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VerkehrsR II: Dauerbrenner relative Fahruntüchtigkeit, oder: Weitere Anzeichen für Alkoholisierung?

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Im zweiten Posting dann noch einmal der BGH, und zwar mit dem BGH, Beschl. v. 26.02.2025 – 4 StR 526/24 – zu den Feststellungen bei einer Trunkenheitsfahrt, auch ein Dauerbrenner.

Das LG hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger „Straßenverkehrsgefährdung“ sowie wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und mit „vorsätzlicher“ Trunkenheit im Verkehr verurteilt. Nach den Feststellungen des LG befuhr der Angeklagte, der am Abend Alkohol getrunken und höchstens zwei Tage zuvor Marihuana konsumiert hatte, mit seinem Pkw nachts eine Landstraße. Er wies eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,72 ‰ und höchstens 1,35 ‰ auf; außerdem enthielt sein Blut mindestens 1,6 ng/ml THC. Der Angeklagte wollte eine Freundin aufsuchen, mit der es nach seiner Erwartung erstmals zum Geschlechtsverkehr kommen sollte. In einer Rechtskurve, in der die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt war, geriet der Angeklagte infolge alkoholbedingt zu hoher Geschwindigkeit von etwas mehr als 80 km/h mit seinem Fahrzeug driftend auf die Gegenfahrbahn und dieses kollidierte mit einem Fußgänger. Der Geschädigte wurde durch den Unfall getötet. Der Angeklagte, der den Zusammenstoß mit einem Menschen bemerkt hatte, setzte anschließend seine Fahrt fort, wobei er billigend in Kauf nahm, dass der Geschädigte noch lebte und bei sofortigen Rettungsmaßnahmen überleben, ohne diese aber versterben könnte. Er entfernte sich, um seine Beteiligung an dem Unfall – in intoxikiertem Zustand – zu verdecken.

Der BGH hat aufgehoben und zurückverwiesen:

„2. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die vom Landgericht in beiden Fällen – als Tatbestandsmerkmal des § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB im Fall 1 und des § 316 Abs. 1 StGB im Fall 2 der Urteilsgründe – festgestellte alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit des Angeklagten ist nicht belegt.

aa) Relative Fahruntüchtigkeit ist gegeben, wenn die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit zwar – wie hier – unterhalb des Grenzwertes der absoluten Fahruntüchtigkeit liegt, aber aufgrund zusätzlicher Tatsachen der Nachweis alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit geführt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2021 – 4 StR 366/20 Rn. 10; Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82, BGHSt 31, 42 mwN). Erforderlich sind mithin weitere aussagekräftige Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers infolge seiner Alkoholisierung so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, zu steuern. Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82, BGHSt 31, 42; zu drogenbedingter Fahruntüchtigkeit auch Beschlüsse vom 11. April 2023 – 4 StR 80/23 Rn. 22; vom 2. August 2022 – 4 StR 231/22 Rn. 8 ff.).

bb) Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht. Es hat lediglich knapp ausgeführt, die unfallursächliche Geschwindigkeitsüberschreitung sei als alkoholbedingter Fahrfehler zu werten, weil „andere Gründe für die angesichts der Dunkelheit und der fehlenden Streckenkenntnis des Angeklagten deutlich überhöhte Geschwindigkeit nicht ersichtlich“ seien und deshalb eine alkoholbedingte Überschätzung der eigenen Fähigkeiten durch den Angeklagten naheliege.

(1) Mit dieser Erwägung ist eine Fahruntüchtigkeit im Sinne der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 a), 316 StGB schon deshalb nicht belegt, weil das Landgericht mit ihr der Sache nach nur seine Überzeugung davon begründet, dass das Fahrverhalten des Angeklagten durch die Auswirkungen des genossenen Alkohols beeinflusst war, jedoch nicht jegliche Mitursächlichkeit einer Alkoholintoxikation für einen Fahrfehler ohne weiteres mit einer Fahruntüchtigkeit im Sinne der genannten Straftatbestände gleichzusetzen ist. Die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte die eigenen Fähigkeiten alkoholbedingt überschätzt haben müsse, wäre namentlich auch mit einer bloßen Enthemmung des Angeklagten infolge des Alkoholkonsums vereinbar, die sein fahrerisches Leistungsvermögen noch nicht in einem für die Annahme der Fahruntüchtigkeit ausreichendem Maß beeinträchtigt haben muss (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 1994 – 4 StR 688/93, juris Rn. 4).

Dass der Angeklagte einen solchen Zustand erreicht hatte, liegt auch nicht ohne weiteres auf der Hand. Vielmehr deuten mehrere festgestellte Umstände auf eine erhaltene Fahrtüchtigkeit hin, die das Landgericht rechtsfehlerhaft unerörtert gelassen hat. So war die – nach dem Zweifelssatz zugrunde gelegte – Blutalkoholkonzentration des Angeklagten mit 0,72 ‰ noch deutlich von einem die Annahme absoluter Fahruntüchtigkeit rechtfertigenden Intoxikationsgrad entfernt und der hinzukommende Marihuanakonsum lag im Tatzeitpunkt bereits zwei Tage zurück. Die Polizeibeamten, die ca. eine Stunde nach dem Unfall mit dem Angeklagten befasst waren, haben keine alkoholtypischen Ausfallerscheinungen bei ihm bemerkt und der psychiatrische Sachverständige, dem die Kammer gefolgt ist, hat angenommen, dass eine „relevante Auswirkung des genossenen Alkohols“ auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auszuschließen sei, und dies mit dessen koordinativer Leistungsfähigkeit vor und nach dem Unfall begründet.

(2) Abgesehen von der somit unzureichenden Differenzierung des Landgerichts zwischen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit und unterhalb der Schwelle hierzu liegenden Alkoholauswirkungen leidet auch der Ausschluss anderer, intoxikationsunabhängiger Unfallursachen durch das Landgericht an durchgreifenden Darstellungs- und Erörterungsmängeln, weshalb der Senat auch ihn nicht in der gebotenen Weise nachzuvollziehen vermag. Es fehlt an Feststellungen zu dem üblichen sowie dem in der Tatnacht vor und nach der Kollision gezeigten Fahrverhalten des Angeklagten und einer Würdigung desselben. Eingedenk der Tatsache, dass zahlreiche nicht alkoholisierte Kraftfahrer vorgeschriebene Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht beachten und mit unangepasster Geschwindigkeit fahren (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 1994 – 4 StR 688/93, juris Rn. 4 mwN), sowie der Urteilsfeststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten, wonach er Alkohol nur gelegentlich konsumiert und ihm im Jahr 2022 (nach dem hier gegenständlichen Tatgeschehen) wegen zu schnellen Fahrens die Fahrerlaubnis entzogen wurde, wäre zu erörtern gewesen, ob er auch ohne einen seine Fahrfähigkeiten herabsetzenden Alkoholeinfluss zu Geschwindigkeitsverstößen neigte und welche Schlüsse hieraus gegebenenfalls auf die Tat gezogen werden können. Nicht ausreichend dargetan ist ferner, wie sich die Verkehrssituation dem nicht ortskundigen Angeklagten darstellte, insbesondere ob das die Geschwindigkeit begrenzende Verkehrszeichen gut sichtbar oder etwa leicht zu übersehen war und ob sich die Gefährlichkeit der (nach den Feststellungen nicht vollständig mit einer durchgezogenen Linie markierten) Kurve einem – alkoholisierten, aber noch fahrtüchtigen – Fahrer auch ohne Wahrnehmung des Zeichens erschlossen hätte.

b) Der dargelegte Rechtsfehler führt in beiden Fällen zur Aufhebung des Schuldspruchs, die sich auf die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen der weiteren, jeweils tateinheitlich zu der angenommenen Gefährdung des Straßenverkehrs bzw. Trunkenheit im Verkehr begangenen Delikte erstreckt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2024 – 4 StR 318/24 Rn. 6 mwN). Die von dem Rechtsfehler nicht betroffenen Feststellungen können hingegen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); hiervon ausgenommen sind allerdings die Urteilsfeststellungen zur Rauschmittelbeeinflussung des Angeklagten und ihren Auswirkungen auf sein Fahrleistungsvermögen sowie zu dem hierauf bezogenen Vorstellungsbild des Angeklagten. Der Senat hebt diese unter Einschluss derjenigen zum festgestellten Alkohol- und Marihuanakonsum vor der Tat, zu den Blutalkoholkonzentrations- und THC-Befunden und den zurückgerechneten Alkohol-Werten zur Tatzeit sowie zum Fehlen rauschmittelbedingter Ausfallerscheinungen nach der Tat auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

OWi III: Ausreichende Bezugnahme auf ein Lichtbild?, oder: Deutliche und zweifelsfreie Verweisung

Und dann komme ich noch einmal auf den BayObLG, Beschl. v. 17.02.2025 – 201 ObOWi 26/25 – zurück, den ich neulich schon einmal vorgestellt hatte.

Hier geht es heute um die Frage der ausreichenden Bezugnahme auf ein Lichtbild in Zusammenhang mit der Fahreridentifizierung. Das BayObLG sagt: Reicht hier aus:

„b) Der Tatrichter hat im Rahmen seiner Ausführungen zur Fahreridentifizierung in noch ausreichender Weise auf das sich bei den Akten befindliche Tatfoto Bezug genommen.

Es genügt, wenn der Tatrichter seinen Willen, im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf eine bei den Akten befindliche Abbildung zu verweisen, deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck bringt (BGH, Beschl. v. 19.12.1995 – 4 StR 170/95 bei juris = BGHSt 41, 376 = NJW 1996, 1420 =DAR 1996, 35 = NZV 1996, 157 = MDR 1996, 512 = StV 1996, 413 = VerkMitt 1996, Nr. 126, 89). Eine besondere Form schreibt die genannte Vorschrift für die Verweisung nicht vor. Weder ist es erforderlich die Norm des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO ausdrücklich zu nennen, noch den Gesetzeswortlaut zu wiederholen. Darüber, ob der Tatrichter deutlich und zweifelsfrei erklärt hat, er wolle eine Abbildung zum Bestandteil der Urteilsgründe machen, ist deshalb stets im Einzelfall unter Heranziehung seiner Darlegungen insgesamt zu entscheiden (BGH, Urt. v. 28.01.2016 – 3 StR 425/15 bei juris = NStZ-RR 2016, 178 = StraFo 2016, 155 = StV 2016, 778). Hier hat das Amtsgericht seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen aufgrund der Inaugenscheinnahme des Betroffenen in der Hauptverhandlung und dem Vergleich mit dem Tatfoto Bl. […] d.A. gewonnen, welches in Augenschein genommen wurde. Damit hat es in noch zureichender und wirksamer Weise, nämlich durch Nennung der Aktenfundstellen, zweifelsfrei erklärt, über die Beschreibung des Vorgangs der Beweiserhebung als solchen hinaus in der Sache auf das am genannten Ort befindliche Messfoto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug zu nehmen und dieses so zum Bestandteil der Urteilsgründe zu machen (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 06.02.2017 – 3 Ss OWi 156/17 bei juris).“

StGB I: Weisungsverstoß in der Führungsaufsicht, oder: Ausreichende Feststellung in den Urteilsgründen?

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Ich stelle heute dann mal wieder StGB-Entscheidungen vor. Alle drei stammen aus der Instanz.

Zunächst berichte ich über den OLG Köln, Beschl. v. 07.01.2025 – 1 ORs 226/24 – zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht. Das OLG hat auf die Sprungrevision des Angeklagten dessen Verurteilung durch das AG aufgehoben:

„2. Das Rechtsmittel hat (vorläufig) Erfolg; es führt gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils samt der Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Der Schuldspruch gem. § 145a StGB – welcher im Verurteilungsfalle richtig auf „Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwei Fällen“ lauten müsste – wird von den getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht (lediglich) folgendes festgestellt:

„Die Angeklagte steht gemäß Beschluss des Landgerichts Köln vom 30.10.2019 – 121 StVK 281/19 – seit dem 12.12.2019 unter Führungsaufsicht.

Durch Konkretisierungsbeschluss des Landgerichts Köln vom 13.03.2023 ist der Angeschuldigten aufgegeben worden, jeden ersten Montag eines Monats in der Sprechstunde in der Zeit von 14:30 Uhr bis 17:45 Uhr in der Führungsaufsichtsstelle persönlich vorzusprechen. In Kenntnis der Beschlüsse und trotz entsprechender Belehrung über die Konsequenzen etwaigen Verstöße erschien die Angeschuldigte in den Monaten April und Mai 2023 nicht in der Sprechstunde der Führungsaufsichtsstelle.

Wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht gem. § 145a S. 1 StGB wird bestraft, wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 68b Abs. 1 StGB bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind teilweise lückenhaft und belegen nicht, dass sich die Angeklagte im Sinne von § 145a StGB strafbar gemacht hat.

a) Die Vorschrift des § 145a StGB ist eine Blankettvorschrift, deren Tatbestand erst durch eine genaue Bestimmung der Führungsaufsichtsweisung ausgefüllt wird; erst hierdurch wird die Vereinbarkeit der Norm mit Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet. Voraussetzung ist daher, dass die Weisung rechtfehlerfrei ist (vgl. BGH NStZ 2020, 480). Hierfür muss die Weisung, gegen die die Täterin verstoßen hat, hinreichend bestimmt sein (vgl. nur: Fischer, StGB, 71. Aufl., § 145a Rn 6). Dies ist in den Urteilsgründen darzustellen. In Anbetracht des Gebots aus Art. 103 Abs. 2 GG und des Umstands, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen zulässt, muss sich zudem aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst ergeben, dass es sich bei der Weisung, auf deren Verletzung die Verurteilung gestützt werden soll, um eine solche gem. § 68b Abs. 1 StGB handelt, die nach § 145a S. 1 StGB strafbewehrt ist. Dafür ist zwar einerseits eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 68b Abs. 1 StGB nicht erforderlich, andererseits wird sie aber ohne weitere Erläuterung regelmäßig nicht ausreichen, um dem Verurteilten die notwendige Klarheit zu verschaffen (zu den vorgenannten Voraussetzungen insgesamt: BGH NStZ 2021, 733).

Dem genügt das Urteil des Amtsgerichts nicht. Die — nach den getroffenen Feststellungen — die Führungsaufsicht begründenden und die Weisungen näher ausformenden Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes Köln vom 30. Oktober 2019 und vom 3. März 2023 werden in den Urteilsgründen – anders, als es sich zumindest dringend empfiehlt (BGH NStZ-RR 2023, 369) – nur auszugsweise mitgeteilt. Während sich aus den Feststellungen insoweit zwar noch eine hinreichend bestimmte Weisung als solche erkennen lässt, kann jedoch nicht abschließend geprüft werden, ob in dem sie anordnenden Beschluss unmissverständlich klargestellt ist, dass der Verstoß gegen diese Weisung auch strafbewehrt ist. Soweit die Urteilsgründe die Beschlüsse wiedergeben, kann ihnen dies nicht entnommen werden, da lediglich festgestellt wird, dass die Angeklagte „über die Konsequenzen etwaige] Verstöße“ belehrt worden sei. Wann eine Belehrung wie konkret über welche Konsequenzen erfolgt sein soll, bleibt indes im Ungewissen. Die Feststellungen erfahren insoweit auch keine Ergänzung durch die Beweiswürdigung, in welcher „auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Beschluss des Landgerichts Bonn [gemeint ist wohl: Köln], BI. 3 ff. d.A.“ Bezug genommen wird. Um den Inhalt einer Urkunde zum Gegenstand der Urteilsgründe zu machen, bedarf es der Wiedergabe des Urkundeninhalts; die bloße Wiedergabe der Blattzahlen ist insoweit unbehelflich (MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 267 Rn. 264). Ein Verstoß gegen eine strafbewehrte Weisung nach § 68b Abs. 1 StGB kann durch die getroffenen Feststellungen mithin nicht belegt werden.

b) Zudem setzt § 145a StGB als konkretes Gefährdungsdelikt (Fischer, StGB, 71. Aufl., § 145a Rn. 22; BeckOK StGB/Heuchemer, 63. Ed., § 145a Rn. 1) voraus, dass durch den Weisungsverstoß eine Gefährdung des Maßregelzwecks eintritt; dies ist dann der Fall, wenn sich die Gefahr weiterer Straftaten erhöht oder die Aussicht ihrer Abwendung verschlechtert hat. Dazu bedarf es eines am Einzelfall orientierten Wahrscheinlichkeitsurteils, das neben dem sonstigen Verhalten der Angeklagten auch die konkrete spezialpräventive Zielsetzung der verletzten Weisung in den Blick nimmt (BGH NStZ-RR 2018, 309; BGH StV 2020, 22; OLG Naumburg StV 2020, 30).

Sowohl zu dem Zweck der Führungsaufsicht als auch zur Gefährdung desselben durch das — alleine festgestellte — zweimalige Fernbleiben der Angeklagten von Gesprächsterminen in der Führungsaufsichtsstelle, verhält sich das Urteil des Amtsgerichts überhaupt nicht, sodass die Feststellungen auch insoweit lückenhaft sind und eine Verurteilung nicht zu tragen vermögen.

c) Schließlich tragen die Feststellungen auch den subjektiven Tatbestand des § 145a S. 1 StGB nicht.

Nach § 15 StGB ist ein vorsätzliches Handeln erforderlich, wobei ein bedingter Vorsatz ausreicht. Die Täterin muss wissen, dass eine bestimmte Weisung gegen sie ergangen ist; dass sie im Augenblick der Tat an die Weisung denkt, ist nicht notwendig. Das Vorsatzerfordernis erstreckt sich auch darauf, dass der Weisungsverstoß den Zweck der Maßregel gefährdet. Die Täterin muss also wissen und zumindest billigend in Kauf nehmen, dass sie durch ihren Weisungsverstoß wieder in die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten geraten könnte. Ein bedingter Vorsatz ist auch dann möglich, wenn die Täterin hofft, jener Versuchung widerstehen zu können. Jedoch können die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen dann fehlen, wenn die Täterin aus einer besonderen, nachvollziehbaren Situation heraus der Weisung keine Folge leistet. Es kommt insbesondere in Betracht, dass der bewusste Weisungsverstoß aus anerkennenswerten Motiven — wenn schon nicht mit einer Rechtfertigung, z.B. bei der Nothilfe — erfolgt und damit einhergeht, dass die Täterin die Gefährdung des Maßregelzwecks nicht billigend in Kauf nimmt (MüKoStGB/Groß/Anstötz, 4. Aufl., § 145a Rn. 18).

Auch hierzu fehlen Feststellungen in dem angegriffenen Urteil. Insbesondere nach der im Urteil wiedergegebenen Einlassung der Angeklagten, nach der sie aufgrund ihrer COPD-Erkrankung häufig Angstzustände habe und nicht vor die Tür gehen könne (S. 2, 7 des Urteils), hätte sich hier eine Auseinandersetzung mit der Frage aufgedrängt, ob vorliegend auch ein nicht strafbarer fahrlässiger Verstoß gegen die erteilte Weisung oder eine vorsätzliche Terminsversäumnis, allerdings ohne Inkaufnahme einer – ebenfalls bislang nicht festgestellten (s.o.) – Maßregelgefährdung in Betracht kommt.“

KiPo I: Sichverschaffen jugendpornografischer Inhalte, oder: „aufreizend geschlechtsbetonte Körperhaltung“

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Heute stelle ich drei Entscheidungen zu „Kipo-Verfahren“ vor.

Ich starte mit dem BGH, Urt. v. 20.11.2024 – 2 StR 170/24. Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Unternehmens des Sichverschaffens jugendpornographischer Inhalte verurteilt.

Dazu hatte das LG folgende Feststellungen getroffen:

„Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Mai 2022 forderte der Angeklagte eine andere, ebenfalls etwa 15 Jahre alte Geschädigte in Kenntnis ihres jugendlichen Alters zur Übersendung von Nacktaufnahmen auf. Dieser Aufforderung kam die Geschädigte nach und übersandte eine Videodatei, in welcher ihre unbekleideten Brüste im Fokus der Kamera stehen. Der Angeklagte speicherte sich dieses Video ab (Fall II.11 der Urteilsgründe).“

Auf die Revision des Angeklagten hat der BGh insoweit aufgehoben und frei gesprochen:

„a) Die hinsichtlich Fall II.11 der Urteilsgründe erfolgte Verurteilung wegen Unternehmens des Sichverschaffens jugendpornographischer Inhalte gemäß § 184c Abs. 3 StGB wird von den Feststellungen nicht getragen; denn diese ergeben nicht, dass die Handlung des Angeklagten sich auf einen jugendpornographischen Inhalt bezog.

aa) Nach § 184c Abs. 3 StGB macht sich strafbar, wer es unternimmt, einen jugendpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen, oder wer einen solchen Inhalt besitzt. Ein jugendpornographischer Inhalt liegt vor, wenn er sexuelle Handlungen von, an oder vor einer jugendlichen Person, die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten jugendlichen Person in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes einer jugendlichen Person zum Gegenstand hat. Die Aufnahme des nur unbekleideten Körpers der Person erfüllt für sich diese Voraussetzungen noch nicht (BGH, Beschluss vom 21. November 2023 – 4 StR 72/23, u.a. Rn. 12; vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 342/14, BGHR StGB § 184b Abs. 1 Kinderpornographische Schrift 1 Rn. 5).

bb) Daran gemessen tragen die Feststellungen in Fall II.11 der Urteilsgründe die Annahme nicht, die Handlung des Angeklagten habe sich auf einen jugendpornographischen Inhalt bezogen. Denn den Feststellungen lässt sich nicht entnehmen, dass die Geschädigte in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung zu sehen oder dies vom Angeklagten beabsichtigt gewesen wäre. Seine Aufforderung bezog sich auf die Übersendung von Nacktaufnahmen, wobei eine aufreizend geschlechtsbetonte Körperhaltung nicht thematisiert wurde. Das übersandte Video zeigte die unbekleideten Brüste, die im Fokus der Kamera standen. Dies stellt keinen jugendpornographischen Inhalt dar.

cc) Da auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitergehende, die Erfüllung des Tatbestands des § 184c Abs. 3 StGB ergebende Feststellungen getroffen werden könnten, spricht der Senat den Angeklagten im Fall II.11 der Urteilsgründe mit entsprechender Kostenfolge frei.“

Beweise II: Was gehört alles in die Urteilsgründe?, oder: Wie hat sich der Angeklagte eingelassen?

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Und dann habe ich als „Mittagsentscheidung“ hier den BGH, Beschl. v. 30.09.2024 – 6 StR 421/24 -, in dem der BGH mal wieder – wie oft eigentlich schon – beanstandet, dass in den Urteilsgründen die Einlassung des Angeklagten nicht mitgeteilt wird.

„2. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen entbehren einer tragfähigen Beweiswürdigung. Es fehlen Angaben dazu, ob und gegebenenfalls wie sich die Angeklagten zur Sache eingelassen haben.

a) Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass in den Urteilsgründen wiederzugeben ist, ob und gegebenenfalls wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. Februar 2021 – 4 StR 471/20, Rn. 4; vom 14. Dezember 2022 ‒ 6 StR 449/22, Rn. 7). Hat er von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, so ist auch dies mitzuteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300).

b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Zwar ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen auf den Angaben der Angeklagten beruhen; auf diejenigen des Angeklagten M. hat die Strafkammer auch ihre Feststellungen zu dessen Stimme und Sprechweise gestützt. Ferner hat der Angeklagte K. in der Hauptverhandlung Angaben bestätigt, die er gegenüber der Jugendgerichtshilfe gemacht hatte, und der Angeklagte M. hat Ausführungen der Sachverständigen zu seinem Lebenslauf bestätigt. Aus diesen von der Strafkammer mitgeteilten Angaben der Angeklagten zu ihren persönlichen Verhältnissen kann der Senat aber nicht den sicheren (Umkehr-)Schluss ziehen, dass sich die Angeklagten nicht zur Sache eingelassen haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. August 2020 ‒ 4 StR 629/19, Rn. 5; vom 12. Dezember 2019 – 5 StR 444/19, NStZ 2020, 625, Rn. 5; vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300).

c) Angesichts der schwierigen Beweislage vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2019 – 5 StR 444/19, NStZ 2020, 625, Rn. 6). Die Feststellungen unterliegen insgesamt der Aufhebung (§ 353 Abs. 2 StPO).“