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StPO II: Wenn die Beschuldigtenvernehmung „platzt“, oder: Endgerätedurchsicht vor Ort vor Beschlagnahme

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Und dann als zweite Entscheidung – ebenfalls aus Bayern – der LG München I, Beschl. v. 18.1.2024 – 19 Qs 24/24.

Ergangen ist der Beschluss in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Erpressung. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, bezugnehmend auf ein Schreiben in einer Zwangsvollstreckungssache, mit welchem er wegen eines nicht beglichenen Rundfunkbeitrags in Höhe von 376,06 EUR zur Abgabe einer Vermögensauskunft geladen wurde, in einem Schreiben vom 17.04.2023 gegenüber pp. ARD ZDF Deutschlandradio, erklärt zu haben, dass er die Ladung als Angebot sehe, welche er u.a. unter die Bedingung stelle, dass sie ihm binnen einer Frist von 21 Tagen „eine amtliche Legitimation“ in notarieller Form und die „Gründungsurkunde des Staates“ vorlegen. Sofern dies nicht geschehe, habe dies die „unwiderrufliche“ und „absolute Zustimmung“ zu einem „privaten kommerziellen Pfandrecht in Höhe von 700.000 EUR“ zu seinen Gunsten zur Folge. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 17.04.2023.

Die Staatsanwaltschaft hat auf der Grundlage dieses Schreibens die Polizei beauftragt, den Beschuldigten im Strafverfahren zu vernehmen. Die Polizei teilt dann mit, dass der Beschuldigte bereits am 01.07.2023 von seiner ursprünglichen Wohnadresse in Unterhaching nach 04519 Rackwitz verzogen sei, wo er auch einwohnermelderechtlich gemeldet sei. Daraufhin teilte die Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei mit, dass unter diesen Umständen keine weiteren Maßnahmen – wie beispielsweise die Einvernahme im Rahmen eines Ermittlungsersuchens an die für seinen Wohnsitz zuständige Kriminalpolizei – veranlasst seien.

Stattdessen beantragte die Staatsanwaltschaft München I einen Durchsuchungsbeschluss gegen den Beschwerdeführer an dessen Wohnsitz in Rackwitz. Der wird erlassen und vollzogen. Beschlagnahmt werden1 Dell PC Tower mit Kabel, 1 USB-Stick EMTEC, 1 Mobiltelefon Microsoft, 1 Mobiltelefon Nokia und 1 Klapp-Handy Nokia. Dagegen die Beschwerde des Beschuldigten,die Erfolg hatte:

„Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung und die Beschwerde gegen die Beschlagnahmebestätigung der konkret beschlagnahmten Gegenstände erweisen sich in der Sache als erfolgreich, da zwar ein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer bestand, jedoch aufgrund des Zeitablaufs von mehreren Monaten nur noch eine geringe Auffindevermutung bestand und sowohl die Durchsuchung als auch die Beschlagnahme mangels Verhältnismäßigkeit rechtswidrig waren.

a) Bei jeder Anordnung einer Durchsuchung gem. §§ 102, 105 Abs. 1 S. 1 StPO ist aufgrund der Erheblichkeit des Eingriffs der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Teilurteil vom 5. August 1966 – 1 BvR 586/62, 610/63, 512/64). Die Durchsuchung muss den Erfolg versprechen, geeignete Beweismittel zu erbringen. Auch muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen.

Ferner muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und
der Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02).

Mit diesen Voraussetzungen setzt sich der amtsgerichtliche Beschluss nicht weiter auseinander. Er enthält neben der Vermutung, die Durchsuchung werde zum Auffinden von Beweismitteln, insbesondere Speichermedien und EDV führen, keine weiteren Ausführungen. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe hätte sich dem Amtsgericht bei seiner Entscheidung jedoch aufdrängen müssen, dass bereits Zweifel an der Auffindevermutung und Erforderlichkeit der Maßnahme bestehen – welchen durch Aufnehmen einer Abwendungsbefugnis hätte begegnet werden können – sie aber jedenfalls unangemessen ist und somit im vorliegenden Fall das Schutzinteresse aus Art. 13 GG gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates überwiegt (vgl. LG Hamburg Beschl. v. 26.7.2022 – 631 Qs 17/22, BeckRS 2022, 35057).

Denn dafür, dass der Beschuldigte tatsächlich noch im Besitz einer digitalen Form des Schreibens vom 17.04.2023 stehen könnte, bestanden bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses am 07.02.2024 angesichts des Zeitablaufs von 10 Monaten zumindest Zweifel. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Durchsuchung tatsächlich erst am 29.05.2024 – mithin erst über ein Jahr nach der Verfassung des gegenständlichen Schreibens vollzogen wurde – erachtet die Kammer die Durchführung der Durchsuchung zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht mehr als erfolgsversprechend.

Zudem bestehen Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme. Denn auch die Staatsanwaltschaft München I hielt ursprünglich keine weiteren Ermittlungsmaßnahmen für erforderlich, um den Tatnachweis zu führen. Ausweislich des Akteninhalts sollte vor Abschluss des Verfahrens ursprünglich lediglich eine Beschuldigtenvernehmung durchgeführt werden, sodass die Akte zu diesem Zweck der Polizei zugeleitet wurde.

Erst als die Polizei nach weiteren 5 Monaten mitteilte, dass der Beschwerdeführer nicht mehr im Zuständigkeitsbereich wohnhaft sei und bislang nicht vernommen worden sei, beantragte die Staatsanwaltschaft München I einen Durchsuchungsbeschluss, obwohl seither keine weiteren Ermittlungsergebnisse dazugekommen waren, welche nunmehr weitere Maßnahmen zur Verfolgung der im Raum stehenden Straftat nachvollziehbar erscheinen lassen. Dass ein Termin zur Beschuldigtenvernehmung nicht zustande kam, für den der Beschwerdeführer offiziell auch nicht geladen wurde, kann jedenfalls nicht zulasten des Beschwerdeführers gehen und nicht den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses begründen.

b) Hinsichtlich der Beschlagnahmebestätigung ist anzuführen, dass die Beschlagnahme sämtlicher beim Beschwerdeführer vorgefundener EDV in Form von einem Dell PC Tower mit Kabel, einem USB-Stick EMTEC, seinem Mobiltelefon Microsoft, einem Mobiltelefon Nokia und einem Klapp-Handy Nokia (Bl. 86) außer Verhältnis zu dem Eingriff auf das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung steht.

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist von dem Grundrecht aus Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG verbürgt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 [43] = NJW 1984, 419). Das Grundrecht dient dabei auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Aus-übung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Die Freiheit des Einzelnen, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden, kann dadurch wesentlich gehemmt werden. Auch das Gemeinwohl wird hierdurch beeinträchtigt, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist (vgl. BVerfGE 65, 1 [43] = NJW 1984, 419).

Demnach sind bei dem Vollzug der Beschlagnahme – insbesondere beim Zugriff auf umfangreiche elektronisch gespeicherte Datenbestände – die verfassungsrechtlichen Grundsätze zu gewährleisten, die der Senat in seinem Beschluss vom 12.4.2005 (NJW 2005, 1917 [1921f.]) entwickelt hat. Hierbei ist vor allem darauf zu achten, dass die Gewinnung überschießender, für das Verfahren bedeutungsloser Daten nach Möglichkeit vermieden wird.

Die Beschlagnahme sämtlicher gespeicherter Daten zum Zweck der Erfassung von Kommunikationsdaten, etwa des E-Mail-Verkehrs, ist dabei regelmäßig nicht erforderlich. Vielmehr muss im Regelfall wegen des von vornherein beschränkten Durchsuchungsziels die Durchsicht der Endgeräte vor Ort genügen.

Das Amtsgericht München hat in dem angegriffenen Bestätigungsbeschluss nicht berücksichtigt, dass insoweit erhöhte Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu stellen waren und hat hierzu keine Ausführungen gemacht.

Auch ist vorliegend nicht ersichtlich, warum die Beschlagnahme eines nicht internetfähigen Klapp-Handys ohne Datei-Verarbeitungsprogramm bestätigt wurde, welches offensichtlich gera-de nicht zum Verfassen, Verarbeiten oder Speichern des Schreibens genutzt werden konnte.

Auch lagen aus Sicht der Beschwerdekammer die Voraussetzungen der Einziehung nicht vor, sodass die Gegenstände nicht zur Sicherung der Vollstreckung beschlagnahmt werden konnten, § 111b Abs. 1 S. 1 StPO. Denn vorliegend sind weder der Computer des Beschwerdeführers noch sonstige Speichermedien als eigentliches Mittel der im Raum stehenden Straftat eingesetzt worden. Die dem Beschwerdeführer angelastete versuchte Erpressung war insbesondere nicht von der Verwendung der zur Einziehung angeordneten EDV und Speichermedien abhängig. Ent-sprechend unterliegt ein Computer, den der Täter zum Schreiben eines – später abgesandten – Briefes mit strafrechtlich relevanten Inhalt benutzt hat, nicht der Einziehung nach § 74 StGB (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23-12-1992 – 5 Ss 378/92, 5 Ss 120/92 I).

c) Wegen des hohen Eingriffs in das Rechtsgut der Unverletzlichkeit der Wohnung erachtet
die Kammer angesichts des im Raum stehenden Delikts des Versuchs einer Erpressung, der Tatsache, dass der Beschwerdeführer strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist und des dargestellten Zeitablaufs die Anordnung der Durchsuchung und die Bestätigung der Beschlagnahme als nicht mehr angemessen und insgesamt unverhältnismäßig.“

Pflichti III: Und wieder „rückwirkende Bestellung“, oder: Alles nur „gute“ Entscheidungen

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Und dann im letzten Posting – traditionsgemäß – einige Entscheidungen zur rückwirkenden Bestellung, und zwar:

Der Bestellung eines Pflichtverteidigers steht im Strafbefehlsverfahren nicht entgegen, dass ein Strafbefehl zum Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung bereits erlassen ist.

1. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist ausnahmsweise zulässig.

2. Auf Fälle einer Bestellung eines Pflichtverteididgers auf Antrag des Beschuldigten gem. § 140 Abs. 1 StPO ist Abs. 2 S. 3 des § 141 StPO nicht anwendbar.

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist zulässig, wenn der Antrag rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt worden, dann aber von der Staatsanwaltschaft erst verspätet dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt worden ist.

beA II: Der Anwalt ist früh zum Termin unterwegs, oder: Die „verwaiste“ Kanzlei/das „unbeaufsichtigte“ beA

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Und als zweite Entscheidung dann das LG München I, Urt. v. 10.10.2023 – 15 O 7223/23.

In dem Verfahren ging es um Reisekostenerstattung eine Rechtsanwalts, der aus Lübeck zu einem Gütetermin vor dem ArbG München angereist war. Der Termin war für den 12.01.2022 um 15.15 Uhr angesetzt worden. Der Termin wurde am 11.01.2022 aufgehoben, weil die Klage nicht wirksam zugestellt war. Diese Terminaufhebung wurde dem Rechtsanwalt am 11.01.2022 um 10.39 Uhr in sein beA zugestellt. Telefonisch informiert worden ist er.

Gestritten worden ist dann um die Reisekosten Lübeck – München. Der Rechtsanwalt hat vorgetragen, dass er am 11.01.2022 um 9.00 Uhr mit seinem Pkw von Lübeck aus die Reise nach München angetreten habe. Sein beA habe er während Fahrt nicht kontrollieren können. In seiner Kanzlei sei niemand vor Ort gewesen. Eine Anreise am Verhandlungstag sei ihm wegen der Entfernung nicht zumutbar gewesen. Er habe daher erst nach seiner Ankunft von der Abladung erfahren.

Das LG München I hat die Klage abgewiesen. Begründung: Eigenes Verschulden des Rechtsanwalts. Denn:

„1. Nach § 839 BGB, Art. 34 GG haftet der Dienstherr eines Beamten für Schäden, die dieser durch schuldhafte Verletzung einer Amtspflicht verursacht.

An der tatbestandlich erforderlichen Verletzung einer Amtspflicht fehlt es vorliegend bereits.

Zwar ist richtig, dass grundsätzlich die Beamten der Geschäftsstelle dafür Sorge zu tragen haben, dass den Verfahrensbeteiligten die Abladungsnachricht so rechtzeitig zugeht, dass sie davon noch vor der Anreise zum Termin Kenntnis nehmen können (OLG Dresden, Urteil vom 18.04.2018, 1 U 1509/17; LG Stuttgart, NJW-RR 1989, 190; LG Hannover, NdsRpfl 1993, 192). Das ist vorliegend aber geschehen.

a) Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Terminsaufhebung ohne Verzögerungen beschlossen wurde. Die Information, dass der Termin mangels wirksamer Zustellung nicht wahrgenommen werden kann, stammte vom 10.01.2022, 15.30 Uhr. Der richterliche Beschluss stammt vom 11.01.2022 und wurde dem Klägervertreter unstreitig um 10.39 Uhr zugestellt.

Dass eine frühere Beschlussfassung bzw. ein früherer Versand möglich gewesen wäre und pflichtwidrig (und überdies schuldhaft) unterlassen wurde, ist klägerseits weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Demnach war eine frühere Information des Klägervertreters nicht möglich.

b) Eine Amtspflichtverletzung der Beamten des Beklagten ergibt sich auch nicht daraus, dass der Klägervertreter nicht telefonisch über die Terminsaufhebung informiert wurde. Denn dies war nicht geboten.

Vielmehr konnten die Beschäftigten der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts ohne weiteres darauf vertrauen, dass den Klägervertreter die Nachricht von der Aufhebung des Termins unverzüglich, jedenfalls aber rechtzeitig erreicht.

Wie der Beklagte richtig ausführt, handelt es sich bei dem Versand mittels beA um die schnellstmögliche Übermittlungsmethode und zwar sogar unabhängig davon, ob der Klägervertreter in der Kanzlei weilt oder nicht. Denn beA ist auch mobil abrufbar und über eingehende Nachrichten kann beA bei Aktivierung dieser Funktion unmittelbar einen beliebigen E-Mail-Adressaten informieren.

Das blieb unstreitig.

Die Beschäftigten des Beklagten mussten nicht damit rechnen, dass

– der Klägervertreter für einen Termin am 12.01.2022 um 15.15 Uhr bereits am Vortag       um 9.00 Uhr morgens abreist und außerdem

– die gesamte Kanzlei ab diesem Zeitpunkt verwaist ist und überdies

–  der Klägervertreter für den Empfang einer mittels beA übermittelten Nachricht nicht gesorgt hatte.

Auch wenn die Distanz Lübeck – München nahezu durch die gesamte Republik führt, war es bereits fernliegend anzunehmen, der Klägervertreter würde für einen Termin um 15.15 Uhr bereits am Vortrag um 9.00 Uhr abreisen. Naheliegend wäre gewesen, dass der Klägervertreter eine Flugverbindung vom nahegelegenen Hamburg nach München am Terminstag wählt. Alternativ wäre zu erwarten gewesen, dass er eine Zugverbindung von Lübeck nach München wählt, die für ihn eine Abfahrt gegen 7.00 Uhr am Terminstag bedeutet hätte (hierauf hatte das Gericht hingewiesen). Selbst im Falle der Nutzung des eigenen Pkw wäre nicht zu erwarten gewesen, dass der Klägervertreter am Morgen des Vortages aufbricht. Ebenso wenig war für die Geschäftsstelle absehbar, dass die Kanzlei des Klägervertreters in dieser Zeit gänzlich verwaist war und weder eine Kanzleikraft noch er selbst (über einen mobilen Zugang) von eingehenden beA-Nachrichten Kenntnis erhält.

Die vom Kläger bemühte Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden vom 18.04.2018, Az. 1 U 1509/17, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Die Entscheidung stammt aus einer Zeit vor Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches. Das Gericht hat entschieden, dass bei einer drei Tage vor dem Termin auf dem Postwege versandten Abladung nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass diese (wie notwendig) den Anwalt noch am Vorabend des Termins erreiche. Nach Auffassung des OLG Dresden wäre eine Benachrichtigung per Telefon oder per Telefax notwendig gewesen, mithin ein Kommunikationsweg, der die sofortige Kenntnisnahme ermöglicht. Einen solchen Kommunikationsweg hatte das Arbeitsgericht München hier mit beA gerade gewählt und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsgericht unter jedem denkbaren Blickwinkel davon ausgehen durfte, dass den Klägervertreter die Nachricht möglichst rechtzeitig erreicht (siehe vorstehend).“

Nun ja, kann man so sehen, kann man aber auch anders sehen. Ich bin gespannt, was das OLG München dazu sagen wird. Denn es ist Berufung eingelegt.

Freistellung von Kosten für Covid-Schutzmaßnahmen II, oder: Maßnahmen in 2023 nicht mehr erforderlich

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Und im zweiten Posting dann noch zwei weitere Entscheidungen zu Covid-19-Schutzmaßnahmen. Es handelt sich um zwei Beschlüsse des LG München I, jeweils Hinweisbeschlüssen, von denen ich hier nur die Leitsätze einstelle:

Angesichts der zunehmenden Lockerung im Hinblick auf die Corona-Pandemie ist zumindest im Jahr 2023 nicht mehr davon auszugehen, dass in Werkstätten noch regelmäßig entsprechende Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt werden und diese erforderlich sind.

Bei einer fiktiven Abrechnung kommt es im Hinblick darauf, ob Desinfektionskosten noch als erforderlich anzusehen sind und üblicherweise berechnet werden, auf den Schluss der mündlichen Verhandlung an.

„Wein oder nicht Wein? Das ist hier die Frage“, oder: Was darf alles in den Glühwein?

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Und dann starten wir heute am 2. Weihnachtstag in die 52. KW. 2022, also die letzte Woche des Jahres. Und das ist eine ziemlich „normale“ Woche. Nur heute ist noch Feiertag. Und an dem bringe ich hier dann aber auch Entscheidungen – so ein bisschen zum Warmewerden für den Jahresendspurt. Aber: Zwei Entscheidungen mit „weihnachtlichem Einschlag.“

Ich beginne mit dem LG MÜnchen I, Urt. v. 17.11.2022 – 17 HKO 8213/18) . Von dem gibt es leider noch keinen Volltext, jedenfalls habe ich ihn nicht gefunden. Aber es gitb zu der Entscheidung eine sehr schöne PM des LG München I, die ich dann hier einstelle/zitiere:

„Wein oder nicht Wein, das ist hier die Frage“ – Wo „Glühwein“ draufsteht, muss auch Glühwein drin sein! –

Die unter anderem für das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zuständige 17. Kammer für Handelssachen des Landgerichts München I hat am 17.11.2022 der Klage einer Weinkellerei stattgegeben und einem Brauhaus verboten, seine beiden mit Bockbierwürze versetzten weinhaltigen Getränke als „Glühwein“ im geschäftlichen Verkehr zu bezeichnen.

Der Begriff „Wein“ werde hierdurch in unzulässiger Weise „verwässert“, führte die erkennende Kammer aus. Es liege eine Irreführung von Verbrauchern vor, da diese darüber hinweggetäuscht würden, dass mit den Beigaben der Beklagten ein zusätzlicher Wassergehalt von 2 % in die Getränke der Beklagten gelange. Dies sei für ein Produkt mit der Bezeichnung „Glühwein“ unzulässig.

Glühwein dürfe laut europäischer Verordnung nur Wein, Süßungsmittel und Gewürz enthalten.

Der Wassergehalt, der beim Zuführen von Bockbierwürze in beide weinhaltigen Getränke der Beklagten gelange, sei zu hoch, um das Produkt noch als „Glühwein“ bezeichnen zu können.

In der mündlichen Verhandlung hörte das Gericht zu der Frage, ob Bockbierwürze ein Gewürz ist und somit dem Glühwein beigegeben werden kann, einen Önologen an:

Der in dem Wort „Bockbierwürze“ enthaltene Begriff „Würze“ sei lediglich historisch bedingt und inhaltsstofflich nicht korrekt, so der Sachverständige. Die Bockbierwürze sei kein Gewürz, sondern eine Flüssigkeit, die ein Gewürz empfange. Bierwürze im Allgemeinen habe nichts mit einem Gewürz oder Süßungsmitteln zu tun. Die Bockbierwürze sei gegenüber anderen Gewürzen insbesondere kein hoch konzentrierter Stoff, deshalb sei der Wasserzusatz in den Getränken der Beklagten erheblich.

Dem schloss sich das Gericht an.

Der Wassergehalt in Glühwein unterliege strengen Vorgaben: Nur zum Süßen oder zur Beigabe von Gewürzen sei Wasser zulässig, in so geringer Menge wie möglich, so die erkennende Kammer. An diese Vorgaben habe sich die beklagte Brauerei mit der Beigabe von Bockbierwürze nicht gehalten. Hiermit suggeriere die Beklagte dem Verbraucher bei ihren Getränken vielmehr die Eigenschaften des Traditionsgetränks Glühwein, die diese tatsächlich wegen zu hohen Wassergehalts gar nicht hätten.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Zum Hintergrund:

Zulässige Bestandteile des Glühweins:
In der Verordnung (EG) 251/2014 Anl. II B, Ziff. 8 hat der Gesetzgeber die zulässigen Bestandteile des Glühweins geregelt. Es darf nur ein solches Produkt auf den Markt gebracht und als Glühwein bezeichnet werden, das den traditionell geprägten Zutatenvorgaben des europäischen Gesetzgebers entspricht.

Verordnung (EU) Nr. 251/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Begriffsbestimmung, Beschreibung, Aufmachung und Etikettierung von aromatisierten Weinerzeugnissen sowie den Schutz geografischer Angaben für aromatisierte Weinerzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1601/91 des Rates (europa.eu)

Önologie:
Aufgabenbereich der Önologie ist das technologische Forschen, die Mitarbeit in der Entwicklung von Materialien für die Technik und die Ausrüstung von Kellereien. Bestandteil der Tätigkeit ist auch die Mitarbeit in der Anlage und der Pflege von Weinbergen, die Übernahme der vollen Verantwortung für die Produktion von Traubensaft, Wein und Folgeprodukten aus Wein und die Gewährleistung ihrer Haltbarkeit, die Durchführung von Analysen (physikalische, chemische, mikrobiologische und organoleptische) von weinhaltigen Produkten und die Auswertung und Erörterung der Analysedaten.“

Noch Fragen 🙂