Schlagwort-Archive: OLG Karlsruhe

beA II: beA/elektronisches Dokument im Strafrecht, oder: Wiedereinsetzung, Ersatzeinreichung, Email

Bild von LEANDRO AGUILAR auf Pixabay

Und nach der kleinen RÜ zum beA im Zivilverfahren (vgl. hier: beA I: beA/elektronisches Dokument im Zivilrecht, oder: aktuelle Software, Zustellung, Ersatzeinreichung) nun etwas zum Straf-/OWi-Verfahren, und zwar:

  • BGH, Beschl. v. 06.02.2024 – 6 StR 609/23 – zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision, in dem sich ein Dissens bei den Strafsenaten des BGH andeutet/ankündigt:

„(1) Der Senat vermag der Rechtsansicht des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht zu folgen, wonach die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags in Fällen, in denen die vorübergehende technische Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument geltend gemacht wird, einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2023 – 3 StR 256/23, NStZ-RR 2023, 347). Gestützt wird dieses Erfordernis auf die für eine zulässige Ersatzeinreichung von Schriftsätzen gemäß § 130d Satz 3 ZPO entwickelten Anforderungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. September 2022 – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647; vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22, NJW-RR 2023, 760, 762). Mit den an die Darlegung des technischen Defekts gestellten Anforderungen soll eine missbräuchliche Übersendung von Schriftsätzen im Zivilprozess nach den allgemeinen Vorschriften verhindert werden (vgl. BT-Drucks. 17/12634 S. 27 zu § 130d ZPO). Während das Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO demjenigen der Partei gleichsteht und daher die Wiedereinsetzung gemäß § 233 Satz 1 ZPO versagt werden kann, wenn die elektronische Übermittlung etwa wegen eines technischen Fehlers fehlschlägt und der Anwalt nicht die Möglichkeit ergreift, das Dokument nach den allgemeinen Vorschriften fristwahrend zu übermitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22, NJW-RR 2023, 760, 762), erscheint die Übertragung der insoweit entwickelten Grundsätze auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 44, 45 StPO nicht sachgerecht, weil das Verschulden des Verteidigers bei der formwidrigen Übermittlung von Schriftsätzen dem Angeklagten nicht als eigenes zuzurechnen ist (vgl. BVerfG, NJW 1994, 1856; BGH, Beschluss vom 4. Juli 2023 – 5 StR 145/23, NJW 2023, 3304).

(2) Es kann letztlich dahinstehen, ob das vom 3. Strafsenat postulierte Darlegungserfordernis anzunehmen ist. Denn hier würde das Vorbringen des Antragstellers diesen Anforderungen gerecht, weil es mit Blick auf den glaubhaft gemachten Hardware-Defekt am Kanzleirechner, über den das besondere elektronische Anwaltspostfach geführt wurde (§ 31a BRAO), und die Dauer der Störung eine verständliche und geschlossene Schilderung enthielte.“

Im Falle einer im Verantwortungsbereich der Justiz zu verortenden Störung, die den beA-Empfang bei allen Gerichten im Lande (über einen längeren Zeitraum und) über den Ablauf der Einlegungsfrist hinaus unmöglich machen, bedarf es einer sonst erforderlichen anwaltlichen Versicherung – insbesondere von Umständen, die sich der genaueren Kenntnis des Versichernden zu Ursachen und Ausmaß der Störung entziehen – ausnahmsweise nicht, um den Anforderungen des § 32 d Satz 3 und Satz 4 StPO zu genügen.

1. Die Rechtsmitteleinlegung durch genügt nicht der gesetzlichen Schriftform gemäß § 32a Abs. 3 StPO, wenn die Email weder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der das Dokument verantwortenden Person versehen noch vom Verfasser signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist.

2. Dem Schriftformerfordernis wird aber ausnahmsweise dadurch genügt, wenn die Email ausgedruckt und zur Akte genommen wurde. Aus dem Schriftstück muss dann jedoch der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, schon im Zeitpunkt des Eingangs der Erklärung bei Gericht hinreichend zuverlässig entnommen werden können.

Klima: Klimakleber-Straßenblockaden sind Nötigung, oder: Verwerflichkeitsklausel

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Und heute dann Entscheidungen zu Themen, die uns in der letzten Zeit bewegt haben, die derzeit aber nicht so im Fokus stehen, dass man einen ganzen Tag damit füllen kann. Daher gitb es auch keine Zählung 🙂 .

Ich beginne mit einer Entscheidung zu den Klimaaktivisten, und zwar mit dem OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.02.2024 – 2 ORs 35 Ss 120/23 – zur Beurteilung der Verwerflichkeit von Straßenblockaden.

Das OLG ist von folgendem Schverhalt ausgegangen:

„Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte sich der Angeklagte am 7.2.2022, am 11.2.2022 und am 15.2.2022 an jeweils nicht angemeldeten und nicht angekündigten Straßenblockaden des Aktionsbündnisses „Aufstand Letzte Generation“ in Freiburg. Blockiert wurden am 7.2.2022 ab ca. 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kronenbrücke einschließlich der Abfahrt zur Kronenstraße, am 11.2.2022 ab ca. 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kaiserbrücke in östlicher Richtung sowie am 15.2.2022 ab ca. 8:14 Uhr die Fahrbahn des Autobahnzubringers A 5 Freiburg Nord an der Einmündung zur L 187/B 294. Der Angeklagte setzte sich jeweils mit weiteren Beteiligten auf die Straße. Bei den Blockaden am 7.2.2022 und am 15.2.2022 klebten sich drei bzw. zwei weitere Beteiligte mit Sekundenkleber am Asphalt der Fahrbahn so versetzt fest, dass jeweils die Möglichkeit zur Bildung einer Rettungsgasse bestand. Polizeilichen Aufforderungen zur Räumung der Fahrbahn kam der Angeklagte jeweils nicht nach, weshalb er jeweils ohne Gegenwehr von der Polizei von der Fahrbahn getragen wurde, bei der Aktion am 7.2.2022 um 9:43 Uhr. Die polizeiliche Räumung der Fahrbahn war am 11.2.2022 um 8:57 Uhr und am 15.2.2022 um 9:15 Uhr beendet.

Zu den Auswirkungen der Blockaden sind im Urteil folgende Feststellungen getroffen:

? 7.2.2022: Der Verkehr kam vollständig zum Erliegen. Es entstanden innerhalb kürzester Zeit ein mehrere Kilometer langer Rückstau bis hin zur Berliner Allee und eine Zeitverzögerung von mindestens 30 – 45 Minuten.

? 11.2.2022: Trotz sofort durch die Polizei eingeleiteter Umleitungsmaßnahmen kam es zu vorübergehenden Verkehrsbeeinträchtigungen.

? 15.2.2022: Es kam zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen. Der Verkehr auf der BAB A 5 staute sich in südlicher Richtung bis auf ungefähr 18 Kilometer. Der Verkehr normalisierte sich erst gegen 10:08 Uhr wieder.

Mit den Sitzblockaden wollte der Angeklagte auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen und für ein entsprechendes „Essen-Retten-Gesetz“, nach dem große Supermärkte genießbares Essen nicht mehr wegwerfen dürften, sondern weiterverteilen müssten, eintreten. Durch die Demonstrationen wollte der Angeklagte sowohl mediale Aufmerksamkeit als auch bei den Autofahrern für die Verschwendung von Lebensmitteln und den zu hohen CO2-Ausstoß insgesamt schaffen. Ziel sei es, durch ein entsprechendes Gesetz die Ernährungssicherheit für die Zukunft zu schaffen und die Freisetzung von Treibhausgasen zu reduzieren. Zudem tritt die „Letzte Generation“ auch für eine Mobilitätswende ein und fordert u.a. eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auf Autobahnen. Das Aktionsbündnis möchte mit den Blockaden auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung aktuell zu wenig für den Klimaschutz unternehme. Ein „Deeskalationsteam“ versuchte dazu mit den Autofahrern ins Gespräch zu kommen und verteilte entsprechende Flyer.

Das AG hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hat zwar jeweils den Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) als verwirklicht angesehen, jedoch in allen Fällen die die Rechtswidrigkeit begründende Verwerflichkeit gemäß § 240 Abs. 2 StGB verneint. Dagen die Revision der Staatsanwaltschaft , die Erfolg hatte.

Ich stelle hier, das die Fragen ja nicht neu sind, nur den Leitsatz der Entscheidung ein. Rest dann bitte selbst lesen:

    1. Bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter ist bei der Prüfung der Verwerflichkeit (§ 240 Abs. 2 StGB) eine Beurteilung aller für die Mittel-Zweck-Relation wesentlicher Umstände und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht im jeweiligen Einzelfall vorzunehmen, ohne dass das mit der Blockade verfolgte inhaltliche Anliegen bewertet werden darf.
    2. Um die so vorgenommene Bewertung nachvollziehbar zu machen, müssen die tatsächlichen Grundlagen der im Einzelfall wesentlichen Umstände im Urteil festgestellt sein.

 

StPO III: Ehefrau „zieht“ Zeugnisverweigerungsrecht, oder: Angaben im Gewaltschutzverfahren verwertbar?

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Und im dritten Posting dann der angekündigte OLG-Beschluss, und zwar der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.01.2024 – 1 ORs 36 SRs 752/23.

Der Angeklagte ist wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung verurteilt worden. Nach den Feststellungen dess LG verpasste der Angeklagte am 06.01.2021 seiner vom ihm getrenntlebenden Ehefrau im Rahmen eines Streits in deren Wohnung mehrere Faustschläge ins Gesicht und drohte mit einem großen Messer damit, diese umzubringen.

Dagegen die Revision des Angeklagten. Mit der rügt der Angeklagte verfahrensrechtlich insbesondere die Verwertung der Angaben der in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machenden Ehefrau gegenüber der Rechtspflegerin beim Amtsgericht B. vom 07.01.2021 zur Begründung ihres Antrags auf Erlass einer Gewaltschutzanordnung nach § 1 GewSchG. Bei Antragstellung bezog sich die Ehefrau des Angeklagten auf das Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung vom 06.01.2021 und übergab zur Glaubhaftmachung eine Kopie des polizeilichen Vernehmungsprotokolls, dessen inhaltliche Richtigkeit sie an Eides statt versicherte.

Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Verfahrensrüge war nach Auffassung des OLG zwar zulässig, aber unbegründet:

„1. Die Verfahrensrüge gem. § 252 StPO ist in zulässiger Weise erhoben. Sie genügt den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. So teilt der Revisionsführer zur Begründung seiner Rüge der Verletzung von § 252 StPO die frühere polizeiliche Aussage der Zeugnisverweigerungsberechtigten und ihre nunmehrige Aussageverweigerung ebenso mit wie den genauen Inhalt und die näheren Umstände der von der Kammer verwerteten Angaben der Zeugin aus Anlass der Stellung des Antrags nach dem Gewaltschutzgesetz sowie das Beruhen des Urteils hierauf. Der Zulässigkeit der Rüge nicht entgegen steht, dass die Art und Weise der Einführung der von der Kammer verwerteten Aussage der Geschädigten durch Verlesung von Teilen aus den Akten des Gewaltschutzverfahrens in der Antragsschrift unerwähnt bleiben, denn die Verlesung und Verwertung dieser Aktenteile nach erfolgter Zeugnisverweigerung ergibt sich schon aus den schriftlichen Urteilsgründen, welche der Senat auf die Sachrüge zur Kenntnis nimmt, weshalb der mangelhafte Vortrag der Revision unschädlich ist (BGH NJW 1990, 1859). Unerheblich ist, dass die Antragsschrift den Inhalt des aus dem Protokoll ersichtlichen Hinweises der Kammer, dass die Angaben der Zeugin im Gewaltschutzverfahren keinem Beweisverwertungsverbot gemäß § 252 StPO unterliegen, nicht mitteilt, denn der Erfolg der Verfahrensrüge kann durch den (in Abwesenheit der Zeugin) erteilten Hinweis der Kammer zu ihrer Rechtsansicht nicht negativ beeinflusst werden.

2. Die Rüge ist indes unbegründet, da die Angaben der Geschädigten zur Begründung ihres Antrags nach dem Gewaltschutzgesetz keinem Verwertungsverbot gem. § 252 StPO unterliegen.

Das Verwertungsverbot gem. § 252 StPO bezieht sich auf Aussagen des Zeugen im Rahmen einer Vernehmung, welche vor der Hauptverhandlung stattgefunden hat, etwa im Rahmen einer polizeilichen, auch informatorischen Befragung. Der Vernehmungsbegriff ist weit auszulegen und erfasst – unabhängig davon, ob die Angaben förmlich protokolliert oder nur in einem internen Vermerk festgehalten werden – alle Bekundungen über wahrgenommene Tatsachen auf Grund einer offen von einem staatlichen Organ durchgeführten Befragung (BGH NJW 2005, 765 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden im Wege einer entsprechenden Anwendung der Norm auch frühere vernehmungsbasierte Aussagen eines Zeugnisverweigerungsberechtigten in einem Zivilrechtsstreit oder in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfasst, die geeignet sind, einen Angehörigen zu belasten, und der Zeuge sich in einer Lage befindet, die derjenigen des Zeugen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vergleichbar ist (vgl. BGH NJW 1990, 1859 mwN). Das Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 252 StPO soll den Zeugen vor Konflikten schützen, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen (vgl. BGH NJW 2005, 765 mwN).

Unabhängig von der jeweils zugrundeliegenden Prozessordnung bleibt für eine Verwertung im Strafverfahren aber erkennbar stets maßgeblich, ob die Angaben des Zeugnisverweigerungsberechtigten im Zuge einer amtlich initiierten Vernehmung erfolgten (BGH NJW 1990, 1859; OLG Hamburg, Beschl. v. 8.3.2018 – 1 Ws 114/17, BeckRS 2018, 3916). Angaben, die der Zeuge außerhalb einer Vernehmung gemacht hat, unterliegen dem (erweiterten) Verwertungsverbot grundsätzlich nicht. Darunter fallen Angaben gegenüber Dritten (BGH NJW 1952, 153), spontane Aussagen (BGH NStZ 1992, 247; NStZ 2007, 652; OLG Hamm NStZ 2012, 53), nach denen er nicht gefragt wurde, wie etwa eine Strafanzeige (BGH NJW 1956, 1886) oder die Bitte um polizeiliche Hilfe (BGH NStZ 1986, 232) bzw. im Rahmen eines polizeilichen Notrufs (OLG Hamm NStZ 2012, 53; BeckRS 2014, 19563). Demgemäß sind auch die Angaben der Geschädigten gegenüber dem Familiengericht zur Erwirkung einer Schutzanordnung nach dem GewSchG verwertbar, da sich die Zeugin von sich aus an das Amtsgericht gewandt und ihren Ehemann belastende Angaben zur Begründung ihres Antrags gemacht hat (OLG Hamburg aaO; BeckOK StPO/Ganter StPO § 252 Rn. 15 mwN), und über welchen ohne mündliche Verhandlung und weitere Befragung der Antragstellerin nach Aktenlage aufgrund summarischer Prüfung vom Gericht entschieden wurde (§ 51 Abs. 2 S. 2, § 3, § 214 FamFG; BeckOK FamFG/Schlünder FamFG, Ed. 1.11.2023, § 214 Rn. 2 ff.).

Eine vernehmungsähnliche Situation entsteht auch – wie die Revision meint – nicht dadurch, dass die Zeugin das – für sich unverwertbare – Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung der Rechtspflegerin vorgelegt, zum Gegenstand ihres Vortrags zur Antragsbegründung gemacht und dessen inhaltliche Richtigkeit an Eides statt versichert hat. Denn auch die Vorlage des Protokolls erfolgte aus freien Stücken und diente ersichtlich lediglich der Verfahrensvereinfachung. Dass die Zeugin insofern „unfrei“ handelte, als sie zur Verhinderung weiterer Übergriffe ihres gewalttätigen Ehemanns eine Schutzanordnung erwirkte, bleibt für die Frage der Verwertbarkeit ihrer Angaben im Strafverfahren ohne Belang. Denn § 252 StPO, der nach seinem Wortlaut eine Vernehmung oder eine vernehmungsähnliche Situation voraussetzt, enthält keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz dahingehend, dass jedwede den Angehörigen belastende Angaben (etwa auch die in höchster Not gegenüber dem Hausmitbewohner gemachten Angaben, bei welchem die Zeugin unmittelbar nach der Tat um Schutz suchte) vom Zeugen bis zur Hauptverhandlung oder einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung durch Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht für eine Verwertung gesperrt werden können (vgl. BGH NStZ 1986, 232 (Mitteilungen im Rahmen eines Hilfeersuchens gegenüber einer Mitarbeiterin der Familienhilfe)). Hierdurch wird auch nicht – wie die Revision meint – „in gewisser Weise durchaus besserwisserisch“ der wiederhergestellte Familienfriede „torpediert“. Gewalt in der Ehe ist keine Privatangelegenheit, sondern unabhängig vom Strafantrag der Geschädigten bei Vorliegen eines hier von der Staatsanwaltschaft bejahten öffentlichen Interesses zu verfolgen.“

Na ja, ist Mainstream, aber: Es bleibt allerdings ein gewisses Unbehagen. Denn was heißt in solchen Situationen „aus freien Stücken“? und greift nicht gerade auch hier der Sinn und Zweck des § 252 StPO, der den Zeugen vor Konflikten schützen soll/will, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen (vgl. BGH NJW 2005, 765 mwN). M.E. hätte man hier an der Vorlage des – unverwertbaren – polizeilichen Vernehmungsprotokolls ansetzen können, das über den Umweg (freiwillige [?]) Vorlage bei der Rechtspflegerin dann Akteninhalt geworden ist, und auf das sich AG und LG, was sich allerdings aus den Beschlussgründen des OLG nicht ergibt – im Zweifel auch gestützt hat.

Bewährung III: Bestimmtheit einer Meldeauflage, oder: Ein bisschen Spielraum darf sein

Bild von Michael Zimmermann auf Pixabay

Bei der dritten Entscheidung handelt es sich heute dann um den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.10.2023 – 2 Ws 310/23. Er befasst sich mit den Anforderungen an die Bestimmtheit einer Meldeweisung. Das zwar im Rahmen der Führungsaufsicht, aber die Problematik kann sich ja auch im Rahmen der Bewährung stellen.

Dem Verurteilten was folgende strafbewehrte Weisung erteilt worden:

„Der Verurteilte wird angewiesen, sich eine Woche nach Zustellung dieses Beschlusses bei der für seinen Wohnort zuständigen Bewährungshilfe persönlich einzufinden und nach näherer Bestimmung durch diese mindestens einmal, höchstens dreimal monatlich, in deren Sprechstunde künftig Termine wahrzunehmen. Die Bewährungshilfe bestimmt, in welcher Form (persönlich, telefonisch, per E-Post, etc) diese Kontaktaufnahme zu erfolgen hat (§ 68 b Abs. 1 Nr. 7 StGB). Diese Weisung ist strafbewehrt.“

Dagegen die Beschwerde der Staatsanwaltschaf, die keinen Erfolg hatte:

„Bezüglich der nach §§ 68a bis 68d StGB zu treffenden Entscheidungen besteht nur ein eingeschränktes Überprüfungsrecht des Senats. Er darf die angefochtene Entscheidung nur auf ihre Gesetzmäßigkeit hin überprüfen (§§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 2 StPO) und darf insbesondere nicht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Strafvollstreckungskammer setzen. Gesetzwidrig sind Anordnungen nur dann, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar sind oder sonst die Grenzen des eingeräumten Ermessens überschreiten. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz eingehalten ist (vgl. OLG Karlsruhe, StV 2010, 643 – 644; OLG München, Beschluss vom 29.07.2014 – 3 Ws 581/14 -, juris; KG, Beschluss vom 13.01.2020 – 2 Ws 202-203/19 -, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 15.11.2022 – 2 Ws 325/22 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.03.2023, a.a.O.).

Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorschriften kommt insbesondere dem Bestimmtheitsgebot freiheitsgewährende Funktion zu (vgl. BVerGE 117, 71 <111>, m.w.N.). Danach hat das Gericht und nicht erst der Bewährungshelfer bei der Erteilung strafbewehrter Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass der Verurteilte der Weisung unmissverständlich entnehmen können muss, mit welchem Verhalten er gegen sie verstößt (vgl. KG, Beschluss vom 11.12.2019, a.a.O.; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 06.03.2023 – 1 Ws 31/23 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.03.2023, a.a.O.).

Das Bestimmtheitsgebot kann allerdings nicht bedeuten, dass die Weisung bis ins Letzte präzisiert sein muss. Da dem Bewährungshelfer nach § 56d Abs. 3 Satz 2 StGB die Aufgabe zukommt, die Erfüllung der Weisungen zu überwachen, kann es sinnvoll sein, von ihm gewisse Einzelheiten der Mitwirkung des Verurteilten an Kontrollmaßnahmen festlegen zu lassen. Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, StV 2012, 481). Danach können gewisse Konkretisierungen der Verhaltensmaßgaben eines Bewährungsbeschlusses dem Bewährungshelfer überlassen werden, soweit eine Konkretisierung unmittelbar durch gerichtlichen Bewährungsbeschluss – beispielsweise im Hinblick auf organisatorische oder durch Interessen des Verurteilten bedingte Flexibilitätserfordernisse – nicht sinnvoll praktikabel ist (BVerfG, a.a.O.).

Der Senat hält im Lichte dieser Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die vorliegend erteilte Vorstellungsweisung, die innerhalb eines eng bemessenen Zeitraums (monatlich) eine Untergrenze (“mindestens einmal monatlich“) und eine Obergrenze (“maximal dreimal monatlich“) festlegt,  für hinreichend bestimmt (so auch: OLG Bamberg, Beschluss vom 15.03.2012 – 1 Ws 138/12 -, BeckRS 2012, 17450; BayObLG, Beschluss vom 23.10.2020 – 203 StRR 414/20 -, BeckRS 2020, 35129; vgl. auch BGH NStZ-RR 2021, 307; a.A. KG, Beschluss vom 11.12.2019, a.a.O.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.03.2023, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 19.09.2019 – III-1 Ws 495/19 -, juris). Denn der Verurteilte kann der gerichtlichen Weisung unmissverständlich entnehmen, dass er sich mindestens einmal, maximal dreimal im Monat – nach näherer Präzisierung hinsichtlich Anzahl, Zeit und Form durch die Bewährungshilfe – bei dieser vorzustellen hat. Die exakte Festlegung nicht nur einer Ober- und Untergrenze, sondern auch der exakten Frequenz der innerhalb eines vom Gericht festgesetzten Zeitraums wahrzunehmenden Termine, hindert eine flexible, an die jeweilige Lebenssituation des Verurteilten, den aktuellen Betreuungsbedarf und die sonstigen Belange des Verurteilten und des Bewährungshelfers angepasste Handhabung der Vorstellungsweisung. Denn die gerichtliche Weisung, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer vom Gericht vorgegebenen exakten Frequenz bei einem Bewährungshelfer zu melden, kann durch diesen jedenfalls zulasten des Verurteilten nicht abgeändert werden (vgl. BGH, NStZ-RR 2021, 307), weshalb – etwa bei einem phasenweise erhöhten Betreuungsbedarf aufgrund von Umständen in der Person des Verurteilten, die bei Erteilung der gerichtlichen Weisung noch nicht absehbar waren – jeweils die gerichtliche Weisung angepasst werden müsste.“

OWi III: Vorgaben für standardisiertes Messverfahren?, oder: Nachweis durch Messbeamten

entnommen wikimedia.org
Original uploader was VisualBeo at de.wikipedia

Und dann zur Abrundung des Tages noch der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.08.2023 – 2 ORbs 37 Ss 506/23 – zur Bedeutung des Messprotokolls für die Anwendung der Grundsätze des standardisierten Messverfahrens.

Dazu das OLG:

„Dabei kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die zur Geltendmachung eines – aus einer angeblich fehlenden Unterzeichnung des Messprotokolls abgeleiteten – Beweisverwertungsverbots erforderliche Verfahrensrüge (BGH NStZ 2019, 171) in einer den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt ist, wobei im Hinblick auf die erhobene Sachrüge auch die Ausführungen in den Urteilsgründen ergänzend zu berücksichtigen sind (BGH NStZ-RR 2013, 352 mw.N.). Denn die Beanstandung erweist sich ungeachtet der Frage, ob es über die geleisteten Unterschriften hinaus einer weiteren Unterzeichnung des Messprotokolls bedurft hätte, als jedenfalls unbegründet. Beim Messprotokoll handelt es sich um in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Verfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, die keine Vernehmung zum Gegenstand haben (OLG Hamm ZfS 2014, 651). Ob die beurkundete Durchführung der Ermittlungshandlungen tatsächlich stattgefunden hat, ist eine Frage der allgemeinen Beweiswürdigung. Dies kann sich aus der Urkunde selbst, aber auch aus anderen Umständen ergeben. Vorliegend hat sich das Amtsgericht durch die Vernehmung der die maßgeblichen Untersuchungshandlungen durchführenden Beamtin von der Richtigkeit der Eintragungen im Messprotokoll überzeugt. Dies ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.“