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Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis? – hier bejaht

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Das Elektrokleinstfahrzeug, respektive der E-Scooter, ist in der Rechtsprechung angekommen, was auch zu erwarten war. Es mehren sich vor allem die Entscheidungen zu der Frage: Kann bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis entzogen werden, ja oder nein?

Und dazu habe ich einige Entscheidungen sammeln könne, die ich heute vorstellen werde. Ich fange dann mit denen an, die die (vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO bejaht habe. Dazu habe drei Entscheidungen, und zwar den LG München I, Beschl. v. 30.10.2019 – 1 J Qs 24/19 jug -, den LG München I, Beschl. v. 29.11.2019 – 26 Qs 51/19 und den LG Dortmund, Beschl. v. 11.02.2020 – 43 Qs 5/20.

In allen drei Entscheidungen wird die Entziehung bejaht – die Begründungen gehen in etwa in dieselbe Richtung: Ich stelle daher hier nur die umfangreichsten Ausführungen betreffend E-Scotter vor. Das sind die aus dem LG München I, Beschl. v. 30.10.2019 – 1 J Qs 24/19 jug, den Rest bitte ggf. selbst nachlesen:

2. Geltung des Grenzwertes der sog. absoluten Fahruntüchtigkeit bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %o beim Fahren mit Elektrokleinstfahrzeugen.

Nach Auffassung der Kammer ist der für Kraftfahrzeuge geltende Grenzwert von 1,1 (10 (sog. absolute Fahruntüchtigkeit) auch in Fällen der Benutzung von Elektrokleinstfahrzeugen anzuwenden, da diese im Rahmen der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (eKFV) grundsätzlich als Kraftfahrzeuge eingestuft sind und sich auch im Rahmen des Gefährdungspotentials von Elektrokleinstfahrzeugen kein anderer Schluss ergibt.

a) Einordnung als Kraftfahrzeug

Gemäß § 1 Absatz 1 eKFV sind Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne der Verordnung grundsätzlich Kraftfahrzeuge im Sinne von § 1 Absatz 2 StVG. Zwar wird im Rahmen der Begründung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums für Verkehr und Infrastruktur vom 21.09.2018 eine Vergleichbarkeit zwischen Fahrrädern und Elektrokleinstfahrzeugen im Bereich der Fahreigenschaften sowie der Verkehrswahrnehmung und deshalb die Anwendung der Verkehrs-und Verhaltensregeln über Fahrräder mit Maßgabe besonderer Vorschriften thematisiert (siehe S. 25 des Referentenentwurfs). Aus Sicht der Kammer ist jedoch aus dem Verordnungserlassverfahren klar erkennbar, dass im Rahmen einer einheitlichen Rechtsanwendung Elektrokleinstfahrzeuge als Kraftfahrzeuge grundsätzlich den für Kraftfahrzeugen geltenden Vorschriften unterliegen sollen, soweit ausdrücklich keine anderen Regeln für Elektrokleinstfahrzeuge festgesetzt sind.

Exemplarisch hierfür ist aus Sicht der Kammer die folgenden Regelung der eKFV sowie deren Begründungen:

Zur Änderung der Bußgeldkatalogverordnung und der Einführung der Nr. 132a BKat führt die Begründung zur eKFV folgendes aus: „Da Elektrokleinstfahrzeuge als Kraftfahrzeuge im Sinne des § 1 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetztes gelten, würden die Fahrer von Elektrokleinstfahrzeugen bei Verstößen gegen § 37 Absatz 2 Nummer 5 und 6 der Straßenverkehrs-Ordnung — ohne eine entsprechende Klarstellung — nach der laufenden Nummer 132 ff der Bußgeldverordnung bestraft werden.“

Im Rahmen der Einführung der Nr. 132a der Bußgeldkatalogverordnung wird damit ausdrücklich anders als bei Kraftfahrzeugen im Rahmen von Rotlichtverstößen die mit Elektrokleinstfahrzeugen begangen werden, neben einer deutlichen Reduzierung des Regelsatzes insbesondere auf ein Fahrverbot verzichtet (siehe hierzu Begründung der eKFV — Drucksache 158/19 – S.45).

Dagegen wurde im Bereich der laufenden Nr. 241 des BKat (Bereich der Verstöße gegen § 24a StVG – 0,5 %o Grenze) offensichtlich auf eine derartige Abweichung vom Grundsatz verzichtet, weshalb gerade im Bereich der Benutzung von Elektrokleinstfahrzeugen im alkoholbedingten Rauschzustand davon auszugehen ist, dass hier die allgemeinen Regelsätze für Kraftfahrzeuge gelten sollen.

Die Kammer ist angesichts dieser Regelungssystematik der Auffassung, dass im Rahmen des Verordnungserlassverfahrens grundsätzlich die Auswirkungen der Qualifizierung von Elektrokleinstfahrzeugen als Kraftfahrzeugen abgewogen und soweit aus Sicht des Verordnungsgebers erforderlich und von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt, die entsprechenden Änderungen und Anpassungen vorgenommen wurden. In diesem Zusammenhang wurden keine vom Grundsatz abweichenden Regelungen für den Fall der Benutzung von Elektrokleinstfahrzeugen im alkoholisierten Zustand getroffen. Darüber hinaus bestehen zudem keine anderen abweichenden gesetzlichen Regelungen, die Elektrokleinstfahrzeug aus dem generellen Anwendungsbereichs des Kraftfahrzeugbegriffs ausnehmen, weshalb im Ergebnis im Rahmen einer einheitlichen Anwendung des Begriffs des Kraftfahrzeugs davon auszugehen ist, dass der Grenzwert der sog. absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 %o auch im Bereich von Elektrokleinstfahrzeugen gelten soll (so im Ergebnis auch Kerkmann in SVR 2019, 369, 370).

b) Gefährdungspotential von Elektrokleinstfahrzeugen

Auch die Einordnung des von Elektrokleinstfahrzeugen ausgehenden Gefährdungspotentials, führt zu keinem anderen Ergebnis.

Der Beschluss des Amtsgerichts München vom 23.09.2019 führt im Rahmen seiner Begründung zur Nichtanwendung des Grenzwerts von 1,1 %o aus, dass E-Scooter im Rahmen des von ihnen ausgehenden Gefährdungspotentials am ehesten einem Fahrrad und gerade nicht mit Personenkraftwagen oder Motorrädern gleichzustellen seien.

Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer nicht an.

Zum einem sind Elektrokleinstfahrzeuge der verschiedenen E-Scooter Anbieter mit einem Gewicht von circa 20 — 25 kg deutlich schwerer als ein durchschnittliches Fahrrad und weisen einer Gefahr für Dritte, im Fall der Benutzung eines Elektrokleinstfahrzeugs unter Alkoholeinfluss, die ohne große Anstrengung und Koordinationsbemühungen abrufbare Motorkraft sicher beherrscht werden. Im Gegensatz dazu muss ein alkoholisierter Fahrradfahrer durch eigene Anstrengung und Koordination das Fahrrad erst bewegen und wird im Zweifel auch eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h kaum erreichen. Im Fall eines alkoholisierten Fahrradfahrers steht deshalb aus Sicht der Kammer nicht wie bei einem Elektrokleinstfahrzeug die Fremd- sondern die Eigengefährdung im Vordergrund (so grundsätzlich auch OLG Nürnberg Beschluss vom 13.12.2010 — 2 St OLG Ss 230/10 sowie im Fall der Benutzung eines sog. „Segway“ OLG Hamburg Beschluss vom 19.12.2016 —1 Rev 76/16).

Aus Sicht der Kammer sind Elektrokleinstfahrzeuge im Ergebnis im Rahmen des Gefährdungspotentials eher mit Mofas vergleichbar, in deren Fall auch von einem Grenzwert von 1,1 %o für den Fall der sog. absoluten Fahruntüchtigkeit auszugehen ist (siehe hierzu MüKo StGB § 316 Rn. 40 sowie Fischer § 316 StGB Rn. 25).“

Heute Mittag kommen dann zwei Entscheidungen, die die Entziehung verneint haben. Also: Die Frage ist – streitig. Das bedeutet: Auf jeden Fall „Finger von die Dinger“, wenn Alkohol im Spiel war.

Pflichti I: Wenn alle Zeugen Polizeibeamten sind, dann gibt es einen Pflichtverteidiger

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Heute dann mal wieder ein „Pflichtverteidigungstag“, also drei Entscheidungen zu den §§ 140 ff. StPO, die mir in der letzten Zeit von Kollegen übersandt worden sind. Dafür besten Dank.

Ich starte mit dem LG München I, Beschl. v. 29.01.2019 – 28 Qs 5/19. Dem Mandanten des Kollegen Marquort aus Kiel wirdu.a. Körperverletzung vorgeworfen. Nach der Anklage soll er anlässlich der Durchsuchung seiner Wohnung am 24.11.2017 gegen 22:30 Uhr die Polizeibeamtin PMin pp. beleidigt und den Polizeibeamten PK pp., der ihn fixieren wollte, am Daumen verletzt habe. Als Zeugen für diesen Sachverhalt wurden seitens der Staatsanwaltschaft die bei dem Polizeieinsatz anwesenden Zeugen genannt. Bei diesen handelt es sich allesamt um Angehörige der bayrischen Polizei.

Der Kollege hat Beiordnung beantragt. Die Staatsanwaltschaft hat (natürlich) einen Fall der notwendigen Verteidigung nicht gesehen. Die Sach- und Rechtslage sei nicht schwierig. Allein der Umstand, dass der Geschädigte anwaltlich vertreten sei, genüge für das Vorliegen der notwendigen Verteidigung nicht. Ebenso das AG. Anders dann das LG München I:

1. Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor.

a) Hat sich der Verletzte auf eigene Kosten oder im Wege von Prozesskostenhilfe eines anwaltlichen Beistands versichert, folgt aus diesem möglichen strukturellen Verteidigungsdefizits noch keine zwingende Beiordnungsnotwendigkeit. Notwendig aber auch hinreichend ist eine an den Umständen des Einzelfalls orientierte gerichtliche Prüfung der Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung, wobei namentlich die rechtlichen Befugnisse des Verletzten einerseits und das Verteidigungsverhalten des Angeklagten sowie die Komplexität von Anklagevorwurf und Beweislage andererseits einzustellen sind. Hierbei kommt insbesondere einer differenzierenden Betrachtung der dem Verletzten im Einzelfall konkret zustehenden rechtlichen Befugnisse besondere Bedeutung zu. Zu bedenken ist, dass der nebenklagende Verletzte mit den in § 397 StPO geregelten prozessualen Gestaltungsrechten sowie mit seinen weitreichenden Informationsrechten (vgl. § 406e Abs. 1 5, 2 StPO) eine mit der Stellung der Anklagebehörde korrespondierende Verfahrensrolle innehat (OLG Hamburg, 1 Ws 160/15, BeckRs 2016. 48, amtliche Leitsätze, vgl. auch § 140 Rdnr. 25 BeckOK StPO, vgl. BT-Drs. 17/6261, 11, wonach eine Einzelfallprüfung stattfinden muss). Dem hierdurch begründeten strukturellen Verteidigungsdefizit kann durch die gerichtliche Fürsorge für den in der Hauptverhandlung unverteidigten Angeklagten nicht in jedem Fall in geeigneter Weide begegnet werden, zumal bei vielfachen gerichtlichen Hinweisen an den Angeklagten erhebliche Verfahrensverzögerungen auch wegen hierdurch veranlasster Ablehnungsgesuche des anwaltlich vertretenen Verletzten zu besorgen sind. Daher begründet die dem anwaltlich vertretenen Nebenkläger gegebene Verfahrensmacht regelmäßig bereits für sich die Annahme eines die Beiordnung erfordernden strukturellen Verteidigungsdefizits, es sei denn die Sachlage ist ausnahmsweise rechtlich wie tatsächlich ganz besonders einfach gelagert (OLG Hamburg, 1 Ws 160/15, BeckRs 2016, 48, Rdnr. 12).

b) Im vorliegenden Fall kann von einer einfachen Sachlage nicht die Rede sein. Der Angeklagte ist nicht geständig. Ihm stehen die Aussagen von mindestens 5 Zeugen gegenüber, die alle wie die Geschädigten pp. und pp. als Polizeibeamte vor Ort waren und daher im Lager des Nebenklägers pp. stehen dürften. Dem Amtsgericht ist zwar zuzustimmen, dass anders als im Fall des LG Bielefeld die rechtliche Würdigung des Widerstands weniger Schwierigkeiten macht. Auch steht dem Angeklagten inzwischen ein umfassendes Akteneinsichtsrecht zu. Das Amtsgericht verkennt aber, dass im Fall des LG Bielefeld der Geschädigte nicht als anwaltlich vertretener Nebenkläger beigetreten war. Das Landgericht hatte bereits allein auf Grund der Vielzahl der Belastungszeugen aus dem Polizeidienst und der rechtlichen Problematik einen Fall der notwendigen Verteidigung angenommen, ohne dass der Geschädigte zusätzlich noch als Nebenkläger mit Anwalt auftrat.

Die oben unter l. 1. a. genannten Grundsätze auf den hiesigen Fall übertragen, führen hingegen zu folgendem Ergebnis: Auch mit umfassendem Akteneinsichtsrecht des Angeklagten liegt auf Grund der anwaltlich vertretenen Nebenklage und der damit einhergehenden Gestaltungsrechte sowie der anstehenden Vernehmungen von mehreren Angehörigen des Polizeidienstes, bei denen es für den Angeklagten gilt, Widersprüche in den Zeugenangaben herauszuarbeiten, ein strukturelles Verteidigungsdefizit und damit ein Fall der notwendigen Verteidigung vor.

c) Die Frage, ob die vom Verteidiger erwähnte Richtlinie, die zwar bereits in Kraft ist, deren Umsetzungsfrist aber noch nicht abgelaufen ist, etwaige Vorwirkungen auf Grund des im Europarecht bestehenden Frustrationsverbots entfaltet und deshalb bei der Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO zu berücksichtigen ist, kann letztlich dahinstehen. Ebenfalls unerheblich ist, dass der Geschädigte bereits eine Zivilklage erhoben hat, für die der Ausgang des Strafverfahrens keine Präjudizwirkung entfaltet.

VW-Abgasskandal – beim LG München I geht es „käuferpositiv“….

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Bisher hat es im VW-Abgasskandal nur Urteile zugunsten von VW gegeben (vgl. u.a. das LG Bochum, Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15 und das LG Münster, Urt. v. 14.03.2016 – 11 O 341/15 und dazu: VW-Abgasskandal: Hier dann LG Bochum/LG Münster zur „VW-Schummelsoftware“). Inzwischen gibt es dann aber auch eine „käuferpositive“ Entscheidung, nämlich das LG München I, Urt. v. 14.04.2016 – 23 O 23033/15. Gestritten wurde um einen im Mai 2014 gekauften Seat gekauft, in dem ein VW-Dieselmotor (Typ EA 189) verbaut war, dessen Schadstoffausstoß deutlich über den Nennwerten lag. Der Käufer hatte Seat bzw. das Autohaus am 29. 10. 2015 zur Nachbesserung bis zum 13.11.2015 aufgefordert; andernfalls werde er vom Kaufvertrag zurücktreten. Am 02.11.2015 teilte Seat mit, dass an dem Problem gearbeitet werde. Der Käufer hat dann am 02.03.2016 die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung erklärt.

Das LG München I hat dem Käufer sowohl die Rückzahlung des Kaufpreises – natürlich abzüglich des Wertverlustes für die Zeit, in der er das Fahrzeug genutzt hatte – als auch den Ersatz seiner sonstigen Kosten – Zulassung, Garantieverlängerung, Zusatzausstattung – zugesprochen. Begründung: Der niedrige Schadstoffausstoß des Fahrzeugs sei Teil der Vereinbarung zwischen den Parteien und für den Kläger maßgebliches Verkaufsargument gewesen. Das Wissen über die manipulierten Abgaswerte seitens VW müsse das beklagte Autohaus sich aufgrund seiner Stellung als hundertprozentige VW-Konzerntochter auch zurechnen lassen. Es habe sich in der Außendarstellung ausdrücklich als Teil des VW-Konzerns präsentiert und dessen werbliche Aussagen, unter anderem zum Kraftstoffausstoß der Fahrzeuge, als eigene übernommen.Interessant die Ausführungen des LG zur „Nachbesserungsfrist“, die nach Auffassung des LG auf keinen Fall mehr angemessen sei:

3. Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil jedenfalls eine angemessene Frist zur Nachbesserung ungenutzt verstrichen ist, § 323 Abs. 1 BGB.

In Anbetracht der Umstände dürfte zwar die ursprünglich von dem Kläger mit Schreiben vom 29.10.2015 gesetzte Frist von rund zwei Wochen zu knapp bemessen gewesen sein. Dies führt aber nur zur Ingangsetzung einer angemessenen Frist.

Im Rahmen von § 308 BGB ist eine Nachbesserungsfrist von mehr als 6 Wochen oder mehr als 2 Monaten als Verstoß gegen die grundsätzliche gesetzgeberische Wertung unzulässig (vgl. Palandt/Grüneberg, 74. Auflage 2015, § 308 Rdnr. 13). Diese Frist hat die Beklagte ungenutzt verstreichen lassen.

Jedenfalls ist aber eine Frist von über einem halben Jahr nach der freien Überzeugung des Gerichts auf keinen Fall mehr angemessen. Selbst mit Schriftsatz vom 04.05.2016 (dort Bl. 75 d. A.) hat die Beklagte lediglich vorgetragen, dass der Beginn der technischen Maßnahmen an dem streitgegenständlichen Motortyp für die 39. Kalenderwoche vorgesehen sei. Mit einer Mangelbeseitigung wäre damit frühestens am 26.09.2016 zu rechnen, ohne dass die Beklagte – die gleichzeitig die hohe Anzahl der betroffenen Fahrzeuge betont – einen konkreten Termin für das streitgegenständliche Fahrzeug benennt.

Eine Nachbesserungsfrist von mehr als sechs Monaten oder hier fast einem Jahr (bei Durchführung gleich zu Beginn der Maßnahme in der 39. Kalenderwoche) ist aber mit der gesetzgeberischen Grundentscheidung zur Kaufgewährleistung im allgemeinen und dem Verbraucherkauf im besonderen auch unter Berücksichtigung der hier vorliegenden besonderen Umstände nicht mehr vereinbar. Das Kaufrecht ist – gerade für Verbraucher – auf eine zeitnahe Regulierung von Gewährleistungsrechten ausgerichtet. Dies gilt auch für das Nachbesserungsrecht des Verkäufers. Der Gesetzgeber verfolgt damit sowohl die Gewährung effektiver Gewährleistungsrechte als auch die zeitnahe Herbeiführung von Rechtsfrieden. Dies zeigt sich insbesondere an der verkürzten Verjährungsfrist von 2 Jahren ab Ablieferung der Sache. Ohne den Verjährungsverzicht der Beklagten wären daher vorliegend Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag vom 28.05.2014 mit Auslieferung im August 2014 im Zeitpunkt des mitgeteilten frühest möglichen Nachbesserungstermins im September 2016 bereits verjährt.

4. Die Pflichtverletzung ist unter Würdigung aller Umstände auch nicht unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB….“

Man wird sehen, wie es weitergeht. VW kommt ja nun wohl endlich mit den Nachbesserungen „in die Pötte“…..

Das AG München schaut (presserechtlich) in die Zukunft, oder: In München/beim LG München ist auch eine Datenbank „Presse“

Justizpalast_in_MuenchenIch erinnere: Ich hatte im vergangenen Jahr einen – etwas länger dauernden – Schriftwechsel mit dem AG München um die Übersendung von Entscheidungen des AG München. Das ist ein paar mal hin und her gegangen, bevor ich dann die Antwort des Präsidenten des AG München vom 02.09.2015 erhalten habe (vgl. dazu Die Dickfelligkeit des AG München, oder: Ich gebe es auf…., oder: Es röhrt der Elefant und er gebiert eine Maus). In der hatte der Präsident des AG München mir mitgeteilt: „Ob es sich bei der Informationsübermittlung an Presse und Fachschrifttum zu Publikationszwecken um eine (da anonymisiert: Teil-) Auskunftserteilung i.S.d. §§ 474 ff. StPO mit dort geregelten Voraussetzungen und Zuständigkeiten handelt oder aber um einen nach Landespressegesetz zu beurteilenden Informationsanspruch, wird nicht einheitlich gesehen (vgl. BeckOK StPO/Wittig StPO § 475 Rn. 4). Künftig werden beim Amtsgericht München derartige Anfragen einheitlich durch die von mir entsprechend Art. 4 BayPrG hierzu beauftragte Pressestelle beantwortet werden.“ Darüber hatte ich mich dann in meinem o.a. Posting ein wenig mokiert, hatte dann aber die positiven Auswirkungen dieser Rechtsauffassung bei meiner nächsten Anfrage erlebt, die in einer „Turbo-Geschwindigkeit“ erledigt worden ist (dazu „Positiv erschüttert“, oder: So dickfellig sind die gar nicht beim AG München).

Und nun? Nun muss/kann ich noch einen drauf setzen. Denn: Nach diesem Schriftwechsel hat es den BVerfG, Beschl. v. 14.09.2015 – – 1 BvR 857/15 – gegeben. In dem hat das BVerfG der Verfassungsbeschwerde eines Zeitungverlages gegen eine Entscheidung des OVG Jena stattgegeben. Das OVG hatte es im Eilrechtsschutzverfahren abgelehnt, einen LG-Präsidenten zur Zusendung einer anonymisierten Urteilskopie über ein von hohem Medieninteresse begleitetes Strafverfahren zu verpflichten. Das BVerfG sieht darin eine Verletzung des Grundrechts auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

Nun, so weit, so gut. Was hat das aber mit meinem „Streit“ mit dem AG München zu tun. M.E. schon eine ganze Menge. Denn das AG München hat die Vorgaben des BVerfG wohl schon vorab geahnt – da sag noch mal einer, in Bayern lebe man nicht am Puls der Zeit 🙂 -, wenn es „Art. 4 BayPrG “ ins Spiel bringt und auch meine Anfrage als „Presseanfrage“ behandelt. Und es hat noch weiter in die Zukunft geblickt. Denn inzwischen gibt es eine Verfügung des LG München I, die sich mit der Problematik und der Umsetzung der Entscheidung des BVerfG v. 14.09.2015 befasst. Das ist die LG München I, Verf. v. 19.01.2016 – 6 AR 5 u. 6/15, auf die ich über openJur gestoßen bin. Die geht sogar dann gleich noch einen Schritt weiter und sieht auch „öffentliche Datenbanken“ von der Entscheidung des BVerfG umfasst. Hier die Leitsätze dieser Verfügung:

  1. Die alleinige Anwendung der Vorschriften über die Akteneinsicht aus der StPO auf Auskunftsbegehren der Presse und Datenbanken ist nach der jüngsten Entscheidung des BVerfG v. 14.09.2015 – 1 BvR 857/15 – zu diesem Themenkomplex nicht mehr haltbar.
  2. Öffentliche Datenbanken sind bei der Frage, ob dort veröffentlichungswürdige Gerichtsentscheidungen eingestellt werden dürfen, anderen Presseorganen, die solche Entscheidungen veröffentlichen oder in ihrer Berichterstattung verwerten wollen, gleichzustellen.
  3. Ein berechtigtes Interesse des Datenbankbetreibers ergibt sich schon aus dem Interesse an der Veröffentlichung einer Entscheidung, die von allgemeinem Interesse, also veröffentlichungswürdig, ist.“

Und wenn man nun konsequent ist (hoffentlich!!), muss man m.E. auch jedes Blog, das über gerichtliche Entscheidungen berichtet, als „Presse und Datenbank“ ansehen. Sicherlich nicht die „klassische Presse“ oder die „klassiche Datenbank“, aber eben eine neue Form der Berichterstattung, die man m.E. wird mit einbeziehen können/müssen; ich hoffe, dass ich hier jetzt keinen presserechtlichen Blödsinn geschrieben habe. Für mich und mein Blog stellt sich die Frage nicht so sehr, da ich als Herausgeber von StRR, VRR und Coautor bei RVGreport, ZAP und diversen Zeitschriften aus dem IWW-Verlag meine, zur Presse zu gehören. Nun, in Bayern muss man/ich den Streit ja eh nicht mehr führen – und in den anderen Bundesländern hoffentlich auch nicht. Aber mit der „Einheit der Rechtsordnung“ ist das ja manchmal so eine Sache.

Ach so: Dann bleibt noch die Frage: Wann liegt denn ein „berechtigtes Interesse des Datenbankbetreibers“ vor. Das LG München I sagt, wenn die „Veröffentlichung einer Entscheidung, die von allgemeinem Interesse, also veröffentlichungswürdig, ist.“ Das löst sich m.E. zumindest dann ganz einfach, wenn das Gericht selbst zu der Entscheidung eine PM herausgegeben hat. Deutlicher kann man m.E. nicht zeigen, dass die Entscheidung „veröffentlichungswürdig“ ist.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Rücknahme des StA-Rechtsmittels – Verfahrensgebühr beim Verteidiger?

© haru_natsu_kobo - Fotolia.com

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Ich erinnere an unsere „Freitagsfrage“: Ich habe da mal eine Frage: Rücknahme des StA-Rechtsmittels – Verfahrensgebühr beim Verteidiger?. Es ging um die Problematik der Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren, wenn die Staatsanwaltschaft ein von ihr eingelegtes Rechtsmittel – Berufung, Revision, Rechtsbeschwerde – vor dessen Begründung zurückgenommen hat.

Der Verteidiger hatte nach dem Entstehen der Gebühr gefragt. Nun die Frage ist eindeutig zu bejahen. Denn die Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren entsteht durch jede Tätigkeit, die der Rechtsanwlt/Verrteidiger nach Einlegung des Rechtsmittels erbringt. Das kann die Beratung des Mandanten über das Rechtsmittel und das Rechtsmittelverfahren sein aber auch – wie in der Fragestellung – das Gespräch mit dem Vorsitzenden über die Berufung bzw. deren Durchführung.

Strend davon zu trennen/unterscheiden ist die Frage, ob der Rechtsanwalt die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG bzw. Nr. 4139 VV RVG in diesen Fällen auch aus der Staatskasse erstattet bekommt. Und das verneint die h.M. der OLG, die da einiges mit dem Entstehen der Gebühr vermischt – mit der Begründung: Nutzlose Tätigkeit. M.E. ist die Begründung falsch, was ich hier aber nicht näher darlegen will, dazu mehr im RVG-Kommentar bzw. demnächst im RVGreport. In der Diskussion gibt es aber auch immer wieder „Aufreißer“-Entscheidungen. Und eine solche habe ich der vergangenen Woche übersandt bekommen, nämlich den LG München I, Beschl. v. 29.08.2014 – 22 Qs 55/14. Das hat die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren erstattet, und zwar mit der m.E. richtigen Begründung:

Die Frage der Notwendigkeit der Tätigkeit eines Verteidigers in der Berufungsinstanz in Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor einer Begründung zurücknimmt, ist in der Rechtsprechung umstritten (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 464 a, Rdnr. 10 m.w.N). Die ablehnenden Entscheidungen (zuletzt soweit ersichtlich KG Berlin, Beschluss vom 19.5.2011, Az. 1 Ws 168/10, zitiert nach juris) stützen sich darauf, dass vor Begründung der Berufung alle Erörterungen ohne objektiven Wert seien, solange Umfang und Zielrichtung der Berufung nicht bekannt seien.

Die Kammer folgt im vorliegenden Fall jedoch der Auffassung, welche eine Erstattung der Verfahrensgebühr auch in den Fällen annimmt, in denen die Staatsanwaltschaft die Berufung vor ihrer Begründung zurückgenommen hat.

Es ist mit den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht vereinbar, dass Informations- und Beratungsbedürfnis eines Angeklagten nach Eingang eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft stets, als ,,überflüssig“ anzusehen, solange er dessen Zielrichtung und Umfang nicht kennt. Im vorliegenden Fall hatte der Pflichtverteidiger durch die Mitteilung des Amtsgerichts München Kenntnis von der (noch nicht begründeten) Berufung der Staatsanwaltschaft. Auch in diesem Verfahrensstadium kommen seitens des Angeklagten und seines Verteidigers aber durchaus zweckwichtigere Maßnahmen in Betracht, welche die Rechtslage klären oder die weitere Verteidigung vorbereiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie hier die Zielrichtung des staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittelangriffs nach Sachlage aus Sicht der Verteidigung nicht zweifelhaft war, da die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht eine unbedingte Freiheitsstrafe beantragt hatte.

Eine andere Entscheidung ist auch schwerlich mit dem Grundsatz der Chancengleichheit im Strafverfahren vereinbar: Wenn die Staatsanwaltschaft nur vorsorglich ein Rechtsmittel einlegt, so muss es dem Angeklagten unbenommen sein, ebenso vorsorglich vorbereitende Maßnahmen zur Verteidigung gegen dieses Rechtsmittels zu treffen, zumal er mit der Möglichkeit der Durchführung des Rechtsmittels rechnen muss (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.4.1993- Az. 1 Ws 110/93, zitiert nach juris).

Hinzukommt, dass – anders als für die Revision (§§ 344, 346 Abs. 1 StPO) – für die Berufung keine gesetzliche Begründungspflicht besteht. Eine fehlende Begründung wäre zwar ein Verstoß gegen § 156 Abs. 1 RiStBV, würde die Berufung jedoch nicht unzulässig machen.“

Vor allem das Argument mit der „Chancengleichheit“ ist schön.

Also: Ich habe dem Kollegen die Entscheidungen als Argumentationshilfe geschickt und ihm zugleich auch noch geraten, doch mal die Nr. 4141 VV RVG zu diskutieren – nämlich Mitwirkung bei der Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft. Er wird berichten. Ich bin gespannt was.