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Zuzahlung/Zumutbarkeit bei der Pauschgebühr, oder: „Kommerzielle Zweitverwertung“ zu berücksichtigen

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Und dann heute RVG-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem OLG München, Beschl. v. 29.04.2025 – 1 AR 392/24. Die Entscheidung äußert sich zur Pauschvergütung nach § 51 RVG. In meinen Augen etwas zum Ärgern.

Folgender Sachverhalt: Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen ihn und einen Mitangeschuldigten Anklage zum LG  zur Jugendkammer als Schwurgericht wegen des Vorwurfs gemeinschaftlichen Mordes in drei tateinheitlichen Fällen erhoben.

Die Hauptverhandlung fand an insgesamt 80 Tagen statt. Der Pflichtverteidiger nahm an 79 Terminen teil, 24 davon dauerten zwischen fünf und acht Stunden, 12 über acht Stunden. Die beiden Angeklagten wurden am 06.03.2023 verurteilt. Die Verteidiger legten gegen dessen Verurteilung Revision ein. Diese wurde mit Beschluss des BGH vom 07.02.2024 verworfen.

Der Rechtsanwalt hat beantragt, ihm für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger in dem Verfahren eine Pauschvergütung in Höhe von 72.916,00 EUR zu bewilligen. Zur Begründung führte er aus, dass seine Tätigkeit durch die festgesetzten Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 57.671,00 EUR nicht angemessen vergütet sei, da es sich um eine besonders umfangreiche und besonders schwierige Strafsache gehandelt habe.

„Frau Bezirksrevisorin“ (sic!) hat gegen die Bewilligung einer Pauschvergütung ausgesprochen. Das OLG hat durch den Einzelrichter die Gewährung einer Pauschvergütung abgelehnt. In seinem Beschluss referiert es zunächst die allgemeinen Voraussetzungen für die Pauschgebühr nach § 51 RVG und führt dann zur Sache aus:

„2. Die genannten Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

a) Das Verfahren wies zwar einen besonderen Umfang auf. Dies folgt bereits daraus, dass die Verfahrensakten bei Anklageerhebung ca. 12.500 Seiten umfassten; hinzu kamen mehrere Beiakten sowie elektronische Datenträger. Der Aktenumfang lag damit weit über dem eines durchschnittlichen Jugendschwurgerichtsverfahrens.

b) Wie erläutert reicht ein besonderer Umfang oder eine besondere Schwierigkeit des Verfahrens für die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG allerdings nicht aus. Hinzukommen muss, dass die gesetzlichen Gebühren dem Antragsteller unzumutbar sind. Das ist hier nicht der Fall:

(1) Die Pflichtverteidigergebühren belaufen sich – wie von der Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 19.02.2025 im Einzelnen dargestellt – auf 57.438,00 EUR.

Dem Antragsteller ist darin zuzustimmen, dass ihm allein dieser Betrag wegen des besonderen Verfahrensumfangs nicht zuzumuten wäre. Bei gleicher Sachlage wie im Parallelverfahren zu dem korrespondierenden Antrag des weiteren Pflichtverteidigers Dr. pp. (1 AR 206/24) hätte der Senat dem Antragsteller deshalb eine Pauschgebühr bewilligt, bei der anstelle der Pflichtverteidigergebühren für die Positionen VV RVG 4101 (Grundgebühr: 216,00 EUR) und 4119 (Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren: 424,00 EUR) jeweils die fünffache Wahlverteidigerhöchstgebühr anzusetzen gewesen wäre (VV RVG 4101: 495 x 5 = 2.475,00 EUR; VV RVG 4119: 949 x 5 = 4.745,00 EUR). Die Pauschgebühr hätte sich damit auf insgesamt 64.018,00 EUR belaufen (für die Aufschlüsselung dieses Betrags wird auf die Darstellung auf Seite 3 der Stellungnahme der Bezirksrevisorin verwiesen, wobei der dort für die Position VV RVG 4119 angesetzte Betrag von 2.120,00 EUR auf einem offensichtlichen Rechenfehler beruht und richtigerweise 4.745,00 EUR lauten müsste).

(2) Der vorliegende Fall unterscheidet sich allerdings insofern von dem Sachverhalt im Parallelverfahren 1 AR 206/24, als der hiesige Antragsteller zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren von Seiten des Mandanten ein Pauschalhonorar für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren in Höhe von 20.000,00 EUR erhalten hat. Diese Zahlung wurde nach § 58 Abs. 3 RVG nicht auf die gesetzliche Vergütung angerechnet.

Zahlungen, die ein beigeordneter Rechtsanwalt von dem Mandanten oder von Dritten für seine Tätigkeit in dem betroffenen Verfahren erhalten hat, sind bei der Prüfung, ob ihm die gesetzlichen Gebühren i. S. v. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zumutbar sind, zu berücksichtigen, soweit sie nicht nach § 58 Abs. 3 RVG auf diese angerechnet wurden (OLG Hamm, Beschluss vom 16.10.2012 – III–5 RVGs 101/12, BeckRS 2012, 24463). Ist der Rechtsanwalt unter Berücksichtigung dieses Betrags zumutbar vergütet, liegt ein auszugleichendes Sonderopfer nicht vor (Stollenwerk in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, Rn 25).

So liegt der Fall hier: Unter Berücksichtigung der dem Antragsteller zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren zugeflossenen Zahlung von Seiten des Mandanten über 20.000,00 EUR hat er (netto) insgesamt 77.438,00 EUR (bzw. nach eigener Darstellung 77.671,00 EUR) für seine Verteidigertätigkeit in diesem Verfahren erhalten. Diese ist damit auch unter Berücksichtigung des besonderen Verfahrensumfangs insgesamt zumutbar vergütet; sie liegt nur geringfügig unter den einfachen Wahlverteidigerhöchstgebühren i.H.v. 84.186,00 EUR, die regelmäßig die Höchstgrenze für eine Pauschgebühr bilden (OLG Köln, Beschluss vom 10.04.2019 – 1 RVGs 15/19).

Der von der Zessionarin in ihrem Schriftsatz vom 08.04.2025 erhobene Einwand, die Zahlung des Mandanten müsse unberücksichtigt bleiben, weil es sich um ein Honorar für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren handele, der Pauschantrag sich aber ausschließlich auf das gerichtliche Verfahren beziehe, greift nicht durch: Für die Bewertung, ob die gesetzlichen Gebühren zumutbar sind, ist eine Gesamtbetrachtung des Verhältnisses zwischen den vom Anwalt erbrachten Tätigkeiten einerseits und den gesetzlichen Gebühren sowie etwaigen zusätzlichen Zahlungen des Mandanten oder Dritter an den Anwalt andererseits vorzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Antrag nur auf einzelne Verfahrensabschnitte bezieht. Hat der Antragsteller – wie hier – für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren ein Pauschalhonorar vom Mandanten erhalten, das die gesetzlichen Gebühren für jenen Verfahrensabschnitt um ein Vielfaches übersteigt, kann dieser Umstand bei der Zumutbarkeitsprüfung nicht deshalb ausgeblendet werden, weil ein Pauschantrag nur für die übrigen Verfahrensabschnitte gestellt wird.

Etwas anderes folgt entgegen der Ansicht der Zessionarin auch nicht daraus, dass der Antragsteller für das Ermittlungsverfahren keine Vergütung gegenüber der Staatskasse geltend gemacht hat: Wäre dem Antragsteller für das Ermittlungsverfahren kein Honorar vom Mandanten zugeflossen und hätte er daher den Pauschantrag auch auf seine diesbezügliche Tätigkeit erstreckt (dies wäre ggf. gemäß § 51 Abs. 1 Satz 4, 48 Abs. 6 RVG möglich gewesen, obwohl seine Beiordnung erst am zweiten Hauptverhandlungstag, also nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens erfolgte), wäre – entsprechend der Handhabung im Parallelverfahren 1 AR 206/24 – die im vorliegenden Fall unzumutbar niedrige Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren i. H. v. 177,00 EUR (VV RVG Nr. 4105) durch die fünffache Wahlverteidigerhöchstgebühr (5 x 362,50 EUR = 1.812,50 EUR) ersetzt worden und insgesamt eine Pauschgebühr i. H. v. 65.830,50 EUR zu bewilligen gewesen (= 1.812,50 EUR Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren + 64.018,00 EUR für die übrigen Tätigkeiten, vgl. unter (1)). Da der dem Antragsteller tatsächlich für die Verteidigung zugeflossene Betrag von 77.671,00 EUR somit über der Summe liegt, die ihm – ohne die Zahlung des Mandanten für das Vorverfahren – hypothetisch als Pauschvergütung zu bewilligen gewesen wäre, liegt kein ausgleichsbedürftiges Sonderopfer vor.

(3) Da die Bewilligung einer Pauschgebühr aus den vorstehend erläuterten Gründen schon aufgrund des dem Antragsteller zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren zugeflossenen Mandantenhonorars i.H.v. 20.000,00 EUR ausscheidet, ist nur mehr ergänzend anzumerken, dass eine Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren i. S. v. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG hier auch deshalb zu verneinen wäre, weil der Antragsteller seine Verteidigertätigkeit in diesem Verfahren zur Erzielung weiterer Einkünfte fruchtbar gemacht hat, die ohne seine Beteiligung an dem Verfahren nicht möglich gewesen wären.

(a) Der Antragsteller gestaltet allgemeinkundig gemeinsam mit einer Hörfunkmoderatorin eine Podcast-Serie unter dem Titel „Bayern3 True Crime“. In den einzelnen Folgen spricht der Antragsteller mit der Moderatorin über Kriminalfälle bzw. Gerichtsverhandlungen. Häufig handelt es sich dabei um Fälle, an denen er selbst als Verteidiger mitgewirkt hat (Quelle: wikipedia.de). In insgesamt sechs Folgen zwischen August 2021 und März 2023 ging es dabei um das vorliegende Verfahren (sog. „Dreifachmord von Starnberg“). Der Antragsteller berichtet darin ausführlich über Erkenntnisse aus dem bzw. Einblicke in das Verfahren, die nur Verfahrensbeteiligten zugänglich sind.

Darüber hinaus gestaltet der Antragsteller gemeinsam mit dem Nachrichtensprecher pp.. Live-Veranstaltungen, in denen das hiesige Verfahren im Rahmen eines zwischen beiden ausgetragenen „unterhaltsamen Wettkampfes um die Stimmen des Publikums“ (Quelle: augsburger-allgemeine.de) mit dem Antragsteller in der Rolle des Verteidigers und pp. in der Rolle der Justiz „verhandelt“ wird. Dabei werden unter anderem verpixelte Filmausschnitte und Originalaufnahmen aus der Mordnacht gezeigt (Quelle wie vorstehend).

Da der Podcast, dessen einzelne Folgen unter anderem auf der kommerziellen Streaming-Plattform spotify.com abrufbar sind, seit 2020 mehr als 50 Millionen Aufrufe generiert hat und deutschlandweit im Jahr 2023 zu den Top Ten in der Kategorie „True Crime“ gehörte (Quelle: wikipedia.de), liegt es auf der Hand, dass der Antragsteller aus seiner Mitwirkung daran in nicht unerheblichem Umfang Einkünfte bezogen hat. Dasselbe gilt für die Auftritte im Rahmen der Abendveranstaltungen mit pp, für die Eintrittskarten – wie Webseiten einschlägiger Anbieter zu entnehmen ist – aktuell zwischen 39,99 EUR und 99,99 EUR (sog. „VIP-Paket“) kosten.

(b) Einkünfte des Antragstellers aus den geschilderten Tätigkeiten sind für die Bewertung der Frage, ob ihm die gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren i. S. v. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zugemutet werden können, ebenfalls zu berücksichtigen, soweit die Podcasts bzw. Live-Veranstaltungen das hiesige Verfahren zum Gegenstand haben.

Rechtsprechung zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit derartiger Einkünfte bei der Entscheidung über Pauschgebührenanträge existiert bislang nicht (was unschwer damit zu erklären sein dürfte, dass Fälle, in denen Strafverteidiger Erkenntnisse aus Verfahren, an denen sie selbst beteiligt waren, medial zu Unterhaltungszwecken kommerzialisieren, singulär sind).

Die Berücksichtigung von Einkünften aus einer derartigen kommerziellen Zweitverwertung von Pflichtverteidigungsmandaten bei der Entscheidung über Pauschgebührenanträge steht sowohl mit dem Wortlaut als auch mit dem Sinn und Zweck von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG im Einklang: Die Beschränkung von Pauschgebühren auf Fälle, in denen die gesetzlichen Gebühren dem Anwalt wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zuzumuten sind, soll den Ausnahmecharakter der Regelung zum Ausdruck bringen und den Anwendungsbereich auf Fälle beschränken, in denen die gegenüber den Gebühren eines Wahlverteidigers geringeren Pflichtverteidigergebühren dazu führen würden, dass der beigeordnete Anwalt durch seine Inanspruchnahme für öffentliche Zwecke ein Sonderopfer erleidet (BT-Drs 15/1971, S. 201). Ein solches Sonderopfer liegt aber nicht vor, wenn dem Pflichtverteidiger infolge seiner Beiordnung zusätzlich zu den gesetzlichen Gebühren weitere finanzielle Vorteile zugeflossen sind, die er ohne sie nicht hätte erzielen können.

Gestützt wird diese Ansicht durch den Rechtsgedanken der Vorteilsausgleichung im Schadenersatzrecht. Danach muss sich der Geschädigte auf seinen Schadenersatzanspruch Vorteile anrechnen lassen, die ihm in adäquat-kausalem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind, wenn dies weder ihn unbillig belastet noch den Anspruchsgegner unangemessen entlastet (vgl. Oetker in Münchener Kommentar BGB, 9. Auflage 2022, § 249, Rn 235). Zwar geht es im vorliegenden Fall nicht um einen Schadenersatzanspruch, sondern um einen öffentlich-rechtlichen Vergütungsanspruch. Wie erläutert ist § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG allerdings Ausdruck der Verpflichtung des Staates, zurechenbar von ihm verursachte Sonderopfer Privater auszugleichen (sog. Aufopferungsanspruch) und es ist anerkannt, dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch auf Aufopferungsansprüche anwendbar sind (vgl. Schenke, Staatshaftung und Aufopferung – Der Anwendungsbereich des Aufopferungsanspruchs, NJW 1991, 1777, 1785).

Für § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG folgt daraus, dass die gesetzlichen Gebühren dem Pflichtverteidiger zugemutet werden können, wenn sie aufgrund des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit des Verfahrens zwar für sich genommen außer Verhältnis zu dem mit der Verteidigung verbundenen Aufwand stehen, dem Antragsteller aber aus einer kommerziellen Zweitverwertung seiner Verteidigertätigkeit – wie hier durch die Mitwirkung an Unterhaltungsformaten, die tragend auf Einblicken in das Verfahren aus der Perspektive des Verteidigers beruhen – zusätzliche Einkünfte zugeflossen sind, durch die sich die Beiordnung für ihn bei einer wirtschaftlichen Gesamtschau „bezahlt gemacht“ hat. Denn derartige Einkünfte stehen in adäquat-kausalem Zusammenhang mit der Pflichtverteidigertätigkeit und ihre Berücksichtigung bei der Prüfung der Zumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren begründet weder eine unangemessene Entlastung der Staatskasse noch eine unbillige Belastung des Verteidigers im Sinne der oben genannten Kriterien für einen Vorteilsausgleich: Zwar beruhen solche Einkünfte auf einer Tätigkeit außerhalb des Verfahrens und sind mit zusätzlichem Arbeitsaufwand verbunden. Der Antragsteller wird durch ihre Berücksichtigung bei der Zumutbarkeitsprüfung gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG gleichwohl deshalb nicht unbillig belastet, weil sie ohne die Pflichtverteidigertätigkeit nicht möglich gewesen wären: Die Rolle des Antragstellers sowohl bei den Podcasts als auch bei den Live-Veranstaltungen beschränkt sich nicht auf die Beantwortung allgemeiner Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Fall (die auch einem nicht an dem Verfahren beteiligten Strafrechtler möglich wäre), sondern das Alleinstellungsmerkmal, das die Popularität beider Formate begründet, besteht gerade darin, dass der Antragsteller dem Publikum aus seiner Rolle als Verteidiger Einblicke in einen „echten“, aufsehenerregenden Kriminalfall aus der Praxis gewährt, die nur unmittelbaren Verfahrensbeteiligten zugänglich sind. So geht der Antragsteller in dem Podcast etwa dezidiert auf einzelne Beweismittel ein und erläutert ausführlich, weshalb diese aus seiner Sicht nicht geeignet seien, den Tatnachweis zu erbringen. Im Rahmen der Live-Veranstaltungen werden – wie oben ausgeführt – zusätzlich verpixelte Filmausschnitte und Originalaufnahmen aus der Mordnacht gezeigt.

(c) Weitere Aufklärung zur Höhe der Einkünfte, die der Antragsteller aus den genannten Tätigkeiten erzielt hat, war nicht erforderlich, weil ihm die gesetzlichen Gebühren bereits aus dem unter Ziffer (2) erläuterten Grund zumutbar sind.“

Wie gesagt, mich ärgert der Beschluss, denn er ist in meinen Augen in mehrfacher Hinsicht falsch. Es führt allerdings zu weit, dass hier im Einzelnen darzulegen. Dazu demnächst mehr im AGS. Und will hier – aus Platzgründen – meine Einwendungen nur in Stichpunkten aufzählen.

  • Falsch ist es zunächst, die Zuzahlung des Mandanten bereits bei der Frage der Zumutbarkeit heranzuziehen und mit der Zuzahlung die Zumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren zu verneinen. Die Frage spielt vielmehr erst bei der Festsetzung der Pauschgebühr eine Rolle. Das macht das OLG Hamm zwar auch anders. Aber auch die Entscheidung ist falsch und entspricht nicht der m.E. h.M. in der Frage. Ich hatte dazu bereits in Zusammenhang mit dem OLG Hamm-Beschluss ausgeführt. Die Auffassung des OLG passt nicht zu § 58 Abs. 3 RVG.
  • Dasselbe gilt für den Einwand des Pflichtverteidigers, die 20.000 EUR seien für das Ermittlungsverfahren gezahlt worden. Dann dürfen sie nach § 58 Abs. 3 RVG auch nur insoweit berücksichtigt werden. Ein Blick ins Gesetz….. 🙂 .
  • Völlig daneben liegen m.E. die Ausführungen zur „kommerziellen Zweitverwertung“. Abgesehen davon, dass das m.E. dem Wortlaut des § 51 Abs. 1 RVG widerspricht: Wo will man da die Grenzen ziehen, wenn es richtig wäre? Sind durch eine gute Verteidigung gewonnene Folgemandate auch Zweitverwertung? Ist ein Aufsatz in einer Fachzeitschrift, der honoriert wird, auch Zweitverwertung (wenn ja, was mache ich dann mit den vielen Aufsätzen richterlicher Kollegen, die ja auch honoriert werden? 🙂 ). Und wie will ich die Einnahmen aus der kommerziellen Verwertung ermitteln. Muss der Pflichtverteidiger ggf. seine EST-Erklärung vorlegen.
  • Fraglich ist auch, warum überhaupt die Ausführungen zur „kommerziellen Zweitverwertung“ gemacht werden? Auf die kam es vom Standpunkt des OLG doch gar nicht an, da die Pauschvergütung ja schon aus anderen Gründen abgelehnt worden ist. Will man nur eine Diskussion an einer Stelle beginnen, die überflüssig wie ein Kropf ist? Warum? Für mich „schimmert“ da irgendwie eine „Neiddiskussion“ durch. Sind es die vielen Follower des Pflichtverteidigers oder die Einnahmen. Es mag jeder für sich entscheiden, ob er eine „kommerzielle Zweitverwertung“ in der geschilderten Art und Weise betreibt, jedenfalls ist es nicht Aufgabe der Justiz, das über die Gebühren zu sanktionieren.
  • Und schließlich: Warum entscheidet der Einzelrichter? Bei weiterer Recherche hätte man m.E. unschwer feststellen können, dass der angeführte OLG Hamm-Beschluss im StRR 2013, 119 = RVGreport 2013, 144 jeweils mit ablehnenden Anmerkungen von mir veröffentlicht ist. Und man hätte auch feststellen können, dass es davon abweichende Rechtsprechung anderer OLG gibt (OLG Hamm, JMBl NRW 1959, 44 = Rpfleger 1959,200; OLG Karlsruhe, StraFo 2012, 290 = AGS 2013, 173; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 11.5.2015 – 1 AR 2/15; OLG Stuttgart, Justiz.1983, 421). Da wäre es sicherlich „angebracht“ gewesen, „die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern …. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ zu übertragen, zumal auch das OLG Hamm eine nachvollziehbare Begründung für seine Entscheidungen nicht gegeben hat.

Richtiger Zeitpunkt für einen Pauschgebührantrag, oder: Zu frühe Antragstellung?

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Und als zweite Entscheidung zum RVG hier der OLG Braunschweig, Beschl. v. 07.03.2025 – 1 AR 21/24. Es geht um den richtigen Zeitpunkt für einen Pauschgebührantrag.

Der Angeklagte ist am 8.10.2024 vom Vorwurf der Vergewaltigung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Eine Entscheidung des BGH steht noch aus.

Der Rechtsanwalt hat als Pflichtverteidiger am 23.10.2024 die Bewilligung einer Pauschgebühr beantragt. Der Bezirksrevisor hält diesen Antrag für verfrüht. Auch die Voraussetzungen zur Bewilligung eines Vorschusses auf die Pauschgebühr (§ 51 Abs. 1 S. 5 RVG) lägen nicht vor. Das OLG hat den Antrag abgelehnt.

„Der Antrag ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 51 RVG derzeit nicht vorliegen.

 

Eine Pauschgebühr gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 RVG kommt – zumindest bei Fortbestand der Beiordnung – auch für abgeschlossene Verfahrensabschnitte nur nach Eintritt der Rechtskraft in Betracht. Dass die Regelung des § 51 Abs. 1 S. 1 und S. 3 RVG auch die Möglichkeit vorsieht, eine Pauschgebühr für einzelne Verfahrensabschnitte zu bewilligen, ändert daran nichts (OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. Juli 2024, 2 ARs 12/24, juris, Rn. 4; OLG Bamberg, Beschluss vom 7. Juni 2017, 10 AR 30/16, juris, Rn. 7; OLG Celle, Beschluss vom 16. Juni 2016, 1 ARs 34/16 P, juris, Rn. 3; KG Berlin, Beschluss vom 15. April 2015, 1 ARs 22/14, juris, Rn. 7, 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Dezember 2005, 111-3 (s) RVG 154/05, juris, Rn. 4f). Diese Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. August 2024, 1 BvR 1680/24, juris, Rn. 3) und folgt daraus, dass der Anspruch auf Bewilligung einer Pauschgebühr – insoweit abweichend von § 8 Abs. 1 S. 2 RVG – erst mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens fällig wird (KG Berlin, a.a.O.; OLG Celle, a.a.O., Rn. 4; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Denn zuvor ist die gebotene Gesamtbetrachtung des gesamten Verfahrens nicht möglich (KG Berlin, a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Celle, a.a.O., Rn. 4). Die Annahme einer Fälligkeit des Anspruchs auf Bewilligung einer Pauschgebühr bereits im Zeitpunkt des § 8 Abs. 1 S. 2 RVG könnte zudem in Konflikt mit potentiellen Anträgen gemäß § 42 Abs. Abs. 1, Abs. 2 S. 2 RVG treten, die erst nach Rechtskraft der Kostenentscheidung zulässig sind (§ 42 Abs. 2 S.1 RVG). Denn zuvor kann jedenfalls nicht beurteilt werden, ob der Angeklagten gegen die Staatskasse einen Erstattungsanspruch hat (vgl. § 52 Abs. 2 RVG).

 

Die begehrte Pauschgebühr kann dem Antragsteller auch nicht als Vorschuss auf die zu erwartende Pauschgebühr (§ 51 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 RVG) bewilligt werden. Unabhängig davon, dass kein „Vorschussantrag“ (vgl. Burhoff in Burhoff/Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, § 51 Rn. 100) gestellt ist, liegen jedenfalls die Voraussetzungen für die Bewilligung eines Vorschusses nicht vor. Denn ein solcher ist nur zu bewilligen, wenn eine Pauschgebühr nicht nur mit Sicherheit zu erwarten ist und das Verfahren lange gedauert hat/dauern wird, sondern dem Verteidiger zudem nicht zugemutet werden kann, die endgültige Festsetzung abzuwarten (BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 2011, 1 BvR 3171/10, juris, Rn. 20). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10. Januar 2007, 2 13vR 2592/06, juris, Rn. 5; Beschluss vom 1. Juni 2011, 1 BvR 3171/10, juris, Rn. 31) ist für das letztgenannte Erfordernis eine detaillierte Einnahmen-Ausgaben Aufstellung der Kanzlei zu verlangen, weil das Gericht sonst nicht prüfen kann, ob und in welcher Höhe ein Vorschuss notwendig ist, um die Einbußen auszugleichen, die auf der Übernahme der Pflichtverteidigung beruhen. Daran fehlt es.“

M.E. hätte man auch anders entscheiden können. Denn das RVG nennt keinen Zeitpunkt für die Stellung des Pauschgebührantrags. Es ist zwar richtig, dass der Pauschgebührenantrag grds. erst gestellt werden, wenn die zu vergütende Tätigkeit abgeschlossen ist und die gesetzliche Gebühr gem. § 8 RVG fällig ist. I.d.R. wird das dann sein, wenn zumindest die Instanz abgeschlossen ist (so die allgemeine Meinung in der Literatur und ältere Rechtsprechung von OLGs ). Die h.M. in der OLG-Rechtsprechung zum RVG (siehe die o.a. Zitate des OLG) sieht das aber leider anders. Also empfiehlt es sich, mit einem Pauschgebührantrag zu warten, bis der BGH entschieden hat. Das erspart doppelte Antragstellung. In der Zwischenzeit sollte der Pflichtverteidiger ggf. seine gesetzlichen Gebühren geltend machen und dann ggf. überlegen, später Kostenerstattung für den Mandanten zu beantragen. Aber auch da: Vorsicht und Reihenfolge beachten!!!

Pauschgebühr II: BGH ist großzügiger mit der Revision, oder: Geht doch!

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Und hier dann die zweite Pauschgebührentscheidung. Ich hatte ja heute morgen in meinem Beitrag zu der „Igel-Entscheidung“, dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.02.2025 – 1 AR 15/24, bereits darauf hingewiesen (siehe hier: Pauschgebühr I: Mal wieder „den Igel in der Tasche“, oder: 6,11 EUR/Stunde sind zumutbar), dass der BGH manchmal „großzügiger“ mit der Gewährung von Pauschgebühren ist, obwohl diese unsägliche und falsche „außergewöhnlich mehr-Argument“ aus seiner Rechtsprechung stammt.

Und dass ich mit der Annahme richtig liege, zeigt m.E. der BGH, Beschl. v. 28.01.2025 – BGH 5 StR 326/23. Das ist das Revisionsverfahren zu dem Verfahren beim LG Stade, in dem das LG eine 98 Jahre alte ehemalige Zivilangestellten der SS eingegangen wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und versuchtem Mord in fünf Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt hat. Der BGH hat die Revision verworfen (vgl. hier die PM).

Es hatte dann der Beistand eines für das Revisionsverfahren anstelle der gesetzlichen Gebühren Nr. 4130 und 4132 VV RVG eine Pauschvergütung in Höhe von 2.137 EUR zuzüglich Auslagenpauschale und Abwesenheitsgelder sowie Umsatzsteuer beantragt. Der BGH hat – ohne viel Worte – eine Pauschgebühr gewährt, wobei, das räume ich ein, der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sich aus dem Beschluss nicht ergibt:

„Der durch Verfügung der Vorsitzenden vom 27. Juni 2024 bestellte Beistand des Nebenklägers G. hat wegen des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit seiner Tätigkeit im Revisionsverfahren 5 StR 326/23 beantragt, eine Pauschgebühr von insgesamt 2.477 Euro einschließlich Auslagenpauschale und Abwesenheitsgeldern festzustellen. Die Vertreterin der Staatskasse hält die gesetzlichen Gebühren nach Nr. 4130 und 4132 VV RVG in Höhe von maximal 1.141 Euro im vorliegenden Fall nicht für zumutbar; sie hält die beantragte Pauschgebühr von 2.137 Euro zuzüglich der geltend gemachten Auslagenpauschale und Abwesenheitsgelder, mithin einen Betrag von insgesamt 2.477 Euro zuzüglich Umsatzsteuer für angemessen.

Der Senat stellt eine Pauschgebühr von 2.137 Euro fest.

Sind die für das Revisionsverfahren gesetzlich vorgesehenen Gebühren eines gerichtlich bestellten Anwalts – wie hier – wegen des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar, hat dieser gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG einen Anspruch auf Feststellung einer an die Stelle der gesetzlichen Gebühren (hier gemäß Nr. 4130 und 4132 VV RVG) tretenden Pauschgebühr.

Die Feststellung der Höhe der Pauschgebühr steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Schwierigkeit der Tätigkeit des Antragstellers im Revisionsverfahren hält der Senat in Übereinstimmung mit der Vertreterin der Staatskasse eine Pauschgebühr von 2.137 Euro (Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG in Höhe von 1.221 Euro, Terminsgebühr nach Nr. 4132 VV RVG für zwei Termine in Höhe von insgesamt 916 Euro) für angemessen.“

Geht doch.

Pauschgebühr I: Mal wieder „den Igel in der Tasche“, oder: 6,11 EUR/Stunde sind zumutbar

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Heute dann am Gebührenfreitag zwei Entscheidungen zur Pauschgebühr, und zwar einmal für den Wahlanwalt, also § 42 RVG, und einmal für den bestellten Beistand des Nebenklägers, also § 51 RVG, und zwar jeweils für Tätigkeiten im Revisionsverfahren.

„Pauschgebühr“? Der ein oder andere wird sich sagen: Ja, da war doch mal was. Richtig. Früher gab es den § 99 BRAGO. Da war es schon nicht ganz einfach, eine Paischgebühr zu bekommen.
Nach Einführung des RVG hat die Gewährung von Pauschgebühren für den Pflichtverteidiger gem. § 51 RVG drastisch abgenommen. Noch schwerer/aussichtloser ist es für den Wahlanwalt, wenn er nach § 42 RVG die Feststellung einer Pauschgebühr beantragt. Das beweist dann auch mal wieder der OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.02.2025 – 1 AR 15/24.

Der Rechtsanwalt war Wahlverteidiger des Angeklagten in einem Verfahren wegen Bestechlichkeit. Nach Abschluss des Verfahrens hat er dann die Feststellung einer Pauschgebühr in Höhe von 2.442 EUR für das Revisionsverfahren beantragt. Das OLG hat den Antrag abgelehnt:

„Der Antrag ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 S. 1 RVG nicht vorliegen. So kann der Senat zunächst keinen besonderen Umfang des Verfahrens erkennen. Dabei ist dem Antragsteller zwar durchaus zuzugeben, dass er im Interesse des Angeklagten eine immerhin 47 Seiten umfassende Revisionsbegründung gefertigt hat, die sorgsam die einzelnen Angriffspunkte gegen das Urteil aufarbeitet. Schon angesichts der existenzgefährdenden Bedeutung, die das Verfahren für den Angeklagten hatte, wäre es zudem fraglos unangemessen, den Verteidiger darauf zu verweisen, dass das Urteil auch durch eine knappere Revisionsbegründung hätte zu Fall gebracht werden können. Es war richtig und ist vom Senat nicht zu kritisieren, dass der Antragsteller den sichersten Weg gewählt hat. Auch hatten die Akten, die der Verteidiger allerdings nur unter dem Blickwinkel des Revisionsverfahrens (insbesondere zur Prüfung von Verfahrensrügen) in den Blick nehmen musste, bei Abfassung der Revisionsbegründung einen nicht unerheblichen, wenngleich nicht außerordentlichen Umfang erreicht (6 Bände). Auf der anderen Seite hat der Senat aber auch zu berücksichtigen,

– dass nicht selten weitaus umfangreichere Revisionsbegründungen gefertigt werden,
– die für die Sachrüge maßgeblichen Gründe des angefochtenen Urteils mit 41 Seiten nicht außergewöhnlich umfangreich sind,
– es nur um eine Tat ging und
– auch lediglich eine Person angeklagt war.

Allerdings tendiert der Senat dazu, das Verfahren insbesondere wegen der problematischen Würdigung der Beweislage, was bereits zu einer Aufhebung eines freisprechenden Urteils durch den Senat geführt hatte. durchaus als schwierig anzusehen.

Letztlich kann es aber dahinstehen, ob das Verfahren allein aus diesem Grund trotz des überschaubaren Tatvorwurfs schon als besonders schwierig anzusehen ist. Denn eine Pauschgebühr kann jedenfalls deshalb nicht bewilligt werden, weil es dem Antragsteller zugemutet werden kann, die Gebühren innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu bestimmen. Die Bewilligung einer Pauschgebühr über die gesetzlichen Wahl-verteidigerhöchstgebühren hinaus nach § 42 RVG ist an noch engere Voraussetzungen geknüpft als das bei § 51 RVG der Fall ist (OLG Celle, Beschluss vom 11. Mai 2017, 1 AR(P) 11/17, juris, Rn. 4). Denn dem Wahlverteidiger wird im Gegensatz zum Pflichtverteidiger kein Beitrag für das Allgemeinwohl abverlangt (OLG München, Be-schluss vom 22. Januar 2021, 1 AR 251/201 AR 266/20, juris, Rn. 34). Diese engen Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Vielmehr hält der Senat vor dem Hintergrund des Prinzips der Mischkalkulation (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020, 1 StR 277/17, juris, Rn. 9 m.w.N.) angesichts der dargestellten Kriterien im Rahmen seines Ermessens die gesetzliche Vergütung für ausreichend.

Dass der Verteidiger vorträgt, er habe für die 47 Seiten umfassende Revisionsbegründung „deutlich über 200 Stunden“ gearbeitet und in dieser Zeit keine anderen Mandantentermine durchgeführt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die individuell aufgewendete Arbeitszeit ist nicht der unmittelbare Maßstab (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 1995, 1 StR 158/95, juris, Rn. 9; OLG München. Beschluss vom 22. Januar 2021, 1 AR 251/201 AR 266/20, juris, Rn. 38), weil sich der Senat bei der gebotenen Beurteilung primär an den objektiv bewertbaren, ihm anhand der Akten zugänglichen Umständen orientieren muss.“

Es wird den Kollegen Wahlanwalt freuen, dass der Revisionssenat des OLG seine im Revisionsverfahren erbrachten Tätigkeiten offenbar anerkennt und ihm nicht vorhält, dass nicht 47 Seiten Revisionsbegründung notwendig gewesen wäre, um das angegriffene Urteil „zu Fall zu bringen“. Noch mehr hätte es ihn allerdings gefreut, wenn das OLG diese Arbeit auch „monitär“, nämlich durch Feststellung einer Pauschgebühr nach § 42 RVG anerkannt hätte. So weit will man mit der Anerkennung dann aber offenbar doch nicht gehen und verweist den Verteidiger für die Erstellung der Revisionsbegründung auf die Wahlanwaltshöchstgebühr. Das sind bei der Nr. 4130 VV RVG, weil der Mandant nicht inhaftiert war, wofür der Antrag des Wahlanwalts spricht, 1.221 EUR. Beantragt hatte der Verteidiger 2.442 EUR. Und das bei mehr als 200 Stunden Arbeit, 46 Seiten Revisionsbegründung und sechs Bänden Akten. Da hält man 1.221 EUR, also rund 6,11 EUR/Stunde, für zumutbar. Die beantragten 12,22 EUR/Stunde wären schon nicht viel mehr als ein Trostpflaster gewesen, aber immerhin. Es ist in meinen Augen schon erstaunlich, was Gerichte Rechtsanwälten manchmal zumuten.

Und wenn dann wenigstens noch die Begründung für die Ablehnung des Antrags passen würde. Natürlich wabert auch wieder etwas „Außergewöhnliches“ – „nicht außergewöhnlich umfangreich gewesen“ – durch die Gründe, wozu sich jeder Kommentar erübrigt, außer nur: Es kommt auf „außergewöhnlich“ nicht an, wobei ich nicht verkenne, dass bei der Pauschgebühr des Wahlanwalts nach § 42 RVG von den OLG ein anderer Maßstab als bei § 51 RVG zugrunde gelegt wird. Aber: Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang, dass „nicht selten weitaus umfangreichere Revisionsbegründungen gefertigt werden“? Das ist sicherlich richtig, spielt aber doch für dieses Verfahren keine Rolle, da hier nur die konkreten Verfahrensumstände zu berücksichtigen sind. Und was soll es bedeuten, dass „es nur um eine Tat gegangen ist und auch lediglich eine Person angeklagt gewesen ist“? Welche konkreten Auswirkungen soll das haben? Das erschließt sich nicht und wird auch nicht von der angeführten Rechtsprechung unterstützt, da es sich dabei weitgehend um Entscheidungen handelt, die zu § 51 RVG ergangen sind. Daher zieht auch das Argument „Mischkalkulation“ nicht. Das ist schon beim Pflichtverteidiger bedenklich, kann aber bei einem Wahlanwalt m.E. keine Rolle spielen. Und auch das Argument „individuell aufgewendete Arbeitszeit ist nicht der unmittelbare Maßstab (vgl. BGH, Beschl. v. 21.9.1995 – 1 StR 158/95; OLG München, Beschl. v. 22.1.2021 – 1 AR 251/20 – 1 AR 266/20“ muss man hinterfragen. Abgesehen davon, dass es sich ebenfalls um Entscheidungen handelt, die zur Pauschgebühr des Pflichtverteidigers ergangen sind, die des BGH noch zu § 99 BRAGO (sic!!), hat man die Arbeitszeit zumindest „als Indiz für Umfang oder Schwierigkeit des Verfahrens“ angesehen. Im Bezirk des OLG Braunschweig scheint das aber alles leider keine Rolle zu spielen.

Nur zur Abrundung: Der Verteidiger wäre mit seinem Antrag wahrscheinlich beim BGH besser aufgehoben gewesen. Denn der scheint mit, wenn ich mir seine Rechtsprechung dann anschaue, manchmal doch „großzügiger“ zu sein. Manchmal 🙂 .

Vergleichsmaßstab, Staatsschutz, Existenzgefährdung, oder: Ausreichende Begründung des „Pauschiantrags“

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Und hier im zweiten Posting dann drei OLG-Entscheidungen, in denen Pauschvergütungen nach § 51 RVG bewilligt worden sind. Das ist ja zumindest schon mal erfreulich. Über deren Höhe wird man allerdings streiten können.

Es handelt sich um folgende Entscheidungen, von denen ich allerdings nur die Leitsätze einstelle:

1. Der Vergleichsmaßstab für die Prüfung eines besonderen Verfahrensumfangs gemäß § 51 RVG ist ausnahmsweise ein durchschnittliches Verfahren aus dem gesamten Spektrum aller erstinstanzlichen Verfahren, wenn ein Staatsschutzverfahren bereits im ersten Hauptverhandlungstermin eingestellt worden ist.

2. Zur Erforderlichkeit einer (ausreichenden) Begründung des Pauschgebührantrags.

1. Zur Beurteilung von besonderem Umfang und besonderen Schwierigkeit in einem Staats-schutzverfahren.

2. Macht der Pflichtverteidiger im Hinblick auf die Gewährung einer Pauschgebühr eine wirt-schaftliche Existenzgefährdung geltend, muss er zu den konkreten Auswirkungen des Verfah-rens auf seinen Kanzleibetrieb nachvollziehbar vortragen.

1. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt eine Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben.

2. Zur besonderen Schwierigkeit eines Strafverfahrens, das wegen der aufgeworfenen Rechtsfragen insbesondere zur Verwertbarkeit sowie der tatsächlichen, durch Sachverständigengutachten zu bewertenden Umstände auch besonders schwierig war.

3. Bei der Zuerkennung einer Pauschgebühr hat sich das OLG – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles – grundsätzlich an den Höchstgebühren, die ein Wahlverteidiger für den entsprechenden Verfahrensabschnitt geltend machen könnte, zu orientieren.

Folgendes ist anzumerken:

Ob das OLG Celle richtig liegt, kann man m.E. bezweifeln. Maßgeblich sind für eine Pauschgebühr doch die Umstände des jeweiligen Verfahrens. Die sind maßgeblich und nicht irgendwelche anderen Staatsschutzverfahren. Damit hat hier zwar nur ein Hauptver-handlungstermin stattgefunden. Aber das reduziert doch die grundsätzliche Einarbei-tungszeit des Pflichtverteidigers nicht. Daher passt die Argumentation, worauf in anderen „Staatsschutzverfahren“ abgestellt wird, nicht.

Ob die Entscheidung des OLG München richtig ist, kann man – wie leider so oft – ohne genaue(re) Kenntnis der konkreten Umstände des Verfahrens nicht beurteilen. Für mich nicht verständlich ist allerdings, warum das OLG nicht eingehender zur Frage der Gewährung einer Pauschgebühr für Sitzungstage, an denen nicht der Pflichtverteidiger, sondern andere Rechtsanwälte teilgenommen hatten, Stellung nimmt. Die angeführte Begründung, ein Son-deropfer sei hier weder in der Person des Pflichtverteidigers, noch in den Personen der ande-ren Rechtsanwälte erkennbar, ist nichts sagend und lässt m.E. die Einzelheiten außer Betracht. Dies gilt um so mehr, weil ja aufgrund der Abtretung etwaiger Gebührenansprüche der Vertre-ter an den Pflichtverteidiger dieser im Zweifel die Terminsgebühren, um die es geht, als gesetz-liche Gebühren geltend gemacht hat und sich nun auf die Pauschgebühr anrechnen lassen muss, ohne dass die fraglichen Termine in die Berechnung der Pauschgebühr einfließen.

Auch OLG Schleswig lässt sich nicht abschließend beurteilen, da sich im Grunde überhaupt keine Einzelheiten des Verfahrens aus dem Beschluss entnehmen lassen.

Zutreffend ist es allerdings, wenn das OLG Celle und das OLG München auf eine ausreichende(re) Begründung des Pauschgebührantrags abstellen. Ohne die geht es nicht. Das ist übrigens ja auch in dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 02.07.2024 – 2 ARs 12/24 – und dem dazu ergangenen BVerfG, Beschl. v. 08.08.2024 – 1 BvR 1680/24 -, die ich heute morgen vorgestellt habe (vgl. Keine Pauschgebühr für den entbundenen Pflichti?, oder: OLG Frankfurt und BVerfG irren mal wieder) angeklungen.