Archiv der Kategorie: Beweiswürdigung

Beweise I: Isolierte Wiedergabe der Zeugenaussagen, oder: Welche Angaben welches Zeugen für welche Tat?

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In die neue Woche geht es dann mit zwei Entscheidungen zur Beweiswürdigung.

Ich beginne mit dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 07.11.2024 – 1 Ss 33/24. Das LG hat den Angeklagten wegen wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Beleidigung  verurteilt. Dagegen die Revision, die mit der Sachrüge Erfolg hatte. Das OLG beanstandet die Beweiswürdigung des LG:

„a) Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO), dem allein es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen, so dass das Revisionsgericht die Würdigung der wesentlichen beweiserheblichen Umstände grundsätzlich hinnehmen muss (vgl. nur BGH NStZ 1991, 548 m.w.N.; NStZ-RR 2006, 82, 83; Senatsbeschlüsse vom 17. Februar 2022 – Ss 62/21 (1 Ss 1/22) –, 9. November 2022 – Ss 54/22 (37/22) und 4. November 2024 1 Ss 31/24 –). Das Revisionsgericht hat jedoch zu prüfen, ob dem Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht insbesondere dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 20. April 2021 – 1 StR 286/20 -, juris und vom 26. Januar 2021 – 1 StR 376/20 -, juris; Beschluss vom 14. April 2021 – 4 StR 91/21 -, juris, jeweils m.w.N.; Senatsbeschlüsse vom 4. März 2016 – Ss 11/2016 (10/16) -, vom 18. Mai 2016 – Ss 30/2016 (23/16) -, vom 29. November 2022 – Ss 54/22 (37/22) – und vom 4. November 2024 – 1 Ss 31/24 -).

b) Auch in Ansehung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wegen Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen (Tat Ziff. III.1. der Urteilsgründe) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, da den Urteilsgründen nicht zu entnehmen ist, worauf die Feststellung beruht, der Angeklagte habe sowohl dem Zeugen K.G. als auch den Zeugen M.G. und A.G. durch ein Herumfuchteln mit einem erhoben in der Hand getragenen Schirm in Aussicht gestellt, dass er sie damit schlagen werde (UA S. 4). Das Gericht beschränkt sich auf die isolierte Wiedergabe der Aussagen der vernommenen Zeugen, ohne darzulegen, welche Tatbestandsmerkmale des objektiven und subjektiven Tatbestands es jeweils aufgrund welcher Angaben welches Zeugen für verwirklicht hält. Wie es zur Annahme einer Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen gelangt, die voraussetzen würde, dass sämtliche Drohungsadressaten die Drohung wahrgenommen und deren Sinn verstanden haben (vgl. Eisele in: Schönke/ Schröder, StGB, 30. Aufl., § 241 Rn. 15; Sinn in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 241 Rn. 21), bleibt offen, nachdem keiner der unmittelbaren Tatzeugen Entsprechendes in der Hauptverhandlung bekundet hat. Insbesondere konnten sich weder der Zeuge M.G. (UA S. 13) noch der Zeuge A.G. (UA S. 13 f.) an eine solche Bedrohung erinnern. Der Zeuge K.G. (UA S. 14) hat außer von einem Einsatz des Schirms gegen die Polizei nur von einer Bedrohung zu seinem eigenen Nachteil berichtet. Allein die Angaben der als Vernehmungsbeamtin vernommenen und beim eigentlichen Tatgeschehen nicht anwesenden Zeugin Z. (UA S. 17 f.) belegen die Annahme einer Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen bereits deshalb nicht, weil die Aussagen der Zeugen M.G.K, K.G. und A.G. ihr gegenüber uneinheitlich waren, der Angeklagte nämlich nach Angaben des Zeugen M.G. mit dem Schirm bedrohlich auf alle drei Brüder losgegangen sein soll, während die beiden anderen Zeugen jeweils Bezeichnung seiner Person als „Scheißausländer“ nicht zu bestätigen (UA S. 16). Vielmehr hat er bekundet, der Angeklagten habe ihn als „Scheißkanake“ oder „Dreckskanake“, „vielleicht“ aber auch als „Scheißausländer“ oder „Drecksausländer“ beschimpft oder „alles davon“ gesagt. Es habe inzwischen so viele Vorfälle mit rassistischen Beleidigungen seitens des Angeklagten gegeben, dass es ihm schwerfalle, einzelne Wortlaute einzelnen Daten zuzuordnen.

c) Die rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wegen Bedrohung in drei tateinheitlichen Fällen führt hinsichtlich der Tat Ziff. III.1. der Urteilsgründe zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt, da die – für sich genommen im Schuldspruch rechtsfehlerfreie – tateinheitliche Verurteilung wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen aufgrund der vorliegenden Tateinheit isoliert keinen Bestand haben kann (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2005 – 2 StR 468/04 –, juris; Senatsbeschluss vom 4. November 2024 – 1 Ss 31/24 –; Franke in: Löwe- Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 353 Rn. 8). Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht auch die der für die Tat verhängten Einzelstrafe sowie des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

d) Der Aufhebung unterliegt auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung zum Nachteil des Zeugen M G (Ziff. III.2. der Urteilsgründe). Auch insoweit leidet das angefochtene Urteil an einem durchgreifenden Rechtsfehler. Die allein festgestellte Beleidigung des Zeugen als „Scheißausländer“ (UA S. 5) wird durch die Beweiswürdigung nicht belegt. Von der Möglichkeit einer alternativen Tatsachenfeststellung hat das Tatgericht keinen Gebrauch gemacht, und dem Revisionsgericht ist ein Eingriff in die Tatsachenfeststellungen ebenso verwehrt wie eine eigene Beweiswürdigung.

(2) Dass jede der weiteren von dem Zeugen erwogenen Bezeichnungen seiner Person den Tatbestand des § 185 StGB erfüllen würde, ist unerheblich, da das Tatgericht von der Möglichkeit einer alternativen Tatsachenfeststellung (vgl. hierzu Sander in: Löwe-Rosenberg, 27. Aufl., § 261 Rn. 225; Wenske in: MüKo-StPO, 2. Aufl., § 267 Rn. 121 f.) keinen Gebrauch gemacht, sondern allein die – nicht belegte – Bezeichnung des Zeugen als „Scheißausländer“ festgestellt und diese der Verurteilung des Angeklagten zu Grunde gelegt hat.“

StPO III: „zu breite Darstellung der …. Beweise“, oder: „Vernehmungen auf knapp 150 Seiten“ will BGH nicht

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Und dann zum Tagesschluss mal wieder eine Entscheidung des BGH, in der er die Beweiswürdigung des LG als zu umfangreich beanstandet.

Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen die Revision, die weitgehend ohne Erfolg geblieben ist.

Der BGH moniert im BGH, Beschl. v. 05.12.2024 – 2 StR 300/24 – aber wie folgt:

„2. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs und des Ausspruchs über die Einziehung des Mobiltelefons Samsung Duos ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

a) Den Feststellungen lässt sich trotz der weitschweifigen Ausführungen noch hinreichend entnehmen, durch welche bestimmten Tatsachen die gesetzlichen Merkmale des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erfüllt werden. Auch die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung noch stand, obwohl die Urteilsgründe ein Fehlverständnis des Landgerichts über den Bedeutungsgehalt von § 267 Abs. 1 bis 3 StPO nahelegen. Die Beweiswürdigung soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung enthalten, sondern lediglich belegen, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2024 – 5 StR 401/24, Rn. 20). Es ist daher regelmäßig verfehlt, vollständig verschriftete audiovisuelle Vernehmungen (hier des Mitangeklagten auf knapp 150 Seiten) in den Urteilsgründen darzustellen. Im konkreten Fall besorgt der Senat freilich noch nicht, der Tatrichter sei davon ausgegangen, eine breite Darstellung der erhobenen Beweise könne die gebotene eigenverantwortliche Würdigung ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 – 2 StR 156/21, Rn. 3 mwN).

StPO II: Behandlung der Wahrunterstellung im Urteil, oder: Vertrauen auf Zusage

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Und dann als zweite Entscheidung (noch einmal) den BayObLG, Beschl. v. 12.11.2024 – 203 StRR 250/24, den ich bereits einmal vorgestellt habe (vgl. Klimaaktivisten: Straßenblockade als Nötigung, oder: Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH).

Heute geht es um eine verfahrensrechtliche Frage, die das BayObLG auch entschieden hat. Mit den Verfahrensrügen war nämlich auch die falsche Behandlung von Wahrunterstellungen gerügt worden. Ohne Erfolg:

„1. Die formellen Rügen greifen nicht durch. Das Berufungsgericht hat sich nicht in Widerspruch zu den erfolgten Wahrunterstellungen gesetzt.

a) Das Gericht muss bei der Urteilsfindung die Zusage, eine bestimmte Behauptung zugunsten des Angeklagten als wahr zu behandeln, einlösen. Es darf sich mit einer – bis zum Schluss der Verhandlung unwiderrufen gebliebenen – Wahrunterstellung nicht in Widerspruch setzen, gleichgültig, worauf sie beruht. Der Angeklagte kann grundsätzlich auf die Einhaltung einer solchen Zusage vertrauen und danach seine Verteidigung einrichten. In diesem berechtigten Vertrauen wird er enttäuscht, wenn das Urteil die Wahrunterstellung außer Acht lässt (BGH, Urteil vom 06.07.1983 – 2 StR 222/83, juris, Rn. 22).

Gegenstand der Wahrunterstellung sind zur Entlastung des Angeklagten behauptete Tatsachen. Das Gericht muss aber aus den als wahr unterstellten Angaben nicht die vom Angeklagten angestrebten Schlussfolgerungen ziehen (BGH, Urteil vom 28.02.2013 – 4 StR 357/12, juris, Rn. 12 m.N.). Der Tatrichter braucht den Angeklagten auch in der Regel nicht vom Wechsel der Bewertung einer Beweisbehauptung zu unterrichten, wenn eine als wahr unterstellte Indiztatsache sich nach dem Ergebnis der Urteilsberatung als bedeutungslos erweist (BGH, a.a.O.).

b) Im vorliegenden Fall referiert das Landgericht die Zielsetzungen der Angeklagten in der Wiedergabe ihrer Einlassungen. Sie stimmen mit den Feststellungen überein, dass für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der bis 21.02.2022 reichenden Frist zum Erlass eines „Essen-Retten-Gesetzes“ Störungen unter anderem durch Blockaden von Hauptverkehrsadern angekündigt waren und bei der Aktion Transparente mit den Aufschriften „Essen retten – Leben retten“ und „Aufstand der letzten Generation“ gezeigt wurden. Diese Ziele erwähnt es auch wieder im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung, lehnt dort aber eine Berücksichtigung der Fernziele in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung ab und stellt sie bei der Strafzumessung als zugunsten der Angeklagten wirkende Umstände ein.

c) Das Landgericht hält sich damit im Rahmen der Wahrunterstellung zum Beweisantrag Nr. 1. Dass es die Richtigkeit des Vortrags der Angeklagten zur Realität und Dringlichkeit des Klimawandels als wahr unterstellt hat, führt nicht dazu, dass es die Tatsachen auch im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung als rechtlich bedeutsam zugrunde legen musste. Dies kam für die Angeklagten im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht überraschend. Dieses hat in seiner Entscheidung vom 07.03.2011 – 1 BvR 388/05 ausgeführt, dass dem Strafgericht keine Bewertung zustehe, ob es das kommunikative Anliegen der Demonstranten als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt (juris, Rn. 39). Es liegt ferner kein Fall vor, in dem die als wahr unterstellten Tatsachen nachträglich als bedeutungslos behandelt worden wären, weil sie bei der Strafzumessung berücksichtigt wurden. Eine Hinweispflicht des Gerichts unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens war damit ebenfalls nicht gegeben.

d) Hinsichtlich des Beweisantrags Nr. 2 liegt in der Wahrunterstellung ebenfalls nicht die Zusage einer bestimmten rechtlichen Bewertung. Das Landgericht setzt sich mit seinen rechtlichen Ausführungen nicht in Widerspruch zu den als wahr unterstellten Tatsachen, insbesondere nicht zu der Behauptung, ziviler Ungehorsam wirke bei der Herbeiführung gesellschaftlicher Veränderungen effektiver als andere Formen von Einwirkungsmöglichkeiten wie unter anderem Versammlungen oder Demonstrationen.

In Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht hat das Landgericht eine Rechtfertigung durch einen Rechtfertigungsgrund des zivilen Ungehorsams verneint. Danach reicht auch die Anerkennung des Konzepts, das ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung zu begegnen, für gerechtfertigt hält, nicht aus, um gezielte und bezweckte Verkehrsbehinderungen durch Sitzblockaden als rechtmäßig zu legitimieren und es den staatlichen Organen zu verwehren, sie als ordnungswidrig oder strafbar zu behandeln. Das kann zumindest dann nicht in Betracht kommen, wenn Aktionen des zivilen Ungehorsams wie bei Verkehrsbehinderungen in die Rechte Dritter eingreifen, die ihrerseits unter Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts als Instrument zur Erzwingung öffentlicher Aufmerksamkeit benutzt werden (BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 – 1 BvR 713/83, juris, Rn. 91, 93; BayObLG, Beschluss vom 21.04.2023 – 205 StRR 63/23). Dies steht nicht im Widerspruch zu den als wahr unterstellten Behauptungen des Beweisantrags Nr. 2, sondern besagt, dass das – unterstellt effektivere Mittel – aus rechtlichen Gründen nicht eingesetzt werden darf.

Gleiches gilt für die Ausführungen des Landgerichts zu § 34 StGB. Dass ziviler Ungehorsam ein effektiveres Mittel zur Herbeiführung erstrebter gesellschaftlicher Veränderungen ist, schließt nicht aus, dass unter rechtlichen Gesichtspunkten – in diesem Fall der Erforderlichkeit und der Angemessenheit (vgl. BayObLG, Beschluss vom 21.04.2023 – 205 StRR 63/23) – andere, mit geringeren Eingriffen verbundene Maßnahmen Vorrang vor diesem Mittel haben.“

StPO II: BGH-Beweiswürdigung in EncroChat-Fällen, oder: BGH-Beweiswürdigung mit DNA-Gutachten

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Und dann im zweiten Posting zwei Entscheidungen zur Beweiswürdigung.

Zunächst das BGH, Urt. v. 18.11.2024 – 5 StR 348/24. Der BGH ist bei einem Freispruch mit der Beweiswürdigung des Strafkammer betreffend Erkenntnisse aus einer EncroChat-Überwachung nicht einverstanden. Er hat daher aufgehoben und zurückverwiesen. Er beanstandet in der Entscheidung, dass „das Landgericht …. sich jedes Indiz lediglich einzeln vor Augen geführt und durch eine isolierte Abhandlung vorschnell entwertet (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2022 – 5 StR 309/22 Rn. 15 mwN) [hat]. Bedeutung erlangen Indizien aber gerade durch die Zusammenschau mit anderen Indizien und nicht nur bei gesonderter Betrachtung (vgl. BGH, Urteile vom 1. Februar 2024 – 5 StR 419/23 Rn. 19; vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14 , NStZ-RR 2015, 83).

In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 05.06.2024 – 2 StR 397/23 – geht es noch einmal um ein DNA-Gutachten im Rahmen der Beweiswürdigung:

„a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten insbesondere auf die „ohne Zweifel“ dem Angeklagten „zuzurechnen(de)“ DNA-Spur gestützt, die vom rechten Schultergurt des vom Täter im Fall II. 3. der Urteilsgründe zurückgelassenen Rucksacks gesichert werden konnte. „Darüber hinaus wurde keine weitere DNA gefunden und eine andere Erklärung als die, dass der Angeklagte, der keine Handschuhe trug […], den Rucksack an dem rechten Riemen angefasst und angezogen bzw. ausgezogen hat, ist nicht ersichtlich“.

b) Die Darstellung der Ergebnisse der molekulargenetischen Gutachten entspricht nicht den Anforderungen, die der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung daran stellt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, 188 ff. mwN).

Den Urteilsgründen lässt sich schon nicht entnehmen, ob es sich bei der am rechten Schultergurt des Rucksacks gefundenen Spur um eine Einzel- oder eine Mischspur handelt. Der Umstand, dass an beiden Schultergurten auch DNA des Mitangeklagten K. gefunden wurde, deutet vielmehr darauf hin, dass es sich um eine Mischspur handelt.

Während bei Einzelspuren jedenfalls das Gutachtenergebnis in Form einer numerischen biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage mitgeteilt werden muss, woran es hier fehlt, ist bei Mischspuren grundsätzlich darzulegen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer anderen Person zu erwarten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. August 2018 ? 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, 188 f., und vom 13. Februar 2024 – 4 StR 353/23, Rn. 5, jeweils mwN). Daran fehlt es ebenfalls. Die bloße Feststellung, dass die Spur „ohne Zweifel“ dem Angeklagten zuzurechnen ist, genügt in keinem Fall.

3. Der Senat kann angesichts der begrenzten Aussagekraft der übrigen Beweisanzeichen nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, zumal der Angeklagte in seiner in den Urteilsgründen wiedergegebenen polizeilichen Vernehmung auf Vorhalt der DNA-Analyse lediglich allgemein einen Aufenthalt beim Mitangeklagten K. als denkbare Erklärung einer (sekun-dären) Spurenverursachung eingeräumt hat, womit sich die Strafkammer im Sinne eines Alternativszenarios allerdings erkennbar nicht befasst.“

OWi II: Urteil beim qualifizierten Rotlichtverstoß, oder: Besonderheiten bei Messung mit Traffipax Traffiphot III

Im zweiten Posting geht es dann um den OLG Köln, Beschl. v. 29.11.2024 – III 1 ORBs 280/24. Der nimmt zu den Anforderungen an die Urteilsgründe Stellung, wenn die Messung bei einem sog. qualifizierten Roltichtverstoß mit Traffipax Traffiphot III erfolgt ist.

Nach den Feststellungen hatte die Betroffene einen qualifizierten Rotlichtverstoß begangen, indem sie mit ihrem Pkw innerorts trotz einer Rotlichtzeit von 1,01 s zunächst die Haltelinie und anschließend die Kreuzung überquerte. Das OLG hat die Feststellungen des AG als lückenhaft beanstandet und aufgehoben und zurückverwiesen:

„Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass der vom Amtsgericht festgestellte qualifizierte Rotlichtverstoß im Sinne von §§ 37 Abs. 2, 49 StVO, 4 Abs. 1 BKatV i.V.m. Nr. 132.3 BKat frei von Rechtsfehlern festgestellt worden ist. Hinsichtlich der Annahme, das Rotlicht habe bereits „länger als 1 Sekunde“ angedauert, ist die Beweiswürdigung lückenhaft.

Allerdings geht das Amtsgericht im Ausgangspunkt zu Recht davon aus, dass es sich bei der automatischen Rotlichtüberwachung um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 49).

In einem solchen Fall kann sich das Urteil im Grundsatz, wie allgemein beim Einsatz standardisierter Messverfahren, auf die Angabe des verwendeten Gerätetyps und des gewonnenen Messergebnisses sowie etwaig zu beachtender Toleranzwerte beschränken (vgl. OLG Hamm BeckRS 2006, 15059; OLG Braunschweig NJW 2007, 391; OLG Bremen NZV 2010, 42; OLG Schleswig ZfS 2014, 413; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 127656; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 8920; OLG Karlsruhe BeckRS 2024, 11920). Näherer Darlegungen über die Messmethode und deren technische Zuverlässigkeit bedarf es damit grundsätzlich nicht, um dem Rechtsmittel-gericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen worden sind (vgl. BGH NJW 1993, 3081).

Das Amtsgericht benennt in den Urteilsgründen auch wesentliche Anknüpfungstatsachen, indem die Dauer des Gelblichts, das Vorhandensein einer Haltelinie und zweier Induktionsschleifen, der Abstand zwischen der Haltelinie und der ersten Induktions-schleife, der Abstand zwischen der ersten und der zweiten Induktionsschleife und die gestoppten Rotlichtzeiten mitgeteilt werden (vgl. zum Erfordernis der Mitteilung von Anknüpfungstatsachen: OLG Hamm BeckRS 2006, 15059; OLG Karlsruhe NZV 2009, 201; OLG Schleswig ZfS 2014, 413; OLG Dresden, BeckRS 2017, 157846; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 127656; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 8920; OLG Karlsruhe BeckRS 2024, 11920; vgl. auch Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 49). Zudem wird die Tatörtlichkeit hinsichtlich der Wechsellichtzeichenanlage und der verkehrstechnischen Gestaltung des Verkehrsbereiches beschrieben; auf die Skizzen Bl. 29 f. d. A. wird in zulässiger Weise Bezug genommen.

Indes ist die Rotlichtzeit von der Anlage Traffipax Traffiphot III nicht direkt an der Haltelinie gemessen worden. Das erste Beweisfoto mit der ersten gemessenen Rotlichtzeit wurde vielmehr erst beim Überfahren der ersten Induktionsschleife ausgelöst. Da es aber für den Beginn der Rotlichtdauer auf das Überfahren der Haltelinie ankommt (SenE v. 21.08.1998 – Ss 378/98 = BeckRS 1998, 155014; SenE v. 22.05.2003 – Ss 198/03; Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 50 m.w.N.), stellt die auf dem ersten Foto eingeblendete Rotlichtzeit nicht die vorwerfbare Rotzeit dar. Das maßgebliche Überfahren der Haltelinie erfolgte zu einem früheren Zeitpunkt. Vor diesem Hintergrund muss die Zeit zwischen Überschreiten der Haltelinie und dem Erreichen des ersten Messpunkts abgezogen werden, um den betroffenen Fahrzeugführer nicht zu benachteiligen.

Während einige Rotlichtüberwachungsanlagen die vorzuwerfende Rotzeit automatisch (geräteintern) berücksichtigen, ist bei Rotlichtüberwachungen älterer Bauart in aller Regel eine manuelle Rückrechnung der gemessenen Rotzeit in Bezug auf den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie vorzunehmen (SenE v. 21.08.1998 – Ss 378/98 = BeckRS 1998, 155014; OLG Braunschweig NJW 2007, 391; Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1581 u. 1584; Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 48).

Auch bei der hier verwendeten Rotlichtüberwachungsanlage Traffipax Traffiphot III ist die Fahrzeit von der angezeigten Rotzeit zu subtrahieren, die das Fahrzeug vom Überfahren der Haltelinie bis zu der Position benötigt, die auf dem ersten Messfoto abgebildet ist (vgl. Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 48; Löhle/Beck DAR 2000, 1 [4]). Sie gehört zu den Anlagen ohne automatische Berechnung der vorwerfbaren Rotzeit (Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1589 ff., 1599). Das Auswerteverfahren ist nicht Bestandteil der Innerstaatlichen Bauartzulassung. Die Berechnungen haben sich an den konkreten Gegebenheiten zu orientieren (Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1599).

Sind – wie hier – zwei Induktionsschleifen vorhanden, durch die zwei Beweisfotos ausgelöst werden, besteht die Möglichkeit, die von dem Betroffenenfahrzeug zwischen den beiden Aufnahmen gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit des Fahrzeugs zu berechnen. Mit Hilfe der errechneten mittleren Geschwindigkeit des Fahrzeugs lässt sich die Zeit berechnen, die der Betroffene für das Zurücklegen der Strecke ab dem Überfahren der Haltelinie bis zum Auslösen des ersten Rotlichtfotos benötigt hat. Diese Zeit ist von der auf dem ersten Foto eingeblendeten Rotlichtzeit abzuziehen, um die rechtlich relevante vorwerfbare Rotlichtzeit zu erhalten. Durch eine solche Weg-Zeit-Berechnung kann – auf der Grundlage einer rekonstruierten Geschwindigkeit – ausgerechnet werden, wann die Haltelinie passiert wurde (vgl. OLG Hamm BeckRS 2006, 15059; OLG Braunschweig, NJW 2007, 391; OLG Dresden, BeckRS 2017, 157846; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 127656; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 8920; zur Rückrechnung näher Löhle/Beck, DAR 2000, 1 ff.). Die beschriebene Art der Berechnung geht dabei davon aus, dass das Fahrzeug mit gleichbleibender Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren ist.

Die Rückrechnung der vorwerfbaren Rotlichtzeit muss nachvollziehbar unter Berücksichtigung aller relevanten Parameter erfolgen (Wegstrecke, Lampenverzögerungs-zeit, Dauer der Rotphase beim Überfahren der ersten Induktionsschleife und Dauer der Rotphase bei Überfahren der zweiten Induktionsschleife). Eine etwaige Lampenverzögerungszeit, welche von der Art des verwendeten Leuchtmittels abhängt, ist ab-zuziehen (Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1599 u. 1601). Lampenverzögerungszeit ist die Zeit vom elektrischen Einschalten der Lampe einer Lichtzeichenanlage bis zum sichtbaren Aufleuchten (vgl. Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1582; Löhle/Beck, DAR 2000, 1 [4]). Die Rückrechnung kann eine Verminderung der vorwerfbaren Rotlichtzeit um bis zu 0,3 Sekunden, bei sehr langsamer Fahrt sogar um bis zu 0,5 Sekunden zur Folge haben (vgl. Krumm SVR 2006, 436 [439]; Burhoff, ZAP 2016, 407; Löhle/Beck DAR 2000, 1 [7]; Beck/Berr/Schäpe/Kärger/Weigel, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. Rdn. 676; zu Fehlerquellen bei Traffiphot III vgl. auch: Buck/Smykowski in Buck/Gieg, Sachverständigenbeweis im Verkehrs- und Strafrecht, 3. Aufl., § 7 Rdn. 45 ff.).

Nach diesen Maßgaben erweisen sich die Ausführungen im angefochtenen Urteil als unzureichend.

Das Amtsgericht hat zwar erkannt, dass eine Rückrechnung auf den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie zu erfolgen hat. Auch ist eine Rückrechnung dahin erfolgt, dass der Betroffenen das Missachten einer Rotzeit von 1,01 s vorgeworfen wird, während das erste Beweisfoto bei 1,20 s ausgelöst hat.

Für den Senat ist indes allein anhand der Urteilsgründe nicht überprüfbar, ob die Rückrechnung auf die vorwerfbare Rotlichtdauer nachvollziehbar und ohne jede Benachteiligung der Betroffenen erfolgt ist. Denn das Amtsgericht nimmt nur pauschal auf die „Berechnungen Bl. 158 f. d. A.“ Bezug, ohne mitzuteilen, wer diese erstellt und auf welcher Grundlage, insbesondere aufgrund welcher Berechnungsparameter, die Berechnungen erfolgt sind und ob und ggf. welche Toleranzen bzw. Sicherheitsabschläge hierbei zugunsten der Betroffenen vorgenommen worden, gerade auch im Hinblick auf eine etwaige Lampenverzögerungszeit. Eine solche Darstellung war im vorliegenden Einzelfall auch nicht verzichtbar, da die Grenze zum qualifizierten Rotlichtverstoß – mit der erheblichen Folge eines Fahrverbotes – überhaupt nur denkbar knapp überschritten ist.

Die Sache bedarf nach alledem – gegebenenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen (vgl. OLG Braunschweig NJW 2007, 391; Löhle/Beck, DAR 2000, 1 [7]; Krumm SVR 2006, 436 [439]; Burhoff, ZAP 2016, 407; Beck/Berr/Schäpe/Kärger/Weigel, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. Rdn. 676) – neuer tatrichterlicher Behandlung und Entscheidung.“