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StPO II: Akteneinsicht bei Vergewaltigungsvorwurf, oder: (Theoretische) Möglichkeit der „Präparierung“

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Und im zweiten Posting dann mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.03.2024 – 2 Ws 56/24 – noch einmal etwas zur Akteneinsicht der Verletzten in einem Vergewaltigungsverfahren. Der Vertreterin der Verletzten ist vom LG Akteneinsicht gewährt worden. Dagegen die Beschwerde des Angeschuldigten, die keinen Erfolg hatte:

„1. Die Beschwerde des Angeschuldigten ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 304 Abs. 1, 406e Abs. 4 S. 4 StPO – die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen abgeschlossen und Anklage erhoben – statthaft (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 1 Ws 81/20,-, BeckRS 2020, 17128; KG, Beschluss vom 10.05.2021 – 5 Ws 85/21161 AR 62/21 -, BeckRS 2021, 55985; Senat, Beschluss vom 05.02.2021 – 2 Ws 27/21 -, juris; BeckOK/Weiner, StPO, 50. Ed. Stand 01.01.2024, § 406e StPO Rn. 19).

2. In der Sache erweist sich die Beschwerde des Angeschuldigten indes als unbegründet.

a) Auch wenn dem Vorsitzenden bei seiner Entscheidung darüber, ob einem Akteneinsichtsbegehren § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO entgegensteht, ein weiter Ermessensspielraum zusteht (BGH NJW 2005, 1519; OLG Schleswig StraFo 2016, 157), ist der Senat nicht auf eine Prüfung der angefochtenen Entscheidung auf Ermessensfehler beschränkt. Vielmehr hat er – mangels abweichender gesetzlicher Regelung – gemäß § 309 Abs. 2 StPO als Beschwerdegericht selbst die in der Sache gebotene Entscheidung zu treffen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 309 Rn. 4; KK-Zabeck, StPO, 9. Aufl., § 309 Rn. 6).

b) Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks ist zwar auch dann anzunehmen, wenn die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt die Zuverlässigkeit und den Wahrheitsgehalt einer von ihm noch zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigen könnte (BT-Drs. 10/5305 S. 18).

Allerdings ist auch in Verfahrenskonstellationen, in denen der Aussage des Verletzten für die Wahrheitsfindung besondere Bedeutung zukommt – namentlich wenn allein seine Aussage gegen die des Beschuldigten steht oder sich dieser nicht zur Sache einlässt – nicht generell davon aus-zugehen, dass eine Beeinflussung der Aussage durch die Gewährung von Akteneinsicht zu be-sorgen ist. Vielmehr ist auch dann eine Betrachtung der Umstände des Einzelfalls geboten (BGH NStZ 2016, 367). Allein die (theoretische) Möglichkeit einer „Präparierung“ oder ggf. auch unbewussten Beeinflussung des Verletzten und seiner Aussage anhand des Akteninhalts reicht für eine Versagung der Akteneinsicht, auf die der Nebenkläger gemäß § 406e Abs. 1 StPO grundsätzlich einen Anspruch hat, nicht aus (KG a.a.O.; OLG Brandenburg, a.a.O.).

Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Nebenklägerin bereits polizeilich und richterlich, in Anwesenheit der ihr damals beigeordneten Rechtsanwältin, vernommen wurde und dass dieser bereits umfassend Akteneinsicht seitens der Staatsanwaltschaft gewährt worden war. Die Sachverständige hat in ihrem vorläufigen schriftlichen Gutachten nach sorgfältiger Aussageanalyse keinerlei Anhalte für eine suggestive Beeinflussung der Nebenklägerin ermitteln können. Eine nachträgliche Beeinflussung der Zeugin durch Vermittlung von Aktenkenntnis oder gar durch die ihr nunmehr beigeordnete Rechtsanwältin selbst erscheint fernliegend. Der Senat hält im Übrigen an seiner Auffassung fest, dass jedenfalls die anwaltliche Zusicherung der mit der Akteneinsicht betrauten Rechtsanwältin, keinerlei Aktenkenntnis an die Nebenklägerin weiterzugeben, geeignet ist, eine Beeinflussung der Aussage der Verletzten und damit eine Gefährdung des Untersuchungszwecks auszuschließen (vgl. Senat, Beschluss vom 05.02.2021, a.a.O.). Eine entsprechende Zusicherung hat Rechtsanwältin pp. vorliegend abgegeben.“

OWi I: Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot, oder: Hat das AG nicht erneut die Akte angesehen?

Smiley

Und dann ein wenig aus dem OWi-Bereich, aber nichts Besonderes, sondern „Main-Stream“. Alle drei Entscheidungen behandeln verfahrensrechtliche Fragen.

Ich starte mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.03.2024 – 2 ORbs 350 SsBs 54/24.

Das AG hatte den Betroffenen am 20.12.2022 wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 500 EUR verurteilt. Auf die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte das OLG Karlsruhe das Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und zurückverwiesen.

Mit Urteil vom 12.09.2023 verhängte das AG gegen den Betroffenen dann wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße in Höhe von 200 EUR und ordnete zudem ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG an. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene erneut mit der Rechtsbeschwerde, die – zum Teil – erfolgreich war. Das OLG hat das Fahrverbot entfallen lassen:

„1. Soweit das Amtsgericht gegen den Betroffenen ein Fahrverbot verhängt hat, hat es wie der Rechtsbeschwerdeführer und die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darlegen – gegen das Verbot der Schlechterstellung gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 358 Abs. 2 S. 1 StPO verstoßen (vgl. OLG Bamberg, NStZ-RR 2015, 184; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.1993 – 3 Ss 99/93-, NZV 1993, 450). Das hat der Senat von Amts wegen zu beachten, weil es sich insoweit um ein Verfahrenshindernis handelt (vgl. BGH, StV 2014, 466). Der Umstand, dass das Amtsgericht die ursprüngliche Geldbuße von 500 Euro auf 200 Euro reduziert hat, ändert hieran nichts (OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 02.07.2007 – 3 Ss Owi 360/07 -, NZV 2007, 635).

2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 24.01.2024 zutreffend genannten Gründen, auf die der Senat verweist, als unbegründet verworfen.

3. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die rechtsfehlerhafte Verhängung des Fahrverbots wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot (dazu: BGH, Beschluss vom 11.11.1970 – 4 StR 66/70 – = BGHSt 24,11) auf die Bußgeldhöhe ausgewirkt hat, was sich hier bereits an der vom Amtsgericht vorgenommenen Reduzierung der ursprünglichen Bußgeldhöhe zeigt. Das Amtsgericht wäre auch im Falle einer Zurückverweisung der Sache nicht wegen des Verschlechterungsverbots gehindert, nunmehr eine die zuletzt verhängte Geldbuße von 200 Euro übersteigende Geldbuße festzusetzen. Denn im Hinblick darauf, dass das Fahrverbot die schwerwiegendere Sanktion darstellt, wäre insoweit die Verhängung einer höheren Geldbuße anstelle des Fahrverbots als milderes Mittel nicht unzulässig (BGH, a.a.O.; OLG Bamberg, a.a.O.).

Der Senat sieht aber auf den entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hin aus prozessökonomischen Gründen und im Hinblick auf den Zeitablauf seit der Tat von einer (erneuten) Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache ab und macht von der ihm nach § 79 Abs. 6 OWiG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, in der Sache selbst zu entscheiden. Entgegen dem Wortlaut dieser Vorschrift kann er auch dann ohne vorherige Aufhebung des angefochtenen Urteils selbst entscheiden, wenn und soweit er – wie vorliegend – der angefochtenen Entscheidung im Übrigen folgt und die vom Amtsgericht getroffenen Feststellung für eine eigene Bewertung der Rechtsfolgen ausreichend sind (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18.07.1997 – 2 ObOWi 352/97 -, BeckRS 1997, 7105; OLG Bamberg, a.a.O.). Da es sich bei der vom Amtsgericht verhängten Geldbuße von 200 Euro um die Regelgeldbuße gemäß Nr. 11.3.6 BKat handelt, sieht der Senat keinen Anlass, hiervon nach oben oder unten abzuweichen. Trotz der vorhandenen Voreintragungen im FAER erschien eine Erhöhung der Regelgeldbuße im Hinblick darauf, dass die Tat inzwischen mehr als 1 1/2 Jahre zurückliegt und der Betroffene seither nicht mehr in Erscheinung getreten ist, nicht mehr sachgerecht.“

Ich frage mich: Hat man beim AG die Akten nicht noch einmal gelesen? Kopfschüttel…..

beA II: beA/elektronisches Dokument im Strafrecht, oder: Wiedereinsetzung, Ersatzeinreichung, Email

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Und nach der kleinen RÜ zum beA im Zivilverfahren (vgl. hier: beA I: beA/elektronisches Dokument im Zivilrecht, oder: aktuelle Software, Zustellung, Ersatzeinreichung) nun etwas zum Straf-/OWi-Verfahren, und zwar:

  • BGH, Beschl. v. 06.02.2024 – 6 StR 609/23 – zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision, in dem sich ein Dissens bei den Strafsenaten des BGH andeutet/ankündigt:

„(1) Der Senat vermag der Rechtsansicht des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht zu folgen, wonach die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags in Fällen, in denen die vorübergehende technische Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument geltend gemacht wird, einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2023 – 3 StR 256/23, NStZ-RR 2023, 347). Gestützt wird dieses Erfordernis auf die für eine zulässige Ersatzeinreichung von Schriftsätzen gemäß § 130d Satz 3 ZPO entwickelten Anforderungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. September 2022 – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647; vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22, NJW-RR 2023, 760, 762). Mit den an die Darlegung des technischen Defekts gestellten Anforderungen soll eine missbräuchliche Übersendung von Schriftsätzen im Zivilprozess nach den allgemeinen Vorschriften verhindert werden (vgl. BT-Drucks. 17/12634 S. 27 zu § 130d ZPO). Während das Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO demjenigen der Partei gleichsteht und daher die Wiedereinsetzung gemäß § 233 Satz 1 ZPO versagt werden kann, wenn die elektronische Übermittlung etwa wegen eines technischen Fehlers fehlschlägt und der Anwalt nicht die Möglichkeit ergreift, das Dokument nach den allgemeinen Vorschriften fristwahrend zu übermitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22, NJW-RR 2023, 760, 762), erscheint die Übertragung der insoweit entwickelten Grundsätze auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 44, 45 StPO nicht sachgerecht, weil das Verschulden des Verteidigers bei der formwidrigen Übermittlung von Schriftsätzen dem Angeklagten nicht als eigenes zuzurechnen ist (vgl. BVerfG, NJW 1994, 1856; BGH, Beschluss vom 4. Juli 2023 – 5 StR 145/23, NJW 2023, 3304).

(2) Es kann letztlich dahinstehen, ob das vom 3. Strafsenat postulierte Darlegungserfordernis anzunehmen ist. Denn hier würde das Vorbringen des Antragstellers diesen Anforderungen gerecht, weil es mit Blick auf den glaubhaft gemachten Hardware-Defekt am Kanzleirechner, über den das besondere elektronische Anwaltspostfach geführt wurde (§ 31a BRAO), und die Dauer der Störung eine verständliche und geschlossene Schilderung enthielte.“

Im Falle einer im Verantwortungsbereich der Justiz zu verortenden Störung, die den beA-Empfang bei allen Gerichten im Lande (über einen längeren Zeitraum und) über den Ablauf der Einlegungsfrist hinaus unmöglich machen, bedarf es einer sonst erforderlichen anwaltlichen Versicherung – insbesondere von Umständen, die sich der genaueren Kenntnis des Versichernden zu Ursachen und Ausmaß der Störung entziehen – ausnahmsweise nicht, um den Anforderungen des § 32 d Satz 3 und Satz 4 StPO zu genügen.

1. Die Rechtsmitteleinlegung durch genügt nicht der gesetzlichen Schriftform gemäß § 32a Abs. 3 StPO, wenn die Email weder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der das Dokument verantwortenden Person versehen noch vom Verfasser signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist.

2. Dem Schriftformerfordernis wird aber ausnahmsweise dadurch genügt, wenn die Email ausgedruckt und zur Akte genommen wurde. Aus dem Schriftstück muss dann jedoch der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, schon im Zeitpunkt des Eingangs der Erklärung bei Gericht hinreichend zuverlässig entnommen werden können.

Klima: Klimakleber-Straßenblockaden sind Nötigung, oder: Verwerflichkeitsklausel

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Und heute dann Entscheidungen zu Themen, die uns in der letzten Zeit bewegt haben, die derzeit aber nicht so im Fokus stehen, dass man einen ganzen Tag damit füllen kann. Daher gitb es auch keine Zählung 🙂 .

Ich beginne mit einer Entscheidung zu den Klimaaktivisten, und zwar mit dem OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.02.2024 – 2 ORs 35 Ss 120/23 – zur Beurteilung der Verwerflichkeit von Straßenblockaden.

Das OLG ist von folgendem Schverhalt ausgegangen:

„Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte sich der Angeklagte am 7.2.2022, am 11.2.2022 und am 15.2.2022 an jeweils nicht angemeldeten und nicht angekündigten Straßenblockaden des Aktionsbündnisses „Aufstand Letzte Generation“ in Freiburg. Blockiert wurden am 7.2.2022 ab ca. 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kronenbrücke einschließlich der Abfahrt zur Kronenstraße, am 11.2.2022 ab ca. 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kaiserbrücke in östlicher Richtung sowie am 15.2.2022 ab ca. 8:14 Uhr die Fahrbahn des Autobahnzubringers A 5 Freiburg Nord an der Einmündung zur L 187/B 294. Der Angeklagte setzte sich jeweils mit weiteren Beteiligten auf die Straße. Bei den Blockaden am 7.2.2022 und am 15.2.2022 klebten sich drei bzw. zwei weitere Beteiligte mit Sekundenkleber am Asphalt der Fahrbahn so versetzt fest, dass jeweils die Möglichkeit zur Bildung einer Rettungsgasse bestand. Polizeilichen Aufforderungen zur Räumung der Fahrbahn kam der Angeklagte jeweils nicht nach, weshalb er jeweils ohne Gegenwehr von der Polizei von der Fahrbahn getragen wurde, bei der Aktion am 7.2.2022 um 9:43 Uhr. Die polizeiliche Räumung der Fahrbahn war am 11.2.2022 um 8:57 Uhr und am 15.2.2022 um 9:15 Uhr beendet.

Zu den Auswirkungen der Blockaden sind im Urteil folgende Feststellungen getroffen:

? 7.2.2022: Der Verkehr kam vollständig zum Erliegen. Es entstanden innerhalb kürzester Zeit ein mehrere Kilometer langer Rückstau bis hin zur Berliner Allee und eine Zeitverzögerung von mindestens 30 – 45 Minuten.

? 11.2.2022: Trotz sofort durch die Polizei eingeleiteter Umleitungsmaßnahmen kam es zu vorübergehenden Verkehrsbeeinträchtigungen.

? 15.2.2022: Es kam zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen. Der Verkehr auf der BAB A 5 staute sich in südlicher Richtung bis auf ungefähr 18 Kilometer. Der Verkehr normalisierte sich erst gegen 10:08 Uhr wieder.

Mit den Sitzblockaden wollte der Angeklagte auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen und für ein entsprechendes „Essen-Retten-Gesetz“, nach dem große Supermärkte genießbares Essen nicht mehr wegwerfen dürften, sondern weiterverteilen müssten, eintreten. Durch die Demonstrationen wollte der Angeklagte sowohl mediale Aufmerksamkeit als auch bei den Autofahrern für die Verschwendung von Lebensmitteln und den zu hohen CO2-Ausstoß insgesamt schaffen. Ziel sei es, durch ein entsprechendes Gesetz die Ernährungssicherheit für die Zukunft zu schaffen und die Freisetzung von Treibhausgasen zu reduzieren. Zudem tritt die „Letzte Generation“ auch für eine Mobilitätswende ein und fordert u.a. eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auf Autobahnen. Das Aktionsbündnis möchte mit den Blockaden auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung aktuell zu wenig für den Klimaschutz unternehme. Ein „Deeskalationsteam“ versuchte dazu mit den Autofahrern ins Gespräch zu kommen und verteilte entsprechende Flyer.

Das AG hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hat zwar jeweils den Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) als verwirklicht angesehen, jedoch in allen Fällen die die Rechtswidrigkeit begründende Verwerflichkeit gemäß § 240 Abs. 2 StGB verneint. Dagen die Revision der Staatsanwaltschaft , die Erfolg hatte.

Ich stelle hier, das die Fragen ja nicht neu sind, nur den Leitsatz der Entscheidung ein. Rest dann bitte selbst lesen:

    1. Bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter ist bei der Prüfung der Verwerflichkeit (§ 240 Abs. 2 StGB) eine Beurteilung aller für die Mittel-Zweck-Relation wesentlicher Umstände und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht im jeweiligen Einzelfall vorzunehmen, ohne dass das mit der Blockade verfolgte inhaltliche Anliegen bewertet werden darf.
    2. Um die so vorgenommene Bewertung nachvollziehbar zu machen, müssen die tatsächlichen Grundlagen der im Einzelfall wesentlichen Umstände im Urteil festgestellt sein.

 

StPO III: Ehefrau „zieht“ Zeugnisverweigerungsrecht, oder: Angaben im Gewaltschutzverfahren verwertbar?

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Und im dritten Posting dann der angekündigte OLG-Beschluss, und zwar der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.01.2024 – 1 ORs 36 SRs 752/23.

Der Angeklagte ist wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung verurteilt worden. Nach den Feststellungen dess LG verpasste der Angeklagte am 06.01.2021 seiner vom ihm getrenntlebenden Ehefrau im Rahmen eines Streits in deren Wohnung mehrere Faustschläge ins Gesicht und drohte mit einem großen Messer damit, diese umzubringen.

Dagegen die Revision des Angeklagten. Mit der rügt der Angeklagte verfahrensrechtlich insbesondere die Verwertung der Angaben der in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machenden Ehefrau gegenüber der Rechtspflegerin beim Amtsgericht B. vom 07.01.2021 zur Begründung ihres Antrags auf Erlass einer Gewaltschutzanordnung nach § 1 GewSchG. Bei Antragstellung bezog sich die Ehefrau des Angeklagten auf das Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung vom 06.01.2021 und übergab zur Glaubhaftmachung eine Kopie des polizeilichen Vernehmungsprotokolls, dessen inhaltliche Richtigkeit sie an Eides statt versicherte.

Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Verfahrensrüge war nach Auffassung des OLG zwar zulässig, aber unbegründet:

„1. Die Verfahrensrüge gem. § 252 StPO ist in zulässiger Weise erhoben. Sie genügt den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. So teilt der Revisionsführer zur Begründung seiner Rüge der Verletzung von § 252 StPO die frühere polizeiliche Aussage der Zeugnisverweigerungsberechtigten und ihre nunmehrige Aussageverweigerung ebenso mit wie den genauen Inhalt und die näheren Umstände der von der Kammer verwerteten Angaben der Zeugin aus Anlass der Stellung des Antrags nach dem Gewaltschutzgesetz sowie das Beruhen des Urteils hierauf. Der Zulässigkeit der Rüge nicht entgegen steht, dass die Art und Weise der Einführung der von der Kammer verwerteten Aussage der Geschädigten durch Verlesung von Teilen aus den Akten des Gewaltschutzverfahrens in der Antragsschrift unerwähnt bleiben, denn die Verlesung und Verwertung dieser Aktenteile nach erfolgter Zeugnisverweigerung ergibt sich schon aus den schriftlichen Urteilsgründen, welche der Senat auf die Sachrüge zur Kenntnis nimmt, weshalb der mangelhafte Vortrag der Revision unschädlich ist (BGH NJW 1990, 1859). Unerheblich ist, dass die Antragsschrift den Inhalt des aus dem Protokoll ersichtlichen Hinweises der Kammer, dass die Angaben der Zeugin im Gewaltschutzverfahren keinem Beweisverwertungsverbot gemäß § 252 StPO unterliegen, nicht mitteilt, denn der Erfolg der Verfahrensrüge kann durch den (in Abwesenheit der Zeugin) erteilten Hinweis der Kammer zu ihrer Rechtsansicht nicht negativ beeinflusst werden.

2. Die Rüge ist indes unbegründet, da die Angaben der Geschädigten zur Begründung ihres Antrags nach dem Gewaltschutzgesetz keinem Verwertungsverbot gem. § 252 StPO unterliegen.

Das Verwertungsverbot gem. § 252 StPO bezieht sich auf Aussagen des Zeugen im Rahmen einer Vernehmung, welche vor der Hauptverhandlung stattgefunden hat, etwa im Rahmen einer polizeilichen, auch informatorischen Befragung. Der Vernehmungsbegriff ist weit auszulegen und erfasst – unabhängig davon, ob die Angaben förmlich protokolliert oder nur in einem internen Vermerk festgehalten werden – alle Bekundungen über wahrgenommene Tatsachen auf Grund einer offen von einem staatlichen Organ durchgeführten Befragung (BGH NJW 2005, 765 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden im Wege einer entsprechenden Anwendung der Norm auch frühere vernehmungsbasierte Aussagen eines Zeugnisverweigerungsberechtigten in einem Zivilrechtsstreit oder in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfasst, die geeignet sind, einen Angehörigen zu belasten, und der Zeuge sich in einer Lage befindet, die derjenigen des Zeugen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vergleichbar ist (vgl. BGH NJW 1990, 1859 mwN). Das Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 252 StPO soll den Zeugen vor Konflikten schützen, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen (vgl. BGH NJW 2005, 765 mwN).

Unabhängig von der jeweils zugrundeliegenden Prozessordnung bleibt für eine Verwertung im Strafverfahren aber erkennbar stets maßgeblich, ob die Angaben des Zeugnisverweigerungsberechtigten im Zuge einer amtlich initiierten Vernehmung erfolgten (BGH NJW 1990, 1859; OLG Hamburg, Beschl. v. 8.3.2018 – 1 Ws 114/17, BeckRS 2018, 3916). Angaben, die der Zeuge außerhalb einer Vernehmung gemacht hat, unterliegen dem (erweiterten) Verwertungsverbot grundsätzlich nicht. Darunter fallen Angaben gegenüber Dritten (BGH NJW 1952, 153), spontane Aussagen (BGH NStZ 1992, 247; NStZ 2007, 652; OLG Hamm NStZ 2012, 53), nach denen er nicht gefragt wurde, wie etwa eine Strafanzeige (BGH NJW 1956, 1886) oder die Bitte um polizeiliche Hilfe (BGH NStZ 1986, 232) bzw. im Rahmen eines polizeilichen Notrufs (OLG Hamm NStZ 2012, 53; BeckRS 2014, 19563). Demgemäß sind auch die Angaben der Geschädigten gegenüber dem Familiengericht zur Erwirkung einer Schutzanordnung nach dem GewSchG verwertbar, da sich die Zeugin von sich aus an das Amtsgericht gewandt und ihren Ehemann belastende Angaben zur Begründung ihres Antrags gemacht hat (OLG Hamburg aaO; BeckOK StPO/Ganter StPO § 252 Rn. 15 mwN), und über welchen ohne mündliche Verhandlung und weitere Befragung der Antragstellerin nach Aktenlage aufgrund summarischer Prüfung vom Gericht entschieden wurde (§ 51 Abs. 2 S. 2, § 3, § 214 FamFG; BeckOK FamFG/Schlünder FamFG, Ed. 1.11.2023, § 214 Rn. 2 ff.).

Eine vernehmungsähnliche Situation entsteht auch – wie die Revision meint – nicht dadurch, dass die Zeugin das – für sich unverwertbare – Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung der Rechtspflegerin vorgelegt, zum Gegenstand ihres Vortrags zur Antragsbegründung gemacht und dessen inhaltliche Richtigkeit an Eides statt versichert hat. Denn auch die Vorlage des Protokolls erfolgte aus freien Stücken und diente ersichtlich lediglich der Verfahrensvereinfachung. Dass die Zeugin insofern „unfrei“ handelte, als sie zur Verhinderung weiterer Übergriffe ihres gewalttätigen Ehemanns eine Schutzanordnung erwirkte, bleibt für die Frage der Verwertbarkeit ihrer Angaben im Strafverfahren ohne Belang. Denn § 252 StPO, der nach seinem Wortlaut eine Vernehmung oder eine vernehmungsähnliche Situation voraussetzt, enthält keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz dahingehend, dass jedwede den Angehörigen belastende Angaben (etwa auch die in höchster Not gegenüber dem Hausmitbewohner gemachten Angaben, bei welchem die Zeugin unmittelbar nach der Tat um Schutz suchte) vom Zeugen bis zur Hauptverhandlung oder einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung durch Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht für eine Verwertung gesperrt werden können (vgl. BGH NStZ 1986, 232 (Mitteilungen im Rahmen eines Hilfeersuchens gegenüber einer Mitarbeiterin der Familienhilfe)). Hierdurch wird auch nicht – wie die Revision meint – „in gewisser Weise durchaus besserwisserisch“ der wiederhergestellte Familienfriede „torpediert“. Gewalt in der Ehe ist keine Privatangelegenheit, sondern unabhängig vom Strafantrag der Geschädigten bei Vorliegen eines hier von der Staatsanwaltschaft bejahten öffentlichen Interesses zu verfolgen.“

Na ja, ist Mainstream, aber: Es bleibt allerdings ein gewisses Unbehagen. Denn was heißt in solchen Situationen „aus freien Stücken“? und greift nicht gerade auch hier der Sinn und Zweck des § 252 StPO, der den Zeugen vor Konflikten schützen soll/will, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen (vgl. BGH NJW 2005, 765 mwN). M.E. hätte man hier an der Vorlage des – unverwertbaren – polizeilichen Vernehmungsprotokolls ansetzen können, das über den Umweg (freiwillige [?]) Vorlage bei der Rechtspflegerin dann Akteninhalt geworden ist, und auf das sich AG und LG, was sich allerdings aus den Beschlussgründen des OLG nicht ergibt – im Zweifel auch gestützt hat.