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Für Befriedungsgebühr Kausalität erforderlich?, oder: Bemessung der Terminsgebühr/Kostenentscheidung

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Und im zweiten Posting dann etwas aus Berlin, und zwar den LG Berlin, Beschl. v. 09.12.2024 – 525 Qs 169/24 – zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG und zur Bemessung der Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG.

Gegen den Angeklagten war ein Strafbefehl erlassen, gegen den der Verteidiger Einspruch eingelegt hat. Das Verfahren gegen den Angeklagten ist dann vom AG eingestellt worden. Gestritten worden ist dann um die Festsetzung der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG und die Höhe einer (Hauptverhandlungs)Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG. Das AG hat die Nr. 4141 VV RVG nicht festgesetzt und die Terminsgebühr nur in einer geringeren als vom Verteidiger geltend gemachten Höhe. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verteidigers hatte hinsichtlich der Nr. 4141 VV RVG Erfolg, hinsichtlich der Höhe der Terminsgebühr hingegen nicht:

„I. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die unterlassene Festsetzung der Befriedungsgebühr nach Nr. 4141 VV RVG wendet, ist die sofortige Beschwerde begründet.

Für deren Entstehen genügt bereits jede anwaltliche Tätigkeit, die auf eine Verfahrensförderung gerichtet ist, ohne dass sie auch kausal für die Verfahrensbeendigung geworden oder besonders aufwändig gewesen sein muss. Dabei trifft die Beweislast für das Fehlen der anwaltlichen Mitwirkung die Staatskasse als Gebührenschuldner (vgl. Felix in: Toussaint, Kostenrecht, 54. Aufl. 2024, RVG VV 4141 Rn. 7 m.w.N.). Hier haben das Amtsgericht bzw. die Staatsanwaltschaft auf die Einspruchsschrift des Beschwerdeführers offensichtlich Nachermittlungen für erforderlich gehalten. Kurz nach Aktenrückkehr von der Polizei wurde das Verfahren sodann eingestellt. Es liegt nahe, dass Hintergrund dafür zumindest auch das Ergebnis dieser auf die Einspruchsschrift des Beschwerdeführers zurückzuführenden Nachermittlungen gewesen ist.

II. Im Hinblick auf die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG ist die sofortige Beschwerde hingegen aus den insoweit weiterhin zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses unbegründet.

In dieser Hinsicht war die Gebührenbestimmung durch den Beschwerdeführer unbillig i.S.d. § 14 Abs. 1 RVG, da die angemessene Gebühr um mehr als 20 % (vgl. KG, Beschluss vom 6. Dezember 2010 – 1 Ws 45/10 –, Rn. 3, juris) überschritten wurde. Denn angemessen war hier nicht die angesetzte Mittelgebühr, sondern die mit dem angefochtenen Beschluss festgesetzte. In erster Linie maßgeblich ist insofern die Dauer des Termins, wenn auch unter Berücksichtigung der Wartezeit. Die Einspruchsbegründung vermag eine höhere Festsetzung nicht zu rechtfertigen. So wird die Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels nicht durch die Termins-, sondern durch die Verfahrensgebühr abgegolten. Unabhängig davon rechtfertigt der dortige knappe Vortrag zur Ortsabwesenheit ebenso wenig eine Gebührenerhöhung wegen des Umfangs bzw. der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit wie die – wenn auch etwas ausführlicheren – Ausführungen zur Frage des Wiedererkennens im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage. Inwiefern die dortigen Ausführungen bereits auf Tätigkeiten im Rahmen der Vorbereitung des Termins zurückgehen, ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.“

Und dann noch eine interessante Kostenentscheidung des LG:

„Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Der Beschwerdeführer hat einen Teilerfolg erzielt, der unter Billigkeitsgesichtspunkten die aus dem Tenor ersichtliche Quotelung rechtfertigt. Da eine bloß hälftige Ermäßigung der nach Vorbemerkung 3.6 KV GKG einschlägigen Gerichtsgebühr Nr. 1812 KV GKG dem Ausmaß des Teilerfolgs nicht ausreichend Rechnung tragen würde und eine Ermäßigung auf einen anderen Prozentsatz nicht vorgesehen ist, hat die Kammer bestimmt, dass eine Gebühr nicht zu erheben ist.“

Anzumerken ist:

1. Die Ausführungen des LG zur Nr. 4141 VV RVG sind zutreffend. Für das Entstehen dieser zusätzlichen Verfahrensgebühr ist es unerheblich, in welchem Verfahrensabschnitt die Mitwirkung erbracht wird. Es genügt, dass ein früherer Beitrag des Verteidigers zur Erledigung in einem späteren Verfahrensabschnitt, in dem es dann zur Erledigung des Verfahrens kommt, noch fortwirkt (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4141 VV Rn 18). Zutreffend ist ebenfalls die Ansicht des LG zur Beweislast und zur Frage der Ursächlichkeit (dazu u.a.  BGH AGS 2008, 491 = RVGreport 2008, 431; OLG Stuttgart AGS 2010, 202 = RVGreport 2010, 263; LG Aachen, Beschl. v. 28.02.2024 – 2 Qs 8/23, AGS 2024, 228 mit zutreffendem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte).

2. Ob die Höhe der Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG zutreffend festgesetzt worden ist, lässt sich nicht beurteilen, da der Beschluss die Höhe der Terminsgebühr nicht mitteilt und auch zu den übrigen konkreten Umstände der Gebührenbemessung schweigt. Die allgemeinen Ausführungen sind allerdings zutreffend.
3. Und schließlich ist die vom LG getroffene Kostenentscheidung ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Angeklagte kann auf deren Grundlage unter Anwendung der Differenztheorie nun seine im Kostenbeschwerdeverfahren entstandenen Gebühren geltend machen. Grundlage ist Vorbem. 4 Abs. 5 Nr. 1 VV RVG, der auf Teil 3 VV RVG verweist. Dort ist dann die Nr. 3500 VV RVG einschlägig. Diese berechnet sich nach dem Gegenstandswert. Der ist in Höhe der streitigen Gebühren anzusetzen (zu allem Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn 118 ff.).

Nochmals: „Pflichti“ nur für Haftbefehlstermin, oder: Nehmt zur Kenntnis – Zug fährt in die richtige Richtung

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Heute ist „Gebührenfreitag“. Und den eröffne ich heute mit dem AG Schweinfurt, Beschl. v. 27.12.2024 – 6 Ds 2 Js 9719/23 – zu den Gebühren des Pflichtverteidigers, der dem Beschuldigten nur für die Vertretung in einem Termin zur Eröffnung eines Haftbefehls beigeordnet worden ist. Der bekommt „alles“:

„Die vom Verteidiger beantragten Gebühren sind vollständig begründet.

Die Grundgebühr nach Nr. 4100 und 4101 fällt an, für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 4106, 4107 entsteht für den ersten Rechtszug, also das Betreiben des Geschäfts, einschließlich der Information. Es ist strittig, ob diese Gebühren auch bei einem Pflichtverteidiger anfallen, der bloß die Vertretung im Termin zur Eröffnung des Haftbefehls wahrnimmt und im sonstigen Verfahren nicht mehr als Verteidiger auftritt (zum Streitstand siehe Knaudt in BeckOK RVG 65. Edition, Stand 01.09.2024, RVG VV 4100 Randnr. 1.1. zu den Nachweisen der verschiedenen Gerichtsentscheidungen). Die befürwortende Ansicht erscheint jedoch überzeugender. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich der Pflichtverteidiger in den Einzelfall einarbeiten muss, auch wenn er nur in einem einzelnen Termin auftritt (siehe dazu OLG Bamberg, Beschluss vom 21.12.2010, Az.: 1 WS 700/10). Wenn der Verteidiger sich nicht in den Einzelfall einarbeiten würde, wäre eine vernünftige Vertretung in dem Termin schlichtweg nicht möglich. Auf diese Weise würde der Sinn der Vertretung durch einen Pflichtverteidiger ausgehöhlt.

Weitergehend ist auch die Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 anzusetzen. Alleine die Teilnahme am Haftbefehlseröffnungstermins bedarf einer vorherigen Kommunikation per Telekommunikation. Insofern ist der Gebührentatbestand erfüllt. Eine Begründung, warum dies nicht der Fall sein sollte, ist nicht ersichtlich. Daher kann der Verteidiger die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr, jeweils mit Zuschlag, sowie die Pauschale für Post- und Telekommunikation abrechnen (siehe dazu OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.06.2023, Az.: 1 WS 105/23).

….“

Folgende Anmerkung: Bitte lieber Vertreter der Staatskassen, die ihr ggf. mitlest, nehmr zur Kenntnis, dass der (Gebühren)Zug zu der Problematik in die auch hier vom AG gewählte Richtung fährt. Und die ist richtig, auch wenn es euch nicht gefallen mag. Das haben euch ja in der letzten Zeit genügend Gericht, auch OLGs, bescheinigt. Von daher habe ich wenig Verständnis, wenn mir Kollegen berichten, dass sie immer noch um diese Gebühren kämpfen und den Weg durch alle Instanzen gehen müssen, damit entsprechend abgerechnet wird. Also nehmt die Entwicklung hin. Man kann nicht immer gewinnen – zum Glück.

Und eine weitere Bitte: Wenn ich gegen Kostenfestsetzungsanträge Stellung nehmt und/oder eure Rechtsmittel begründet: Bitte führt nicht nur Uraltrechtsprechung an, die die Frage vor Jahren mal anders entschieden hat, über die aber inzwischen die Entwicklung hinweg gegangen ist. Sondern zitiert auch die neue Rechtsprechung und setzt euch mit ihr auseinander. Alles andere ist unseriös und sollte der Staatskasse nicht würdig sein.

Vielleicht hilft der Appell. Ich hoffe es. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Pflichti III: Pflichtverteidigerwechsel in der Revision, oder: Rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers?

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Und im dritten Posting dann zwei Entscheidungen zum Verfahren in Zusammenhang mit dem Pflichtverteidiger. Beides ist aber nichts Besonderes. Hier sind:

„Der Antrag ist unbegründet, da die Voraussetzungen für einen Pflichtverteidigerwechsel gemäß § 143a Abs. 3 und 2 StPO nicht vorliegen.

1. § 143a Abs. 3 StPO, der eine vereinfachte Regelung für den Pflichtverteidigerwechsel im Revisionsverfahren trifft, greift nicht ein. Der Angeklagte hat nicht innerhalb der Wochenfrist des § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO den neu zu bestellenden Verteidiger bezeichnet.

2. Die Voraussetzungen für einen Wechsel des Pflichtverteidigers gemäß § 143a Abs. 2 StPO liegen ebenfalls nicht vor.

Eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zum bisherigen Pflichtverteidiger, § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Fall 1 StPO, ist nicht glaubhaft gemacht. Der Angeklagte ist durch seinen Pflichtverteidiger ordnungsgemäß verteidigt. Es besteht kein Anlass für die Annahme, das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Pflichtverteidiger sei tatsächlich zerrüttet oder der Verteidiger sei unfähig, die Verteidigung ordnungsgemäß zu führen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 16. August 2019 – 3 StR 149/19, Rn. 4). Pauschale, weder näher ausgeführte noch sonst belegte Vorwürfe rechtfertigen eine Entpflichtung nicht (BGH, Beschluss vom 17. April 2024 – 1 StR 92/24, Rn. 3). Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der einer angemessenen Verteidigung des Angeklagten entgegenstünde und einen Wechsel in der Person des Pflichtverteidigers geböte, § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Fall 2 StPO.“

Nach der vorläufigen Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 StPO besteht für die Mitwirkung eines Verteidigers kein Bedürfnis mehr. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers wäre daher unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn der Beiordnungsantrag noch rechtzeitig vor der Einstellung des Verfahrens gestellt wird.

Pflichti II: Notwendige Einsicht in andere Akten, oder: Selbstverteidigung bei Artikulationsstörung?

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Im zweiten Posting habe ich hier dann zwei Entscheidungen zun den Beiordnungsgründen, und zwar.

„Hier ist jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sachlage gemäß § 140 Abs. 2 Var. 3 StPO die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich.

Als schwierig ist die Sachlage eines Verfahrens nämlich unter anderem dann zu bewerten, wenn die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis nicht umfassend vorbereitet werden kann. Hier ist die Akteneinsicht, insbesondere in die Akte des bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main geführten Ermittlungsverfahrens gegen den gesondert Verfolgten pp., bei verständiger Betrachtung für eine sachdienliche Vorbereitung und Durchführung der Verteidigung unerlässlich. Anhand der gegenständlichen Ermittlungsakte lässt sich der Tatvorwurf der Haupttat gegen den gesondert Verfolgten pp. – und somit auch der Tatvorwurf der Anstiftung zu ebenjener Haupttat gegen die Beschwerdeführerin – nicht hinreichend prüfen. Hierzu bedarf es der Akteneinsicht in die Ermittlungsakte bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main. Da die Beschwerdeführerin nicht Beteiligte des weiteren Ermittlungsverfahrens ist, erhält sie als Privatperson keine Einsicht in die Ermittlungsakten. Hierzu bedarf es gemäß § 475 Abs. 1 StPO der Beiziehung eines Rechtsanwalts.“

Für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen „Unfähigkeit der Selbstverteidigung“ muss nicht gänzliche Verteidigungsunfähigkeit gegeben sein. § 140 Abs. 2 StPO ist bereits dann anwendbar, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen. Das ist bei einer attestierten Dysarthrie (Artikulationsstörung) des Angeklagten der Fall, da dann erhebliche Zweifel bestehen, dass dieser in der Lage ist, seine Interessen selbst zu wahren und alle zur Verteidigung erforderlichen Handlungen selbst vorzunehmen.

Hilfe beim Vermeiden eines Fortsetzungstermins, oder: LG Bochum „repariert“ AG Herne-Wanne

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Und als zweite Entscheidung dann der LG Bochum, Beschl. v. 20.12.2024 – 9 Qs 35/24 – viel „frischer“ geht es kaum. Bei der Entscheidung handelt es sich um die Beschwerdeentscheidung zum AG Herne-Wanne, Beschl. v. 23.04.2024 – 44 OWi-152 Js 120/24-12/24, über den ich hier ja auch berichtet habe (vgl. Hilfe beim Vermeiden eines Fortsetzungstermins, oder: Fortsetzungstermin ist nicht „die Hauptverhandlung“).

Folgender Sachverhalt: Das AG Herne-Wanne hatte in seinem Beschluss eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5151 VV RVG festgesetzt, obwohl „nur“ ein Fortsetzungstermin entfallen war, was der h.M. zu der Frage widerspricht. Ich hatte in meinem Posting dazu dann ja Stellung genommen und angedeutet, dass der Bezirksrevisor das nicht hinnehmen wird. Und genau das ist eingetreten. Der Bezirksrevisor hat Beschwerde eingelegt. Und er hat beim LG Bochum Recht bekommen. Das hat den AG Herne-Wanne-Beschluss aufgehoben:

„Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Das Amtsgericht Herne-Wanne hat rechtsfehlerhaft bei der Festsetzung der notwendigen Auslagen des Betroffenen eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG zuzüglich Mehrwertsteuer in Ansatz gebracht. Eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG ist im hiesigen Verfahren jedoch nicht entstanden.

Eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entsteht lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt oder die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Dies ist im hiesigen Verfahren nicht der Fall gewesen.

Vorliegend ist es zwar durch anwaltliche Mitwirkung zu einer Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung gekommen, aufgrund derer es einer Anberaumung weiterer Hauptverhandlungstermine nicht mehr bedurft hat. Die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entsteht jedoch nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich die Kammer nach eigener kritischer Prüfung anschließt, dann nicht, wenn die Einstellung – wie vorliegend – in der Hauptverhandlung erfolgt, selbst wenn dadurch weitere Hauptverhandlungstage entbehrlich werden (vgl. Burhoff/ Volpert, RVG, 6. Aufl. 2021, Nr. 5115 VV Rn. 21 (letzter Absatz) und Nr. 4141 VV Rn. 45 Nr. 14; HK-RVG/Krumm, 8. Aufl. 2021, RVG W 5115 Rn. 7 m. w. N.; BeckOK RVG/Knaudt, 64. Ed. 1.6.2024, RVG VV 5115 Rn. 11.1 m. w. N.; Ahlmann/ Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/Kapischke, 11. Aufl. 2024, RVG VV 5115 Rn. 3 m. w. N.; LG Siegen, Beschluss vom 03.07.2020, 10 Qs 61/20, BeckRS 2020,37917; vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.).

Eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation ist auch entgegen der Rechtsauffassung des Verteidigers weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des Gebührentatbestandes in Einklang zu bringen.

Nach dem Wortlaut des Gebührentatbestandes entsteht die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Im Hinblick auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung kann die Frage der Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung dabei nur einheitlich beantwortet werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes erfasst bereits der Wortlaut lediglich Sachverhaltskonstellationen, in denen die Hauptverhandlung in ihrer Gänze entfällt und nicht einzelne Hauptverhandlungstage einer als Einheit zu betrachtenden Hauptverhandlung durch eine Einstellung entbehrlich werden.

Gleiches gilt unter Zugrundelegung der Gesetzeshistorie und des Sinnes und Zweckes des Gebührentatbestandes. Die Gesetzesmaterialien führen zur ratio legis des Gebührentatbestandes aus, dass die Zusatzgebühr den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen werde und somit zu weniger Hauptverhandlungen führen werde (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1971, dort S. 227). Ziel der Regelung ist damit die Verringerung der Arbeitsbelastung der Gerichte; dieses Ziel soll durch eine adäquate Vergütung des Verteidigers bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung erreicht werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.). Auch dieser Normzweck spricht dafür, dass eine Einstellung, die innerhalb der Hauptverhandlung erfolgt, eine Befriedungsgebühr nicht mehr auszulösen vermag (a. a. O.).“

Die Aufhebung der – für den Verteidiger positiven – Entscheidung des AG Herne-Wanne überrascht mich nicht. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur sieht die Frage des Entstehens der zusätzlichen Verfahrensgebühren Nr. 4141, 5115 VV RVG unter Hinweis auf den Wortlaut und die „Einheitlichkeit der Hauptverhandlung“ anders, als das AG es gesehen hatte. Deshalb hatte ich von Anfang an Zweifel am Bestand der Entscheidung, die sich nun bestätigt haben. Die Argumentation des Verteidigers, dass auch die Mitwirkung an einer Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung, die zum Entfallen von Fortsetzungsterminen führe, der Entlastung der Justiz diene, ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Aber der Wortlaut der Vorschriften und die auch vom LG herangezogene „Einheitlichkeit der Hauptverhandlung“ lassen sich damit nicht überwinden. Letztlich ist die vom AG Herne-Wanne – gegen die h.M. – entschiedene Frage eine Frage, die sich nicht durch Auslegung und oder ggf. eine entsprechende Anwendung der Regelungen lösen lässt, sondern durch den Gesetzgeber gelöst werden muss. Aber: Welche gebührenrechtlichen Fragen löst der schon. Der bekommt ja – Stand heute – noch noch nicht einmal eine längst überfällige lineare Erhöhung der Gebühren auf die Reihe.