Archiv der Kategorie: Hauptverhandlung

Anklage wegen Straftat, Urteil nur wegen OWi, oder: (Teilweise) Auslagenerstattung durch die Staatskasse

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Und als zweite Entscheidung gibt es dann den LG Berlin I, Beschl. v. 09.04.2025 – 511 Qs 37/25 -, in der es um folgenden Sachverhalt geht:

Der Verurteilte war wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Cannabisprodukten angeklagt. Das AG hat ihn nur wegen Besitzes von mehr als 25 Gramm Cannabis (§§ 3, 36 KCanG) zu einer Geldbuße von 150 EUR verurteilt und ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Gegen die Kostenentscheidung wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde. Er beantragt, die Kosten des Verfahrens und die besonderen notwendigen Auslagen des Verur-teilten der Landeskasse aufzuerlegen, da der hinsichtlich des verbotenen Besitzes von Can-nabisprodukten von Anfang an geständige Verurteilte einen Bußgeldbescheid akzeptiert hätte. Das Rechtsmittel hatte teilweise Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Verhängung einer Geldbuße erfolgte im Strafverfahren, weshalb – unabhängig von der 250 Euro-Wertgrenze des OWiG – Berufung und Revision statthafte Rechtsmittel gegen die Hauptsacheentscheidung gewesen wären (vgl. KK-OWiG/Lutz, 5. Aufl. 2018, OWiG § 82 Rn. 21, beck-online) und somit auch die Kostenentscheidung selbständig anfechtbar ist (§ 464 Abs. 3 Satz 1 StPO).

Die sofortige Beschwerde ist teilweise begründet. Zutreffend hat das Amtsgericht dem Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens auferlegt, denn er ist wegen einer Ordnungswidrigkeit, welche in Tateinheit mit dem angeklagten Gesetzesverstoß steht, verurteilt worden. Hiervon kann auch nicht aus Gründen der Billigkeit abgewichen werden. Insoweit unterliegt der Beschwerdeführer mit seinem ausdrücklich gestellten Antrag der Auferlegung der Verfahrenskosten auf die Landeskasse.

Hingegen sind – entgegen der angefochtenen Entscheidung – die durch die Anklageerhebung entstandenen (Mehr-)Kosten als besondere Auslagen der Staatskasse sowie die dem Beschwerdeführer durch das Strafverfahren entstandenen besonderen notwendigen Auslagen gemäß § 465 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 StPO der Landeskasse Berlin aufzuerlegen. Dies entspricht vorliegend der Billigkeit, denn es ist jedenfalls nicht zu widerlegen, dass der Beschwerdeführer, der gegenüber den Polizeibeamten vor Ort den Besitz einer auch nach neuem Recht verbotenen Menge Cannabis eingeräumt hat, einen entsprechenden Bußgeldbescheid akzeptiert hätte. In diesen Fällen erscheint es billig, die besonderen Auslagen der Landeskasse und des sich gegen den Tatvorwurf einer Straftat verteidigenden Beschwerdeführers der Landeskasse aufzuerlegen.

Die Kammer sieht von der Bildung einer Quote nach § 464d StPO ab und überlässt – was zulässig ist und vorliegend zweckmäßig erscheint – die Abgrenzung dem Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464b StPO.“

Wenn der Angeklagte mehrere Verteidiger hat…., oder: Erstattung von Wahlanwaltsgebühren nach Freispruch?

Am „Gebührenfreitag“ gibt es heute zwei kostenrechtliche Entscheidungen, eine kommt vom OLG Celle, die andere vom LG Berlin.

Ich starte mit dem OLG Celle, Beschl. v. 19.12.2025 – 2 Ws 344/24 + 2 Ws 345/24. Dem Beschluss liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der ehemals Angeklagte H. war wegen des Vorwurfs des besonders schweren Raubes angeklagt. Daneben wurde gegen ihn die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 36.500 EUR beantragt. Das LG hat ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten H. wurden der Landeskasse auferlegt.

In dem Verfahren hatte sich zunächst mit Schriftsatz vom 11.11.2019 Rechtsanwalt W. als Wahlverteidiger für den Freigesprochenen legitimiert. Mit Beschluss des AG v. 23.4.2020 ist Rechtsanwalt L. dem Freigesprochenen als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Grund dafür war, dass Rechtsanwalt W. im Frühjahr 2020 wegen einer schweren Erkrankung, die kurz nach Erlass eines Haftbefehls am 18.2.2020 gegen den Freigesprochenen auftrat, als daher die Haftbefehlsverkündung unmittelbar bevorstand, mehrere Monate ausgefallen war und zunächst unklar war, ob er überhaupt seine Tätigkeit wiederaufnehmen konnte. So ist der Freigesprochene auch in der Folgezeit nicht mehr von Rechtsanwalt W. verteidigt worden. Mit Entscheidung des Vorsitzenden des LG vom 8.4.2022 ist dann noch Rechtsanwalt R. dem Freigesprochenen zur Verfahrenssicherung als zusätzlicher Pflichtverteidiger beigeordnet worden.

Rechtsanwalt L. hat beantragt, die entstandenen notwendigen Auslagen hinsichtlich der Wahlverteidigergebühren festzusetzen. Geltend gemacht worden sind – für Rechtsanwalt W – eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG, die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 36.500 EUR und eine Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie – für Rechtsanwalt L., die Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG, die Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG, zweimal die Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG, zweimal die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie Dolmetscherkosten und sonstige Auslagen und USt. sowie eigene notwendige Auslagen des Angeklagten.

Von den geltend gemachten Gebühren hat das LG gemäß § 52 Abs. 1 S. 2 RVG die bereits an Rechtsanwalt R. ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung betreffend eine Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG angerechnet sowie die weiteren über einen Betrag von 482 EUR hinausgehenden Beträge betreffend die Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG abgesetzt. Zudem hat es Dolmetscherkosten gekürzt. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, dass eine Erstattung der Aufwendungen des früheren Angeklagten für die Gebühren seiner Verteidiger Rechtsanwalt W., Rechtsanwalt L. und Rechtsanwalt R. als notwendige Auslagen nach § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO betreffend die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4142 VV RVG nur insoweit in Betracht komme, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen würden. Es komme daher wegen der bereits erfolgten Erstattung der Pflichtverteidigergebühren hinsichtlich des Rechtsanwalts R. nur die Erstattung der Differenz zwischen der Wahl- und Pflichtverteidigergebühren, die bisher noch nicht erstattet wurde, in Betracht. Die weitere Erstattung der Verfahrensgebühr scheide aus.

Der weitere Verteidiger des Freigesprochenen, Rechtsanwalt R., hat beantragt, die entstandenen notwendigen Auslagen hinsichtlich der Wahlverteidigergebühren wie folgt festzusetzen: Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG, 10 mal Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG, zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 36.500,00 EUR, abzüglich der bereits ausgezahlten Pflichtverteidigergebühren.

Von den geltend gemachten Gebühren hat das LG die Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG abgesetzt und von den verbleibenden Wahlverteidigergebühren von insgesamt 3.943,50 EUR zzgl. 19 % Umsatzsteuer in Höhe von 749,26 EUR und die bereits ausgezahlten Pflichtverteidigergebühren abgezogen. Die abgezogenen Pflichtverteidigergebühren enthielten die auch bereits bei Rechtsanwalt L. angerechneten 531 EUR betreffend die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV. Zur Begründung hat das LG auch hier ausgeführt, dass eine Erstattung der Aufwendungen des früheren Angeklagten für die Gebühren seiner Verteidiger Rechtsanwalt W., Rechtsanwalt L. und Rechtsanwalt R. als notwendige Auslagen nach § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO betreffend die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4142 VV RVG nur insoweit in Betracht komme, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen würden.

Sowohl Rechtsanwalt L. als auch Rechtsanwalt R. haben sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte bei Rechtsanwalt L. weitgehend und bei Rechtsanwalt R. in vollem Umfang Erfolg:

„2. Die sofortigen Beschwerden haben – hinsichtlich der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Verden vom 26.11.2024 (Beschluss 1 von 2) betreffend Rechtsanwalt L. ganz überwiegend und hinsichtlich der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Verden vom 26.11.2024 (Beschluss 2 von 2) betreffend Rechtsanwalt R. vollumfänglich – Erfolg.

Das Landgericht ist in den angefochtenen Entscheidungen jeweils zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Aufwendungen eines freigesprochenen Angeklagten für die mehreren tätig gewordenen Verteidigern geschuldeten Verteidigergebühren als notwendige Auslagen nach § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich nur insoweit zu erstatten sind, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass dieser Grundsatz dann eine Ausnahme erfährt, wenn die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers aus vom Angeklagten nicht zu vertretenen Gründen, wie etwa zur Sicherung des Fortganges des Verfahrens, erfolgt (vgl. bereits OLG Celle, Beschl. v. 04.09.2018 – 1 Ws 71/18; Senat, Beschl. v. 25.11.2024, 2 Ws 305/24; OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.04.2022 – 2 Ws 19/22 –, juris, mwN). Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass der Freigesprochene durch den Umstand einer ihm nicht zurechenbaren Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers nicht benachteiligt werden darf. Nichts anderes kann gelten, wenn der freigesprochene Angeklagte in dem Verfahren durch einen Wahlverteidiger verteidigt und ihm zur Verfahrenssicherung ein Pflichtverteidiger als weiterer Verteidiger beigeordnet worden war (Senat, Beschluss vom 25.11.2024, Az. 2 Ws 305/24).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind vorliegend dem früheren Angeklagten seine Aufwendungen für die seinem Wahlverteidiger Rechtsanwalt W. geschuldeten Verteidigergebühren als notwendige Auslagen dem Grunde nach als erstattungsfähig anzuerkennen.

Denn die spätere Beiordnung von Rechtsanwalt L. als weiteren Verteidiger ist nur erfolgt zur Sicherung des Fortgangs des geführten Strafverfahrens. Zwar lässt sich dies der Beiordnungsentscheidung nicht entnehmen. Allerdings hat Rechtsanwalt L. anwaltlich versichert, dass Rechtsanwalt W. im Frühjahr 2020 wegen einer schweren Erkrankung mehrere Monate ausgefallen war und zunächst unklar war, ob er überhaupt seine Tätigkeit wiederaufnehmen konnte. In der Folgezeit ist er auch nicht mehr für den Freigesprochenen tätig geworden. Aufgrund dessen – und mithin für den Freigesprochenen und Rechtsanwalt W. nicht vertretbar – musste Rechtsanwalt L. somit im Rahmen der Verkündung des zuvor erlassenen Haftbefehls gegen den Freigesprochenen am 23.04.2020 beigeordnet werden, was letztlich auch der Sicherung und Beschleunigung des Verfahren diente.

Auch die spätere Beiordnung von Rechtsanwalt R. als weiteren Verteidiger ist nur erfolgt zur Sicherung des Fortgangs des geführten Strafverfahrens, was sich bereits aus der Beiordnungsentscheidung vom 08.04.2022, aber auch aus der E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Vorsitzenden der Strafkammer und Rechtsanwalt L. (Bl. 107 f. Bd. III d.A.) ergibt.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Mitwirkung von Rechtsanwalt W. sowie die Mitwirkung von Rechtsanwalt L. und Rechtsanwalt R. in dem vorausgegangenen Strafverfahren als weitere, beigeordnete Verteidiger aus sachlichen und von dem früheren Angeklagten nicht zu vertretenden Gründen geboten war. Daher sind seine sämtlichen Aufwendungen für die gegenüber beiden Verteidiger geschuldeten Verteidigergebühren, mithin auch die Wahlverteidigergebühren als notwendige Auslagen nach § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO und jeweils auch die geltend gemachte Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG zu erstatten.

a) Daher ist nach den vorstehenden Ausführungen und sofern hiervon nicht abweichend im Übrigen aufgrund der zutreffenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Kostenantrags des Rechtsanwalts L. die Vergütung im Wesentlichen so erstattungsfähig, wie beantragt (und wie unter Ziff. I. a) dargestellt) mit Ausnahme der geltend gemachten Dolmetscherkosten von 275 Euro, weil diese nur in Höhe von 255 Euro nachgewiesen wurden. Deshalb ergeben sich nach Abzug der Vorschussrechnung (576 Euro) Auslagen in Höhe von insgesamt 3.790,75 Euro zzgl. 19 % Umsatzsteuer von 720,24 Euro (somit insgesamt 4.510,99 Euro) und eigene notwendige Auslagen des Freigesprochenen in Höhe von 280 Euro. Es ist daher ein Gesamtbetrag von 4.790,99 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.10.2022 festzusetzen.

Aufgrund des Abschlages in Höhe von 20 Euro hinsichtlich der geltend gemachten Dolmetscherkosten war die – unbeschränkt eingelegte – sofortige Beschwerde im Übrigen als unbegründet zu verwerfen.

b) Dem Kostenantrag des Rechtsanwalts R. ist nach den vorstehenden Ausführungen und insofern hiervon nicht abweichend aufgrund der zutreffenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung vollständig wie beantragt (und wie unter Ziff. I. b) dargestellt) zu entsprechen, sodass sich ein festzusetzender Gesamtbetrag von 1.297,70 Euro (1.090,50 Euro zzgl. 19 % Umsatzsteuer in Höhe von 207,20 Euro) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.10.2022 ergibt. „

Pflichti III: Entscheidungen von der „Resterampe“, oder: Abfall ?, Haftentlassung, Rückwirkung, Wahlanwalt

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Und dann hier im dritten Posting der „Rest“, also „Resterampe“, und zwar einige Entscheidungen zur Rückwirkung, zu den Bestellungsgründen und zu Bestellung. Auch hier gibt es nur die Leitsätze, und zwar:

Von einer schwierigen Rechtslage im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO ist auszugehen, wenn in einem Strafverfahren die Frage entscheidungserheblich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen Autowracks Abfall im Sinne von § 326 StGB darstellen.

Sowohl die Aufhebung der Bestellung nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO als auch nach § 143 Abs. 2 S. 2 StPO steht im Ermessen des Gerichts. Bei der Ermessensentscheidung ist stets sorgfältig zu prüfen, ob die frühere, auf der Inhaftierung beruhende Behinderung der Verteidigungsmöglichkeiten es weiter notwendig macht, dass der Angeschuldigte trotz Aufhebung der Inhaftierung durch einen Pflichtverteidiger unterstützt wird, was in der Regel der Fall sein wird.

1. Die rückwirkende Bestellung eines notwendigen Verteidigers kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Bestellung eines notwendigen Verteidigers zum Zeitpunkt eines rechtzeitig hierauf gerichteten Antrages gegeben waren und die Bestellung allein aufgrund justizinterner Gründe unterblieben ist.

2. Unverzüglich im Sinne des § 141 Abs. 1 S. 1 StPO bedeutet, dass die Pflichtverteidigerbestellung zwar nicht sofort, aber so bald wie möglich ohne schuldhaftes Zögern, mithin ohne sachlich nicht begründete Verzögerung erfolgen muss.

3. Die Ausnahmeregelung nach § 141 Abs. 2 S. 3 StPO, wonach in den Fällen des § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO die Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen, greift nicht, wenn die Pflichtverteidigerbestellung nicht von Amts nach den genannten Bestimmungen, sondern aufgrund des Antrages des vormaligen Beschuldigten veranlasst ist.

Hat der Wahlverteidiger des Angeklagten, dem bisher noch kein Pflichtverteidiger bestellt wurde, sein Mandat niedergelegt und seine Bestellung als Pflichtverteidiger beantragt, ist einem Bestellungsantrag zu entsprechen, da der Beschuldigte mit der Niederlegung des Wahlmandats unverteidigt im Sinne von § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO ist.

 

Pflichti II: Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers, oder: Der BGH faßt noch einmal schön zusammen

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Und dann im zweiten Posting hier der BGH, Beschl. v. 19.02.2025 – StB 4/25, StB 5/25, StB 6/25 -, der sich noch einmal eingehend mit der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers (§ 144 Abs. 1 StPO) befasst.

Ergangen ist der Beschluss in einem beim KG anhängigen Verfahren wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Auslan. Der Vorsitzende des KG-Senats hatte die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers abgelehnt. Die sofortigen Beschwerden hatten beim BGH keinen Erfolg.Der BGH führt – noch einmal – umfangreich zu den anstehenden Fragen aus:

„1. Zum Prüfungsmaßstab und zu den Voraussetzungen für die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers gilt:

a) Das Rechtsmittelgericht nimmt bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers durch das erkennende Gericht keine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vor und übt kein eigenes Ermessen auf der Rechtsfolgenseite aus, sondern kontrolliert die angefochtene Entscheidung lediglich im Rahmen einer Vertretbarkeitsprüfung dahin, ob der Vorsitzende seinen Beurteilungsspielraum und die Grenzen seines Entscheidungsermessens überschritten hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. August 2024 – StB 47/24 , NStZ-RR 2024, 354, 355; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 10; vom 5. Mai 2022 – StB 12/22 , juris Rn. 8, 13; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 18; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 17 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 144 Rn. 12).

b) Nach der Vorschrift des § 144 Abs. 1 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung einem Beschuldigten zu seinem Wahl- oder (ersten) Pflichtverteidiger „bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger zusätzlich“ bestellt werden, „wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist“. Die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist somit nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat, also grundsätzlich zur Verfahrenssicherung geeignet ist. Vielmehr muss die Bestellung eines weiteren Verteidigers zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein ( BGH, Beschlüsse vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 11; vom 5. Mai 2022 – StB 12/22 , juris Rn. 10; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 13; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 13 ).

Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist daher lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten ( BGH, Beschlüsse vom 21. August 2024 – StB 47/24 , NStZ-RR 2024, 354, 355; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 12).

Von einer solchen Notwendigkeit ist auszugehen, wenn sich die Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstreckt und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. August 2024 – StB 47/24 , NStZ-RR 2024, 354, 355; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 13; vom 5. Mai 2022 – StB 12/22 , juris Rn. 12; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 16; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 14 mwN; s. auch BT-Drucks. 19/13829 S. 49 f.).

2. Hieran gemessen ist die Annahme der Vorsitzenden des mit der Sache befassten 1. Strafsenats des Kammergerichts, die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO lägen nicht vor, vertretbar. Mit dieser Beurteilung hat sie die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums noch nicht überschritten.

a) Die Vorsitzende des Strafsenats hat annehmen dürfen, die Bestellung eines jeweils zweiten Pflichtverteidigers sei nicht wegen besonderen Umfangs des Verfahrens erforderlich. Zwar ist der Aktenumfang mit über 100 Aktenordnern beträchtlich und steht, wie schon die gegenwärtige Terminierung bis Ende 2025 deutlich macht, eine umfangreiche Beweisaufnahme an vielen Hauptverhandlungstagen zu erwarten. Indes sind die mit der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe in tatsächlicher Hinsicht überschaubar und haben die bestellten Pflichtverteidiger, die den Angeklagten jeweils kurz nach deren Verhaftung beigeordnet worden sind, bereits etliche Monate Zeit gehabt, sich mit dem Verfahrensgegenstand und den im Ermittlungsverfahren erlangten Erkenntnissen vertraut zu machen.

b) Ein jeweils zweiter Pflichtverteidiger für die Beschwerdeführer ist auch nicht wegen besonderer rechtlicher Komplexität des Verfahrens geboten. Die Einschätzung der Senatsvorsitzenden, die inmitten stehenden Rechtsfragen seien nicht von solcher Schwierigkeit, dass ihre alleinige Durchdringung den bestellten Pflichtverteidigern nicht möglich oder nicht zumutbar wäre, erweist sich als rechtlich tragfähig, zumal es sich bei den bereits bestellten Verteidigern um erfahrene und mit Staatsschutzverfahren vertraute Fachanwälte für Strafrecht handelt.

Der Tatvorwurf bezieht sich jeweils auf die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und damit insbesondere nicht auf komplexe Rechtsvorschriften des Nebenstrafrechts oder internationalen Rechts. Zwar ist zur Einordnung der HAMAS als ausländische terroristische Vereinigung bislang keine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs ergangen (siehe aber zur vorläufigen Beurteilung im Rahmen von Haftfortdauerentscheidungen BGH, Beschlüsse vom 4. September 2024 – AK 71/24, juris Rn. 8 ff., 34 ff.; vom 26. Juni 2024 – AK 53-55/24, juris Rn. 8 ff., 36 ff.; vom 30. April 2024 – StB 25/24, Rn. 8 ff., 31 ff.; vom 10. April 2024 – StB 20/24, Rn. 8 ff., 27 ff.). Jedoch liegt zum rechtlichen Maßstab gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vor (vgl. die diesbezüglichen Nachweise in den vorgenannten Entscheidungen) und sind die tatsächlichen Beurteilungsgrundlagen in weitem Umfang allgemeinkundig. Angesichts des wesentlich gegen Zivilpersonen gerichteten Vorgehens der HAMAS kommt es zudem entgegen dem Beschwerdevorbringen des Angeklagten A. nicht darauf an, ob sich einzelne Akteure der HAMAS im bewaffneten Konflikt in der Levante auf ein völkerrechtliches „Kombattantenprivileg“ (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 3 StR 265/13 , BGHR StGB § 129b Rechtswidrigkeit 1 ) berufen könnten.

c) Weiter ist angesichts des beschränkten Kontrollmaßstabs des Beschwerdegerichts nicht zu beanstanden, dass die Vorsitzende des 1. Strafsenats des Kammergerichts die Bestellung weiterer Pflichtverteidiger nicht als zur Verfahrenssicherung erforderlich erachtet hat.

Zwar kann im Fall voraussichtlich besonders lang dauernder Hauptverhandlungen die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers angezeigt sein, weil mit der Verfahrensdauer das Risiko eines längerfristigen Ausfalls des Verteidigers und damit der Notwendigkeit einer Aussetzung der Hauptverhandlung steigt. In Fällen einer absehbar außergewöhnlich langen Hauptverhandlung rechtfertigt sich die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung aus der Erfahrung, dass sich bei einer derartigen Dauer der Hauptverhandlung die Wahrscheinlichkeit erhöht, ein Verteidiger könnte durch Erkrankung für einen längeren Zeitraum als durch Unterbrechungen nach § 229 StPO überbrückbar ausfallen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 23; vom 31. August 2020 – StB 23/20 , BGHSt 65, 129 Rn. 23 ). Indes hat die Senatsvorsitzende dieses Risiko für überschaubar erachtet. Das begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Denn die bloß abstrakt-theoretische Möglichkeit eines späteren Ausfalls des Pflichtverteidigers gibt – außer in Fällen voraussichtlich ganz besonders langer Hauptverhandlungen – regelmäßig keinen Anlass zur Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers ( BGH, Beschlüsse vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 15; vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 24; vom 21. April 2021 – StB 17/21 , NJW 2021, 1894 Rn. 9). Der Verfahrensstoff ist nicht derart umfangreich und komplex, dass er eine außergewöhnlich lange Hauptverhandlungsdauer zur notwendigen Folge hat. Sollte es – wider Erwarten – doch zu einem längerfristigen Ausfall eines Pflichtverteidigers kommen, bestünde – jedenfalls grundsätzlich – die Möglichkeit, diesen gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 StPO zu entpflichten und statt seiner einen anderen Verteidiger – namentlich einen als Wahlverteidiger tätigen weiteren Verteidiger des betreffenden Angeklagten – zum Pflichtverteidiger zu bestellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. November 2024 – StB 63/24 , NStZ-RR 2025, 54 Rn. 8 f.; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 15; vom 24. Oktober 2022 – StB 44/22 , NStZ-RR 2022, 380, 381; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 3 Rn. 4).

d) Im Übrigen ist vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens Folgendes zu bemerken:

aa) Einzelne bereits absehbare terminliche Verhinderungen der bestellten Pflichtverteidiger gebieten keine Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers. Denn die Regelung des § 144 Abs. 1 StPO dient nicht dazu, eine Vertretung des Angeklagten durch jedenfalls einen Verteidiger an jedem Hauptverhandlungstag zu gewährleisten und mehreren Verteidigern zu ermöglichen, die Teilnahme an der Hauptverhandlung untereinander aufzuteilen. Grundsätzlich ist jeder Pflichtverteidiger von Rechts wegen gehalten, an allen Hauptverhandlungsterminen teilzunehmen; die Bestellung eines zweiten Verteidigers soll, sofern sie zur Verfahrenssicherung angeordnet wird, Vorsorge für einen unerwarteten längerfristigen Ausfall des ersten Pflichtverteidigers treffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. November 2024 – StB 63/24 , NStZ-RR 2025, 54 Rn. 10; vom 24. Oktober 2022 – StB 44/22 , NStZ-RR 2022, 380, 381; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , BGHR StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Aufhebung 3 Rn. 9). Sofern absehbar ist, dass der bestellte Pflichtverteidiger in größerem Umfang gehindert ist, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, ist dem grundsätzlich nicht mit der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers zu begegnen, sondern ist der bisherige Verteidiger zu entpflichten und durch einen anderen, terminlich nicht verhinderten Pflichtverteidiger zu ersetzen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. November 2024 – StB 63/24 , NStZ-RR 2025, 54 Rn. 10; vom 24. Oktober 2022 – StB 44/22 , NStZ-RR 2022, 380, 381; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , BGHR StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Aufhebung 3 Rn. 9). Bei einer Verhinderung des Pflichtverteidigers an einzelnen wenigen Sitzungstagen kommt entgegen dem Beschwerdevorbringen des Angeklagten A. , zuletzt mit Schriftsatz vom 17. Februar 2025, zudem die – rechtlich statthafte (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2025 – 5 StR 338/24 , juris Rn. 11; OLG Celle, Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 Ws 365/08 , juris Rn. 12 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Februar 2011 – 4 Ws 195/10 , juris Rn. 13; BeckOK StPO/Krawczyk, 54. Ed., § 144 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 144 Rn. 4) – gerichtliche Bestellung eines sogenannten Terminvertreters für einzelne Hauptverhandlungstage in Betracht, gegebenenfalls zur Wahrung der Verfahrensfairness unter Änderung des vorgesehenen Beweisprogramms (zur rechtlichen Stellung des als „Terminvertreter“ für einen Hauptverhandlungstag beigeordneten Verteidigers zutreffend OLG Brandenburg, Beschluss vom 26. Februar 2024 – 1 Ws 13/24, juris Rn. 13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023 – 2 Ws 13/22, NStZ-RR 2023,159, 160 [OLG Karlsruhe 09.02.2023 – 2 Ws 13/23] ). Zu Recht weisen die Beschwerdeführer, insbesondere der Pflichtverteidiger des Angeklagten A. in seinem Schriftsatz vom 17. Februar 2025, allerdings darauf hin, dass in einem umfangreichen Verfahren wie dem hiesigen an einem Sitzungstag, an dem ausnahmsweise ein für diesen bestellter Terminvertreter an Stelle des verhinderten regulären Pflichtverteidigers als Verteidiger tätig wird, Beweis nur insoweit erhoben werden darf, als dadurch das Recht des Angeklagten auf effektive Verteidigung nicht verletzt wird. Bei dem Beweisprogramm an einem solchen Sitzungstag ist in besonderem Maße Rücksicht darauf zu nehmen, dass ein bloßer Terminvertreter nur eingeschränkt mit dem Verfahrensstoff vertraut ist und an der vorangegangenen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nicht mitgewirkt hat.

bb) Der Umstand, dass der 1. Strafsenat des Kammergerichts gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG eine Besetzung in der Hauptverhandlung mit fünf Richtern beschlossen hat, ist vorliegend ohne Belang (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. März 2024 – StB 19/24 , NStZ-RR 2024, 178, 179; vom 19. März 2024 – StB 17/24 , NStZ 2024, 502 Rn. 17; vom 25. August 2022 – StB 35/22 , NStZ-RR 2022, 353, 354). Denn wegen der unterschiedlichen Aufgaben von Gericht und Verteidigung in der Hauptverhandlung kann nicht schon aus dieser Besetzung des Spruchkörpers der Schluss gezogen werden, dass die Verteidigung in der Hauptverhandlung von einem Pflichtverteidiger allein nicht leistbar wäre. Hinzu kommt, dass das Verfahren gegen vier Angeklagte geführt wird, woraus ein erhöhter Aufwand für das Gericht, nicht aber in gleichem Umfang auch für die Verteidigung eines jeden Angeklagten resultiert.

cc) Entsprechendes gilt für den von den Pflichtverteidigern der Angeklagten R. und A. vorgebrachten Umstand, dass ein Ergänzungsrichter an der Hauptverhandlung teilnehmen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2021 – StB 12/21 , NStZ-RR 2021, 179). Insofern ist darauf hinzuweisen, dass ein unvorhergesehen an der weiteren Hauptverhandlungsteilnahme gehinderter Richter nicht unter Fortsetzung der Verhandlung durch einen anderen ersetzt werden kann, der an der bisherigen Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, während dies bei einem Verteidiger statthaft ist. Ohne Relevanz für eine Entscheidung nach § 144 Abs. 1 StPO ist zudem, mit welcher Personenzahl die Staatsanwaltschaft den Sitzungsdienst bestreitet. Denn für diese Entscheidung können andere als die in § 144 Abs. 1 StPO genannten Kriterien maßgeblich sein. Zudem haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung in der Hauptverhandlung unterschiedliche Funktionen. Deshalb verlangt das Gebot der Verfahrensfairness nicht, dass die Zahl der Verteidiger eines jeden Angeklagten der Anzahl der an der Hauptverhandlung mitwirkenden Staatsanwälte entspricht (vgl. näher hierzu BGH, Beschluss vom 24. März 2022 – StB 5/22 , NStZ 2022, 696 Rn. 22 mwN).

dd) Der Pflichtverteidiger des Angeklagten B. , der mit Schriftsätzen vom 5., 11., 14. und 17. Februar 2025 ergänzend vorgetragen hat, macht zudem geltend, es sei bei der Beurteilung des Arbeitsaufwandes für die Verteidigung nicht bedacht worden, dass er neben seiner Tätigkeit im hiesigen Verfahren noch weitere Verteidigungen übernehmen müsse, um ein hinreichendes Auskommen zu erzielen. Dieses Vorbringen verfängt nicht. Denn als Kompensation einer besonders umfänglichen Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers sieht das Gesetz – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 RVG vor.“

Ist alles nicht neu, aber schön in einer Entscheidung zusammengefasst. Daher habe ich es hier auch noch einmal ganz eingestellt.

Pflichti I: Pflichtverteidiger- und Beistandwechsel, oder: Pauschale Vorwürfe, Differenzen, Absprache

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Am Osterdienstag gibt es dann einige Entscheidungen zu Pflichtverteidigungsfragen. Heute hat insgesamt der BGH das Übergewicht 🙂 .

Und ich beginne dann gleich mit Entscheidungen zum Pflichtverteidigerwechsel, und zwar mit folgenden Entscheidungen, wovon ich den BGH, Beschl. v. 20.03.2025 – StB 11/25 – zur Lektüre empfehle, weil er die zu behandelnden Fragen sehr schön zusammenfaßt:

Pauschale, weder näher ausgeführte noch sonst belegte Vorwürfe oder Unstimmigkeiten rechtfertigen eine Entpflichtung des Pflichtverteidigers nicht.

1. Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen für sich genommen die Entpflichtung nicht.

2. Es besteht für den Pflichtverteidiger keine Rechtspflicht, Anträge mit dem Mandanten abzusprechen.

1. Die Beistandsbestellung durch das erstinstanzliche Gericht wirkt bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens fort und erstreckt sich somit auch auf die Revisionsinstanz.

2. Ein Wechsel in der Person des Beistands durch Rücknahme der ursprünglichen Beiordnung und Bestellung eines neuen Beistands kommt nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in entsprechender Anwendung des § 143a StPO in Betracht. Die Beiordnung eines neuen Beistands setzt aber voraus, dass die hierfür in § 397a Abs. 1 StPO vorgesehenen gesetzlichen Anforderungen (noch) erfüllt sind.