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StPO II: Besetzungseinwand prozessual überholt, oder: Es bleibt dann das Revisionsverfahren

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Und im zweiten Beitrag stelle ich dann den KG, Beschl. v. 20.10.2023 – 3 Ws 50/23 – 161 AR 180/23 – vor. Es geht noch einmal um den Besetzungseinwand nach § 222b StPO.

Nach dem Sachverhalt hatte eine Strafkammer LG Berlin mit Beschluss vom 11.09.2023 unter Eröffnung des Hauptverfahrens die Anklage der StA vom 09.08.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen. Gleichzeitig hat sie hinsichtlich ihrer Besetzung in der Hauptverhandlung entschieden, dass diese gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 und Satz 4 GVG mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt sein wird. Mit Verfügung vom gleichen Tag hat der Vorsitzende die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses veranlasst, Termin zur Hauptverhandlung auf den 27.09.2023 anberaumt und die Ladung der Beteiligten sowie die Übersendung der Besetzungsmitteilung angeordnet. Mit Schriftsatz vom 14.09.2023 hat Rechtsanwalt A für den Nebenkläger B die Besetzung des Gerichts nach § 222b Abs. 1 StPO gerügt und bemängelt, dass die Kammer nach § 76 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 GVG keine Dreierbesetzung beschlossen hat. Im Rahmen der Begründung hat er ausgeführt, weshalb die Anberaumung der Verhandlung als Tagessache aufgrund des aus seiner Sicht erforderlichen Hauptverhandlungs­programms, das neben der Inaugen­scheinnahme eines einstündigen Tatvideos, der Hinzuziehung eines waffenkundigen Sachverständigen und weiterer Zeugen bestehen sollte, unzureichend sei. Ferner hat der Nebenkläger auf die in dem vor einer anderen großen Strafkammer geführten Parallelverfahren bereits durchgeführten über 20 Hauptverhandlungstage hin­gewiesen, in dem u.a. gegen fünf vermeintliche Mit­beteiligte an der vorliegend angeklagten Tat mit umfangreichem Prozessstoff und einem Aktenbestand von aktuell 21 Verfahrensbänden, 24 Sonderbänden und einer Beiakte verhandelt werde. Der Umfang der Akten, in die aufgrund der bislang lediglich gewährten Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle bis dato keine Einsicht genommen worden sei, sowie die erforderliche Hinzuziehung eines Dolmetschers und das aufgrund des (bislang) schweigenden Angeklagten gebotene Beweisprogramm gebiete die Besetzung der Kammer mit drei – statt nur zwei – Berufsrichtern.

In seiner Verfügung vom 18.09.2023 hat der Kammervorsitzende zunächst vermerkt, dass die Kammer nach Beratung den Besetzungseinwand für unbegründet halte. Eine Zweierbesetzung sei ausreichend, da die Hauptakten aus zwei Bänden bestünden und der Tatvorwurf gegen den einen Angeklagten überschaubar sei. Die Sache sei als Tagessache für den 27.09.2023 terminiert. Ferner sei nach dortiger Rechtsansicht im neuen Vorlageverfahren gemäß § 222b Abs. 3 StPO ein förmlicher Beschluss nicht erforderlich. Sodann hat der Kammervorsitzende die Vorlage des Besetzungseinwands – über die Staats­anwaltschaft Berlin – an das KG verfügt.

Der Beschwerdeband ging nebst Stellungnahme der GStA vom gleichen Tag am 26.09.2023 beim KG/Senat ein. Von dort aus wurde dem Verteidiger und Rechtsanwalt A Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Vermerk des Vorsitzenden und der Stellungnahme der GStA Berlin bis zum 28.09.2023, 12 Uhr gewährt.

In der Hauptverhandlung am 27.09.2023 hat die verurteilt. Das KG hat in dem Beschluss den Besetzungseinwand des Nebenklägers als durch das ergangene Urteil vom 27.09.2023 prozessual überholt angesehen.

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

    1. Verkündet das Tatgericht vor der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nach § 222b Abs. 3 StPO über die vorschriftsmäßige Besetzung ein Urteil, so ist das Vorab­entscheidungs­verfahren erledigt. Der Einwand vorschriftswidriger Besetzung kann sodann im Rahmen der Revision geltend gemacht werden.
    2. Die zulässige Begründung der Besetzungsrüge erfordert gemäß § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrens­tatsachen, die den behaupteten Besetzungsfehler begründen. Wird der Besetzungseinwand auf den Umfang der Akten gestützt wird, dürften konkrete Angaben zu dem tatsächlich zu bewältigenden Aktenbestand erforderlich sein.
    3. Die in § 222b Abs. 2 Satz 1 StPO vorgesehene Entscheidung des Tatgerichts über seine ordnungsgemäße Besetzung ist durch mit Gründen versehenen Beschluss zu treffen. Sie dient insbesondere im Falle der Zurückweisung des Besetzungseinwands der Selbst­überprüfung und soll die ihr zugrundeliegenden Erwägungen für die Verfahrens­beteiligten sowie das Rechtsmittelgericht nach­vollziehbar und überprüfbar machen.

Die Leitsätze zu 2. und 3. sind „nicht tragend“.

StPO III: Ein Besetzungseinwand ist keine Beschwerde, oder: Wenn (ahnungslose) „Künstler“ verteidigen

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Und zum Tagesschluss dann ein weiterer Beschluss des OLG Stuttgart, und zwar der OLG Stuttgart, Beschl. v. 01. Februar 2023 – 4 Ws 20/23 – zum Besetzungseinwand.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs der schweren räuberischen Erpressung gemäß §§ 253, 255, 249, 250 Abs. 2 Nr. 1b) StGB Anklage zum LG erhoben. Eine (große) Strafkammer des LG hat diese Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, gegen den Angeklagten das Hauptverfahren eröffnet und Haftfortdauer angeordnet. Im selben Beschluss hat das LG bestimmt, dass die Große Strafkammer in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt sein wird. Gegen diese Besetzungsentscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner mit Verteidigerschriftsatz eingelegten Beschwerde mit der Begründung, der Umfang des Verfahrens gebiete eine Besetzung mit drei Berufsrichtern.

Das „Rechtsmittel“ hatte keinen Erfolg:

„1. Die Beschwerde des Angeklagten ist unzulässig.

a) Die Entscheidung über die in der Hauptverhandlung reduzierte Besetzung ist nicht selbständig mit der Beschwerde anfechtbar (BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, juris Rn. 8; OLG Bremen, Beschluss vom 27. April 1993 – Ws 46 – 47/93, StV 1993, 350 – 351; Siolek in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 76 GVG Rn. 8; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 76 GVG Rn. 8a), wobei offen bleiben kann, ob sich die Unanfechtbarkeit im Wege der Beschwerde daraus ergibt, dass der Beschluss über die Gerichtsbesetzung Teil des Eröffnungsbeschlusses ist und an dessen Unanfechtbarkeit für den Angeklagten gemäß § 210 Abs. 1 StPO teilnimmt oder dass es sich bei der Entscheidung über die Gerichtsbesetzung um eine nicht der Beschwerde unterliegende der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung nach § 305 StPO handelt (vgl. zum Meinungsstand Siolek in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 76 GVG Rn. 8).

b) Eine Auslegung als Besetzungseinwand gemäß § 222b StPO, der für den Einwand gegen die Gerichtsbesetzung mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden entweder in direkter (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 – 4 StR 657/98, BGHSt 44, 361 – 368; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Januar 2014 – III-1 Ws 50/14, juris Rn. 21) oder entsprechender (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, juris Rn. 11; OLG Dresden, Beschluss vom 28. Oktober 2021 – 3 Ws 95/21, BeckRS 2021, 40826 Rn. 10) Anwendung des § 222b Abs. 1 StPO der statthafte Rechtsbehelf wäre, ist angesichts der ausdrücklichen Bezeichnung des Rechtsmittels als „Beschwerde entsprechend § 304 StPO“ durch den Verteidiger des Angeklagten, der Fachanwalt für Strafrecht ist, nicht möglich. Der Schriftsatz würde außerdem in formeller Hinsicht nicht den an ihn nach § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen genügen, wonach die Tatsachen, aus denen sich die Vorschriftswidrigkeit der Besetzung ergeben soll, anzugeben sind. Entsprechend einer Rüge der Gerichtsbesetzung im Revisionsverfahren gemäß § 344 Abs. 2 StPO erfordert der Besetzungseinwand eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen (Gmel in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Aufl., § 222b Rn. 8). Alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen müssen aus sich heraus, also ohne Bezugnahmen und Verweisungen auf andere Schriftstücke, insbesondere Anlagen, Aktenbestandteile oder Schriftsätze anderer Verfahrensbeteiligten, so konkret und vollständig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO vorgebracht werden, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird (KG Berlin, Beschluss vom 1. März 2021 – 4 Ws 14/21, juris Rn. 7; OLG Celle, Beschluss vom 27. Januar 2020 – 3 Ws 21/20, juris Rn. 5; OLG München, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 2 Ws 138/20, juris Rn. 15). Hierzu zählt auch, dass Umstände, die geeignet sein könnten, die vom Gericht beschlossene Besetzung zu begründen, nicht verschwiegen werden dürfen (OLG Celle aaO). Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdeschreiben bereits deshalb nicht, weil es den für die Berechnung der Frist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO maßgeblichen Zustellungszeitpunkt des Beschlusses des Landgerichts Tübingen vom 5. Januar 2023 verschweigt.

2. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Einwand auch in der Sache nicht durchgreifen würde. Es liegt kein Fall des § 76 Abs. 2 Satz 3 GVG vor, insbesondere erscheint weder nach dem Umfang noch der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters erforderlich (§ 76 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 GVG). Nach § 76 GVG ist die Besetzung einer großen Strafkammer mit zwei Berufsrichtern die Regel, diejenige mit drei Berufsrichtern die Ausnahme (BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, juris Rn. 7; Schuster in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., GVG § 76 Rn. 4). Zwar steht der das Hauptverfahren eröffnenden Strafkammer nach § 76 Abs. 2 GVG bei der Entscheidung über ihre Besetzung in der Hauptverhandlung kein Ermessen zu. Die Dreierbesetzung ist zu beschließen, wenn dies nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache notwendig erscheint. Bei der Auslegung dieser gesetzlichen Merkmale ist der Strafkammer indes ein weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt, bei dessen Ausfüllung die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (BGH, Beschluss vom 14. August 2003 – 3 StR 199/03, juris Rn. 8; Diemer in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Aufl., GVG § 76 Rn. 3). Bedeutsam für den Umfang der Sache sind etwa die Zahl der Angeklagten, Verteidiger und erforderlichen Dolmetscher, die Zahl der den Angeklagten vorgeworfenen Straftaten, die Zahl der Zeugen und anderen Beweismittel, die Notwendigkeit von Sachverständigengutachten, der Umfang der Akten sowie die zu erwartende Dauer der Hauptverhandlung. Die überdurchschnittliche Schwierigkeit der Sache kann sich aus der Erforderlichkeit umfangreicher Sachverständigengutachten, aus zu erwartenden Beweisschwierigkeiten oder aus der Komplexität der aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen ergeben (BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, juris Rn. 15). Das ist hier nicht der Fall. Das Verfahren gegen einen Angeklagten wegen einer diesem zur Last gelegten Tat ist weder von besonderem Umfang noch von besonderer Schwierigkeit geprägt. Der Umfang der Ermittlungsakte liegt mit zwei Stehordnern und 646 Blatt für ein Verfahren vor einer großen Strafkammer eher im unteren durchschnittlichen Bereich. Seitens der Staatsanwaltschaft wurden insgesamt sieben Zeugen benannt, hiervon drei Polizeibeamte, und es wurden zwei Sachverständigengutachten eingeholt, ein DNA-Gutachten und ein anthropologische Gutachten, mithin regelmäßig in Strafverfahren erhobene und nicht besonders umfangreiche Sachverständigengutachten. Weiterhin enthält die Ermittlungsakte eine überschaubare Anzahl an Lichtbildern sowie die Videoaufzeichnungen der Tat. Auch besondere Schwierigkeiten in verfahrens- oder materiell-rechtlicher Hinsicht sind nicht ersichtlich. Insbesondere begründet die Tatsache, dass der Tatnachweis gegen den von seinem Schweigerecht Gebrauch machenden Angeklagten anhand dieser – in Anzahl und Komplexität überschaubaren – Beweismitteln zu führen sein wird, keine besondere Schwierigkeit, da der Tatnachweis anhand von Beweismitteln gerade das Wesen des Strafprozesses darstellt. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Tat bereits mehr als zwei Jahre zurück liegt, zumal die Staatsanwaltschaft zum Tatnachweis insbesondere ein DNA-Gutachten und ein anthropologische Gutachten heranzieht, die mit Zeitablauf gerade nicht an Beweiskraft verlieren. Eine Verhandlung in Dreierbesetzung ist demnach offenkundig nicht angezeigt. Zudem wäre für eine durchgreifende Rüge der fehlerhaften Gerichtsbesetzung ohnehin erforderlich, dass die Strafkammer ihre Entscheidung auf sachfremde Erwägungen gestützt oder den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten hat, so dass ihre Entscheidung objektiv willkürlich erscheint (BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, juris Rn. 14; KG Berlin, Beschluss vom 1. März 2021 – 4 Ws 14/21, juris Rn. 13).“

Der Verteidiger scheint ein Künstler gewesen zu sein 🙂

StPO III: Gründe nachschieben und Besetzungsrüge, oder: Auch Besetzungseinwand (nur) per beA?

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Und als letzte Entscheidung dann noch der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.09.2022 – III-2 Ws 181-183/22. In der Entscheidung geht es um einen Besetzungseinwand (§ 222b StPO).

Bei einer großen Strafkammer des LG Duisburg wird seit dem 01.08.2022 gegen sechs Angeklagte u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verhandelt. Das Verfahren gegen zwei Angeklagte war am 21.07.2022 hinzuverbunden worden. Besetzt ist die Strafkammer mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen .

Am ersten Hauptverhandlungstag hat der Angeklagte H. durch seinen Verteidiger die auf zwei statt drei Berufsrichter reduzierte Besetzung mit der Begründung beanstandet, dass, insbesondere nach Verbindung der beiden Verfahren, mit mehr als zehn Verhandlungstagen zu rechnen sei. Diesem Besetzungseinwand haben sich die Angeklagten D. und M. jeweils durch ihren Verteidiger angeschlossen.

Ferner hat der Angeklagte M. durch seinen Verteidiger die Besetzung mit den beiden anwesenden Schöffinnen beanstandet, weil diese nicht die tatsächlich zuständigen Schöffinnen seien. Diesem Besetzungseinwand haben sich die Angeklagten H. und D. jeweils durch ihren Verteidiger angeschlossen.

Der Verteidiger des Angeklagten M. hat der Strafkammer mit Telefax vom 08.08.2022, 23:14 Uhr, eine schriftsätzliche Begründung der Besetzungseinwände übermittelt. Ferner hat er noch am 08.08.2022 per Telefax jeweils einen Schriftsatz der Verteidiger der Angeklagten H. und D. an die Strafkammer weitergeleitet. Diese Schriftsätze beschränken sich jeweils auf die Erklärung, dass sich der Unterzeichner den Ausführungen des Kollegen aus dem Schriftsatz vom 08.08.2022 anschließt.

Die Strafkammer hat die Besetzungseinwände mit Beschluss vom 12.08.2022 als unzulässig verworfen. Die Akten sind dann dem OLG am 26.08.2022 zur Entscheidung über die Besetzungseinwände vorgelegt worden. Das hat sie zurückgewiesen:

„Die Besetzungseinwände haben keinen Erfolg. Sie sind bereits nicht in zulässiger Weise erhoben worden.

1. Bei einem Besetzungseinwand sind die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben (§ 222b Abs. 1 Satz 2 StPO). Die an diesen Vortrag zu stellenden Anforderungen entsprechen den Rügeanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. OLG Celle StraFo 2020, 159; OLG Brandenburg StV 2021, 815; OLG Hamm BeckRS 2022, 12225). Die Verfahrenstatsachen sind mithin so vollständig und genau anzugeben, dass dem Senat allein auf Grundlage dieses Vortrags eine Entscheidung möglich ist.

Ferner sind alle Beanstandungen gleichzeitig vorzubringen (§ 222b Abs. 1 Satz 3 StPO). Das Nachschieben von Tatsachen ist auch dann unzulässig, wenn die Beanstandungsfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. BGH NStZ 1999, 367, 369; Gmel in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, § 222b Rdn. 9). Die Regelung, dass alle Beanstandungen gleichzeitig vorzubringen sind, kann sich notwendigerweise nur auf die laufende Beanstandungsfrist beziehen. Denn nach deren Ablauf ist Vorbringen zu einer vorschriftswidrigen Besetzung ohnehin präkludiert.

Hiernach erweist sich das Vorbringen zu den Besetzungseinwänden als völlig unzureichend.

Am ersten Hauptverhandlungstag ist bei dem Einwand gegen die Besetzungsreduktion (§ 76 Abs. 2 GVG) lediglich vorgebracht worden, dass, insbesondere nach Verbindung der beiden Verfahren, mit mehr als zehn Verhandlungstagen zu rechnen sei. Die Besetzung mit den beiden anwesenden Schöffinnen wurde nur mit der allgemein gehaltenen Begründung beanstandet, dass diese nicht die tatsächlich zuständigen Schöffinnen seien.

Mangels Darlegung konkreter Verfahrenstatsachen ermöglicht dieses unsubstantiierte Vorbringen dem Senat eine Überprüfung der Besetzungseinwände in keiner Weise.

Das Vorbringen in dem Schriftsatz des Verteidigers des Angeklagten M. vom 8. August 2022 ist unbeachtlich, da es entgegen § 222b Abs. 1 Satz 3 StPO in unzulässiger Weise nachgeschoben worden ist. Dass die einwöchige Beanstandungsfrist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war, ändert daran – wie dargelegt – nichts.

Es wäre angezeigt gewesen, sich innerhalb der Beanstandungsfrist zunächst vollständige Kenntnis von den maßgeblichen Verfahrenstatsachen zu verschaffen und die Besetzungseinwände sodann gleichzeitig mit konkreten Darlegungen zu erheben. Die Beanstandungsfrist soll den Verfahrensbeteiligten gerade die Überprüfung der Besetzung ermöglichen (vgl. BT-Drucks. 19/14747 S. 31). Vorliegend ist der Besetzungseinwand gegen die beiden Schöffinnen am ersten Hauptverhandlungstag gleichsam ins Blaue hinein erhoben worden. Erst danach erfolgte seitens der Verteidigung die Einsichtnahme in die Unterlagen zur Heranziehung der beiden Schöffinnen.

Soweit sich die Verteidiger der Angeklagten H. und D. jeweils mit schriftlicher Erklärung vom 8. August 2022 den schriftsätzlichen Ausführungen ihres Kollegen angeschlossen haben, fehlt es entgegen §§ 222b Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2, 345 Abs. 2 StPO ohnehin bereits an einer eigenverantwortlichen Begründungsschrift. Eine Revisionsbegründung muss den für die Beurteilung der Beanstandung erforderlichen Sachverhalt eigenständig und vollständig vortragen. Eine Bezugnahme auf die Schriftsätze anderer Verfahrensbeteiligter reicht nicht (vgl. BGH NStZ 2007, 166; NStZ-RR 2018, 153; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 345 Rdn. 14). Nichts anderes gilt in entsprechender Anwendung von § 345 Abs. 2 StPO für Besetzungseinwände, die schriftsätzlich außerhalb der Hauptverhandlung vorgebracht werden.“

Dürfte den Regelungen in § 222b StPO entsprechen. Es muss also alles sofort auf den Tisch 🙂 .

Interessant ist der OLG-Beschluss m.E. auch noch aus einem weiteren Grund. Das OLG spricht nämlich eine mit § 32d StPO zusammenhängende Frage an: Stichwort: Elektronisches Dokument. Nämlich:

„2. Der Senat kann offen lassen. ob die Schriftsätze vom 8. August 2022 auch deshalb unbeachtlich sind, weil sie abweichend von § 32d Satz 2 StPO nicht als elektronisches Dokument, sondern per Telefax an die Strafkammer übermittelt worden sind.

Für Formunwirksamkeit spricht, dass § 345 Abs. 2 StPO für außerhalb der Hauptverhandlung vorgebrachte Besetzungseinwände entsprechend gilt (§ 222b Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 StPO). Dieser Verweis auf die für die Revisionsbegründung normierten Formvorschriften kann dahin als dynamisch und umfassend verstanden werden, dass der Verteidiger bei einem Besetzungseinwand außerhalb der Hauptverhandlung auch die seit dem 1. Januar 2022 für die Revisionsbegründung geltende Pflicht zur elektronischen Übermittlung zu beachten hat (§ 32d Satz 2 StPO). Für eine unterschiedliche Handhabung besteht jedenfalls kein plausibler Anlass, zumal ein Besetzungseinwand vormals gerade mit der Revision geltend zu machen war.“

Die Frage sollte man nach diesem „OLG-Hinweis“ im Blick haben und den Besetzungseinwand immer per beA erheben. Sicher ist sicher.

Und schließlich bekommt die Strafkammer aber auch noch „einen mit:

„3. Entgegen § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO sind die Besetzungseinwände dem Senat nach der Entscheidung der Strafkammer vom 12. August 2022 nicht spätestens vor Ablauf von drei Tagen, sondern deutlich verspätet erst am 26. August 2022 vorgelegt worden.

Die Drei-Tage-Frist dient der Beschleunigung des Vorabentscheidungsverfahrens. Aus einer Fristüberschreitung ergeben sich indes keine rechtlichen Folgen. Im Falle der Begründetheit eines Besetzungseinwands kann eine verspätete Aktenvorlage dazu führen, dass in der laufenden Hauptverhandlung zwischenzeitlich zusätzliche Ressourcen ohne Nutzen verbraucht werden. Wenn ein Besetzungseinwand keinen Erfolg hat, fehlt selbst eine solche faktische Auswirkung.“

StPO II: Anforderungen an den Besetzungseinwand, oder: (Gebuchter) Erholungsurlaub eines Schöffen

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Die zweite Entscheidung des Tages behandelt noch einmal die an einen Besetzungseinwand (§ 222b StPO) zu stellenden Anforderungen. Es geht um die Entbindung einer Hauptschöffin und einer Hilfsschöffin in einem Schwurgerichtsverfahren. Beide hatten Urlaub „geltend gemacht“.

Dagegen dann der Besetzungseinwand des Angeklagten. Das OLG hat ihn im OLG Hamm, Beschl. v. 12.05.2022 – 5 Ws 114/22 – als unzulässig und unbegründet angesehen:

„1…..

Die Begründung des Besetzungseinwands genügt jedoch nicht den an diesen zu stellenden Anforderungen.

Gemäß § 222b Abs. 1 S. 2 StPO sind die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben. Die an diesen Vortrag zu stellenden Anforderungen entsprechen im Wesentlichen den Rügeanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. etwa BGH, Urteil vom 07. September 2016 – 1 StR 422/15 -; OLG Celle, Beschluss vom 27.01.2020 – 3 Ws 21/20 – jeweils recherchiert bei juris; Schmitt in: Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 222b Rn. 6; Jäger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 222b Rn. 17; Arnoldi in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2016, § 222b Rn. 13). Hierfür spricht zum einen die nahezu wortgleiche Formulierung des § 222b Abs. 1 S. 2 StPO und des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Dies entspricht aber auch dem Gesetzeszweck. Mit den durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 eingeführten Rügepräklusionsvorschriften der §§ 338 Nr. 1, 222b Abs. 1 StPO wollte der Gesetzgeber seinerzeit erreichen, dass Besetzungsfehler bereits in einem frühen Verfahrensstadium erkannt und geheilt werden, um zu vermeiden, dass ein möglicherweise mit großem justiziellen Aufwand zustande gekommenes Strafurteil allein wegen eines Besetzungsfehlers aufgehoben und in der Folge die gesamte Hauptverhandlung – mit erheblichen Mehrbelastungen sowohl für die Strafjustiz als auch für den Angeklagten – wiederholt werden muss (BGH a.a.O.). Mit Blick auf diesen Normzweck und im Sinne der Intentionen des Gesetzgebers sind unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen hohe, weitgehend den Rügeanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechende Anforderungen an den Inhalt des Besetzungseinwands zu stellen (BGH a.a.O.). Nichts anderes ergibt sich auch nach der Neueinführung des § 222b Abs. 3 StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 05.11.2019. Ziel auch dieser Neuregelung war ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien durch die Einführung des Vorabentscheidungsverfahrens Besetzungsrügen schon vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung abschließend durch ein höheres Gericht bescheiden zu lassen, um Urteilsaufhebungen im Revisionsverfahren aufgrund von Falschbesetzungen zu vermeiden, ohne dass die Gesetzesbegründung Anhaltspunkte dafür bietet, dass ein von der bisherigen Rechtslage abweichender Darlegungs- oder Prüfungsmaßstab vom Gesetzgeber gewollt war (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 05.11.2019, BTDrucks. 19/14747).

Unter Anwendung revisionsrechtlicher Maßstäbe sind die den Besetzungsmangel begründenden Tatsachen in dem Besetzungseinwand ohne Bezugnahmen und Verweisungen anzugeben. Die Verfahrenstatsachen sind so vollständig und genau anzugeben, dass allein auf Grundlage dieses als richtig unterstellten Vortrages dem Senat eine Entscheidung möglich ist. Eine Bezugnahme auf Anlagen zur Antragsschrift ist demgegenüber unzulässig, denn es ist nicht Aufgabe des Rechtsmittelgerichts, das Vorbringen an der passenden Stelle zu ergänzen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 7.5.2018 ? 2 RBs 61/18 – beck online; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 344 Rn. 21).

Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen genügt das Vorbringen den Anforderungen des § 222b Abs. 1 S. 2 StPO i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO nicht. Insbesondere enthält die Rüge keine Angaben dazu, an welchen konkreten Tagen die Kammer Fortsetzungstermine anberaumt hat. Das Rügevorbringen beschränkt sich insoweit darauf, mitzuteilen, dass zehn Hauptverhandlungstermine in der Zeit zwischen dem 04.05.2022 und dem 24.06.2022 bestimmt worden seien, von welchen der Termin am 25.05.2022 nachträglich aufgehoben worden und ein weiterer Termin am 02.06.2022 anberaumt worden sei. Um die Entscheidungen über die Entbindung die Schöffinnen infolge der von ihnen mitgeteilten Abwesenheiten überprüfen zu können, ist dem Senat jedoch die Kenntnis darüber, inwieweit Fortsetzungstermine in die jeweiligen Zeiträume fallen, erforderlich.

Ferner gibt die Rüge auch die Mitteilung des „Urlaubstermins“ durch die Schöffin B, auf welche diese in ihrer Email vom 24.01.2022 Bezug nimmt nicht wieder, bzw. führt gegebenenfalls nicht aus, dass es eine solche Mitteilung nicht gab. Auch dies wäre für die Überprüfung des Rügevorbringens erforderlich gewesen.

2. Der Besetzungseinwand ist zudem auch unbegründet. Die Entbindungen der Hauptschöffin und der Hilfsschöffin sind nicht zu beanstanden.

Nach §§ 77 Abs. 3, 54 Abs. 1 GVG kann der Vorsitzende einer Strafkammer des Landgerichts einen Schöffen auf dessen Antrag wegen eingetretener Hinderungsgründe von der Dienstleistung an bestimmten Sitzungstagen entbinden. Ein Hinderungsgrund liegt vor, wenn der Schöffe an der Dienstleistung durch unabwendbare Umstände gehindert ist oder wenn ihm die Dienstleistung nicht zugemutet werden kann.

Ob einem Schöffen die Dienstleistung im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 1 GVG zugemutet werden kann, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist – zur Wahrung des Rechts auf den gesetzlichen Richter – ein strenger Maßstab anzulegen (OLG Hamm, Beschluss vom 28. 5. 2001 – 2 Ss 400/01 – juris). Hierbei stellt Erholungsurlaub eines Schöffen in der Regel einen Umstand dar, der zur Unzumutbarkeit der Dienstleistung führt (vgl. BGH, Beschluss vom 8.5.2018 ? 5 StR 108/18 – beck online). Berufliche Gründe hingegen rechtfertigen nur ausnahmsweise die Verhinderung eines Schöffen (vgl. BGH, Beschluss vom 02.05.2018 – 2 StR 317/17 – beck online).

Der Senat überprüft die Ermessensentscheidungen des Vorsitzenden lediglich am Maßstab der Willkür (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2020 – 2 Ws 36/20 – juris; KG, Beschluss vom 27. April 2020 – 4 Ws 29/20 -, juris; Ritscher, in: BeckOK zur StPO, 41. Edition Stand: 01.04.2022, § 222b Rn. 16; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 222b Rn. 19). Dies hat der Bundesgerichtshof unter Geltung der alten Rechtslage vor Novellierung des § 222b StPO durch das am 13.12.2019 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 mit Blick auf § 54 Abs. 3. S. 1 GVG, 336 S. 2 Alt. 1 StPO klargestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 05. August 2015 – 5 StR 276/15 -, juris). Dieser im bisherigen Revisionsrecht bestehende Prüfungsmaßstab hat auch nach Neueinführung des § 222b Abs. 3 StPO weiterhin Geltung und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 16. Dezember 2021 – 2 BvR 2076/21 – juris; OLG Hamm a.a.O.; Ritscher in: BeckOK a.a.O.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.).

Willkür in diesem Sinne liegt dabei nicht erst bei einer bewussten Fehlentscheidung, sondern bereits dann vor, wenn die mit der Entbindung des Schöffen verbundene Bestimmung des gesetzlichen Richters grob fehlerhaft ist und sich so weit vom Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt, dass sie nicht mehr gerechtfertigt erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2016- 2 StR 342/15 -, juris). Dies ist hier nicht der Fall.

Dies gilt zunächst für die Entscheidung, dass der Hauptschöffin B infolge ihres Erholungsurlaubs die Dienstleistung in der Hauptverhandlung vom 04.05.2022 mit den Fortsetzungsterminen nicht zumutbar war. lm Falle von Erholungsurlaub eines Schöffen liegt die Annahme von Willkür ohnehin fern (vgl. BGH, Beschluss vom 8.5.2018 ? 5 StR 108/18 – beck online). Vorliegend hat der Vorsitzende sich zudem durch telefonische Nachfrage zusätzliche Erkenntnisse verschafft und sich so hinsichtlich der Dauer und des Grundes für die Unverschiebbarkeit des Urlaubs (bereits gebuchter Auslandsurlaub mit der Familie) versichert. Dass in den Entbindungsbeschluss sodann versehentlich die Daten der Urlaubsreise der Hauptschöffin (An- und Abreisetag) als Daten der Hauptverhandlungstermine, an welchen diese verhindert sei, eingetragen wurden, wie der Vorsitzende in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 04.05.2022 ergänzend erläutert hat, stellt nicht infrage, dass der Vorsitzende seine Entscheidung auf der richtigen Tatsachengrundlage getroffen hat, zumal die offensichtliche Unrichtigkeit sich bereits daraus ergibt, dass am angegebenen 27.05.2022 überhaupt kein Fortsetzungstermin anberaumt war und die Daten den An- und Abreisetagen entsprechen. Soweit seitens der Verteidigung darauf hingewiesen wurde, dass die dienstliche Stellungnahme an sie nicht übersandt worden sei, ergibt sich aus dem Beschluss der Kammer vom 04.05.2022, dass diese in der Hauptverhandlung am selben Tag verlesen worden ist, was die Verteidigung in ihrem Vorbringen bestätigt. Einer zusätzlichen Übersendung bedurfte es daher nicht.

Ebenso wenig stellt sich die Entscheidung, der Hilfsschöffin A sei die Teilnahme an der Hauptverhandlung unzumutbar, als willkürlich dar. Die Hilfsschöffin hatte mitgeteilt, sich am Fortsetzungstermin am 19.05.2022 mit ihrem Sohn im Urlaub befinden und Buchungsbestätigungen für die Flüge vorgelegt, wobei sich hieraus ergab, dass die Schöffin am Terminstag bereits früh morgens abreisen würde. Die Beurteilung des Kurzurlaubs anlässlich eines Geburtstags als Erholungsurlaub stellt sich jedenfalls nicht willkürlich dar. Sie ist vielmehr naheliegend. Die von der Verteidigung vorgebrachte Argumentation, aus § 7 Abs. 2 BUrlG sei zu schließen, dass von Erholungsurlaub erst ab einem Urlaub von zwölf aufeinanderfolgenden Werktagen auszugehen sei, geht fehl. Die vorgenannte Vorschrift bestimmt vielmehr, dass bei einem Arbeitnehmer, der Anspruch auf Urlaub von mehr als zwölf Werktagen hat, ein Urlaubsteil mindestens zwölf Werktage umfassen muss. Daraus folgt aber, dass der andere Urlaubsteil gerade einen geringeren Umfang haben kann.

Schließlich sind auch die Entscheidungen des Vorsitzenden, in beiden Fällen die Schöffinnen von der Dienstleistung insgesamt zu entbinden und die jeweiligen Fortsetzungstermine nicht zu verlegen, nicht als willkürlich anzusehen. Unabhängig davon, ob eine Pflicht hierzu überhaupt angenommen werden kann (ablehnend etwa OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2020 – 2 Ws 36/20 – juris), war dies jedenfalls vorliegend angesichts dessen, dass ein umfangreiches Beweisprogramm bereits vorbereitet und Zeugen für jeden Fortsetzungstermin geladen waren – was im Rahmen des Rügevorbringen ebenfalls nicht dargestellt worden ist -, unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen nicht geboten.

Die Entbindungsentscheidungen des Kammervorsitzenden genügten – ergänzt durch den Vermerk des Kammervorsitzenden vom 27.01.2022 – auch dem Dokumentationserfordernis des § 54 Abs. 3 S. 2 GVG. Dass es sich bei den in der Entbindungsentscheidung der Schöffin B angegebenen Daten um einen offensichtlichen Fehler handelt, ergibt sich – wie oben ausgeführt – bereits durch einen Abgleich mit den festgesetzten Terminen. Der Vorsitzende hat dies zudem durch seine dienstliche Stellungnahme vom 04.05.2022 ergänzend erläutert. Dass es sich um die Urlaubsdaten der Schöffin handelte, hätte sich außerdem durch die – im Rügevorbringen fehlende – Vorlage der Mitteilung der Schöffin über die Daten ihres Urlaubs – wie in deren Email in Bezug genommen – ergänzend überprüft werden können. Die Entscheidung betreffend die Hilfsschöffin A bedurfte vor dem Hintergrund der mitgeteilten Abwesenheit aufgrund eines Urlaubs im Ausland keiner weiteren Begründung.“

StPO I: Der Besetzungseinwand nach § 222b StPO, oder: Angriffsrichtung und Begründungsanforderungen

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Heute dann ein wenig StPO, und zwar von Instanzgerichten, also nicht vom BGH.

Dei erste Entscheidung, die ich vorstelle, der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 03.11.2021 – 1 Ws 73/21 – befasst sich noch einmal mit dem Besetzungseinwand nach § 222b StPO, und zwar mit seiner möglichen „Angriffsrichtung“ und den Anforderungen an die Begründung.

Gegen den Angeklagten ist Anklage wegen Betruges in Tateinheit mit Untreue und Bestechlichkeit zur Wirtschaftsstrafkammer des LG erhoben. Diese hat die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Im ersten Hauptverhandlungstermin vom 29.9.2021 hat der Verteidiger des Angeklagten „die Besetzung der Wirtschaftsstrafkammer II, verbunden mit dem entsprechenden Besetzungseinwand, zu der Beisitzerin Frau Richterin K.“ gerügt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass der frühere Verteidiger des Angeklagten zum Zeitpunkt seiner Mandatierung im vorliegenden Verfahren Sozius der Rechtsanwaltskanzlei H. in Saarbrücken gewesen sei und die Richterin K. zu dieser Zeit als angestellte Rechtsanwältin in dieser Kanzlei tätig gewesen sei, weshalb von einer Vorbefassung der Richterin im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO auszugehen sei. Mit Schriftsatz vom 1.10.2021 hat der Verteidiger die Rüge der Besetzung des Gerichts mit der Richterin K. wiederholt und den insoweit erhobenen Besetzungseinwand aufrecht erhalten. Darüber hinaus hat er in diesem Schriftsatz für den Angeklagten einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin K. gestellt, den er unter näheren Ausführungen ebenfalls mit der vormaligen Tätigkeit der Richterin als angestellte Rechtsanwältin in der genannten Rechtsanwaltskanzlei begründet hat.

Die Wirtschaftsstrafkammer hat die Besetzungsrügen vom 29.9.2021 und 1.10.2021 als unbegründet zurückgewiesen und die Akte dem OLG Saarbrücken zur Vorabentscheidung über den Besetzungseinwand vorgelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die Richterin K. nicht gemäß § 22 Nr. 4 StPO von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Die Besetzungsrügen hatten (auch) beim OLG keinen Erfolg:

„1. Der vom Angeklagten erhobene Besetzungseinwand, über den der Senat gemäß § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 121 Abs. 1 Nr. 4 GVG zur Entscheidung berufen ist, nachdem die Wirtschaftsstrafkammer den Besetzungseinwand für nicht begründet erachtet hat, erweist sich bereits als unzulässig. Mit seinem Vorbringen kann der Angeklagte im Rahmen eines Einwandes der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts schon dem Grunde nach nicht gehört werden, weshalb der Besetzungseinwand nicht statthaft ist.

Der in § 222b StPO geregelte Einwand, dass das Gericht vorschriftswidrig besetzt sei, kann sich im Hinblick auf die in § 338 Nr. 1 Halbsatz 2 StPO für die Besetzungsrüge normierte Rügepräklusion nach der gesetzlichen Systematik nur auf solche Fälle vorschriftswidriger Besetzung in erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht und Oberlandesgericht beziehen, die auch von § 338 Nr. 1 StPO erfasst sind. Insoweit ist – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist – jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jede Verletzung der gesetzlichen Vorschriften über die mitwirkenden Richter dazu führt, dass die Besetzung des Gerichts im Sinne des § 338 Nr. 1 Halbsatz 1 StPO vorschriftswidrig ist (vgl. LR-Franke, StPO, 26. Aufl., § 338 Rn. 6). Letzteres gilt insbesondere auch für die Fälle, in denen die Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters geltend gemacht wird (vgl. SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., § 338 Rn. 9), da der Gesetzgeber insoweit in § 338 Nr. 2 StPO einen eigenen Revisionsgrund geschaffen hat und diese Vorschrift gegenüber § 338 Nr. 1 StPO vorrangig ist (vgl. LR-Franke, a.a.O., § 338 Rn. 61; SK-StPO/Frisch, a.a.O., § 338 Rn. 71; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 338 Rn. 57; MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 338 Rn. 54; SSW-StPO/Momsen/Momsen-Pflanz, 4. Aufl., § 338 Rn. 24). So liegt der Fall aber hier. Denn der Angeklagte hat mit seinem Einwand ausschließlich geltend gemacht, dass die Richterin K. aufgrund ihrer früheren Tätigkeit als Rechtsanwältin in der Kanzlei, der sein vormaliger Verteidiger angehört hat, kraft Gesetzes von der Mitwirkung an dem Verfahren ausgeschlossen sei. Da dieses Vorbringen somit eine Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 StPO schon dem Grunde nach nicht zu begründen vermag, kann es auch im Verfahren nach § 222b StPO von vornherein keine Berücksichtigung finden und ist mithin unstatthaft.

2. Der Besetzungseinwand wäre allerdings auch deshalb unzulässig, weil er nicht den an ihn nach § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen genügt, wonach die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben sind.

a) Der Besetzungseinwand nach § 222b StPO ersetzt seit seiner Einführung durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 die nach altem Recht mit dem Rechtsmittel der Revision zu erhebende Rüge der ordnungsgemäßen Gerichtsbesetzung (§ 338 Nr. 1 StPO a.F.). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Vorabentscheidungsverfahren im Wesentlichen an das Revisionsverfahren angelehnt sein (BT-Drucks. 19/14747 S. 29). Hieraus folgt zunächst, dass die für die alte Rechtslage vorgeschriebenen Form- und Fristvoraussetzungen (vgl. insoweit BGHSt 44, 161) sowie die Begründungsanforderungen gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 und 3 StPO in der bis zum 12. Dezember 2019 geltenden Fassung erhalten bleiben (vgl. BT-Drucks. 19/14747 S. 29). Entsprechend einer Rüge der Gerichtsbesetzung im Revisionsverfahren gemäß § 344 Abs. 2 StPO erfordert der Besetzungseinwand daher eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen; alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen müssen aus sich heraus – das heißt ohne Bezugnahmen und Verweisungen auf andere Schriftstücke – so konkret und vollständig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 S. 1 StPO vorgebracht werden, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 27.01.2020 – 3 Ws 21/20 -; OLG Hamm, Beschl. v. 18.08.2020 – III-1 Ws 325/20 -; Hanseat. OLG Bremen, Beschl. v. 14.04.2020 – 1 Ws 33/20 -; KG Berlin, Beschl. v. 01.03.2021 – 4 Ws 14/21 -, jew. zitiert nach juris). Vorzutragen sind dabei auch sämtliche die Frage der Rechtzeitigkeit des Einwands betreffenden Verfahrenstatsachen (vgl. Hanseat. OLG Bremen; KG Berlin, jew. a.a.O.). Da der Besetzungseinwand binnen einer Woche nach Zustellung der Besetzungsmitteilung oder – soweit die Mitteilung in der Hauptverhandlung erfolgt ist – nach deren Bekanntgabe zu erheben ist (§ 222b Abs. 1 S. 1 StPO), ist insbesondere darzulegen, wann dem Angeklagten die Besetzung des Spruchkörpers mitgeteilt worden ist und wann eine etwaige Besetzungsmitteilung außerhalb der Hauptverhandlung zugestellt worden ist (vgl. Hanseat. OLG Bremen; KG Berlin, jew. a.a.O.). Zwar kann der Verteidiger den Besetzungseinwand auch mündlich in der Hauptverhandlung erheben; die Anforderungen an den erforderlichen Vortrag im Rahmen des Einwands bleiben hiervon jedoch unberührt (Hanseat. OLG Bremen a.a.O.).

b) Diesen Anforderungen wird der Vortrag des Verteidigers schon deshalb nicht gerecht, weil nicht dargelegt wird, wann das Gericht dem Angeklagten die Besetzung der Strafkammer mitgeteilt hat, so dass dem Senat als Rechtsmittelgericht die Überprüfung der Rechtzeitigkeit des Besetzungseinwandes verwehrt bliebe, wenn der Besetzungseinwand als solcher statthaft wäre, was vorliegend indes nicht der Fall ist.“