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OWi II: Atemmessung mit Dräger Alcotest 9510 DE, oder: Aufklärungspflicht, Eichung und Störquellen

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Im zweiten Posting dann der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 31.01.2025 – 3 ORbs 330 SsBs 629/24, und zwar zur Aufklärungspflicht bei einer Trunkenheitsfahrt nach § 24a Abs. 1 StVG, bei der der Verurteilung ein standardisiertes Messverfahren zugrunde gelegen hat. Hier hatte die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg:

Der Senat merkt Folgendes ergänzend an:

1. Die erhobene Verfahrensrüge mangelnder Sachaufklärung zur Frage der Richtigkeit der Atemalkoholmessung dürfte bereits unzulässig sein (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), weil der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde das von dem beauftragten Privatsachverständigen in Bezug genommene Gutachten des Bundesgesundheitsamtes zur Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse nicht vorgelegt hat. Ungeachtet dessen ist die Rüge jedenfalls unbegründet.

Der Gesetzgeber hat ausdrücklich vorgesehen, dass bei der Atemalkoholbestimmung nur Messgeräte eingesetzt und Messmethoden angewendet werden dürfen, die den im Gutachten des Bundesgesundheitsamts zur Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse gestellten Anforderungen genügen (BT-Drucks. 13/1439, S. 4). Dem wird das im hier gegebenen Fall verwendete Messgerät Dräger Alcotest 9510 DE gerecht, das die Voraussetzungen der DIN VDE 0405 erfüllt (vgl. Schuff, in: Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl., § 2 Rn 114; Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., Abschnitt T, Rn 3636) und bei dem es sich um ein sog. standardisiertes, Messverfahren handelt (KG Berlin, B. v. 24.03.2022 – 3 Ws (B) 53/22-122 Ss 24/22 -, juris Rn 14, OLG Dresden, B. v. 06.10.2022 – OLG 23 Ss 608/22 (B), juris Rn 13; BayObLG, B. v. 07.01.2021 – 201 ObOWi 1683/20, juris Rn 6 f.; vgl. auch BGH, B. v. 03.04.2001 – 4 StR 507/00 -, juris Rn 11 zum Gerät Dräger Alcotest Evidential MK III). Diese Anerkennung führt hinsichtlich des Umfanges der Beweisaufnahme und der Anforderungen an die Urteilsgründe zu Erleichterungen (BGHSt 39, 291; 43, 277), die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind (BVerfG, B. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 -, juris). Die Erleichterungen bedeuten im Rahmen der Beweisaufnahme eine reduzierte Sachverhaltsaufklärungspflicht des Tatgerichts. Das Tatgericht darf bei einer mit einem standardisierten Messverfahren erfolgten Messung grundsätzlich ohne weitergehende Beweiserhebung von der Richtigkeit des ermittelten, gegebenenfalls um eine Toleranz zu bereinigenden Messwerts ausgehen (BGH a.a.O.; KG Berlin, a.a.O., BayObLG, a.a.O.).

Die in § 77 Abs. 1 OWiG normierte Aufklärungspflicht nötigt das Gericht nur dann zu einer weitergehenden Beweisaufnahme zwecks näherer Überprüfung des Messergebnisses, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte vorgetragen werden oder sonst ersichtlich sind, die geeignet sind, Zweifel an dessen Richtigkeit zu begründen (vgl. BGH a.a.O.; KG Berlin, a.a.O.; BayObLG, a.a.O.). Dies war vorliegend nicht der Fall:

Der Betroffene nahm am 19.01.2024, 002 Uhr, in Singen, mit einem Pkw pp. am Straßenverkehr teil und wurde einer Polizeikontrolle unterzogen. Eine zu diesem Zeitpunkt dort mittels eines nicht geeichten Atemalkoholmessgeräts durchgeführter Test ergab eine Atemalkoholkonzentration von 0,32 mg/I. Die auf dem fünf Kilometer entfernten Polizeirevier in Mühlhausen-Ehingen erfolgte Atemalkoholmessung mit dem am 25.09.2023 vor und am 19.03.2024 nach der verfahrensgegenständlichen Messung gültig geeichten Messgerät Dräger Alcotest 9510 DE fand am 19.01.2024 ab 00:36 Uhr statt. Dem Protokoll zur Atemalkoholanalyse zufolge hatte der Betroffene angegeben, sein letzter Alkoholkonsum habe am 19.01.2024 um 00:00 Uhr stattgefunden. Dem Protokoll ist u.a. weiter zu entnehmen, dass die Wartezeit von 20 Minuten vor der ersten Messung eingehalten sei und der Betroffene mindesten zehn Minuten vor Beginn bis Ende des Messzyklus keine Nahrungs- oder Genussmittel aufgenommen habe. Ein erster, um 00:38:36 Uhr durchgeführter Messversuch wurde vom Messgerät abgebrochen („Fehlversuch, Atemabgabe unzulässig“). Um 00:39:42 Uhr erfolgte die erfolgreiche erste Einzelmessung, die eine Atemalkoholkonzentration von 0,267 mg/I, um 00:43 Uhr die zweite Einzelmessung, die eine Atemalkoholkonzentration von 0,277 mg/I ergab. Das Messergebnis (Mittelwert) wurde mit 0,27 mg/I ausgewiesen. Der Betroffene erklärte in der Hauptverhandlung, er habe vor Fahrtantritt zunächst ein alkoholfreies und sodann ein alkoholhaltiges Bier getrunken.

Das in der Hauptverhandlung eingeführte, von dem anwesenden Verteidiger vorgelegte Privatgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. pp. vom 27.05.2024 über die „Begutachtung der Beweismittel“ kommt zu dem Ergebnis, dass insgesamt ein ordnungsgemäßer Messablauf nachvollzogen werden könne; da aber in einem Eichschein der ordnungsgemäße Zustand eines Messsystems zum Zeitpunkt der Eichung bestätigt werde, seien zur Sicherstellung, dass das Messgerät zur Messzeit ordnungsgemäß funktioniert habe und nicht Störungen aufgetreten seien, die zu einem falschen Messergebnis geführt haben könnten, auch noch die Ergebnisse der Eingangsprüfung der nachfolgenden Eichung heranzuziehen, weil bei Atemalkoholmessgeräten nicht auszuschließen sei, dass Rückstände bzw. Ablagerungen in den beiden Probenkammern trotz Spülung nicht vollständig beseitigt werden, was dann nachfolgende Messungen verfälschen könne. Insbesondere werde im Gutachten „Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse“, welches die Grundlage für die Zulassung von Atemalkoholmessungen bilde, vom Verfasser Schoknecht darauf hingewiesen (Abs. 3.1. Grundvoraussetzungen): „Die Zuverlässigkeit (Reliabilität) der Messgeräte muss über den Zeitraum, in dem ein Messgerät zum Einsatz kommt, gewährleistet sein. Diese Nacheichungen, die die Gewähr für die Messsicherheit über den Einsatzzeitraum sichern, sollten in möglichst kurzen Zeitabständen stattfinden. Nach den bisherigen Erfahrungen wird hierfür ein Zeitraum von 6 Monaten als notwendig erachtet.“

Hinweise auf eine nicht ordnungsgemäße Verwendung des Atemalkoholmessgeräts durch den Bediener hat der Privatsachverständige somit ausdrücklich verneint. Konkrete Anhaltpunkte für eine strukturelle, von der Bauartprüfung- und Zulassung des Messgeräts durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (vgl. Schuff, in: Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl., § 2 Rn 114) nicht erfasste Fehlerquelle, denen das Amtsgericht unter dem Gesichtspunkt der Amtsaufklärung hätte nachgehen müssen, ergeben sich aus den Darlegungen des Privatsachverständigen ebenso wenig wie aus dem in Bezug genommen Gutachten des Bundesgesundheitsamtes „Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse“, das Rückstände und Ablagerungen in Probekammern als mögliche Ursache von Messfehlern nicht thematisiert, aber insbesondere klarstellt, dass Nacheichungen die Gewähr für die Messsicherheit über den Einsatzzeitraum sichern (Ziff. 3.1. Grundvoraussetzungen, S. 10). Die Äußerungen des Privatsachverständigen erschöpfen sich letztlich in dem Hinweis auf eine von den Eichbehörden im Rahmen der Eichprüfung eines Atemalkoholmessgeräts zu kontrollierende, theoretisch mögliche Störungsquelle.

Diese Äußerungen mussten, da das vorliegend verwendete Messgerät vor und nach der verfahrensgegenständlichen Messung innerhalb des halbjährigen Regelturnusses gültig geeicht wurde, dem Amtsgericht zu keiner weiteren Aufklärung Anlass geben. Durch die Bauartprüfung- und Zulassung bzw. Konformitätsbewertung zusammen mit der auf deren Grundlage erfolgenden staatlichen Eichung ist über den Zeitraum der Eichperiode die immer korrekte Funktion des einzelnen Gerätes sichergestellt (vgl. BayObLG, a.a.O., Rn 6 f.; Lagois, Blutalkohol 37, 77, 88 zum Vorgängergerät Dräger Alcotest 7110 Evidential, das im Wesentlichen über die gleichen messtechnischen Einrichtungen verfügt wie das Modell Alcotest 9510 DE, vgl. dazu: Schuff, in: Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl., § 2 Rn 114).

Der am 19.01.2024, 00:38:36 Uhr, bei dem ersten Messversuch erfolgte – von dem Privatsachverständigen in seinem Gutachten nicht thematisierte – Abbruch des Messvorgangs rechtfertigt keine andere Beurteilung, denn er ist lediglich Beleg für die funktionsfähigen geräteinternen Kontrollmechanismen, die das Messergebnis absichern und in einem Fehlerfall zu einer entsprechenden Fehlermeldung bzw. zu einem Abbruch des Messvorgangs führen (vgl. OLG Dresden, B. v. 03.01.2005 – Ss (OWi) 629/04 – Rn 17; Schuff, a.a.O., Rn 116; Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., Abschnitt T, Rn 3644; Schäler, NZV 2017, 422, 425; Haffner u.a., NZV 2009, 209 ff.; Schmidt u.a., Blutalkohol 37, 92 ff.).

Soweit der Betroffene pauschal erklärte, das Messgerät habe ein paar Mal neu gestartet werden müssen, musste dieser (im Privatgutachten ebenfalls nicht thematisierte) Vortrag gleichfalls – auch im Rahmen einer Gesamtschau und unter Berücksichtigung des vom Betroffenen angegebenen Umfangs seines Alkoholkonsums – nicht zu weiterer Aufklärung drängen. Der geschulte Messbeamte hatte dazu in der Hauptverhandlung zwar nur angegeben, er könne sich nicht mehr erinnern, ob das Gerät vorher (offensichtlich gemeint: vor der durchgeführten Messung) abgestürzt sei und sie einen Neustart hätten machen müssen. Da das Messgerät jedoch gültig geeicht war, das Polizeipräsidium Konstanz am 02.04.2024 schriftlich gegenüber der Bußgeldbehörde erklärt hatte, dass im Eichzeitraum keine (ausschließlich vom Hersteller durchgeführten – vgl. Schuff, a.a.O., Rn 114) Wartungen oder Reparaturen und demgemäß auch keine unplanmäßige Eichung stattgefunden hätte(n) und da das Gerät – wie ausgeführt – über zahlreiche geräteinterne Kontroll- bzw. Selbsttestmechanismen verfügt und die Atemalkoholkonzentration mit zwei verschiedenen voneinander unabhängigen Messsystemen und Messmethoden misst, die sich gegenseitig überwachen (vgl. Gutachten des Bundesgesundheitsamtes „Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse“, Ziff. 3.5. Messsicherheit, S. 13; Knopf u.a., NZV 2000, 195; Krumm, NJW 2012, 1860; Burhoff, a.a.O., Rn 3644 ff.; Lagois, a.a.O.; Schmidt u.a., a.a.O.), durfte das Amtsgericht davon ausgehen, dass gegebenenfalls notwendige Neustarts des Messgeräts weder einen Gerätedefekt noch einen Messfehler nahelegten (vgl. auch AG Reutlingen, Urt. v. 20.06.2018- 5 OWi 28 Js 9556/18 -, juris Rn 13).“

Rest dann bitte selbst lesen oder <<Werbemodus an>> entweder bei Burhoff/Grün, Messungen im Straßemverkehr, 6. Aufl. 2021, oder bei Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl., 2024, nachlesen. Bestellen kann man die hier. Wenn das OLG uns zitiert, darf ich das auch 🙂 <<Werbemodus aus“.

StPO I: Ergänzungspflegschaft für ein „Kind“ ?, oder: Notwendige Verstandesreife eines fast 16-Jährigen

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Ich stelle heute dann StPO-Entscheidungen vor, zweimal OLG und einmal BayObLG.

Ich starte mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.04.2025 – 2 WF 33/25. Das ist StPO mit familienrechtlichem Einschlag. Es geht nämlich um die Bestellung eines Ergänzungspflegers für einen Minderjährigen.

Ausgangspunkt ist ein OWi-Verfahren, in dem es um eine eine Ordnungswidrigkeit bezüglich der Nichterbringung eines Immunitätsnachweises nach dem IfSG. Die betroffenen Eltern hatten behauptet vorliegend, dass sich das Kind nicht impfen lassen wolle. Es wurde beantragt, das Kind in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Das AG hatte die Ergänzungspflegschaft für das Kind, das in der Hauaptverhandlung als Zeuge vernommenw erden sollte, angeregt.

Das Familiengericht ist dieser Anregung nachgekommen, indem es für das betroffene Kind eine Ergänzungspflegschaft anordnete und das Jugendamt des Landkreises zum Ergänzungspfleger mit dem Wirkungskreis „Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 StPO sowie des Untersuchungsverweigerungsrechts gemäß § 81 c Abs. 3 StPO“ bestellte.

Dagegen das „Kind“, das geltend gemacht hat, es sei 15, bald 16 Jahre alt und damit offenkundig in der Lage, selbst über die Ausübung des Zeugnis- und Untersuchungsverweigerungsrechts zu entscheiden. Auch der Vater hat Rechtsmittel eingelegt.

Beide Rechtsmittel hatten Erfolg:

„2. Die Beschwerden sind begründet.

a) Ergänzungspflegerbestellung für das Zeugnisverweigerungsrecht

aa) Rechtsgrundlage für die Pflegereinsetzung insoweit ist § 1809 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. §§ 161a, 52 Abs. 2 S. 2 StPO. Gemäß § 1809 Abs. 1 S. 1 BGB erhält, „wer unter elterlicher Sorge … steht, für Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern verhindert sind, einen Pfleger.“ Die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts bzw. die Erteilung der Genehmigung für eine Aussage ist gemäß § 52 Abs. 1 StPO eine Angelegenheit, die der Besorgung der Eltern unterliegt, wenn und soweit „Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife … von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung“ haben. Denn dann dürfen sie gemäß § 52 Abs. 1 StPO nur vernommen werden, „wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt“ (§ 52 Abs. 1 S. 1 StPO). § 52 Abs. 2 S. 2 StPO regelt weiter: „Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.“ Liegen die Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 S. 2 StPO vor, sind die Eltern kraft Gesetzes von der Vertretung des Kindes im Hinblick auf dessen Zeugnisverweigerungsrecht ausgeschlossen und es ist dann gemäß § 1809 Abs. 1 S. 1 BGB zwingend ein Ergänzungspfleger zu bestellen (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 13. August 2019 – 2 WF 102/19 -, juris, Rn. 18, und Beschluss vom 8. Mai 2019 – 2 WF 31/19 -, juris, Rn. 17, bestätigt durch BGH, Beschluss vom 22.04.2020 – XII ZB 477/19 -, juris, Rn. 27).

Nach Vorstehendem sind daher sowohl die Mutter als Beschuldigte wie auch der Vater als mitsorgeberechtigter Elternteil grundsätzlich von der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossen.

bb) Voraussetzung für die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft ist weiter, dass dem betroffenen Kind die notwendige Verstandesreife fehlt, um über die Wahrnehmung des ihm zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts selbst entscheiden zu können.

Das Familiengericht ist dabei an die Beurteilung der Strafverfolgungsbehörden zur Verstandesreife gebunden, es sei denn, es läge eine offensichtliche Fehleinschätzung vor (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 08. Mai 2019 – 2 WF 31/19 –, juris, Rn. 17 mwN; Schöpflin, in: BeckOGK, Stand: 15.03.2025, § 1809 BGB Rn. 47 mwN).

Entsprechend ist die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft im Fall der offensichtlich bestehenden Verstandesreife zwecklos und dann abzulehnen (BGH, Beschluss vom 22.04.2020 – XII ZB 477/19 -, juris, Rn. 28).

So liegt der Fall hier.

Es besteht zwar keine feste Altersgrenze, ab der eine Verstandesreife stets angenommen oder abgelehnt werden könnte. Der BGH hat entschieden, dass bei einem sieben Jahre alten Kind eine notwendige Verstandesreife in der Regel nicht besteht (BGHSt 14, 159, 162), bei Jugendlichen ab 14 Jahren diese demgegenüber in der Regel anzunehmen ist (BGHSt 20, 234). Im Zweifel ist nach der Rechtsprechung des BGH vom Fehlen der notwendigen Verstandesreife auszugehen (BGHSt 19, 85; 23, 221).

Der Betroffene ist bereits 15 Jahre alt und wird am 01.06.2025 16 Jahre alt. Anhaltspunkte dafür, dass er nicht über die notwendige Verstandesreife im Sinne des § 52 Abs. 2 S. 2 StPO verfügen könnte, sind nicht ersichtlich und wurden auch von dem Jugendamt bzw. Ergänzungspfleger des Kindes nicht vorgetragen.

bb) Untersuchungsverweigerungsrecht

Hinsichtlich des Untersuchungsverweigerungsrechts gem. § 81c Abs. 3 StPO gilt das zum Zeugnisverweigerungsrecht Ausgeführte entsprechend. Wegen des Verweises in § 81c Abs. 3 S. 3 StPO auf die Regelung in § 52 Abs. 2 StPO ist auch diesbezüglich keine Ergänzungspflegschaft einzurichten.“

Rechtsmittel III: Auslegung der „Rechtsmittelschrift“, oder: Anfechtungsgegenstand und Anfechtungswille?

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Und dann habe ich zum Tagesschluss hier noch den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.03.2025 – 1 Ws 33/25.

Das LG hat die Berufung des vom Verteidiger für den Angeklagten gegen ein Urteil des AG sowie seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte Erfolg, soweit das LG die Berufung als unzulässig verworfen hat. Soweit sich die sofortige Beschwerde gegen die Versagung der Wiedereinsetzung richtete, hat das OLG klar gestellt, dass ist eine Entscheidung des OLG nicht veranlasst war, da keine Frist versäumt wurde:

„Entgegen der Annahme des Landgerichts hat der Verteidiger für den Angeklagten am 19.09.2024, mithin innerhalb der Frist des § 314 Abs. 1 StPO, gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 19.09.2024 in zulässiger Weise Berufung eingelegt. Entsprechend § 32d S. 2 StPO erfolgte die Übermittlung der Berufungsschrift an das Amtsgericht Karlsruhe mittels eines mit qualifizierter Signatur des Verteidigers versehenen elektronischen Dokuments. Dass die „übliche“ Berufungsschrift – wohl versehentlich – nicht beigefügt war, schadet nicht, da sich aus der vom Verteidiger übermittelten Datei Amtsgericht_Karlsruhe_19_Ds_940_Js_51573_22.pdf zweifelsfrei sein Wille, gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 19.09.2024 Berufung einlegen zu wollen, entnehmen lässt.

Die Einlegung der Berufung ist eine Prozesserklärung iSd §§ 296 ff. Es ist nicht vorgeschrieben, diese Erklärung inhaltlich mit bestimmten Worten abzugeben. Sie muss nur mit hinreichender Deutlichkeit den Anfechtungsgegenstand sowie die Person und den Anfechtungswillen des Erklärenden erkennen lassen (OLG Bamberg, Beschl. v. 8.9.2016 – 3 OLG 7 Ss 78/16, BeckRS 2016, 111077; BeckOK StPO/Eschelbach § 314 Rn. 2, 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67 Aufl. 2024, Einl Rn. 28). Die Erklärung muss sich in unterscheidungsfähiger Weise auf das angefochtene Urteil beziehen. Wie es bezeichnet wird, ist unerheblich. Es muss nur Klarheit über die Erklärung eines unbedingten Anfechtungswillens in Bezug auf ein bestimmtes Urteil herrschen.

Hiervon ausgehend und unter Beachtung des allgemeinen Grundsatzes, dass eine formgerecht eingereichte Erklärung wohlwollend auszulegen ist (BeckOK StPO/Eschelbach § 314 Rn. 2), genügt die übermittelte Anlage diesen Anforderungen. Denn darin werden vom Verteidiger sowohl das Gericht, dessen Urteil angefochten werden soll, und das gerichtliche Aktenzeichen genannt, in der Betreff-Zeile (durch welche nach allgemeinem Verständnis die Beziehungen zwischen Übermittler und Empfänger in Beziehung zu einer bestimmten Thematik oder zu einer erforderlichen Aktion aussagekräftig hergestellt werden soll) der Name des Angeklagten mit dem Stichwort „Berufung“. In der nächsten Zeile wird auf eine (nicht übermittelte) Anlage hingewiesen, deren Inhalt aber wie folgt bezeichnet wird: „Berufung gegen das Urteil vom 19_09_2024.pdf“.

Aus diesen Angaben ergibt sich mit hinreichender Klarheit, dass der Verteidiger für den Angeklagten gegen das am 19.09.2024 verkündete Urteil Berufung einlegen will. Durch den Hinweis auf die fehlende Anlage wird die Einlegung der Berufung nicht nur angekündigt, sondern der Anfechtungswille des Angeklagten, dessen Verteidiger das Dokument qualifiziert signiert hat, deutlich. Dass dieser nicht in einem vollständigen Satz Ausdruck findet, schadet nicht, da eine andere Deutung als die, Berufung einlegen zu wollen, aus verständiger Sicht ausscheidet.“

StGB II: Strafantragsfrist bei Internetbeleidigung, oder: „„kinderspritzarzt Nummer 1, der keine Skrupel kennt“

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Im zweiten Posting dann etwas aus dem Bereich der Beleidigungsdelikte, und zwar den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.03.2025 – 3 ORs 310 SRs 59/25.

Der der Angeklagten zur Last gelegte Vorwurf stammt noch aus der Corona-Zeit. Das AG hatte wegen Beleidigung eines Arztes verurteilt. Nach den Feststellungen des AG hat die Angeklagte am 20.10.2022 gegen 10:57 Uhr als Nutzerin des Twitter-Accounts „pp.“ den Kinderarzt pp. mit den Worten „kinderspritzarzt Nummer 1, der keine Skrupel kennt“ beleidigt und den Hashtag „#Genozid“ angehängt, um ihre Missachtung auszudrücken. Dem Tweet habe sie einen auf BR24 veröffentlichten Beitrag über den Geschädigten mit dessen Bild beigefügt. Die Sprungrevision hatte beim OLG Erfolg.

„1. Ein Verfahrenshindernis liegt entgegen der Auffassung des Verteidigers allerdings nicht vor. Insbesondere fehlt es nicht an einem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen innerhalb der Frist des § 77b StGB eingegangenen und gemäß § 158 Abs. 2 StPO formgerecht gestellten Strafantrag.

Zwar wurde der in der Hauptverhandlung verlesene Strafantrag erst am 09.01.2023 gestellt, wäh-rend die per E-Mail durch den Geschädigten gestellte Strafanzeige bereits am 07.08.2022 einge-gangen war. Wäre für den Fristbeginn der dreimonatigen Strafantragsfrist nach § 77b Äbs. 1 StGB diese Strafanzeige entscheidend, so wäre die Frist am 09.01.2023 bereits abgelaufen gewesen. Allerdings beginnt der Lauf der Frist erst mit Kenntnis des Antragsberechtigten von der Tat und von der Person des Täters, § 77b Abs. 2 Satz 1 StGB. Hierzu müssen Tat und Tatbeteiligter so weitgehend konkretisiert sein, dass ein besonnener Mensch in der Lage ist zu beurteilen, ob er Strafantrag stellen soll (BGH, Beschluss vom 29.10.1998 – 5 StR 288-98 – , NJW 1999, 508, 509). Zwar muss dem Antragsteller nicht zwingend der vollständige Name des Täters bekannt sein. Allerdings muss jedenfalls eine hinreichende Individualisierbarkeit gegeben sein (BeckOK-Dallmeyer, StGB, 64. Edition, Stand: 01.02.2025, § 77b Rn. 4). Diese Voraussetzungen lagen vor dem 09.01.2023 nicht vor,

Anders als vom Verteidiger vorgetragen, sind die hierzu ergangenen Entscheidungen über die hinreichende Erkennbarkeit des Täters bei Verkehrsstraftaten (BayObLG, Beschluss vom 21.07.1993 – 2 StR RR 91/93 -, NStZ 1994, 86; OLG Stuttgart, Beschluss vom 16.03.1954 – Ws 392/53 -, NJW 1955, 73) nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. So ist in diesen Fällen eine gute Individualisierbarkeit bereits durch die Wahrnehmbarkeit eines einzigartigen Kfz-Kennzeichens gegeben. Eine solche Möglichkeit besteht bei einer Kommentierung von Beiträgen in sozialen Netzwerken im Internet gerade nicht. Diese ist gekennzeichnet durch die Nutzung von – nicht zwingend mit dem Klarnamen übereinstimmenden – Profilnamen. Häufig werden Abkürzungen, Verfremdungen des Namens oder gänzliche Fantasienamen kreiert. In vielen Fällen wird auch ge-zielt ein fremder Name benutzt. Allein durch die Kenntnis eines Profilnamens gelingt dem Anzei-geerstatter daher noch keine Individualisierung. Diese kann lediglich durch – den Ermittlungsbe-hörden vorbehaltene – Auskünfte des jeweiligen Plattformbetreibers und anschließende Provider-anfragen erfolgen. Selbst diese führen aufgrund falscher E-Mail-Adressen oder fehlender Zuor-denbarkeit einer Mobiltelefonnummer zu einer bestimmten Person häufig nicht zu der Ermittlung eines Tatverdächtigen. Der Anzeigeerstatter hatte daher bei Kenntnis des Kommentars am 07.08.2022 noch keinerlei Kenntnis über die hinter dem Kommentar stehende Person und auch keine Möglichkeit, diese näher zu identifizieren.

Hinzu kommt, dass der Grund für die geringen Anforderungen an die Kenntnis des Täters in den beiden zitierten Entscheidungen auch darin liegt, dass bei Straßenverkehrsstraftaten die Kenntnis von Namen und Lebensumständen des dem Geschädigten meist unbekannten Täters für die Frage der Antragstellung ohne Bedeutung ist (so ausdrücklich OLG Stuttgart, a. a. 0.). Anders gelagert sind dagegen die Fälle im Internet eingestellter Kommentare. Hier wird für den Anzeigeerstat-ter häufig die Kenntnis des Namens des Täters relevant sein, da entsprechende Kommentare oft durch dem Geschädigten bekannte Personen eingestellt werden, die der Geschädigte möglicherweise nicht anzeigen will. Die Kenntnis des Namens wird für den Anzeigeerstatter daher in der Regel wichtig sein, um herausfinden zu können, ob es sich um eine ihm bekannte oder eine ihm fremde Person handelt. Bei Äußerungen, die wie hier das berufliche Umfeld des Geschädigten betreffen, wird dieses Interesse an der Identität des Täters häufig noch stärker sein. So kann allein bei Kenntnis des Namens herausgefunden werden, ob es sich bei dem Täter um eine dem Anzeigeerstatter eventuell aus dem beruflichen Umfeld bekannte Person handelt. Des Weiteren bleibt es bei Internet-Beiträgen oft nicht bei der einmaligen Einstellung eines Betrages, sondern es kommt zu wiederkehrenden Auseinandersetzungen einer Person mit einem bestimmten Thema. Auch insoweit kann der Anzeigeerstatter nur dann herausfinden, ob es sich bei dem Verfasser um eine Person handelt, die bereits einmal einen Text über ihn verfasst hat, oder eine Person, die er – auch aus diesem Zusammenhang – noch nicht kennt.

Die für Verkehrsstraftaten in der Rechtsprechung teilweise entwickelten Grundsätze sind damit auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Besonderheiten der Tatbegehung durch Kommentierungen im Internet berücksichtigend war dem Geschädigten erst zuzumuten, Strafantrag zu stellen, nachdem er von der Polizei nach Abschluss der hierzu getätigten Ermittlungen am 09.01.2023 über den ermittelten Klarnamen der Angeklagten informiert worden war. Der an diesem Tag vom Geschädigten unterzeichnete Strafantrag wurde somit form- und fristgerecht gestellt.

2. Die Revision führt jedoch auf die allgemeine Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache, da die Urteilsgründe lückenhaft sind und daher nicht auszuschließen ist, dass das Amtsgericht zu Unrecht von einer Erfüllung des Tatbestands der Beleidigung ausgegangen ist. Die getroffenen Tatsachenfeststellungen tragen den Schuldspruch nicht…..“

Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf den Volltext. Hier dazu nur der Leitsatz:

Eine Äußerung nimmt den Charakter als Schmähung erst dann an, wenn sie keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen.

Zustellung III: Nicht erkannte Unwirksamkeit, oder: Welche Folgen hat das im Rechtsmittelverfahren?

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Als drittes Posting dann noch der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.02.2025 – 2 Ws 19/25 – zu den Folgen einer nicht erkannten Unwirksamkeit der Zustellung für das Rechtsmittelverfahren

Ergangen ist der Beschluss in einem Widerrufsverfahren.  Die Ladung zu der mündlichen Anhörung, zu der der Verurteilte dann nicht erschien ist, war dem Verurteilten im Weg der Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt worden. Die Zustellung des Widerrufsbeschlusses erfolgte in der gleichen Weise am 13.09.2024. In einer E-Mail an das AG vom 12.10.2024 teilte der Verurteilte mit, dass sich seine Wohnanschrift bereits am 01.01.2024 geändert habe. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 28.10.2024 legte der Verurteilte sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss ein und beantragte, ihm gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dazu wurde unter Vorlage des Mietvertrags vorgetragen, dass der Verurteilte bereits seit 01.01.2024 in Ludwigshafen wohnhaft sei und er deshalb den Widerrufsbeschluss nicht erhalten habe. Vielmehr habe er von dem Widerruf erst durch die Ladung zu Strafantritt am 22.10.2024 erfahren. Das LG hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die sofortige Beschwerde als unzulässig verwrofen. Hiergegen legte der Verurteilte sofortige Beschwerde ein. Mit Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Heidelberg vom 2.8.2024 richtet, gemäß § 46 Abs. 3 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ihr kann auch ein (vorläufiger) Erfolg in der Sache nicht verwehrt bleiben.

1. Zwar geht der Angriff gegen die Versagung der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fehl, weil gar kein Fall der Säumnis vorliegt (vgl. MK-Valerius, StPO, § 44 Rn. 7 m.w.N.). Denn die am 13.9.2024 (vermeintlich) bewirkte Zustellung des Widerrufsbeschlusses vom 2.8.2024 war unwirksam, weshalb die Rechtsmittelfrist dadurch nicht in Gang gesetzt wurde.

a) Gemäß §§ 37 Abs. 1 StPO, 180 Satz 1 ZPO kann an einen Zustellungsempfänger, der in seiner Wohnung nicht angetroffen wird, die Zustellung durch Einlegung des zuzustellenden Schriftstückes in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten bewirkt werden. Diese ist jedoch nur wirksam, wenn der Zustellungsempfänger unter der Zustellanschrift wohnhaft ist. Eine Wohnung in diesem Sinn sind aber nur Räumlichkeiten, die der Adressat tatsächlich für eine gewisse Dauer in der Weise zum Wohnen nutzt, dass er dort seinen räumlichen Lebensmittelpunkt hat (OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 174). Der Senat hat dazu den vorgelegten Mietvertrag zum Anlass genommen, bei der Vermieterin – einer kommunalen Wohnungsgesellschaft – Nachfrage zu halten, die das Ergebnis erbracht haben, dass dem Verurteilten tatsächlich ab dem 1.1.2024 eine Mietwohnung in Ludwigshafen zum Gebrauch überlassen worden war, für die in der Folge auch Mietzinszahlungen erfolgten. Danach kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Verurteilte zum Zeitpunkt der Zustellung des Widerrufsbeschlusses am 13.9.2024 noch unter der Zustellanschrift in Dossenheim wohnhaft war.

b) Dass der Verurteilte im Bewährungsbeschluss angewiesen worden war, jeden Wohnungs- und Aufenthaltswechsel unverzüglich mitzuteilen, vermag an der sich hieraus ergebenden Unwirksamkeit der Zustellung nichts zu ändern. Denn der Gesetzgeber hat in §§ 37 Abs. 1 StPO, 179 ZPO nur der Annahmeverweigerung rechtliche Bedeutung zugemessen, dem sonstiges pflichtwidriges Verhalten des Zustellungsempfängers nicht gleichgestellt ist (OLG Koblenz ZfS 2005, 363).

2. Gleichwohl kann derjenige, der wie ein Säumiger behandelt wird, obwohl er gar nicht säumig ist, im Ergebnis nicht schlechter gestellt sein, als ein Säumiger, den an der Säumnis kein Verschulden trifft (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1981, 471; BayObLG NJW 1972, 1097). Nachdem der angefochtenen landgerichtlichen Entscheidung mit der Feststellung der Unwirksamkeit der Zustellung des amtsgerichtlichen Widerrufsbeschlusses der Boden entzogen ist, unterliegt er deshalb der Aufhebung. Da der Senat bezüglich der Widerrufsentscheidung selbst nicht entscheidungsbefugt ist, muss das Landgericht, an das die Sache deshalb zurückzuverweisen ist, darüber erneut auf der geänderten tatsächlichen Grundlage entscheiden. Da sich erst danach beurteilen lässt, ob das Rechtsmittel des Verurteilten endgültig Erfolg hat, ist dabei auch über die Kosten des Rechtsmittel mit zu befinden.“