichen Merkmale des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erfüllt werden. Auch die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung noch stand, obwohl die Urteilsgründe ein Fehlverständnis des Landgerichts über den Bedeutungsgehalt von § 267 Abs. 1 bis 3 StPO nahelegen. Die Beweiswürdigung soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung enthalten, sondern lediglich belegen, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2024 – 5 StR 401/24, Rn. 20). Es ist daher regelmäßig verfehlt, vollständig verschriftete audiovisuelle Vernehmungen (hier des Mitangeklagten auf knapp 150 Seiten) in den Urteilsgründen darzustellen. Im konkreten Fall besorgt der Senat freilich noch nicht, der Tatrichter sei davon ausgegangen, eine breite Darstellung der erhobenen Beweise könne die gebotene eigenverantwortliche Würdigung ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 – 2 StR 156/21, Rn. 3 mwN).

StPO II: Behandlung der Wahrunterstellung im Urteil, oder: Vertrauen auf Zusage

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Und dann als zweite Entscheidung (noch einmal) den BayObLG, Beschl. v. 12.11.2024 – 203 StRR 250/24, den ich bereits einmal vorgestellt habe (vgl. Klimaaktivisten: Straßenblockade als Nötigung, oder: Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH).

Heute geht es um eine verfahrensrechtliche Frage, die das BayObLG auch entschieden hat. Mit den Verfahrensrügen war nämlich auch die falsche Behandlung von Wahrunterstellungen gerügt worden. Ohne Erfolg:

„1. Die formellen Rügen greifen nicht durch. Das Berufungsgericht hat sich nicht in Widerspruch zu den erfolgten Wahrunterstellungen gesetzt.

a) Das Gericht muss bei der Urteilsfindung die Zusage, eine bestimmte Behauptung zugunsten des Angeklagten als wahr zu behandeln, einlösen. Es darf sich mit einer – bis zum Schluss der Verhandlung unwiderrufen gebliebenen – Wahrunterstellung nicht in Widerspruch setzen, gleichgültig, worauf sie beruht. Der Angeklagte kann grundsätzlich auf die Einhaltung einer solchen Zusage vertrauen und danach seine Verteidigung einrichten. In diesem berechtigten Vertrauen wird er enttäuscht, wenn das Urteil die Wahrunterstellung außer Acht lässt (BGH, Urteil vom 06.07.1983 – 2 StR 222/83, juris, Rn. 22).

Gegenstand der Wahrunterstellung sind zur Entlastung des Angeklagten behauptete Tatsachen. Das Gericht muss aber aus den als wahr unterstellten Angaben nicht die vom Angeklagten angestrebten Schlussfolgerungen ziehen (BGH, Urteil vom 28.02.2013 – 4 StR 357/12, juris, Rn. 12 m.N.). Der Tatrichter braucht den Angeklagten auch in der Regel nicht vom Wechsel der Bewertung einer Beweisbehauptung zu unterrichten, wenn eine als wahr unterstellte Indiztatsache sich nach dem Ergebnis der Urteilsberatung als bedeutungslos erweist (BGH, a.a.O.).

b) Im vorliegenden Fall referiert das Landgericht die Zielsetzungen der Angeklagten in der Wiedergabe ihrer Einlassungen. Sie stimmen mit den Feststellungen überein, dass für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der bis 21.02.2022 reichenden Frist zum Erlass eines „Essen-Retten-Gesetzes“ Störungen unter anderem durch Blockaden von Hauptverkehrsadern angekündigt waren und bei der Aktion Transparente mit den Aufschriften „Essen retten – Leben retten“ und „Aufstand der letzten Generation“ gezeigt wurden. Diese Ziele erwähnt es auch wieder im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung, lehnt dort aber eine Berücksichtigung der Fernziele in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung ab und stellt sie bei der Strafzumessung als zugunsten der Angeklagten wirkende Umstände ein.

c) Das Landgericht hält sich damit im Rahmen der Wahrunterstellung zum Beweisantrag Nr. 1. Dass es die Richtigkeit des Vortrags der Angeklagten zur Realität und Dringlichkeit des Klimawandels als wahr unterstellt hat, führt nicht dazu, dass es die Tatsachen auch im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung als rechtlich bedeutsam zugrunde legen musste. Dies kam für die Angeklagten im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht überraschend. Dieses hat in seiner Entscheidung vom 07.03.2011 – 1 BvR 388/05 ausgeführt, dass dem Strafgericht keine Bewertung zustehe, ob es das kommunikative Anliegen der Demonstranten als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt (juris, Rn. 39). Es liegt ferner kein Fall vor, in dem die als wahr unterstellten Tatsachen nachträglich als bedeutungslos behandelt worden wären, weil sie bei der Strafzumessung berücksichtigt wurden. Eine Hinweispflicht des Gerichts unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens war damit ebenfalls nicht gegeben.

d) Hinsichtlich des Beweisantrags Nr. 2 liegt in der Wahrunterstellung ebenfalls nicht die Zusage einer bestimmten rechtlichen Bewertung. Das Landgericht setzt sich mit seinen rechtlichen Ausführungen nicht in Widerspruch zu den als wahr unterstellten Tatsachen, insbesondere nicht zu der Behauptung, ziviler Ungehorsam wirke bei der Herbeiführung gesellschaftlicher Veränderungen effektiver als andere Formen von Einwirkungsmöglichkeiten wie unter anderem Versammlungen oder Demonstrationen.

In Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht hat das Landgericht eine Rechtfertigung durch einen Rechtfertigungsgrund des zivilen Ungehorsams verneint. Danach reicht auch die Anerkennung des Konzepts, das ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung zu begegnen, für gerechtfertigt hält, nicht aus, um gezielte und bezweckte Verkehrsbehinderungen durch Sitzblockaden als rechtmäßig zu legitimieren und es den staatlichen Organen zu verwehren, sie als ordnungswidrig oder strafbar zu behandeln. Das kann zumindest dann nicht in Betracht kommen, wenn Aktionen des zivilen Ungehorsams wie bei Verkehrsbehinderungen in die Rechte Dritter eingreifen, die ihrerseits unter Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts als Instrument zur Erzwingung öffentlicher Aufmerksamkeit benutzt werden (BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 – 1 BvR 713/83, juris, Rn. 91, 93; BayObLG, Beschluss vom 21.04.2023 – 205 StRR 63/23). Dies steht nicht im Widerspruch zu den als wahr unterstellten Behauptungen des Beweisantrags Nr. 2, sondern besagt, dass das – unterstellt effektivere Mittel – aus rechtlichen Gründen nicht eingesetzt werden darf.

Gleiches gilt für die Ausführungen des Landgerichts zu § 34 StGB. Dass ziviler Ungehorsam ein effektiveres Mittel zur Herbeiführung erstrebter gesellschaftlicher Veränderungen ist, schließt nicht aus, dass unter rechtlichen Gesichtspunkten – in diesem Fall der Erforderlichkeit und der Angemessenheit (vgl. BayObLG, Beschluss vom 21.04.2023 – 205 StRR 63/23) – andere, mit geringeren Eingriffen verbundene Maßnahmen Vorrang vor diesem Mittel haben.“