Archiv der Kategorie: Auslieferungsrecht

Pflichti II: Beistands im Auslieferungsverfahren, oder: Überhaft, schwierige Sach-/Rechtslage und Ausländer

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Und dann im zweiten Posting eine Entscheidung aus dem Auslieferungsverfahren. Dort ist die Beistandsbestellung in § 40 IRG geregelt.

In dem dem OLG Jena, Beschl. v. 14.02.2025 – 1 OAus 33/24 – zugrunde liegenden Verfahren war mit Ausschreibung im Schengener Informationssystem um Festnahme des Verfolgten zum Zwecke der Auslieferung zur Strafverfolgung von der Bundesrepublik Deutschland an die Republik L. ersucht worden. Dem Festnahmeersuchen lag der Europäische Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft der Republik L. vom 09.07.2024 zu Grunde. Darin wird dem Verfolgten insbesondere zur Last gelegt, in zehn Fällen in Wohngebäude eingedrungen zu sein, um dort stehlenswerte Güter im Gesamtwert von ca. 71.000 EUR zu entwenden.

Das OLG hat einen Auslieferungshaftbefehl gegen den Verfolgten erlassen, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit dem 18.04.2024 zum Vollzug von Untersuchunghaft bzw. Freiheitsstrafe in anderen Sachen in der JVA G befunden hat. Derzeit ist er zur Vollstreckung einer gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten inhaftiert.

Mit Beschluss vom 08.01.2025 hat das AG Suhl dem Verfolgten eine Rechtsanwältin als Beistand bestellt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaf, die Erfolg hatte:

„2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Denn es liegt kein Fall der notwendigen Rechtsbeistandschaft vor.

a) Die verfolgte Person kann sich nach § 40 Abs. 1 IRG in jeder Lage des Verfahrens eines Rechtsbeistands bedienen.

Die Auslieferung ist nach Abs. 2 der Vorschrift jedoch grds. nur dann ein Fall der notwendigen Rechtsbeistandschaft, wenn eine Festnahme der verfolgten Person erfolgt. Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall, weil bei Erlass des Auslieferungshaftbefehls der Verfolgte schon in anderer Sache inhaftiert war und dies auch nach wie vor ist, weshalb für die Auslieferungshaft von Anfang an nur Überhaft notiert war und auch weiterhin ist. § 40 Abs. 2 IRG stellt aber gerade auf die Festnahme in der Auslieferungssache ab. Denn die Vorschrift dient der Umsetzung von Artikel 5 Absatz 1 der PKH-Richtlinie (BT-Drs. 19/13829, S. 54). Danach hat der Vollstreckungsmitgliedstaat sicherzustellen, dass gesuchte Personen ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme „aufgrund eines Europäischen Haftbefehls“ Anspruch auf Prozesskostenhilfe im Sinne der Richtlinie haben. Nach dem expliziten Wortlaut auch der Richtlinie besteht ein Anspruch auf anwaltlichen Beistand daher nur, wenn es eine unmittelbare kausale Verknüpfung zwischen der Festnahme und dem Europäischen Haftbefehl gibt, an der es hier fehlt.

b) Erfolgt – wie hier – keine Festnahme der verfolgten Person in der Auslieferungssache, liegt ein Fall der notwendigen Rechtsbeistandschaft nach § 40 Abs. 3 IRG in der Folge nur vor, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Rechtsbeistands geboten erscheint (Nr. 1), ersichtlich ist, dass die verfolgte Person ihre Rechte nicht selbst hinreichend wahrnehmen kann (Nr. 2) oder die verfolgte Person noch nicht 18 Jahre alt ist (Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen hier ebenfalls nicht vor.

aa) Weder ist ersichtlich, dass der Verfolgte seine Rechte nicht selbst hinreichend wahrnehmen kann, noch erscheint die Mitwirkung eines Beistandes wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage erforderlich. Die Sach- und Rechtslage ist jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht so schwierig, dass dem durch Beiordnung eines anwaltlichen Beistandes Rechnung getragen werden müsste.

Eine schwierige Sachlage kann sich aus dem Umfang oder der Komplexität der tatsächlich erforderlichen Feststellungen ergeben. Insoweit ist zwar zu konstatieren, dass der Verfolgte der vereinfachten Auslieferung vorliegend nicht zugestimmt hat, sodass die Zulässigkeit der Auslieferung zu prüfen sein wird. Dieser Umstand allein führt jedoch noch nicht per se zur Annahme einer schwierigen Sach- oder Rechtslage (vgl. Schomburg/ Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 40 IRG, Rn. 24). Insoweit bedarf es vielmehr einer Gesamtabwägung der individuellen Umstände des Auslieferungsverfahrens. Die besonderen Schwierigkeiten des Auslieferungsrechts und der Umstand, dass der Gesetzgeber diese Materie den Oberlandesgerichten und Generalstaatsanwaltschaften überantwortet hat, führen dabei noch nicht ohne Weiteres dazu, dass nur aufgrund der erforderlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung ein anwaltlicher Beistand beizuordnen wäre. Vielmehr ist insoweit stets eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung etwaiger Einwendungen des Verfolgten anzustellen (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 02.06.2016 – OLG Ausl. 22/2016 (39/16) = BeckRS 2016, 12013). Eine schwierige Rechtslage ist in der Folge erst gegeben, wenn bei Anwendung des Auslieferungsrechts im konkreten Verfahren Rechtsfragen beantwortet werden müssen, die bislang nicht entschieden wurden. Darüber hinaus ist eine schwierige Rechtslage anzunehmen, wenn die auslieferungsrechtliche Beurteilung nicht eindeutig ist und genaue Kenntnisse der Anordnungsvoraussetzungen erfordert, über die ein Verfolgter regelmäßig nicht verfügt. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Denn insbesondere in allenfalls durchschnittlich gelagerten Fällen – wie hier -, in denen über die Auslieferung auf der Basis eines Europäischen Haftbefehls zu entscheiden ist und in denen deshalb ein reduzierter gerichtlicher Prüfungsmaßstab zur Anwendung kommt, bestehen regelmäßig weder Schwierigkeiten rechtlicher noch tatsächlicher Art, die es erfordern würden, dem Verfolgten ohne Weiteres rechtskundigen Beistand zukommen zu lassen, auch wenn es einer Entscheidung über die Zulässigkeit nach § 32 IRG bedarf (OLG München, Beschluss vom 07.03.2013 – OLGAusl.14 Ausl. A 1033/12 = NStZ-RR 2013, 179).

Die Höhe der gegen den Verfolgten in L potentiell zu erwartenden Strafe stellt für die Frage der Beistellung eines Beistands ebenfalls kein geeignetes Beurteilungskriterium dar, denn im Gegensatz zu § 140 Abs. 2 StPO stellt § 40 IRG gerade nicht auf die Schwere der Taten ab. Dies gilt umso mehr, als der Verfolgte Einwendungen gegen den Tatvorwurf nicht erhoben hat, eine Tatverdachtsprüfung gem. § 10 Abs. 2 IRG ohnehin nur in engen Grenzen stattfindet und insoweit Erörterungen und ausführlichere Darlegungen zum Sachverhalt selbst nicht geboten sind (OLG Hamm, Beschluss vom 28.01.2010 – 4 Ausl A 208/09 = BeckRS 2010, 8867).

bb) Soweit der Verfolgte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, kann diesem Erschwernis durch Hinzuziehung eines Dolmetschers zu den gesetzlich vorgesehenen Anhörungen hinreichend Rechnung getragen werden.

cc) Der im Jahr 1980 geborene Verfolgte ist schließlich auch nicht minderjährig im Sinne des § 40 Abs. 3 Nr. 3 IRG.“

Pflichti III: Überstellung zur Strafvollstreckung, oder: Wann entscheidet das OLG über einen Pflichtbeistand?

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Und im dritten Posting dann etwas aus dem IRG, nämlich zur Beistandsbestellung im sog. Überstellungsverfahren. Es handelt sich um den OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.08.2024 – Ausl OAus 82/24 (kleiner Hinweis: Im Rubrum des vom OLG übersandten Beschlusses heißt es „22. August 2024“, da hat sich also ggf. ein Fehler eingeschlichen, wenn die allgemeinen Angaben in der Übersendung stimmen).

Das OLG hat die Bestellung, die die StA beantragt hatte, „derzeit“ abgelehnt. Es führt zum Zeitpunkt der Bestellung aus:

„Der Verurteilte wurde mit seit 28.06.2023 rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Traunstein vom 25.01.2023 (7 KLs 310 Js 13221/22) wegen Vergewaltigung mit Raub zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Freiheitsstrafe wird derzeit in der Justizvollzugsanstalt Straubing vollstreckt. Das Strafende ist für 08.04.2030 vorgemerkt.

Die Staatsanwaltschaft Traunstein prüft derzeit die Übertragung der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 (Rb-Freiheitsstrafen) nach Rumänien. Bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Straubing am 04.03.2024 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Traunstein erklärte der Verurteilte, nicht nach Rumänien überstellt werden zu wollen.

Die Staatsanwaltschaft Traunstein beantragte am 25.07.2024, dem Verurteilten schon jetzt für die Vorbereitung der oberlandesgerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit seiner Überstellung nach Rumänien, insbesondere zur Gewährung rechtlichen Gehörs zu der von der Staatsanwaltschaft zu treffenden Ermessensentscheidung einen Pflichtbeistand zu bestellen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat die Akten zur Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft Traunstein vorgelegt.

II.

Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Bestellung eines Rechtsbeistands für den Verurteilten ist nicht veranlasst, da das gerichtliche Verfahren nach § 85a IRG, in dessen Rahmen durch das Oberlandesgericht ein Beistand nach § 85a Abs. 2 in Verbindung mit § 53 IRG bestellt werden könnte, noch nicht begonnen hat.

Das gerichtliche Verfahren vor dem Oberlandesgericht nach § 85a IRG beginnt nach § 85a Abs. 1 S. 1 IRG erst dann, wenn entweder die Vollstreckungsbehörde nach § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 IRG beantragt, die Vollstreckung der freiheitsentziehenden Sanktion in einem anderen Mitgliedsstaat für zulässig zu erklären, oder der Verurteilten einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 85 Abs. 5 S. 3 IRG stellt. Dies ist beides nicht der Fall. Insbesondere hat die Vollstreckungsbehörde noch keinen solchen Antrag gestellt.

Darüber, ob für die von der Staatsanwaltschaft gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 IRG zu treffende Entscheidung, ob das Überstellungsverfahren durchgeführt werden soll, und ob für die Erklärung des Einverständnisses des Verurteilten mit der Übertragung der Vollstreckung zu Protokoll eines Richters gemäß § 85 Abs. 2 S. 2 IRG gemäß § 53 Abs. 2 IRG ein Rechtsbeistand zu bestellen ist, hat das Oberlandesgericht in diesem Verfahrensstadium nicht zu entscheiden. Gemäß § 85a Abs. 2 S. 1 IRG hat das Oberlandesgericht nach § 53 IRG erst dann über eine Bestellung eines Pflichtbeistands zu entscheiden, wenn einer der beiden vorstehend beschriebenen Anträge zum Oberlandesgericht vorliegt. Alles andere würde dem Zweck der „Verschlankung des Verfahrens“ zuwiderlaufen, mit dem der Gesetzgeber die Übertragung der Vollstreckung ohne gerichtliches Verfahren bei Einverständniserklärung des Verurteilten möglichst einfach und ohne Einschaltung des Oberlandesgerichts regeln wollte (vgl. BT-Drucks. 18/4347 S. 139).“

Haft II: Auslieferung eines „Kriegsdienstverweigerers“, oder: Auslieferungshindernis, ja oder nein?

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Und dann habe ich etwas aus dem Auslieferungsverfahren, nämlich den OLG Dresden, Beschl. v. 09.08.2024 – OAus 174/24.

Diesem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Verfolgte verließ 2018 die Ukraine, um in Polen zu arbeiten. Im November 2023 erlässt die Ukraine einen Haftbefehl gegen den Verfolgten und schreibt ihn international zur Fahndung aus. Dem Verfolgten wird vorgeworfen, im Jahr 2018 auf einer Polizeiwache in der Ukraine einen Polizisten beleidigt und durch Schläge verletzt zu haben. Im Mai 2024 wird der Verfolgte in Deutschland festgenommen und befindet sich seitdem in Auslieferungshaft.

Gegenüber der Auslieferung beruft sich der Verfolgte darauf, dass die Strafverfolgung nur vorgeschoben ist, um den Verfolgten in die Armee einzuziehen, sobald er ukrainischen Boden betritt. Er beruft sich insoweit darauf, dass er den Dienst an der Waffe aus Glaubens- und Gewissensgründen ablehne, es in der Ukraine aber keine Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung gebe.

Damit stellt sich die Frage: Auslieferungshindernis? Ja oder nein? Das OLG Dresden möchte von der dazu bisher vroliegenden Rechtsprechung des BGH abweichen und vertritt die Auffassung, dass Art. 4 Abs. 3 GG kein Auslieferungshindernis begründet. Es hat wegen der Abweichung die Frage dem BGH vorgelegt.

Den fragt das OLG:

Verstößt die Auslieferung eines Verfolgten in sein Heimatland gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung, wenn sich der Verfolgte im Auslieferungsverfahren darauf beruft, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern und im Falle seiner Überstellung nicht gewährleistet ist, dass er nach dem Recht des ersuchenden Staates nicht dennoch zum Kriegsdienst herangezogen wird und im Falle der Verweigerung Bestrafung zu erwarten hat?

Zuständigkeit III: Erneute Entscheidung über Ersuchen, oder: Nicht wir, sondern die vom OLG Bamberg

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Und zum Tagesschluß dann noch eine Entscheidung aus dem Auslieferungsrecht, und zwar den OLG Celle, Beschl. v. 05.09.2022 -2 AR (Ausl) 85/22.

Die rumänischen Behörden haben die Auslieferung des Verfolgten beantragt. Das OLG Bamberg hat die Auslieferung für unzulässig erklärt. Begründung: Abwesenheitsurteil. Der Auslieferungshaftbefehl wird aufgehoben. Dann wird der Verfolgte, der inzwischen im Landkreis Holzminden erneut aufgrund der fortbestehenden Ausschreibung festgenommen. Inzwischen hat die GstA Celle beantragt – die Gründe tun nichts zur Sache – die Auslieferung für unzulässig zu erklären. Das OLG Celle zeigt mit dem Finger auf das OLG Bamberg und sagt: Nicht wir, sondern die:

„Der Senat ist zu einer Entscheidung nicht berufen.

Für eine gemäß § 29 Abs. 1 IRG zu treffende erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die r. Justizbehörden ist das Oberlandesgericht Bamberg örtlich zuständig.

Gemäß § 14 Abs. 1 IRG liegt die örtliche Zuständigkeit in Auslieferungsverfahren bei dem Oberlandesgericht und der Generalstaatsanwaltschaft, in deren Bezirk der Verfolgte zum Zwecke der Auslieferung ergriffen oder, falls eine Ergreifung nicht erfolgt, zuerst ermittelt wird. Vorliegend erfolgte die erstmalige Ermittlung sowie die Ergreifung des Verfolgten im Zuge des Erlasses des Auslieferungshaftbefehls des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17.02.2022. Die hierdurch begründete örtliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Bamberg ist nicht durch den späteren Aufenthalt des Verfolgten sowie seine erneute vorläufige Festnahme am 23.03.2022 im Bezirk des Oberlandesgerichts Celle entfallen. Denn eine einmal bestehende örtliche Zuständigkeit dauert bis zum Ende des Auslieferungsverfahrens an und wird durch Änderungen des Aufenthalts des Verfolgten grundsätzlich nicht berührt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 02.06.2020 – Ausl 301 AR 66/20 –, juris, mwN). Insoweit stellt das Wort „zuerst“ in § 14 Abs. 1 IRG klar, dass sich ein einmal begründeter Gerichtsstand nicht durch erneute Ermittlung des Verfolgten in einem anderen Bezirk ändert (vgl. Schierholt in Schomburg/Lagodny, IRG, 6. Aufl. 2020, § 14 Rd. 4 mwN). Eine zeitlich zuerst begründete örtliche gerichtliche Zuständigkeit bleibt daher auch erhalten, wenn später Umstände eintreten, welche eine andere gerichtliche Zuständigkeit zu begründen geeignet sind. So ist eine Änderung der örtlichen Zuständigkeit von der obergerichtlichen Rechtsprechung für Fälle verneint worden, in denen ein zum Zwecke der Auslieferung zur Strafverfolgung erlassener Europäische Haftbefehl durch den ersuchenden Staat zurückgenommen und zeitgleich oder später ein neuer Europäischer Haftbefehl erlassen wird, sofern beide Europäische Haftbefehle den gleichen Sachverhalt zum Gegenstand haben (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 27.02.2020 – 2 Ausl 18/20 –, juris; OLG Karlsruhe, aaO). Im vorliegenden Fall besteht der Europäische Haftbefehl des Gerichts in Tirgu Bujor vom 09.11.2021 (Az. 1114/316/2017), der bereits Gegenstand der o.g. Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17.02.2022 über die Unzulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die rumänischen Justizbehörden war, unverändert fort. Das in dem Europäischen Haftbefehl formulierte Auslieferungsersuchen der rumänischen Justizbehörden hat sich nach Auffassung des Senats durch die vorgenannte Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg nicht erledigt. In der Folge ist das Oberlandesgericht Bamberg für die im Hinblick auf das fortbestehende Auslieferungsersuchen zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen weiterhin zuständig. In Ansehung der o.g. Grundsätze ändert hieran nichts, dass der Verfolgte zwischenzeitlich im Bezirk des Oberlandesgerichts Celle ermittelt und erneut vorläufig festgenommen wurde. Gerade auch in Fallkonstellationen der vorliegenden Art würde ein Wechsel der gerichtlichen Zuständigkeit dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 14 Abs. 1 IRG zuwiderlaufen, durch eine Festlegung auf das zunächst mit der Sache befasste Oberlandesgericht auch aus außenpolitischen Gründen negative Zuständigkeitskonflikte zu vermeiden und auf diese Weise die Vereinfachung, Beschleunigung und Kontinuität des Auslieferungsverfahrens zu gewährleisten (vgl. OLG Karlsruhe, aaO, unter Hinweis auf BT-Drs. 9/1338, S. 48). Anderenfalls würden, wenn der Verfolgte erneut seinen Aufenthaltsort wechseln würde, zahlreiche verschiedene Oberlandesgerichte mit demselben Auslieferungsersuchen befasst werden.“

Mal eine Pauschgebühr im Auslieferungsverfahren, oder: Glück gehabt :-)

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Und als zweite Entscheidung dann ein Beschluss zur Pauschgebühr nach § 51 RVG, und zwar im Auslieferungsverfahren.

Die Kollegin Schmidt aus Hamburg, die mir den Beschluss geschickt hat, hat einen lettischen Verfolgten vertreten, gegen den ein Europäischer Haftbefehl der lettischen Behörden zur Strafverfolgung bestanden hat. Nachdem der Verfolgte am 13.11.2020 vorläufig festgenommen wurde und ihm die Kollegin als Rechtsbeistand bestellt wurde, hat das OLG mit Beschluss vom 17.11.2020 die förmliche Auslieferungshaft angeordnet. Der Verfolgte war mit einer vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden. Die Kollegin beantragte am 8.12.2020 die Auslieferung an die Republik Lettland zur Strafverfolgung wegen drohender menschenrechtswidriger Unterbringung im lettischen Strafvollzug für unzulässig zu erklären. Zur Begründung zitierte sie umfangreich aus der internationalen Rechtsprechung und aus Kommissionsberichten. Vor dem Hintergrund des Vortrags der Kollegin veranlasste das OLG die Generalstaatsanwaltschaft, sich um eine Zusicherung der lettischen Behörden wegen bestimmter Haftbedingungen zu bemühen. Nach Erhalt einer Auskunft der lettischen Behörden erklärte das OLG mit Beschluss vom 8.1.2021 die. Auslieferung erstmals für zulässig. Mit Schriftsatz vom 14.1.2021 erhob die Kollegin gegen diese Entscheidung eine Anhörungsrüge und trug unter Hinweis auf entsprechende Nachweise vor, dass die Auskunft der lettischen Behörden unzureichend sei. Mit Beschluss vom 20.1.2021 hat das OLG die Anhörungsrüge zurückgewiesen.

Mit Beschluss des BVerfG vom 2.2.2021 wurde auf Antrag der Kollegin einstweilen die Auslieferung des Verfolgten untersagt, weil die Auskunft der lettischen Behörden als unzureichend erachtet wurde. Dies veranlasste das OLG sich am 12.5.2021 um eine ausdrückliche Zusicherung der Einhaltung bestimmter Haftbedingungen bei den lettischen Behörden zu bemühen. Mit Beschluss vom 22.6.2021 erklärte das OLG nach Erhalt einer ergänzenden Auskunft die Auslieferung nach Lettland erneut für zulässig. Hiergegen erhob die Kollegin mit Schriftsatz vom 25.6.2021 erneut eine ausführlich begründete Anhörungsrüge. Dies veranlasste das OLG durch Beschluss vom 5.7.2021 dem Verfolgten wegen Verletzung rechtlichen Gehörs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Auslieferung bis zu einer erneuten Entscheidung des OLG aufzuschieben. Mit. Beschluss vom 12.7.2021 erklärte das OLG dann die Auslieferung erneut für zulässig, die am 19.7.2021 umgesetzt wurde.

Die Kollegin hat die Pflichtverteidigergebühren für unangemessen gehalten und beantragt für ihre Tätigkeit das Dreifache der Pflichtverteidigergebühren im ersten Verfahren – bis zur Entscheidung des BVerfG – das Vierfache der Pflichtverteidigergebühren im zweiten Verfahren – nach der Entscheidung des BVerfG, insgesamt 2.340,-. EUR als Pauschgebühr. Der Vorsitzende des für das Auslieferungsverfahren zuständigen Strafsenats des OLG hat in seiner Stellungnahme zu diesem Antrag ausgeführt, dass die mehrfach unzureichenden Auskünfte und Zusicherungen der lettischen Behörden zu einem „erforderlichen Mehraufwand“ geführt hätten. Das OLG Hamburg hat im OLG Hamburg, Beschl. v. 09.08.2022 – 5 s AR 13/22– eine Pauschgebühr in Höhe der Wahlanwaltshöchstgebühren, also insgesamt 1.449,00 EUR, bewilligt:

„Der Antrag hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ist dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt in Strafsachen auf Antrag eine Pauschgebühr für das gesamte Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte zu bewilligen, wenn die gesetzlichen Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind. Damit soll der Ausnahmecharakter bei der Bewilligung einer Pauschgebühr zum Ausdruck gebracht werden. Die Vorschrift soll verhindern, dass der Verteidiger im Verhältnis zu seiner Vergütung unzumutbar belastet wird. Die sonst maßgebliche Gebühr muss unzumutbar sein, also augenfällig unzureichend und unbillig_ Diese Situation tritt keineswegs schon bei jeder Strafsache ein, deren Umfang oder Schwierigkeit das Nor-male übersteigt. Das gilt seit der Einführung des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum RVG mit seiner Fülle von Spezialgebühren bei einem größeren Aufwand des Anwalts an Zeit und Mühe erst recht. Die Pauschgebühr soll dem Verteidiger auch keinen zusätzlichen Gewinn bringen, sondern — nur — eine unzumutbare Benachteiligung verhindern.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NStZ-RR 2007, 359 f.), der der Senat folgt, ist die Bestellung zum Pflichtverteidiger eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Sinn der Pflichtverteidigung ist es nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Ihr Zweck besteht vielmehr ausschließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird. Angesichts der umfassenden Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers für die Wahrnehmung dieser im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe hat der Gesetzgeber die Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht angesehen, sondern den Pflichtverteidiger honoriert. Dass sein Vergütungsanspruch unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers liegt, ist durch einen vorn Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt ist. In Strafsachen, die die Arbeitskraft des Pflichtverteidigers für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, gewinnt die Höhe des Entgelts für den Pflichtverteidiger allerdings existenzielle Bedeutung. Für solche besonderen Fallkonstellationen gebietet das Grundrecht des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung eine Regelung, die sicherstellt, dass ihm die Verteidigung kein unzumutbares Opfer abverlangt.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die durch § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG in den Blick genommene besondere Fallkonstellation dem Grunde nach verwirklicht. Die Sache war besonders schwierig. Die Antragstellerin hat das Verfahren nicht lediglich begleitet, sondern durch eigene aufwändige Recherchen den Fortgang des Verfahrens in einer Weise gefördert, die durch die Pflichtverteidigergebühren nur unzureichend abgebildet wird. Bereits der Vorsitzende des 1. Strafsenats hat darauf hingewiesen, dass die Schwierigkeit des Verfahrens durch die unzureichenden Auskünfte der lettischen Behörden geprägt war. Angesichts der aufgeführten Umstände hält der Senat jeweils die Gewährung einer Pauschvergütung in Höhe der Höchstwahlverteidigergebühr für angemessen.

Eine weitergehende Erhöhung der Pflichtverteidigervergütung hält der Senat dagegen für nicht geboten. Insofern hat bereits die Kostenprüfungsbeamtin zutreffend darauf hingewiesen, dass die besondere Konstellation dieses Verfahrens den Gebührentatbestand zweimal ausgelöst hat. Dabei kommt es für die Angemessenheit der Vergütung nicht darauf an, wer die zweifache Befassung mit diesem Verfahren zu verantworten hatte. Entscheidend ist insofern, dass die Antragstellerin bei der zweiten Befassung mit dieser Materie auf Erkenntnisse zurückgreifen und nutzbar machen konnte, die sie bereits bei der ersten Befassung mit diesem konkreten Einzelfall erlangt hatte. Dieser Synergieeffekt liegt auf der Hand und kann auch nicht durch den Hinweis auf den Seitenumfang von Erwiderungen relativiert werden.“

Viele Worte, aber: Die Entscheidung bringt nichts wesentlich Neues. Sie ist aber ein Beleg dafür, dass die Pauschgebühr nach § 51 RVG dann doch noch nicht vollständig tot ist, auch wenn die Vorstellungen darüber, was als Vergütung angemessen ist, zwischen OLG und Verteidiger/Rechtsanwalt meist erheblich voneinander abweichen werden. So auch hier, wobei die Kollegin m.E. insofern „Glück gehabt“ hat, dass man offenbar wegen der ersten Zulässigkeitsentscheidung des OLG, die vom BVerfG gerügt worden ist, für das weitere Verfahren dann von einem zweiten Auslieferungsverfahren ausgegangen ist, in dem die Verfahrensgebühr Nr. 6101 VV RVG noch einmal entstanden ist. Zwingend ist das m.E. nicht unbedingt.

Was an der Entscheidung erstaunt und bemerkenswert ist: Das OLG verliert kein Wort zur Zumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren und kein Wort zur Höhe der Pauschgebühr in Höhe der Wahlanwaltsgebühren. Offenbar muss die Tätigkeit der Kollegin so umfangreich gewesen sein, dass die Pauschgebühr an sich und auch deren Höhe nicht zweifelhaft war. Das gilt zumindest für den entscheidenden Einzelrichter, die Staatskasse hatte das anders gesehen und Ablehnung der Pauschgebührenantrags beantragt.