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Revision I: Unkenntnis des Gerichts von der Revision, oder: Nachträgliche Ergänzung der Urteislsgründe?

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Heute ist dann mal wieder ein Revisionstag, also Entscheidungen aus dem Revisionsverfahren.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem BGH, Beschl. v. 25.02.2025 – 5 StR 719/24. Es geht in der Entscheidung um die Frage der Zulässigkeit der Ergänzung der Urteilsgründe im Revisionsverfahren. Wenn man es liest, stutzt man, aber: Es kann gehen/zulässig sein.

Das LG hat den Angeklagten wegen Brandstiftung in mehreren Fällen verurteilt. Dagegen die Revision, mit der der Angeklagte einen Verstoß gegen § 338 Nr. 7 StPO geltend gemacht hatte. Die Revision hatte keinen Erfolg:

„1. Entgegen der Auffassung der Revision war das Landgericht berechtigt, das zunächst abgekürzt abgefasste Urteil nach Kenntnis vom Eingang der Revisionseinlegung in entsprechender Anwendung von § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO zu ergänzen, so dass die Rüge nach § 338 Nr. 7 StPO unbegründet ist (vgl. zur unterschiedlichen revisionsrechtlichen Behandlung des gerügten Mangels BGH, Beschluss vom 15. Mai 2024 – 3 StR 450/23, NJW 2024, 2340 mwN).

a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde: Nachdem das Urteil am 12. Juni 2024, dem vierten Hauptverhandlungstag, in Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers gesprochen worden war, legte der Angeklagte über seinen Verteidiger am 13. Juni 2024 form- und fristgerecht Revision ein. Der Schriftsatz wurde wirksam elektronisch an das Landgericht übermittelt, aber vom Geschäftsstellenbeamten aufgrund einer „technischen Fehlbedienung“ nicht abgerufen und vorgelegt, so dass die für die Urteilsabfassung zuständigen Richter keine Kenntnis davon hatten. Sie fassten deshalb ein abgekürztes Urteil ab. Dieses ging – mit einem Rechtskraftvermerk versehen – dem Verteidiger am 26. August 2024 mit einfacher Post zu. Der Verteidiger rief am gleichen Tag den Vorsitzenden der Strafkammer an und zeigte sich über den Rechtskraftvermerk verwundert. Auf Aufforderung des Vorsitzenden ermittelte der zuständige Geschäftsstellenbeamte, dass die Revisionseinlegung unbearbeitet im elektronischen Postfach lag. Am folgenden Tag forderte der Vorsitzende die Akten an, die unmittelbar anschließend bei ihm eingingen. Die Strafkammer fasste daraufhin ein ergänztes vollständiges Urteil ab und gab dieses am 7. Oktober 2024 auf die Geschäftsstelle. Es wurde dem Verteidiger anschließend zugestellt.

b) Das Gericht war zur Ergänzung der Urteilsgründe in entsprechender Anwendung von § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO berechtigt.

aa) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Möglichkeit zu späterer Urteilsergänzung in entsprechender Anwendung von § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO besteht, wenn das Gericht unverschuldet keine Kenntnis von der Revisionseinlegung hatte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Mai 2024 – 3 StR 450/23, NJW 2024, 2340 mit zust. Anm. Peglau jurisPR-StrafR 15/2024 Anm. 3; vom 29. April 2024 – 6 StR 18/23; vom 4. Oktober 2017 – 3 StR 397/17; vom 20. Dezember 2011 – 2 StR 405/11, NStZ-RR 2012, 118; vom 12. Juni 2008 – 5 StR 114/08, BGHR StPO § 267 Abs. 4 Ergänzung 2; vom 8. August 2001 – 5 StR 211/01, Becker, NStZ-RR 2002, 257, 261; vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. Februar 1990 – 2 StR 638/89, bei Holtz MDR 1990, 490; KG, Beschluss vom 15. September 2022 – 121 Ss 118/22, StraFo 2022, 471; BayObLG, Beschluss vom 23. Juli 2020 – 201 ObOWi 881/20).

Der Gesetzgeber hat die Folgen eines solchen Geschehens nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt, so dass eine Lücke vorliegt. Diese ist auch planwidrig, weil sie keiner bewussten Entscheidung des Gesetzgebers entspricht. Dass er im Zuge der Gesetzesänderungen zur elektronischen Aktenführung und zum elektronischen Rechtsverkehr insoweit – anders als für andere Konstellationen (vgl. etwa § 32a Abs. 6, § 32d Satz 3, 4 StPO; dazu BT-Drucks. 18/9416, S. 47 f., 51) – keine Sonderregelung getroffen hat, lässt sich sowohl nach der Gesetzessystematik als auch nach den Gesetzesmaterialien nicht als bewusste, eine planwidrige Regelungslücke ausschließende Entscheidung verstehen (BGH, Beschluss vom 15. Mai 2024 – 3 StR 450/23, NJW 2024, 2340). Konnte das Gericht von der Revisionseinlegung keine Kenntnis haben und daher die Voraussetzungen für ein abgekürztes Urteil als gegeben erachten, liegt eine vergleichbare Sachlage vor, wie sie der Gesetzgeber mit § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO geregelt hat. In solchen Fällen besteht die Möglichkeit der Ergänzung, um zu verhindern, dass ein Urteil nur deshalb aufgehoben wird, „weil die zur Nachprüfung durch das Revisionsgericht erforderlichen Feststellungen fehlen, deren Angabe das Gericht bei der Urteilsabsetzung für entbehrlich halten durfte“ (vgl. BT-Drucks. 7/551, S. 82; BGH aaO). Die der Prozessökonomie dienende Möglichkeit der Urteilsabkürzung nach § 267 Abs. 4 Satz 1 StPO wäre zudem faktisch erheblich eingeschränkt, wenn die Gerichte erwarten müssten, abgekürzte Urteilsgründe im Falle eines ihnen nicht bekannten Rechtsmittels nicht mehr ergänzen zu können, und daher vorsorglich davon keinen Gebrauch machen (vgl. BGH aaO).

Allerdings ist eine entsprechende Anwendung wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift auf eng umgrenzte Sachverhalte zu beschränken, in denen das für die Urteilsabfassung zuständige Gericht von der Rechtsmitteleinlegung weder Kenntnis hatte noch nach den konkreten Umständen hätte haben müssen (BGH aaO; vgl. auch KG, Beschluss vom 15. September 2022 – 121 Ss 118/22, StraFo 2022, 471). Abzustellen ist dabei auf die Mitglieder des erkennenden Gerichts, die das Urteil abzufassen haben, denn an sie richtet sich § 267 StPO (vgl. auch Peglau jurisPR-StrafR 15/2024 Anm. 3).

bb) Die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung von § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO liegen nach diesen Maßstäben vor. Ein Verschulden der für die Urteilsabsetzung zuständigen Mitglieder der erkennenden Strafkammer an ihrer Unkenntnis von der Revisionseinlegung ist nicht ersichtlich. Ihnen war die Revisionseinlegung nicht vorgelegt worden und sie hatten – soweit ersichtlich – auch sonst keine Kenntnis von diesem Umstand. Zwar lag kein „technischer“ Fehler vor (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15. Mai 2024 – 3 StR 450/23, NJW 2024, 2340), sondern – wie die Revision zutreffend vorträgt – eine Fehlbedienung. Allerdings waren die Kammermitglieder hierfür nicht verantwortlich. Der Fall gleicht damit denjenigen bereits vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen, in denen eine Revisionseinlegung zwar wirksam bei der Poststelle des Gerichts eingegangen war (vergleichbar dem Eingang im elektronischen Postfach), dies aber – ohne dass ein technischer Fehler vorlag – den für die Urteilsabsetzung zuständigen Mitgliedern der erkennenden Strafkammer aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen unbekannt blieb (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2024 – 6 StR 18/23: Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft geht zwar auf der Poststelle ein, gelangt aber nicht zu den Akten; vom 4. Oktober 2017 – 3 StR 397/17: Revision des Angeklagten geht rechtzeitig per Fax ein, gelangt nicht zu den Akten, sondern wird später in einem Lastenaufzug gefunden; vom 20. Dezember 2011 – 2 StR 405/11, NStZ-RR 2012, 118: die Revision wird rechtzeitig eingelegt, kann aber im Geschäftsgang verloren gegangen sein, zu den Akten gelangt sie nicht; ebenso Peglau jurisPR-StrafR 15/2024 Anm. 3).

c) Weil das in zulässiger Weise entsprechend § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO ergänzte Urteil innerhalb der am 27. August 2024 mit Akteneingang neu beginnenden Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO vollständig auf die Geschäftsstelle gelangt ist, liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO nicht vor.“

Beweis I: Überspannte Konkretisierung der Straftaten, oder: Individualisierung von Missbrauchshandlungen

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Heute zum Wocheanfang zwei BGH-Entscheidungen, die sich mit Beweisfragen befassen.

Ich kommen zunächst noch einmal auf das BGH, Urt. 15.01.2025 – 2 StR 341/24 – zurück, das ich bereits einmal vorgestellt habe (siehe TOA: „Opferausgleich“ durch kommunikaten Prozess – Konkrete Feststellungen in den Urteilsgründen?). Das LG hatte den Angeklagten von einem Teil der gegen ihn erhobenen Missbrauchsvorwürfe frei gesprochen. Die dagegen gerichtete Revision der Staatsanwaltsschaft hatte ERfolg:

„3. Auch der Teilfreispruch unterfällt der Aufhebung. Dabei kann offenbleiben, ob die Urteilsgründe in formeller Hinsicht noch den Darstellungserfordernissen an ein freisprechendes Urteil genügen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 4 StR 248/16, Rn. 9 mwN). Denn die Strafkammer hat ihrer Beweiswürdigung überspannte Anforderungen an die Individualisierung einzelner in Serie begangener sexueller Missbrauchshandlungen gegenüber Kindern zugrunde gelegt; ihre Beweiswürdigung bleibt vor diesem Hintergrund lückenhaft.

a) Zur Vermeidung unvertretbarer Strafbarkeitslücken dürfen in derartigen Fällen an die Individualisierung der einzelnen Taten keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden, da eine Konkretisierung der jeweiligen Straftaten nach genauer Tatzeit und exaktem Geschehensablauf oft nicht möglich ist. Das Tatgericht muss sich allerdings in objektiv nachvollziehbarer Weise die Überzeugung verschaffen, dass es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist. Entscheidend ist aber nicht, dass eine – möglicherweise auf nicht völlig sicherer Grundlage hochgerechnete – Gesamtzahl festgestellt wird, sondern dass das Gericht von jeder einzelnen individuellen Straftat, die es aburteilt, überzeugt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 1996 – 3 StR 518/95, BGHSt 42, 107, 109 f.). Ist eine Individualisierung einzelner Taten mangels Besonderheiten im Tatbild oder der Tatumstände nicht möglich, sind zumindest die Anknüpfungspunkte zu bezeichnen, anhand derer das Tatgericht den Tatzeitraum eingrenzt und auf die sich seine Überzeugung von der Mindestzahl und der Begehungsweise der Missbrauchstaten eines Angeklagten in diesem Zeitraum gründet (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2001 – 3 StR 166/01, StV 2002, 523 mwN). Dabei sind grundsätzlich bei Verurteilungen, die den sexuellen Missbrauch von Geschädigten über 14 Jahren betreffen, an die Konkretisierung einzelner Handlungsabläufe größere Anforderungen zu stellen als bei Tatserien zu Lasten von Kindern (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 1996 – 3 StR 518/95, BGHSt 42, 107, 110).

Die entsprechende Überzeugungsbildung ist eine Frage der Beweiswürdigung. Das Tatgericht hat sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist oder mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht. Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 375/08, Rn. 13 mwN).

b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Nach der dargestellten Aussage der Geschädigten im Ermittlungsverfahren, die die Strafkammer als uneingeschränkt glaubhaft bewertet hat, schilderte diese nicht nur als Grundlage der Verurteilung im Fall II.3 der Urteilgründe, dass der Angeklagte sie in ein Gebüsch in der Nähe einer näher bezeichneten Straßenbahnstation gebracht und veranlasst habe, ihr T-Shirt erstmals auszuziehen, und sie dann am Hals geküsst habe, sondern darüber hinaus, dass sich dieser Vorgang mehrfach wiederholt habe. Sie hätten „das Gleiche die ganze Zeit“ gemacht. Weshalb die Strafkammer sich angesichts dieser aus ihrer Sicht glaubhaften Darstellung nicht in der Lage sah, im Wege der Mindestfeststellung einen zweiten Missbrauchsfall der beschriebenen Art festzustellen, erschließt sich anhand der Urteilsgründe nicht. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte zumindest in pauschaler Form auch in diesem Fall geständig war.“

StPO II: Verurteilung aufgrund einer DNA-Misch-Spur, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

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Und im zweiten Posting dann der BGH, Beschl. v. 04.12.2024 – 2 StR 491/24, der sich noch einmal zu den Urteilsgründen in den „DNA-Fällen“ verhält.

Das LG hat den Angeklagten wegen schweren Wohnungseinbruchdiebstahls in sechs Fällen verurteilt. Dagegen die Revision, die teilweise erfolg hatte:

„1. Der Schuldspruch hält in den Fällen II.1, II.2, II.4 und II.5 der Urteilsgründe rechtlicher Prüfung stand.

Zwar genügen die Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten aufgrund von DNA-Mischspuren aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift dargestellten Gründen lediglich im Fall II.2 der Urteilsgründe aufgrund der dort aufgefundenen Hauptkomponente den Darstellungsanforderungen der Rechtsprechung für die Ergebnisse molekulargenetischer Gutachten. Danach ist bei DNA-Mischspuren grundsätzlich darzulegen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellten Merkmalskombinationen bei einer anderen Person zu erwarten ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Februar 2024 – 4 StR 353/23, Rn. 5). Lediglich in Fällen, in denen Mischspuren eine eindeutige Hauptkomponente aufweisen, gelten für die Darstellung der DNA-Vergleichsuntersuchung die für Einzelspuren entwickelten Grundsätze (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 – 6 StR 60/21, NStZ-RR 2021, 292; BGH, Beschlüsse vom 29. Juli 2020 – 6 StR 183/20, BGHR StPO § 261 Sachverständiger 16, und vom 12. August 2021 – 2 StR 325/20, StV 2020, 349 f.).

Der Senat kann jedoch ausschließen, dass das Urteil in den Fällen II.1, II.4 und II.5 der Urteilsgründe auf diesem Rechtsfehler beruht. Denn der Angeklagte hat seine Täterschaft bei diesen drei Taten aufgrund konkreter Erinnerungen an die Einbrüche dezidiert zugestanden.

2. Hingegen haben die Verurteilungen in den Fällen II.3 und II.6 der Urteilsgründe keinen Bestand. Das Landgericht hat sich in beiden Fällen maßgeblich aufgrund einer DNA-Mischspur, die mit einer Trefferwahrscheinlichkeit von 1:28 Milliarden (Fall II.3 der Urteilsgründe) bzw. 1:38 Millionen (Fall II.6 der Urteilsgründe) auf den Angeklagten als Täter hinwiesen, von dessen Täterschaft überzeugt. Angaben zu der untersuchten Zahl der Systeme und inwieweit sich Übereinstimmungen zwischen der DNA-Mischspur und dem DNA-Profil des Angeklagten ergeben haben, enthalten die Urteilsgründe hingegen nicht. Der Senat kann in diesen beiden Fällen angesichts der begrenzten Aussagekraft des lediglich pauschalen Geständnisses des Angeklagten, der keine konkrete Erinnerung an diese beiden Taten hatte, nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II.3 und II.6 der Urteilsgründe entzieht den in diesen beiden Fällen verhängten Einzelstrafen sowie der Einziehungsentscheidung im Fall II.6 der Urteilsgründe die Grundlage.“

StGB II: Gemeinschaftliche schwere Körperverletzung, oder: Zurechnung der schweren Folge

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Und dann habe ich als zweite Entscheidung den BGH, Beschl. v. 19.03.2025 – 6 StR 585/24.  Das LG hat den Angeklagten L. wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, die es zur Bewährung ausgesetzt hat. Den nicht revidierenden Mitangeklagten W. hat es ebenfalls wegen dieser gemeinschaftlich begangenen Tat  verurteilt. Das auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten L.  hatte mit der Sachrüge teilweise Erfolg:

„1. Nach den Feststellungen verbrachten die beiden Angeklagten sowie der Mitangeklagte A. den Abend des 26.09.2023 gemeinsam in einer Bar. Als sie diese nach Mitternacht verließen, setzte sich der aggressiv gestimmte Angeklagte A. an den Straßenrand und schrie laut herum. Der 49-jährige alkoholisierte spätere Geschädigte, der sich auf dem Heimweg befand, blieb bei der Gruppe stehen und erkundigte sich nach A. Befinden. Der Angeklagte W., der sich über die Einmischung ärgerte, forderte den Geschädigten vergeblich zum Weitergehen auf und begann nach einer verbalen Auseinandersetzung, diesen zu stoßen. Der Geschädigte wehrte sich, woraufhin sich der Angeklagte A. an der Auseinandersetzung beteiligte. Beide forderten den Nebenkläger zunächst lautstark auf, sich zu entfernen, schlugen schließlich mehrfach auf ihn ein und trafen ihn im Gesicht. Zudem versetzte der Angeklagte W. dem Kopf des Geschädigten einen massiven Fußtritt, worauf der Geschädigte das Bewusstsein verlor und zu Boden fiel. Nunmehr trat der Angeklagte L. dem Nebenkläger mit seinem beschuhten Fuß so kräftig auf den Hals, dass das Sohlenprofil sichtbar blieb. Nach weiteren Tritten des Angeklagten A.      forderte der Angeklagte W. die Mitangeklagten zum Gehen auf. Sie ließen daher von dem Geschädigten ab. Nachdem sie sich zwei „Häuserlängen“ vom Nebenkläger entfernt hatten, kehrte der Angeklagte A. allein zu dem Geschädigten zurück. Der Angeklagte W. hatte zuvor vergeblich versucht, ihn davon abzuhalten. Dort angelangt schlug und trat A. vielfach auf den Kopf des Nebenklägers ein, der hierdurch stark blutende Verletzungen erlitt; dabei nahm er den Tod des Geschädigten in Kauf. Die Angeklagten L. und W. nahmen jedenfalls billigend in Kauf, dass der Nebenkläger lebensgefährdende Verletzungen erlitt.

Der Nebenkläger befand sich über sieben Monate in stationärer Behandlung. Er erlitt eine lebensbedrohliche Lungenkontusion sowie eine Hirnblutung, die zu schweren neurologischen Ausfällen führte. Zunächst konnte er nicht mehr sprechen, dauerhaft ist er halbseitig gelähmt. Zudem ist seine Atmung durch Verwachsungen im Nasenbereich sehr eingeschränkt. Der Nebenkläger ist zeitlebens auf Hilfe angewiesen. Wegstrecken von mehr als einem Kilometer kann er nur im Rollstuhl zurücklegen.

Die Strafkammer hat die Tat zu Lasten aller Angeklagten als schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB gewertet, für den Angeklagten A. daneben tateinheitlich als versuchten Totschlag (§ 212 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB).

2. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Jedoch hält der Schuldspruch wegen schwerer Körperverletzung revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen ergeben nicht zweifelsfrei, dass dem Angeklagten L.  die schwere Folge im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB zuzurechnen ist.

a) Bei einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung setzt die Strafbarkeit eines Mittäters wegen schwerer Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGB nicht voraus, dass er selbst die unmittelbar zur schweren Folge führende Verletzungshandlung ausführt. Es reicht vielmehr aus, dass er aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft einen Beitrag zum Verletzungsgeschehen geleistet hat. Dabei ist im Grundsatz weiter erforderlich, dass die Handlung des anderen im Rahmen des gegenseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses liegt und dem Täter hinsichtlich des Erfolgs Fahrlässigkeit zur Last fällt (st. Rspr. zu § 227 StGB; vgl. BGH, Urteil vom 7. August 2024 ‒ 1 StR 430/23, Rn. 10; Beschluss vom 7. Juli 2021 – 4 StR 141/21, Rn. 6; vom 14. Mai 2020 – 1 StR 109/20, Rn. 4; vom 5. September 2012 – 2 StR 242/12, NStZ 2013, 280, 281).

Ist die schwere Folge durch einen über das gemeinsame Wollen hinausgehenden und deshalb als Exzesshandlung zu qualifizierenden Gewaltakt verursacht worden, kommt eine Zurechnung des qualifizierenden Erfolges nur in Betracht, wenn den gemeinschaftlich verübten Gewalthandlungen, die der ursächlichen Exzesshandlung vorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr einer schweren Folge im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB anhaftet. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Tatopfer schon dadurch in eine Lage gerät, in der es weiteren Angriffen keine wirksame Gegenwehr mehr entgegenzubringen vermag und nachfolgenden Einwirkungen der übrigen Beteiligten, die für den Täter vorhersehbar die schwere Folge verursacht haben, schutzlos ausgeliefert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – 1 StR 109/20, Rn. 5).

b) Eine diesen Anforderungen entsprechende Zurechnung der schweren Folge ist den bisherigen Feststellungen nicht zweifelsfrei zu entnehmen.

Das Landgericht vermochte nicht festzustellen, welche Verletzungshandlungen die schweren Verletzungsfolgen verursacht haben. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass die schweren Folgen erst durch die vielfachen Schläge und Tritte des Angeklagten A. verursacht worden sind, die dieser dem Tatopfer nach seiner Rückkehr an den Tatort versetzt hatte. Eine Zurechnung dieser Tathandlungen nach § 25 Abs. 2 StGB liegt im Hinblick auf einen naheliegenden Exzess des Mittäters nicht auf der Hand. Das Urteil verhält sich – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift hingewiesen hat – auch nicht zweifelsfrei dazu, dass bereits den gemeinsam verübten Gewalthandlungen die spezifische Gefahr einer schweren Folge im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB anhaftete.

3. Dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils. Sie ist auf den Mitangeklagten W.  zu erstrecken, weil auch dessen Schuldspruch auf dem aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangel beruht (§ 357 StPO). Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können daher bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

4. Sollte das neue Tatgericht wiederum eine Verurteilung nach § 226 Abs. 1 StGB erwägen, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass eine tateinheitliche Verurteilung mit einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 StGB in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Mai 2023 – 3 StR 65/23; vom 9. Februar 2021 – 3 StR 382/20; vom 26. November 2013 – 3 StR 301/13; vom 21. Oktober 2008 – 3 StR 408/08, BGHSt 53, 23, 24).“

StGB I: Verurteilung wegen Verstoßes gegen das GwG, oder: Verstoß gegen gerichtlich bestätigten Vergleich

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Und dann 3 x der BGH zum StGB.

Zunächst kommt noch einmal der BGH, Beschl. v. 09.01.2025 – 3 StR 340/24 – zum Gewaltschutzgesetz, und zwar zu den Anforderungen an die Urteilsfeststellungen.

Wegen des etwas verwickelten Sachverhalts und den landgerichtlichen Feststellungen verweise ich auf den Volltext. Der BGH führt dann weiter aus:

„3. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 7., 11., 12., 15., 16. und 17. der Urteilsgründe erweist sich demgegenüber als durchgreifend rechtlich defizitär. Denn die Strafkammer hat den Angeklagten in diesen Fällen wegen eines Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG verurteilt, also wegen einer Zuwiderhandlung gegen einen im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens geschlossenen Vergleich, dabei in den Fällen II. 7., 12. und 17. der Urteilsgründe in Tateinheit mit anderen Straftaten nach dem Strafgesetzbuch. Die (alleinige beziehungsweise tateinheitliche) Verurteilung nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG ist jedoch rechtsfehlerhaft.

a) Nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG macht sich strafbar, wer einer bestimmten vollstreckbaren Verpflichtung aus einem Vergleich zuwiderhandelt, soweit der Vergleich nach § 214a Satz 1 FamFG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 GewSchG, jeweils auch in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Satz 1 GewSchG, familiengerichtlich bestätigt worden ist. Diese Strafbarkeit eines Verstoßes gegen einen gerichtlich bestätigten Vergleich ist mit Wirkung zum 10. März 2017 geschaffen worden (vgl. BGBl. 2017 I, S. 386 und BT-Drucks. 18/9946; überholt daher OLG München, Beschluss vom 11. März 2008 – 4 St RR 18/08, juris), mithin vor den hiesigen Taten.

b) Zwar hat die Strafkammer festgestellt, dass N.     , R.       und A.      , die Geschädigten in den hier relevanten Fällen, in Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz jeweils mit dem Angeklagten einen Vergleich im Sinne des § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG schlossen, der Regelungen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 GewSchG enthielt, gegen die der Angeklagte in den hier zu beurteilenden Taten verstieß. Auch teilen die Urteilsgründe pauschal mit, dass die Vergleiche gerichtlich bestätigt wurden.

Gleichwohl sind die Urteilsgründe in Bezug auf eine Verurteilung des Angeklagten nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG durchgreifend lückenhaft, und zwar aus mehreren Gründen:

aa) Den Urteilsfeststellungen lässt sich nicht entnehmen, wann das Familiengericht die Vergleiche gemäß § 214a Satz 1 FamFG bestätigte. Weil § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG erfordert, dass es sich bei dem betreffenden Vergleich um einen gerichtlich bestätigten handelt, ist Voraussetzung für eine Strafbarkeit, dass der Vergleich vor der Tat bestätigt wurde. Auch wenn typischerweise die gerichtliche Bestätigung einer im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens geschlossenen Vereinbarung dem Vergleichsschluss ohne größeren zeitlichen Abstand nachfolgt, kann anhand der Urteilsgründe nicht beurteilt werden, ob beziehungsweise inwieweit die Bestätigung vor den relevanten Tathandlungen des Angeklagten vorgenommen wurde.

bb) Zudem hätte die Strafkammer eine eigenständige Prüfung dahin vornehmen und in den Urteilsgründen darlegen müssen, ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine familiengerichtliche Bestätigung der Vergleiche gemäß § 214a Satz 1 FamFG vorlagen. Insofern gilt:

(1) Für die Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen eine gerichtliche Gewaltschutzanordnung nach § 4 Satz 1 Nr. 1 GewSchG ist anerkannt, dass das Tatgericht selbst zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 1 GewSchG gegeben waren, die Anordnung also rechtmäßig war. Die Annahme einer rechtswidrigen Tat nach § 4 Satz 1 Nr. 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GewSchG setzt voraus, dass das Strafgericht selbst die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt, ohne an die Entscheidung des Familiengerichts gebunden zu sein (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2024 – 6 StR 158/24, NStZ-RR 2024, 357 f.; vom 21. März 2023 – 6 StR 19/23, StV 2024, 124 Rn. 5; vom 15. März 2017 – 2 StR 270/16, juris Rn. 26; vom 28. November 2013 – 3 StR 40/13, BGHSt 59, 64 Rn. 10 ff.; KG, Beschluss vom 18. November 2021 – (2) 121 Ss 134/21 (27/21), StV 2023, 545, 546; OLG Brandenburg, Beschluss vom 22. März 2023 – 1 ORs 6/23, juris Rn. 3 ff.).

(2) Diese Anforderungen gelten in Bezug auf eine Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG wegen Verstoßes gegen einen familiengerichtlich bestätigten Vergleich, der in einem Verfahren in einer Gewaltschutzsache geschlossen wurde, entsprechend (so auch MüKoBGB/Duden, 9. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 4; Erbs/Kohlhaas/Häberle, 254. EL., § 4 GewSchG Rn. 7).

Eine Verurteilung nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG wegen Verstoßes gegen einen nach § 214a Satz 1 FamFG gerichtlich bestätigten Vergleich setzt voraus, dass das erkennende Gericht im Strafverfahren eigenständig und unabhängig von der vorangegangenen Beurteilung durch das Familiengericht die materielle Rechtmäßigkeit des Bestätigungsbeschlusses geprüft und bejaht hat. Diese Prüfung und ihr Ergebnis muss es in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen.

Das erkennende Strafgericht hat mithin – nicht anders als das Familiengericht im Bestätigungsverfahren nach § 214a Satz 1 FamFG – zu prüfen, ob die (im Strafverfahren relevanten) Regelungen des Vergleichs im konkreten Fall als gerichtliche Maßnahmen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 GewSchG, gegebenenfalls in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Satz 1 GewSchG, hätten angeordnet werden können, also die rechtlichen Voraussetzungen für eine familiengerichtliche Anordnung der vergleichsweise übernommenen Verhaltenspflichten zum Zeitpunkt der gerichtlichen Bestätigung nach § 214a Satz 1 FamFG vorlagen.

Denn die Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG soll nach dem Willen des Gesetzgebers im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG in ihrer Reichweite nicht allein abhängig sein von einer Parteivereinbarung, sondern nur begründet werden können durch Zuwiderhandlungen gegen solche vergleichsweise vereinbarten Verhaltenspflichten, die im konkreten Fall alternativ dem Täter auch durch eine familiengerichtliche Gewaltschutzanordnung hätten auferlegt werden können (vgl. BT-Drucks. 18/9946, S. 15).

Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers soll die Begrenzung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zudem nicht nur dadurch gewährleistet werden, dass es für eine Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG in formeller Hinsicht einer familiengerichtlichen Vergleichsbestätigung nach § 214a Satz 1 FamFG bedarf, sondern auch dadurch, dass die Strafbarkeit unmittelbar abhängig ist vom Vorliegen der materiellrechtlichen Voraussetzungen für eine Vergleichsbestätigung. Beides ist daher vom erkennenden Gericht im Strafverfahren zu prüfen. In der Gesetzesbegründung zu § 4 Satz 1 Nr. 2 GewSchG heißt es insofern: „Dabei ist ein weitgehender Gleichlauf zum Fall der Verletzung einer gerichtlichen Gewaltschutzanordnung vorgesehen. So hat das Strafgericht auch bei Verletzung einer vom Täter in einem Vergleich übernommenen Verpflichtung zugleich zu überprüfen, ob die gerichtliche Bestätigung (…) zu Recht erteilt worden ist. Stellt sich im Strafverfahren heraus, dass die Bestätigung nicht hätte erteilt werden dürfen, weil die Verpflichtung nicht nach § 1 GewSchG hätte angeordnet werden können (beispielsweise, weil der Täter die zugrunde gelegte Tat nicht begangen hat), ist auch hier wie beim bisherigen § 4 Satz 1 GewSchG der Straftatbestand nicht erfüllt“ (BT-Drucks. 18/9946, S. 16).

(3) Die nach dem Vorstehenden gebotene Prüfung hat das Landgericht rechtsfehlerhaft unterlassen. Da sich die Urteilsgründe dementsprechend nicht dazu verhalten, ob zum Zeitpunkt der familiengerichtlichen Vergleichsbestätigungen die Voraussetzungen für eine gerichtliche Anordnung der vereinbarten Verhaltensgebote nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 2 Satz 1 GewSchG gegeben waren, kann diese Rechtsprüfung auch nicht durch das Revisionsgericht auf der Basis der Urteilsgründe nachgeholt werden.

cc) Schließlich lässt das Urteil nicht erkennen, ob die in Frage stehenden Verpflichtungen aus den Vergleichen vollstreckbar waren, wie es § 4 Satz 1 GewSchG für eine Strafbarkeit verlangt, und die nach § 214a Satz 1 FamFG ergangenen Beschlüsse wirksam waren. Vollstreckbarkeitsvoraussetzung für einen Vergleich ist dessen Zustellung an den Verpflichteten; insofern gilt § 87 Abs. 2 FamFG entsprechend (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. Mai 2024 – 13 WF 72/24, NJ 2024, 316, 317; OLG Hamburg, Beschluss vom 8. Februar 2019 – 2 WF 19/19, NZFam 2019, 730, 731 f.; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 63. Ed., § 4 GewSchG Rn. 53, 69; anderer Ansicht MüKoBGB/Duden, 9. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 5; BeckOGK/Schulte-Bunert, Stand 1. Oktober 2024, § 4 GewSchG Rn. 7). Wirksamkeitsvoraussetzung für einen familiengerichtlichen Bestätigungsbeschluss nach § 214a Satz 1 FamFG ist gemäß § 40 Abs. 1 FamFG dessen Bekanntgabe an die betreffende Person. Auch diese weiteren Strafbarkeitsvoraussetzungen sind vom erkennenden Gericht im Strafverfahren zu prüfen und in den Urteilsgründen darzulegen.

c) Das Urteil ist daher (auch) in den Fällen II. 7., 11., 12., 15., 16. und 17. der Urteilsgründe aufzuheben; insofern bedarf die Sache der neuen Verhandlung und Entscheidung. Jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten, weil sie von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Die bislang getroffenen Feststellungen sind lediglich nicht ausreichend; sie können und müssen daher um weitere neue Feststellungen ergänzt werden, soweit diese den bisherigen nicht widerstreiten.“