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StGB III: Einziehung des Fahrrades als Tatmittel?, oder: Nicht, wenn nur gelegentliche Benutzung bei der Tat

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Und dann noch eine Entscheidung zu den Nebenfolgen nach dem StGB, nämlich zur Einziehung (§ 74 StGB) .

Folgender Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft  hat die Beschlagnahme eines „schwarzen E-Bike der Marke Cube“ zur Sicherung der Einziehung beantragt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeschuldigten mit ihrer Anklageschrift  vor, in der Zeit von April 2025 bis September 2025 Straftaten nach §§ 238 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, 4 Nr. 1 GewSchG begangen zu haben. Hierbei soll der Angeschuldigte auch mit einem Fahrrad (schwarzes E-Bike der Marke Cube) unterwegs gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass eine Einziehung des Fahrrads nach § 74 StGB oder § 74b StGB in Betracht komme und deshalb eine Beschlagnahme nach § 111b StPO notwendig sei.

Das AG Bad Sobernheim hat mit dem AG Bad Sobernheim, Beschl. v.17.10.2025 – 41 Ds 1024 Js 11360/25 – die Beschlagnahme abgelehnt:

„Die Voraussetzungen der Beschlagnahme zur Sicherung der Vollstreckung nach § 111b Abs. 1 StPO sind nicht gegeben.

Nach § 111b Abs. 1 S. 1 StPO kann ein Gegenstand zur Sicherung der Vollstreckung beschlagnahmt werden, wenn die Annahme begründet ist, dass die Voraussetzungen der Einziehung vorliegen. Zudem müssen nach § 111b Abs. 1 S. 2 StPO dringende Gründe für diese Annahme vorliegen. Dringende Gründe liegen vor, wenn die endgültige Anordnung einer dieser Maßnahmen im Hauptverfahren in hohem Maße wahrscheinlich ist (vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2009, 10132). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Die bisherigen Ermittlungen rechtfertigen bislang nicht die Annahme, dass wegen des Anklagevorwurfs die Voraussetzungen für die Einziehung des Fahrrads im Hauptverfahren gegeben sind.

Eine Einziehung nach § 74 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Gegenstand zur Begehung oder Vorbereitung der Tat gebraucht worden oder bestimmt gewesen ist (Tatmittel).

Erforderlich ist, dass der Gebrauch des Gegenstands gezielt die Verwirklichung des deliktischen Vorhabens fördert bzw. nach der Planung des Täters fördern soll (BGH Beschl. v. 8.12.2004 – 2 StR 362/04, BeckRS 2004, 159725; OLG Koblenz Beschl. v. 24.3.2003 – 1 Ss 45/03, BeckRS 2003, 30312995).

Nach den bisherigen Ermittlungen ist davon auszugehen, dass dem genutzten Fahrrad einen über die Benutzung als Fortbewegungsmittel hinausgehenden Einsatz nicht zuzuordnen ist, sondern das Fahrrad bei Gelegenheit genutzt wurde.

Dass das Fahrrad konkret als Tatmittel – oder werkzeug eingesetzt wurde, ergibt sich bislang nicht. Dafür spricht auch, dass der Angeschuldigte bei Aufeinandertreffen mit der Zeugin teilweise auch zu Fuß unterwegs gewesen ist. Die nur gelegentliche Benutzung eines Fahrrads im Zusammenhang mit der Tat ist jedoch nicht ausreichend.

Zudem setzt eine Einziehung nach § 74 Abs. 1 StGB voraus, dass der Gegenstand im Eigentum des Angeklagten stehen. Dies erscheint zumindest im Hinblick auf die Einlassung des Angeklagten, dass das Fahrrad seinem Vater gehöre, zweifelhaft.

Darüber hinaus ist das nach § 111b StPO erforderliche Sicherungsbedürfnis vorliegend nicht gegeben. Voraussetzung hierfür ist, dass zu befürchten ist, dass später auf den Gegenstand nicht mehr zugegriffen werden kann (BGH, Beschluss vom 7. April 2020 – StB 8/20 -, juris). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Vollstreckung einer ggf. endgültigen Maßnahme derzeit gefährdet sein könnte, liegen nicht vor.

Auch eine Sicherungseinziehung nach § 111b i.V.m § 74b StPO kommt derzeit nicht in Betracht.

Da es sich bei einem Fahrrad nicht um einen Gegenstand handelt, der schon seiner Art und den Umständen nach die Allgemeinheit gefährdet (§ 74b Abs. 1 1. Alt. StGB) ist die Einziehung nur zulässig, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass das Fahrrad der Begehung rechtswidriger Taten dienen werde (§ 74b Abs. 1 2. Alt. StGB).

Hierbei müsste es nahe liegen, dass das Fahrrad künftig zur Begehung von rechtswidriger Straftaten eingesetzt wird. Dass das Fahrrad (auch in Zukunft) durch den Angeschuldigten gezielt genutzt wird, um rechtswidrige Straftaten zu begehen, ist nicht ersichtlich.“

Pflichti III: Keine „Umbeiordnung“ des „Pflichti“, oder: Schwierige Sachlage und Schwere der Tat

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Und in diesem dritten Posting habe ich dann noch drei Entscheidungen „aus der Instanz“. Von denen stelle ich aber nur die Leitsätze vor. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Das OLG Schleswig hat im OLG Schleswig, Beschl. v. 09.09.2025 – 1 Ws 133/25 – zu den Voraussetzungen einer „Umbeiordnung“ eines Pflichtverteidigers und zu den Folgen der Beauftragung eines Wahlverteidigers erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens Stellung genommen und meint:

1. Der Wechsel eines notwendigen Verteidigers – unbeschadet der Tatsache, ob dieser für die Staatskasse „kostenneutral“ wäre – steht nicht zur Disposition der beteiligten Rechtsanwälte und unterliegt deshalb auch nicht ihrer Absprache in Form eines einverständlichen Verteidigerwechsels.

2. Der beigeordnete Verteidiger hat einen staatlichen Auftrag, den er zu erfüllen hat, solange sich nicht in der Sache Gründe ergeben, die eine Aufhebung der Beiordnung erfordern.

3. Ist der erst nach Terminsbestimmung gewählte Verteidiger an den bestimmten Terminen verhindert, steht seiner Beiordnung ein wichtiger Grund im Sinne von § 142 Abs. 5 Satz 3 StPO entgegen.

4. Es liegt grundsätzlich in der Risikosphäre des Angeklagten, dass ein erst spät beauftragter Verteidiger das Mandat zeitlich nicht ausüben kann.

Als zweite Entscheidung dann den LG Hildesheim, Beschl. v. 02.10.2025 – 15 Qs 14/25 – zum Bestellungsgrund „schwierige Sachlage“ (§ 140 Abs. 2 StPO):

Eine schwierige Sachlage im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO ist dann anzunehmen, wenn – zum Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag auf Bestellung eines notwendigen Verteidigers entscheiden muss – ein Sachverständigengutachten bereits Verfahrensbestandteil ist oder ein solches angeordnet wird und zu erwarten ist, dass dieses Gutachten für den Ausgang des Verfahrens als Beweismittel eine entscheidende Rolle spielt (für ein gerichtlich beauftragtes Unfallrekonstruktionsgutachten eines Sachverständigen, dem mangels anderer unmittelbarer Beweismittel verfahrensentscheidende Bedeutung zukommt.

Und als dritte Entscheidung der LG Schweinfurt, Beschl. v. 07.10.2025 – 4 Qs 96/25 – zu Bestellung wegen Schwere der Tat (§ 140 Abs. 2 StPO), wenn die Eltern Beschuldigte einer fahrlässigen Tötung zum Nachteil eines leiblichen Kindes sind:

1. Im Einzelfall kann die Schwere des Tatvorwurfs bereits für sich, also unabhängig von der zu erwartenden Rechtsfolge, die notwendige Verteidigung begründen. Davon ist auszugehen, wenn dem Beschuldigten der Vorwurf der fahrlässigen Tötung zum Nachteil seiner beiden Kinder zur Last gelegt wird.

2. Für eine Pflichtverteidigerbestellung ausreichende Zweifel an der Verteidigungsfähigkeit des Beschuldigten liegen vor, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschuldigte aufgrund der mit dem ihm zur Last gelegten Tod von zwei Kindern verbundenen, emotionalen Ausnahmesituation nicht in der Lage ist, sich neben der Bewältigung der zumindest moralischen Verantwortung für den Tod seiner Kinder und den damit zweifellos verbundenen Verlust- und Schuldgefühlen auch mit dem strafrechtlichen Tatvorwurf umfassend und sachgerecht auseinanderzusetzen.

StPO III: Zustellung an Zustellungbevollmächtigten, oder: Fehlen von festem Wohnsicht oder Aufenthalt

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Und im dritten Tagesposting dann noch etwas zur Wirksamkeit einer Zustellung, und zwar die Frage nach der wirksamen Zustellung einen tZustellungsbevollmächtigten (§ 132 2 StPO). dazu führt das LG Hof im LG Hof, Beschl. v. 08.10.2025 – 3 Qs 82/25 aus:

„2. Eine wirksame Zustellung des Strafbefehls vom 01.02.2023 ist bislang nicht erfolgt.

a) Die Zustellung vom 03.09.2024 gegenüber dem Zustellungsbevollmächtigten pp. ist unwirksam. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO lagen nicht vor, was die Unwirksamkeit der vom Beschwerdeführer erteilten Zustellungsvollmacht vom 14.08.2024 nach sich zieht.

aa) Der Beschluss vom 24.04.2024 ist zu Unrecht ergangen.

Wesentliche Voraussetzung einer Anordnung nach § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO ist, dass der Beschuldigte im Geltungsbereich der Strafprozessordnung keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt hat. Der Inhalt des Begriffs Wohnsitz richtet sich dabei nach den §§ 7 ff. BGB. Ein Wohnsitz ist dadurch gekennzeichnet, dass sich eine Person an einem Ort ständig niederlässt. Er wird nach § 7 Abs. 3 BGB dadurch aufgehoben, dass die Niederlassung mit dem entsprechenden Willen aufgegeben wird. Der Begriff des (gewöhnlichen) Aufenthalts wird in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB 1 und § 9 Satz 1 AO übereinstimmend definiert als der Ort, an dem sich eine Person unter solchen Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Er beschreibt daher das rein tatsächliche Verhältnis einer Person zu ei-nem bestimmten Ort oder einer Region (vgl. MüKo-StPO/Gerhold, 2. Aufl. 2023, StPO § 132 Rn. 5, m.w.N.).

Das Fehlen eines festen Wohnsitzes oder Aufenthalts ist nach dem Ermittlungsstand positiv festzustellen. Es genügt hingegen nicht, wenn lediglich der Aufenthalt des Beschuldigten unbekannt ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.01.2020 – 1 Ws 255/19, BeckRS 2020, 9982, Rn. 11; LG Hamburg, Beschl. v. 25.04.2025 – 615 Qs 37/25, BeckRS 2025, 13183, Rn. 27; LG Dresden, Beschl. v. 23.01.2015 – 3 Qs 7/15, BeckRS 2015, 132781, Rn. 11; LG Magdeburg, Beschl. v. 30.01.2007 – 26 Qs 14/07, BeckRS 2007, 3178; Gercke/Temming/Zöller/Ahlbrecht, StPO, 7. Aufl. 2023, § 132 StPO Rn. 4; MüKoStPO/Gerhold, 2. Aufl. 2023, StPO § 132 Rn. 5; BeckOK-StPO/Niesler, 56. Ed. 1.7.2025, StPO § 132 Rn. 2).

Nach diesen Maßstäben hätte der Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 24.04.2024 nicht ergehen dürfen. Insoweit stößt es bereits auf durchgreifende Bedenken, dass in den Gründen des Beschlusses maßgeblich darauf abgestellt wird, dass der Beschwerdeführer unbekannten Aufenthalts sei (BI. 118 d.A.). Wie oben ausgeführt, kann dies den Erlass einer Anordnung gemäß § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO gerade nicht rechtfertigen. Überdies gibt auch die Aktenlage zum damaligen Zeitpunkt keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme her, der Beschwerdeführer sei dauerhaft im Ausland ansässig oder es handle sich bei ihm um eine „durch das Staatsgebiet vagabundierende Person“ (so die Formulierung bei MüKo-StPO/Gerhold, 2. Aufl. 2023, StPO § 132 Rn. 5). Vielmehr war zum damaligen Zeitpunkt davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Zimmer in Hof, hatte (vgl. insbesondere die Mitteilung der PI Weilheim vom 24.03.2024, BI. 107 d.A.).

Auf die melderechtlichen Verhältnisse kann es dabei nicht ankommen, da – wie ausgeführt – die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich sind. Dass der Strafbefehl postalisch nicht an der Anschrift zugestellt werden konnte (BI. 113 d.A.) und der Beschwerdeführer dort durch die Polizei nicht ermittelt werden konnte (BI. 115 d.A.), mag allenfalls darauf hindeuten, dass der Beschwerdeführer sich verborgen hielt. Dann wäre indes eine (erneute) Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung (vgl. MüKo-StPO/Gerhold, 2. Aufl. 2023, StPO § 132 Rn. 5) oder gegebenenfalls der Erlass eines Haftbefehls (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO) angezeigt gewesen, nicht jedoch eine Anordnung nach § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO.

Ohne dass es noch darauf ankäme, zeigt sich das Vorhandensein eines gewöhnlichen Aufenthalts des Beschwerdeführers an der vorgenannten Adresse auch darin, dass er beim Vollzug der Anordnung am 14.08.2024 an ebendieser Anschrift angetroffen wurde und ausweislich der Mitteilung der Polizei zum damaligen Zeitpunkt dort auch noch lebte (BI. 130 d.A.).

bb) Die Fehlerhaftigkeit der Anordnung führt zur Unwirksamkeit der Zustellungsvollmacht.

Dabei kann offenbleiben, ob jeglicher Fehler bei der Anordnung die Unwirksamkeit der Vollmacht herbeiführt. Jedenfalls bei besonders qualifizierten Fehlern ist dies aufgrund der für den Beschuldigten unter Umständen weitreichenden Folgen einer erteilten Zustellungsvollmacht aus rechts-staatlichen Gründen anzunehmen (vgl. zur Umgehung des Richtervorbehalts: LG Hamburg, Beschl. v. 25.04.2025 – 615 Qs 37/25, BeckRS 2025, 13183, Rn. 29; LG Dresden, Beschl. v. 23.01.2013 – 5 Qs 149/13, BeckRS 2013, 204710; KK-StPO/Glaser, 9. Aufl. 2023, StPO § 132 Rn. 7). Vorliegend handelt es sich um einen derart qualifizierten Fehler, da das Amtsgericht ausweislich der Begründung des Beschlusses vom 24.04.2024 von einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen ist, indem es alleine auf den – für die Anordnung nicht maßgeblichen – unbekannten Aufenthalt des Beschwerdeführers abgestellt hat, ohne die eigentlichen gesetzlichen Voraussetzungen zu prüfen.

Anhaltspunkte dafür, dass eine freiwillige rechtsgeschäftliche Zustellungsbevollmächtigung gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 171 ZPO beabsichtigt gewesen sein könnte, bestehen nicht. Insoweit dürfte zumindest zu fordern sein, dass der Beschuldigte zuvor auf die Freiwilligkeit der Vollmachtserteilung hingewiesen wurde (vgl. LG Freiburg, Beschl. v. 06.09.2021 – 16 Qs 27/21, BeckRS 2021, 29664, Rn. 8; vgl. ferner Mayer, NStZ 2016, 76, 82, m.w.N.). Hierzu lässt sich der Akte nichts entnehmen.

b) Eine Zustellung des Strafbefehls vom 01.02.2023 kann auch nicht darin erblickt werden, dass dem Verteidiger des Beschwerdeführers mit Verfügung vom 02.09.2024 Akteneinsicht gewährt wurde. Zwar können Zustellungsmängel gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO geheilt werden. Jedoch reicht die Kenntniserlangung hinsichtlich des zuzustellenden Schriftstücks durch Akteneinsicht als Zugang i.S.v. § 189 ZPO nicht aus (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.06.2004 – 2Z BR 253/03, BeckRS 2004, 7235, m.w.N.). Hinzukommt, dass der Verteidiger mangels nachgewiesener Bevollmächtigung (vgl. § 145a Abs. 1 Satz 2 StPO) nicht gemäß § 145a Abs. 1 Satz 1 StPO als ermächtigt gelten konnte, Zustellungen für den Beschwerdeführer in Empfang zu nehmen.

c) Eine Zustellung ist schließlich auch nicht dadurch erfolgt, dass dem Beschwerdeführer am 31.05.2025 der Strafbefehl durch die Polizei persönlich übergeben wurde. Hier fehlte es jedenfalls am Zustellungswillen. Die Heilung eines Zustellungsmangels gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO setzt nämlich voraus, dass eine förmliche Zustellung von dem für das Verfahren zuständigen Organ – im Fall des § 36 Abs. 1 StPO also vom Vorsitzenden – beabsichtigt war (vgl. BGH, Beschl. v. 06.03.2014 – 4 StR 553/13, BeckRS 2014, 8141, Rn. 7, m.w.N.). Dafür reicht jedoch eine formlose Übergabe durch die Polizei auf Veranlassung der für die Zustellung jenes Strafbefehls nicht zuständigen Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft (BI. 155 f. d.A.) nicht aus, weil das so übersandte, lediglich inhaltsgleiche Schriftstück nicht mit Zustellungswillen des Gerichtes zugeht (vgl. KG, Beschl. v. 12.10.2010 – 2 Ws 521/10, BeckRS 2010, 29601).“

Mal wieder Rahmengebühren im Bußgeldverfahren, oder: Einen Schritt vor, einen Schritt zurück

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Und dann im zweiten Postung mal wieder eine Entscheidung zur Bemessung der Rahmengebühren im (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren. Leider hat das LG Hamburg im LG Hamburg, Beschl. v. 27.08.2025 – 615 Qs 83/25 – dazu falsch entschieden.

Es hat sich um ein ganz „normales“Bußgeldverfahren gehandelt. Es ging um den Vorwurf einer außerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung und eine Geldbuße in Höhe von 150,00 EUR. Der Verteidiger hat sich bei der Verwaltungsbehörde legitimiert und Akteneinsicht beantragt. Gegen den Bußgeldbescheid hat er dann Einspruch eingelegt und an die beantragte Akteneinsicht erinnert. Er hat dann angeregt der Verteidiger, das Verfahren einzustellen, da der Fahrer auf den inzwischen beigezogenen Hochglanzbildern nicht erkennbar sei; zudem sei der Messrahmen verzogen, so dass die Geschwindigkeitsermittlung ggf. gutachterlich dahingehend zu überprüfen sei, ob sie entsprechend der Vorgaben der Bauartzulassung der physisch-technischen Bundesanstalt erfolgt sei.

Die Bußgeldbehörde hat die Sache an die Staatsanwaltschaft abgegeben, welche die Akte gem. § 69 OWiG beim zuständigen AG vorgelegt hat. Das AG hat das Verfahren nach Einholung der Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, weil die Betroffene auf den Messbildern nicht zu erkennen sei, und hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse auferlegt.

Der Verteidiger hat dann unter Vorlage einer Abtretungserklärung der Betroffenen Kostenfestsetzung in Höhe von 806,82 EUR beantragt. Der Vertreter der Staatskasse hat die Bemessung der Gebühren in der Rahmenmitte moniert. Es handele sich um eine alltägliche Verkehrsordnungswidrigkeit ohne nennenswerte juristische Probleme, die vom Sachverhalt einfach zu erfassen gewesen sei. Der Aktenumfang sei im Zeitpunkt der Akteneinsicht mit 38 Seiten gering gewesen und die erste Einarbeitung daher denkbar einfach gelagert und von erheblich unterdurchschnittlicher Anforderung gewesen.

Das AG hat die aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen der Betroffenen abweichend vom Antrag des Verteidigers – bis auf die Nr. 5115 VV RVG – jeweils unter der Mittelgebühr festgesetzt. Dagegen das Rechtsmittel des Verteidigers. (Natürlich) Ohne Erfolg:

„Die gemäß §§ 464b S. 3 u. S. 4, 304 Abs. 3 StPO i.V.m. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.

1. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt in Verfahren, für welche die VV-RVG eine Rahmengebühr vorsieht, die Höhe der Gebühr innerhalb des vorgegebenen Rahmens unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Sind, wie im vorliegenden Fall, aufgrund der Einstellung des Verfahrens die notwendigen Auslagen des Betroffenen von der Staatskasse zu erstatten, ist eine gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung der Gebührenhöhe nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Unbillig ist der Gebührenansatz nach herrschender, von der Kammer geteilter Ansicht dann, wenn die beantragte Gebühr um mehr als 20 % über der angemessenen Höhe liegt (BGH, NJW-RR 2007, 420, 421).

a) Dies ist vorliegend der Fall. Zu Recht hat das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf die von dem Verteidiger geltend gemachten Gebühren Nr. 5100, Nr. 5103 und Nr. 5109 als unbillig angesehen. Die Kostenfestsetzung dieser Gebühren durch das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf ist unter Berücksichtigung der Bewertungsmerkmale des § 14 RVG nicht zu beanstanden. Die in § 14 RVG genannten Kriterien rechtfertigen nicht die Festsetzung der jeweils beantragten Mittelgebühr.

Nach dem Vergütungsverzeichnis des RVG a.F. bemisst sich in Bußgeldverfahren für Wahlverteidiger die Gebühr Nr. 5100 aus einem Rahmen von 33,- € bis 187,- € (Mittelgebühr 110,- €), die Gebühr Nr. 5103 aus einem Rahmen von 33,- € bis 319,- € (Mittelgebühr 176,- €) und die die Gebühr Nr. 5109 aus einem Rahmen von 33,- € bis 319,- € (Mittelgebühr 176,- €). Ausgangspunkt für die Gebührenbemessung in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ist grundsätzlich zunächst einmal die Mittelgebühr (LG Saarbrücken, Beschluss vom 09.07.14, Az. 2 Qs 30/14; LG Düsseldorf, Beschluss vom 04.08.06, Az. I Qs 83/06; LG Kiel, zfs 2007, 106; LG Stralsund, zfs 2006, 407). Bei der einzelnen Gebührenbestimmung innerhalb der Gebührenrahmen ist dann jedoch auf die Gesamtumstände und die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen (vgl. LG Saarbrücken a.a.O.).

Danach ist vorliegend von einer unterdurchschnittlich schwierigen Angelegenheit sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht auszugehen. Bei dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung und der Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von 150,00 € ohne Festsetzung eines Fahrverbots handelt es sich um eine ganz alltägliche und einfach gelagerte Verkehrssache. Die von dem Verteidiger geltend gemachte Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG a.F. entsteht mit der erstmaligen Einarbeitung in den Sachverhalt. Rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten sind nicht ersichtlich. Die erstmalige Einarbeitung war angesichts des überschaubaren Akteninhalts von 38 Seiten zum Zeitpunkt der Akteneinsicht und angesichts des einfach gelagerten Vorwurfs von unterdurchschnittlicher Anforderung, sodass sie keine Mittelgebühr rechtfertigt. Die Festsetzung von 85,00 €, was noch deutlich über der Mindestgebühr liegt, trägt diesem Aufwand zutreffend Rechnung.

Die Kammer hat dabei in besonderem Maße berücksichtigt, dass die bereits bei der ersten Akteneinsicht in der Akte befindlichen Fotos von derart schlechter Qualität waren, dass ganz offenkundig eine Identifizierung allein anhand dieser Fotos nicht möglich gewesen wäre. Das Aufzeigen dieses Umstands als „durchschnittliche Schwierigkeit“ für eine anwaltliche Tätigkeit zu werten, ist gänzlich fernliegend.

Entsprechend begegnet auch die durch das Amtsgericht vorgenommene Festsetzung der Verfahrensgebühren zu Nr. 5103 VV RVG a.F. und Nr. 5109 VV RVG a.F. keinen Bedenken, sondern trägt dem geringen Aufwand zutreffend Rechnung. Die Kammer hat dabei hinsichtlich der Gebühr zur Nr. 5109 VV RVG a.F. in besonderem Maße berücksichtigt, dass das Verfahren nahezu unmittelbar nach Eingang beim Amtsgericht aufgrund der schlechten Bildqualität eingestellt worden ist, ohne dass in diesem gerichtlichen Verfahren eine anwaltliche Tätigkeit ersichtlich geworden ist.“

Dazu ist anzumerken: Der vom LG gewählte Ausgangspunkt: Mittelgebühr, ist zutreffend. Das entspricht der m.E. überwiegenden – zutreffenden – Auffassung in der Rechtsprechung der LG und AG (vgl. zuletzt LG Köln, Beschl. v. 21.03.2025 – 110 Qs 51/24). Zutreffend ist es auch, wenn das LG darauf hinweist, dass für die konkrete Gebührenbestimmung innerhalb der Gebührenrahmen jedoch auf die Gesamtumstände und die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen ist. Das ist richtig (s. dazu auch LG Köln, a.a.O.), aber das LG argumentiert dann m.E. widersprüchlich, wenn es dann dennoch von einer unterdurchschnittlich schwierigen Angelegenheit sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht ausgeht und das mit dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung und der Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von (nur) 150,00 EUR ohne Festsetzung eines Fahrverbots begründet, weshalb nur eine „alltägliche und einfach gelagerte Verkehrssache“ vorliegen soll. Richtig, aber: Das ist doch gerade das, was die straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldsachen „auszeichnet“: Es handelt sich um Feld-Wald-Wiesen-Fälle ohne Besonderheiten, die eine Erhöhung oder eine Ermäßigung der Mittelgebühr rechtfertigen würden, so dass sie dem Durchschnitt oder dem „Normalfall“ entsprechen, weshalb eben die Mittelgebühr angemessen ist (so auch zutreffend LG Köln, a.a.O.). Das LG macht mit seiner Argumentation nach einem richtigen Schritt vorwärts, sogleich wieder einen zurück. Da wäre es ehrlicher gewesen, sofort zu sagen, dass in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren die Mittelgebühr nicht der Ausgangspunkt für die Gebührenbemessung ist.

Im Übrigen ist anzumerken. Es wäre schön, wenn auch Beschwerdekammern gelegentlich die Fundstellennachweise aktualisieren würden. Nachweise aus den Jahren 2006 oder 2007 sind bei der Flut der Rechtsprechung, die es seitdem zu der Problematik: Mittelgebühr in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren, gegeben hat, nicht unbedingt erste Adresse.

Rechtsanwaltsvertrag als Fernabsatzgeschäft, oder: Welche Vergütung gibt es nach einem Widerruf?

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Immer mehr Mandatsverträge werden als Fernabsatzgeschäft abgeschlossen. Das ist ggf., wenn der Mandant nicht über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, im Fall eines Widerrufs für den Rechtsanwalt im Hinblick auf seine Vergütung nicht ungefährlich. Dazu gibt es jetzt eine Entscheidung, und zwar das LG Flensburg, Urt. v. 09.10.2025 – 4 O 80/25.

In dem Verfahren hat die Klägerin von der beklagten Mandantin Rechtsanwaltsvergütung aus einer Vergütungsvereinbarung verlangt. Die Beklagte hatte die Klägerin in einem finanzgerichtlichen Verfahren beauftragt, in dem es um die Mithaftung der Beklagten für Säumniszuschläge, die die Finanzverwaltung geltend machte, ging. De Kommunikation zwischen den Parteien erfolgte ausschließlich auf elektronischem Wege. Für die erkrankte Beklagte handelte dabei ihr damaliger Ehemann, für die Klägerin einer ihrer Partner. Die Parteien schlossen am 24.10.2024 eine Mandats- und Vergütungsvereinbarung.

Die Klägerin gab für die Beklagte gegenüber dem Finanzamt eine schriftliche Stellungnahme ab und erteilte ihr am gleichen Tage eine Honorarrechnung in Höhe der Klageforderung. Als der Prozessbevollmächtigte der Beklagten für diese die Abrechnung telefonisch gegenüber der Klägerin als überhöht beanstandete, erklärte die Klägerin mit Email vom 09.12.2024 zunächst dem Finanzamt und danach auch der Beklagten gegenüber, dass sie das Mandat niederlege. Die Beklagte beauftragte anschließend ihren Prozessbevollmächtigten mit der weiteren Vertretung gegenüber dem Finanzamt und zahlte dafür an den die gesetzlichen Gebühren in Höhe von 1.501,19 EUR. Die Beklagte erklärte mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 11.12.2024 und erneut mit der Klageerwiderung die Anfechtung, die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund und den Widerruf der Mandats- und Vergütungsvereinbarung.

Die Klägerin hält die Mandats- und Vergütungsvereinbarung für wirksam und meint, die Beklagte habe sie als Unternehmerin beauftragt. Sie hat Zahlung von 21.140,87 EUR  verlangt. Hilfsweise hat sie für den Fall der Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie die Gebühren für die Beauftragung und Vertretung gegenüber dem Finanzamt nach dem RVG in der zum Zeitpunkt der Beauftragung gültigen Fassung zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und widerklagend festzustellen, dass die Klägerin aus der von vorgelegten Vergütungsvereinbarung keine höhere als die gesetzliche Vergütung fordern kann

Die Klage hatte keinen Erfolg:

„II.

Die Hauptanträge der Klägerin sind unbegründet.

Die Klägerin kann keine Stundenvergütung gemäß der Mandats- und Vergütungsvereinbarung vom 24.10.2024 (Anlage K 1) verlangen, weil die Beklagte diese Vergütungsvereinbarung jedenfalls wirksam widerrufen hat. Auf die Anfechtung der Beklagten und die weiteren von ihr geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe kommt es deshalb nicht mehr an.

1. Die Beklagte hat mit dem Schreiben vom 11.12.2024 (Anlage K 4) und in der Klageerwiderung wirksam den Widerruf der Vergütungsvereinbarung erklärt.

a) Ihr Widerrufsrecht ergibt sich aus §§ 312g Abs. 1, 355 Abs. 1 S. 1 BGB. Bei der Vereinbarung handelt es sich um ein Fernabsatzgeschäft gemäß § 312c BGB, da die Kommunikation zwischen den Parteien ausschließlich auf elektronischem Wege erfolgte, nicht im Rahmen eines persönlichen Zusammentreffens.

b) Es handelt sich auch um ein Geschäft zwischen der Klägerin als Unternehmerin und der Beklagten als Verbraucherin. Zwar erfolgte die Mandatierung der Klägerin im Zusammenhang mit der früheren Tätigkeit der Beklagten als Geschäftsführerin zweier GmbHs, gerade in dieser Eigenschaft wurde sie ja von der Finanzverwaltung auf Mithaftung für Säumniszuschläge, die gegenüber den GmbHs festgesetzt worden waren, in Anspruch genommen. Entgegen der Auffassung der Klägerin begründet die Tätigkeit als Geschäftsführer einer GmbH aber generell keine Unternehmereigenschaft i. S. d. § 14 BGB.

Vielmehr ist ein GmbH-Geschäftsführer als solcher Verbraucher, auch wenn er eine Schuld seiner GmbH mitübernimmt oder sich dafür verbürgt (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 84. Aufl., § 13 Rn 3). Die Beklagte hat die einschlägige BGH-Rechtsprechung zutreffend im Schriftsatz vom 25.08.2025 zitiert, das Gericht nimmt darauf Bezug.

c) Der Widerruf ist fristgerecht erfolgt, weil die Widerrufsfrist von 14 Tagen ab Vertragsabschluss nach § 355 Abs. 2 BGB nicht in Gang gesetzt worden ist. Dazu hätte es gemäß § 356 Abs. 3 S. 1 BGB einer Belehrung der Beklagten über ihr Widerrufsrecht durch die Klägerin bedurft, die nicht erfolgt ist. Die davon unabhängige Frist von 12 Monaten und 14 Tagen nach § 356 Abs. 3 S. 2 BGB ist selbst jetzt noch nicht abgelaufen.

2. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, ob die abgerechneten Stunden tatsächlich angefallen sind, und ob die der Rechnung (Anlage K 3) beigefügte Leistungsübersicht ausreicht, um die Anforderungen nach § 10 RVG zu erfüllen.

Ebenso wenig kommt es auf die hilfsweise geltend gemachte Aufrechnung der Beklagten gegen den vertraglichen Vergütungsanspruch mit einem Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung vorvertraglicher Hinweis- und Beratungspflichten (Seite 11 der Klageerwiderung vom 03.06.2025 unter V. 2.) an.

3. Da der Klägerin schon keine Hauptforderung gemäß dem Klageantrag zu 1. zusteht, kann sie auch keine Zinsen darauf und keinen Ersatz der für die vorgerichtliche Geltendmachung dieser Forderung angefallenen Rechtsanwaltskosten gemäß dem Klageantrag zu 2. verlangen.

III.

Auch der Hilfsantrag der Klägerin, über den wegen der Abweisung der Hauptanträge nunmehr zu entscheiden ist, hat keinen Erfolg.

1. Er ist allerdings als Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Die Klägerin kann wegen eines Anspruchs auf gesetzliche Vergütung noch keinen Leistungsantrag erheben, weil sie der Beklagten darüber noch keine Rechnung nach § 10 RVG erteilt hat und ein solcher Vergütungsanspruch daher noch nicht fällig ist.

2. Ebenso wenig wie ein Vergütungsanspruch nach Stundensätzen kann sich ein Vergütungsanspruch in Höhe der gesetzlichen Gebühren aus der Vereinbarung vom 24.10.2024 (Anlage K 1) ergeben, weil die Beklagte ihren Widerruf vom 11.12.2024 (Anlage K 4) und in der Klageerwiderung nicht nur auf die darin enthaltene Vergütungsvereinbarung gerichtet hat, sondern auch auf die Mandatsvereinbarung. Das ergibt sich eindeutig daraus, dass sie in dem Schreiben nicht nur Einwendungen gegen die Höhe der Vergütung angeführt, sondern auch auf die Mandatsniederlegung durch die Klägerin und die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses abgestellt und die außerordentliche Kündigung erklärt hat. Sie hat damit zum Ausdruck gebracht, sich mit allen verfügbaren rechtlichen Mitteln, also auch mit dem Widerruf, insgesamt von dem Mandatsverhältnis mit der Klägerin lösen zu wollen.

3. Die Klägerin kann die gesetzlichen Gebühren auch nicht nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB aus dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten Bereicherung verlangen.

a) Zum einen fehlt es bereits an einer Bereicherung der Beklagten. Zwar hat die Klägerin für sie die Stellungnahme gegenüber dem Finanzamt I… vom 04.12.2024 erstellt und abgegeben, dadurch allein hat die Klägerin aber noch keinen Vermögensvorteil erlangt. Sie musste das Verfahren gegenüber dem Finanzamt ja in der Folgezeit durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten fortsetzen, nachdem die Klägerin das Mandat niedergelegt hatte, und an diesen dafür die gesetzlichen Gebühren zahlen. Hätte die Klägerin nicht schon für sie die Stellungnahme abgegeben, hätte das ihr Prozessbevollmächtigter tun müssen, und zwar im Rahmen der ohnehin von der Klägerin zu zahlenden gesetzlichen Gebühren. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die Beklagte durch die Vorarbeit der Klägerin im Ergebnis Kosten erspart hätte.

b) Im Übrigen ist ein Bereicherungsanspruch auch deswegen ausgeschlossen, weil § 357a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB eine Verpflichtung des Verbrauchers zum Wertersatz für vor dem Widerruf eines Fernabsatzvertrages erbrachte Dienstleistungen davon abhängig macht, dass der Verbraucher vorher über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist und gleichwohl verlangt hat, dass mit der Ausführung der Leistung schon vor Ablauf der Widerrufsfrist begonnen werden soll. Die Beklagte ist im vorliegenden Fall hingegen nicht über ihr Widerrufsrecht belehrt worden.

Die Regelung des § 357a Abs. 2 ZPO ist abschließend (Grüneberg/Grüneberg, a.a.O., § 357a Rn 7). Liegen ihre Voraussetzungen nicht vor, kann ein Wertersatz auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten Bereicherung verlangt werden. Das folgt aus dem Zweck der Richtlinie 2011/83 EU, insbesondere von deren Art. 14 Abs. 4, dessen Umsetzung § 357a Abs. 2 BGB dient. Danach soll ein Verbraucher, der nicht über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, im Falle der Ausübung seines Widerrufsrechts vor allen Kosten geschützt sein, die nicht ausdrücklich in der Richtlinie vorgesehen sind. Es soll ein hohes Verbraucherschutzniveau sichergestellt werden, der Ausschluss des Wertersatzanspruchs bei unterlassener Belehrung hat durchaus auch einen Sanktionscharakter gegenüber den Unternehmern (EuGH, Urteil vom 17.05.2023, Az. C-97/22, bei juris Rn 29 ff.).

Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des BGH vom 12.09.2024 (Az. IX ZR 65/23) steht dem nicht entgegen. Sie befasst sich schon im Ausgangspunkt nicht mit der hier vorliegenden Konstellation, sondern mit dem Fall einer unwirksamen Vergütungsvereinbarung bei wirksamem Mandatsvertrag und mit der Frage, ob dann gemäß § 306 Abs. 2 BGB das gesetzliche RVG-Preisrecht an die Stelle der unwirksamen Zeithonorarvereinbarung tritt. Der BGH setzt sich dem gemäß auch nicht mit dem vorstehend angeführten EuGH-Urteil vom 17.05.2023 (Az. C-97/22) auseinander, sondern mit einem EuGH-Urteil vom 12.01.2023 (Az. C-395/21).

Allerdings verweist der BGH darauf, dass dem RVG-Preisrecht eine Ordnungsfunktion zukommt (bei juris Rn 60), dass es nicht disponibel ist, und dass es auch dann gilt, wenn gar kein Vertrag vorliegt, z. B. bei Geschäftsführung ohne Auftrag oder Bereicherung (bei juris Rn 62). Auch daraus folgt aber nicht, dass jede Anwaltstätigkeit nach RVG vergütet werden muss. So ist ein Vergütungsanspruch bei Unwirksamkeit des Mandatsvertrages wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 817 BGB ausgeschlossen (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG-Kommentar, 27. Aufl., § 1 Rn 90). Dem gemäß kann er auch ausgeschlossen sein, wenn das Gesetz sonst einen Bereicherungsanspruch nicht zulässt, wie das – wie oben ausgeführt – § 357a Abs. 2 BGB bei fehlender Belehrung bestimmt.

4. Auf die Hilfsaufrechnung der Beklagten mit einem Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Mandatsniederlegung durch die Klägerin (Seite 11 der Klageerwiderung vom 03.06.2025 unter V. 1.) kommt es nicht mehr an.“

Die Entscheidung setzt die EU-Verbraucher-Richtlinie 2011/83 konsequent um. Die danach nach einem Widerruf ohne vorherige Widerrufsbelehrung für den Unternehmer normierten Ansprüche sind – siehe § 357a BGB – mager und im Wesentlichen auf Wertersatz beschränkt. Das war es dann. Also Vorsicht!